Table.Briefing: Europe

EuGH zu Vorratsdatenspeicherung + Belgien will Hilfe der EU + Zweiter Digitalausblick

  • Nach EuGH-Urteil: Quick Freeze statt Vorratsdatenspeicherung
  • Energiekrise und Proteste: Belgien ruft die EU um Hilfe
  • Digitalpolitik Teil 2: Vorhaben auf der Herbstagenda
  • EuGH-Generalanwalt: Bundeskartellamt darf Datenschutz von Meta prüfen
  • Tschechische Ratspräsidentschaft: Kompromissentwurf zur Strommarktreform
  • Deutschland stößt Debatte zu Einstimmigkeitsprinzip an
  • Kürzung von EU-Mitteln: Ungarns Regierung reicht Gesetz ein
  • Tony Murphy wird Präsident des Rechnungshofs
  • ESM: Beide Kandidaten für Regling-Nachfolge ziehen zurück
  • EU-Beamter: 14 Millionen Tonnen Agrarprodukte aus der Ukraine befördert
  • Im Porträt: Jan Rosenow – Europas Klimaberater
Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist keine Überraschung, entspricht die Entscheidung doch der bisherigen Rechtsprechung: Gestern hat der EuGH bestätigt, dass EU-Recht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung seiner Bürgerinnen und Bürger entgegensteht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) reagierte begeistert auf das Urteil – und verwies auf Quick Freeze als Alternative. Doch das Thema ist damit noch längst nicht beendet. Datenschützer sehen Diskussionsbedarf – ebenso wie manche von Buschmanns Koalitionspartnern. Corinna Visser hat die vielfältigen Reaktionen auf das Urteil zusammengetragen – und mit einem Experten für IT-Sicherheitsrecht gesprochen, der eine verpasste Chance beklagt. 

Auf der berühmten Grand Place in Brüssel gehen die Lichter nun früher aus – und auch am belgischen Autobahnnetz, das in normalen Zeiten nachts gut ausgeleuchtet war, lässt sich die Energiekrise ablesen. Dabei steht Belgien bei der Energieversorgung nicht mal schlecht da. Für Unruhe sorgen allerdings die massiv steigenden Energiepreise. Dem Land stehen große Proteste bevor, auch die Gelbwesten planen ihr Comeback. “Wir drohen in eine Kriegswirtschaft zu geraten, Europa muss eingreifen”, sagt Premierminister Alexander De Croo. Doch Hilfe aus Brüssel ist bislang nicht in Sicht, wie Eric Bonse berichtet. 

In ihrer Rede zur Lage der EU hat Ursula von der Leyen sich einer ganzen Reihe an Themen gewidmet – um die Digitalisierung ging es jedoch kaum. Dabei stehen in der kommenden Zeit einige wichtige Digitalvorhaben an. Nachdem wir Ihnen zu Beginn des Monats einen ersten Überblick über die kommenden digitalpolitischen Projekte gegeben haben, folgt nun der zweite Teil. Auf der Agenda für den Herbst stehen etwa die Verhandlungen über den Chips Act und der Kommissionsvorschlag zur Cyber Defence Policy. Die Kommission wartet zurzeit auf Schritte von US-amerikanischer Seite zum Transatlantic Data Privacy Framework (TADPF), der Neuauflage der gescheiterten “Privacy Shield”-Vereinbarung. Einer der großen Streitpunkte dürfte der Vorschlag zur CSAM-Verordnung werden, mit dem Internetunternehmen eine verpflichtende Erkennung und Weitergabe von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern auferlegt werden soll. Vor allem in Deutschland regt sich Widerstand.

Ihre
Sarah Schaefer
Bild von Sarah  Schaefer

Analyse

Nach EuGH-Urteil: Quick Freeze statt Vorratsdatenspeicherung

Wenig überraschend hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom Dienstag bestätigt, dass EU-Recht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten seiner Bürgerinnen und Bürger entgegensteht. Damit hält sich der EuGH an seine bisherige Rechtsprechung.

Der EuGH räumt Ausnahmen ein, etwa wenn eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vorliege. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität können die Mitgliedstaaten demnach unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen. Das sieht vor allem die Piratenpartei kritisch, die überhaupt bezweifelt, dass die Vorratsdatenspeicherung (VdS) bei der Ermittlung schwerer Straftaten einen messbaren Einfluss hat (siehe Studie).

Herbeigeführt hatte das Verfahren vor dem EuGH der Münchner Internetprovider SpaceNet, der 2016 mit Unterstützung des Eco-Verbands der Internetwirtschaft eine Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht hatte. “Nach sechs Jahren Verfahren sind wir froh, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung endlich geklärt ist”, kommentierte Sebastian von Bomhard, Gründer und Vorstand von SpaceNet das EuGH-Urteil. “Jetzt herrscht wieder Rechtssicherheit für die Internetbranche, unsere Kunden und alle Bürger.” Doch tatsächlich ist die Diskussion damit noch nicht beendet.

Umstritten seit den 90er-Jahren

Die Vorratsdatenspeicherung (VdS) ist umstritten, seit der Bundesrat 1996 zum ersten Mal Mindestfristen zur Speicherung von Daten zur Kriminalitätsbekämpfung fordert.

  • 2006 fordert die EU die Mitgliedsstaaten auf, die Vorratsdatenspeicherung im Landesrecht zu verankern.
  • 2007 beschließt der Bundestag ein entsprechendes Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht 2010 in dieser Form für verfassungswidrig erklärt.
  • 2014 wiederum erklärt der EuGH die EU-Richtlinie für ungültig.
  • 2015 verabschiedet Deutschland ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.
  • 2016 reicht SpaceNet Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein.
  • 2017 setzt die Bundesnetzagentur die Speicherfrist für die Verbraucher aus. Auch die Telekom lässt nun gerichtlich klären, was gespeichert werden muss.
  • 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass SpaceNet und die Telekom bis zu einer EuGH-Entscheidung keine Verbindungsdaten speichern müssen. Seither liegt das Gesetz in Deutschland faktisch auf Eis.

Das deutsche Gesetz enthielt dabei deutlich abgespeckte Pflichten für die Anbieter: Die zu speichernden Daten waren Metadaten zu Kommunikationsvorgängen. Das sind zum Beispiel Zeitpunkt und Dauer eines Telefonats, wer mit wem telefoniert oder eine SMS geschrieben hat oder die IP-Adresse eines Geräts im Internet. Nicht gespeichert werden die Inhalte der Kommunikation, also das Gespräch oder die Nachricht selbst oder welche Internetseite aufgerufen wurde.

Nicht umfasst waren auch sogenannte Over-the-Top-Dienste wie WhatsApp oder Signal, die auf Internetprotokoll-Basis funktionieren. Nach einer gewissen Frist – im aktuellen Fall je nach Daten zwischen vier und zehn Wochen – müssen die Daten gelöscht werden. Vorher können zuständige Behörden mit einem richterlichen Beschluss eine Herausgabe der Daten zu Ermittlungszwecken verlangen.

Die Internetwirtschaft begrüßt das Urteil

Der Eco-Vorstandsvorsitzende Oliver Süme zeigt sich erleichtert, dass das “Urteil zugunsten unserer Grundrechte” ausgefallen sei. “Die Vorratsdatenspeicherung greift massiv in die Privatsphäre fast aller deutschen Nutzer:innen ein und bringt dann noch nicht einmal einen nachgewiesenen Mehrwert für die Strafverfolgung. Noch dazu kostet es die Branche geschätzt mehr als 600 Millionen Euro.”

Süme ist der Meinung, dass das Urteil der Bundesregierung die Gelegenheit eröffnet, eine politische Weichenstellung vorzunehmen. “Es wäre wünschenswert, wenn die Politik diese Chance auch ergreift und damit endlich Klarheit über die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung schafft“, sagt er. “Die Bundesregierung sollte daher zeitnah die Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung in die Wege leiten. Damit würden die Bürgerrechte auch bei der digitalen Kommunikation gestärkt und die Unternehmen bekämen die dringend benötigte Rechts- und Planungssicherheit.”

Ähnlich argumentiert die Deutsche Telekom: “Für uns ist die Rechtssicherheit bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung entscheidend“, teilt die Telekom auf Anfrage mit. Mit der EuGH-Entscheidung werde eine höhere Rechtssicherheit geschaffen. “Es ist nun am Gesetzgeber, diese Vorgaben umzusetzen.”

Die Bundesregierung hatte die erneute Schlappe vor dem EuGH vorausgesehen. Im Koalitionsvertrag schrieben die Regierungsparteien Ende 2021, dass die Koalition die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten werde, “dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können”.

Keine Einigkeit in der Koalition

Dennoch sind sich nicht alle Koalitionäre einig in ihrer Einschätzung: In einer ersten Reaktion auf Twitter kommentiert Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): “Ein guter Tag für die Bürgerrechte! Der EuGH hat in einem historischen Urteil bestätigt: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist rechtswidrig. Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen.”

Damit meint Buschmann das Telekommunikationsgesetz (TKG). In ein bis zwei Wochen werde ein Referentenentwurf vorliegen, kündigt Buschmann in einem weiteren Statement an. Es gebe andere Ermittlungsmethoden, die zur Verfügung stehen – wie etwa Quick Freeze.

Bei Quick Freeze stellen Ermittlungsbehörden eine anlassbezogene Anfrage an die Internet- oder Telekombetreiber, diese speichern ab diesem Zeitpunkt die Daten. Dann wird ein Richter eingeschaltet. Erst wenn dieser der Meinung ist, dass der Anlass den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigt, sendet der Anbieter die gespeicherten Daten an die Ermittler.  

Doch in der Koalition herrscht keineswegs Einigkeit. Streichen will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Vorratsdatenspeicherung nicht. Sie weist darauf hin, dass der EuGH klargestellt habe, welche Daten zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität gespeichert werden dürften. Er habe auch ausdrücklich entschieden: “IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können.” Zudem gestatte er gezielte Anordnungen zum Speichern für bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder für Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung. Diese rechtlichen Möglichkeiten müssten nun auch genutzt werden, sagt Faeser.

Sie ist überzeugt, dass diese Daten für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder besonders hilfreich sind. Doch Faeser müsste hier viel Überzeugungsarbeit leisten: Im Koalitionsvertrag hatten sich FDP und Grüne durchgesetzt – dort heißt es: Nach einem EuGH-Urteil “werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.” Beide SPD-Vorsitzende waren als Digitalpolitiker früher erklärte Gegner der Vorratsdatenspeicherung – der heutige Kanzler wiederum dafür.

Wirtschaft schlägt Alternativen vor

Die Wirtschaft ist anderer Meinung als Faeser: “Mit seinem heutigen Urteil beerdigt der EuGH faktisch die Vorratsdatenspeicherung. Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom. “Die Politik ist aufgefordert, andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen.”

So sieht das auch Eco-Chef Süme. “Um die Verbrechensbekämpfung effizienter zu machen, sollte die Bundesregierung über alternative Ansätze wie Quick Freeze oder punktuelle und anlassbezogene Maßnahmen diskutieren“, meint er. “Für wichtig halte ich auch die richtige Priorisierung innerhalb der Ermittlungsbehörden: Werden zeitkritische Fälle vorrangig bearbeitet, müssten Daten erst gar nicht über einen so langen Zeitraum gespeichert werden. Dafür braucht es bei den Strafverfolgungsbehörden natürlich auch das Personal, das entsprechend ausgebildet und ausgestattet ist.”

Die Datenschützer der Grundrechts-NGO Epicenter.works, die im EuGH-Verfahren von 2014 als klagende Partei auftraten, begrüßen die EuGH-Entscheidung. “Wir freuen uns über das heutige Urteil und sehen unsere Kritik an der Vorratsdatenspeicherung ein weiteres Mal bestätigt“, sagt Thomas Lohninger von Epicenter.works. Allerdings zeige sich immer deutlicher ein enormes rechtsstaatliches Defizit in Europa. Denn obwohl der EuGH seit 2014 wiederholt diese anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung als grundrechtswidrig aufgehoben habe, hielten immer noch viele Mitgliedstaaten “an diesen illegalen Überwachungsgesetzen” fest.

“Totalitäre Maßnahme”

“Bis heute hat es die EU-Kommission versäumt, längst überfällige Vertragsverletzungsverfahren gegen Länder mit Vorratsdatenspeicherung einzuleiten”, kritisierte Lohninger. “Die EU-Kommission verliert ihre Glaubwürdigkeit gegenüber Polen und Ungarn, wenn Verstöße gegen das EU-Primärrecht in Fällen hingenommen werden, wo das Frankreich und Deutschland politisch opportun erscheint.” In einem Rechtsstaat sollten Grundrechte für alle gelten und höchstgerichtliche Urteile dürften nicht über viele Jahre ignoriert werden, meint der Datenschützer.

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) fordert die Ampelkoalition auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beenden: “Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Kommunikation, Bewegungen und Internetnutzung völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist”, sagt Breyer und kritisiert: “Der EU-Gerichtshof hat auf massiven Druck überwachungswütiger Regierungen eine IP-Vorratsdatenspeicherung im Internet nicht beanstandet. Sie würde aber jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen.”

IP-Adressen seien wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. Breyer ruft “die Ampelkoalition dazu auf, jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit einem neuen Gesetz abzuschaffen und sich für ein Europa frei von Massenüberwachung und Generalverdacht einsetzen.”

Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen, hätte es begrüßt, wenn sich der EuGH rechtlich noch klarer im Sinne der informationellen Grundrechte geäußert hätte. Nun müsse man mit dem Urteil arbeiten. Für die Bundesregierung bedeute dies, dass die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor nicht vom Tisch sei, und das Thema die Politik mit Sicherheit noch weitere Jahre verfolgen werde.

Neubewertung der Sicherheitsarchitektur

“Die bekannten Bereichsausnahmen wie der Schutz nationaler Sicherheitsinteressen, der Bekämpfung (schwerer) Kriminalität sowie der Gefahrenabwehr lässt den Mitgliedstaaten nach wie vor viele Handlungsspielräume“, sagt der Jurist. Man habe bereits kurz nach Veröffentlichung des Urteils in Deutschland gesehen, dass dieser Handlungsspielraum politisch auch genutzt werden soll, indem man sich zumindest des Quick-Freeze-Verfahrens bedienen will. “Das bedeutet, dass der bekannte Sicherheitsaktionismus auch unter der Ampel-Koalition bei Weitem nicht raus ist.”

Sinnvoller wäre es gewesen, meint Kipker, das Urteil endlich einmal zum Anlass zu nehmen, die gesamtstaatliche Sicherheitsarchitektur einer konkreten Neubewertung zu unterziehen und “in der Rumpelkammer vielfach angestaubter staatlicher Überwachungsinstrumente einmal zu schauen, was man wirklich noch braucht und was definitiv wegkann”. Das spare nicht nur Zeit, sondern den Unternehmen auch Geld und bringe allen etwas mehr Rechtssicherheit. “Diese Chance vertut man jetzt ein weiteres Mal.”

Kipker ist nicht überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung – ähnlich wie die Videoüberwachung – zu einem geringeren Maß an Straftaten führt. “Das kann so sein, muss aber nicht, denn auch Straftäter stellen sich auf geänderte Verhältnisse ein, suchen sich andere Orte aus, begehen Straftaten auf andere Weise und mit anderen Mitteln oder machen sich unkenntlich.”

Der IT-Sicherheitsrechtler hält aber auch Quick Freeze für ein Feigenblatt. Es sei ein fauler Kompromiss, der von der eigentlichen rechtsstaatlichen Diskussion ablenke, ob derlei Maßnahmen überhaupt nötig sind. “Natürlich kann man argumentieren, dass Quick Freeze weniger eingriffsintensiv ist. Aber das sollte hier nicht die Frage sein, weil es zumindest juristisch und rechtsstaatlich an dieser Stelle nicht um einen politischen Kompromiss geht, sondern darum, ob wir eine digitale Ermittlungsmaßnahme benötigen und ob sie überhaupt zielführend sein kann.”

  • Digitalpolitik

Energiekrise und Proteste: Belgien ruft die EU um Hilfe

Es ist eins der bekanntesten und umstrittensten Wahrzeichen Belgiens: das nachts gut ausgeleuchtete Autobahnnetz. Nun geht das Licht aus: Die südbelgische Region Wallonie schaltet 20.000 von 22.000 Leuchtkörpern ab, um Strom zu sparen. Auch auf der bei Touristen beliebten Grand Place in Brüssel wird es jetzt früher dunkel.

Belgien folgt damit den EU-Appellen, den Verbrauch von Gas und Strom drastisch zu reduzieren. Dabei steht das Königreich im Westen Europas auf den ersten Blick gar nicht so schlecht da. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt es über eigene Flüssiggas-Terminals, die Windenergie wird ausgebaut, die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert.

Dennoch macht sich ein Hauch von Panik breit. Es gibt zwar keinen Mangel an Energie, aber der Preis macht den Belgiern und ihrer Föderal-Regierung schwer zu schaffen. Für einen Normal-Haushalt könnte die Gasrechnung von 1072 Euro im Jahr auf 7167 Euro hochschnellen, rechnet die Zeitung “La Libre” vor – siebenmal so viel wie vor der Krise.

Das treibt die Belgier auf die Barrikaden. Am heutigen Mittwoch findet der erste nationale Protesttag in Brüssel statt, es geht um die schwindende Kaufkraft und die Energiepreis-Inflation. Am Sonntag wollen die Gelbwesten wieder von sich reden machen, nach jahrelanger Pause. Und am 9. November soll es auch noch einen Generalstreik geben.

Steuersenkungen und Energieschecks

Die Regierung weiß nicht, wie sie mit dem Protest umgehen soll. Premierminister Alexander De Croo hatte schon im März einen EU-weiten Preisdeckel auf Gas gefordert, vergeblich. Deutschland war dagegen, eine Zeitlang sorgte dies für deutsch-belgische Verstimmung. Doch es hilft dem liberalen Politiker wenig, rechtzeitig gewarnt zu haben.

Nun muss er sehen, wie er die Lage unter Kontrolle hält – auf der Straße und in seiner bunten “Vivaldi”-Koalition. Sie hat sich erst nach mehreren Krisensitzungen auf ein Entlastungspaket verständigt. Es sieht die Verlängerung des Sozialtarifs für Energie bis März, die Senkung der Verbrauchssteuern auf Benzin und Diesel sowie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas auf 6 Prozent vor. 

Außerdem verspricht die Regierung ihren Bürgern einen monatlichen Scheck über 135 Euro für Gas und 61 Euro für Strom – allerdings zunächst nur im November und Dezember. Zudem kommen nur jene in den Genuss des Energieschecks, die über einen (ungünstigen) flexiblen Tarif oder einen neuen Vertrag verfügen. 

Der 200-Euro-Scheck wird daher schon jetzt – wenige Tage nach der Regierungsankündigung – als unzureichend kritisiert. Er kann helfen, das Land und seine Föderalregierung durch den “heißen Herbst” zu bringen. Doch was passiert, wenn das Paket im Januar ausläuft? Wie sollen die Belgier dann ihre Heizkosten zahlen? 

Weitere Entlastungspakete sind nicht drin

Belgien fährt auf Sicht – und kommt dabei an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Die Staatsverschuldung liegt bei über 100 Prozent des BIP – weit entfernt von den 60 Prozent, die laut Maastricht-Vertrag erlaubt wären. Die Wallonie meldet sogar 280 Prozent. Es ist unklar, wie lange Banken und Rating-Agenturen noch mitspielen. 

De Croo kann sich daher keine teuren neuen Entlastungspakete mehr leisten. Er ist auf Hilfe aus der EU angewiesen – entweder in Gestalt von Finanzspritzen, oder in Form eines Gas- oder Strompreisdeckels, der den Druck aus dem Kessel nimmt. “Wir drohen in eine Kriegswirtschaft zu geraten, Europa muss eingreifen”, fordert er.

Bisher zeichnet sich jedoch keine Hilfe aus Brüssel ab. Die EU-Kasse ist leer, ein Energiepreisdeckel steht nicht auf dem Programm der Energieminister. Der Premier steht mit dem Rücken zur Wand. Einziger Trost: Er muss bisher keinen Herausforderer fürchten. Denn auch die mächtigen Regionalpolitiker sind durch die Krise geschwächt.

  • Belgien
  • Energie
  • Erdgas
  • Proteste

Digitalpolitik (2): Weitere Vorhaben auf der Herbstagenda

In ihrer Rede zur Lage der Union setzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen andere Prioritäten. Die Digitalisierung kam darin kaum vor. Dabei wird sie in allen Lebensbereichen immer wichtiger und ist auch eine elementare Voraussetzung für den Green Deal und die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Die Verhandlung über den Chips Act gehört zu den wichtigen Vorhaben, die für diesen Herbst in Europa anstehen, doch es gibt noch mehr – wie Sie schon in Teil 1 lesen konnten. Hier folgt nun der zweite Teil unseres Digitalausblicks.

Chips Act

Kommissionsvorschlag: 09. Februar 2022

Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatter ist Dan Nica (S&D, Rumänien).

Inhalt: Halbleiter sind die Motoren des digitalen Wandels. Eine Billion von ihnen wurden 2020 hergestellt, doch nur zehn Prozent davon in Europa. Das bedeutet, dass die Produktion vieler Produkte in der EU von komplexen und zuletzt sehr anfälligen globalen Lieferketten abhängt. Mit dem europäischen Chip-Gesetz will die Kommission Europas Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz in puncto Halbleitertechnologien und -anwendungen erhöhen. Parallel dazu will Europa seine technologische Führungsrolle in diesem Bereich ausbauen. Der Chips Act selbst soll zusätzliche öffentliche und private Investitionen in Höhe von mehr als 15 Milliarden Euro bewirken.

Der Chip-Rechtsakt stützt sich auf drei Säulen:

  • Säule 1 fördert den Aufbau groß angelegter technologischer Kapazitäten und Innovationen im Chip-Ökosystem der EU. Der Transfer vom Labor in die Fertigung soll besser werden.
  • Säule 2 konzentriert sich auf die Verbesserung der Versorgungssicherheit in der EU, indem Investitionen angezogen und die Produktionskapazitäten in der EU ausgebaut werden.
  • Säule 3 zielt darauf ab, einen Überwachungs- und Krisenreaktionsmechanismus einzurichten, damit die Kommission Sofortmaßnahmen ergreifen kann.

Zeitplan: Draft Report bei einer ITRE-Ausschusssitzung im Oktober. Deadline für Änderungsanträge: Dezember, Abstimmungen im Ausschuss und Plenum: Januar und Februar 2023. Der Rat möchte seinen General Approach noch unter den Tschechen fertigstellen.

Instant Payment Regulation (Sofortüberweisung)

Kommissionsvorschlag: angekündigt für den 26. Oktober

Akteure: EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis

Inhalt: Anders als beim US-Zahlungsdienstleister Paypal erreichen die meisten Geldüberweisungen in Europa ihre Empfänger erst am nächsten Werktag. Manche brauchen sogar noch länger. Die Kommission hält diese Zeitspanne im digitalen Zeitalter für zu lang. Mit einer Sofortüberweisung dagegen ist das Geld innerhalb von Sekunden auf dem Konto des Empfängers – an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr. Dies bringt sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen viele Vorteile mit sich. Damit ein Kunde eine Sofortüberweisung erfolgreich abschließen kann, muss auf beiden Seiten der Überweisung ein Zahlungsdienstleister stehen, der sich an dieselben Regeln, Praktiken und Standards hält.

Der Europäische Zahlungsverkehrsausschuss hat ein solches System 2017 für Euro-Sofortüberweisungen innerhalb des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) entwickelt: das SCT Inst. Scheme.

Eine hohe Beteiligung von Zahlungsverkehrsdienstleistern an diesem System ist eine wichtige Voraussetzung für die breite Verfügbarkeit von Euro-Sofortüberweisungen auf EU-Ebene. Im März 2021 waren nur knapp 64 Prozent der Zahlungsdienstleister in 21 Mitgliedstaaten dem SCT Inst. Scheme beigetreten. Mit ihrer Initiative will die Kommission Anreize dafür schaffen, dass mehr Dienstleister innovative, bequeme, sichere und kostengünstige europaweite Sofortzahlungslösungen anbieten.

Cyber Defence Policy

Kommissionsvorschlag: angekündigt für den 09. November

Akteure: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik

Inhalt: Die EU macht sich seit Jahren immer mehr Sorgen über die steigende Anzahl an Cyberangriffen von Hackern oder auch staatlichen Akteuren. Das neue Kommissionsdokument “wird darauf abzielen, die Entwicklung von Cyberverteidigungsfähigkeiten voranzutreiben, die industrielle Basis der EU zu stimulieren und Bildung, Ausbildung und Übungen weiter zu fördern”, erläutert eine EU-Beamtin.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Pläne für eine ganzheitliche europäische Cyber-Abwehrpolitik bereits im Jahr 2021 angekündigt, einschließlich Rechtsvorschriften zur Festlegung gemeinsamer Standards im Rahmen eines neuen europäischen Gesetzes zur Cyber-Resilienz. Der ursprüngliche EU-Politikrahmen für Cyberabwehr war im Jahr 2014 angenommen und dann in 2018 aktualisiert worden. Eine der konkretesten Entwicklungen war die Schaffung eines EU-Rechtsrahmens zur Sanktionierung von Cyberangreifern im Jahr 2019. Er wurde ein Jahr später zum ersten Mal angewandt.

Short Term Rental Platform Regulation (Kurzzeitmiete)

Kommissionsvorschlag: voraussichtlich noch in diesem Jahr

Akteure: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton

Inhalt: Im Juli dieses Jahres schickten europäische Städte einen Hilferuf nach Brüssel. Sie forderten die Kommission auf, endlich eine Regulierung zur Bekämpfung der illegalen Kurzzeitmiete auf den Weg zu bringen. Auch das Europäische Parlament hatte die Kommission bereits im Januar 2021 aufgefordert, legislative Maßnahmen zur Kurzzeitmiete zu ergreifen.

Vor allem beliebte Metropolen wie Amsterdam, Berlin oder London, wo bezahlbarer Wohnraum knapp ist und auch Städte, bei denen die Kassen leer sind, wünschen sich einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen. So wollen sie illegale Kurzzeitmiete bekämpfen und auf der anderen Seite auch Instrumente an die Hand bekommen, mit der sie Einnahmen aus legalen Kurzzeitmieten erzielen können.

“Die Kommission arbeitet derzeit an dem Vorschlag, um ihn im Herbst zu verabschieden”, sagte ein Kommissionsbeamter. Der Vorschlag werde sich “hauptsächlich auf Fragen der Transparenz in diesem Sektor konzentrieren”.

Listing Act

Kommissionsvorschlag: erwartet für 07. Dezember 2022

Akteure: EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis

Inhalt: Die EU möchte den Kapitalmarkt modernisieren, um vor allem auch Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittelständischen Firmen den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Denn bisher schrecken viele Unternehmen in der EU vor der Börse zurück und lassen sich die Vorteile entgehen, die ein Börsengang mit sich bringt, wie etwa eine breitere Investorenbasis, höhere Bekanntheit und ein stärkeres Wachstum.

In anderen Volkswirtschaften nutzen KMU viel häufiger den Kapitalmarkt für Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung. Hintergrund ist, dass Börsengänge für KMU in der EU relativ aufwendig und kostenintensiv sind. Ziel des Listing Acts ist es nun, ein einfacheres und praxisgerechteres Regelwerk zu schaffen. Einstiegshürden sowie die aus der Zulassung folgenden Pflichten sollen erleichtert werden.

Bei der Konsultation hat die EU unter anderem folgende Themen adressiert:

  • Prospekte: Vereinfachung der Prospekterstellung, der Prüfung und Billigung des Prospekts, ein einheitliches Registrierungsformular
  • Transparenz: Vereinfachung der Regelungen zur periodischen Publizität und zur Beteiligungspublizität
  • SPAC: Eignung des aktuellen Rechtsrahmens für SPAC (Special Purpose Acquisition Companies, deutsch: Akquisitionszweckgesellschaften)

Auch die deutsche Politik, die im Sommer ihre Start-up-Strategie vorlegte, schaut auf Europa. Denn sie wünscht sich ebenfalls Veränderungen im Kapitalmarktrecht, damit Start-ups bessere Möglichkeiten erhalten, um in Deutschland an die Börse zugehen. Die Revision europäischer Vorgaben spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine Studie zu der Frage “Wie können Börsengänge für Start-ups in Deutschland erleichtert werden?”, die 2021 noch die Vorgängerregierung in Auftrag gegeben hatte, kritisiert vor allem die hohen Hürden beim Kapitalmarktzugang für Start-ups.

Transatlantic Data Privacy Framework (TADPF)

Akteure: Weißes Haus, US-Handelsministerium, EU-Kommission, Europaparlament, EDPB

Inhalt: Bereits seit einem Jahr verhandeln EU-Kommission und Weißes Haus über eine Neuauflage der zuletzt gescheiterten “Privacy Shield”-Vereinbarung. Dafür erarbeitet Bidens Administration derzeit Präsidialverfügungen – Executive Orders genannt.

Nach dem Schrems-II-Urteil des EuGH ist der Druck auf US-Konzerne gewaltig, endlich eine neue, diesmal vielleicht rechtssichere Grundlage für den Transfer personenbezogener Daten aus der EU in die USA zu erhalten. Sobald der Beschluss der zuständigen irischen Datenschutzaufsicht DPC im Fall Facebook veröffentlicht wird, dürfte auch die letzte einst für sicher erklärte Möglichkeit wegfallen.

EU-Justizkommissar Didier Reynders gab sich vor wenigen Tagen in Washington ausgesprochen optimistisch, dass die US-Seite bald ihre Schritte ausbuchstabiert habe. Doch bevor Anpassungen im US-Exekutivrecht eine Wirkung haben könnten, um den EuGH-Anforderungen möglicherweise zu entsprechen, müsste die Kommission eine neue Angemessenheitsentscheidung nach Artikel 45 der DSGVO auf Basis dieser US-Regeländerungen vorlegen.

Diese muss dann von Parlament und dem Ausschuss der Europäischen Datenschutzbeauftragten begutachtet werden – kein kurzer Prozess. Dennoch: Die Zeit drängt – und die US-Digitalwirtschaft die US-Politik auch. Denn die Datenschutzaufsichtsbehörden erhöhten in den vergangenen Monaten die Zahl der Bußgeldverfahren merklich.

CSAM-Verordnung

Kommissionsvorschlag vom 11.05.2022

Akteure: Europaparlament, Rat, Kommission

Inhalt: Der Vorschlag der Innenkommissarin Ylva Johansson, mit dem Internetunternehmen eine verpflichtende Erkennung und Weitergabe von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern auferlegt werden soll, wird einer der großen Streitpunkte der kommenden Monate. Vor allem in Deutschland regt sich Widerstand, die beiden FDP-geführten Ministerien BMDV und BMJ haben sich bereits auf “rote Linien” geeinigt, die sie auf keinen Fall überschritten sehen wollen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich ursprünglich sehr offen für die Pläne der Innenkommissarin gezeigt. Ende Juli hatten der Europäische Datenschutzausschuss und der Europäische Datenschutzbeauftragte massive Kritik an dem Kommissionsvorschlag geäußert.

Die Verordnung ist im Europaparlament dem LIBE-Ausschuss zugewiesen, ein Berichterstatter ist bislang noch nicht benannt.

E-Privacy-Verordnung

Kommissionsvorschlag vom 10.01.2017

Akteure: Europaparlament, Rat, Kommission

Inhalt: Die E-Privacy-Verordnung steckt weiterhin im Trilog fest. Ob sich hier jemals wieder etwas bewegen wird, ist offen, auch die tschechische Ratspräsidentschaft hat den gordischen Knoten bislang nicht durchschlagen können. Es wird nicht erwartet, dass die Kommission dieses Dossier, das seit über fünf Jahren im Prozess festhängt, zurückzieht.

Für einen Problemkomplex allerdings hofft die Bundesregierung einen Lösungsansatz bieten zu können: Mit der Verordnung zum TTDSG zu Personal Information Management Systems (PIMS), die im kommenden Frühjahr in Kraft treten soll, könnte ein Vorbild für einen europäischen Kompromiss gefunden sein – wenn sich die deutsche Lösung denn auch als solche erweist. Die aber muss erst durch die deutschen Institutionen.

Mehrwertsteuerrecht im digitalen Zeitalter

Akteur: Kommission
Termin: Vorstellung erwartet für den 16.11.2022

Inhalt: Die EU-Kommission wird voraussichtlich Mitte November einen Vorschlag zur Überarbeitung des Mehrwertsteuerrechts vorlegen. Dabei geht es unter anderem um die Möglichkeit für Onlineanbieter, sich einer besonders lästigen Pflicht noch einfacher zu entledigen: Ist ein Unternehmer nur in einem Mitgliedstaat ansässig, muss er im Maximalfall dennoch mit 27 Finanzbehörden der jeweiligen Mitgliedstaaten zurechtkommen. Mit dem 2021 eingeführten One-Stop-Shop-Verfahren sollte das eigentlich schon unnötig sein – Steuern für andere Mitgliedstaaten sollen zentral, etwa über das Bundeszentralamt für Steuern in Deutschland abgeführt werden.

Doch die Kommission sieht hier offenbar Nachbesserungsbedarf. Insbesondere die Anpassung der verpflichtenden Angaben (DRR) war ein Gegenstand einer Konsultation: Hier könnte ein eigenständiger Standard für EU-Umsätze eingeführt werden. Außerdem könnten über diesen Umweg elektronische Rechnungen im B2B-Bereich verpflichtend eingeführt werden. Kompliziert bleibt allerdings weiterhin die Frage der Steuerbarkeit und anzuwendender Steuersätze über Onlineplattformen angebotener Dienstleistungen. Hier könnte eine weitere Harmonisierung mit dem Vorschlag kommen.

PEGA-Ausschuss

Akteur: Europaparlament, PEGA-Ausschuss

Inhalt: Der Sonderausschuss für die Untersuchung des Ge- und Missbrauchs von Spyware, der in Folge des mutmaßlich missbräuchlichen Einsatzes der Pegasus-Spyware des israelischen Anbieters NSO auch durch EU-Staaten eingerichtet wurde, hat ein gut gefülltes Programm. Zuletzt fanden Dienstreisen zur Faktenfeststellung statt, und zwar nach Griechenland, wo Behörden die Predator-Software eingesetzt haben sollen, und Polen, das mit NSO über Pegasus einen Vertrag geschlossen hatte, sowie nach Israel.

In den kommenden Monaten wird der Ausschuss sich mit stärker den gewünschten Konsequenzen seiner Erkenntnisse beschäftigen müssen: Etwa, ob die Dual-Use-Verordnung erneut angepasst werden muss. Ein anderes Element aus dem PEGA-Auftrag hat die EU-Kommission bereits in ihren Vorschlag für einen Media Freedom Act aufgenommen: ein striktes Verbot des Einsatzes von Spyware gegen Journalisten und Medienunternehmen ohne richterliche Anordnung.

Kreislaufwirtschaft: Ökodesign-Vorgaben und Recht auf Reparatur

Akteure: Kommission, Parlament

Inhalt: Auf der Grundlage des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft von 2020 bringt die Kommission eine Reihe neuer Anforderungen an elektronische Geräte auf den Weg.

Noch bis zum 28. September läuft eine öffentliche Konsultation über erste Entwürfe für eine Verordnung über die Anforderungen an das Ökodesign und die Energieverbrauchskennzeichnung von Mobiltelefonen und Tablets. Laut der Vorschläge sollen Hersteller die Geräte robust, reparierbar und wiederverwendbar gestalten. Ersatzteile sollen etwa schneller verfügbar und leichter austauschbar sein. Die Vorgaben beziehen sich auch auf das Betriebssystem: Die Geräte müssen etwa über eine Funktion verfügen, die sie auf die Werkseinstellungen zurücksetzt. Informationen über Reparatur und Wartung sollen besser zugänglich sein und auch Anweisungen für Soft- und Firmware beinhalten.

Ein neues Produktlabel soll Informationen über Energieeffizienz, Reparierbarkeit und Robustheit der Geräte für Verbraucher transparent machen. Die Annahme der Rechtsakte ist laut Kommissionskreisen für Ende 2022 oder Anfang 2023 vorgesehen. Die Anforderungen würden zwölf bis 18 Monate nach Inkrafttreten der Rechtsakte gelten.

Währenddessen verhandelt der Umweltausschuss im Parlament über die Novelle der Ökodesign-Richtlinie, welche die Kommission als Teil des ersten Maßnahmenpakets zur Kreislaufwirtschaft vor einem halben Jahr vorgestellt hat. Die Richtlinie soll in eine Verordnung umgewandelt werden, die dann größere Auswirkungen in den Mitgliedstaaten hätte. Anhand der Novelle sollen nahezu alle Produktgruppen umfangreiche Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen – etwa bestimmte Recyclinganteile der Materialien oder Reparierbarkeit. Auch ein digitaler Produktpass ist Teil des Vorschlags. Berichterstatterin ist Simona Bonafè (S&D).

Als Teil des zweiten Pakets Kreislaufwirtschaft wird Věra Jourová, Kommissarin für Werte und Transparenz, am 30. November außerdem einen weiteren Gesetzesvorschlag vorlegen, der das “Recht auf Reparatur” für Verbraucherinnen stärken soll.

Leonie Düngefeld, Ella Joyner, Falk Steiner und Corinna Visser

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News

EuGH-Generalanwalt: Bundeskartellamt darf Datenschutz von Meta prüfen

Kartellbehörden dürfen bei ihren Wettbewerbsuntersuchungen nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshof (EuGH) auch die Einhaltung der Datenschutzvorschriften prüfen. Zu dieser Einschätzung kam Generalanwalt Athanasios Rantos am Dienstag im Streit zwischen dem Bundeskartellamt und der Facebook-Mutter Meta. In der Regel folgt der EuGH der Argumentation des Generalanwalts.

Die Facebook-Muttergesellschaft Meta hatte das Vorgehen des Bundeskartellamts kritisiert, das der umfassenden Sammlung der Daten von Facebook-Nutzern einen Riegel vorschieben will. Die Behörde überschreite ihre Kompetenzen und missachte die Zuständigkeit der irischen Datenschutzbehörde, argumentierte der Konzern. Generalanwalt Rantos erklärte am Dienstag jedoch, eine Wettbewerbsbehörde könne bei der Ausübung ihrer Befugnisse die Vereinbarkeit einer Geschäftspraxis mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung untersuchen. Allerdings müssten die Wettbewerbsbehörden jede Entscheidung oder Untersuchung der zuständigen Datenschutzbehörde berücksichtigen.

Personenbezogene Daten bei WhatsApp und Instagram

Bei der Verhandlung vor dem EuGH im Mai hatte das Bundeskartellamt den Vorwurf von Meta zurückgewiesen, nicht mit der irischen Datenschutzbehörde kooperiert zu haben, die für Facebook wegen dessen Konzernsitz in Irland zuständig sei. Es habe sehr wohl Kontakte zur irischen Behörde gegeben, erklärte der Vertreter der Bonner Behörde damals.

Das Kartellamt hatte 2019 entschieden, dass Facebook seine Marktmacht missbraucht habe, indem es bestimmte Daten von Nutzern ohne deren ausdrückliche Zustimmung sammelte. Dabei ging es um personenbezogene Daten, die Nutzer bei WhatsApp oder Instagram und anderen Diensten hinterlassen.

Das Kartellamt hatte Facebook auch mit Verweis auf den Datenschutz untersagt, die Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Dagegen geht der US-Konzern juristisch vor. Das zuletzt zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf legte den Fall dem EuGH vor, um zentrale Fragen von dem europäischen Gericht zu klären. rtr

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Tschechische Ratspräsidentschaft: Kompromissentwurf zur Strommarktreform

Nachdem die Kommission vergangene Woche einen Vorschlag zur Reform des Elektrizitätsmarkts zur Senkung der Strom- und Gaspreise vorgelegt hat, kommen von der tschechischen Ratspräsidentschaft nun erste Kompromissvorschläge. In dem Entwurf heißt es zwar weiterhin, dass die Strompreisobergrenze bei 180 Euro pro MWh liegen soll, aber Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, eine höhere Obergrenze einzuführen, wenn die Erzeugungskosten über 180 Euro liegen. In diesem Fall sollen die Länder dennoch eine eigene Obergrenze festlegen. Dabei dürften allerdings nicht mehr CO2-Emissionen verursacht werden.

Die Preisobergrenze soll auch für Strom aus Braunkohle, nicht aber aus Steinkohle gelten. Mitgliedstaaten könnten jedoch nationale Maßnahmen zur Begrenzung der Erlöse durch Steinkohleverstromung festlegen, sofern sie das Merit-Order-Prinzip und die Preisbildung auf dem Großhandelsmarkt nicht beeinträchtigen.

Gewinnabschöpfung kann vermieden werden

Die Senkung der Stromnachfrage zu Spitzenzeiten soll, wie auch von der Kommission vorgeschlagen, 5 Prozent betragen. Aber gemäß dem Vorschlag der Ratspräsidentschaft würde die Spitzenlast nicht auf monatlicher Basis berechnet, sondern auf Grundlage des höchsten Verbrauchs in mindestens 10 Prozent der Stunden des Zeitraums zwischen dem 1.12.2022 und dem 31.03.2023.

Die Abschöpfung von 33 Prozent der Gewinnüberschüsse der fossilen Industrie sollen auch weiterhin zugunsten eines befristeten Solidaritätsbeitrags durchgeführt werden. Allerdings sollen Mitgliedstaaten auf die Abschöpfung verzichten können, wenn sie bereits durchgeführte “gleichwertige nationale Maßnahmen” vorweisen können. Mitgliedstaaten sollen zudem in der Lage sein, überschüssigen Einnahmen aus Engpasserlösen zur Finanzierung von Maßnahmen zur Unterstützung von Stromendkunden zu verwenden. luk

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Deutschland stößt Debatte zu Einstimmigkeitsprinzip an

Die Bundesregierung hat in Brüssel eine Debatte über die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen angestoßen. Das sogenannte Qualified Majority Voting (QMV) sollte auch in der Außenpolitik und bei Sanktions-Entscheidungen eingeführt werden, sagte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann am Rande des Allgemeinen Rats in Brüssel. Man sei mit gleichgesinnten Ländern im Gespräch.

Der tschechische Ratsvorsitz unterstützt die deutsche Initiative. Eine Mehrheit der EU-Staaten sei bereit, über QMV zu diskutieren, sagte der tschechische Europaminister Mikuláš Bek nach dem Ratstreffen. Damit die 27 das Einstimmigkeitsprinzip aufgeben, müsse jedoch zunächst Vertrauen geschaffen werden, etwa durch eine Folgenabschätzung. Außerdem müsse man “Schritt für Schritt” vorgehen.

Widerstand kam wie erwartet von Ungarn, aber auch aus Irland und Österreich. In der Sanktionspolitik sei es “die wahre Stärke der EU (…), dass wir auch Beschlüsse einstimmig fassen”, sagte Österreichs EU-Ministerin Karoline Edtstadler. “Die Bürger danken es uns nicht, wenn wir uns durch Verfahrensfragen ablenken lassen”, warnte der irische Europaminister Thomas Byrne. Auch Polen hat bereits seine Skepsis geäußert (Europe.Table berichtete).

Lührmann versprach, auf die Bedenken der Skeptiker einzugehen. Die Grünen-Politikerin zeigte sich “optimistisch, dass Fortschritte möglich sind”. Berlin will dafür die sogenannte Passerelle-Klausel im EU-Vertrag nutzen. Damit können die Staats- und Regierungschefs beschließen, in bestimmten Bereichen zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen.

Allerdings ist dafür wiederum Einstimmigkeit nötig. Ungarn könnte die Reform also mit einem Veto blockieren. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Ende August in seiner Prager Europarede dafür geworben, schrittweise zu Mehrheitsbeschlüssen überzugehen. Dies sei auch für die Aufnahme neuer Mitglieder wie der Ukraine nötig, heißt es in Berlin. ebo

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Kürzung von EU-Mitteln: Ungarns Regierung reicht Gesetz ein

Die ungarische Regierung hat ein erstes Gesetz im Parlament eingereicht, um eine drohende Kürzung von EU-Mitteln abzuwenden. Es sieht eine Unvereinbarkeitsregelung für die Mitglieder von Kuratorien öffentlicher Stiftungen sowie eine verbesserte Amtshilfe für die EU-Korruptionsermittlungsbehörde OLAF vor. Der Gesetzesvorschlag erschien am Montagabend auf der Webseite des ungarischen Parlaments. Ein weiteres Gesetzespaket will die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán noch am Freitag einbringen.

Ein besonders heikler Fall sind die öffentlichen Stiftungen, denen die Orbán-Regierung die meisten Universitäten des Landes zugespielt hat. In deren Kuratorien sitzen nahezu ausschließlich Orbán-loyale Persönlichkeiten, unter ihnen Minister und Staatssekretäre. Selbst nach einem Regierungswechsel könnten diese Personen nicht ausgetauscht werden.

Amtshilfe für OLAF

Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass die Kuratoriumsmitglieder nicht an Stiftungsentscheidungen teilnehmen dürfen, bei denen sich für sie Interessenskonflikte auftun würden. Die Politiker müssten aber künftig nicht aus den Kuratorien ausscheiden, beeilte sich der ungarische EU-Chefverhandler Tibor Navracsics am Dienstag im TV-Sender ATV zu erklären. “Die EU-Kommission erwartet das nicht”, sagte er. Navracsics sitzt selbst einer Stiftung vor, die die Pannonische Universität in der westungarischen Stadt Veszprém verwaltet.

Zudem bestimmt der Gesetzesentwurf, dass die ungarische Steuerbehörde NAV den Ermittlern der EU-Agentur OLAF Amtshilfe leisten wird. Unter anderen soll NAV den OLAF-Kollegen bei Ermittlungen in Ungarn Amtsräumlichkeiten zur Verfügung stellen und ihnen den Zugang zu den Datenbasen und Dokumenten des Finanzamts ermöglichen. dpa

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Tony Murphy wird Präsident des Rechnungshofs

Der Ire Tony Murphy wird neuer Präsident des Europäischen Rechnungshofs (EuRH). Murphy, 1962 geboren, erzielte die erforderliche Mehrheit im Gremium der 27 Mitglieder im zweiten Wahlgang. Murphy tritt sein Amt am 1. Oktober an. Er ist der zwölfte Präsident des Kontrollorgans für alle Einnahmen und Ausgaben der EU-Institutionen und tritt die Nachfolge von Klaus-Heiner Lehne an, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidierte. Eine Amtszeit dauert drei Jahre.

Jedes Mitgliedsland der EU entsendet einen Vertreter in den EuRH. Der Präsident des EuRH versieht sein Amt im Verständnis eines primus inter pares. Murphy blickt auf eine lange Laufbahn als Rechnungs- und Wirtschaftsprüfer zurück. Er hat als Prüfer am irischen Rechnungshof 1979 begonnen und wechselte als abgeordneter nationaler Sachverständiger 1999 zur Kommission. Seit 2003 ist er EU-Beamter, 2013 wechselte er an den EuRH, wo er zunächst das Kabinett eines Mitglieds leitete. mgr

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  • Rechnungshof

ESM: Beide Kandidaten für Regling-Nachfolge ziehen zurück

Bis zum 7. Oktober muss eine Nachfolge für Klaus Regling beim ESM gefunden werden. Der geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der seit 2010 auch den Euro-Rettungsschirm EFSF leitet, geht an diesem Tag in Pension. Mit der Suche nach einem Nachfolger ist Paschal Donohoe betraut, der Finanzminister von Irland und Chef der Eurogruppe.

Donohoe twitterte gestern, dass die beiden bisherigen Kandidaten für die Regling-Nachfolge nicht mehr zur Verfügung stehen. Seine Kollegen, die Finanzminister von Luxemburg und Portugal, hätten ihn informiert, dass die jeweiligen Kandidaten aus den beiden Ländern ihre Bewerbung zurückziehen. Pierre Gramegna aus Luxemburg und João Leão aus Portugal konkurrierten um den Posten. In der Eurogruppe gab es ein Patt. Gramegna wurde von einer Gruppe von Mitgliedstaaten aus dem Norden Europas unterstützt, Leão von südlichen Mitgliedstaaten.

Donohe würdigte beide als “exzellente Bewerber” und dankte ihnen für die Bereitschaft, den Posten zu übernehmen. Er werde seine Bemühungen, einen Regling-Nachfolger zu finden, fortsetzen. Beobachter gehen davon aus, dass mit dem koordinierten Rückzug der beiden konkurrierenden Kandidaten der Weg für einen Kompromisskandidaten frei gemacht werden soll. mgr  

  • EU-Finanzen
  • Eurozone

EU-Beamter: 14 Millionen Tonnen Agrarprodukte aus der Ukraine befördert

Mithilfe der EU-Kommission sind bislang insgesamt 14 Millionen Tonnen an landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine exportiert worden. Über sogenannte Solidaritätsspuren und die Schwarzmeerhäfen wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor allem Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine in die EU geliefert, wie ein EU-Beamter am Dienstag sagte. 61 Prozent der Güter wurden den Angaben zufolge über die speziell errichteten Korridore transportiert, die restlichen 39 Prozent über das Schwarze Meer.

Nach Angaben der Kommission werden unter normalen Umständen 90 Prozent der ukrainischen Getreide- und Ölsaatenexporte – dazu zählen Sonnenblumen und Raps – über die Schwarzmeerhäfen des Landes verschifft. Im Mai hatten nach Angaben der EU-Kommission noch 20 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine festgesteckt und drohten, die Lagerstätten zu blockieren, die für die nächsten Ernten benötigt wurden.

Bisher wurden die Waren vor allem auf dem Landweg über Polen und Teile Südosteuropas transportiert, wie der EU-Beamte weiter erläuterte. So konnte etwa auch humanitäre Hilfe in die Ukraine gebracht werden. Bald sollen auch Transportwege über Mitteleuropa, etwa nach Frankreich, Spanien oder Italien, erschlossen werden.

Eine Hürde beim Transport der Waren besteht darin, dass die ukrainischen Zugwaggons nicht mit dem Großteil des EU-Schienennetzes kompatibel sind, wie der EU-Beamte erklärte. Eine Studie soll nun zeigen, wie viele Strecken tatsächlich von dem Problem betroffen sind, um anschließende Anpassungen vorzunehmen. Bislang mussten die meisten Waren auf Lastwagen oder andere Waggons umgeladen werden. dpa

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Presseschau

Verstoß gegen EU-Recht: EuGH kippt anlasslose Vorratsdatenspeicherung TAGESSCHAU
EuGH befasst sich mit Datensammelpraxis von Facebook ZEIT
EU billigt endgültig weitere Milliardenhilfe für Ukraine DONAUKURIER
EU-Staaten unterstützen radikale Pläne für den Strommarkt SUEDDEUTSCHE
Energiekrise in Europa: Belgien knipst Autobahnbeleuchtung aus TAGESSCHAU
Entlastung für Bürger: Niederlande zahlen Grundbedarf für Strom und Gas SPIEGEL
Bulgarien verzichtet langfristig auf Gas von Russlands Gazprom HANDELSBLATT
EU-Reform: Widerstand gegen deutschen Vorstoß für Mehrheitsentscheidungen DEUTSCHLANDFUNK
Europa will sich weiter gegen Geflüchtete abschotten FR
Vorschlag eingebracht: Ungarns Regierung will mit Gesetz die Kürzung von EU-Mittel abwenden DERSTANDARD

Heads

Jan Rosenow – Europas Klimaberater

Europas Klimaberater: Man sieht Jan Rosenow, er ist Europäischer Geschäftsführer bei Regulatory Assistance Project.
Jan Rosenow ist Europäischer Geschäftsführer bei Regulatory Assistance Project.

In einer Zeit, in der die Turbulenzen auf Europas Energiemarkt täglich Schlagzeilen produzieren, bleibt Jan Rosenow optimistisch: “Im Großen und Ganzen denke ich, dass wir auf einem guten Weg sind, unsere Klimaziele zu erreichen“, antwortet er auf die Frage, wie das Energiesystem in zehn Jahre aussehen wird.

Der 42-Jährige ist Head of European Programs beim Regulatory Assistance Project (RAP). RAP ist ein “think-and-do-tank”, wie Rosenow es gern bezeichnet. Die Organisation arbeitet Hand in Hand mit Entscheidungsträgern in mehreren Regionen der Welt, um die Energiewende voranzutreiben. “Unser Schwerpunkt ist die Dekarbonisierung und dass wir durch intelligente Politik, Regulierung und Marktgestaltung ein sauberes Energiesystem schaffen”, sagt er.

Berater für Kommission und EU-Parlament

Aufgewachsen ist Rosenow in einem Dorf nahe Bielefeld. Sein Vater war aktives Mitglied bei den Grünen. Schon im dritten Schuljahr animierte er seine Klassenkameraden zu Hilfsaktionen, erzählt er. “Wir haben zum Beispiel Abfälle gesammelt oder Vogelhäuser gebaut, die wir am Wochenmarkt verkauft haben, um dann die Einnahmen an Regenwald-Schutzorganisationen zu spenden.”

Nach dem Studium der Geowissenschaften in Münster absolviert Rosenow einen Master in Environmental Policy an der London School of Economics. Daran schließt sich ein PhD in Energy Policy in Oxford an. Sein Fachwissen in Fragen des Energiemarktes ist sehr gefragt. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament­­­­, die International Energy Agency, USAID und das britische Parlament sind nur einige der Institutionen, die ihn als Berater hinzugezogen haben.

Europa muss Energieeffizienz steigern

In seinem aktuellen Auftrag beim RAP unterstützt Rosenow die EU bei ihrem ambitionierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dabei sieht er manche Sektoren weiter fortgeschritten als andere. “Der Energiesektor ist im Großen und Ganzen auf einem guten Weg, und wir haben verstanden, wie wir diese Technologien skalieren können”, sagt er.

Im Transport, im Bauwesen und beim Heizen, sowie in der Industrie sieht er noch großen Nachholbedarf. Europa müsse massiv in Technologien investieren und strategische Politik betreiben, um seine Energieeffizienz zu steig­­­ern – das heißt: Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, energetische Sanierungen und andere Maßnahmen, die “die Energieverschwendung und Ineffizienz im System verringern”.

Die aktuelle, durch den russischen Einmarsch in die Ukraine erzeugte Energiekrise wird aus seiner Sicht die Energiewende “massiv beschleunigen”. Man müsse in Kauf nehmen, dass kurzfristig Kohlekraftwerke wieder hochgefahren werden und ein wenig an der Gasinfrastruktur gebaut werden müsse, so Rosenow. “Der viel wichtigere Schritt, den ich sehe, ist eine massive Investition in grüne Technologien“. Die aktuell hohen Energiepreise würden dabei für einen kräftigen Schub sorgen, glaubt er. Michael Grubb

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Nach EuGH-Urteil: Quick Freeze statt Vorratsdatenspeicherung
    • Energiekrise und Proteste: Belgien ruft die EU um Hilfe
    • Digitalpolitik Teil 2: Vorhaben auf der Herbstagenda
    • EuGH-Generalanwalt: Bundeskartellamt darf Datenschutz von Meta prüfen
    • Tschechische Ratspräsidentschaft: Kompromissentwurf zur Strommarktreform
    • Deutschland stößt Debatte zu Einstimmigkeitsprinzip an
    • Kürzung von EU-Mitteln: Ungarns Regierung reicht Gesetz ein
    • Tony Murphy wird Präsident des Rechnungshofs
    • ESM: Beide Kandidaten für Regling-Nachfolge ziehen zurück
    • EU-Beamter: 14 Millionen Tonnen Agrarprodukte aus der Ukraine befördert
    • Im Porträt: Jan Rosenow – Europas Klimaberater
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    es ist keine Überraschung, entspricht die Entscheidung doch der bisherigen Rechtsprechung: Gestern hat der EuGH bestätigt, dass EU-Recht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung seiner Bürgerinnen und Bürger entgegensteht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) reagierte begeistert auf das Urteil – und verwies auf Quick Freeze als Alternative. Doch das Thema ist damit noch längst nicht beendet. Datenschützer sehen Diskussionsbedarf – ebenso wie manche von Buschmanns Koalitionspartnern. Corinna Visser hat die vielfältigen Reaktionen auf das Urteil zusammengetragen – und mit einem Experten für IT-Sicherheitsrecht gesprochen, der eine verpasste Chance beklagt. 

    Auf der berühmten Grand Place in Brüssel gehen die Lichter nun früher aus – und auch am belgischen Autobahnnetz, das in normalen Zeiten nachts gut ausgeleuchtet war, lässt sich die Energiekrise ablesen. Dabei steht Belgien bei der Energieversorgung nicht mal schlecht da. Für Unruhe sorgen allerdings die massiv steigenden Energiepreise. Dem Land stehen große Proteste bevor, auch die Gelbwesten planen ihr Comeback. “Wir drohen in eine Kriegswirtschaft zu geraten, Europa muss eingreifen”, sagt Premierminister Alexander De Croo. Doch Hilfe aus Brüssel ist bislang nicht in Sicht, wie Eric Bonse berichtet. 

    In ihrer Rede zur Lage der EU hat Ursula von der Leyen sich einer ganzen Reihe an Themen gewidmet – um die Digitalisierung ging es jedoch kaum. Dabei stehen in der kommenden Zeit einige wichtige Digitalvorhaben an. Nachdem wir Ihnen zu Beginn des Monats einen ersten Überblick über die kommenden digitalpolitischen Projekte gegeben haben, folgt nun der zweite Teil. Auf der Agenda für den Herbst stehen etwa die Verhandlungen über den Chips Act und der Kommissionsvorschlag zur Cyber Defence Policy. Die Kommission wartet zurzeit auf Schritte von US-amerikanischer Seite zum Transatlantic Data Privacy Framework (TADPF), der Neuauflage der gescheiterten “Privacy Shield”-Vereinbarung. Einer der großen Streitpunkte dürfte der Vorschlag zur CSAM-Verordnung werden, mit dem Internetunternehmen eine verpflichtende Erkennung und Weitergabe von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern auferlegt werden soll. Vor allem in Deutschland regt sich Widerstand.

    Ihre
    Sarah Schaefer
    Bild von Sarah  Schaefer

    Analyse

    Nach EuGH-Urteil: Quick Freeze statt Vorratsdatenspeicherung

    Wenig überraschend hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom Dienstag bestätigt, dass EU-Recht einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten seiner Bürgerinnen und Bürger entgegensteht. Damit hält sich der EuGH an seine bisherige Rechtsprechung.

    Der EuGH räumt Ausnahmen ein, etwa wenn eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit vorliege. Zur Bekämpfung schwerer Kriminalität können die Mitgliedstaaten demnach unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine gezielte Vorratsspeicherung und/oder umgehende Sicherung solcher Daten sowie eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen vorsehen. Das sieht vor allem die Piratenpartei kritisch, die überhaupt bezweifelt, dass die Vorratsdatenspeicherung (VdS) bei der Ermittlung schwerer Straftaten einen messbaren Einfluss hat (siehe Studie).

    Herbeigeführt hatte das Verfahren vor dem EuGH der Münchner Internetprovider SpaceNet, der 2016 mit Unterstützung des Eco-Verbands der Internetwirtschaft eine Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingereicht hatte. “Nach sechs Jahren Verfahren sind wir froh, dass das Thema Vorratsdatenspeicherung endlich geklärt ist”, kommentierte Sebastian von Bomhard, Gründer und Vorstand von SpaceNet das EuGH-Urteil. “Jetzt herrscht wieder Rechtssicherheit für die Internetbranche, unsere Kunden und alle Bürger.” Doch tatsächlich ist die Diskussion damit noch nicht beendet.

    Umstritten seit den 90er-Jahren

    Die Vorratsdatenspeicherung (VdS) ist umstritten, seit der Bundesrat 1996 zum ersten Mal Mindestfristen zur Speicherung von Daten zur Kriminalitätsbekämpfung fordert.

    • 2006 fordert die EU die Mitgliedsstaaten auf, die Vorratsdatenspeicherung im Landesrecht zu verankern.
    • 2007 beschließt der Bundestag ein entsprechendes Gesetz, das das Bundesverfassungsgericht 2010 in dieser Form für verfassungswidrig erklärt.
    • 2014 wiederum erklärt der EuGH die EU-Richtlinie für ungültig.
    • 2015 verabschiedet Deutschland ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung.
    • 2016 reicht SpaceNet Klage beim Verwaltungsgericht Köln ein.
    • 2017 setzt die Bundesnetzagentur die Speicherfrist für die Verbraucher aus. Auch die Telekom lässt nun gerichtlich klären, was gespeichert werden muss.
    • 2018 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, dass SpaceNet und die Telekom bis zu einer EuGH-Entscheidung keine Verbindungsdaten speichern müssen. Seither liegt das Gesetz in Deutschland faktisch auf Eis.

    Das deutsche Gesetz enthielt dabei deutlich abgespeckte Pflichten für die Anbieter: Die zu speichernden Daten waren Metadaten zu Kommunikationsvorgängen. Das sind zum Beispiel Zeitpunkt und Dauer eines Telefonats, wer mit wem telefoniert oder eine SMS geschrieben hat oder die IP-Adresse eines Geräts im Internet. Nicht gespeichert werden die Inhalte der Kommunikation, also das Gespräch oder die Nachricht selbst oder welche Internetseite aufgerufen wurde.

    Nicht umfasst waren auch sogenannte Over-the-Top-Dienste wie WhatsApp oder Signal, die auf Internetprotokoll-Basis funktionieren. Nach einer gewissen Frist – im aktuellen Fall je nach Daten zwischen vier und zehn Wochen – müssen die Daten gelöscht werden. Vorher können zuständige Behörden mit einem richterlichen Beschluss eine Herausgabe der Daten zu Ermittlungszwecken verlangen.

    Die Internetwirtschaft begrüßt das Urteil

    Der Eco-Vorstandsvorsitzende Oliver Süme zeigt sich erleichtert, dass das “Urteil zugunsten unserer Grundrechte” ausgefallen sei. “Die Vorratsdatenspeicherung greift massiv in die Privatsphäre fast aller deutschen Nutzer:innen ein und bringt dann noch nicht einmal einen nachgewiesenen Mehrwert für die Strafverfolgung. Noch dazu kostet es die Branche geschätzt mehr als 600 Millionen Euro.”

    Süme ist der Meinung, dass das Urteil der Bundesregierung die Gelegenheit eröffnet, eine politische Weichenstellung vorzunehmen. “Es wäre wünschenswert, wenn die Politik diese Chance auch ergreift und damit endlich Klarheit über die Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung schafft“, sagt er. “Die Bundesregierung sollte daher zeitnah die Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung in die Wege leiten. Damit würden die Bürgerrechte auch bei der digitalen Kommunikation gestärkt und die Unternehmen bekämen die dringend benötigte Rechts- und Planungssicherheit.”

    Ähnlich argumentiert die Deutsche Telekom: “Für uns ist die Rechtssicherheit bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung entscheidend“, teilt die Telekom auf Anfrage mit. Mit der EuGH-Entscheidung werde eine höhere Rechtssicherheit geschaffen. “Es ist nun am Gesetzgeber, diese Vorgaben umzusetzen.”

    Die Bundesregierung hatte die erneute Schlappe vor dem EuGH vorausgesehen. Im Koalitionsvertrag schrieben die Regierungsparteien Ende 2021, dass die Koalition die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten werde, “dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können”.

    Keine Einigkeit in der Koalition

    Dennoch sind sich nicht alle Koalitionäre einig in ihrer Einschätzung: In einer ersten Reaktion auf Twitter kommentiert Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP): “Ein guter Tag für die Bürgerrechte! Der EuGH hat in einem historischen Urteil bestätigt: Die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ist rechtswidrig. Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen.”

    Damit meint Buschmann das Telekommunikationsgesetz (TKG). In ein bis zwei Wochen werde ein Referentenentwurf vorliegen, kündigt Buschmann in einem weiteren Statement an. Es gebe andere Ermittlungsmethoden, die zur Verfügung stehen – wie etwa Quick Freeze.

    Bei Quick Freeze stellen Ermittlungsbehörden eine anlassbezogene Anfrage an die Internet- oder Telekombetreiber, diese speichern ab diesem Zeitpunkt die Daten. Dann wird ein Richter eingeschaltet. Erst wenn dieser der Meinung ist, dass der Anlass den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigt, sendet der Anbieter die gespeicherten Daten an die Ermittler.  

    Doch in der Koalition herrscht keineswegs Einigkeit. Streichen will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) die Vorratsdatenspeicherung nicht. Sie weist darauf hin, dass der EuGH klargestellt habe, welche Daten zum Schutz der nationalen Sicherheit und zur Bekämpfung schwerer Kriminalität gespeichert werden dürften. Er habe auch ausdrücklich entschieden: “IP-Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können.” Zudem gestatte er gezielte Anordnungen zum Speichern für bestimmte Orte wie etwa Flughäfen, Bahnhöfe oder für Gegenden mit hoher Kriminalitätsbelastung. Diese rechtlichen Möglichkeiten müssten nun auch genutzt werden, sagt Faeser.

    Sie ist überzeugt, dass diese Daten für die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder besonders hilfreich sind. Doch Faeser müsste hier viel Überzeugungsarbeit leisten: Im Koalitionsvertrag hatten sich FDP und Grüne durchgesetzt – dort heißt es: Nach einem EuGH-Urteil “werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.” Beide SPD-Vorsitzende waren als Digitalpolitiker früher erklärte Gegner der Vorratsdatenspeicherung – der heutige Kanzler wiederum dafür.

    Wirtschaft schlägt Alternativen vor

    Die Wirtschaft ist anderer Meinung als Faeser: “Mit seinem heutigen Urteil beerdigt der EuGH faktisch die Vorratsdatenspeicherung. Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom. “Die Politik ist aufgefordert, andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen.”

    So sieht das auch Eco-Chef Süme. “Um die Verbrechensbekämpfung effizienter zu machen, sollte die Bundesregierung über alternative Ansätze wie Quick Freeze oder punktuelle und anlassbezogene Maßnahmen diskutieren“, meint er. “Für wichtig halte ich auch die richtige Priorisierung innerhalb der Ermittlungsbehörden: Werden zeitkritische Fälle vorrangig bearbeitet, müssten Daten erst gar nicht über einen so langen Zeitraum gespeichert werden. Dafür braucht es bei den Strafverfolgungsbehörden natürlich auch das Personal, das entsprechend ausgebildet und ausgestattet ist.”

    Die Datenschützer der Grundrechts-NGO Epicenter.works, die im EuGH-Verfahren von 2014 als klagende Partei auftraten, begrüßen die EuGH-Entscheidung. “Wir freuen uns über das heutige Urteil und sehen unsere Kritik an der Vorratsdatenspeicherung ein weiteres Mal bestätigt“, sagt Thomas Lohninger von Epicenter.works. Allerdings zeige sich immer deutlicher ein enormes rechtsstaatliches Defizit in Europa. Denn obwohl der EuGH seit 2014 wiederholt diese anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung als grundrechtswidrig aufgehoben habe, hielten immer noch viele Mitgliedstaaten “an diesen illegalen Überwachungsgesetzen” fest.

    “Totalitäre Maßnahme”

    “Bis heute hat es die EU-Kommission versäumt, längst überfällige Vertragsverletzungsverfahren gegen Länder mit Vorratsdatenspeicherung einzuleiten”, kritisierte Lohninger. “Die EU-Kommission verliert ihre Glaubwürdigkeit gegenüber Polen und Ungarn, wenn Verstöße gegen das EU-Primärrecht in Fällen hingenommen werden, wo das Frankreich und Deutschland politisch opportun erscheint.” In einem Rechtsstaat sollten Grundrechte für alle gelten und höchstgerichtliche Urteile dürften nicht über viele Jahre ignoriert werden, meint der Datenschützer.

    Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piratenpartei) fordert die Ampelkoalition auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beenden: “Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Kommunikation, Bewegungen und Internetnutzung völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist”, sagt Breyer und kritisiert: “Der EU-Gerichtshof hat auf massiven Druck überwachungswütiger Regierungen eine IP-Vorratsdatenspeicherung im Internet nicht beanstandet. Sie würde aber jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen.”

    IP-Adressen seien wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. Breyer ruft “die Ampelkoalition dazu auf, jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit einem neuen Gesetz abzuschaffen und sich für ein Europa frei von Massenüberwachung und Generalverdacht einsetzen.”

    Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen, hätte es begrüßt, wenn sich der EuGH rechtlich noch klarer im Sinne der informationellen Grundrechte geäußert hätte. Nun müsse man mit dem Urteil arbeiten. Für die Bundesregierung bedeute dies, dass die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor nicht vom Tisch sei, und das Thema die Politik mit Sicherheit noch weitere Jahre verfolgen werde.

    Neubewertung der Sicherheitsarchitektur

    “Die bekannten Bereichsausnahmen wie der Schutz nationaler Sicherheitsinteressen, der Bekämpfung (schwerer) Kriminalität sowie der Gefahrenabwehr lässt den Mitgliedstaaten nach wie vor viele Handlungsspielräume“, sagt der Jurist. Man habe bereits kurz nach Veröffentlichung des Urteils in Deutschland gesehen, dass dieser Handlungsspielraum politisch auch genutzt werden soll, indem man sich zumindest des Quick-Freeze-Verfahrens bedienen will. “Das bedeutet, dass der bekannte Sicherheitsaktionismus auch unter der Ampel-Koalition bei Weitem nicht raus ist.”

    Sinnvoller wäre es gewesen, meint Kipker, das Urteil endlich einmal zum Anlass zu nehmen, die gesamtstaatliche Sicherheitsarchitektur einer konkreten Neubewertung zu unterziehen und “in der Rumpelkammer vielfach angestaubter staatlicher Überwachungsinstrumente einmal zu schauen, was man wirklich noch braucht und was definitiv wegkann”. Das spare nicht nur Zeit, sondern den Unternehmen auch Geld und bringe allen etwas mehr Rechtssicherheit. “Diese Chance vertut man jetzt ein weiteres Mal.”

    Kipker ist nicht überzeugt, dass die Vorratsdatenspeicherung – ähnlich wie die Videoüberwachung – zu einem geringeren Maß an Straftaten führt. “Das kann so sein, muss aber nicht, denn auch Straftäter stellen sich auf geänderte Verhältnisse ein, suchen sich andere Orte aus, begehen Straftaten auf andere Weise und mit anderen Mitteln oder machen sich unkenntlich.”

    Der IT-Sicherheitsrechtler hält aber auch Quick Freeze für ein Feigenblatt. Es sei ein fauler Kompromiss, der von der eigentlichen rechtsstaatlichen Diskussion ablenke, ob derlei Maßnahmen überhaupt nötig sind. “Natürlich kann man argumentieren, dass Quick Freeze weniger eingriffsintensiv ist. Aber das sollte hier nicht die Frage sein, weil es zumindest juristisch und rechtsstaatlich an dieser Stelle nicht um einen politischen Kompromiss geht, sondern darum, ob wir eine digitale Ermittlungsmaßnahme benötigen und ob sie überhaupt zielführend sein kann.”

    • Digitalpolitik

    Energiekrise und Proteste: Belgien ruft die EU um Hilfe

    Es ist eins der bekanntesten und umstrittensten Wahrzeichen Belgiens: das nachts gut ausgeleuchtete Autobahnnetz. Nun geht das Licht aus: Die südbelgische Region Wallonie schaltet 20.000 von 22.000 Leuchtkörpern ab, um Strom zu sparen. Auch auf der bei Touristen beliebten Grand Place in Brüssel wird es jetzt früher dunkel.

    Belgien folgt damit den EU-Appellen, den Verbrauch von Gas und Strom drastisch zu reduzieren. Dabei steht das Königreich im Westen Europas auf den ersten Blick gar nicht so schlecht da. Im Gegensatz zu Deutschland verfügt es über eigene Flüssiggas-Terminals, die Windenergie wird ausgebaut, die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängert.

    Dennoch macht sich ein Hauch von Panik breit. Es gibt zwar keinen Mangel an Energie, aber der Preis macht den Belgiern und ihrer Föderal-Regierung schwer zu schaffen. Für einen Normal-Haushalt könnte die Gasrechnung von 1072 Euro im Jahr auf 7167 Euro hochschnellen, rechnet die Zeitung “La Libre” vor – siebenmal so viel wie vor der Krise.

    Das treibt die Belgier auf die Barrikaden. Am heutigen Mittwoch findet der erste nationale Protesttag in Brüssel statt, es geht um die schwindende Kaufkraft und die Energiepreis-Inflation. Am Sonntag wollen die Gelbwesten wieder von sich reden machen, nach jahrelanger Pause. Und am 9. November soll es auch noch einen Generalstreik geben.

    Steuersenkungen und Energieschecks

    Die Regierung weiß nicht, wie sie mit dem Protest umgehen soll. Premierminister Alexander De Croo hatte schon im März einen EU-weiten Preisdeckel auf Gas gefordert, vergeblich. Deutschland war dagegen, eine Zeitlang sorgte dies für deutsch-belgische Verstimmung. Doch es hilft dem liberalen Politiker wenig, rechtzeitig gewarnt zu haben.

    Nun muss er sehen, wie er die Lage unter Kontrolle hält – auf der Straße und in seiner bunten “Vivaldi”-Koalition. Sie hat sich erst nach mehreren Krisensitzungen auf ein Entlastungspaket verständigt. Es sieht die Verlängerung des Sozialtarifs für Energie bis März, die Senkung der Verbrauchssteuern auf Benzin und Diesel sowie die Senkung der Mehrwertsteuer auf Strom und Gas auf 6 Prozent vor. 

    Außerdem verspricht die Regierung ihren Bürgern einen monatlichen Scheck über 135 Euro für Gas und 61 Euro für Strom – allerdings zunächst nur im November und Dezember. Zudem kommen nur jene in den Genuss des Energieschecks, die über einen (ungünstigen) flexiblen Tarif oder einen neuen Vertrag verfügen. 

    Der 200-Euro-Scheck wird daher schon jetzt – wenige Tage nach der Regierungsankündigung – als unzureichend kritisiert. Er kann helfen, das Land und seine Föderalregierung durch den “heißen Herbst” zu bringen. Doch was passiert, wenn das Paket im Januar ausläuft? Wie sollen die Belgier dann ihre Heizkosten zahlen? 

    Weitere Entlastungspakete sind nicht drin

    Belgien fährt auf Sicht – und kommt dabei an die Grenzen seiner Möglichkeiten. Die Staatsverschuldung liegt bei über 100 Prozent des BIP – weit entfernt von den 60 Prozent, die laut Maastricht-Vertrag erlaubt wären. Die Wallonie meldet sogar 280 Prozent. Es ist unklar, wie lange Banken und Rating-Agenturen noch mitspielen. 

    De Croo kann sich daher keine teuren neuen Entlastungspakete mehr leisten. Er ist auf Hilfe aus der EU angewiesen – entweder in Gestalt von Finanzspritzen, oder in Form eines Gas- oder Strompreisdeckels, der den Druck aus dem Kessel nimmt. “Wir drohen in eine Kriegswirtschaft zu geraten, Europa muss eingreifen”, fordert er.

    Bisher zeichnet sich jedoch keine Hilfe aus Brüssel ab. Die EU-Kasse ist leer, ein Energiepreisdeckel steht nicht auf dem Programm der Energieminister. Der Premier steht mit dem Rücken zur Wand. Einziger Trost: Er muss bisher keinen Herausforderer fürchten. Denn auch die mächtigen Regionalpolitiker sind durch die Krise geschwächt.

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    Digitalpolitik (2): Weitere Vorhaben auf der Herbstagenda

    In ihrer Rede zur Lage der Union setzte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen andere Prioritäten. Die Digitalisierung kam darin kaum vor. Dabei wird sie in allen Lebensbereichen immer wichtiger und ist auch eine elementare Voraussetzung für den Green Deal und die Zukunftsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. Die Verhandlung über den Chips Act gehört zu den wichtigen Vorhaben, die für diesen Herbst in Europa anstehen, doch es gibt noch mehr – wie Sie schon in Teil 1 lesen konnten. Hier folgt nun der zweite Teil unseres Digitalausblicks.

    Chips Act

    Kommissionsvorschlag: 09. Februar 2022

    Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatter ist Dan Nica (S&D, Rumänien).

    Inhalt: Halbleiter sind die Motoren des digitalen Wandels. Eine Billion von ihnen wurden 2020 hergestellt, doch nur zehn Prozent davon in Europa. Das bedeutet, dass die Produktion vieler Produkte in der EU von komplexen und zuletzt sehr anfälligen globalen Lieferketten abhängt. Mit dem europäischen Chip-Gesetz will die Kommission Europas Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz in puncto Halbleitertechnologien und -anwendungen erhöhen. Parallel dazu will Europa seine technologische Führungsrolle in diesem Bereich ausbauen. Der Chips Act selbst soll zusätzliche öffentliche und private Investitionen in Höhe von mehr als 15 Milliarden Euro bewirken.

    Der Chip-Rechtsakt stützt sich auf drei Säulen:

    • Säule 1 fördert den Aufbau groß angelegter technologischer Kapazitäten und Innovationen im Chip-Ökosystem der EU. Der Transfer vom Labor in die Fertigung soll besser werden.
    • Säule 2 konzentriert sich auf die Verbesserung der Versorgungssicherheit in der EU, indem Investitionen angezogen und die Produktionskapazitäten in der EU ausgebaut werden.
    • Säule 3 zielt darauf ab, einen Überwachungs- und Krisenreaktionsmechanismus einzurichten, damit die Kommission Sofortmaßnahmen ergreifen kann.

    Zeitplan: Draft Report bei einer ITRE-Ausschusssitzung im Oktober. Deadline für Änderungsanträge: Dezember, Abstimmungen im Ausschuss und Plenum: Januar und Februar 2023. Der Rat möchte seinen General Approach noch unter den Tschechen fertigstellen.

    Instant Payment Regulation (Sofortüberweisung)

    Kommissionsvorschlag: angekündigt für den 26. Oktober

    Akteure: EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis

    Inhalt: Anders als beim US-Zahlungsdienstleister Paypal erreichen die meisten Geldüberweisungen in Europa ihre Empfänger erst am nächsten Werktag. Manche brauchen sogar noch länger. Die Kommission hält diese Zeitspanne im digitalen Zeitalter für zu lang. Mit einer Sofortüberweisung dagegen ist das Geld innerhalb von Sekunden auf dem Konto des Empfängers – an 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr. Dies bringt sowohl für Verbraucher als auch für Unternehmen viele Vorteile mit sich. Damit ein Kunde eine Sofortüberweisung erfolgreich abschließen kann, muss auf beiden Seiten der Überweisung ein Zahlungsdienstleister stehen, der sich an dieselben Regeln, Praktiken und Standards hält.

    Der Europäische Zahlungsverkehrsausschuss hat ein solches System 2017 für Euro-Sofortüberweisungen innerhalb des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) entwickelt: das SCT Inst. Scheme.

    Eine hohe Beteiligung von Zahlungsverkehrsdienstleistern an diesem System ist eine wichtige Voraussetzung für die breite Verfügbarkeit von Euro-Sofortüberweisungen auf EU-Ebene. Im März 2021 waren nur knapp 64 Prozent der Zahlungsdienstleister in 21 Mitgliedstaaten dem SCT Inst. Scheme beigetreten. Mit ihrer Initiative will die Kommission Anreize dafür schaffen, dass mehr Dienstleister innovative, bequeme, sichere und kostengünstige europaweite Sofortzahlungslösungen anbieten.

    Cyber Defence Policy

    Kommissionsvorschlag: angekündigt für den 09. November

    Akteure: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik

    Inhalt: Die EU macht sich seit Jahren immer mehr Sorgen über die steigende Anzahl an Cyberangriffen von Hackern oder auch staatlichen Akteuren. Das neue Kommissionsdokument “wird darauf abzielen, die Entwicklung von Cyberverteidigungsfähigkeiten voranzutreiben, die industrielle Basis der EU zu stimulieren und Bildung, Ausbildung und Übungen weiter zu fördern”, erläutert eine EU-Beamtin.

    Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Pläne für eine ganzheitliche europäische Cyber-Abwehrpolitik bereits im Jahr 2021 angekündigt, einschließlich Rechtsvorschriften zur Festlegung gemeinsamer Standards im Rahmen eines neuen europäischen Gesetzes zur Cyber-Resilienz. Der ursprüngliche EU-Politikrahmen für Cyberabwehr war im Jahr 2014 angenommen und dann in 2018 aktualisiert worden. Eine der konkretesten Entwicklungen war die Schaffung eines EU-Rechtsrahmens zur Sanktionierung von Cyberangreifern im Jahr 2019. Er wurde ein Jahr später zum ersten Mal angewandt.

    Short Term Rental Platform Regulation (Kurzzeitmiete)

    Kommissionsvorschlag: voraussichtlich noch in diesem Jahr

    Akteure: EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton

    Inhalt: Im Juli dieses Jahres schickten europäische Städte einen Hilferuf nach Brüssel. Sie forderten die Kommission auf, endlich eine Regulierung zur Bekämpfung der illegalen Kurzzeitmiete auf den Weg zu bringen. Auch das Europäische Parlament hatte die Kommission bereits im Januar 2021 aufgefordert, legislative Maßnahmen zur Kurzzeitmiete zu ergreifen.

    Vor allem beliebte Metropolen wie Amsterdam, Berlin oder London, wo bezahlbarer Wohnraum knapp ist und auch Städte, bei denen die Kassen leer sind, wünschen sich einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen. So wollen sie illegale Kurzzeitmiete bekämpfen und auf der anderen Seite auch Instrumente an die Hand bekommen, mit der sie Einnahmen aus legalen Kurzzeitmieten erzielen können.

    “Die Kommission arbeitet derzeit an dem Vorschlag, um ihn im Herbst zu verabschieden”, sagte ein Kommissionsbeamter. Der Vorschlag werde sich “hauptsächlich auf Fragen der Transparenz in diesem Sektor konzentrieren”.

    Listing Act

    Kommissionsvorschlag: erwartet für 07. Dezember 2022

    Akteure: EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis

    Inhalt: Die EU möchte den Kapitalmarkt modernisieren, um vor allem auch Start-ups, Wachstumsunternehmen sowie kleinen und mittelständischen Firmen den Zugang zum Kapitalmarkt zu erleichtern. Denn bisher schrecken viele Unternehmen in der EU vor der Börse zurück und lassen sich die Vorteile entgehen, die ein Börsengang mit sich bringt, wie etwa eine breitere Investorenbasis, höhere Bekanntheit und ein stärkeres Wachstum.

    In anderen Volkswirtschaften nutzen KMU viel häufiger den Kapitalmarkt für Fremd- und Eigenkapitalfinanzierung. Hintergrund ist, dass Börsengänge für KMU in der EU relativ aufwendig und kostenintensiv sind. Ziel des Listing Acts ist es nun, ein einfacheres und praxisgerechteres Regelwerk zu schaffen. Einstiegshürden sowie die aus der Zulassung folgenden Pflichten sollen erleichtert werden.

    Bei der Konsultation hat die EU unter anderem folgende Themen adressiert:

    • Prospekte: Vereinfachung der Prospekterstellung, der Prüfung und Billigung des Prospekts, ein einheitliches Registrierungsformular
    • Transparenz: Vereinfachung der Regelungen zur periodischen Publizität und zur Beteiligungspublizität
    • SPAC: Eignung des aktuellen Rechtsrahmens für SPAC (Special Purpose Acquisition Companies, deutsch: Akquisitionszweckgesellschaften)

    Auch die deutsche Politik, die im Sommer ihre Start-up-Strategie vorlegte, schaut auf Europa. Denn sie wünscht sich ebenfalls Veränderungen im Kapitalmarktrecht, damit Start-ups bessere Möglichkeiten erhalten, um in Deutschland an die Börse zugehen. Die Revision europäischer Vorgaben spielt dabei eine wichtige Rolle. Eine Studie zu der Frage “Wie können Börsengänge für Start-ups in Deutschland erleichtert werden?”, die 2021 noch die Vorgängerregierung in Auftrag gegeben hatte, kritisiert vor allem die hohen Hürden beim Kapitalmarktzugang für Start-ups.

    Transatlantic Data Privacy Framework (TADPF)

    Akteure: Weißes Haus, US-Handelsministerium, EU-Kommission, Europaparlament, EDPB

    Inhalt: Bereits seit einem Jahr verhandeln EU-Kommission und Weißes Haus über eine Neuauflage der zuletzt gescheiterten “Privacy Shield”-Vereinbarung. Dafür erarbeitet Bidens Administration derzeit Präsidialverfügungen – Executive Orders genannt.

    Nach dem Schrems-II-Urteil des EuGH ist der Druck auf US-Konzerne gewaltig, endlich eine neue, diesmal vielleicht rechtssichere Grundlage für den Transfer personenbezogener Daten aus der EU in die USA zu erhalten. Sobald der Beschluss der zuständigen irischen Datenschutzaufsicht DPC im Fall Facebook veröffentlicht wird, dürfte auch die letzte einst für sicher erklärte Möglichkeit wegfallen.

    EU-Justizkommissar Didier Reynders gab sich vor wenigen Tagen in Washington ausgesprochen optimistisch, dass die US-Seite bald ihre Schritte ausbuchstabiert habe. Doch bevor Anpassungen im US-Exekutivrecht eine Wirkung haben könnten, um den EuGH-Anforderungen möglicherweise zu entsprechen, müsste die Kommission eine neue Angemessenheitsentscheidung nach Artikel 45 der DSGVO auf Basis dieser US-Regeländerungen vorlegen.

    Diese muss dann von Parlament und dem Ausschuss der Europäischen Datenschutzbeauftragten begutachtet werden – kein kurzer Prozess. Dennoch: Die Zeit drängt – und die US-Digitalwirtschaft die US-Politik auch. Denn die Datenschutzaufsichtsbehörden erhöhten in den vergangenen Monaten die Zahl der Bußgeldverfahren merklich.

    CSAM-Verordnung

    Kommissionsvorschlag vom 11.05.2022

    Akteure: Europaparlament, Rat, Kommission

    Inhalt: Der Vorschlag der Innenkommissarin Ylva Johansson, mit dem Internetunternehmen eine verpflichtende Erkennung und Weitergabe von Darstellungen sexuellen Missbrauchs von Kindern auferlegt werden soll, wird einer der großen Streitpunkte der kommenden Monate. Vor allem in Deutschland regt sich Widerstand, die beiden FDP-geführten Ministerien BMDV und BMJ haben sich bereits auf “rote Linien” geeinigt, die sie auf keinen Fall überschritten sehen wollen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich ursprünglich sehr offen für die Pläne der Innenkommissarin gezeigt. Ende Juli hatten der Europäische Datenschutzausschuss und der Europäische Datenschutzbeauftragte massive Kritik an dem Kommissionsvorschlag geäußert.

    Die Verordnung ist im Europaparlament dem LIBE-Ausschuss zugewiesen, ein Berichterstatter ist bislang noch nicht benannt.

    E-Privacy-Verordnung

    Kommissionsvorschlag vom 10.01.2017

    Akteure: Europaparlament, Rat, Kommission

    Inhalt: Die E-Privacy-Verordnung steckt weiterhin im Trilog fest. Ob sich hier jemals wieder etwas bewegen wird, ist offen, auch die tschechische Ratspräsidentschaft hat den gordischen Knoten bislang nicht durchschlagen können. Es wird nicht erwartet, dass die Kommission dieses Dossier, das seit über fünf Jahren im Prozess festhängt, zurückzieht.

    Für einen Problemkomplex allerdings hofft die Bundesregierung einen Lösungsansatz bieten zu können: Mit der Verordnung zum TTDSG zu Personal Information Management Systems (PIMS), die im kommenden Frühjahr in Kraft treten soll, könnte ein Vorbild für einen europäischen Kompromiss gefunden sein – wenn sich die deutsche Lösung denn auch als solche erweist. Die aber muss erst durch die deutschen Institutionen.

    Mehrwertsteuerrecht im digitalen Zeitalter

    Akteur: Kommission
    Termin: Vorstellung erwartet für den 16.11.2022

    Inhalt: Die EU-Kommission wird voraussichtlich Mitte November einen Vorschlag zur Überarbeitung des Mehrwertsteuerrechts vorlegen. Dabei geht es unter anderem um die Möglichkeit für Onlineanbieter, sich einer besonders lästigen Pflicht noch einfacher zu entledigen: Ist ein Unternehmer nur in einem Mitgliedstaat ansässig, muss er im Maximalfall dennoch mit 27 Finanzbehörden der jeweiligen Mitgliedstaaten zurechtkommen. Mit dem 2021 eingeführten One-Stop-Shop-Verfahren sollte das eigentlich schon unnötig sein – Steuern für andere Mitgliedstaaten sollen zentral, etwa über das Bundeszentralamt für Steuern in Deutschland abgeführt werden.

    Doch die Kommission sieht hier offenbar Nachbesserungsbedarf. Insbesondere die Anpassung der verpflichtenden Angaben (DRR) war ein Gegenstand einer Konsultation: Hier könnte ein eigenständiger Standard für EU-Umsätze eingeführt werden. Außerdem könnten über diesen Umweg elektronische Rechnungen im B2B-Bereich verpflichtend eingeführt werden. Kompliziert bleibt allerdings weiterhin die Frage der Steuerbarkeit und anzuwendender Steuersätze über Onlineplattformen angebotener Dienstleistungen. Hier könnte eine weitere Harmonisierung mit dem Vorschlag kommen.

    PEGA-Ausschuss

    Akteur: Europaparlament, PEGA-Ausschuss

    Inhalt: Der Sonderausschuss für die Untersuchung des Ge- und Missbrauchs von Spyware, der in Folge des mutmaßlich missbräuchlichen Einsatzes der Pegasus-Spyware des israelischen Anbieters NSO auch durch EU-Staaten eingerichtet wurde, hat ein gut gefülltes Programm. Zuletzt fanden Dienstreisen zur Faktenfeststellung statt, und zwar nach Griechenland, wo Behörden die Predator-Software eingesetzt haben sollen, und Polen, das mit NSO über Pegasus einen Vertrag geschlossen hatte, sowie nach Israel.

    In den kommenden Monaten wird der Ausschuss sich mit stärker den gewünschten Konsequenzen seiner Erkenntnisse beschäftigen müssen: Etwa, ob die Dual-Use-Verordnung erneut angepasst werden muss. Ein anderes Element aus dem PEGA-Auftrag hat die EU-Kommission bereits in ihren Vorschlag für einen Media Freedom Act aufgenommen: ein striktes Verbot des Einsatzes von Spyware gegen Journalisten und Medienunternehmen ohne richterliche Anordnung.

    Kreislaufwirtschaft: Ökodesign-Vorgaben und Recht auf Reparatur

    Akteure: Kommission, Parlament

    Inhalt: Auf der Grundlage des Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft von 2020 bringt die Kommission eine Reihe neuer Anforderungen an elektronische Geräte auf den Weg.

    Noch bis zum 28. September läuft eine öffentliche Konsultation über erste Entwürfe für eine Verordnung über die Anforderungen an das Ökodesign und die Energieverbrauchskennzeichnung von Mobiltelefonen und Tablets. Laut der Vorschläge sollen Hersteller die Geräte robust, reparierbar und wiederverwendbar gestalten. Ersatzteile sollen etwa schneller verfügbar und leichter austauschbar sein. Die Vorgaben beziehen sich auch auf das Betriebssystem: Die Geräte müssen etwa über eine Funktion verfügen, die sie auf die Werkseinstellungen zurücksetzt. Informationen über Reparatur und Wartung sollen besser zugänglich sein und auch Anweisungen für Soft- und Firmware beinhalten.

    Ein neues Produktlabel soll Informationen über Energieeffizienz, Reparierbarkeit und Robustheit der Geräte für Verbraucher transparent machen. Die Annahme der Rechtsakte ist laut Kommissionskreisen für Ende 2022 oder Anfang 2023 vorgesehen. Die Anforderungen würden zwölf bis 18 Monate nach Inkrafttreten der Rechtsakte gelten.

    Währenddessen verhandelt der Umweltausschuss im Parlament über die Novelle der Ökodesign-Richtlinie, welche die Kommission als Teil des ersten Maßnahmenpakets zur Kreislaufwirtschaft vor einem halben Jahr vorgestellt hat. Die Richtlinie soll in eine Verordnung umgewandelt werden, die dann größere Auswirkungen in den Mitgliedstaaten hätte. Anhand der Novelle sollen nahezu alle Produktgruppen umfangreiche Nachhaltigkeitskriterien erfüllen müssen – etwa bestimmte Recyclinganteile der Materialien oder Reparierbarkeit. Auch ein digitaler Produktpass ist Teil des Vorschlags. Berichterstatterin ist Simona Bonafè (S&D).

    Als Teil des zweiten Pakets Kreislaufwirtschaft wird Věra Jourová, Kommissarin für Werte und Transparenz, am 30. November außerdem einen weiteren Gesetzesvorschlag vorlegen, der das “Recht auf Reparatur” für Verbraucherinnen stärken soll.

    Leonie Düngefeld, Ella Joyner, Falk Steiner und Corinna Visser

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    EuGH-Generalanwalt: Bundeskartellamt darf Datenschutz von Meta prüfen

    Kartellbehörden dürfen bei ihren Wettbewerbsuntersuchungen nach Ansicht des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshof (EuGH) auch die Einhaltung der Datenschutzvorschriften prüfen. Zu dieser Einschätzung kam Generalanwalt Athanasios Rantos am Dienstag im Streit zwischen dem Bundeskartellamt und der Facebook-Mutter Meta. In der Regel folgt der EuGH der Argumentation des Generalanwalts.

    Die Facebook-Muttergesellschaft Meta hatte das Vorgehen des Bundeskartellamts kritisiert, das der umfassenden Sammlung der Daten von Facebook-Nutzern einen Riegel vorschieben will. Die Behörde überschreite ihre Kompetenzen und missachte die Zuständigkeit der irischen Datenschutzbehörde, argumentierte der Konzern. Generalanwalt Rantos erklärte am Dienstag jedoch, eine Wettbewerbsbehörde könne bei der Ausübung ihrer Befugnisse die Vereinbarkeit einer Geschäftspraxis mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung untersuchen. Allerdings müssten die Wettbewerbsbehörden jede Entscheidung oder Untersuchung der zuständigen Datenschutzbehörde berücksichtigen.

    Personenbezogene Daten bei WhatsApp und Instagram

    Bei der Verhandlung vor dem EuGH im Mai hatte das Bundeskartellamt den Vorwurf von Meta zurückgewiesen, nicht mit der irischen Datenschutzbehörde kooperiert zu haben, die für Facebook wegen dessen Konzernsitz in Irland zuständig sei. Es habe sehr wohl Kontakte zur irischen Behörde gegeben, erklärte der Vertreter der Bonner Behörde damals.

    Das Kartellamt hatte 2019 entschieden, dass Facebook seine Marktmacht missbraucht habe, indem es bestimmte Daten von Nutzern ohne deren ausdrückliche Zustimmung sammelte. Dabei ging es um personenbezogene Daten, die Nutzer bei WhatsApp oder Instagram und anderen Diensten hinterlassen.

    Das Kartellamt hatte Facebook auch mit Verweis auf den Datenschutz untersagt, die Nutzerdaten aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Dagegen geht der US-Konzern juristisch vor. Das zuletzt zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf legte den Fall dem EuGH vor, um zentrale Fragen von dem europäischen Gericht zu klären. rtr

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    Tschechische Ratspräsidentschaft: Kompromissentwurf zur Strommarktreform

    Nachdem die Kommission vergangene Woche einen Vorschlag zur Reform des Elektrizitätsmarkts zur Senkung der Strom- und Gaspreise vorgelegt hat, kommen von der tschechischen Ratspräsidentschaft nun erste Kompromissvorschläge. In dem Entwurf heißt es zwar weiterhin, dass die Strompreisobergrenze bei 180 Euro pro MWh liegen soll, aber Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, eine höhere Obergrenze einzuführen, wenn die Erzeugungskosten über 180 Euro liegen. In diesem Fall sollen die Länder dennoch eine eigene Obergrenze festlegen. Dabei dürften allerdings nicht mehr CO2-Emissionen verursacht werden.

    Die Preisobergrenze soll auch für Strom aus Braunkohle, nicht aber aus Steinkohle gelten. Mitgliedstaaten könnten jedoch nationale Maßnahmen zur Begrenzung der Erlöse durch Steinkohleverstromung festlegen, sofern sie das Merit-Order-Prinzip und die Preisbildung auf dem Großhandelsmarkt nicht beeinträchtigen.

    Gewinnabschöpfung kann vermieden werden

    Die Senkung der Stromnachfrage zu Spitzenzeiten soll, wie auch von der Kommission vorgeschlagen, 5 Prozent betragen. Aber gemäß dem Vorschlag der Ratspräsidentschaft würde die Spitzenlast nicht auf monatlicher Basis berechnet, sondern auf Grundlage des höchsten Verbrauchs in mindestens 10 Prozent der Stunden des Zeitraums zwischen dem 1.12.2022 und dem 31.03.2023.

    Die Abschöpfung von 33 Prozent der Gewinnüberschüsse der fossilen Industrie sollen auch weiterhin zugunsten eines befristeten Solidaritätsbeitrags durchgeführt werden. Allerdings sollen Mitgliedstaaten auf die Abschöpfung verzichten können, wenn sie bereits durchgeführte “gleichwertige nationale Maßnahmen” vorweisen können. Mitgliedstaaten sollen zudem in der Lage sein, überschüssigen Einnahmen aus Engpasserlösen zur Finanzierung von Maßnahmen zur Unterstützung von Stromendkunden zu verwenden. luk

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    Deutschland stößt Debatte zu Einstimmigkeitsprinzip an

    Die Bundesregierung hat in Brüssel eine Debatte über die Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen angestoßen. Das sogenannte Qualified Majority Voting (QMV) sollte auch in der Außenpolitik und bei Sanktions-Entscheidungen eingeführt werden, sagte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann am Rande des Allgemeinen Rats in Brüssel. Man sei mit gleichgesinnten Ländern im Gespräch.

    Der tschechische Ratsvorsitz unterstützt die deutsche Initiative. Eine Mehrheit der EU-Staaten sei bereit, über QMV zu diskutieren, sagte der tschechische Europaminister Mikuláš Bek nach dem Ratstreffen. Damit die 27 das Einstimmigkeitsprinzip aufgeben, müsse jedoch zunächst Vertrauen geschaffen werden, etwa durch eine Folgenabschätzung. Außerdem müsse man “Schritt für Schritt” vorgehen.

    Widerstand kam wie erwartet von Ungarn, aber auch aus Irland und Österreich. In der Sanktionspolitik sei es “die wahre Stärke der EU (…), dass wir auch Beschlüsse einstimmig fassen”, sagte Österreichs EU-Ministerin Karoline Edtstadler. “Die Bürger danken es uns nicht, wenn wir uns durch Verfahrensfragen ablenken lassen”, warnte der irische Europaminister Thomas Byrne. Auch Polen hat bereits seine Skepsis geäußert (Europe.Table berichtete).

    Lührmann versprach, auf die Bedenken der Skeptiker einzugehen. Die Grünen-Politikerin zeigte sich “optimistisch, dass Fortschritte möglich sind”. Berlin will dafür die sogenannte Passerelle-Klausel im EU-Vertrag nutzen. Damit können die Staats- und Regierungschefs beschließen, in bestimmten Bereichen zu Mehrheitsentscheidungen überzugehen.

    Allerdings ist dafür wiederum Einstimmigkeit nötig. Ungarn könnte die Reform also mit einem Veto blockieren. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte Ende August in seiner Prager Europarede dafür geworben, schrittweise zu Mehrheitsbeschlüssen überzugehen. Dies sei auch für die Aufnahme neuer Mitglieder wie der Ukraine nötig, heißt es in Berlin. ebo

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    Kürzung von EU-Mitteln: Ungarns Regierung reicht Gesetz ein

    Die ungarische Regierung hat ein erstes Gesetz im Parlament eingereicht, um eine drohende Kürzung von EU-Mitteln abzuwenden. Es sieht eine Unvereinbarkeitsregelung für die Mitglieder von Kuratorien öffentlicher Stiftungen sowie eine verbesserte Amtshilfe für die EU-Korruptionsermittlungsbehörde OLAF vor. Der Gesetzesvorschlag erschien am Montagabend auf der Webseite des ungarischen Parlaments. Ein weiteres Gesetzespaket will die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán noch am Freitag einbringen.

    Ein besonders heikler Fall sind die öffentlichen Stiftungen, denen die Orbán-Regierung die meisten Universitäten des Landes zugespielt hat. In deren Kuratorien sitzen nahezu ausschließlich Orbán-loyale Persönlichkeiten, unter ihnen Minister und Staatssekretäre. Selbst nach einem Regierungswechsel könnten diese Personen nicht ausgetauscht werden.

    Amtshilfe für OLAF

    Der Gesetzesentwurf sieht nun vor, dass die Kuratoriumsmitglieder nicht an Stiftungsentscheidungen teilnehmen dürfen, bei denen sich für sie Interessenskonflikte auftun würden. Die Politiker müssten aber künftig nicht aus den Kuratorien ausscheiden, beeilte sich der ungarische EU-Chefverhandler Tibor Navracsics am Dienstag im TV-Sender ATV zu erklären. “Die EU-Kommission erwartet das nicht”, sagte er. Navracsics sitzt selbst einer Stiftung vor, die die Pannonische Universität in der westungarischen Stadt Veszprém verwaltet.

    Zudem bestimmt der Gesetzesentwurf, dass die ungarische Steuerbehörde NAV den Ermittlern der EU-Agentur OLAF Amtshilfe leisten wird. Unter anderen soll NAV den OLAF-Kollegen bei Ermittlungen in Ungarn Amtsräumlichkeiten zur Verfügung stellen und ihnen den Zugang zu den Datenbasen und Dokumenten des Finanzamts ermöglichen. dpa

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    Tony Murphy wird Präsident des Rechnungshofs

    Der Ire Tony Murphy wird neuer Präsident des Europäischen Rechnungshofs (EuRH). Murphy, 1962 geboren, erzielte die erforderliche Mehrheit im Gremium der 27 Mitglieder im zweiten Wahlgang. Murphy tritt sein Amt am 1. Oktober an. Er ist der zwölfte Präsident des Kontrollorgans für alle Einnahmen und Ausgaben der EU-Institutionen und tritt die Nachfolge von Klaus-Heiner Lehne an, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr kandidierte. Eine Amtszeit dauert drei Jahre.

    Jedes Mitgliedsland der EU entsendet einen Vertreter in den EuRH. Der Präsident des EuRH versieht sein Amt im Verständnis eines primus inter pares. Murphy blickt auf eine lange Laufbahn als Rechnungs- und Wirtschaftsprüfer zurück. Er hat als Prüfer am irischen Rechnungshof 1979 begonnen und wechselte als abgeordneter nationaler Sachverständiger 1999 zur Kommission. Seit 2003 ist er EU-Beamter, 2013 wechselte er an den EuRH, wo er zunächst das Kabinett eines Mitglieds leitete. mgr

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    ESM: Beide Kandidaten für Regling-Nachfolge ziehen zurück

    Bis zum 7. Oktober muss eine Nachfolge für Klaus Regling beim ESM gefunden werden. Der geschäftsführende Direktor des Europäischen Stabilitätsmechanismus, der seit 2010 auch den Euro-Rettungsschirm EFSF leitet, geht an diesem Tag in Pension. Mit der Suche nach einem Nachfolger ist Paschal Donohoe betraut, der Finanzminister von Irland und Chef der Eurogruppe.

    Donohoe twitterte gestern, dass die beiden bisherigen Kandidaten für die Regling-Nachfolge nicht mehr zur Verfügung stehen. Seine Kollegen, die Finanzminister von Luxemburg und Portugal, hätten ihn informiert, dass die jeweiligen Kandidaten aus den beiden Ländern ihre Bewerbung zurückziehen. Pierre Gramegna aus Luxemburg und João Leão aus Portugal konkurrierten um den Posten. In der Eurogruppe gab es ein Patt. Gramegna wurde von einer Gruppe von Mitgliedstaaten aus dem Norden Europas unterstützt, Leão von südlichen Mitgliedstaaten.

    Donohe würdigte beide als “exzellente Bewerber” und dankte ihnen für die Bereitschaft, den Posten zu übernehmen. Er werde seine Bemühungen, einen Regling-Nachfolger zu finden, fortsetzen. Beobachter gehen davon aus, dass mit dem koordinierten Rückzug der beiden konkurrierenden Kandidaten der Weg für einen Kompromisskandidaten frei gemacht werden soll. mgr  

    • EU-Finanzen
    • Eurozone

    EU-Beamter: 14 Millionen Tonnen Agrarprodukte aus der Ukraine befördert

    Mithilfe der EU-Kommission sind bislang insgesamt 14 Millionen Tonnen an landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine exportiert worden. Über sogenannte Solidaritätsspuren und die Schwarzmeerhäfen wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor allem Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine in die EU geliefert, wie ein EU-Beamter am Dienstag sagte. 61 Prozent der Güter wurden den Angaben zufolge über die speziell errichteten Korridore transportiert, die restlichen 39 Prozent über das Schwarze Meer.

    Nach Angaben der Kommission werden unter normalen Umständen 90 Prozent der ukrainischen Getreide- und Ölsaatenexporte – dazu zählen Sonnenblumen und Raps – über die Schwarzmeerhäfen des Landes verschifft. Im Mai hatten nach Angaben der EU-Kommission noch 20 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine festgesteckt und drohten, die Lagerstätten zu blockieren, die für die nächsten Ernten benötigt wurden.

    Bisher wurden die Waren vor allem auf dem Landweg über Polen und Teile Südosteuropas transportiert, wie der EU-Beamte weiter erläuterte. So konnte etwa auch humanitäre Hilfe in die Ukraine gebracht werden. Bald sollen auch Transportwege über Mitteleuropa, etwa nach Frankreich, Spanien oder Italien, erschlossen werden.

    Eine Hürde beim Transport der Waren besteht darin, dass die ukrainischen Zugwaggons nicht mit dem Großteil des EU-Schienennetzes kompatibel sind, wie der EU-Beamte erklärte. Eine Studie soll nun zeigen, wie viele Strecken tatsächlich von dem Problem betroffen sind, um anschließende Anpassungen vorzunehmen. Bislang mussten die meisten Waren auf Lastwagen oder andere Waggons umgeladen werden. dpa

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    Presseschau

    Verstoß gegen EU-Recht: EuGH kippt anlasslose Vorratsdatenspeicherung TAGESSCHAU
    EuGH befasst sich mit Datensammelpraxis von Facebook ZEIT
    EU billigt endgültig weitere Milliardenhilfe für Ukraine DONAUKURIER
    EU-Staaten unterstützen radikale Pläne für den Strommarkt SUEDDEUTSCHE
    Energiekrise in Europa: Belgien knipst Autobahnbeleuchtung aus TAGESSCHAU
    Entlastung für Bürger: Niederlande zahlen Grundbedarf für Strom und Gas SPIEGEL
    Bulgarien verzichtet langfristig auf Gas von Russlands Gazprom HANDELSBLATT
    EU-Reform: Widerstand gegen deutschen Vorstoß für Mehrheitsentscheidungen DEUTSCHLANDFUNK
    Europa will sich weiter gegen Geflüchtete abschotten FR
    Vorschlag eingebracht: Ungarns Regierung will mit Gesetz die Kürzung von EU-Mittel abwenden DERSTANDARD

    Heads

    Jan Rosenow – Europas Klimaberater

    Europas Klimaberater: Man sieht Jan Rosenow, er ist Europäischer Geschäftsführer bei Regulatory Assistance Project.
    Jan Rosenow ist Europäischer Geschäftsführer bei Regulatory Assistance Project.

    In einer Zeit, in der die Turbulenzen auf Europas Energiemarkt täglich Schlagzeilen produzieren, bleibt Jan Rosenow optimistisch: “Im Großen und Ganzen denke ich, dass wir auf einem guten Weg sind, unsere Klimaziele zu erreichen“, antwortet er auf die Frage, wie das Energiesystem in zehn Jahre aussehen wird.

    Der 42-Jährige ist Head of European Programs beim Regulatory Assistance Project (RAP). RAP ist ein “think-and-do-tank”, wie Rosenow es gern bezeichnet. Die Organisation arbeitet Hand in Hand mit Entscheidungsträgern in mehreren Regionen der Welt, um die Energiewende voranzutreiben. “Unser Schwerpunkt ist die Dekarbonisierung und dass wir durch intelligente Politik, Regulierung und Marktgestaltung ein sauberes Energiesystem schaffen”, sagt er.

    Berater für Kommission und EU-Parlament

    Aufgewachsen ist Rosenow in einem Dorf nahe Bielefeld. Sein Vater war aktives Mitglied bei den Grünen. Schon im dritten Schuljahr animierte er seine Klassenkameraden zu Hilfsaktionen, erzählt er. “Wir haben zum Beispiel Abfälle gesammelt oder Vogelhäuser gebaut, die wir am Wochenmarkt verkauft haben, um dann die Einnahmen an Regenwald-Schutzorganisationen zu spenden.”

    Nach dem Studium der Geowissenschaften in Münster absolviert Rosenow einen Master in Environmental Policy an der London School of Economics. Daran schließt sich ein PhD in Energy Policy in Oxford an. Sein Fachwissen in Fragen des Energiemarktes ist sehr gefragt. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament­­­­, die International Energy Agency, USAID und das britische Parlament sind nur einige der Institutionen, die ihn als Berater hinzugezogen haben.

    Europa muss Energieeffizienz steigern

    In seinem aktuellen Auftrag beim RAP unterstützt Rosenow die EU bei ihrem ambitionierten Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein. Dabei sieht er manche Sektoren weiter fortgeschritten als andere. “Der Energiesektor ist im Großen und Ganzen auf einem guten Weg, und wir haben verstanden, wie wir diese Technologien skalieren können”, sagt er.

    Im Transport, im Bauwesen und beim Heizen, sowie in der Industrie sieht er noch großen Nachholbedarf. Europa müsse massiv in Technologien investieren und strategische Politik betreiben, um seine Energieeffizienz zu steig­­­ern – das heißt: Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, energetische Sanierungen und andere Maßnahmen, die “die Energieverschwendung und Ineffizienz im System verringern”.

    Die aktuelle, durch den russischen Einmarsch in die Ukraine erzeugte Energiekrise wird aus seiner Sicht die Energiewende “massiv beschleunigen”. Man müsse in Kauf nehmen, dass kurzfristig Kohlekraftwerke wieder hochgefahren werden und ein wenig an der Gasinfrastruktur gebaut werden müsse, so Rosenow. “Der viel wichtigere Schritt, den ich sehe, ist eine massive Investition in grüne Technologien“. Die aktuell hohen Energiepreise würden dabei für einen kräftigen Schub sorgen, glaubt er. Michael Grubb

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