Steuern und Abgaben: Warum viele Wahlversprechen unerfüllt bleiben dürften. Wer die Weihnachtstage nutzt, um die Entwürfe der Wahlprogramme zu studieren, dürfte den Eindruck bekommen, dass die eigentliche Bescherung erst noch bevorsteht. Alle Parteien, die eine Chance haben, der nächsten Regierung anzugehören, versprechen erhebliche Entlastungen bei Steuern und Abgaben. Doch fest verplanen sollte man dieses Geld besser noch nicht. Denn egal, wer am Ende regiert: Dass die Wahlversprechen komplett oder auch nur zum Großteil gehalten werden, ist wenig wahrscheinlich – denn die Gegenfinanzierung ist entweder unklar oder unsicher.
Besonders groß ist die Finanzierungslücke bei den Plänen von Union und FDP. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) kosten die finanziellen Wahlversprechen der FDP insgesamt knapp 140 Milliarden Euro, bei der Union sind es knapp 90. Der Unterschied liegt vor allem daran, dass die FDP bei der Einkommensteuer deutlich größere Entlastungen plant. Steuererhöhungen an anderer Stelle sind nicht vorgesehen, an der Schuldenbremse wollen beide Parteien festhalten. Zur Finanzierung bleiben damit nur Einsparungen und die Hoffnung auf höheres Wirtschaftswachstum, das zu Steuermehreinnahmen führt.
Dass die Lücke damit geschlossen werden kann, ist aber praktisch ausgeschlossen. Mögliche Einsparungen durch Veränderungen bei Bürgergeld und Migration, auf die beide Parteien setzen, dürften allenfalls einen Bruchteil der Kosten decken; bei der sozialen Absicherung etwa setzen die Vorgaben des Verfassungsgerichts zur Deckung des Existenzminiums enge Grenzen. Und auch höheres Wachstum hilft nur begrenzt: Zum einen bringt jedes zusätzliche Prozent nach Angaben des Ökonomen Jens Südekum nur Steuermehreinnahmen von etwa 10 Milliarden Euro. Zum anderen würde eine bessere Wirtschaftslage dazu führen, dass der Bund weniger Schulden machen darf als zuletzt, denn die sogenannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse erlaubt bei schlechter Wirtschaftslage höhere Schulden als die eigentlich vorgesehenen 0,35 Prozent vom BIP. Im Haushaltsentwurf 2025 belief sich der Zuschlag auf rund 10 Milliarden Euro; diese müssten bei höherem Wachstum zusätzlich eingespart werden.
Bei SPD und Grünen ist das Finanzloch kleiner. Denn bei der Einkommensteuer sehen sie Entlastungen vor allem bei kleinen und mittleren Einkommen vor, und diesen sollen höhere Belastungen für Spitzenverdiener bzw. von hohen Vermögen und Erbschaften gegenüberstehen. Die verbliebenen Lücken (laut IW 30 Milliarden Euro bei der SPD und 48 Milliarden Euro bei den Grünen) sollen zumindest teilweise über höhere Schulden finanziert werden, indem für Investitionen Ausnahmen von der Schuldenbremse eingeführt werden. Doch auch bei dieser Ankündigung ist unsicher, ob sie umgesetzt werden kann. Denn die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag dürfte ohne die Union nicht zu erreichen sein. Und die legt sich – nachdem sich Friedrich Merz zwischenzeitig offen für eine Reform gezeigt hatte – in ihrem Wahlprogramm fest, dass die Schuldenbremse unverändert bestehen bleiben soll. Malte Kreutzfeldt
Europa: Parteien der Mitte bleiben proeuropäisch. Das Bundeskanzleramt als Schaltzentrale und eine enge Abstimmung mit Paris und Warschau „zu allen relevanten Fragen der Außen-, Sicherheits- und Europapolitik“: So will die Union mit Friedrich Merz Deutschland wieder zum zentralen Akteur in Europa machen. Unter Olaf Scholz hatten die Beziehungen zu Frankreich und Polen zuletzt gelitten, die Ampel blockierte sich zudem auch in Brüssel oft selbst.
In ihrer pro-europäischen Ausrichtung sind sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP weitgehend einig, die Blickwinkel unterscheiden sich aber deutlich. Die Liberalen sehen in der EU-Kommission eine „Hauptquelle der Bürokratie“, die Grünen räumen Europa hingegen besonders viel Platz ein: Sie plädieren für eine europäische Industriepolitik und mehr Finanzkraft auf europäischer Ebene – auch eine Finanzierung über europäische Anleihen ist für sie kein Tabu. Mehr dazu lesen Sie im Europe.Table. Till Hoppe
Nachhaltigkeit: Wie viel Bürokratie verträgt die Transformation? Lieferkettengesetz, Anti-Entwaldungsverordnung, verschärfte Berichtspflichten: Unternehmen betrachten die Transformation zunehmend als regulatorische Belastung, die sie von der eigentlichen Arbeit abhält. Gerade jetzt, in der Krise. Führt der Green Deal zu einer lebenswerten Zukunft – oder blockiert er den Aufschwung und den Wandel? Auch in den Parteiprogrammen wird nachhaltiges Wirtschaften kaum noch als erstrebenswertes Ziel diskutiert, sondern als Bürokratiemonster, das gezähmt werden muss. Entlang dieser Linie dürften einige Diskussionen im Wahlkampf verlaufen.
Radikal will vor allem die FDP vorgehen. Sie tritt für eine „vollständige Abschaffung“ von Green-Deal-Regelungen ein, weil diese „nicht für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit sorgen“. Geht es nach der Union, sollte vor „Belastungen“ durch die Nachhaltigkeits-Taxonomie und die CSRD-Berichtspflicht „ein Riegel“ geschoben werden. Die SPD hingegen lobt etwa die EU-Lieferkettenrichtlinie und betont, dass auch auf globaler Ebene ein wirtschaftlicher Menschenrechtsschutz verwirklicht werden soll – etwa bei der Beschaffung wertvoller Rohstoffe. Die Grünen gehen am weitesten. Für die Partei gehört es zu den Prioritäten, die Kreislaufwirtschaftsstrategie umzusetzen. Die EU-Lieferkettenrichtlinie sei eine „große Errungenschaft“. Zugleich aber versprechen die Grünen: „Wir sorgen dafür, dass die Richtlinie unbürokratisch in deutsches Recht übertragen wird.“ Marc Winkelmann
Sicherheitspolitik: Mehr Geld für die Verteidigung. Alle Parteien der Mitte wollen mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Sicherheit und Verteidigung ausgeben. Zumindest bei den Grünen ist das eine wirkliche Zeitenwende. Im Wahlprogramm vor vier Jahren haben sie dieses Maß an Verpflichtung noch explizit abgelehnt. Der Fokus auf das Prozent-Ziel sei nicht auf Fähigkeiten und Befähigung ausgerichtet sei, hieß es da. Jetzt wollen sie „dauerhaft deutlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts“ in Sicherheit und Verteidigung investieren. Mittelfristig brauche es eine höhere Kreditaufnahme, wie bei der Pandemie oder Eurokrise, heißt es im Grünen-Programm.
Alle vier Mitte-Parteien wollen die Ukraine grundsätzlich in eine Position der Stärke für Verhandlungen bringen und so lange unterstützen, wie nötig. Der Teufel steckt im Detail: So will die Union zwar mit „allen erforderlichen diplomatischen, finanziellen und humanitären Mitteln sowie mit Waffenlieferungen“ unterstützen. Auf „alle erforderlichen“ Waffen konnte man sich aber wohl nicht einigen. Und die umstrittene Lieferung des Marschflugkörpers Taurus findet im Unions-Programm genauso wenig Erwähnung wie bei den Grünen. Die Liberalen wollen hingegen liefern, nur die die SPD steht explizit zur Nicht-Lieferung des Kanzlers. Wilhelmine Preußen
Klimawandel: Stark unterschiedliche Ansätze. Während SPD und Grüne den bisherigen Kurs teilweise beschleunigen wollen, tritt die FDP auf die Bremse. Die Union steht der bisherigen deutschen Klimapolitik gleichzeitig positiv und skeptisch gegenüber – und hält sich taktisch alle Optionen für mögliche Koalitionspartner offen. Alle Parteien wollen den Strompreis senken und die Härten durch höhere CO2-Preise, durch „Klimageld“, „Klimadividende“ oder „Klimabonus“ abfedern.
Gegenüber 2021 spielt Klimapolitik bisher eine deutlich geringere Rolle. Union, SPD und Grüne bekennen sich ausdrücklich zum Pariser Abkommen, der EU-Klimapolitik und der deutschen Klimaneutralität 2045. Die FDP schert aus: Wichtig sind hier nur die EU-Ziele. Deutschland soll wie die EU erst 2050 klimaneutral werden. Den weiteren Ausbau der Erneuerbaren wollen alle vorantreiben. Union und FDP wollen das EU-Verbrenner-Aus für Pkw und das Heizungsgesetz der Ampel zurücknehmen. Den Kohleausstieg in Deutschland wollen die Grünen auf 2030 vorziehen, die CDU bei 2038 belassen und die FDP sperrt sich trotz ihrer Begeisterung für den Emissionshandel gegen ein marktgetriebenes früheres Ende der Braunkohle. Die Atomkraft als Energiequelle wollen FDP und Union weiter erforschen und die Möglichkeit untersuchen, die AKWs wieder ans Netz zu bringen – Grüne und SPD lehnen das ab. Bernhard Pötter
Bildung: Vom Ende des Kooperationsverbots bis zum Startchancenprogramm. Die FDP hat wohl die revolutionärste aller Ideen zur Bildungspolitik in ihrem Wahlprogramm: Sie will die KMK als Entscheidungsgremium abschaffen und das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Bildung beenden. Das ist – gelinde gesagt – ein dickes Brett. Aber von dem Vorschlag leiten die Liberalen einen Großteil ihres bildungspolitischen Programms ab. SPD und Grüne konzentrieren sich mehr auf die Finanzierung und soziale Fragen im Bildungssektor.
Die SPD etwa will das Startchancenprogramm, dass besonders auf benachteiligte Schüler abzielt, auf Kitas ausweiten. Die Union hingegen will den Leistungsgedanken in Schulen wieder nach vorne bringen. Und setzt unter anderem auf Randthemen wie Gender-Sprache, Religionsunterricht und Bundesjugendspiele. Einig sind sich die Parteien darin, dass sprachliche Förderung schon früh ansetzen muss, damit kein Kind ohne ausreichende Schreib-, Lese- und Mathe-Fähigkeiten die Grundschule verlässt. Thorsten Denkler
Forschung: Wie die Wissenschaft effizienter werden kann. Bürokratieabbau und Maßnahmen für einen effizienteren Transfer von Ideen, bessere Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler und eine einfache Nutzung von Daten zu Forschungszwecken: alles Themen, die schon im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP standen. Sie wurden durch das Ampel-Aus aber nicht oder nur teilweise angegangen. Kein Wunder also, dass sich die Themen in den Wahlprogrammen der Parteien wiederfinden.
Die Union will ein FITT-Programm (Forschung, Innovation, Technologie und Transfer) auflegen. Sie setzt dabei auf wirtschaftsnahe Innovationen und Vereinfachungen für die Forschung. Die Grünen fordern bessere Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler. Sie wollen in Infrastrukturen und Dauerstellen investieren. Darin stimmen sie mit der SPD überein, die ihrerseits im Wissenschaftsbereich auf die Schaffung von Ökosystemen setzt, etwa im Bereich KI. Die FDP setzt sich am deutlichsten für die Verknüpfung von ziviler und militärischer Forschung ein. Man will Zivilklauseln abschaffen, die Dual-Use-Forschung stärken und eine europäische Darpa (Defense Advanced Research Projects Agency) nach US-Vorbild aufbauen. Details finden Sie im Research.Table.Tim Gabel
Landwirtschaft: Das Vermächtnis der Bauernproteste. Gerade das Agrarkapitel der Union liest sich wie eine Wunschliste der protestierenden Landwirte: Steuervergünstigungen für Agrardiesel sollen vollständig wieder eingeführt werden. Offen bleibt, wie das gegenfinanziert wird. Die Grünen versprechen den Landwirten vor allem faire Erzeugerpreise. Sie wollen kostendeckende Preise entlang der Lebensmittelkette vorschreiben. Für die SPD hat das Thema Landwirtschaft dagegen keine Priorität. Das Kapitel dazu ist kurz und unspezifisch. Die FDP will mehr Marktwirtschaft und weniger „ineffektive“ Subventionen. Tatsächlich hatte sie sich in diesem Jahr aber für die Beibehaltung der Agrardieselrückerstattung eingesetzt.
Große Sprünge in der Ernährungspolitik sind von einer neuen Regierung nicht zu erwarten. Die Union widmet dem Thema nur wenige Sätze. Genau wie die FDP pocht sie auf die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher und erteilt Lenkungsinstrumenten wie einer Zuckersteuer eine Absage. Selbst die Grünen bleiben deutlich vorsichtiger als noch 2021. Verbindliche Reduktionsstrategien für Zucker, Fett und Salz in Fertiglebensmitteln fordern sie nicht mehr. Die SPD macht Vorschläge zur Ernährung dort, wo sie sozialpolitisch wirksam werden. Da geht es etwa um die Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Details finden Sie im Agrifood.Table. Julia Dahm
China: Uneinheitlicher Umgang mit Peking. Dass China als einzelnes Land eine Rolle in allen Wahlprogrammen der deutschen Parteien zu einer Bundestagswahl spielt, zeigt, wie wichtig die Volksrepublik für das geopolitische Gefüge — und die politische Debatte in Berlin — geworden ist. Die Diskussion über die EU-Zölle auf chinesische E-Auto-Importe hatte im Herbst die tiefe Spaltung der Ampel-Parteien in der Einschätzung der wirtschaftlichen Beziehung zu China gezeigt. So ist es auch in den Wahlprogrammen: Im Dreiklang aus Partner, Wettbewerber und Systemrivale ordnen sich die Parteien sehr unterschiedlich ein.
Die Grünen sehen den globalen Systemkonflikt mit autoritären Staaten als Anlass für eine Neuausrichtung von „Wirtschaftssicherheit und Handel, Lieferketten und Absatzmärkten“. Die Union beschreibt China als zunehmend expansiv mit dem Ziel, „wirtschaftliche, finanzielle und politische Abhängigkeiten“ zu schaffen. CDU/CSU wollen mehr China-Kompetenz fördern und schlagen dafür ein Netzwerk für „unabhängige Chinawissenschaften“ vor. Die SPD nennt die Volksrepublik „eine führende globale Gestaltungsmacht“, deren Mitwirkung bei globalen Herausforderungen unverzichtbar sei, kritisiert aber das „aggressive Auftreten“ Pekings. SPD, Grüne und Union erwähnen Taiwan nur am Rande oder gar nicht. Die FDP fordert ein „freihandelsähnliches Abkommen“ mit Taiwan auf europäischer Ebene. Amelie Richter
Afrika: Es droht ein Streit um die Entwicklungszusammenarbeit. Die Parteien bleiben beim Thema Afrika in ihren Programmen vage. Klar ist jedoch schon jetzt, dass es Streit um Form und Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) geben wird. Am klarsten formuliert es die FDP, die das Entwicklungsministerium mit dem Auswärtigen Amt fusionieren will. So weit will die Union nicht gehen. Sie schlägt zunächst nur eine Zusammenlegung der humanitären Hilfe und der EZ vor. In welchem Ministerium, bleibt unklar. Die SPD setzt sich hingegen für ein starkes unabhängiges BMZ ein.
Einig sind sich die Parteien der Mitte offenbar aber bei der Frage, wer in Verantwortung ist, künftig die Afrikapolitik zu entwickeln: die Europäische Union als Ganzes. Nach der Putschserie in der Sahelregion 2023 und dem Machtvakuum durch den militärischen Rückzug der Franzosen brauche es eine europäische Antwort auf den verstärkten russischen Einfluss. Eine einheitliche europäische Afrika-Strategie ist jedoch bei den verschiedenen europäischen Interessen kaum in Sicht. Mehr dazu finden Sie im Africa.Table. David Renke