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Zwischen Vereinsheim und Kommentarspalte: Ehrenamt in Zeiten digitaler Belastung

Anna-Lena von Hodenberg

Tilda, eine junge Lehrerin auf dem Land, trainiert ehrenamtlich ein Fußballteam geflüchteter Jugendlicher. Neben den Trainings pflegt sie den Instagram-Kanal des Teams, denn Sichtbarkeit gehört für sie zum Engagement dazu. Nach einem humorvollen Post über Rassismus wird sie innerhalb kürzester Zeit mit rassistischen und misogynen Angriffen überzogen. Was als freiwilliger Einsatz begann, wird für Tilda zur digitalen Dauerbelastung. Sie pausiert den Account und kehrt mehrere Monate auch privat nicht auf Social Media zurück.

Tildas Erfahrung ist bewusst verfremdet, denn sie will, wie viele Betroffene, anonym bleiben. Doch sie steht exemplarisch für eine Entwicklung, die viele Engagierte heute erleben – und die wir in unserer Beratung in unzähligen Varianten beobachten. Denn die Bedingungen, unter denen Ehrenamtliche arbeiten, werden immer herausfordernder. Sie schließen Lücken, die Politik und Verwaltung hinterlassen – sei es in der Nachbarschaftshilfe, der Unterstützung Geflüchteter, der Wohnungslosenhilfe oder der Aufrechterhaltung kultureller und sportlicher Angebote im ländlichen Raum. Neben dieser ohnehin hohen Belastung spielt die digitale Dimension eine zunehmende Rolle: Gesellschaftliche Konflikte werden heute nicht mehr nur auf dem Marktplatz oder im Vereinsheim ausgetragen, sondern vor allem online – und wer sich engagiert, wird dort häufig mit Hass, Anfeindungen und Desinformation konfrontiert. Für viele Ehrenamtliche gehört der Umgang mit digitaler Polarisierung mittlerweile genauso zum Alltag wie ihr Engagement selbst.

Lauter Hass, leiser Rückzug: Silencing als Gefahr für Engagement und Demokratie

Gerade zivilgesellschaftliche Akteurinnen, die sich für Demokratie, Gleichstellung oder Geflüchtete engagieren, geraten zunehmend ins Visier gezielter Diskreditierungskampagnen. Mehrheitlich rechtspopulistische Kräfte versuchen systematisch, ihr gesellschaftliches Engagement zu delegitimieren. Studien zeigen: Neben Politikerinnen und Politikern sowie Aktivistinnen und Aktivisten werden besonders Frauen, queere Menschen, Geflüchtete und Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig Ziel digitaler Gewalt (Quelle: „Lauter Hass, leiser Rückzug“, S. 35 f.). Sie erleben Beleidigungen, Drohungen, sexualisierte Anfeindungen und gezielte Desinformationskampagnen. Die Folgen: Menschen ziehen sich aus digitalen Debatten zurück, schließen ihre Accounts, meiden Plattformen oder Themen. Manchmal genügt ein einziger Shitstorm oder eine orchestrierte Diffamierung, damit sich engagierte Menschen zurückziehen, Projekte einstellen oder auf öffentliche Sichtbarkeit verzichten. So wie Tilda.

Digitale Gewalt trifft zwar meist Einzelpersonen. Doch sie folgt einer Logik, die weit über diese hinausgeht. Denn sie ist Ausdruck bestehender Machtverhältnisse und sie verändert Strukturen. Weil digitale Attacken oftmals ganz öffentlich passieren, verändern sie nicht nur das Verhalten der angegriffenen Person. Auch viele Zuschauende passen ihr Verhalten an: Sie verstummen aus Angst, selbst Opfer von Anfeindungen zu werden. Digitale Gewalt wirkt also wie eine subtile, aber wirksame Form von Zensur, die nicht auf Gesetzen beruht, sondern auf der Angst, verletzt zu werden. Dieses Silencing gefährdet nicht nur demokratische Debatten, sondern auch das ehrenamtliche Engagement.

Aktiv, aber nicht ungeschützt: Ehrenamt stärken

Ehrenamt ist mehr als ein Hobby. Es ist Ausdruck demokratischer Selbstwirksamkeit und wir sind als Gesellschaft darauf angewiesen. Ohne die vielen Menschen, die sich in Vereinen, Initiativen, kommunalen Gremien oder sozialen Projekten einbringen, würde vieles im Alltag nicht funktionieren. Ihr Einsatz ist ein elementarer Bestandteil unserer gesellschaftlichen Infrastruktur.

Doch Engagement kann nur dann lebendig bleiben, wenn die Menschen, die es ausüben, vor (digitalen) Angriffen geschützt werden. Diese Verantwortung liegt jedoch nicht bei den Engagierten selbst. Politik, Justiz, Verwaltung und Plattformbetreiberinnen und -betreiber müssen die Rahmenbedingungen sichern, unter denen Engagement im digitalen Zeitalter überhaupt möglich bleibt. Dazu gehören verlässliche und nachvollziehbare Meldewege und menschenfreundliche Plattformarchitekturen. Ebenso wichtig sind politische Rückendeckung, strukturelle Entlastungen, klare Zuständigkeiten und eine nachhaltige Finanzierung.

Denn auch Letztere braucht es: Damit Engagement nicht ausbrennt, sondern langfristig wirken kann, dürfen wesentliche demokratische Aufgaben nicht allein auf Ehrenamtliche abgewälzt werden. Organisationen der politischen Bildung, der Medienpädagogik, der Demokratie- und Gleichstellungsarbeit sowie Beratungsstellen – wie unsere eigene – müssen langfristig so ausgestattet sein, dass sie dauerhaft und verlässlich Stabilität und Schutz bieten können. Denn dort, wo demokratische Institutionen systematisch geschwächt oder diskreditiert werden, kann Ehrenamt allein die Lücken nicht schließen.

Über HateAid

HateAid ist die bundesweit erste Anlaufstelle für Betroffene digitaler Gewalt. Die gemeinnützige Organisation wurde 2018 gegründet und hat ihren Hauptsitz in Berlin. Sie setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein und engagiert sich auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene gegen digitale Gewalt und ihre Folgen. HateAid unterstützt Betroffene von digitaler Gewalt durch Beratung und Prozesskostenfinanzierung. Geschäftsführerinnen sind Anna-Lena von Hodenberg und Josephine Ballon.

Autorin: Anna-Lena von Hodenberg ist Gründerin und Geschäftsführerin der HateAid GmbH.

Wie kann bürgerschaftliches Engagement als tragende Säule unserer Demokratie nachhaltig gestärkt werden? Welche Rahmenbedingungen braucht das Ehrenamt, um in einer Zeit multipler Krisen und wachsender Anforderungen wirksam zu bleiben?

Unser Partner: Die Deutsche Postcode Lotterie ist eine staatlich lizensierte Soziallotterie. Sie unterstützen Projekte zum Natur- und Umweltschutz und zur Förderungen von sozialem Zusammenhalt und Chancengleichheit.

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