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Engagement mit Wurzeln – wie wir das Ehrenamt zukunftsfähig machen können

Christoph Schmitz

Wenn wir Kinder und Jugendliche beim Ackern begleiten, erleben wir unmittelbar, was Engagement bewirken kann: Gemeinschaft, Verantwortung, Begeisterung. Doch wir erleben auch, wie herausfordernd es geworden ist, Menschen zu finden, die diese Begeisterung über längere Zeit mittragen. Als Sozialunternehmen, das auf ehrenamtliches Engagement baut, spüren wir bei Acker sehr deutlich, was viele Organisationen in Deutschland derzeit beschäftigt: Menschen wollen sich engagieren – aber sie haben immer weniger Zeit dafür.

Unsere Ehrenamtlichen, die AckerCoach*innen, betreuen im Durchschnitt drei Lernorte. Sie begleiten insbesondere Schulen und Kitas beim Gemüseanbau und vermitteln Kindern, woher unser Essen kommt. Dieses Engagement ist sinnstiftend, aber auch zeitintensiv – besonders während der Sommersaison, wenn alles wächst und der Acker viel Pflege braucht.

Damit stehen wir exemplarisch für eine Entwicklung, die der aktuelle Freiwilligensurvey beschreibt: Zwar engagieren sich etwa 40 Prozent der Menschen in Deutschland freiwillig, doch die Zahl derjenigen, die zeitintensiv und über Jahre hinweg Verantwortung übernehmen, sinkt seit Jahren. Es ist ein leiser, aber spürbarer Wandel – einer, der langfristig Folgen für unsere Zivilgesellschaft hat.

Engagement unter Zeitdruck

Nicht alle Altersgruppen sind gleichermaßen betroffen. Menschen im Ruhestand bringen sich häufig langfristig und mit hohem Zeitumfang ein. Bei denjenigen, die mitten im Berufsleben stehen, ist der Trend ein anderer: Sie engagieren sich bevorzugt kurzfristig oder projektbezogen. Das liegt nicht an mangelndem Willen, sondern an fehlenden Ressourcen.

Gerade die 30- bis 49-Jährigen – also die Altersgruppe, in der sich Beruf, Familie und Pflegeverantwortung ballen – haben schlicht zu wenig Zeit. Hinzu kommt: Ehrenamt ist auch eine Frage der sozialen Lage. Menschen mit höherer Bildung und höherem Einkommen sind im Ehrenamt überrepräsentiert, weil sie sich den zeitlichen Einsatz eher leisten können. Wer dagegen mit finanziellen Unsicherheiten lebt, hat kaum die Freiheit, regelmäßig Stunden für freiwillige Arbeit aufzubringen.

Diese strukturellen Faktoren spiegeln sich in unserer Arbeit wider. Bei Acker beträgt die Fluktuationsrate unter den AckerCoach*innen rund 25 Prozent pro Jahr. Das bedeutet, wir gewinnen und schulen jährlich über 100 neue Ehrenamtliche – ein enormer Aufwand für eine gemeinnützige Organisation. Die Gründe für den Ausstieg sind meist dieselben: Zeitmangel, berufliche Veränderungen, familiäre Verpflichtungen.

Und doch wissen wir: Jede Person, die bleibt, macht einen großen Unterschied. Langfristige AckerCoach*innen sind nicht nur fachlich versiert, sie schaffen auch Bindung – zu Lehrkräften, zu Kindern, zu den Orten, an denen sie ackern. Diese Kontinuität ist das, was Engagement wirklich wirksam macht.

Engagement braucht neue Rahmenbedingungen

Aus unserer Perspektive zeigt sich: Wir müssen bürgerschaftliches Engagement neu denken, wenn es seine gesellschaftliche Kraft behalten soll. Engagement darf kein Luxus sein, den sich nur manche leisten können, sondern muss für alle Lebenslagen möglich sein.

Dazu gehört, Zeit als Ressource neu zu verteilen und Unternehmen stärker einzubeziehen.

Ein weiterer entscheidender Punkt sind Begegnungsorte und Gemeinschaft: Menschen engagieren sich, wenn sie wissen, wo und wie – und wenn sie dabei andere treffen, mit denen sie etwas verbindet. Damit Engagement entstehen und wachsen kann, braucht es Orte, an denen Menschen unkompliziert zusammenkommen können. Das Zugänglichmachen von bezahlbaren oder kostenfreien Treffpunkten – in Stadtteilen, Schulen oder auf dem Land – ist daher zentral. Solche Räume schaffen Austausch, Sichtbarkeit und Zugehörigkeit – die sozialen Wurzeln, aus denen Engagement erwächst.

Darüber hinaus braucht es politische und soziale Unterstützung: flexiblere Arbeitszeitmodelle, steuerliche Anreize, finanzielle Anreize durch Vergünstigungen, verlässliche Förderung von Strukturen – und neue Wege, um Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen einzubinden. Besonders arbeitsuchende Menschen sollten durch gezielte monetäre Anreize ermutigt werden, sich ehrenamtlich zu engagieren. Ein solches Modell schafft sinnvolle Selbstwirksamkeit, stiftet gesellschaftlichen Mehrwert, wirkt entstigmatisierend und fördert Zugehörigkeit. Es bietet die Chance, Menschen in Phasen beruflicher Neuorientierung aktiv einzubinden und ihr Potenzial für das Gemeinwohl zu nutzen – statt es ungenutzt zu lassen.

Es reicht nicht, das Ehrenamt moralisch zu loben; wir müssen es materiell und organisatorisch absichern.

Ehrenamt ist Demokratiearbeit

Gerade in Zeiten multipler Krisen – von Klimawandel bis gesellschaftlicher Polarisierung – zeigt sich, wie wichtig eine lebendige Zivilgesellschaft ist. Ehrenamt bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Es ist gelebte Demokratie im Alltag.

Wenn wir das Ehrenamt stärken, stärken wir also mehr als nur Organisationen wie unsere. Wir stärken den Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält.

Wir bei Acker sehen jeden Tag, wie Menschen durch gemeinsames Tun wachsen: Kinder, die Verantwortung übernehmen, Lehrkräfte, die sich öffnen, Ehrenamtliche, die ihre Zeit und Erfahrung einbringen. Dieses Miteinander ist die Wurzel einer resilienten Demokratie.

Doch dafür müssen wir die Bedingungen schaffen, unter denen Engagement gedeihen kann: Zeit, Anerkennung, Struktur und Verlässlichkeit. Nur dann kann aus dem, was heute gesät wird, auch morgen etwas wachsen – auf dem Acker und in unserer Gesellschaft.

Autor: Christoph Schmitz ist Gründer und geschäftsführender Vorstand von Acker e.V.

Wie kann bürgerschaftliches Engagement als tragende Säule unserer Demokratie nachhaltig gestärkt werden? Welche Rahmenbedingungen braucht das Ehrenamt, um in einer Zeit multipler Krisen und wachsender Anforderungen wirksam zu bleiben?

Unser Partner: Die Deutsche Postcode Lotterie ist eine staatlich lizensierte Soziallotterie. Sie unterstützen Projekte zum Natur- und Umweltschutz und zur Förderungen von sozialem Zusammenhalt und Chancengleichheit.

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