Table.Briefing: Europe

Nächste Runde der ETS-Reform + Rohstoffe aus Südamerika + Zwangsarbeit-Verbot + Kritik am Chips Act

  • Ehrenrunde des ETS: Zwischen Enttäuschung und Hoffnung
  • Chile statt China: Bundesregierung setzt auf Rohstoffe aus Südamerika
  • EU-Monitoring
  • EU-Parlament fordert Komission zu Zwangsarbeit-Verbot auf
  • Kritik am Chips Act regt sich
  • CSAM-Vorschlag: Wissing sieht Grenze überschritten
  • Gasspeicher in der EU zu über 50 Prozent gefüllt
  • Spanien und Portugal dürfen Energiepreise deckeln
  • Kommission schlägt Erdgas-Abkommen mit Ägypten und Israel vor
  • Parlament drängt auf Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge 
  • EZB beendet Anleihenkäufe und kündigt erste Zinserhöhung an
  • China: Grünes Licht für EU-Verordnung zu öffentlicher Beschaffung
  • Kolumne: What’s cooking in Brussels
Liebe Leserin, lieber Leser,

das Scheitern der ETS-Reform – “ein schlechter Tag für das Parlament”? Das sehen nicht alle so. Anderer Meinung ist etwa Ismail Ertug, einer der Sozialdemokraten, die entgegen der eigenen Parteiempfehlung zum Phase-Out der kostenlosen Emissionszertifikate für die Industrie gestimmt haben. Ertug hofft, dass die Nachverhandlungen zu einer Verbesserung des Klimapakets führen. Lukas Scheid analysiert die Konfliktlinien und mögliche Kompromisslösungen im Vorfeld der erneuten Abstimmung.

Der Blick geht nach Chile, Argentinien und Uruguay: Um die Abhängigkeiten von Russland und China bei Rohstoff- und Energieimporten zu mindern, will die Bundesregierung stärker mit den drei südamerikanischen Ländern zusammenarbeiten. Große Hoffnung setzt sie auf Chiles Ambitionen, Vorreiter in grünem Bergbau zu werden. Doch die weltweite Suche nach neuen Partnern könne zulasten von Umwelt und Menschenrechten gehen, warnt die Initiative Lieferkettengesetz mit Blick auf Länder wie Nigeria, Kasachstan und Saudi-Arabien. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz sei darum dringlicher denn je. Leonie Düngefeld hat die Details.

Baumwolle pflücken, Gemüse ernten, Elektroteile zusammenstecken – Arbeiten wie diese erledigen Millionen Menschen weltweit unter Zwang. Gestern haben die EU-Parlamentarier ihre Empfehlung für eine Gesetzgebung zu Produkten aus Zwangsarbeit vorgelegt. Ihre Forderung: Die Einfuhr soll bereits an den EU-Grenzen gestoppt werden. In den USA ist man bereits einen Schritt weiter, der Uyghur Forced Labor Prevention Act tritt in wenigen Tagen in Kraft. Der US-Ansatz geht deutlich über den Vorschlag des EU-Parlaments hinaus, wie Amelie Richter berichtet.

Dass die EU dringenden Nachholbedarf im Bereich der Chipindustrie hat, darüber herrscht weitgehende Einigkeit. Der European Chips Act, im Februar mit großem Pomp von der Kommission vorgestellt, findet darum grundsätzlich auch Zustimmung unter den Mitgliedstaaten und im EU-Parlament. In den Einzelheiten gehen die Meinungen jedoch deutlich auseinander. So fürchten etwa kleinere Länder, leer auszugehen.Till Hoppe analysiert die wesentlichen Streitpunkte.

Ihre
Sarah Schaefer
Bild von Sarah  Schaefer

Analyse

Ehrenrunde des ETS: Zwischen Enttäuschung und Hoffnung

Mit leicht zitternder Stimme hatte Peter Liese (EVP) am Mittwoch seine EU-Parlamentskollegen aufgefordert, seinen Bericht zur Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) an den Ausschuss zurückzugeben. Liese wusste in diesem Moment, dass das vorangegangene Scheitern seines Textes zu großen Teilen auf seine Kappe geht. Er hatte es als verantwortlicher Berichterstatter verpasst, solide Mehrheiten zu bilden, ohne auf Stimmen der Ultra-Konservativen EKR oder rechts-nationalistischen ID hoffen zu müssen.

Das sollte er in den kommenden Wochen nachholen, denn im Umweltausschuss (ENVI) wird inzwischen tatsächlich nachverhandelt. Mit großer Mehrheit stimmten die Abgeordneten schließlich für die Zurücküberweisung des Texts an den Ausschuss (Europe.Table berichtete). Dass es aufgrund der aufgeladenen Stimmung und der gegenseitigen Schuldzuweisungen, mit Rechten paktiert zu haben, keine einfachen Verhandlungen werden, ist offenkundig. Liese selbst bezeichnete es als “schlechten Tag für das Europäische Parlament” – so auch Tiemo Wölken (S&D). Andere Abgeordnete sehen es dagegen als große Chance.

Ablehnung des EU-Emissionshandels keine Schwäche der Demokratie

Ismail Ertug (S&D) bezeichnete es im Gespräch mit Europe.Table als völlig legitim, dass Gesetzestexte im Parlament Ehrenrunden drehen. Im Rat lägen sie häufig Jahre, warum sollte es eine Schwächung des demokratischen Prozesses sein, wenn im Parlament nicht auf Anhieb die nötigen Mehrheiten zustande kommen, fragte er. Ertug ist Teil einer Gruppe Sozialdemokraten, die entgegen der eigenen Parteiempfehlung zum Phase-Out der kostenlosen Emissionszertifikate für die Industrie gestimmt hat. Darum schöpft er große Hoffnung aus den Nachverhandlungen, die aus seiner Sicht eher zur Verbesserung des Klimapakets führen könnten.

Ertug befürwortet bislang die Position des Industrieausschusses (ITRE), wonach 2028 mit dem Phase-Out begonnen wird und 2034 freie Zuteilungen vollständig durch den CBAM als Carbon-Leakage-Schutz ersetzt werden. Er argumentiert, dass selbst Gewerkschaften und Betriebsräte ihn vor einem schnelleren Pfad gewarnt hätten. In seinem Heimatwahlkreis Oberpfalz seien 500 Menschen von der Arbeitslosigkeit durch das sich in einem Insolvenzverfahren befindende Rohrwerk Maxhütte bedroht. Ein zu schnelles Ende der Freizuteilung könne das Stahlunternehmen vor noch größere Probleme stellen.

Die gesamte deutsche Stahlindustrie könne aufgrund ihrer noch weit verbreiteten Hochöfen nicht flächendeckend in derselben Geschwindigkeit ihre Emissionen reduzieren, wie es einige wenige Standorte mit Direktreduktionsanlagen schaffen, pflichtet ihm Parteikollege Jens Geier bei. Auch er unterstützt entgegen seiner Parteiempfehlung die ITRE-Linie, sieht aber einen Ausweg aus der Zwickmühle.

Benchmarks erschweren alten Anlagen den Umstieg

Sozialdemokraten und Grüne unterstützen eine Regelung, nach der für die Bemessung von freien Zuteilungen von Industrieanlagen Benchmarks für die Emissionsreduktion gelten, die sich an den saubersten Anlagen orientieren, die die maximal mögliche CO2-Reduktion aufweisen. Im Falle der Stahlindustrie bedeutet das aber, dass konventionelle Hochofentechnologie mit Direktreduktionsanlagen verglichen wird. Im Betrieb mit grünem Wasserstoff sind diese emissionsfrei. Aus Sicht von Jens Geier erzeugt dies Einschränkungen bei den Zuteilungen, die am Ende sogar klimafreundliche Investitionen verhindern können.

Peter Liese und die EVP haben einen Änderungsantrag eingereicht, der laut Geier auf einem Text des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beruht. Dieser würde Anlagen auch weiterhin kostenlose Emissionsrechte ermöglichen, wenn sie diese aufgrund anderer Benchmarks bekommen würden. Geier sei bereit, für einen schnelleren Phase-Out-Pfad der kostenlosen Zuteilungen zu stimmen, wenn dafür auch differenzierte Benchmarks gelten, sagte er Europe.Table.

Schließen sich auch andere industriepolitisch getriebene Abgeordnete diesem Mittelweg an, hätte Liese ein noch größeres Problem. Die Mehrheit für die ITRE-Linie stünde auf der Kippe. Und so läge der Kompromiss zum EU-Emissionshandel, den S&D-Verhandlungsführer Mohammed Chahim mit der liberalen Renew-Fraktion geschlossen hat, wieder ganz oben auf dem Tisch. Laut diesem würden die freien Zuteilungen bereits 2026 reduziert und 2032 vollständig durch den CBAM ersetzt werden. Auch die Grünen könnten mit diesem Vorschlag gut leben, da er Ambitionserhöhung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag und der ITRE-Linie bedeuten würde.

Auch Exportrabatte bieten Kompromissmasse

Eine weitere Möglichkeit für breitere Kompromisse: entgegen der Parteiempfehlung abstimmende Renew-Abgeordnete. Einer davon ist der FDP-Politiker Andreas Glück. Ihm fehlt für eine Zustimmung des S&D/Renew-Vorschlags eine aus seiner Sicht fairere Regelung für Exporte. Die sogenannten Export-Rebates des S&D/Renew-Vorschlags sehen weiterhin freie Emissionsrechte für jene Unternehmen vor, die zu den 10 Prozent der klimafreundlichsten Produzenten einer Branche gehören. Für Andreas Glück ist die Benchmark zu streng. 30 Prozent seien für ihn denkbar. Somit könnten Unternehmen besser kalkulieren, ob sie unter die Benchmark fielen und entsprechend Emissionsrechte frei Haus erhalten, so Glück.

Kompromissmasse ist also vorhanden. Die Frage ist, wie weit sich die Chefverhandler:innen der Parteien von den eigenen Positionen wegbewegen wollen. Ein Zeichen, dass die Nachverhandlungen nun doch komplizierter als zunächst angenommen werden könnten, ist die Anpassung des erneuten Abstimmungsdatums. Hieß es am Mittwochabend noch, man wolle schon in knapp zwei Wochen bei der kurzen Parlamentssitzung in Brüssel einen weiteren Versuch wagen, machte am Donnerstagnachmittag das Wort vom Juli-Plenum (4. Bis 7. Juli) die Runde.

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Chile statt China: Bundesregierung setzt auf Rohstoffe aus Südamerika

Mit dem Ziel, die internationalen Partnerschaften im Rohstoffhandel zu vervielfältigen, beginnt Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, morgen eine Reise nach Chile, Argentinien und Uruguay. Dort wird sie gemeinsam mit einer EU-Delegation die jeweiligen Minister für Außenhandel und Wirtschaft sowie für Energie und Bergbau treffen. Sie werde sich in diesen Gesprächen “für eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem bei erneuerbaren Energien und Rohstoffen einsetzen”, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. In Chile wird Brantner unter anderem die Bergbaumesse EXPONOR eröffnen, deren Partnerland Deutschland in diesem Jahr ist.

Der Besuch in Südamerika ist Teil des Bemühens, möglichst rasch die Quellen für deutsche Rohstoffimporte zu diversifizieren, um Abhängigkeiten von Russland und China zu mindern. Die Bundesregierung arbeitet zurzeit an einer neuen Rohstoffstrategie. “Wir haben zu lange nach dem Prinzip gehandelt, dort zu kaufen, wo es am billigsten ist. Das sind oft Rohstoffe, die aus China kommen”, sagte Brantner. Besonders in der ersten Verarbeitungsstufe gebe es kaum von China unabhängige Produktionsstandorte. “Bei vielen der Seltenen Erden liegt diese Abhängigkeit sogar bei fast 100 Prozent.”

In einer kürzlich erschienenen Analyse schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), starke Abhängigkeiten bestünden vor allem hinsichtlich der Gewinnung von für die Energiewende kritischen Rohstoffen wie Magnesium oder Seltenen Erden. Zudem findet laut der Internationalen Energieagentur (IEA) die Weiterverarbeitung von Lithium und Kobalt zu 50 bis 70 Prozent und von Seltenen Erden zu fast 90 Prozent in China statt.

Chile: Großes Potenzial für die Produktion grünen Wasserstoffs

“Chile ist für uns bereits jetzt ein wichtiger Partner in der rohstoff- und energiepolitischen Zusammenarbeit”, sagte Brantner vor der Reise. “Sowohl Chile als auch Argentinien und Uruguay bieten ein herausragendes Potenzial für die Produktion grünen Wasserstoffs. Für den Ausbau unserer Wirtschaftsbeziehungen bieten sich jedoch noch viele weitere Branchen an.” Gemeinsam mit einer Delegation mehrerer Unternehmen will Brantner für ein stärkeres Engagement deutscher Firmen in den drei südamerikanischen Ländern werben.

In den Gesprächen soll es neben weiteren wichtigen Rohstoffen vor allem um den Handel mit grünem Wasserstoff, Lithium und eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien gehen. Große Hoffnung setzt die Bundesregierung in Chiles Ambitionen, Vorreiter in grünem und nachhaltigem Bergbau zu werden. Die Regierung in Chile verfolgt seit 2020 eine Grüne-Wasserstoff-Strategie, mit der es bis 2030 der günstigste Hersteller von Wasserstoff und bis 2050 zu den drei größten Exporteuren von grünem Wasserstoff gehören will.

Aufgrund der großen räumlichen Entfernung sei der Transport der Rohstoffe aus Südamerika natürlich ein Hindernis im Vergleich zu anderen Regionen. “Aber Chile ist eben ein Land, das uns nahe steht in Bezug auf unsere Werte und mit stabiler Regierung”, sagte Brantner. “Deshalb sollte es ein wichtiger Partner für uns bleiben.”

Sorge um Umwelt und Menschenrechte

Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Zusammenschluss aus zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem BUND, Germanwatch und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), warnt währenddessen vor Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in neuen Rohstofflieferketten. In einem gestern veröffentlichten Briefing schreibt das Bündnis, der Blick von Bundesregierung und Unternehmen auf der Suche nach alternativen Quellen für fossile Energieträger und Metalle falle nun “auf Hotspots von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, teilweise in fragilen Ökosystemen”. Die Rede ist von verstärkten Steinkohleimporten aus Kolumbien und potenziellen neuen Erdöllieferanten wie Nigeria, Kasachstan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

“Wir unterstützen die beschlossenen Importstopps von Rohstoffen aus Russland”, sagte Johannes Heeg, Sprecher der Initiative. “Wir sind aber besorgt, dass dies auf Kosten von Menschen und Umwelt in den Abbaugebieten geschieht.” Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz sei dringlicher denn je. Im Februar hat die Europäische Kommission einen Entwurf für ein solches Gesetz vorgelegt (Europe.Table berichtete). Dieses biete laut der Initiative jedoch zu viele Schlupflöcher für Unternehmen. In Deutschland tritt 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft.

EU-Kommission plant Rohstoffgesetz

Auch bei einer Sitzung des Europäischen Rats für Wettbewerbsfähigkeit ging es gestern um die Versorgung mit Rohstoffen. “Wir dürfen nie wieder so abhängig von einem Land sein, wie wir es waren. Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für China”, sagte Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im BMWK, während der Ratssitzung. Deshalb sollte die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen innerhalb der EU hochgefahren werden. Internationaler Handel sei dennoch unerlässlich. “Die EU darf sich trotzdem nicht abschotten, sondern muss eine offene, in die Weltwirtschaft eingebundene Kraft bleiben.”

“Starke internationale Partnerschaften sind das Herzstück unserer Lösung”, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. “Wir dürfen nicht eine Abhängigkeit durch andere ersetzen, sondern müssen ausgewogenere Handelsbeziehungen schaffen mit Partnern, auf die wir uns verlassen können.” Eine strategische Partnerschaft mit Kanada besteht bereits. Weitere Partnerschaften mit Namibia, Norwegen und Serbien seien im Gespräch, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die EU wolle zudem verstärkt mit den USA sowie Ländern in Zentralasien und Südamerika zusammenarbeiten.

Breton kündigte an, die Kommission werde einen Gesetzesvorschlag zum Thema kritische Rohstoffe vorbereiten. Dieser soll auf drei Säulen basieren: einer klaren Darlegung der Prioritäten, der Strukturierung von Investitionen in europäische Produktionskapazitäten und der Stärkung der Kreislaufwirtschaft im Bereich der Rohstoffe. 

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  • Klima & Umwelt
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EU-Monitoring

10.06.2022_Monitoring

Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET)
13.06./14.06.-15.06./16.06.2022
Themen: Geopolitischer Dialog mit Josep Borrell (Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik) über geostrategische und programmbezogene Fragen in dem Erwartungsschreiben und den thematischen Programmen Menschenrechte und Demokratie; Frieden und Stabilität; Konfliktverhütung, Geopolitischer Dialog mit Jutta Urpilainen (Kommissarin für Internationale Partnerschaften) über Äthiopien, Ruanda, Südsudan, Afghanistan, Bangladesch, Haiti und Bolivien; thematische Programme zu den Organisationen der Zivilgesellschaft und zu globalen Herausforderungen; Bildung.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
13.06.-14.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Einrichtung des Programms der Union für sichere Konnektivität für den Zeitraum 2023-2027, Entwurf einer Stellungnahme zu harmonisierten Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz), Berichtsentwurf zur Schaffung eines Rahmens für eine europäische digitale Identität.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und landwirtschaftliche Entwicklung (AGRI)
13.06.-14.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zu Statistiken zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und zur landwirtschaftlichen Erzeugung, Entwurf einer Stellungnahme zur Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
13.06.-14.06.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer neuen EU-Waldstrategie für 2030 – nachhaltige Waldbewirtschaftung in Europa.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
13.06.-14.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zur geistigen Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt, Berichtsentwurf zum EU-Aktionsplan für die Sozialwirtschaft, Entwurf einer Stellungnahme zum neuen europäischen Bauhaus.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
13.06.-14.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für steuerliche Zwecke, Berichtsentwurf zur Einführung des Euro in Kroatien am 1. Januar 2023, Berichtsentwurf 2021 zur Bankenunion.
Vorläufige Tagesordnung

Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
13.06.2022 11:00 Uhr
Themen: Bericht über die Anwendung von Gesundheits- und Umweltstandards der EU auf eingeführte Erzeugnisse der Land- und Ernährungswirtschaft, Meinungsaustausch zur Lage auf den Agrarmärkten (insbesondere nach der Invasion der Ukraine).
Vorläufige Tagesordnung

Rat der EU: Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
14.06./16.06.2022
Themen: Vorschlag für eine Verordnung über den Europäischen Raum der Gesundheitsdaten, Überprüfung der Strategie der Europäischen Union im Bereich der globalen Gesundheit, Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)

Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
14.06.2022 12:00-12:15 Uhr
Themen: Delegierte Verordnung der Kommission in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in bestimmten Energiesektoren.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
15.06.-16.06.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Umsetzung der aktualisierten neuen Industriestrategie für Europa: Anpassung der Ausgaben an die Politik, Aktionsplan zur Förderung des Schienenpersonenverkehrs auf Fern- und grenzüberschreitenden Strecken, Berichtsentwurf zur Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern.
Vorläufige Tagesordnung

Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
15.06.-16.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zum Zentrum “AccessibleEU” zur Unterstützung der Strategien für Barrierefreiheit im Binnenmarkt der EU, Entwurf einer Stellungnahme zu den Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Entwurf einer Stellungnahme zu den gemeinsamen Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie Wasserstoff.
Vorläufige Tagesordnung

5. Europäische Konferenz zum Thema Verteidigung und Umweltschutz
15.06.-16.06.2022
Themen: EU-Mitgliedstaaten und Fachleute aus den Bereichen Wissenschaft und Recht sowie aus dem institutionellen und militärischen Bereich kommen zusammen, um über Herausforderungen wie z. B. den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Verteidigung, die Energiewirtschaft bei Einsätzen, den Erhalt der biologischen Vielfalt auf militärischem Gelände und den Zusammenhang zwischen Rüstungsindustrie und nachhaltiger Finanzwirtschaft zu diskutieren.
Infos

Sitzung des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA)
15.06.-16.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zum Schutz der EU und ihrer Mitgliedstaaten vor wirtschaftlichem Zwang durch Drittländer, Berichtsentwurf zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und Indien in den Bereichen Handel und Investitionen.
Vorläufige Tagesordnung

Wöchentliche Kommissionssitzung
15.06.2022
Themen: Strategische Vorausschau der Kommission, Bericht des Europäischen Fiskalausschusses über den finanzpolitischen Kurs des Eurogebiets.
Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz 12 Uhr

Sitzung des Ausschusses für Regionale Entwicklung (REGI)
15.06.2022 09:00-18:30 Uhr
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU – für stärkere, vernetzte, resiliente und florierende ländliche Gebiete bis 2040, Entwurf einer Stellungnahme zum neuen europäischen Bauhaus.
Vorläufige Tagesordnung

EuGH-Verhandlung zum Erwerb von E.ON-Vermögenswerten zur Erzeugung von Strom erneuerbaren und nuklearen Ursprungs durch RWE
15.06.2022
Themen: Mit Beschluss vom 26. Februar 2019 genehmigte die Kommission die Übernahme von E.ON-Vermögenswerten aus dem Bereich der Erzeugung von Öko- und Atomstrom durch RWE. Diese Übernahme fügt sich in einen komplexen Austausch von Vermögenswerten zwischen den beiden Unternehmen ein. Stromerzeuger aus Deutschland haben diesen Beschluss vor dem Gericht der EU angefochten.
Klage

Euro-Gruppe
16.06.2022
Themen: Die Finanzminister:innen kommen zu Beratungen zusammen.
Infos

Rat der EU: Wirtschaft und Finanzen
17.06.2022
Themen: Richtlinie zur Einführung eines globalen Mindeststeuersatzes für multinationale Konzerne in der EU, Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche, wirtschaftliche und finanzielle Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)

Treffen der G7-Medienminister:innen
19.06.2022
Themen: Die G7-Medienminister:innen kommen zu Beratungen zusammen.
Infos

EU-Parlament fordert Kommission zu Zwangsarbeits-Verbot auf

Rund 25 Millionen Menschen arbeiten nach EU-Angaben weltweit in Verhältnissen, die als Zwangsarbeit eingestuft werden können. Die modernen Sklavinnen und Sklaven pflücken in Staaten wie China Baumwolle für Kleidung, ernten Obst und Gemüse oder stecken Elektroteile zusammen. Diese Ware landet dann auch bei Konsumenten in Europa. Das soll sich ändern. Das Europaparlament macht Druck auf die ausführende EU-Kommission: Im Herbst soll ein schon lange geforderter Gesetzesentwurf für ein Import- und Exportverbot für Produkte aus Zwangsarbeit endlich das Brüsseler Bürokratie-Licht erblicken.

Die EU-Parlamentarier legten am Donnerstag ihre Empfehlungen für die Gesetzgebung vor. Sie fordern, dass die Einfuhr von Produkten aus Zwangs- und Kinderarbeit bereits an den EU-Grenzen gestoppt werden soll. Die Definition von Zwangsarbeit soll dabei nach Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) gesetzt werden. Aussortiert wird dann anhand mehrerer Kriterien:

  • dem Produktionsstandort,
  • den beteiligten Unternehmen,
  • den Logistikern
  • oder auch einer ganzen Herkunftsregion, beispielsweise Xinjiang.

Laut der Empfehlung des EU-Parlaments

  • sollen die Behörden der Mitgliedsstaaten Produkte beschlagnahmen können, wenn es “ausreichende Beweise” gibt, dass Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen die Waren hergestellt oder transportiert haben. Die Behörden können auf der Grundlage von Informationen handeln, die von Interessengruppen, Nichtregierungsorganisationen, betroffenen Beschäftigten oder anonymen Hinweisen stammen;
  • kann die beschlagnahmte Fracht nur dann freigegeben werden, wenn das Unternehmen entweder nachweisen kann, dass keine Zwangsarbeit eingesetzt wurde, oder wenn die verantwortlichen Unternehmen den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern “Abhilfe geschaffen” haben und es vor Ort keine Zwangsarbeit mehr gibt;
  • können die Behörden von Unternehmen verlangen, dass sie Informationen über ihre Lieferketten offenlegen. Außerdem sollen die einzelnen Zollbehörden der Mitgliedsstaaten in der EU enger zusammenarbeiten.

Die Verantwortung liegt also beim Importeur. Dieser trägt dem Entwurf des EU-Parlaments zufolge die sogenannte Beweislast und muss belegen, dass es bei der Produktion und dem Transport der Waren keine Zwangsarbeit oder Kinderarbeit gab. Sonst bleibt die Ladung festgesetzt. Um den Importeuren zu helfen, fordert das Europaparlament eine öffentlich zugängliche Liste bereits sanktionierter Unternehmen, Regionen und Erzeuger. Kleinen und mittleren Unternehmen soll gesonderte Hilfe bei der Umsetzung der neuen Vorschriften zukommen.

US-Gesetzgebung tritt ab Ende Juni in Kraft

Der Vorschlag erhielt bei der Abstimmung am Donnerstag im EU-Parlament eine große Mehrheit. “Heute signalisieren wir, dass die EU sich nicht länger zum Komplizen des totalitären chinesischen Regimes machen lässt, das seit fünf Jahren in der Provinz Xinjiang Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht”, sagte der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer nach der Abstimmung.

Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der EU-Kommission und zuständig für Demokratie und Demografie, betonte im Plenum, dass eine Gesetzesvorlage der Brüsseler Behörde nach der Sommerpause erfolge. Wegen des engen Zeitplans sei jedoch keine Folgenabschätzung mehr möglich, so Šuica. EU-Parlamentarier hatten in einer Debatte zu dem Thema eine Gesetzesvorlage für September gefordert – also genau ein Jahr, nachdem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen das Einfuhrverbot in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt hatte (Europe.Table berichtete). Eigentlich sollte es Teil der EU-Lieferkettengesetzgebung werden. Wegen Gerangels um die Zuständigkeit blieb das Vorhaben aber liegen.

In zeitliche Bedrängnis kommt die EU nun jedoch auch, weil auf der anderen Seite des Atlantiks Ende des Monats eine wichtige rechtliche Änderung ansteht: Ab dem 21. Juni tritt in den Vereinigten Staaten der Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) in Kraft. Einfuhrverbote für Baumwolle und Tomaten aus Xinjiang gibt es dort bereits. UFLPA wird den Import von Waren aus der Region jedoch noch weiter einschränken.

Bei der US-Gesetzgebung gilt:

  • die Annahme, dass alle in Xinjiang hergestellten Waren mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Es greift also das Prinzip der sogenannten “widerlegbaren Vermutung”. Es sei denn, der Beauftragte des US-Zoll- und Grenzschutzes bestätigt, dass bestimmte Waren bekanntermaßen nicht mit Zwangsarbeit der uigurischen Bevölkerung hergestellt wurden;
  • die Aufforderung an den US-Präsidenten, Sanktionen gegen “jede ausländische Person zu verhängen, die sich wissentlich an Zwangsarbeit beteiligt”. Die USA haben bereits gegen Beamte und Organisationen in Xinjiang Strafmaßnahmen verhängt, so wie auch die EU;
  • dass Firmen ihre Geschäfte mit Xinjiang offenlegen müssen;
  • dass eine Liste chinesischer Unternehmen erstellt werden soll, die mit Produkten aus Zwangsarbeit arbeiten.

EU droht Schwemme an Zwangsarbeit-Produkten aus China

Die US-Gesetzgebung geht also noch einen Schritt weiter als der Vorschlag des EU-Parlaments, da an der US-Grenze per se alle Waren aus Xinjiang aufgehalten werden und die Freigabe erst erfolgt, wenn bewiesen wurde, dass keine Zwangsarbeit bei der Herstellung involviert war. Den strengeren US-Ansatz als Vorbild lehnte die EU-Generaldirektion für Handel in der Vergangenheit ab (Europe.Table berichtete). Inwieweit die Brüsseler Behörde den Empfehlungen aus dem EU-Parlament folgen wird, ist offen.

UFLPA wird jedoch auch Auswirkungen auf Europa haben: “Wir erwarten, dass Unternehmen nun die EU und andere Märkte als Abladeplatz für Produkte aus Zwangsarbeit nutzen“, sagt Chloe Cranston von der Nichtregierungsorganisation Anti-Slavery International im Gespräch mit China.Table. Was also nicht mehr in die USA verkauft werden kann, wird in den EU-Markt transportiert. Komplett neu sei diese Strategie nicht, so Cranston. Beispielsweise bei Baumwolle oder in der Solarindustrie sei das bereits zu beobachten. “Deswegen fordern wir eine gleich starke Gesetzgebung in allen Ländern.

Bei unterschiedlich starken Gesetzen drohe sonst eine Aufspaltung der Wertschöpfungsketten, warnt Cranston: Eine “saubere” Lieferkette für Ware in die USA und eine für andere Regionen, wo Produkte aus der Herstellung mit Zwangsarbeit noch nicht so scharf aufgespürt und aussortiert werden. Erschwerend käme dann in der EU noch hinzu, dass Zolldaten nicht öffentlich zugänglich sind.

Die USA versuchen derweil auch über die IAO Druck auf China auszuüben. Bei der Jahreskonferenz der Arbeitsorganisation, die am Samstag in Genf nach knapp zwei Wochen zu Ende gehen wird, forderte die US-Delegation an der Seite anderer westlicher Staaten eine Untersuchung der Zwangsarbeit-Vorwürfe durch eine Expertenkommission. Weil China Mitglied der IAO-Exekutive ist, wird es jedoch schwierig, ein entsprechendes Mandat zu erteilen.

  • Europapolitik
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  • Menschenrechte
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Kritik am Chips Act regt sich

In Grundsatz sind sich alle einig: Die Europäische Union muss verlorenes Terrain zurückgewinnen in der Chipindustrie, die Abhängigkeiten der heimischen Industrie von Lieferanten aus Ländern vor allem in Asien reduzieren. Jahrelang habe man die Bedeutung von solch strategisch wichtigen Produkten vernachlässigt, sagte der portugiesische Wirtschaftsminister Antonio Costa Silva beim Wettbewerbsfähigkeitsrat in Luxemburg. “Wir müssen aus unseren Fehlern lernen.”

Zu genau diesem Zweck hatte die EU-Kommission im Februar den European Chips Act vorgelegt (Europe.Table berichtete). Forschung und Entwicklung in Europa sollen gestärkt, Investitionen in neue Fabriken über einen eigenen Beihilferahmen erleichtert werden. Das Ziel: Den EU-Anteil an der globalen Chipfertigung von derzeit rund acht auf 20 Prozent steigern, und zwar bereits bis 2030.

Die Initiative findet breite Zustimmung unter den Mitgliedstaaten und im Europaparlament. Jedenfalls im Grundsatz. Im Einzelnen gehen die Meinungen durchaus auseinander – bisweilen so weit, dass hochrangige EU-Diplomaten befürchten, sie nur schwerlich zu Kompromissen zusammenführen zu können. Dabei drängt die Zeit, nicht nur Industriekommissar Thierry Breton mahnte gestern: “Die Situation ist absolut kritisch”. Die Hauptstreitpunkte:

Technologie

Breton plädiert dafür, die öffentliche Förderung auf die Entwicklung und Fertigung von Leading-edge-Chips zu konzentrieren. Der Franzose denkt vor allem an Halbleiter mit ultrakleinen Strukturgrößen von weniger als 2 Nanometern (die Grenze des technologisch Machbaren sind heute 5 nm), und an sogenannte FD-SOI-Chips (Fully Depleted Silicon On Insulator), die viel Leistung bei reduziertem Stromverbrauch ermöglichen. Unterstützung erhält er dabei etwa von den Niederlanden, Heimat des weltweit führenden Herstellers der Fertigungsmaschinen ASML.

Etliche andere Staaten aber ist der Fokus zu eng. Der EU Chips Act solle zwar einerseits Innovationen stärken, sagte der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner, “aber dabei auch die Bedarfe der Anwenderindustrien im Fokus haben”. Und die brauchen, wie im Falle der Autohersteller oder der Maschinenbauer, vor allem Halbleiter mit reiferen Technologien. Nur wenn auch der kurz- und mittelfristige Bedarf der Industrie bedient werde, werde der Chips Act ein wirksames Werkzeug sein, um die aktuellen Lieferengpässe zu beseitigen, sagte der österreichische Minister Martin Kocher.

Die einen wollen also die aktuellen Probleme adressieren, die anderen Europa langfristig zum technologisch führenden Standort für die Halbleiterindustrie machen. “Das wird eine sehr schwierige Diskussion”, folgerte Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. In anderen Ländern werde bereits in den Ausbau der Produktionskapazitäten investiert. Daher seien Partnerschaften mit Staaten wie den USA sinnvoll, “auf die wir uns auch in schlechten Tagen verlassen können”.

Subventionen

In dem Technologiestreit geht es auch um viel Geld. Der Chips Act soll den Boden bereiten für die Ansiedlung neuer Chipfabriken, die hohe Milliardeninvestitionen erfordern. Andere Staaten wie Südkorea, die USA oder China locken mit hohen Subventionen. In der EU setzt das Beihilferecht dieser Praxis enge Grenzen. Der bislang gewählte Weg über IPCEI-Projekte ist langwierig und erlaubt lediglich die Förderung von R&D-Vorhaben. Der Chips Act soll die schnelle Genehmigung auch von Fabriken ermöglichen, solange die Technologie innovativ genug ist, um als “first of a kind” eingestuft zu werden.

Der Begriff bleibt aber bislang schwammig. Die italienische Regierung drängt darauf, auch die Produktion von Halbleitern als “first of a kind” zu werten, wenn diese zwar reife Strukturgrößen verwenden, aber innovative Prozesse oder Materialien verwenden. Nur so lasse sich die Abhängigkeit von Drittstaaten verringern. Wenn es darum gehe, Hersteller mit weltweit erstmalig eingesetzten Technologien anzulocken, sollten zudem Extraregeln gelten: Dann sollten die Mitgliedstaaten den Unternehmen ebenso hohe Förderung anbieten dürfen wie andere Länder, die um die Investition buhlen.

Andere Mitgliedstaaten warnen hingegen vor einem solchen Subventionswettlauf, auch innerhalb der EU. Die Staatshilfe müsse stets angemessen, effektiv und zielgenau sein, mahnte der niederländische Vertreter Michael Stibbe. Ein Subventionswettlauf sei für alle “das schlechteste Ergebnis”. Die Bundesregierung hält sich in der Diskussion bislang zurück, was in den nordischen Mitgliedstaaten aufmerksam registriert wird. Angesichts der massiven Unterstützung für die neuen Werke des US-Chipriesen Intel in Magdeburg (Europe.Table berichtete) wird Berlin hier im Lager von Frankreich und Italien verortet.

EU-Finanzierung des Chips Act

Die EU-Kommission hat 43 Milliarden Euro für den Chips Act ins Schaufenster gestellt. Nur rund vier Milliarden Euro davon kommen aber aus EU-Töpfen, den Rest sollen die nationalen Haushalte und private Investoren beisteuern. Die Mittel sind für die Förderung von Innovationen im Rahmen der ersten Säule der Chips Act vorgesehen.

Das Meinungsbild hier ist unübersichtlich: Einige Mitgliedstaaten wie Österreich fordern dafür mehr Geld aus dem EU-Budget. Wien will zugleich aber nicht am Mittelfristigen Finanzrahmen rütteln, der wenig Spielraum lässt. Auch Kellner pochte für die deutsche Bundesregierung darauf, den MFR nicht anzutasten. Andere Regierungen sorgen sich vor allem darum, dass ihre Unternehmen überhaupt etwas abbekommen.

Krisenmechanismus

Um weitreichenden Lieferengpässen wie im Zuge der Coronavirus-Pandemie künftig vorzubeugen, will die Kommission mithilfe der Mitgliedstaaten ein detailliertes Monitoring der Wertschöpfungsketten einführen. Im Falle akuter Probleme soll ein Krisenmechanismus greifen: Das Instrumentarium umfasst nach dem Vorbild der Corona-Impfstoffe etwa Ausfuhrbeschränkungen und die gemeinsame Beschaffung von Halbleitern.

Die Industrie wehrt sich gegen die staatlichen Eingriffe, die sich aus diesem Teil des Kommissionsvorschlages ergeben würden. Der Branchenverband ZVEI etwa kritisiert, weitreichende Auskunftspflichten gefährdeten Geschäftsgeheimnisse. Bei Chips handele es sich häufig um eine Vielzahl sehr spezieller Produkte, die anders als die Impfstoffe nicht einfach von der Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten beschafft werden könnten. Auch die Experten der Stiftung Neue Verantwortung argumentieren, die Regierungen seien mit dem Monitoring der vielschichtigen Lieferketten überfordert und sollte die Verantwortung besser den Unternehmen übertragen.

Etliche Regierungen haben ebenfalls Bedenken: “Wir müssen den Aufwand für das Sammeln und Teilen der Informationen so gering wie möglich halten”, sagte der dänische Wirtschaftsminister Simon Kollerup. Die belgische Staatssekretärin Barbara Trachte mahnte, der Krisenmechanismus müsse “realistisch sein, nicht protektionistisch”.

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News

CSAM-Vorschlag: Wissing sieht Grenze überschritten

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und seiner Darstellungen im Netz (Europe.Table berichtete) stößt in Deutschland auf ausdrücklichen Widerstand des Digitalministers Volker Wissing (FDP). Bei der Berliner Digitalkonferenz Republica betonte Wissing, dass es zwar richtig sei, dass die Kommission das Problem erkannt habe und handele. Doch der Entwurf gehe zu weit: “Die vorgeschlagenen Maßnahmen drohen wesentliche Grundrechte zu kompromittieren”, sagte Wissing. Er habe “erhebliche Zweifel” an der Geeignetheit der vorgeschlagenen Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen.

Mit der vorliegenden Verordnung “wird eine Grenze überschritten”, sagte Wissing. Er werde “entschieden gegen die anlasslose Chatkontrolle eintreten und alles mir Mögliche tun, dass das so nicht kommt”. Das Löschen und die bessere Ausstattung der Ermittlungsbehörden sei aus seiner Sicht das Wichtigste, was derzeit zu tun sei. “Es muss was getan werden”, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ebenfalls bei der Republica. Er sei zuversichtlich, sagte Scholz, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Digitalminister Wissing hier eine “pragmatische Lösung finden”.

Nur als Ultima Ratio gedacht

Unterdessen betonen mit dem Dossier betraute EU-Beamte, dass sie die Diskussion kaum nachvollziehen könnten. Diese spiele sich aus ihrer Sicht vor allem in deutschen Kreisen ab. Die geplanten Maßnahmen wie die Verpflichtung zu automatisierter Detektion oder Netzsperren seien nur als Ultima Ratio gedacht, wenn Betreiber nicht ausreichend gegen Grooming oder Kindesmissbrauchsinhalte vorgingen. Nur bei einem signifikanten Restrisiko komme dies in Betracht. Wie das konkret festgestellt werden soll, das soll laut Kommissionskreisen erst nach Verabschiedung des Gesetzestextes genauer definiert werden.

In den Kreisen wird zudem darauf verwiesen, dass es sich in weiten Teilen nicht um neue Technologien handele, sondern um Erkennungsalgorithmen, die bereits seit Längerem legal von Betreibern eingesetzt würden. Diese würden mit dem Vorschlag klarer reguliert denn zuvor, und auch die Falschverdächtigungs-Problematik – Kritiker sprechen von etwa 10 Prozent sogenannter False-Positives – würde mit dem Vorschlag besser gelöst als im Status quo.

Zu den Kritikern des Vorschlags gehört der Europaparlamentarier Moritz Körner (FDP/Renew). Er sieht derzeit noch keine klaren Anzeichen dafür, wie sich Mitgliedstaaten und EP in diesem Dossier positionieren werden. “In anderen Mitgliedstaaten war das bislang kein großes Aufreger-Thema”, sagt Körner. “Grundsätzlich ist aber nicht zu erwarten, dass ein so kontroverser Vorschlag unverändert durch das Parlament geht.” fst

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Gasspeicher zu über 50 Prozent gefüllt

Die Gasspeicher in Europa sind wieder zu mehr als der Hälfte gefüllt. Für Dienstag wies das AGSI-Portal von Gas Infrastructure Europe (GIE) einen Stand von 50,24 Prozent aus. Die deutschen Gasspeicher waren mit 52,6 Prozent zwar leicht überdurchschnittlich befüllt, einige andere EU-Staaten sind allerdings bereits deutlich weiter. Polen und Portugal liegen bei über 90 Prozent. In Spanien, Dänemark und Tschechien sind es über 65 Prozent.

Andere Staaten liegen weit dahinter. Füllstände von weniger als 40 Prozent haben derzeit Österreich, Bulgarien, Kroatien, Ungarn und Rumänien und Schweden.

Verpflichtung für Gasspeicher in Europa

Derzeit arbeiten die EU-Gremien an einer Speicherverpflichtung für die gesamte Union. Mitte Mai erzielten Rat und Parlament eine vorläufige Einigung (Europe.Table berichtete), wonach die Speicher bis 1. November zu mindestens 80 Prozent gefüllt sein müssen. Die Mitgliedsstaaten werden außerdem aufgerufen, insgesamt mindestens 85 Prozent zu erreichen. Mit der Speicherpflicht will sich die Staatengemeinschaft auf einen möglichen Ausfall russischer Gaslieferungen vorbereiten. ber

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Spanien und Portugal dürfen Energiepreise deckeln

Spanien und Portugal dürfen zeitweise mit einem Preisdeckel gegen hohe Energiepreise in ihren Ländern vorgehen. Die von der EU-Kommission genehmigte Maßnahme ermögliche es den Ländern, die infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine stärker gestiegenen Strompreise für die Verbraucher zu senken, sagte die für Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Bis Ende Mai 2023 dürfen beide Länder zusammen Zuschüsse im Wert von knapp 8,5 Milliarden Euro an Stromerzeuger auszahlen.

Die Zahlungen berechneten sich auf der Grundlage der Preisdifferenz zwischen dem Marktpreis für Erdgas und einer Obergrenze von durchschnittlich 48,8 Euro pro Megawattstunde. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Maßnahme mit den EU-Regeln für Staatshilfe im Einklang steht.

Im März war auf einem EU-Gipfel lange und hart um das Thema gerungen worden (Europe.Table berichtete). Am Ende gab es die politische Zusage für Spanien und Portugal, Sondermaßnahmen gegen die hohen Energiepreise einführen zu dürfen. Länder wie Deutschland und die Niederlande lehnten damals einen solchen Markteingriff ab. dpa

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Kommission schlägt Erdgas-Abkommen mit Ägypten und Israel vor

Die Europäische Kommission hat den EU-Mitgliedsstaaten ein Abkommen mit Ägypten und Israel vorgeschlagen, um die Erdgas-Importe aus dem östlichen Mittelmeerraum zu steigern. Dies geht aus einem Entwurf vom 7. Juni hervor, der Reuters vorliegt.

Der Entwurf der Absichtserklärung unterliegt noch Änderungen und muss von den beteiligten Regierungen genehmigt werden. Er ist Teil der Bemühungen der EU, die Importe fossiler Brennstoffe aus Russland nach dem Krieg in der Ukraine zu reduzieren.

“Das Erdgas, das in die Europäische Union geliefert werden soll, wird entweder aus der Arabischen Republik Ägypten, dem Staat Israel oder einer anderen Quelle im östlichen Mittelmeerraum, einschließlich der EU-Mitgliedstaaten in dieser Region, stammen”, heißt es in dem neunseitigen Dokument. Die EU hat bereits öffentlich erklärt, dass sie beabsichtigt, noch vor dem Sommer ein trilaterales Abkommen mit Ägypten und Israel zu schließen. Die Einzelheiten des Entwurfs sind bislang nicht öffentlich.

Der Entwurf des Abkommens legt die Grundsätze für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den drei Partnern fest, sagt aber nichts darüber aus, wie viel Gas die EU importieren würde, und legt auch keine Fristen für die Lieferungen fest. In dem Dokument heißt es, dass die Lieferungen auch die Nutzung der Infrastruktur für flüssiges Erdgas (LNG) in Ägypten umfassen würden. Das nordafrikanische Land plant, ein regionales Drehkreuz für Erdgas zu werden. Die Absichtserklärung hat eine Laufzeit von neun Jahren ab Unterzeichnung, wie es vorbehaltlich in dem Dokument heißt.

Israel erwägt Bau einer Pipeline für Erdgas

Ägypten exportiert bereits relativ geringe Mengen Gas in die EU (Europe.Table berichtete), und beide Länder rechnen damit, ihre Produktion und ihre Exporte in den kommenden Jahren zu steigern. Israel hat erklärt, dass es hofft, eine Vereinbarung über Gaslieferungen nach Europa zu treffen, und erwägt auch den Bau einer Pipeline, um mehr Gas nach Ägypten zu exportieren.

Dem Abkommensentwurf zufolge könnte Ägypten einen Teil des Gases, das über die ägyptische Infrastruktur in die EU oder andere Länder transportiert wird, kaufen und für den eigenen Verbrauch oder für den Export verwenden, heißt es in dem Dokument.

Finanzierung neuer Infrastrukturen

Im Rahmen des Plans könnte die EU neue Infrastrukturen finanzieren – vorausgesetzt, sie stehen in “vollem Einklang mit einem ehrgeizigen, klar definierten Pfad zur Klimaneutralität“. Die Partner werden sich dafür einsetzen, Methanlecks aus der Gasinfrastruktur zu reduzieren, neue Technologien zur Verringerung des Ablassens und Abfackelns zu prüfen und Möglichkeiten zur Nutzung von aufgefangenem Methan in der gesamten Lieferkette zu erkunden, so der Entwurf.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird nächste Woche Kairo besuchen. Die Europäische Kommission lehnte es ab, sich zum Entwurf des Abkommens zu äußern oder zu der Frage, ob von der Leyens Reise mit der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding zusammenfallen könnte. rtr

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Parlament drängt auf Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge

Das Europäische Parlament hat nach einer großen Bürgerbefragung und den jüngsten außenpolitischen Ereignissen einen Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge gefordert. In einer mit deutlicher Mehrheit verabschiedeten Entschließung forderten die Abgeordneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf, einen Konvent einzuberufen, und unterbreiteten mehrere Reformvorschläge.

Die Legislative kann die EU-Verträge nicht selbst umschreiben, besteht aber darauf, dass das Thema auf die Tagesordnung des nächsten Gipfels am 23. und 24. Juni gesetzt wird. Dort könnte der Rat den Konvent einberufen. Eine Verfassungsänderung sei notwendig, “um sicherzustellen, dass die Union auf künftige Krisen wirksamer reagieren kann”, heißt es in der Entschließung. 

Das Hauptproblem für das Parlament ist die sogenannte Einstimmigkeitsregel im Rat. Immer wieder kommt es vor, dass ein einziger EU-Staat die Verabschiedung von Sanktionen oder sogar gemeinsamen Erklärungen blockiert, die alle anderen unterzeichnen wollten. Seit Russlands Einmarsch in der Ukraine im Februar hat Ungarn beispielsweise wichtige Maßnahmen gegen Moskau verzögert (Europe.Table berichtete). 

Qualifizierte Mehrheit statt Einstimmigkeit

“Gerade in den vergangenen Wochen haben wir noch einmal gesehen, was die de-facto Vetos einzelner Staaten anrichten können”, sagte Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Parlament, in einer Mitteilung. “Ungarn blockiert bei dringend nötigen Sanktionen, Polen bremst bei der globalen Mindeststeuer.”

Anstelle der Einstimmigkeit wollen die Parlamentarier die Einführung der qualifizierten Mehrheit im EU-Rat für bestimmte Angelegenheiten, einschließlich Sanktionen oder in Notsituationen. Das Parlament sollte auch das Recht haben, Gesetze zu initiieren, heißt es in der Resolution. Derzeit hat nur die EU-Kommission dieses Recht.

Die Entschließung kommt einen Monat nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Konferenz über die Zukunft Europas. Dieser enthält fast 50 Vorschläge, die in einer groß angelegten demokratischen Konsultation in den EU-Ländern und im Internet erarbeitet wurden. Allerdings ist es keineswegs klar, ob die EU-Länder einer Vertragsänderung zustimmen werden – selbst wenn ein Konvent stattfindet.

In einem Non-Paper, das letzten Monat veröffentlicht wurde, erklärten mehr als zehn Mitgliedsstaaten, dass sie “unüberlegte und verfrühte Versuche, einen Prozess zur Vertragsänderung einzuleiten, nicht unterstützen”. Die Entschließung vom Donnerstag wurde mit 355 zu 154 Stimmen angenommen, wie das Parlament mitteilte. Es gab 48 Stimmenthaltungen. joy

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EZB beendet Anleihenkäufe und kündigt erste Zinserhöhung an

Mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren reagieren Europas Währungshüter auf die Rekordinflation. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) kündigte am Donnerstag an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum um jeweils 25 Basispunkte anheben zu wollen. Zunächst bleibt der Leitzins aber auf dem Rekordtief von null Prozent, Banken müssen für geparkte Gelder bei der EZB weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte in Aussicht gestellt, die Negativzinsen bis Ende September zu beenden.

Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner auswärtigen Sitzung in Amsterdam, die milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli einzustellen. Das Ende dieser Käufe hatte die EZB in ihrem längerfristigen geldpolitischen Ausblick (“Forward Guidance”) zur Voraussetzung für eine Zinserhöhung erklärt.

EZB-Zinserhöhung um Teuerung einzudämmen

In den vergangenen Wochen hatte der Druck auf Europas Währungshüter deutlich zugenommen, nach Jahren des ultralockeren Kurses umzusteuern und mit Zinsanhebungen die rekordhohe Teuerung einzudämmen. Im Euroraum lagen die Verbraucherpreise im Mai 2022 um 8,1 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonates, in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland sprang die jährliche Inflationsrate im Mai vorläufigen Zahlen zufolge mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren.

Die EZB strebt für den Währungsraum der 19 Länder mittelfristig stabile Preise bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an. Getrieben wird die Inflation seit Monaten vor allem von steigenden Energiepreisen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nochmals kräftig anzogen. Auch Probleme in den Lieferketten sorgen für steigende Preise.

Volkswirte rechneten vor der EZB-Sitzung vom Donnerstag mit einer Serie von EZB-Zinsschritten nach oben im laufenden Jahr. Bis zum Ende des Jahres könnte der Einlagensatz demnach auf plus 0,5 Prozent steigen und der Hauptrefinanzierungssatz ein Niveau von 0,75 Prozent erreichen. Andere Notenbanken wie die Federal Reserve in den USA oder die Bank of England haben ihre Leitzinsen bereits mehrfach erhöht. Bis höhere Zinsen bei Sparerinnen und Sparern ankommen, dauert es allerdings erfahrungsgemäß eine Weile. dpa

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China: Grünes Licht für EU-Verordnung zu öffentlicher Beschaffung

Das Europaparlament hat grünes Licht für eine Verordnung gegeben, mit der die EU den Markt in China für öffentliche Beschaffung für europäische Firmen öffnen möchte (Europe.Table berichtete). Das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) erhielt am Donnerstag die nötigen Stimmen.

“Die EU wird dadurch im rauen internationalen Handelsumfeld erheblich gestärkt”, sagte der für IPI federführend zuständige Abgeordnete Daniel Caspary (CDU). “In Zukunft wird der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen der EU für Unternehmen aus Drittstaaten eingeschränkt, wenn sie europäischen Unternehmen keinen vergleichbaren Zugang bieten.”

Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie die Volksrepublik weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter in einem vergleichbaren Ausmaß zu öffnen wie umgekehrt, drohen Sanktionen. So könnten Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, oder erhalten einen Preisaufschlag (China.Table berichtete). Nun fehlt noch die Annahme der Verordnung im EU-Rat der Mitgliedsstaaten, dann kann die Gesetzgebung in Kraft treten. Wann genau dies der Fall sein wird, ist noch nicht bekannt. ari

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Presseschau

EU erlaubt Spanien und Portugal umstrittenen Strompreisdeckel SPIEGEL
Union will Ukraine, Georgien und Moldawien an EU binden FAZ
Europaparlament fordert Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips ZEIT
EZB beendet Anleihekäufe und bereitet Zinswende vor ZEIT
Frankreichs Justiz untersucht mutmaßliches Vertuschen von Zwischenfällen in Akw WELT
Bundesverkehrsminister gegen Verbot für Verbrennungsmotoren ab 2035 ZEIT
Justizministerium bremst Windkraftgesetze SPIEGEL
Briten dürfen nicht mehr an EU-Kommunalwahlen teilnehmen DERSTANDARD
EU-Minister beschließen digitale Ermittlungsplattform EURACTIV

Kolumne

What’s cooking in Brussels: Milestones der finanziellen EU-Hilfe für Polen

Von Claire Stam
Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam: Kolumnistin von Whats cooking in Brussels.

Hot Pots sind aus der Brüsseler Küche nicht wegzudenken. Der Hot Pot, den die Europäische Kommission anbietet, ist im Moment besonders scharf. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um das Fit-for-55-Paket machen eine (vorübergehende winzige) Pause, und die EU-Diplomaten sind bereits in Marschordnung, um den nächsten EU-Gipfel am 23. und 24. Juni sowie den nächsten G7-Gipfel am 27. und 28. Juni auf Schloss Elmau vorzubereiten. Was macht die Brüsseler Exekutive in der Zwischenzeit? Sie führt sogenannte “Milestones” ein.

Diese “Milestones” sind von der Europäischen Kommission festgelegte Etappen für Polen. Sie sollen es dem Land ermöglichen, die im Post-Covid-Konjunkturprogramm vorgesehenen Mittel nach und nach zu erhalten. Mit anderen Worten: Es wird keine automatische Freigabe der Gelder geben, sondern jeder Zahlungstranche muss eine spezifische Prüfung im Rahmen dieser “Milestones” vorausgehen.

Das große Problem ist, dass diese Initiative von vielen in Brüssel als eine deutliche Lockerung der rechtsstaatlichen Anforderungen der Kommission an Warschau angesehen wird – und das zu einer Zeit, in der Brüssel einen Kompromiss mit Ungarn eingeht, um die Unterstützung Viktor Orbáns für ein sechstes Sanktionspaket zu erhalten. Auch wenn Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz in Warschau betonte: “Wir sind noch nicht am Ende des Weges, was die Rechtsstaatlichkeit in Polen angeht.”

Vorschlag wurde von Parlament frostig aufgenommen

Wojciech Sadurski, Challis-Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Sydney und Professor am Europa-Zentrum der Universität Warschau, weist in seinem Blog zu diesem Thema darauf hin, dass die Entscheidung der Kommission noch vom Rat gebilligt werden muss. Vor allem aber, so der Rechtsexperte, habe sich die Kommission selbst in den Fuß geschossen

“Die Kommission hat freiwillig und ohne ersichtlichen Grund auf den großen Hebel verzichtet, den sie über einen Mitgliedstaat hat, der sich systematischer Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit schuldig gemacht hat”, schreibt er. “Die Übereilung der Entscheidung (…) ist unentschuldbar. Die Fakten vor Ort sind allen bekannt: Unabhängige Richter und Staatsanwälte werden schikaniert und suspendiert, das Verfassungsgericht fällt ein anti-europäisches Urteil nach dem anderen, und der illegale KRS empfiehlt dem Präsidenten weiterhin neue Richter, die dieser dann munter ernennt. So kann ein Mitgliedstaat seinen EU-Partnern nicht versichern, dass er die Konjunkturmittel verantwortungsvoll einsetzen wird.”   

In der Tat wurde der Vorschlag der Kommission von einer großen Mehrheit der EU-Parlamentarier – aber auch innerhalb der Kommission selbst – mehr als frostig aufgenommen. In einer seltenen Geste stimmten zwei Mitglieder des Kollegiums der Kommissare – Margrethe Vestager und Frans Timmermans – gegen den Vorschlag, während drei weitere Mitglieder Briefe schickten, in denen sie ihre Bedenken äußerten.

Auf der Seite des Rates könnten Verfechter der Rechtsstaatlichkeit wie die Niederlande und die nordischen Länder den polnischen Sanierungs- und Wiederaufbauplan ablehnen, während andere sich der Stimme enthalten könnten. Dies wäre ein Novum, da die nationalen Sanierungs- und Resilienzpläne bislang einstimmig angenommen wurden.  

Polens Umgang mit Putin

In der Brüsseler Bubble sucht man nach Erklärungen, um sich die Haltung der Kommission zu erklären. In den Korridoren des Berlaymont und der Wiertzstraße wird auf die positive Rolle Polens im Umgang mit Putins Krieg und die dringende Notwendigkeit von Finanzmitteln für Warschau verwiesen, die durch die Ankunft von über drei Millionen ukrainischen Flüchtlingen notwendig geworden ist. Aber auch – und nicht zuletzt – aus dem Bestreben heraus, die Beziehungen zwischen Polen (Anti-Putin) und Ungarn (Pro-Putin) weiter zu stören und Budapest damit zu isolieren. Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass die Gemüter in Brüssel durch Viktor Orbáns mehrfache Blockadehaltung beim neuen Sanktionspaket erhitzt waren.

Es gibt auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen. Von der Bubble wird die Haltung Polens in den Verhandlungen über die EU-Steuer für multinationale Unternehmen meist als Erpressung empfunden. An dieser Stelle ist es sinnvoll, daran zu erinnern, dass Frankreich, dessen Ratspräsidentschaft Ende des Monats endet, diese europäische Steuer auf multinationale Unternehmen zu einer seiner Prioritäten während seiner Ratspräsidentschaft gemacht hat. Und da die France insoumise im Lager der Macronisten ernsthaft ins Schwitzen gerät, braucht Paris eine starke soziale Botschaft, um Wähler mit linksgerichteten Herzen zu verführen, da am kommenden Sonntag die erste Runde der Parlamentswahlen stattfindet. 

Ein nationaler Termin, werden Sie sagen. Doch der konstante Aufstieg von La France Insoumise – deren europäische Agenda in Brüssel mehr als nur Stirnrunzeln hervorruft – bringt die Strategen von La République en Marche ins Schwitzen. Während die Parlamentswahlen für die Partei von Emmanuel Macron ein Spaziergang werden sollten, stehen einige der wichtigsten Figuren der neuen Regierung auf dem politischen Prüfstand. Allen voran Emmanuel Macrons Mr. Europe, Clément Beaune.

Denn an dieser Stelle muss an ein – zwar kurioses, aber konsequent angewandtes – Prinzip des französischen politischen Lebens erinnert werden: Ein Minister kann nur dann in der Regierung bleiben, wenn es ihr oder ihm gelingt, gleichzeitig sein Abgeordnetenmandat zu gewinnen oder zu erhalten.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Ehrenrunde des ETS: Zwischen Enttäuschung und Hoffnung
    • Chile statt China: Bundesregierung setzt auf Rohstoffe aus Südamerika
    • EU-Monitoring
    • EU-Parlament fordert Komission zu Zwangsarbeit-Verbot auf
    • Kritik am Chips Act regt sich
    • CSAM-Vorschlag: Wissing sieht Grenze überschritten
    • Gasspeicher in der EU zu über 50 Prozent gefüllt
    • Spanien und Portugal dürfen Energiepreise deckeln
    • Kommission schlägt Erdgas-Abkommen mit Ägypten und Israel vor
    • Parlament drängt auf Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge 
    • EZB beendet Anleihenkäufe und kündigt erste Zinserhöhung an
    • China: Grünes Licht für EU-Verordnung zu öffentlicher Beschaffung
    • Kolumne: What’s cooking in Brussels
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    das Scheitern der ETS-Reform – “ein schlechter Tag für das Parlament”? Das sehen nicht alle so. Anderer Meinung ist etwa Ismail Ertug, einer der Sozialdemokraten, die entgegen der eigenen Parteiempfehlung zum Phase-Out der kostenlosen Emissionszertifikate für die Industrie gestimmt haben. Ertug hofft, dass die Nachverhandlungen zu einer Verbesserung des Klimapakets führen. Lukas Scheid analysiert die Konfliktlinien und mögliche Kompromisslösungen im Vorfeld der erneuten Abstimmung.

    Der Blick geht nach Chile, Argentinien und Uruguay: Um die Abhängigkeiten von Russland und China bei Rohstoff- und Energieimporten zu mindern, will die Bundesregierung stärker mit den drei südamerikanischen Ländern zusammenarbeiten. Große Hoffnung setzt sie auf Chiles Ambitionen, Vorreiter in grünem Bergbau zu werden. Doch die weltweite Suche nach neuen Partnern könne zulasten von Umwelt und Menschenrechten gehen, warnt die Initiative Lieferkettengesetz mit Blick auf Länder wie Nigeria, Kasachstan und Saudi-Arabien. Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz sei darum dringlicher denn je. Leonie Düngefeld hat die Details.

    Baumwolle pflücken, Gemüse ernten, Elektroteile zusammenstecken – Arbeiten wie diese erledigen Millionen Menschen weltweit unter Zwang. Gestern haben die EU-Parlamentarier ihre Empfehlung für eine Gesetzgebung zu Produkten aus Zwangsarbeit vorgelegt. Ihre Forderung: Die Einfuhr soll bereits an den EU-Grenzen gestoppt werden. In den USA ist man bereits einen Schritt weiter, der Uyghur Forced Labor Prevention Act tritt in wenigen Tagen in Kraft. Der US-Ansatz geht deutlich über den Vorschlag des EU-Parlaments hinaus, wie Amelie Richter berichtet.

    Dass die EU dringenden Nachholbedarf im Bereich der Chipindustrie hat, darüber herrscht weitgehende Einigkeit. Der European Chips Act, im Februar mit großem Pomp von der Kommission vorgestellt, findet darum grundsätzlich auch Zustimmung unter den Mitgliedstaaten und im EU-Parlament. In den Einzelheiten gehen die Meinungen jedoch deutlich auseinander. So fürchten etwa kleinere Länder, leer auszugehen.Till Hoppe analysiert die wesentlichen Streitpunkte.

    Ihre
    Sarah Schaefer
    Bild von Sarah  Schaefer

    Analyse

    Ehrenrunde des ETS: Zwischen Enttäuschung und Hoffnung

    Mit leicht zitternder Stimme hatte Peter Liese (EVP) am Mittwoch seine EU-Parlamentskollegen aufgefordert, seinen Bericht zur Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) an den Ausschuss zurückzugeben. Liese wusste in diesem Moment, dass das vorangegangene Scheitern seines Textes zu großen Teilen auf seine Kappe geht. Er hatte es als verantwortlicher Berichterstatter verpasst, solide Mehrheiten zu bilden, ohne auf Stimmen der Ultra-Konservativen EKR oder rechts-nationalistischen ID hoffen zu müssen.

    Das sollte er in den kommenden Wochen nachholen, denn im Umweltausschuss (ENVI) wird inzwischen tatsächlich nachverhandelt. Mit großer Mehrheit stimmten die Abgeordneten schließlich für die Zurücküberweisung des Texts an den Ausschuss (Europe.Table berichtete). Dass es aufgrund der aufgeladenen Stimmung und der gegenseitigen Schuldzuweisungen, mit Rechten paktiert zu haben, keine einfachen Verhandlungen werden, ist offenkundig. Liese selbst bezeichnete es als “schlechten Tag für das Europäische Parlament” – so auch Tiemo Wölken (S&D). Andere Abgeordnete sehen es dagegen als große Chance.

    Ablehnung des EU-Emissionshandels keine Schwäche der Demokratie

    Ismail Ertug (S&D) bezeichnete es im Gespräch mit Europe.Table als völlig legitim, dass Gesetzestexte im Parlament Ehrenrunden drehen. Im Rat lägen sie häufig Jahre, warum sollte es eine Schwächung des demokratischen Prozesses sein, wenn im Parlament nicht auf Anhieb die nötigen Mehrheiten zustande kommen, fragte er. Ertug ist Teil einer Gruppe Sozialdemokraten, die entgegen der eigenen Parteiempfehlung zum Phase-Out der kostenlosen Emissionszertifikate für die Industrie gestimmt hat. Darum schöpft er große Hoffnung aus den Nachverhandlungen, die aus seiner Sicht eher zur Verbesserung des Klimapakets führen könnten.

    Ertug befürwortet bislang die Position des Industrieausschusses (ITRE), wonach 2028 mit dem Phase-Out begonnen wird und 2034 freie Zuteilungen vollständig durch den CBAM als Carbon-Leakage-Schutz ersetzt werden. Er argumentiert, dass selbst Gewerkschaften und Betriebsräte ihn vor einem schnelleren Pfad gewarnt hätten. In seinem Heimatwahlkreis Oberpfalz seien 500 Menschen von der Arbeitslosigkeit durch das sich in einem Insolvenzverfahren befindende Rohrwerk Maxhütte bedroht. Ein zu schnelles Ende der Freizuteilung könne das Stahlunternehmen vor noch größere Probleme stellen.

    Die gesamte deutsche Stahlindustrie könne aufgrund ihrer noch weit verbreiteten Hochöfen nicht flächendeckend in derselben Geschwindigkeit ihre Emissionen reduzieren, wie es einige wenige Standorte mit Direktreduktionsanlagen schaffen, pflichtet ihm Parteikollege Jens Geier bei. Auch er unterstützt entgegen seiner Parteiempfehlung die ITRE-Linie, sieht aber einen Ausweg aus der Zwickmühle.

    Benchmarks erschweren alten Anlagen den Umstieg

    Sozialdemokraten und Grüne unterstützen eine Regelung, nach der für die Bemessung von freien Zuteilungen von Industrieanlagen Benchmarks für die Emissionsreduktion gelten, die sich an den saubersten Anlagen orientieren, die die maximal mögliche CO2-Reduktion aufweisen. Im Falle der Stahlindustrie bedeutet das aber, dass konventionelle Hochofentechnologie mit Direktreduktionsanlagen verglichen wird. Im Betrieb mit grünem Wasserstoff sind diese emissionsfrei. Aus Sicht von Jens Geier erzeugt dies Einschränkungen bei den Zuteilungen, die am Ende sogar klimafreundliche Investitionen verhindern können.

    Peter Liese und die EVP haben einen Änderungsantrag eingereicht, der laut Geier auf einem Text des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz beruht. Dieser würde Anlagen auch weiterhin kostenlose Emissionsrechte ermöglichen, wenn sie diese aufgrund anderer Benchmarks bekommen würden. Geier sei bereit, für einen schnelleren Phase-Out-Pfad der kostenlosen Zuteilungen zu stimmen, wenn dafür auch differenzierte Benchmarks gelten, sagte er Europe.Table.

    Schließen sich auch andere industriepolitisch getriebene Abgeordnete diesem Mittelweg an, hätte Liese ein noch größeres Problem. Die Mehrheit für die ITRE-Linie stünde auf der Kippe. Und so läge der Kompromiss zum EU-Emissionshandel, den S&D-Verhandlungsführer Mohammed Chahim mit der liberalen Renew-Fraktion geschlossen hat, wieder ganz oben auf dem Tisch. Laut diesem würden die freien Zuteilungen bereits 2026 reduziert und 2032 vollständig durch den CBAM ersetzt werden. Auch die Grünen könnten mit diesem Vorschlag gut leben, da er Ambitionserhöhung im Vergleich zum Kommissionsvorschlag und der ITRE-Linie bedeuten würde.

    Auch Exportrabatte bieten Kompromissmasse

    Eine weitere Möglichkeit für breitere Kompromisse: entgegen der Parteiempfehlung abstimmende Renew-Abgeordnete. Einer davon ist der FDP-Politiker Andreas Glück. Ihm fehlt für eine Zustimmung des S&D/Renew-Vorschlags eine aus seiner Sicht fairere Regelung für Exporte. Die sogenannten Export-Rebates des S&D/Renew-Vorschlags sehen weiterhin freie Emissionsrechte für jene Unternehmen vor, die zu den 10 Prozent der klimafreundlichsten Produzenten einer Branche gehören. Für Andreas Glück ist die Benchmark zu streng. 30 Prozent seien für ihn denkbar. Somit könnten Unternehmen besser kalkulieren, ob sie unter die Benchmark fielen und entsprechend Emissionsrechte frei Haus erhalten, so Glück.

    Kompromissmasse ist also vorhanden. Die Frage ist, wie weit sich die Chefverhandler:innen der Parteien von den eigenen Positionen wegbewegen wollen. Ein Zeichen, dass die Nachverhandlungen nun doch komplizierter als zunächst angenommen werden könnten, ist die Anpassung des erneuten Abstimmungsdatums. Hieß es am Mittwochabend noch, man wolle schon in knapp zwei Wochen bei der kurzen Parlamentssitzung in Brüssel einen weiteren Versuch wagen, machte am Donnerstagnachmittag das Wort vom Juli-Plenum (4. Bis 7. Juli) die Runde.

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    Chile statt China: Bundesregierung setzt auf Rohstoffe aus Südamerika

    Mit dem Ziel, die internationalen Partnerschaften im Rohstoffhandel zu vervielfältigen, beginnt Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, morgen eine Reise nach Chile, Argentinien und Uruguay. Dort wird sie gemeinsam mit einer EU-Delegation die jeweiligen Minister für Außenhandel und Wirtschaft sowie für Energie und Bergbau treffen. Sie werde sich in diesen Gesprächen “für eine intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem bei erneuerbaren Energien und Rohstoffen einsetzen”, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. In Chile wird Brantner unter anderem die Bergbaumesse EXPONOR eröffnen, deren Partnerland Deutschland in diesem Jahr ist.

    Der Besuch in Südamerika ist Teil des Bemühens, möglichst rasch die Quellen für deutsche Rohstoffimporte zu diversifizieren, um Abhängigkeiten von Russland und China zu mindern. Die Bundesregierung arbeitet zurzeit an einer neuen Rohstoffstrategie. “Wir haben zu lange nach dem Prinzip gehandelt, dort zu kaufen, wo es am billigsten ist. Das sind oft Rohstoffe, die aus China kommen”, sagte Brantner. Besonders in der ersten Verarbeitungsstufe gebe es kaum von China unabhängige Produktionsstandorte. “Bei vielen der Seltenen Erden liegt diese Abhängigkeit sogar bei fast 100 Prozent.”

    In einer kürzlich erschienenen Analyse schreibt das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), starke Abhängigkeiten bestünden vor allem hinsichtlich der Gewinnung von für die Energiewende kritischen Rohstoffen wie Magnesium oder Seltenen Erden. Zudem findet laut der Internationalen Energieagentur (IEA) die Weiterverarbeitung von Lithium und Kobalt zu 50 bis 70 Prozent und von Seltenen Erden zu fast 90 Prozent in China statt.

    Chile: Großes Potenzial für die Produktion grünen Wasserstoffs

    “Chile ist für uns bereits jetzt ein wichtiger Partner in der rohstoff- und energiepolitischen Zusammenarbeit”, sagte Brantner vor der Reise. “Sowohl Chile als auch Argentinien und Uruguay bieten ein herausragendes Potenzial für die Produktion grünen Wasserstoffs. Für den Ausbau unserer Wirtschaftsbeziehungen bieten sich jedoch noch viele weitere Branchen an.” Gemeinsam mit einer Delegation mehrerer Unternehmen will Brantner für ein stärkeres Engagement deutscher Firmen in den drei südamerikanischen Ländern werben.

    In den Gesprächen soll es neben weiteren wichtigen Rohstoffen vor allem um den Handel mit grünem Wasserstoff, Lithium und eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der erneuerbaren Energien gehen. Große Hoffnung setzt die Bundesregierung in Chiles Ambitionen, Vorreiter in grünem und nachhaltigem Bergbau zu werden. Die Regierung in Chile verfolgt seit 2020 eine Grüne-Wasserstoff-Strategie, mit der es bis 2030 der günstigste Hersteller von Wasserstoff und bis 2050 zu den drei größten Exporteuren von grünem Wasserstoff gehören will.

    Aufgrund der großen räumlichen Entfernung sei der Transport der Rohstoffe aus Südamerika natürlich ein Hindernis im Vergleich zu anderen Regionen. “Aber Chile ist eben ein Land, das uns nahe steht in Bezug auf unsere Werte und mit stabiler Regierung”, sagte Brantner. “Deshalb sollte es ein wichtiger Partner für uns bleiben.”

    Sorge um Umwelt und Menschenrechte

    Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Zusammenschluss aus zivilgesellschaftlichen Organisationen wie dem BUND, Germanwatch und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), warnt währenddessen vor Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in neuen Rohstofflieferketten. In einem gestern veröffentlichten Briefing schreibt das Bündnis, der Blick von Bundesregierung und Unternehmen auf der Suche nach alternativen Quellen für fossile Energieträger und Metalle falle nun “auf Hotspots von Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung, teilweise in fragilen Ökosystemen”. Die Rede ist von verstärkten Steinkohleimporten aus Kolumbien und potenziellen neuen Erdöllieferanten wie Nigeria, Kasachstan, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

    “Wir unterstützen die beschlossenen Importstopps von Rohstoffen aus Russland”, sagte Johannes Heeg, Sprecher der Initiative. “Wir sind aber besorgt, dass dies auf Kosten von Menschen und Umwelt in den Abbaugebieten geschieht.” Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz sei dringlicher denn je. Im Februar hat die Europäische Kommission einen Entwurf für ein solches Gesetz vorgelegt (Europe.Table berichtete). Dieses biete laut der Initiative jedoch zu viele Schlupflöcher für Unternehmen. In Deutschland tritt 2023 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft.

    EU-Kommission plant Rohstoffgesetz

    Auch bei einer Sitzung des Europäischen Rats für Wettbewerbsfähigkeit ging es gestern um die Versorgung mit Rohstoffen. “Wir dürfen nie wieder so abhängig von einem Land sein, wie wir es waren. Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für China”, sagte Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im BMWK, während der Ratssitzung. Deshalb sollte die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen innerhalb der EU hochgefahren werden. Internationaler Handel sei dennoch unerlässlich. “Die EU darf sich trotzdem nicht abschotten, sondern muss eine offene, in die Weltwirtschaft eingebundene Kraft bleiben.”

    “Starke internationale Partnerschaften sind das Herzstück unserer Lösung”, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager. “Wir dürfen nicht eine Abhängigkeit durch andere ersetzen, sondern müssen ausgewogenere Handelsbeziehungen schaffen mit Partnern, auf die wir uns verlassen können.” Eine strategische Partnerschaft mit Kanada besteht bereits. Weitere Partnerschaften mit Namibia, Norwegen und Serbien seien im Gespräch, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die EU wolle zudem verstärkt mit den USA sowie Ländern in Zentralasien und Südamerika zusammenarbeiten.

    Breton kündigte an, die Kommission werde einen Gesetzesvorschlag zum Thema kritische Rohstoffe vorbereiten. Dieser soll auf drei Säulen basieren: einer klaren Darlegung der Prioritäten, der Strukturierung von Investitionen in europäische Produktionskapazitäten und der Stärkung der Kreislaufwirtschaft im Bereich der Rohstoffe. 

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    EU-Monitoring

    10.06.2022_Monitoring

    Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET)
    13.06./14.06.-15.06./16.06.2022
    Themen: Geopolitischer Dialog mit Josep Borrell (Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik) über geostrategische und programmbezogene Fragen in dem Erwartungsschreiben und den thematischen Programmen Menschenrechte und Demokratie; Frieden und Stabilität; Konfliktverhütung, Geopolitischer Dialog mit Jutta Urpilainen (Kommissarin für Internationale Partnerschaften) über Äthiopien, Ruanda, Südsudan, Afghanistan, Bangladesch, Haiti und Bolivien; thematische Programme zu den Organisationen der Zivilgesellschaft und zu globalen Herausforderungen; Bildung.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE)
    13.06.-14.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zur Einrichtung des Programms der Union für sichere Konnektivität für den Zeitraum 2023-2027, Entwurf einer Stellungnahme zu harmonisierten Vorschriften für künstliche Intelligenz (Gesetz über künstliche Intelligenz), Berichtsentwurf zur Schaffung eines Rahmens für eine europäische digitale Identität.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und landwirtschaftliche Entwicklung (AGRI)
    13.06.-14.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zu Statistiken zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln und zur landwirtschaftlichen Erzeugung, Entwurf einer Stellungnahme zur Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
    13.06.-14.06.2022
    Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer neuen EU-Waldstrategie für 2030 – nachhaltige Waldbewirtschaftung in Europa.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
    13.06.-14.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zur geistigen Gesundheit in der digitalen Arbeitswelt, Berichtsentwurf zum EU-Aktionsplan für die Sozialwirtschaft, Entwurf einer Stellungnahme zum neuen europäischen Bauhaus.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
    13.06.-14.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zur Festlegung von Vorschriften zur Verhinderung der missbräuchlichen Nutzung von Briefkastenfirmen für steuerliche Zwecke, Berichtsentwurf zur Einführung des Euro in Kroatien am 1. Januar 2023, Berichtsentwurf 2021 zur Bankenunion.
    Vorläufige Tagesordnung

    Rat der EU: Landwirtschaft und Fischerei
    13.06.2022 11:00 Uhr
    Themen: Bericht über die Anwendung von Gesundheits- und Umweltstandards der EU auf eingeführte Erzeugnisse der Land- und Ernährungswirtschaft, Meinungsaustausch zur Lage auf den Agrarmärkten (insbesondere nach der Invasion der Ukraine).
    Vorläufige Tagesordnung

    Rat der EU: Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
    14.06./16.06.2022
    Themen: Vorschlag für eine Verordnung über den Europäischen Raum der Gesundheitsdaten, Überprüfung der Strategie der Europäischen Union im Bereich der globalen Gesundheit, Verordnung zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen.
    Vorläufige Tagesordnung (Französisch)

    Sitzung des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI)
    14.06.2022 12:00-12:15 Uhr
    Themen: Delegierte Verordnung der Kommission in Bezug auf Wirtschaftstätigkeiten in bestimmten Energiesektoren.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
    15.06.-16.06.2022
    Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Umsetzung der aktualisierten neuen Industriestrategie für Europa: Anpassung der Ausgaben an die Politik, Aktionsplan zur Förderung des Schienenpersonenverkehrs auf Fern- und grenzüberschreitenden Strecken, Berichtsentwurf zur Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern.
    Vorläufige Tagesordnung

    Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
    15.06.-16.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zum Zentrum “AccessibleEU” zur Unterstützung der Strategien für Barrierefreiheit im Binnenmarkt der EU, Entwurf einer Stellungnahme zu den Leitlinien für den Aufbau eines transeuropäischen Verkehrsnetzes, Entwurf einer Stellungnahme zu den gemeinsamen Vorschriften für die Binnenmärkte für erneuerbare Gase und Erdgas sowie Wasserstoff.
    Vorläufige Tagesordnung

    5. Europäische Konferenz zum Thema Verteidigung und Umweltschutz
    15.06.-16.06.2022
    Themen: EU-Mitgliedstaaten und Fachleute aus den Bereichen Wissenschaft und Recht sowie aus dem institutionellen und militärischen Bereich kommen zusammen, um über Herausforderungen wie z. B. den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Verteidigung, die Energiewirtschaft bei Einsätzen, den Erhalt der biologischen Vielfalt auf militärischem Gelände und den Zusammenhang zwischen Rüstungsindustrie und nachhaltiger Finanzwirtschaft zu diskutieren.
    Infos

    Sitzung des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA)
    15.06.-16.06.2022
    Themen: Berichtsentwurf zum Schutz der EU und ihrer Mitgliedstaaten vor wirtschaftlichem Zwang durch Drittländer, Berichtsentwurf zur zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der EU und Indien in den Bereichen Handel und Investitionen.
    Vorläufige Tagesordnung

    Wöchentliche Kommissionssitzung
    15.06.2022
    Themen: Strategische Vorausschau der Kommission, Bericht des Europäischen Fiskalausschusses über den finanzpolitischen Kurs des Eurogebiets.
    Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz 12 Uhr

    Sitzung des Ausschusses für Regionale Entwicklung (REGI)
    15.06.2022 09:00-18:30 Uhr
    Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU – für stärkere, vernetzte, resiliente und florierende ländliche Gebiete bis 2040, Entwurf einer Stellungnahme zum neuen europäischen Bauhaus.
    Vorläufige Tagesordnung

    EuGH-Verhandlung zum Erwerb von E.ON-Vermögenswerten zur Erzeugung von Strom erneuerbaren und nuklearen Ursprungs durch RWE
    15.06.2022
    Themen: Mit Beschluss vom 26. Februar 2019 genehmigte die Kommission die Übernahme von E.ON-Vermögenswerten aus dem Bereich der Erzeugung von Öko- und Atomstrom durch RWE. Diese Übernahme fügt sich in einen komplexen Austausch von Vermögenswerten zwischen den beiden Unternehmen ein. Stromerzeuger aus Deutschland haben diesen Beschluss vor dem Gericht der EU angefochten.
    Klage

    Euro-Gruppe
    16.06.2022
    Themen: Die Finanzminister:innen kommen zu Beratungen zusammen.
    Infos

    Rat der EU: Wirtschaft und Finanzen
    17.06.2022
    Themen: Richtlinie zur Einführung eines globalen Mindeststeuersatzes für multinationale Konzerne in der EU, Legislativpaket zur Bekämpfung der Geldwäsche, wirtschaftliche und finanzielle Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine.
    Vorläufige Tagesordnung (Französisch)

    Treffen der G7-Medienminister:innen
    19.06.2022
    Themen: Die G7-Medienminister:innen kommen zu Beratungen zusammen.
    Infos

    EU-Parlament fordert Kommission zu Zwangsarbeits-Verbot auf

    Rund 25 Millionen Menschen arbeiten nach EU-Angaben weltweit in Verhältnissen, die als Zwangsarbeit eingestuft werden können. Die modernen Sklavinnen und Sklaven pflücken in Staaten wie China Baumwolle für Kleidung, ernten Obst und Gemüse oder stecken Elektroteile zusammen. Diese Ware landet dann auch bei Konsumenten in Europa. Das soll sich ändern. Das Europaparlament macht Druck auf die ausführende EU-Kommission: Im Herbst soll ein schon lange geforderter Gesetzesentwurf für ein Import- und Exportverbot für Produkte aus Zwangsarbeit endlich das Brüsseler Bürokratie-Licht erblicken.

    Die EU-Parlamentarier legten am Donnerstag ihre Empfehlungen für die Gesetzgebung vor. Sie fordern, dass die Einfuhr von Produkten aus Zwangs- und Kinderarbeit bereits an den EU-Grenzen gestoppt werden soll. Die Definition von Zwangsarbeit soll dabei nach Richtlinien der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) gesetzt werden. Aussortiert wird dann anhand mehrerer Kriterien:

    • dem Produktionsstandort,
    • den beteiligten Unternehmen,
    • den Logistikern
    • oder auch einer ganzen Herkunftsregion, beispielsweise Xinjiang.

    Laut der Empfehlung des EU-Parlaments

    • sollen die Behörden der Mitgliedsstaaten Produkte beschlagnahmen können, wenn es “ausreichende Beweise” gibt, dass Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen die Waren hergestellt oder transportiert haben. Die Behörden können auf der Grundlage von Informationen handeln, die von Interessengruppen, Nichtregierungsorganisationen, betroffenen Beschäftigten oder anonymen Hinweisen stammen;
    • kann die beschlagnahmte Fracht nur dann freigegeben werden, wenn das Unternehmen entweder nachweisen kann, dass keine Zwangsarbeit eingesetzt wurde, oder wenn die verantwortlichen Unternehmen den betroffenen Arbeiterinnen und Arbeitern “Abhilfe geschaffen” haben und es vor Ort keine Zwangsarbeit mehr gibt;
    • können die Behörden von Unternehmen verlangen, dass sie Informationen über ihre Lieferketten offenlegen. Außerdem sollen die einzelnen Zollbehörden der Mitgliedsstaaten in der EU enger zusammenarbeiten.

    Die Verantwortung liegt also beim Importeur. Dieser trägt dem Entwurf des EU-Parlaments zufolge die sogenannte Beweislast und muss belegen, dass es bei der Produktion und dem Transport der Waren keine Zwangsarbeit oder Kinderarbeit gab. Sonst bleibt die Ladung festgesetzt. Um den Importeuren zu helfen, fordert das Europaparlament eine öffentlich zugängliche Liste bereits sanktionierter Unternehmen, Regionen und Erzeuger. Kleinen und mittleren Unternehmen soll gesonderte Hilfe bei der Umsetzung der neuen Vorschriften zukommen.

    US-Gesetzgebung tritt ab Ende Juni in Kraft

    Der Vorschlag erhielt bei der Abstimmung am Donnerstag im EU-Parlament eine große Mehrheit. “Heute signalisieren wir, dass die EU sich nicht länger zum Komplizen des totalitären chinesischen Regimes machen lässt, das seit fünf Jahren in der Provinz Xinjiang Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht”, sagte der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer nach der Abstimmung.

    Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der EU-Kommission und zuständig für Demokratie und Demografie, betonte im Plenum, dass eine Gesetzesvorlage der Brüsseler Behörde nach der Sommerpause erfolge. Wegen des engen Zeitplans sei jedoch keine Folgenabschätzung mehr möglich, so Šuica. EU-Parlamentarier hatten in einer Debatte zu dem Thema eine Gesetzesvorlage für September gefordert – also genau ein Jahr, nachdem EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen das Einfuhrverbot in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union angekündigt hatte (Europe.Table berichtete). Eigentlich sollte es Teil der EU-Lieferkettengesetzgebung werden. Wegen Gerangels um die Zuständigkeit blieb das Vorhaben aber liegen.

    In zeitliche Bedrängnis kommt die EU nun jedoch auch, weil auf der anderen Seite des Atlantiks Ende des Monats eine wichtige rechtliche Änderung ansteht: Ab dem 21. Juni tritt in den Vereinigten Staaten der Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) in Kraft. Einfuhrverbote für Baumwolle und Tomaten aus Xinjiang gibt es dort bereits. UFLPA wird den Import von Waren aus der Region jedoch noch weiter einschränken.

    Bei der US-Gesetzgebung gilt:

    • die Annahme, dass alle in Xinjiang hergestellten Waren mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Es greift also das Prinzip der sogenannten “widerlegbaren Vermutung”. Es sei denn, der Beauftragte des US-Zoll- und Grenzschutzes bestätigt, dass bestimmte Waren bekanntermaßen nicht mit Zwangsarbeit der uigurischen Bevölkerung hergestellt wurden;
    • die Aufforderung an den US-Präsidenten, Sanktionen gegen “jede ausländische Person zu verhängen, die sich wissentlich an Zwangsarbeit beteiligt”. Die USA haben bereits gegen Beamte und Organisationen in Xinjiang Strafmaßnahmen verhängt, so wie auch die EU;
    • dass Firmen ihre Geschäfte mit Xinjiang offenlegen müssen;
    • dass eine Liste chinesischer Unternehmen erstellt werden soll, die mit Produkten aus Zwangsarbeit arbeiten.

    EU droht Schwemme an Zwangsarbeit-Produkten aus China

    Die US-Gesetzgebung geht also noch einen Schritt weiter als der Vorschlag des EU-Parlaments, da an der US-Grenze per se alle Waren aus Xinjiang aufgehalten werden und die Freigabe erst erfolgt, wenn bewiesen wurde, dass keine Zwangsarbeit bei der Herstellung involviert war. Den strengeren US-Ansatz als Vorbild lehnte die EU-Generaldirektion für Handel in der Vergangenheit ab (Europe.Table berichtete). Inwieweit die Brüsseler Behörde den Empfehlungen aus dem EU-Parlament folgen wird, ist offen.

    UFLPA wird jedoch auch Auswirkungen auf Europa haben: “Wir erwarten, dass Unternehmen nun die EU und andere Märkte als Abladeplatz für Produkte aus Zwangsarbeit nutzen“, sagt Chloe Cranston von der Nichtregierungsorganisation Anti-Slavery International im Gespräch mit China.Table. Was also nicht mehr in die USA verkauft werden kann, wird in den EU-Markt transportiert. Komplett neu sei diese Strategie nicht, so Cranston. Beispielsweise bei Baumwolle oder in der Solarindustrie sei das bereits zu beobachten. “Deswegen fordern wir eine gleich starke Gesetzgebung in allen Ländern.

    Bei unterschiedlich starken Gesetzen drohe sonst eine Aufspaltung der Wertschöpfungsketten, warnt Cranston: Eine “saubere” Lieferkette für Ware in die USA und eine für andere Regionen, wo Produkte aus der Herstellung mit Zwangsarbeit noch nicht so scharf aufgespürt und aussortiert werden. Erschwerend käme dann in der EU noch hinzu, dass Zolldaten nicht öffentlich zugänglich sind.

    Die USA versuchen derweil auch über die IAO Druck auf China auszuüben. Bei der Jahreskonferenz der Arbeitsorganisation, die am Samstag in Genf nach knapp zwei Wochen zu Ende gehen wird, forderte die US-Delegation an der Seite anderer westlicher Staaten eine Untersuchung der Zwangsarbeit-Vorwürfe durch eine Expertenkommission. Weil China Mitglied der IAO-Exekutive ist, wird es jedoch schwierig, ein entsprechendes Mandat zu erteilen.

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    • Handel
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    • Xinjiang

    Kritik am Chips Act regt sich

    In Grundsatz sind sich alle einig: Die Europäische Union muss verlorenes Terrain zurückgewinnen in der Chipindustrie, die Abhängigkeiten der heimischen Industrie von Lieferanten aus Ländern vor allem in Asien reduzieren. Jahrelang habe man die Bedeutung von solch strategisch wichtigen Produkten vernachlässigt, sagte der portugiesische Wirtschaftsminister Antonio Costa Silva beim Wettbewerbsfähigkeitsrat in Luxemburg. “Wir müssen aus unseren Fehlern lernen.”

    Zu genau diesem Zweck hatte die EU-Kommission im Februar den European Chips Act vorgelegt (Europe.Table berichtete). Forschung und Entwicklung in Europa sollen gestärkt, Investitionen in neue Fabriken über einen eigenen Beihilferahmen erleichtert werden. Das Ziel: Den EU-Anteil an der globalen Chipfertigung von derzeit rund acht auf 20 Prozent steigern, und zwar bereits bis 2030.

    Die Initiative findet breite Zustimmung unter den Mitgliedstaaten und im Europaparlament. Jedenfalls im Grundsatz. Im Einzelnen gehen die Meinungen durchaus auseinander – bisweilen so weit, dass hochrangige EU-Diplomaten befürchten, sie nur schwerlich zu Kompromissen zusammenführen zu können. Dabei drängt die Zeit, nicht nur Industriekommissar Thierry Breton mahnte gestern: “Die Situation ist absolut kritisch”. Die Hauptstreitpunkte:

    Technologie

    Breton plädiert dafür, die öffentliche Förderung auf die Entwicklung und Fertigung von Leading-edge-Chips zu konzentrieren. Der Franzose denkt vor allem an Halbleiter mit ultrakleinen Strukturgrößen von weniger als 2 Nanometern (die Grenze des technologisch Machbaren sind heute 5 nm), und an sogenannte FD-SOI-Chips (Fully Depleted Silicon On Insulator), die viel Leistung bei reduziertem Stromverbrauch ermöglichen. Unterstützung erhält er dabei etwa von den Niederlanden, Heimat des weltweit führenden Herstellers der Fertigungsmaschinen ASML.

    Etliche andere Staaten aber ist der Fokus zu eng. Der EU Chips Act solle zwar einerseits Innovationen stärken, sagte der deutsche Wirtschaftsstaatssekretär Michael Kellner, “aber dabei auch die Bedarfe der Anwenderindustrien im Fokus haben”. Und die brauchen, wie im Falle der Autohersteller oder der Maschinenbauer, vor allem Halbleiter mit reiferen Technologien. Nur wenn auch der kurz- und mittelfristige Bedarf der Industrie bedient werde, werde der Chips Act ein wirksames Werkzeug sein, um die aktuellen Lieferengpässe zu beseitigen, sagte der österreichische Minister Martin Kocher.

    Die einen wollen also die aktuellen Probleme adressieren, die anderen Europa langfristig zum technologisch führenden Standort für die Halbleiterindustrie machen. “Das wird eine sehr schwierige Diskussion”, folgerte Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager. In anderen Ländern werde bereits in den Ausbau der Produktionskapazitäten investiert. Daher seien Partnerschaften mit Staaten wie den USA sinnvoll, “auf die wir uns auch in schlechten Tagen verlassen können”.

    Subventionen

    In dem Technologiestreit geht es auch um viel Geld. Der Chips Act soll den Boden bereiten für die Ansiedlung neuer Chipfabriken, die hohe Milliardeninvestitionen erfordern. Andere Staaten wie Südkorea, die USA oder China locken mit hohen Subventionen. In der EU setzt das Beihilferecht dieser Praxis enge Grenzen. Der bislang gewählte Weg über IPCEI-Projekte ist langwierig und erlaubt lediglich die Förderung von R&D-Vorhaben. Der Chips Act soll die schnelle Genehmigung auch von Fabriken ermöglichen, solange die Technologie innovativ genug ist, um als “first of a kind” eingestuft zu werden.

    Der Begriff bleibt aber bislang schwammig. Die italienische Regierung drängt darauf, auch die Produktion von Halbleitern als “first of a kind” zu werten, wenn diese zwar reife Strukturgrößen verwenden, aber innovative Prozesse oder Materialien verwenden. Nur so lasse sich die Abhängigkeit von Drittstaaten verringern. Wenn es darum gehe, Hersteller mit weltweit erstmalig eingesetzten Technologien anzulocken, sollten zudem Extraregeln gelten: Dann sollten die Mitgliedstaaten den Unternehmen ebenso hohe Förderung anbieten dürfen wie andere Länder, die um die Investition buhlen.

    Andere Mitgliedstaaten warnen hingegen vor einem solchen Subventionswettlauf, auch innerhalb der EU. Die Staatshilfe müsse stets angemessen, effektiv und zielgenau sein, mahnte der niederländische Vertreter Michael Stibbe. Ein Subventionswettlauf sei für alle “das schlechteste Ergebnis”. Die Bundesregierung hält sich in der Diskussion bislang zurück, was in den nordischen Mitgliedstaaten aufmerksam registriert wird. Angesichts der massiven Unterstützung für die neuen Werke des US-Chipriesen Intel in Magdeburg (Europe.Table berichtete) wird Berlin hier im Lager von Frankreich und Italien verortet.

    EU-Finanzierung des Chips Act

    Die EU-Kommission hat 43 Milliarden Euro für den Chips Act ins Schaufenster gestellt. Nur rund vier Milliarden Euro davon kommen aber aus EU-Töpfen, den Rest sollen die nationalen Haushalte und private Investoren beisteuern. Die Mittel sind für die Förderung von Innovationen im Rahmen der ersten Säule der Chips Act vorgesehen.

    Das Meinungsbild hier ist unübersichtlich: Einige Mitgliedstaaten wie Österreich fordern dafür mehr Geld aus dem EU-Budget. Wien will zugleich aber nicht am Mittelfristigen Finanzrahmen rütteln, der wenig Spielraum lässt. Auch Kellner pochte für die deutsche Bundesregierung darauf, den MFR nicht anzutasten. Andere Regierungen sorgen sich vor allem darum, dass ihre Unternehmen überhaupt etwas abbekommen.

    Krisenmechanismus

    Um weitreichenden Lieferengpässen wie im Zuge der Coronavirus-Pandemie künftig vorzubeugen, will die Kommission mithilfe der Mitgliedstaaten ein detailliertes Monitoring der Wertschöpfungsketten einführen. Im Falle akuter Probleme soll ein Krisenmechanismus greifen: Das Instrumentarium umfasst nach dem Vorbild der Corona-Impfstoffe etwa Ausfuhrbeschränkungen und die gemeinsame Beschaffung von Halbleitern.

    Die Industrie wehrt sich gegen die staatlichen Eingriffe, die sich aus diesem Teil des Kommissionsvorschlages ergeben würden. Der Branchenverband ZVEI etwa kritisiert, weitreichende Auskunftspflichten gefährdeten Geschäftsgeheimnisse. Bei Chips handele es sich häufig um eine Vielzahl sehr spezieller Produkte, die anders als die Impfstoffe nicht einfach von der Kommission im Auftrag der Mitgliedstaaten beschafft werden könnten. Auch die Experten der Stiftung Neue Verantwortung argumentieren, die Regierungen seien mit dem Monitoring der vielschichtigen Lieferketten überfordert und sollte die Verantwortung besser den Unternehmen übertragen.

    Etliche Regierungen haben ebenfalls Bedenken: “Wir müssen den Aufwand für das Sammeln und Teilen der Informationen so gering wie möglich halten”, sagte der dänische Wirtschaftsminister Simon Kollerup. Die belgische Staatssekretärin Barbara Trachte mahnte, der Krisenmechanismus müsse “realistisch sein, nicht protektionistisch”.

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    CSAM-Vorschlag: Wissing sieht Grenze überschritten

    Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und seiner Darstellungen im Netz (Europe.Table berichtete) stößt in Deutschland auf ausdrücklichen Widerstand des Digitalministers Volker Wissing (FDP). Bei der Berliner Digitalkonferenz Republica betonte Wissing, dass es zwar richtig sei, dass die Kommission das Problem erkannt habe und handele. Doch der Entwurf gehe zu weit: “Die vorgeschlagenen Maßnahmen drohen wesentliche Grundrechte zu kompromittieren”, sagte Wissing. Er habe “erhebliche Zweifel” an der Geeignetheit der vorgeschlagenen Maßnahmen, um das Ziel zu erreichen.

    Mit der vorliegenden Verordnung “wird eine Grenze überschritten”, sagte Wissing. Er werde “entschieden gegen die anlasslose Chatkontrolle eintreten und alles mir Mögliche tun, dass das so nicht kommt”. Das Löschen und die bessere Ausstattung der Ermittlungsbehörden sei aus seiner Sicht das Wichtigste, was derzeit zu tun sei. “Es muss was getan werden”, betonte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ebenfalls bei der Republica. Er sei zuversichtlich, sagte Scholz, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Digitalminister Wissing hier eine “pragmatische Lösung finden”.

    Nur als Ultima Ratio gedacht

    Unterdessen betonen mit dem Dossier betraute EU-Beamte, dass sie die Diskussion kaum nachvollziehen könnten. Diese spiele sich aus ihrer Sicht vor allem in deutschen Kreisen ab. Die geplanten Maßnahmen wie die Verpflichtung zu automatisierter Detektion oder Netzsperren seien nur als Ultima Ratio gedacht, wenn Betreiber nicht ausreichend gegen Grooming oder Kindesmissbrauchsinhalte vorgingen. Nur bei einem signifikanten Restrisiko komme dies in Betracht. Wie das konkret festgestellt werden soll, das soll laut Kommissionskreisen erst nach Verabschiedung des Gesetzestextes genauer definiert werden.

    In den Kreisen wird zudem darauf verwiesen, dass es sich in weiten Teilen nicht um neue Technologien handele, sondern um Erkennungsalgorithmen, die bereits seit Längerem legal von Betreibern eingesetzt würden. Diese würden mit dem Vorschlag klarer reguliert denn zuvor, und auch die Falschverdächtigungs-Problematik – Kritiker sprechen von etwa 10 Prozent sogenannter False-Positives – würde mit dem Vorschlag besser gelöst als im Status quo.

    Zu den Kritikern des Vorschlags gehört der Europaparlamentarier Moritz Körner (FDP/Renew). Er sieht derzeit noch keine klaren Anzeichen dafür, wie sich Mitgliedstaaten und EP in diesem Dossier positionieren werden. “In anderen Mitgliedstaaten war das bislang kein großes Aufreger-Thema”, sagt Körner. “Grundsätzlich ist aber nicht zu erwarten, dass ein so kontroverser Vorschlag unverändert durch das Parlament geht.” fst

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    • Verbraucherschutz

    Gasspeicher zu über 50 Prozent gefüllt

    Die Gasspeicher in Europa sind wieder zu mehr als der Hälfte gefüllt. Für Dienstag wies das AGSI-Portal von Gas Infrastructure Europe (GIE) einen Stand von 50,24 Prozent aus. Die deutschen Gasspeicher waren mit 52,6 Prozent zwar leicht überdurchschnittlich befüllt, einige andere EU-Staaten sind allerdings bereits deutlich weiter. Polen und Portugal liegen bei über 90 Prozent. In Spanien, Dänemark und Tschechien sind es über 65 Prozent.

    Andere Staaten liegen weit dahinter. Füllstände von weniger als 40 Prozent haben derzeit Österreich, Bulgarien, Kroatien, Ungarn und Rumänien und Schweden.

    Verpflichtung für Gasspeicher in Europa

    Derzeit arbeiten die EU-Gremien an einer Speicherverpflichtung für die gesamte Union. Mitte Mai erzielten Rat und Parlament eine vorläufige Einigung (Europe.Table berichtete), wonach die Speicher bis 1. November zu mindestens 80 Prozent gefüllt sein müssen. Die Mitgliedsstaaten werden außerdem aufgerufen, insgesamt mindestens 85 Prozent zu erreichen. Mit der Speicherpflicht will sich die Staatengemeinschaft auf einen möglichen Ausfall russischer Gaslieferungen vorbereiten. ber

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    Spanien und Portugal dürfen Energiepreise deckeln

    Spanien und Portugal dürfen zeitweise mit einem Preisdeckel gegen hohe Energiepreise in ihren Ländern vorgehen. Die von der EU-Kommission genehmigte Maßnahme ermögliche es den Ländern, die infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine stärker gestiegenen Strompreise für die Verbraucher zu senken, sagte die für Wettbewerb zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager. Bis Ende Mai 2023 dürfen beide Länder zusammen Zuschüsse im Wert von knapp 8,5 Milliarden Euro an Stromerzeuger auszahlen.

    Die Zahlungen berechneten sich auf der Grundlage der Preisdifferenz zwischen dem Marktpreis für Erdgas und einer Obergrenze von durchschnittlich 48,8 Euro pro Megawattstunde. Die Kommission kam zu dem Schluss, dass die Maßnahme mit den EU-Regeln für Staatshilfe im Einklang steht.

    Im März war auf einem EU-Gipfel lange und hart um das Thema gerungen worden (Europe.Table berichtete). Am Ende gab es die politische Zusage für Spanien und Portugal, Sondermaßnahmen gegen die hohen Energiepreise einführen zu dürfen. Länder wie Deutschland und die Niederlande lehnten damals einen solchen Markteingriff ab. dpa

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    Kommission schlägt Erdgas-Abkommen mit Ägypten und Israel vor

    Die Europäische Kommission hat den EU-Mitgliedsstaaten ein Abkommen mit Ägypten und Israel vorgeschlagen, um die Erdgas-Importe aus dem östlichen Mittelmeerraum zu steigern. Dies geht aus einem Entwurf vom 7. Juni hervor, der Reuters vorliegt.

    Der Entwurf der Absichtserklärung unterliegt noch Änderungen und muss von den beteiligten Regierungen genehmigt werden. Er ist Teil der Bemühungen der EU, die Importe fossiler Brennstoffe aus Russland nach dem Krieg in der Ukraine zu reduzieren.

    “Das Erdgas, das in die Europäische Union geliefert werden soll, wird entweder aus der Arabischen Republik Ägypten, dem Staat Israel oder einer anderen Quelle im östlichen Mittelmeerraum, einschließlich der EU-Mitgliedstaaten in dieser Region, stammen”, heißt es in dem neunseitigen Dokument. Die EU hat bereits öffentlich erklärt, dass sie beabsichtigt, noch vor dem Sommer ein trilaterales Abkommen mit Ägypten und Israel zu schließen. Die Einzelheiten des Entwurfs sind bislang nicht öffentlich.

    Der Entwurf des Abkommens legt die Grundsätze für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den drei Partnern fest, sagt aber nichts darüber aus, wie viel Gas die EU importieren würde, und legt auch keine Fristen für die Lieferungen fest. In dem Dokument heißt es, dass die Lieferungen auch die Nutzung der Infrastruktur für flüssiges Erdgas (LNG) in Ägypten umfassen würden. Das nordafrikanische Land plant, ein regionales Drehkreuz für Erdgas zu werden. Die Absichtserklärung hat eine Laufzeit von neun Jahren ab Unterzeichnung, wie es vorbehaltlich in dem Dokument heißt.

    Israel erwägt Bau einer Pipeline für Erdgas

    Ägypten exportiert bereits relativ geringe Mengen Gas in die EU (Europe.Table berichtete), und beide Länder rechnen damit, ihre Produktion und ihre Exporte in den kommenden Jahren zu steigern. Israel hat erklärt, dass es hofft, eine Vereinbarung über Gaslieferungen nach Europa zu treffen, und erwägt auch den Bau einer Pipeline, um mehr Gas nach Ägypten zu exportieren.

    Dem Abkommensentwurf zufolge könnte Ägypten einen Teil des Gases, das über die ägyptische Infrastruktur in die EU oder andere Länder transportiert wird, kaufen und für den eigenen Verbrauch oder für den Export verwenden, heißt es in dem Dokument.

    Finanzierung neuer Infrastrukturen

    Im Rahmen des Plans könnte die EU neue Infrastrukturen finanzieren – vorausgesetzt, sie stehen in “vollem Einklang mit einem ehrgeizigen, klar definierten Pfad zur Klimaneutralität“. Die Partner werden sich dafür einsetzen, Methanlecks aus der Gasinfrastruktur zu reduzieren, neue Technologien zur Verringerung des Ablassens und Abfackelns zu prüfen und Möglichkeiten zur Nutzung von aufgefangenem Methan in der gesamten Lieferkette zu erkunden, so der Entwurf.

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird nächste Woche Kairo besuchen. Die Europäische Kommission lehnte es ab, sich zum Entwurf des Abkommens zu äußern oder zu der Frage, ob von der Leyens Reise mit der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding zusammenfallen könnte. rtr

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    Parlament drängt auf Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge

    Das Europäische Parlament hat nach einer großen Bürgerbefragung und den jüngsten außenpolitischen Ereignissen einen Konvent zur Überarbeitung der EU-Verträge gefordert. In einer mit deutlicher Mehrheit verabschiedeten Entschließung forderten die Abgeordneten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union auf, einen Konvent einzuberufen, und unterbreiteten mehrere Reformvorschläge.

    Die Legislative kann die EU-Verträge nicht selbst umschreiben, besteht aber darauf, dass das Thema auf die Tagesordnung des nächsten Gipfels am 23. und 24. Juni gesetzt wird. Dort könnte der Rat den Konvent einberufen. Eine Verfassungsänderung sei notwendig, “um sicherzustellen, dass die Union auf künftige Krisen wirksamer reagieren kann”, heißt es in der Entschließung. 

    Das Hauptproblem für das Parlament ist die sogenannte Einstimmigkeitsregel im Rat. Immer wieder kommt es vor, dass ein einziger EU-Staat die Verabschiedung von Sanktionen oder sogar gemeinsamen Erklärungen blockiert, die alle anderen unterzeichnen wollten. Seit Russlands Einmarsch in der Ukraine im Februar hat Ungarn beispielsweise wichtige Maßnahmen gegen Moskau verzögert (Europe.Table berichtete). 

    Qualifizierte Mehrheit statt Einstimmigkeit

    “Gerade in den vergangenen Wochen haben wir noch einmal gesehen, was die de-facto Vetos einzelner Staaten anrichten können”, sagte Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Parlament, in einer Mitteilung. “Ungarn blockiert bei dringend nötigen Sanktionen, Polen bremst bei der globalen Mindeststeuer.”

    Anstelle der Einstimmigkeit wollen die Parlamentarier die Einführung der qualifizierten Mehrheit im EU-Rat für bestimmte Angelegenheiten, einschließlich Sanktionen oder in Notsituationen. Das Parlament sollte auch das Recht haben, Gesetze zu initiieren, heißt es in der Resolution. Derzeit hat nur die EU-Kommission dieses Recht.

    Die Entschließung kommt einen Monat nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Konferenz über die Zukunft Europas. Dieser enthält fast 50 Vorschläge, die in einer groß angelegten demokratischen Konsultation in den EU-Ländern und im Internet erarbeitet wurden. Allerdings ist es keineswegs klar, ob die EU-Länder einer Vertragsänderung zustimmen werden – selbst wenn ein Konvent stattfindet.

    In einem Non-Paper, das letzten Monat veröffentlicht wurde, erklärten mehr als zehn Mitgliedsstaaten, dass sie “unüberlegte und verfrühte Versuche, einen Prozess zur Vertragsänderung einzuleiten, nicht unterstützen”. Die Entschließung vom Donnerstag wurde mit 355 zu 154 Stimmen angenommen, wie das Parlament mitteilte. Es gab 48 Stimmenthaltungen. joy

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    EZB beendet Anleihenkäufe und kündigt erste Zinserhöhung an

    Mit der ersten Zinserhöhung seit elf Jahren reagieren Europas Währungshüter auf die Rekordinflation. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) kündigte am Donnerstag an, im Juli die Leitzinsen im Euroraum um jeweils 25 Basispunkte anheben zu wollen. Zunächst bleibt der Leitzins aber auf dem Rekordtief von null Prozent, Banken müssen für geparkte Gelder bei der EZB weiterhin 0,5 Prozent Zinsen zahlen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte in Aussicht gestellt, die Negativzinsen bis Ende September zu beenden.

    Zugleich beschloss der EZB-Rat bei seiner auswärtigen Sitzung in Amsterdam, die milliardenschweren Netto-Anleihenkäufe zum 1. Juli einzustellen. Das Ende dieser Käufe hatte die EZB in ihrem längerfristigen geldpolitischen Ausblick (“Forward Guidance”) zur Voraussetzung für eine Zinserhöhung erklärt.

    EZB-Zinserhöhung um Teuerung einzudämmen

    In den vergangenen Wochen hatte der Druck auf Europas Währungshüter deutlich zugenommen, nach Jahren des ultralockeren Kurses umzusteuern und mit Zinsanhebungen die rekordhohe Teuerung einzudämmen. Im Euroraum lagen die Verbraucherpreise im Mai 2022 um 8,1 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonates, in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland sprang die jährliche Inflationsrate im Mai vorläufigen Zahlen zufolge mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren.

    Die EZB strebt für den Währungsraum der 19 Länder mittelfristig stabile Preise bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an. Getrieben wird die Inflation seit Monaten vor allem von steigenden Energiepreisen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nochmals kräftig anzogen. Auch Probleme in den Lieferketten sorgen für steigende Preise.

    Volkswirte rechneten vor der EZB-Sitzung vom Donnerstag mit einer Serie von EZB-Zinsschritten nach oben im laufenden Jahr. Bis zum Ende des Jahres könnte der Einlagensatz demnach auf plus 0,5 Prozent steigen und der Hauptrefinanzierungssatz ein Niveau von 0,75 Prozent erreichen. Andere Notenbanken wie die Federal Reserve in den USA oder die Bank of England haben ihre Leitzinsen bereits mehrfach erhöht. Bis höhere Zinsen bei Sparerinnen und Sparern ankommen, dauert es allerdings erfahrungsgemäß eine Weile. dpa

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    China: Grünes Licht für EU-Verordnung zu öffentlicher Beschaffung

    Das Europaparlament hat grünes Licht für eine Verordnung gegeben, mit der die EU den Markt in China für öffentliche Beschaffung für europäische Firmen öffnen möchte (Europe.Table berichtete). Das “Instrument für das internationale Beschaffungswesen” (IPI) erhielt am Donnerstag die nötigen Stimmen.

    “Die EU wird dadurch im rauen internationalen Handelsumfeld erheblich gestärkt”, sagte der für IPI federführend zuständige Abgeordnete Daniel Caspary (CDU). “In Zukunft wird der Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen der EU für Unternehmen aus Drittstaaten eingeschränkt, wenn sie europäischen Unternehmen keinen vergleichbaren Zugang bieten.”

    Konkret ist der Plan: Wenn sich ein Drittstaat wie die Volksrepublik weigert, seinen öffentlichen Beschaffungsmarkt für EU-Anbieter in einem vergleichbaren Ausmaß zu öffnen wie umgekehrt, drohen Sanktionen. So könnten Angebote aus China entweder komplett von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, oder erhalten einen Preisaufschlag (China.Table berichtete). Nun fehlt noch die Annahme der Verordnung im EU-Rat der Mitgliedsstaaten, dann kann die Gesetzgebung in Kraft treten. Wann genau dies der Fall sein wird, ist noch nicht bekannt. ari

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    Presseschau

    EU erlaubt Spanien und Portugal umstrittenen Strompreisdeckel SPIEGEL
    Union will Ukraine, Georgien und Moldawien an EU binden FAZ
    Europaparlament fordert Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips ZEIT
    EZB beendet Anleihekäufe und bereitet Zinswende vor ZEIT
    Frankreichs Justiz untersucht mutmaßliches Vertuschen von Zwischenfällen in Akw WELT
    Bundesverkehrsminister gegen Verbot für Verbrennungsmotoren ab 2035 ZEIT
    Justizministerium bremst Windkraftgesetze SPIEGEL
    Briten dürfen nicht mehr an EU-Kommunalwahlen teilnehmen DERSTANDARD
    EU-Minister beschließen digitale Ermittlungsplattform EURACTIV

    Kolumne

    What’s cooking in Brussels: Milestones der finanziellen EU-Hilfe für Polen

    Von Claire Stam
    Schwarz-weiß Portrait von Claire Stam: Kolumnistin von Whats cooking in Brussels.

    Hot Pots sind aus der Brüsseler Küche nicht wegzudenken. Der Hot Pot, den die Europäische Kommission anbietet, ist im Moment besonders scharf. Die parlamentarischen Auseinandersetzungen um das Fit-for-55-Paket machen eine (vorübergehende winzige) Pause, und die EU-Diplomaten sind bereits in Marschordnung, um den nächsten EU-Gipfel am 23. und 24. Juni sowie den nächsten G7-Gipfel am 27. und 28. Juni auf Schloss Elmau vorzubereiten. Was macht die Brüsseler Exekutive in der Zwischenzeit? Sie führt sogenannte “Milestones” ein.

    Diese “Milestones” sind von der Europäischen Kommission festgelegte Etappen für Polen. Sie sollen es dem Land ermöglichen, die im Post-Covid-Konjunkturprogramm vorgesehenen Mittel nach und nach zu erhalten. Mit anderen Worten: Es wird keine automatische Freigabe der Gelder geben, sondern jeder Zahlungstranche muss eine spezifische Prüfung im Rahmen dieser “Milestones” vorausgehen.

    Das große Problem ist, dass diese Initiative von vielen in Brüssel als eine deutliche Lockerung der rechtsstaatlichen Anforderungen der Kommission an Warschau angesehen wird – und das zu einer Zeit, in der Brüssel einen Kompromiss mit Ungarn eingeht, um die Unterstützung Viktor Orbáns für ein sechstes Sanktionspaket zu erhalten. Auch wenn Ursula von der Leyen auf einer Pressekonferenz in Warschau betonte: “Wir sind noch nicht am Ende des Weges, was die Rechtsstaatlichkeit in Polen angeht.”

    Vorschlag wurde von Parlament frostig aufgenommen

    Wojciech Sadurski, Challis-Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Sydney und Professor am Europa-Zentrum der Universität Warschau, weist in seinem Blog zu diesem Thema darauf hin, dass die Entscheidung der Kommission noch vom Rat gebilligt werden muss. Vor allem aber, so der Rechtsexperte, habe sich die Kommission selbst in den Fuß geschossen

    “Die Kommission hat freiwillig und ohne ersichtlichen Grund auf den großen Hebel verzichtet, den sie über einen Mitgliedstaat hat, der sich systematischer Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit schuldig gemacht hat”, schreibt er. “Die Übereilung der Entscheidung (…) ist unentschuldbar. Die Fakten vor Ort sind allen bekannt: Unabhängige Richter und Staatsanwälte werden schikaniert und suspendiert, das Verfassungsgericht fällt ein anti-europäisches Urteil nach dem anderen, und der illegale KRS empfiehlt dem Präsidenten weiterhin neue Richter, die dieser dann munter ernennt. So kann ein Mitgliedstaat seinen EU-Partnern nicht versichern, dass er die Konjunkturmittel verantwortungsvoll einsetzen wird.”   

    In der Tat wurde der Vorschlag der Kommission von einer großen Mehrheit der EU-Parlamentarier – aber auch innerhalb der Kommission selbst – mehr als frostig aufgenommen. In einer seltenen Geste stimmten zwei Mitglieder des Kollegiums der Kommissare – Margrethe Vestager und Frans Timmermans – gegen den Vorschlag, während drei weitere Mitglieder Briefe schickten, in denen sie ihre Bedenken äußerten.

    Auf der Seite des Rates könnten Verfechter der Rechtsstaatlichkeit wie die Niederlande und die nordischen Länder den polnischen Sanierungs- und Wiederaufbauplan ablehnen, während andere sich der Stimme enthalten könnten. Dies wäre ein Novum, da die nationalen Sanierungs- und Resilienzpläne bislang einstimmig angenommen wurden.  

    Polens Umgang mit Putin

    In der Brüsseler Bubble sucht man nach Erklärungen, um sich die Haltung der Kommission zu erklären. In den Korridoren des Berlaymont und der Wiertzstraße wird auf die positive Rolle Polens im Umgang mit Putins Krieg und die dringende Notwendigkeit von Finanzmitteln für Warschau verwiesen, die durch die Ankunft von über drei Millionen ukrainischen Flüchtlingen notwendig geworden ist. Aber auch – und nicht zuletzt – aus dem Bestreben heraus, die Beziehungen zwischen Polen (Anti-Putin) und Ungarn (Pro-Putin) weiter zu stören und Budapest damit zu isolieren. Es ist eine Untertreibung zu sagen, dass die Gemüter in Brüssel durch Viktor Orbáns mehrfache Blockadehaltung beim neuen Sanktionspaket erhitzt waren.

    Es gibt auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen. Von der Bubble wird die Haltung Polens in den Verhandlungen über die EU-Steuer für multinationale Unternehmen meist als Erpressung empfunden. An dieser Stelle ist es sinnvoll, daran zu erinnern, dass Frankreich, dessen Ratspräsidentschaft Ende des Monats endet, diese europäische Steuer auf multinationale Unternehmen zu einer seiner Prioritäten während seiner Ratspräsidentschaft gemacht hat. Und da die France insoumise im Lager der Macronisten ernsthaft ins Schwitzen gerät, braucht Paris eine starke soziale Botschaft, um Wähler mit linksgerichteten Herzen zu verführen, da am kommenden Sonntag die erste Runde der Parlamentswahlen stattfindet. 

    Ein nationaler Termin, werden Sie sagen. Doch der konstante Aufstieg von La France Insoumise – deren europäische Agenda in Brüssel mehr als nur Stirnrunzeln hervorruft – bringt die Strategen von La République en Marche ins Schwitzen. Während die Parlamentswahlen für die Partei von Emmanuel Macron ein Spaziergang werden sollten, stehen einige der wichtigsten Figuren der neuen Regierung auf dem politischen Prüfstand. Allen voran Emmanuel Macrons Mr. Europe, Clément Beaune.

    Denn an dieser Stelle muss an ein – zwar kurioses, aber konsequent angewandtes – Prinzip des französischen politischen Lebens erinnert werden: Ein Minister kann nur dann in der Regierung bleiben, wenn es ihr oder ihm gelingt, gleichzeitig sein Abgeordnetenmandat zu gewinnen oder zu erhalten.

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    Europe.Table Redaktion

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