Talk of the town
Erscheinungsdatum: 02. November 2025

Die SPD und die Koalition: Wie eine Partei vor allem mit sich selbst ringt

Harte Regierungsarbeit: Bärbel Bas und Lars Klingbeil (picture alliance / dts-Agentur)

In der SPD brodelt es: Das Mitgliederbegehren gegen die Abschaffung des Bürgergelds offenbart den tiefen Frust der Basis. Zwischen Führungsschwäche und Koalitionsmüdigkeit wächst der Ruf nach einem Befreiungsschlag.

Das Mitgliederbegehren gegen die Abschaffung des Bürgergelds stand wenige Stunden im Netz, da herrschte in SPD-Mitgliederforen Hochbetrieb: „Endlich mal ein Hoffnungsschimmer auf Wiedererkennbarkeit der SPD“, chattete ein Genosse im deutschen Süden. „Schlimm, wie wir uns in dieser Koalition knechten lassen“, assistierte ein anderer. Die Stimmung an der sozialdemokratischen Basis im ganzen Land: Zwischen frostig und tiefgekühlt. Entsprechend still blieb es von seiten der Parteispitze. Zumal der Antrag formal bisher nicht im Willy-Brandt-Haus hinterlegt worden ist. Das müsste er aber, um das Begehren offiziell zu machen. So scheint es, als ob nach einer knappen Woche die Luft schon wieder raus ist aus der Mini-Rebellion.

Doch deshalb zur Tagesordnung überzugehen, wäre für die Vordenker im Willy-Brandt-Haus die falsche Strategie. Denn letztlich geht es bei der Unterschriftensammlung nur am Rande ums Bürgergeld und seine Empfänger. Das liegt nicht nur daran, dass auch viele Sozialdemokraten wenig Verständnis haben für Leistungsempfänger im Ruhemodus. Eher ist das Unruhegetrappel der Basis als weiterer Hinweis zu interpretieren, dass die Geduld erschöpft ist. Mit der Koalition, mit den stagnierenden Umfragewerten, mit der fehlenden Perspektive, aber auch mit dem eigenen Führungspersonal.

Erster Auslöser: die Union, die die Genossen quasi im Wochenrhythmus strapaziert. Ob es die Nichtwahl von Frauke Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin war, der gestoppte Familiennachzug, die Grenzkontrollen, die zögerliche Aufnahme afghanischer Ortskräfte, der Kanzler mit seiner Migranten-Stadtbild-Kritik oder die angeblichen Milliarden-Einsparungen beim Bürgergeld: Von der Notgemeinschaft in Berlin erwarten die Basis-Genossen nichts mehr. Zugleich ist die Erkenntnis gereift: Wundsalben und Pflaster zu verteilen, hier ein bisschen mehr Bafög, da ein Rentenzuschlag, dort einige Euro mehr Kindergeld oder ein kleines Plus beim Wohngeld – es reicht nicht mehr aus.

Das Problem wurzelt tiefer. „Der Frust ist riesengroß“, bekennt ein Führungsmann. „Es ist die pure Verzweiflung.“ So wächst unter den Genossen in der Hauptstadt wie im ganzen Land das Bedürfnis nach einem Befreiungsschlag. Wohl wissend, dass Wunsch und Wirklichkeit kaum zusammenfinden werden. „Man nimmt in Kauf, dass es noch schlimmer wird – Hauptsache, es passiert was.“ Auch in der Bundestagsfraktion hat sich längst Frust breit gemacht. Die interne Debatte um die Wehrpflicht oder der Ruf nach einem Stadtbild-Gipfel im Kanzleramt sind äußerer Ausdruck der inneren Ratlosigkeit.

So ist das Mitgliederbegehren zuallererst ein Alarmruf in Richtung Parteispitze. Die ihrerseits wirkt gefesselt. Das Problem: Die beiden Co-Vorsitzenden sind vom Tagesgeschäft in der Regierung (über)beansprucht, und der Fraktionschef hat alle Mühe, seine Abgeordneten auf Regierungslinie zu halten. Oder wie es eine ministeriale Genossin ausdrückt: „Eine Doppelspitze der Partei in Regierungsverantwortung ist immer ein Problem.“ Zumal sich der erste Glanz von Bärbel Bas eintrübt. Und Kollege Lars Klingbeil, immer noch mit seinem Parteitagsergebnis hadernd, sucht nach Rat und Lösungen. Bisher mit überschaubarem Erfolg.

„Wir brauchen Führung und Orientierung“, mahnt ein erfahrener Spitzengenosse. Nur, wer soll sie bieten? Die Parteispitze bislang nicht. Ihre Stellvertreter auch nicht. Und die SPD- Ministerpräsidenten – einst durchaus Impulsgeber für die Partei in Berlin – haben vor allem die eigenen Landeswerte im Sinn. Die Ungeduld wächst, allzu viel Zeit bleibt den Führenden der Partei nicht mehr.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 02. November 2025

Teilen
Kopiert!