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Einmischen im Ehrenamt heißt Gemeinschaft stärken

Anja Siegesmund

Sich einzumischen ist in unserer Gesellschaft eher verpönt, wirkt übergriffig. „Misch Dich nicht ein“, heißt es schon auf dem Schulhof. Hätte Eva sich nicht von der spitzen Zunge der Schlange zur verbotenen Frucht überreden lassen oder Claire Zachanassian sich in Heinrich Kleists „Der Besuch der alten Dame“ nicht unwidersprochen durchsetzen können, wer weiß, ob wir nicht eher das ungeahnt Kraftvolle im „Einmischen“ sehen könnten?

Denn gerade im Ehrenamt ist das Gegenteil der Fall: „Misch Dich hier mit ein!“ ist ausdrücklich erwünscht. Das bedeutet Zeit zu investieren, Verantwortung zu übernehmen, für- und miteinander, für Gerechtigkeit, für Klimaschutz und Menschen, die sonst keine Stimme haben. Sich aktiv einzubringen, heißt im Ehrenamt: Unsere Demokratie gemeinsam zu stärken. Mal laut, wenn die Rufe der Fridays und die der Omas gegen Rechts auf der Straße zu hören sind. Mal leiser, wenn Kinderstimmen am Weltkindertag am Brandenburger Tor in Berlin für Kinderrechte im Grundgesetz werben.

„Einmischung ist die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben“, warb Heinrich Böll einst. Wer die Augen vor Problemen verschließt, sich aus allem zurückhält, verstummt und verliert zusehends den Kontakt. Nur wer hinschaut und mit macht, hilft aktiv anderen und stärkt unser Gemeinwesen. Der High-Level-Round-Table „Engagement und Ehrenamt“ mit Staatsministerin Dr. Christiane Schenderlein am 23. September 2025 in Berlin bot daher Anlass, zentrale Herausforderungen und Chancen des Ehrenamts zu diskutieren und Impulse für mehr Einmischung zu setzen. Denn nur wer genau hinhört und mittut, kann die Welt ein bisschen besser machen.

Im Ehrenamt schenken heute mehr als 26 Millionen Menschen in der Bundesrepublik über Milieugrenzen, politische Haltungen und gesellschaftliche Segmente hinweg anderen ihre Zeit. Am Beispiel des Deutschen Evangelischen Kirchentags zeigt sich, wie dieses gemeinsame Tun Resonanzräume öffnet. Sich sehen, sich zuwenden, aufeinander hören, gemeinsam streiten und zu Tausenden singen – das ermöglichen viele Ehrenamtliche, die zugleich gesellschaftliche Vorbilder sind. Ihre Erfahrung von Selbstwirksamkeit, ob bei den Pfadfindern oder anderen Jugendgruppen, steht letztlich für demokratische Teilhabe. Beim Kirchentag in Hannover engagierten sich rund 4.000 Ehrenamtliche, überwiegend 18- bis 24-Jährige. Ihre Hauptmotive? Den eigenen Erfahrungshorizont erweitern, neue Menschen kennenlernen, Neugierde und der Wunsch, aus dem Alltag auszubrechen. Unmittelbar und direkt. Als Präsidentin des Kirchentages in Hannover habe ich erfahren können, wie Menschen unterschiedlichster Herkunft mit großem Einsatz und konfessionsübergreifend dabei ihr Herz aufmachten. Ehrenamt macht das Herz weit. Ja!

Ehrenamt braucht bessere Rahmenbedingungen

Solches Engagement braucht die dafür nötigen Ermöglichungsräume. Im Grunde gibt es drei große Hürden, die hierfür zu überwinden sind. Zum einen sind es bürokratische Hemmnisse, umfassende Anträge, Nachweise, Abrechnungen, die nerven. Schnell und unkompliziert, am besten mit einem kurzen digitalen Tool muss es gehen.

Zum anderen gefährden finanzielle Engpässe die Vielfalt und Innovationskraft des Ehrenamts. Besonders kritisch ist der Trend, finanzielle Förderung für demokratiestärkende Projekte zurückzufahren. Wo Angebote zum Mitwirken fehlen, fühlt sich Ehrenamt als Last und schwer an, schwindet auch das Engagement. Jeder Euro, den Bund und Länder für Unterstützung solcher Erfahrungsräume ermöglichen, stärkt auch unsere Demokratie. Weil einmischen belebt und befähigt.

Viele Menschen – insbesondere Familien und Kinder – sind drittens heute so stark belastet, dass kaum Raum für zivilgesellschaftliches Engagement bleibt. Ehrenamt darf nicht zum Zeit-Luxus werden, sondern muss für alle gesellschaftlichen Gruppen ökonomisch möglich sein. Frühe Engagementerfahrungen fördern spätere Beteiligung. Wenn Ehrenamt eher als zusätzliche Belastung, denn als Bereicherung empfunden wird, verlieren wir die Stützen einer lebendigen Demokratie von morgen.

Einmischen ist und bleibt die einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben. Heinrich Böll hat recht, wenn er voraussieht, was heute im Verein, der Feuerwehr oder in der Pflege zu Hause alles liegen bliebe, ohne helfende Hände der Fürsorge. Wir ehrenamtlich Tätigen müssen die Politik auffordern, weniger bürokratisch, finanziell besser ausgestattet und für alle Lebensabschnitte passend mehr zu ermöglichen. Wir können uns aber auch Mut und Dank zurufen, uns wertschätzen. Wertschätzen, was wertvoll ist – jeden Tag.

Autorin: Anja Siegesmund ist Präsidentin des 39. Deutschen Evangelischen Kirchentages 2025 Hannover.

Wie kann bürgerschaftliches Engagement als tragende Säule unserer Demokratie nachhaltig gestärkt werden? Welche Rahmenbedingungen braucht das Ehrenamt, um in einer Zeit multipler Krisen und wachsender Anforderungen wirksam zu bleiben?

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