Analyse | Koalition
Erscheinungsdatum: 31. August 2026

Zwei Tage in Würzburg: Wenn Koalitionäre die Annäherung suchen

Die Fraktionsvorsitzenden Matthias Miersch (SPD, l-r), Jens Spahn (CDU) und Alexander Hoffmann (CSU) sprechen bei der Abschluss-Pressekonferenz zur Klausurtagung der geschäftsführenden Fraktionsvorstände von CDU/CSU und SPD.

Nach Wochen der Turbulenzen haben die schwarz-roten Fraktionsspitzen in Würzburg einen Neustart versucht. Inhaltlich blieb der Neuigkeitswert überschaubar, im Mittelpunkt stand Atmosphärisches. Nur in Berlin wollten nicht alle mitspielen.

Es war eine ungewöhnliche Veranstaltung – und sie könnte Hoffnung machen. Ein bisschen zumindest. Denn die knapp drei Dutzend Koalitionäre, die sich in Würzburg zusammensetzten, legten sich nach Angaben von Teilnehmer in ungewöhnlicher Offenheit die Karten. Ohne dass es eskalierte, sachlich, nüchtern, weitgehend ohne Sticheleien und Provokationen. „Ich war positiv überrascht, die zwei Tage haben meine Erwartungen übertroffen“, sagte später ein Sozialdemokrat, von denen nicht wenige eher skeptisch nach Würzburg gefahren waren. „Das war respektvoll und wertschätzend“, bilanzierte eine Kollegin. 

Nicht nur der Medienauftrieb in Würzburg war ungewöhnlich. Auf fruchtbaren Boden fielen offenbar auch die Ermunterungen, die den drei Fraktionschefs Jens Spahn (CDU), Matthias Miersch (SPD) und Alexander Hoffmann (CSU) auf ihrem gemeinsamen Gang durch die Innenstadt zuteil wurden: „Ihr müsst das hinkriegen!“ oder „Macht was daraus!“, sei ihnen zugerufen worden, als sie zum Bildtermin ans Mainufer schlenderten, berichtete Miersch später.

So kam hinter verschlossenen Türen alles auf den Tisch, was in den vergangenen Monaten für Aufwallung gesorgt hatte. Teilweise auch aus der Zeit davor: Der teils aggressive Wahlkampf, die Narben, die er geschlagen hatte, die vielfachen Ankündigungen der Union, in der Außenpolitik eine Wende einzuleiten und überhaupt zahlreiche Ampel-Entscheidungen rückgängig zu machen, etwa in der Migrationsfrage, in der Wirtschafts- oder auch in der Energiepolitik. „Als ob wir vorher nur Mist gemacht hätten“, wie ein Chef-Genosse grummelte. Und natürlich kam auch die gescheiterte Richterwahl auf den Tisch. 

Es ging viel um Respekt, um Wertschätzung, und es ging – insbesondere bei den Themen Migration, Identität oder Geschlechterfragen auch um das Thema Sprache. Insbesondere bei der Union räumten Teilnehmer offen ein: „So haben wir das noch gar nicht gesehen.“ Etwa, dass die nicht wenigen Kollegen mit Migrationshintergrund in der SPD-Fraktion beim Thema Flucht und Vertreibung immer etwas genauer hinhören. Oder dass sie auch eine besondere, häufig sehr persönliche Beziehung zum Thema Familiennachzug haben. Umgekehrt staunten Sozialdemokraten über die Dialogbereitschaft der Unionsseite: „Das war sehr respektvoll – die haben nichts beiseite gewischt.“ Selbst Generalsekretär Carsten Linnemann, sonst eher scharfzüngig unterwegs, präsentierte sich, zur Überraschung nicht weniger Genossen, konziliant, gedankenoffen, gesprächsbereit. 

Umgekehrt wehrten sich die Unions-Teilnehmer, von den Genossen quasi ritualisiert in die rechte Ecke gedrängt zu werden. Rechte Netzwerke hätten keinen Einfluss bei der Richterwahl auf sie gehabt. Und die AfD sei in ihrer derzeitigen Verfassung absolut keines Gedankens als möglicher Kooperationspartner wert.

Zum neuen Miteinander von Würzburg hat wohl auch die Sozialwissenschaftlerin Nicola Fuchs-Schündeln beigetragen, der neuen Leiterin des Wissenschaftszentrums Berlin, die zwar von den Sozialdemokraten eingeladen worden war, in ihrem Impulsreferat aber für beide Seiten Thesen im Angebot hatte, die man wahlweise als Zumutung oder als wegweisenden Vorschlag interpretieren konnte.

So trug sie vor, empirisch sei nachweisbar, dass unter populistisch geführten Regierungen  regelmäßig das Wirtschaftswachstum leide. Die Gründe: Populistische Regierungen agierten zum einen in der Regel protektionistisch, und außerdem untergrüben sie demokratische Institutionen. Fuchs-Schündeln: „Dadurch gehen gute, stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verloren, und Vetternwirtschaft und Korruption nehmen zu.“ Umgekehrt stütze ein handlungsfähiger Staat die Unterstützung für die Demokratie: „Es gibt aus der Forschung überzeugende Belege dafür, dass eine gut funktionierende Daseinsvorsorge vor Ort die Unterstützung für die Demokratie fördert.“ 

In Italien sei belegbar, dass besonders dort, wo am Erhalt von  lokalen Straßen, an Müllabfuhr, Wasser- und Energieversorgung, Bildung und Polizei gespart worden sei, die rechtsnationalen Parteien zugelegt hätten. Und: Insbesondere in  wirtschaftsschwachen Regionen zeigten Menschen aus ärmeren Haushalten eine besonders ausgeprägte Demokratieskepsis. Eine klare Absage erteilte sie dem undifferenzierten Umgang mit dem Thema Migration: „Migration ist ein Thema, das populistische Parteien immer in den Vordergrund rücken, egal, in welcher Epoche oder in welchem Land wir uns befinden. Ausländer eignen sich nun einmal hervorragend zum Sündenbock.“ Eine klare Haltung hatte sie auch zum Thema Kulturkampf: „Aufgeheizte Debatten gerade zu gesellschaftlichen und kulturellen Themen nutzen den extremen rechten und linken Parteien, aber schaden der Mitte und dem demokratischen System.“ „Das war etwas zum Kauen“, kommentierte Jens Spahn hinterher.

Aber auch für die Sozialdemokraten gab es Anlass zum Nachdenken: Weiterhin auf die einst tragenden Branchen des Landes, Automobil und Maschinenbau zu setzen, sei gefährlich. Die Industrie sei immer noch wichtig für Deutschlands Wirtschaft, aber ihre Bedeutung gehe zurück. Es bedürfe neuer, innovativer Wachstumsideen: „Wir haben ein Defizit an disruptiven Innovationen, also nicht schrittweisen Verbesserungen, sondern großen, mutigen Neuanfängen.“ Nicht zuletzt brauche es Mut zur Deregulierung, letztlich auch für Arbeitnehmer Mut zur Veränderung, „den Arbeitgeber zu wechseln, sich neue Fähigkeiten anzueignen“. 

Ihr eindringlicher Appell zum Schluss: „Wir brauchen mehr denn je eine langfristig orientierte und visionäre Politik, trotz der Kurzfristorientierung der digitalen Öffentlichkeit. Lassen Sie sich nicht davon treiben, setzen Sie aktiv Ihre eigene Rhetorik!“

Ein erster Schritt scheint mit dem Treffen von Würzburg getan. Eine Grundlage scheint geschaffen, auch schwierige Themen ohne dauerhaften Schlachtenlärm abzuarbeiten. Weitere Treffen in ähnlicher Besetzung sollen folgen, vielleicht eher zwei Stunden als zwei Tage lang. Aber doch mit der erkennbaren Absicht, an Kompromissen zu arbeiten und nicht den Konflikt zum Dauerzustand zu machen.

Und doch wurde in Würzburg auch deutlich, dass beide Seiten vor sehr grundsätzlichen und zugleich sehr ähnlichen Herausforderungen stehen. Die Union sucht nach 16 Jahren Merkel-Regierung, drei Jahren Opposition und einem polarisierenden Wahlkampf, in dem vor allem die Parteispitzen einen scharfen Ton angeschlagen hatten, noch nach dem inneren Kompass. Auch die SPD arbeitet ihrerseits nach jahrelanger Regierungsbeteiligung, einem miserablen Wahlergebnis und anhaltend schlechten Umfragewerten nach einem neuen Profil. Die interne Suche nach dem Weg plus Suche nach einer griffigen Außendarstellung dürften für beide Partner das neue Miteinander nicht unbedingt erleichtern.

Deshalb ist auch klar: Längst nicht alle Differenzen sind mit dem Würzburger Treffen ausgeräumt. Gerade in grundsätzlichen Fragen werden Unterschiede bleiben. Oder wie ein Sozialdemokrat formulierte: „Das war ein gutes Treffen – aber eine Rest-Skepsis bleibt.“

Ausgerechnet Friedrich Merz trug am Tag darauf dazu bei, diese Skepsis kräftig zu befeuern. Erst verkündete er am Samstag beim CDU-Landesparteitag in Bonn: „Wir können uns dieses System, das wir heute haben, einfach nicht mehr leisten.” Was SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas mit einem derben „Bullshit” quittierte. Im ZDF legte der Kanzler dann am Sonntag nach: „Wir haben uns darauf verständigt, dass die Steuern nicht erhöht werden. Und dieser Koalitionsvertrag gilt.” Genau auch in diesem Punkt ins Gespräch zu kommen, hatten mehrere Sozialdemokraten durchaus gehofft.

Ist „der Geist von Würzburg” also schon wieder verflogen, bevor er überhaupt Wirkung entfalten konnte? Auf ihre Regierungsmitglieder haben sie nur bedingt Einfluss; aber eine Herausforderung steht den neuen Klausur-Freunden tatsächlich noch bevor – auch ihre Fraktionskollegen davon zu überzeugen, dass von einem gedeihlichen Miteinander alle profitieren. Und dass bei koalitionärem Getöse nur einer gewinnt – der politische Gegner. Trotz prima Klima in Würzburg zeichnet sich ab: Nur gute Laune wird nicht reichen im „Herbst der Reformen”.

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Letzte Aktualisierung: 31. August 2025

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