Table.Standpunkt
Erscheinungsdatum: 01. November 2025

Die Daten und die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken

Arbeitsmarkt- und Preisdaten gelten als Grundlage der Geldpolitik. Doch sinkende Datenqualität und Kritik an Prognosen werfen Fragen nach der Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Notenbanken auf.

US-Präsident Donald Trump setzt nicht nur offen die US-Zentralbank Fed unter Druck, die Zinsen zu senken. Er hat auch wegen angeblich manipulierter Daten die Chefin des Amtes für Arbeitsmarktstatistik (Bureau of Labor Statistics), Erika McEntarfer, entlassen. Dieses Amt liefert die Arbeitsmarktdaten, auf die sich die Fed bei ihren Entscheidungen stützt.

Nun stellt der Shutdown infrage, ob das Bureau of Labor Statistics überhaupt noch Daten liefern kann. Lange Zeit richteten Zentralbanken ihre geldpolitischen Entscheidungen an der Entwicklung der Geldmenge als vorausschauendem Indikator für Inflation aus, weil nach Milton Friedman Inflation „immer und überall ein monetäres Phänomen“ ist.

Ab Mitte der 1980er-Jahre ging die US-Fed unter Notenbankpräsident Alan Greenspan jedoch dazu über, auf die offiziell gemessenen Inflations- und Arbeitsmarktdaten zu blicken. Die EZB schaffte 2003 den Referenzwert für das Geldmengenwachstum ab. Greenspan argumentierte angesichts stark steigender Aktienkurse, dass die Fed spekulative Übertreibungen nicht erkennen und folglich auch nicht bremsen könne. Stark fallende Aktienkurse bekämpfte er hingegen mit entschlossenen Zinssenkungen.

Der Soziologe David Campbell hat darauf hingewiesen, dass ein quantitatives Maß, das für politische Entscheidungen genutzt wird, stets der politischen Einflussnahme ausgesetzt ist. Man denke an die manipulierten Daten zur Staatsverschuldung beim Eurobeitritt Griechenlands. Griechenland trat dem Euroraum am 1. Januar 2001 bei, maßgeblich waren die Daten des Jahres 1999. Offiziell gemeldet wurden ein Haushaltsdefizit von 1,8 Prozent des BIP und eine Staatsverschuldung von 104,4 Prozent. Eurostat stellte 2004 jedoch fest, dass das Defizit tatsächlich 3,4 Prozent und die Schuldenquote 112,3 Prozent betrug.

Viele staatliche Leistungen werden auf Grundlage der offiziell gemessenen Inflationsraten angepasst. 1996 stellte die vom US-Senat eingesetzte Boskin-Kommission fest, dass die Inflation in den USA zu hoch ausgewiesen wird. Seitdem werden Qualitätsverbesserungen bei Industriegütern in der Statistik als Preisrückgänge verbucht. Qualitätsverschlechterungen bei Dienstleistungen hingegen führen nicht zu Preisaufschlägen im Index. Aktien- und Immobilienpreise sind von der Inflationsmessung ausgeschlossen, obwohl sie ein guter Indikator für Inflationsdruck wären.

Als 2021 die offiziell gemessene Inflation stark anzog, reagierten Fed und EZB zunächst nicht, da sie die Teuerung für vorübergehend hielten. EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel argumentierte bei einer Inflationsrate von 5,2 Prozent, die EZB sehe mittelfristig eher die Gefahr zu niedriger Inflation. Christine Lagarde erklärte später das Versagen der EZB-Inflationsprognosen mit fehlerhaften Modellen. Seither ist die Geldpolitik von EZB und Fed „datenabhängig“ („data-dependent“): Die Zentralbanken entscheiden auf Basis der jeweils neuesten Inflations- und Arbeitsmarktdaten. Das soll ihre Glaubwürdigkeit stärken.

Doch in den USA nimmt die Qualität der Arbeitsmarktdaten ab, weil immer weniger Befragte antworten. Für die Erhebung der Preisdaten fehlen aufgrund der Sparmaßnahmen der Regierung zunehmend Mitarbeiter. US-Finanzminister Scott Bessent kritisierte, die Fed habe in der Vergangenheit nicht nur fehlerhafte Modelle genutzt, sondern deren Prognosen seien auch politisch beeinflusst gewesen. Statt Interessenpolitik zu betreiben, solle sich die Fed wieder konsequent auf die Bekämpfung von Inflation und Arbeitslosigkeit konzentrieren.

Zuletzt hat die Fed die Zinsen gesenkt, obwohl die Inflationsrate mit drei Prozent deutlich über dem Ziel von zwei Prozent liegt. Die Verwirrung ist groß: Wann setzte eigentlich der Verlust von Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Zentralbanken ein?

Gunther Schnabl ist ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Direktor des Thinktanks Flossbach von Storch Research Institute. In seiner Kolumne beleuchtet er regelmäßig finanzpolitische Fragestellungen.

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Letzte Aktualisierung: 01. November 2025

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