in Bild sagt mehr als tausend Worte – selbst wir Mitglieder der schreibenden Zunft müssen das oft anerkennen. Ganz deutlich wird das bei den Werken des Pekinger Künstlers Brother Nut. Mit kreativen Aktionen wie einem aus Smog gepressten Ziegelstein macht er auf die Umwelt- und Klimaprobleme Chinas aufmerksam. Und erzeugt dabei eindrückliche Bilder, die wohl länger im Gedächtnis bleiben als viele schriftliche Schilderungen der Klima- und Umweltprobleme.
Im Gespräch mit Renxiu Zhao erzählt Brother Nut, dass das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten häufig auf Kosten der Umwelt erreicht wurde. Es raubt den Menschen das Trinkwasser und verseucht den Boden, auf dem die Menschen eigentlich ihr Auskommen erzielen sollten. Verzweiflung ist die Folge. Denn die Opfer der Umweltverschmutzung finden selten Gehör bei den Behörden. Die Öffentlichkeit erfährt häufig nicht von den Problemen in anderen Landesteilen. Doch da die Klimakrise auch alle Chinesinnen und Chinesen betrifft, wird die Regierung bei Umwelt- und Klimaproblemen in Zukunft seltener wegschauen können.
Als in der vergangenen Woche Huawei-Gründer Ren Zhengfei seine Mitarbeiter auf harte Zeiten einschwor, schickte er vor allem auch ein Signal in Richtung Peking, glaubt Frank Sieren. Das klingt plausibel, denn direkte Kritik an der Regierung sollten sich private Firmenbetreiber besser verkneifen. Der Letzte, der das wagte, war Alibaba-Chef Jack Ma.
Mercedes-Benz braucht Batteriezellen – und zwar sehr viele davon. Wenn alle Autos des Konzerns einmal elektrisch fahren sollen, dann dürfen die Stromspeicher nicht knapp werden. Das soll schon 2025 so weit sein. Das Unternehmen stellt seine Beschaffung daher breiter auf, verzichtet aber mitnichten auf chinesische Partner, schreibt Christian Domke Seidel. Im Gegenteil. Anbieter aus China wie CATL gehören weiterhin fest zur Strategie. Sie sollen bloß sicherheitshalber in Europa produzieren, so wie es CATL demnächst in Ungarn macht.
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Im Juli starteten Sie in Peking das Projekt “Telephone booth for help”, bei dem Sie eine gewöhnliche Telefonzelle in eine “Hotline” für Betroffene von Umweltverschmutzung in der Stadt Huludao in der Provinz Liaoning verwandelten. Über die Telefonzelle konnten die Betroffenen ihr Leid mit Fremden in Chinas Hauptstadt teilen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
In der Regel werden Problem in China “top-down” gelöst. Es gibt Anlaufstellen wie die 12345-Hotline, die Betroffene mit lokalen Behörden verbindet, und speziellere Kanäle wie die zentrale staatliche Aufsichtsbehörde. Aber wie in vielen Orten der Welt werden Hilferufe absichtlich oder versehentlich ignoriert. Das Problem der Umweltverschmutzung in Huludao, in der Provinz Liaoning, ist jedoch sehr ernst, da es einen großen Teil der Stadtbevölkerung betrifft und schon lange andauert. Die Menschen vor Ort beschweren sich schon seit Jahren bei der Hotline 12345, aber die örtliche Regierung hat das Problem nie ernst genommen. Mit dem “Telephone booth for help” haben wir versucht, die unterdrückten Stimmen dieser kleinen nordöstlichen Stadt in die Parallelwelt der Hauptstadt zu tragen. Der Empfänger hört und fühlt dort die Hilferufe, den Schmerz am anderen Ende der Leitung – und plötzlich ist das Problem nicht mehr weit weg.
Wie war die Reaktion der Öffentlichkeit?
Einige Internetnutzer berichteten, dass die Leute am anderen Ende der Leitung verstört gewesen seien. Etwa, weil ihre Social-Media-Konten eingeschränkt wurden und die Behörden die Verantwortung von sich wiesen. Ein älterer Mann erklärte: “Wir fühlen uns gefangen, wie in einem Käfig”. Unter den Anrufern waren auch junge Eltern, die ihre Türen und Fenster geschlossen halten, weil sie um die Sicherheit ihres vierjährigen Kindes besorgt sind, das häufig Nasenbluten bekommt. Eine Frau wurde von der Polizei zu einem Gespräch vorgeladen, nachdem sie sich bei der Umweltschutzbehörde gemeldet hatte. Den Schmerz, sich nicht äußern zu können, und vergeblich um Hilfe zu flehen, hat mich während dieser Zeit so überwältigt, dass ich selbst aus der Telefonzelle flüchten wollte.
Wurden die zuständigen Behörden in Huludao durch die Aktion auf das Problem aufmerksam und wurde schließlich etwas unternommen?
“Telephone booth for help” wurde auf Weibo rund 30.000 Mal geteilt. Die örtliche Regierung hat innerhalb eines halben Monats zwei Pressekonferenzen abgehalten, und die Unternehmen, die für die Luftverschmutzung verantwortlich sind, haben teilweise ihre Produktion unterbrochen. Die Stadtverwaltung hat mehr als 90 Experten, Sicherheitskräfte und Überwachungsteams aus anderen Regionen nach Huludao bestellt, um Untersuchungen durchzuführen. Allerdings gibt es bisher weder einen konkreten Untersuchungsbericht noch Lösungsansätze. Anwohner und Netizens warten noch immer auf eine ernsthafte und aufrichtige Lösung seitens der Stadtverwaltung.
Wann haben Sie entschieden, sich als Künstler mit Umweltthemen auseinanderzusetzen?
Die Projekte, die ich im Laufe der letzten Jahre verwirklicht habe, drehten sich meist um akute Notlagen. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kosten der Umwelt und die Verlagerung der Umweltverschmutzung von strukturstarken in strukturschwache Gebiete, von der Küste ins Landesinnere, sowie die Altlasten haben zu einer Vielzahl von Krisen geführt. Es gibt beispielsweise Orte, an denen die Wasserverschmutzung Krebserkrankungen bei der örtlichen Bevölkerung und das Sterben von Rindern und Schafen verursacht hat. Solche Probleme müssen dringend gelöst werden. Oftmals muss auch die Trinkwasserqualität sofort verbessert werden. Der Versuch, reale soziale Probleme zu lösen, ist das wesentliche Ziel meiner Projekte.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem Chinas im Umweltschutz?
Das größte Problem ist das Top-Down-Modell in der Umweltpolitik – objektiv gesehen sind Chinas enorme Erfolge beim Umweltschutz der vergangenen Jahre untrennbar mit dieser tatkräftigen Art von Politik verbunden. Allerdings ist bei dieser Art von Umweltpolitik die Kontrollmacht der Öffentlichkeit und der Medien zu sehr eingeschränkt. Laut offiziellen Angaben ist fast ein Fünftel der Ackerfläche Chinas mit Schwermetallen verseucht – ein weitaus gravierendes Problem als Smog, das nur langsam behoben werden kann. Wo genau diese Verschmutzungen konzentriert sind, wird der Öffentlichkeit jedoch oft nicht mitgeteilt. Das Ministerium für Ökologie und Umweltschutz führte im Jahr 2021 eine Untersuchung des Bodenverschmutzungspotenzials von fast 15.000 Unternehmen durch und stellte fest, dass fast 70 Prozent der Unternehmen ein mehr oder weniger großes Verschmutzungspotenzial aufweisen. Welche Unternehmen dies sind, wird jedoch ebenfalls nicht bekannt gegeben. Die Medien und die Öffentlichkeit sind als Kontrollinstanz außen vor.
Warum herrscht so starker Widerstand gegen Umweltschutz-Aktivismus, obwohl er dem Land und der Bevölkerung dient?
In einigen wirtschaftlich schwachen Regionen ist der Umweltschutz nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage. In China leisten wirtschaftlich starke Provinzen in der Regel weitaus bessere Arbeit beim Umweltschutz als wirtschaftlich schwache Regionen und sie sind eher zur Transparenz bereit. Sobald Umweltprobleme aufgedeckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gegen die betroffenen Unternehmen ermittelt wird und dass die zuständigen örtlichen Beamten bestraft werden. Dies führt wiederum dazu, dass die betroffenen Unternehmen und Verwaltungen sehr nervös werden, sobald Verschmutzungsprobleme bekannt werden.
Der Raum für freie Meinungsäußerung wird in China zunehmend eingeschränkt. Eine Bewegung wie Fridays for Future, die sich in großer Zahl auf der Straße versammelt, ist ausgeschlossen. Wie können Umweltschützer in China dennoch etwas bewirken?
Soweit ich weiß, arbeiten viele Nichtregierungsorganisationen in China noch immer im Hintergrund und engagieren sich für zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen wie Aufforstung oder die Überwachung von CO2-Emissionen. Ihre Arbeit ist sehr wichtig. Die in China in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Überschwemmungen, Dürren und hohe Temperaturen, machen die globale Klimakrise für uns nicht länger zu einem abstrakten Konzept. Gleichzeitig hat die Pandemie die Menschen für gesellschaftliche Probleme sensibilisiert. Die Klimakrise betrifft uns alle, das spürt man auch in Großstädte wie Shanghai, Shenzhen und Peking. Dort leben viele junge Menschen, die sich für gesellschaftliche Belange interessieren. Am häufigsten äußern sie sich natürlich auf Weibo, WeChat, Douyin und Bilibili wo sie ihre Unzufriedenheit über die Klimakrise zum Ausdruck bringen und Veränderungen fordern.
Sie bewegen sich mit ihrer Kunst auf einem schmalen Grat. Haben Sie manchmal Angst, dass ihre Arbeit verboten werden könnte?
Diese Gefahr besteht tatsächlich, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was in China und dem, was in Deutschland möglich ist. Ich habe keine Strategie, ich weiß nicht, wie lange ich das alles machen kann. Irgendwann werde ich vielleicht nicht mehr sprechen oder etwas tun können. Während der Kommunikation mit örtlichen Behörden hat mir einmal jemand ins Gesicht gesagt, “Künstler sind alle Abschaum”. Vielleicht sollte ich zwei Papageien diesen Satz beibringen, damit sie ihn bei einer künftigen Ausstellung abwechselnd aufsagen. Laut diesen Leuten habe ich ihnen nur Schwierigkeiten bereitet. Gleichzeitig bin ich ein Künstler, der soziale Probleme löst, und ein Umweltschützer, der sich für die Aufdeckung von Umweltproblemen einsetzt. Vielleicht können sie ihre kulturelle Vielfalt und Toleranz unter Beweis stellen, indem sie jemanden wie mich tolerieren.
Brother Nut 坚果兄弟 (“verrückter Bruder”) ist ein international bekannter Künstler aus Peking, der mit öffentlichen Performances auf Umweltprobleme aufmerksam macht. Sein bekanntestes Werk ist “Project Dust” aus dem Jahr 2015, bei dem er aus Feinstaubpartikeln der stark verschmutzten Pekinger Luft einen Ziegelstein formte.
Mitarbeit: Fabian Peltsch
“Die Kälte wird jedermann spüren”, warnte Ren Zhengfei jüngst in einem Memo seine Mitarbeiter vor schwierigen Zeiten. Und der Huawei-Chef weiß, wovon er spricht. Er hatte den chinesischen Telekommunikationskonzern bis an die Weltspitze geführt, Huawei hatte sogar den US-Konkurrenten Apple überholt und war zum größten Smartphone-Hersteller der Welt aufgestiegen. Doch dann kam der tiefe Fall – nicht aufgrund von unternehmerischen Fehlern oder Chinas Wachstumsproblemen, sondern hauptsächlich wegen politischer US-Sanktionen. Sie haben Huaweis Hauptgeschäft der Smartphones vollkommen zerstört.
Auf die US-Sanktionen folgten sechs Quartale voller Umsatz- und Gewinneinbrüche. Inzwischen glänzt Huawei nur noch auf dem Nischenmarkt der Smartphones mit faltbaren Bildschirmen. Auch legte man zuletzt kräftig zu bei den Tablets, bleibt aber weiterhin weit hinter Apple zurück. Das sonstige Geschäft liegt weiterhin am Boden.
Immerhin: Trotz Gewinn- und Umsatzrückgang ist das Personal bei Huawei kaum geschrumpft. Hatte der chinesische Telekommunikationskonzern 2020 noch 197.000 Mitarbeiter, sind es Ende 2021 immerhin noch 195.000 – also ein Rückgang von rund einem Prozent, während der Umsatz im gleichen Zeitraum um 30 Prozent eingebrochen war. Es ist der erste Personal-Rückgang seit 2008.
Wie besonders der Weg von Huawei ist, zeigt der Blick auf die Wettbewerber: Tencent, das neben Huawei bekannteste Hightech-Unternehmen im südchinesischen Shenzhen, hat allein zwischen März und Juni die Mitarbeiterzahl um 4,7 Prozent verringert. Das sind rund 5.500 Mitarbeiter in nur drei Monaten – gegenüber 2.000 Mitarbeitern bei Huawei in einem ganzen Jahr. Alibaba hat sogar 10.000 Mitarbeiter in drei Monaten entlassen.
Doch Huaweis Festhalten an seinen Mitarbeitern zahlt sich langsam wieder aus. So ist es im zweiten Quartal dieses Jahres gelungen, den Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder zu steigern. Zwar ist das Wachstum mit 1,45 Prozent auf rund 25 Milliarden US-Dollar noch gering, aber nach einem Verlust von 14 Prozent im ersten Quartal doch ein wichtiger Schritt nach vorne. Der Gewinn ist allerdings um 34 Prozent auf umgerechnet knapp 1,4 Milliarden US-Dollar eingebrochen.
Trotzdem sind das gute Nachrichten für den Konzern: Die Umsatzentwicklung könnte darauf hindeuten, dass Huawei die Talsohle erreicht hat. Auch im Gesamtumsatz lässt sich Positives erkennen. Er ist zwar seit dem ersten Halbjahr 2019 von 400 Milliarden Yuan auf 300 Milliarden Yuan eingebrochen, doch der Rückgang erstreckt sich fast ausschließlich auf das von den US-Sanktionen zerstörte Smartphone-Geschäft. Die übrigen Geschäftszweige legen wieder zu: Das 5G-Ausrüstergeschäft zwar nur um 4,42 Prozent, weil die heiße Phase von Chinas 5G-Ausbau bereits abgeschlossen ist. Aber das Netzwerk-Geschäft für Unternehmen wuchs im ersten Halbjahr um satte 27,5 Prozent.
Doch um weiter innovativ sein zu können, muss sich Huawei nun höher verschulden – und das wird man vor allem in China tun. Zum einen, weil dort der Glauben an die Zukunft des Unternehmens höher ist, als auf den internationalen Kapitalmärkten. Und zum anderen, weil es für Huawei weniger riskant ist, Schulden im eigenen Land aufzunehmen, als international.
Und diesen Weg verfolgt das Unternehmen aus Shenzhen konsequent: Zuletzt legte man am 1. August eine 120-Tage-Anleihe im Wert von umgerechnet 470 Millionen US-Dollar auf. Damit hat sich Huawei allein in diesem Jahr bereits 24 Milliarden Yuan geliehen – im vergangenen Jahr waren es noch neun Milliarden Yuan gewesen. Und dennoch ist die Verschuldungsquote des Unternehmens noch immer moderat.
Zudem gilt es für Huawei, alternative Geschäfte zu entwickeln. Eine der vielversprechendsten Bereiche ist der “Intelligent Vehicle”-Bereich. Ende 2021 hat Huawei mit dem jungen Autohersteller Seres den AITO M5 auf den Markt gebracht – mit beachtlichem Verkaufsstart: Der Fünfsitzer verkaufte sich in den ersten 87 Tagen mehr als 11.000 Mal. Im Juli wurde deshalb gleich noch der passende Siebensitzer M7 vorgestellt.
Zusätzlich eröffnete man eine Fahrdienstplattform namens Petal Chuxing, die in Huaweis OS 3.0, neben Android und IOS von Apple das dritte Betriebssystem weltweit, fest installiert ist. Inzwischen ist das OS 3.0 allen Unkenrufen trotzend auf rund 300 Millionen Huawei-Geräten und als Plattform auf 170 Millionen Geräten von anderen Marken. Das zeigt zudem: Washington ist es gelungen, das Endkundengeschäft von Huawei empfindlich zu treffen, aber nicht, es zu vernichten.
Natürlich handelt es sich hierbei noch nicht um das ganz große Geschäft, so wie es Huawei einst mit Smartphones gelang. Aber es ist ein vielversprechender Anfang.
Der vielversprechendste neue Bereich für Huawei ist jedoch das autonome Fahren. Vor einer Woche schloss man eine Partnerschaft mit idriverplus, einem 2015 gegründeten Pekinger Start-up. Gemeinsam will man autonom fahrende Autos entwickeln, die dann auf Huaweis Ascend AI Processor basieren sollen.
Schon im Juli hat der Hersteller Arcfox ein erstes Auto mit “Huawei Inside” in Produktion geschickt: der Alpha-S, dessen autonomes Fahrsystem 400 Tera Operations per second (TOPS) schafft. TOPS sind gewissermaßen die PS der Chips. Zum Vergleich: das iPhone 13 schafft gerade einmal 15,3 TOPS. Und auch Arcfox ist kein unbedeutender Akteur, sondern ein Tochterunternehmen des Daimler Partners BAIC in Peking, einem der vier größten staatlichen Autohersteller Chinas.
Huawei blickt also längst wieder optimistischer in die Zukunft. In der Firmenzentrale rechnet man denn auch damit, dass man 2025 die Umsätze wieder das Niveau vor den US-Sanktionen erreichen werden. Die Sanktionen hätten Huawei dann um fünf Jahre zurückgeworfen.
Vor diesem Hintergrund bekommt die Warnung von Huawei-Chef Ren Zhengfei einen eigenen Klang. Schon seit Jahren stellt er sich die Frage, wie man es schaffen kann, dass ein so großes Unternehmen weiter an einem Strang zieht. Nun, da die Zahlen wieder etwas besser werden, scheint für Ren der Zeitpunkt gekommen, die Mitarbeiter anzuhalten, nicht nachzulassen. Denn die Wende ist noch längst nicht geschafft.
Zudem könnte Ren bei seiner Warnung auch an die Machthaber in Peking gedacht haben. Es wäre Rens indirekter Hinweis, dass die Staatsführung mehr tun muss, um die chinesische Konjunktur wieder anzukurbeln.
Akku-Marktführer CATL baut im ungarischen Debrecen eine neue Fabrik (China.Table berichtete). Das Projekt hat ein Investitionsvolumen von umgerechnet 7,34 Milliarden Euro. Mercedes Benz ist zwar der größte Kunde dieser Fabrik, ist entgegen anderslautender Meldungen (zum Beispiel hier oder hier) am Projekt aber nicht weitergehend beteiligt. “Wir haben die größte Abnahmemenge, sind aber weder finanziell noch anderweitig eingebunden”, erklärte eine Sprecherin des Konzerns auf Anfrage gegenüber Table.Media. Andere Medien hatten den Vorgang so dargestellt, als ob Mercedes selbst in das Werk investiere.
Mercedes verfolgt aktuell eine “Electric-Only”-Strategie. Ab dem Ende des Jahrzehnts sollen nur noch vollelektrische Fahrzeuge gebaut werden – zumindest “überall dort, wo es die Marktbedingungen zulassen”, wie der Konzern einschränkend hinterherschiebt. Die Planungen sehen vor, dass ab dem Jahr 2025 alle neuen Fahrzeugarchitekturen ausschließlich elektrisch sind. Die Hälfte aller Neuwagen mit Stern sollen dann E-Autos sein. Um das Ziel zu erreichen, will Mercedes zwischen 2022 und 2030 rund 40 Milliarden Euro investieren.
Die Partnerschaft mit Contemporary Amperex Technology Co. Limited (CATL) ist ein Baustein dieser Planungen. Mercedes rechnet vor, 200 Gigawattstunden Batteriekapazität zu benötigen, um eine ausreichende Menge Fahrzeuge rein elektrisch bewegen zu können. In Zukunft möchte der Konzern zwar weniger, aber dafür teurere Autos verkaufen. Die Corona-Pandemie hat aber Schwachstellen in den Lieferketten offengelegt. Deswegen will sich Mercedes bei der Versorgung mit Akkus möglichst breit aufstellen, also möglichst viele Lieferanten anwerben.
Weltweit benötigt Mercedes acht Zellfabriken, um ausreichend Batteriekapazität produzieren oder zukaufen zu können. Vier in Europa, vier in den USA und in China. In den USA kooperiert Mercedes mit Envision AESC. Dort soll eine Batteriezellenfabrik in der Nähe des eigenen Werkes entstehen. In China heißen die Partner zum einen CATL und zum anderen Farasis. Von Farasis hält Mercedes sogar drei Prozent der Aktien, die angeblich rund 400 Millionen Euro gekostet haben sollen. Ursprünglich wollte Farasis in Bitterfeld Batteriezellen für Mercedes produzieren. Doch das Projekt scheiterte 2021 endgültig.
In Europa ist Mercedes an der Automotive Cells Company (ACC) mit Sitz in Frankreich beteiligt – gemeinsam mit der Stellantis-Gruppe (Peugeot, Citroën, Fiat, Chrysler, Jeep) und dem französischen Energieunternehmen Total Energies. Hier sind die Pläne durchaus ambitioniert, wie die Unternehmenssprecherin erläutert: “Wir haben uns gemeinsam mit Stellantis und Total Energies an ACC beteiligt, um einen europäischen Batteriechampion aufzubauen. Hier wollen wir unsere eigene Expertise mit einbringen und so die Entwicklung von ACC beschleunigen.” Diese Diversifizierung ist Teil der “local-for-local”-Strategie. Fällt die Produktion oder die Lieferkette in einem Teil der Welt aus, sitzen die Fabriken in anderen Ländern nicht gänzlich auf dem Trockenen. Gleichzeitig werden so beim Transport Treibhausgase eingespart.
In Europa soll CATL diese Versorgung mit den begehrten Zellen garantieren. Befeuert von Ungarns Wirtschaftspolitik. Ministerpräsident Viktor Orbán möchte sein Land zum zweitwichtigsten Standort für die E-Mobilität ausbauen – hinter Deutschland. Dafür lockte er unter anderem Samsung SDI nach Göd, eine Kleinstadt nördlich von Budapest, in der seitdem Batterien gefertigt werden. Wegen schlechter Arbeitsbedingungen, Lärm und Verschmutzungen musste das Unternehmen bereits über ein Dutzend Strafzahlungen leisten, wie die NZZ berichtet. Auch die südkoreanischen Firmen SK One (in Ivancsa) und Ecpro BM (in Debrecen) werden bald Batterien und benötigte Bauteile in Ungarn fertigen. Dazu kommt das von Mercedes angekündigte CATL-Werk.
Die Investitionen in die E-Mobilität in Ungarn beliefen sich in den vergangenen Jahren auf insgesamt acht Milliarden Euro. Allein das CATL-Werk wird diese Summe fast verdoppeln. Woher die Arbeitskräfte kommen sollen, ist derweil unklar. Mercedes verweist im Gespräch mit Table.Media zwar auf die nachhaltige Produktion der Batteriezellen, meint damit aber nur die CO2-Neutralität. Die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte schließt die Unternehmenssprecherin dezidiert aus.
Das stellt Ungarn vor Probleme. Denn in dem Land gibt es schlichtweg nicht ausreichend Fachkräfte, um die wachsende Nachfrage bedienen zu können. Von den geschätzt 5.000 Mitarbeitern bei Samsung SDI sollen gerade einmal hundert aus Ungarn kommen, wie Balogh Csaba, Bürgermeister von Göd, gegenüber der NZZ vorrechnet. Die restlichen Arbeitskräfte kommen aus Asien. Wie das bei CATL aussehen könnte, ist derzeit noch völlig offen.
Chinas Öl-Konzerne haben im ersten Halbjahr 2022 kräftige Gewinne verbucht. Die staatliche Sinopec-Gruppe, der größte Ölverarbeiter in Asien, meldete am Sonntag für das erste Halbjahr einen Nettogewinn von 43,53 Milliarden Yuan (6,37 Milliarden Euro) – das ist eine Steigerung von 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Grund sind die rasant angestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs, die die höheren Importkosten und den rückläufigen inländischen Kraftstoffverbrauch der vergangenen Monate mehr als aufgewogen haben. So verkaufte beispielsweise Sinopec nicht mehr, sondern weniger Öl. Der Absatz des Konzerns ging gar um 9,8 Prozent zurück.
Der Ölkonzern PetroChina wiederum verbuchte von Januar bis Juli einen Gewinn von 82,39 Milliarden Yuan. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das ein Plus von satten 55,3 Prozent. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge handelt es sich um ein Rekordergebnis für den größten chinesischen Rohölproduzenten.
Wie die chinesische Zeitung “China Daily” berichtet, gelang auch CNOOC, dem größten Produzenten von Gas und Öl aus dem Meer, ein enormer Gewinnsprung: Das Unternehmen fuhr im ersten Halbjahr 71,89 Milliarden Yuan ein, eine Steigerung um 116 Prozent. Zudem erwarten die Unternehmen eine Trendwende für die chinesische Wirtschaft. Der Vorsitzende von PetroChina sagte, dass die Konjunkturpakete der Regierung die Ölnachfrage zusätzlich stützten. Bei Sinopec geht man davon aus, dass die inländischen Kraftstoffverkäufe in der zweiten Hälfte gegenüber der ersten um elf Prozent steigen werden. rad
Die Schiffscontainer-Hersteller China International Marine Containers und Maersk Container Industry haben die geplante Fusion ihres Kühlcontainer-Geschäfts nach einem Veto der deutschen und amerikanischen Kartellbehörden abgesagt. Maersk aus Kopenhagen erklärte, der Konzern bedauere das Scheitern der Übernahme seiner Sparte durch den chinesischen Konzern mit einem Volumen von knapp einer Milliarde Dollar.
Die beiden Unternehmen gehören zu den vier größten Anbietern von isolierten Container-Boxen und Kühlcontainern. Hätten die Kartellabteilungen keinen Einspruch erhoben, wären über 90 Prozent der weltweiten Produktion in chinesischen Staatsbesitz beziehungsweise in den Besitz von Staatsbetrieben geraten.
“Die amerikanischen Verbraucher sind bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs auf die globale Kältelieferkette angewiesen”, erklärte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Jonathan Kanter von der Kartellabteilung des US-Justizministeriums. Die Übernahme hätte zu “höheren Preisen, niedrigerer Qualität und geringerer Widerstandsfähigkeit der globalen Lieferketten“ führen können, so Kanter. Maersk wäre zudem als innovativer, unabhängiger Wettbewerber ausgeschaltet worden. fpe
Ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Technikkonzerns Apple hat vor Gericht zugegeben, technische Daten aus der Entwicklung eines selbstfahrenden Autos kopiert zu haben. Nachdem er das Unternehmen verlassen hat, wollte er nach China zurückkehren und dort bei dem Autohersteller Xpeng anheuern. Die US-Polizei hatte ihn am Flughafen verhaftet.
Ein Zusammenhang zwischen dem Diebstahl der Baupläne und dem Wechsel des Arbeitgebers ist nicht nachgewiesen. Xpeng leugnet jedes Interesse an dem Know-how von Apple Car. Zhang Xiaolang hatte von 2015 bis 2018 für Apple gearbeitet. Ihm drohen nun bis zu zehn Jahren Gefängnis für Industriespionage. fin
Chinas Börsen haben mit der Umsetzung der neuen Standards für Grüne Anleihen begonnen. Die Börse Shanghai setzt nun voraus, dass 100 Prozent der Finanzmittel, die durch Grüne Anleihen akquiriert werden, für nachhaltige Investitionen genutzt werden. Das geht aus einer Mitteilung der Börse hervor, die Reuters einsehen konnte. Zuvor mussten Einnahmen aus grünen Unternehmensanleihen, die an Börsen gehandelt werden, zu lediglich 70 Prozent für nachhaltige Zwecke genutzt werden. Bei grünen Anleihen von Staatsunternehmen lag die Quote lediglich bei 50 Prozent. Das wurde jetzt vereinheitlicht. Unklar ist jedoch, ob auch Grüne Anleihen von Staatsunternehmen unter die neuen Standards fallen. Laut der chinesischen Finanzseite Securities Times werden diese Anleihen von den neuen Regeln ausgenommen.
Weiterhin können die Mittel aus Grünen Anleihen allerdings für den Bau und Betrieb von Erdgastransport- und Speicheranlagen – darunter fallen beispielsweise Pipelines und Flüssigerdgas-Terminals – genutzt werden; ebenso zum Bau von Großwasserkraftwerken, obwohl die dadurch entstehenden Stauseen häufig zu einer massiven Umweltzerstörung führen. Auch Projekte zur Kohlendioxidabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) können in China mit grünen Anleihen finanziert werden; ebenso wie bestimmte Atomkraftwerke wie moderne Druckwasserreaktoren (China.Table berichtete).
Zudem hat die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde die Börsen in Shanghai und Shenzhen dazu aufgerufen, ihre Regeln für die Emission neuer Anleihen zu überarbeiten und den jüngst veröffentlichten neuen Standards für Grüne Anleihen anzupassen (China.Table berichtete). Brian Pascoe, der Vorsitzende der International Capital Market Association, lobte, dass die Einnahmen nun komplett in nachhaltige Projekte fließen müssten. Das würde “Bedenken internationaler Markteilnehmer zerstreuen” und ausländische Investitionen in Chinas Green Finance Markt in Zukunft erleichtern.
Die Climate Bonds Initiative (CBI), eine in London ansässige gemeinnützige Organisation, die Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördert, hat in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass ein großer Teil der Grünen Anleihen aus China nicht internationalen Standards entsprechen. Nach Erhebungen der Organisation waren es allein im letzten Jahr 40 Prozent der vermeintlich grünen Anleihen. Auch der Vorsitzende der CBI äußerte sich positiv zu den neuen Standards. nib
China will einer Studie zufolge ausländische Unternehmen im Land immer mehr politisch auf Kurs bringen. Das geht aus einer Untersuchung des China-Thinktanks Merics hervor, die die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch veröffentlichte. Die Forscher stellten demnach bei einer Analyse von mehr als 100 Unternehmen fest, dass die für die chinesische Führung sensiblen Themen zunehmen. Zudem sei die Schwelle für die Ausübung von Druck gesunken. Seit 2018 hätten die Fälle deutlich zugenommen.
“Es ging darum, erstmals ein Muster zu erkennen, wann und wie China Druck ausübt”, sagte Max Zenglein, einer der Autoren der vom BDI mitfinanzierten Studie zu Reuters. Früher habe es traditionelle “rote Linien” gegeben, etwa wenn Fragen der nationalen Souveränität, Menschenrechtsfragen in Tibet oder Xinjiang oder Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer berührt worden seien. Diese Linien werden laut des Berichts nun aber anders gezogen – etwa bei missliebigen Äußerungen über die Entstehung des Coronavirus oder Sanktionen gegen chinesische Unternehmen wie im Fall von Huawei beim Ausbau der 5G-Kommunikationsnetze.
Dabei nutze Peking ein ganzes Bündel an Bestrafungsmaßnahmen, heißt es in der Merics-Studie. Vor allem Konsumartikelfirmen würden mit einem Kaufboykott überzogen. Bekannt wurde etwa der Fall des deutschen Autokonzerns Daimler, der sich 2018 mehrfach entschuldigte, nachdem er mit einem Zitat des Dalai Lama geworben hatte.
Zudem habe Peking die Sanktionsmöglichkeiten ausgeweitet. Dazu gehörten Strafzahlungen, regulatorische Maßnahmen wie Ausfuhrkontrollen sowie Antidumping-Zölle etwa gegen Australien. Die Forscher untersuchten 123 bekanntgewordene Fälle, die sich zwischen Februar 2010 und März 2022 zugetragen hatten und in welchen Druck auf ausländische Firmen in China ausgeübt wurde. Diese Zahl sei aber nur “die Spitze des Eisbergs”. Viele Unternehmen machten die wirtschaftliche Erpressung nicht öffentlich, so die Studie. Die Forscher empfehlen den Firmen, klar zu analysieren, wie angreifbar sie in China sind. Chinas wirksamste Formen der wirtschaftlicher Nötigung seien “impliziter Druck und informelle Maßnahmen”, um ausländische Unternehmen im Land zu beeinflussen.
Die Debatte um zu große Abhängigkeiten gegenüber China hat auch Deutschland erfasst. Insbesondere die deutsche Automobilindustrie erzielt große Teile ihrer Gewinne in der Volksrepublik. Doch auch bei Rohstoffen und zentralen Gütern der Pharma- sowie Techindustrie sowie bei erneuerbaren Energien bestehen Lieferabhängigkeiten. Bundespolitiker wie Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck hatten sich in den letzten Wochen kritisch zu dem Thema geäußert. Auch große Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Ifo und das IW hatten sich jüngst mit Analysen zu dem Thema gemeldet (China.Table berichtete). Die China-Community wartet derzeit gebannt auf eine neue China-Strategie aus dem Außenministerium. Es wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in dem Papier eine zentrale Rolle spielen. nib/rtr
Die Eindrücke seiner ersten China-Reise sind Nis Grünberg nachhaltig im Gedächtnis geblieben. Noch heute übermannt ihn beim Gedanken daran seine Gefühlswelt so intensiv, dass es dem Halbdänen glatt die deutsche Sprache verschlägt. “Mindblowing”, sagt der Lead Analyst des Berliner Forschungsinstituts Merics im Gespräch mit China.Table stattdessen: einfach überwältigend. Vor 18 Jahren war das, und seitdem war für Grünberg klar, dass er China, das er bis dato nur als abstrakte Vorstellung aus dem Studium kannte, sein Berufsleben widmen wollte – und er hat dieses Versprechen an sich selbst eingelöst.
Mit seiner Forschung zur Kommunistischen Partei Chinas, ihrer Elitenpolitik und zuletzt verstärkt auch zur nachhaltigen und grünen Wende der chinesischen Wirtschaft gilt Grünberg längst als einer der wichtigsten China-Erklärer in Deutschland. Leitmedien gibt er regelmäßig Interviews zu chinesischer Politik und zu den Veränderungen, denen das Land unterworfen ist.
Es sind theoretische Fragen, von denen Grünberg zu Beginn seines Studiums nie gedacht hätte, dass sie ihn eines Tages beschäftigen könnten. An der Freien Universität Berlin beginnt er 2003 ein Magister-Studium der Ethnologie und stößt dabei eher durch Zufall in einem Studienkatalog auf die Volksrepublik. Er wählt Chinastudien als seinen Schwerpunkt und beginnt, Mandarin zu lernen. “Das hat mir gelegen”, stellte er schnell fest. Er ging später nach Kopenhagen, studierte Chinastudien zunächst im Bachelor und dann im Master. Danach promovierte er.
Als es ihn 2004 dann zum ersten Mal in das Land zieht, war die Vorstellung eines Chinas als künftige Wirtschaftsmacht in Deutschland zwar schon existent. Aber eine konkrete Idee, wie das Land selbst, aber auch die Welt mit einer mächtigen Volksrepublik aussehen würde, kursierte noch nicht. Nur langsam stellte sich heraus, was es bedeutet, wenn ein Land dieser Größe wirtschaftlich erwacht. Welche Konsequenzen das beispielsweise für unseren Planeten hat.
Die Frage, die Grünberg aktuell umtreibt, beschäftigt sich genau mit diesen Dimensionen: Kann China die Energiewende nachhaltig und effizient gestalten? Die Antwort ist noch offen. China hat zwar den Vorteil, dass es Ressourcen sehr schnell in eine Richtung lenken kann, beobachtet Grünberg. Ob es aber auch den damit verbundenen Kulturwandel und damit die gesamte Umstellung hin zu Erneuerbaren Energien schafft, kann aktuell noch niemand vorhersagen.
Doch Grünbergs wahre Leidenschaft, sagt er, liegt bis heute nicht im Theoretischen, sondern in der “Erkundung der enormen Vielfalt und gesellschaftlichen Komplexität Chinas”. Wann immer es die Studienzeit zuließ, setzte er sich in den Flieger oder den Zug nach Fernost und reiste quer durchs Land. Als Reiseleiter führte er dänische Touristen durch China und sicherte sich so ein Visum und kostenlosen Transport. “Die meiste Zeit meiner Zwanziger habe ich in China verbracht, auch wenn ich dort nie vollständig hingezogen bin”, erinnert er sich. Südchina, besonders die Provinz Yunnan, gefiel ihm besonders gut.
Entsprechend schmerzt den 40-Jährigen inzwischen kaum mehr als die strengen Einreisebesdingungen ins Land. “Die menschliche Dimension fehlt völlig”, sagt er. “Hier geht gerade das Verständnis zwischen China und dem Rest der Welt verloren, das Persönliche und die Nuancen. Das ist hochgefährlich für das gegenseitige Miteinander”, ist er überzeugt. Zumal seine Erfahrungen von einst mit den aktuellen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten und dringend aufgefrischt werden müssten. “Ich habe damals ein China kennengelernt, das es heute so nicht mehr gibt und das Studenten, die mal ein halbes Jahr an einer Eliteuniversität in Shanghai studiert haben, nie kennenlernen werden”, sagt Grünberg.
Denn so gut Open-Source-Daten für Analysen zu wirtschaftlicher Entwicklung heute sind, können sie dennoch die menschliche Komponente nicht ersetzen – den Austausch und die Frage: Was beschäftigt die Menschen wirklich? All das lässt sich seit Pandemiebeginn nicht mehr herausfinden. Ginge es nach Grünberg, würde er sich sofort in ein Flugzeug setzen und wieder einmal durchs ländliche China touren. Doch dafür muss das Land sich öffnen. Ob das noch einmal passiert? “Ich hoffe”, sagt Grünberg. Nils Wischmeyer
in Bild sagt mehr als tausend Worte – selbst wir Mitglieder der schreibenden Zunft müssen das oft anerkennen. Ganz deutlich wird das bei den Werken des Pekinger Künstlers Brother Nut. Mit kreativen Aktionen wie einem aus Smog gepressten Ziegelstein macht er auf die Umwelt- und Klimaprobleme Chinas aufmerksam. Und erzeugt dabei eindrückliche Bilder, die wohl länger im Gedächtnis bleiben als viele schriftliche Schilderungen der Klima- und Umweltprobleme.
Im Gespräch mit Renxiu Zhao erzählt Brother Nut, dass das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten häufig auf Kosten der Umwelt erreicht wurde. Es raubt den Menschen das Trinkwasser und verseucht den Boden, auf dem die Menschen eigentlich ihr Auskommen erzielen sollten. Verzweiflung ist die Folge. Denn die Opfer der Umweltverschmutzung finden selten Gehör bei den Behörden. Die Öffentlichkeit erfährt häufig nicht von den Problemen in anderen Landesteilen. Doch da die Klimakrise auch alle Chinesinnen und Chinesen betrifft, wird die Regierung bei Umwelt- und Klimaproblemen in Zukunft seltener wegschauen können.
Als in der vergangenen Woche Huawei-Gründer Ren Zhengfei seine Mitarbeiter auf harte Zeiten einschwor, schickte er vor allem auch ein Signal in Richtung Peking, glaubt Frank Sieren. Das klingt plausibel, denn direkte Kritik an der Regierung sollten sich private Firmenbetreiber besser verkneifen. Der Letzte, der das wagte, war Alibaba-Chef Jack Ma.
Mercedes-Benz braucht Batteriezellen – und zwar sehr viele davon. Wenn alle Autos des Konzerns einmal elektrisch fahren sollen, dann dürfen die Stromspeicher nicht knapp werden. Das soll schon 2025 so weit sein. Das Unternehmen stellt seine Beschaffung daher breiter auf, verzichtet aber mitnichten auf chinesische Partner, schreibt Christian Domke Seidel. Im Gegenteil. Anbieter aus China wie CATL gehören weiterhin fest zur Strategie. Sie sollen bloß sicherheitshalber in Europa produzieren, so wie es CATL demnächst in Ungarn macht.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Im Juli starteten Sie in Peking das Projekt “Telephone booth for help”, bei dem Sie eine gewöhnliche Telefonzelle in eine “Hotline” für Betroffene von Umweltverschmutzung in der Stadt Huludao in der Provinz Liaoning verwandelten. Über die Telefonzelle konnten die Betroffenen ihr Leid mit Fremden in Chinas Hauptstadt teilen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
In der Regel werden Problem in China “top-down” gelöst. Es gibt Anlaufstellen wie die 12345-Hotline, die Betroffene mit lokalen Behörden verbindet, und speziellere Kanäle wie die zentrale staatliche Aufsichtsbehörde. Aber wie in vielen Orten der Welt werden Hilferufe absichtlich oder versehentlich ignoriert. Das Problem der Umweltverschmutzung in Huludao, in der Provinz Liaoning, ist jedoch sehr ernst, da es einen großen Teil der Stadtbevölkerung betrifft und schon lange andauert. Die Menschen vor Ort beschweren sich schon seit Jahren bei der Hotline 12345, aber die örtliche Regierung hat das Problem nie ernst genommen. Mit dem “Telephone booth for help” haben wir versucht, die unterdrückten Stimmen dieser kleinen nordöstlichen Stadt in die Parallelwelt der Hauptstadt zu tragen. Der Empfänger hört und fühlt dort die Hilferufe, den Schmerz am anderen Ende der Leitung – und plötzlich ist das Problem nicht mehr weit weg.
Wie war die Reaktion der Öffentlichkeit?
Einige Internetnutzer berichteten, dass die Leute am anderen Ende der Leitung verstört gewesen seien. Etwa, weil ihre Social-Media-Konten eingeschränkt wurden und die Behörden die Verantwortung von sich wiesen. Ein älterer Mann erklärte: “Wir fühlen uns gefangen, wie in einem Käfig”. Unter den Anrufern waren auch junge Eltern, die ihre Türen und Fenster geschlossen halten, weil sie um die Sicherheit ihres vierjährigen Kindes besorgt sind, das häufig Nasenbluten bekommt. Eine Frau wurde von der Polizei zu einem Gespräch vorgeladen, nachdem sie sich bei der Umweltschutzbehörde gemeldet hatte. Den Schmerz, sich nicht äußern zu können, und vergeblich um Hilfe zu flehen, hat mich während dieser Zeit so überwältigt, dass ich selbst aus der Telefonzelle flüchten wollte.
Wurden die zuständigen Behörden in Huludao durch die Aktion auf das Problem aufmerksam und wurde schließlich etwas unternommen?
“Telephone booth for help” wurde auf Weibo rund 30.000 Mal geteilt. Die örtliche Regierung hat innerhalb eines halben Monats zwei Pressekonferenzen abgehalten, und die Unternehmen, die für die Luftverschmutzung verantwortlich sind, haben teilweise ihre Produktion unterbrochen. Die Stadtverwaltung hat mehr als 90 Experten, Sicherheitskräfte und Überwachungsteams aus anderen Regionen nach Huludao bestellt, um Untersuchungen durchzuführen. Allerdings gibt es bisher weder einen konkreten Untersuchungsbericht noch Lösungsansätze. Anwohner und Netizens warten noch immer auf eine ernsthafte und aufrichtige Lösung seitens der Stadtverwaltung.
Wann haben Sie entschieden, sich als Künstler mit Umweltthemen auseinanderzusetzen?
Die Projekte, die ich im Laufe der letzten Jahre verwirklicht habe, drehten sich meist um akute Notlagen. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kosten der Umwelt und die Verlagerung der Umweltverschmutzung von strukturstarken in strukturschwache Gebiete, von der Küste ins Landesinnere, sowie die Altlasten haben zu einer Vielzahl von Krisen geführt. Es gibt beispielsweise Orte, an denen die Wasserverschmutzung Krebserkrankungen bei der örtlichen Bevölkerung und das Sterben von Rindern und Schafen verursacht hat. Solche Probleme müssen dringend gelöst werden. Oftmals muss auch die Trinkwasserqualität sofort verbessert werden. Der Versuch, reale soziale Probleme zu lösen, ist das wesentliche Ziel meiner Projekte.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem Chinas im Umweltschutz?
Das größte Problem ist das Top-Down-Modell in der Umweltpolitik – objektiv gesehen sind Chinas enorme Erfolge beim Umweltschutz der vergangenen Jahre untrennbar mit dieser tatkräftigen Art von Politik verbunden. Allerdings ist bei dieser Art von Umweltpolitik die Kontrollmacht der Öffentlichkeit und der Medien zu sehr eingeschränkt. Laut offiziellen Angaben ist fast ein Fünftel der Ackerfläche Chinas mit Schwermetallen verseucht – ein weitaus gravierendes Problem als Smog, das nur langsam behoben werden kann. Wo genau diese Verschmutzungen konzentriert sind, wird der Öffentlichkeit jedoch oft nicht mitgeteilt. Das Ministerium für Ökologie und Umweltschutz führte im Jahr 2021 eine Untersuchung des Bodenverschmutzungspotenzials von fast 15.000 Unternehmen durch und stellte fest, dass fast 70 Prozent der Unternehmen ein mehr oder weniger großes Verschmutzungspotenzial aufweisen. Welche Unternehmen dies sind, wird jedoch ebenfalls nicht bekannt gegeben. Die Medien und die Öffentlichkeit sind als Kontrollinstanz außen vor.
Warum herrscht so starker Widerstand gegen Umweltschutz-Aktivismus, obwohl er dem Land und der Bevölkerung dient?
In einigen wirtschaftlich schwachen Regionen ist der Umweltschutz nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage. In China leisten wirtschaftlich starke Provinzen in der Regel weitaus bessere Arbeit beim Umweltschutz als wirtschaftlich schwache Regionen und sie sind eher zur Transparenz bereit. Sobald Umweltprobleme aufgedeckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gegen die betroffenen Unternehmen ermittelt wird und dass die zuständigen örtlichen Beamten bestraft werden. Dies führt wiederum dazu, dass die betroffenen Unternehmen und Verwaltungen sehr nervös werden, sobald Verschmutzungsprobleme bekannt werden.
Der Raum für freie Meinungsäußerung wird in China zunehmend eingeschränkt. Eine Bewegung wie Fridays for Future, die sich in großer Zahl auf der Straße versammelt, ist ausgeschlossen. Wie können Umweltschützer in China dennoch etwas bewirken?
Soweit ich weiß, arbeiten viele Nichtregierungsorganisationen in China noch immer im Hintergrund und engagieren sich für zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen wie Aufforstung oder die Überwachung von CO2-Emissionen. Ihre Arbeit ist sehr wichtig. Die in China in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Überschwemmungen, Dürren und hohe Temperaturen, machen die globale Klimakrise für uns nicht länger zu einem abstrakten Konzept. Gleichzeitig hat die Pandemie die Menschen für gesellschaftliche Probleme sensibilisiert. Die Klimakrise betrifft uns alle, das spürt man auch in Großstädte wie Shanghai, Shenzhen und Peking. Dort leben viele junge Menschen, die sich für gesellschaftliche Belange interessieren. Am häufigsten äußern sie sich natürlich auf Weibo, WeChat, Douyin und Bilibili wo sie ihre Unzufriedenheit über die Klimakrise zum Ausdruck bringen und Veränderungen fordern.
Sie bewegen sich mit ihrer Kunst auf einem schmalen Grat. Haben Sie manchmal Angst, dass ihre Arbeit verboten werden könnte?
Diese Gefahr besteht tatsächlich, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was in China und dem, was in Deutschland möglich ist. Ich habe keine Strategie, ich weiß nicht, wie lange ich das alles machen kann. Irgendwann werde ich vielleicht nicht mehr sprechen oder etwas tun können. Während der Kommunikation mit örtlichen Behörden hat mir einmal jemand ins Gesicht gesagt, “Künstler sind alle Abschaum”. Vielleicht sollte ich zwei Papageien diesen Satz beibringen, damit sie ihn bei einer künftigen Ausstellung abwechselnd aufsagen. Laut diesen Leuten habe ich ihnen nur Schwierigkeiten bereitet. Gleichzeitig bin ich ein Künstler, der soziale Probleme löst, und ein Umweltschützer, der sich für die Aufdeckung von Umweltproblemen einsetzt. Vielleicht können sie ihre kulturelle Vielfalt und Toleranz unter Beweis stellen, indem sie jemanden wie mich tolerieren.
Brother Nut 坚果兄弟 (“verrückter Bruder”) ist ein international bekannter Künstler aus Peking, der mit öffentlichen Performances auf Umweltprobleme aufmerksam macht. Sein bekanntestes Werk ist “Project Dust” aus dem Jahr 2015, bei dem er aus Feinstaubpartikeln der stark verschmutzten Pekinger Luft einen Ziegelstein formte.
Mitarbeit: Fabian Peltsch
“Die Kälte wird jedermann spüren”, warnte Ren Zhengfei jüngst in einem Memo seine Mitarbeiter vor schwierigen Zeiten. Und der Huawei-Chef weiß, wovon er spricht. Er hatte den chinesischen Telekommunikationskonzern bis an die Weltspitze geführt, Huawei hatte sogar den US-Konkurrenten Apple überholt und war zum größten Smartphone-Hersteller der Welt aufgestiegen. Doch dann kam der tiefe Fall – nicht aufgrund von unternehmerischen Fehlern oder Chinas Wachstumsproblemen, sondern hauptsächlich wegen politischer US-Sanktionen. Sie haben Huaweis Hauptgeschäft der Smartphones vollkommen zerstört.
Auf die US-Sanktionen folgten sechs Quartale voller Umsatz- und Gewinneinbrüche. Inzwischen glänzt Huawei nur noch auf dem Nischenmarkt der Smartphones mit faltbaren Bildschirmen. Auch legte man zuletzt kräftig zu bei den Tablets, bleibt aber weiterhin weit hinter Apple zurück. Das sonstige Geschäft liegt weiterhin am Boden.
Immerhin: Trotz Gewinn- und Umsatzrückgang ist das Personal bei Huawei kaum geschrumpft. Hatte der chinesische Telekommunikationskonzern 2020 noch 197.000 Mitarbeiter, sind es Ende 2021 immerhin noch 195.000 – also ein Rückgang von rund einem Prozent, während der Umsatz im gleichen Zeitraum um 30 Prozent eingebrochen war. Es ist der erste Personal-Rückgang seit 2008.
Wie besonders der Weg von Huawei ist, zeigt der Blick auf die Wettbewerber: Tencent, das neben Huawei bekannteste Hightech-Unternehmen im südchinesischen Shenzhen, hat allein zwischen März und Juni die Mitarbeiterzahl um 4,7 Prozent verringert. Das sind rund 5.500 Mitarbeiter in nur drei Monaten – gegenüber 2.000 Mitarbeitern bei Huawei in einem ganzen Jahr. Alibaba hat sogar 10.000 Mitarbeiter in drei Monaten entlassen.
Doch Huaweis Festhalten an seinen Mitarbeitern zahlt sich langsam wieder aus. So ist es im zweiten Quartal dieses Jahres gelungen, den Umsatz im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder zu steigern. Zwar ist das Wachstum mit 1,45 Prozent auf rund 25 Milliarden US-Dollar noch gering, aber nach einem Verlust von 14 Prozent im ersten Quartal doch ein wichtiger Schritt nach vorne. Der Gewinn ist allerdings um 34 Prozent auf umgerechnet knapp 1,4 Milliarden US-Dollar eingebrochen.
Trotzdem sind das gute Nachrichten für den Konzern: Die Umsatzentwicklung könnte darauf hindeuten, dass Huawei die Talsohle erreicht hat. Auch im Gesamtumsatz lässt sich Positives erkennen. Er ist zwar seit dem ersten Halbjahr 2019 von 400 Milliarden Yuan auf 300 Milliarden Yuan eingebrochen, doch der Rückgang erstreckt sich fast ausschließlich auf das von den US-Sanktionen zerstörte Smartphone-Geschäft. Die übrigen Geschäftszweige legen wieder zu: Das 5G-Ausrüstergeschäft zwar nur um 4,42 Prozent, weil die heiße Phase von Chinas 5G-Ausbau bereits abgeschlossen ist. Aber das Netzwerk-Geschäft für Unternehmen wuchs im ersten Halbjahr um satte 27,5 Prozent.
Doch um weiter innovativ sein zu können, muss sich Huawei nun höher verschulden – und das wird man vor allem in China tun. Zum einen, weil dort der Glauben an die Zukunft des Unternehmens höher ist, als auf den internationalen Kapitalmärkten. Und zum anderen, weil es für Huawei weniger riskant ist, Schulden im eigenen Land aufzunehmen, als international.
Und diesen Weg verfolgt das Unternehmen aus Shenzhen konsequent: Zuletzt legte man am 1. August eine 120-Tage-Anleihe im Wert von umgerechnet 470 Millionen US-Dollar auf. Damit hat sich Huawei allein in diesem Jahr bereits 24 Milliarden Yuan geliehen – im vergangenen Jahr waren es noch neun Milliarden Yuan gewesen. Und dennoch ist die Verschuldungsquote des Unternehmens noch immer moderat.
Zudem gilt es für Huawei, alternative Geschäfte zu entwickeln. Eine der vielversprechendsten Bereiche ist der “Intelligent Vehicle”-Bereich. Ende 2021 hat Huawei mit dem jungen Autohersteller Seres den AITO M5 auf den Markt gebracht – mit beachtlichem Verkaufsstart: Der Fünfsitzer verkaufte sich in den ersten 87 Tagen mehr als 11.000 Mal. Im Juli wurde deshalb gleich noch der passende Siebensitzer M7 vorgestellt.
Zusätzlich eröffnete man eine Fahrdienstplattform namens Petal Chuxing, die in Huaweis OS 3.0, neben Android und IOS von Apple das dritte Betriebssystem weltweit, fest installiert ist. Inzwischen ist das OS 3.0 allen Unkenrufen trotzend auf rund 300 Millionen Huawei-Geräten und als Plattform auf 170 Millionen Geräten von anderen Marken. Das zeigt zudem: Washington ist es gelungen, das Endkundengeschäft von Huawei empfindlich zu treffen, aber nicht, es zu vernichten.
Natürlich handelt es sich hierbei noch nicht um das ganz große Geschäft, so wie es Huawei einst mit Smartphones gelang. Aber es ist ein vielversprechender Anfang.
Der vielversprechendste neue Bereich für Huawei ist jedoch das autonome Fahren. Vor einer Woche schloss man eine Partnerschaft mit idriverplus, einem 2015 gegründeten Pekinger Start-up. Gemeinsam will man autonom fahrende Autos entwickeln, die dann auf Huaweis Ascend AI Processor basieren sollen.
Schon im Juli hat der Hersteller Arcfox ein erstes Auto mit “Huawei Inside” in Produktion geschickt: der Alpha-S, dessen autonomes Fahrsystem 400 Tera Operations per second (TOPS) schafft. TOPS sind gewissermaßen die PS der Chips. Zum Vergleich: das iPhone 13 schafft gerade einmal 15,3 TOPS. Und auch Arcfox ist kein unbedeutender Akteur, sondern ein Tochterunternehmen des Daimler Partners BAIC in Peking, einem der vier größten staatlichen Autohersteller Chinas.
Huawei blickt also längst wieder optimistischer in die Zukunft. In der Firmenzentrale rechnet man denn auch damit, dass man 2025 die Umsätze wieder das Niveau vor den US-Sanktionen erreichen werden. Die Sanktionen hätten Huawei dann um fünf Jahre zurückgeworfen.
Vor diesem Hintergrund bekommt die Warnung von Huawei-Chef Ren Zhengfei einen eigenen Klang. Schon seit Jahren stellt er sich die Frage, wie man es schaffen kann, dass ein so großes Unternehmen weiter an einem Strang zieht. Nun, da die Zahlen wieder etwas besser werden, scheint für Ren der Zeitpunkt gekommen, die Mitarbeiter anzuhalten, nicht nachzulassen. Denn die Wende ist noch längst nicht geschafft.
Zudem könnte Ren bei seiner Warnung auch an die Machthaber in Peking gedacht haben. Es wäre Rens indirekter Hinweis, dass die Staatsführung mehr tun muss, um die chinesische Konjunktur wieder anzukurbeln.
Akku-Marktführer CATL baut im ungarischen Debrecen eine neue Fabrik (China.Table berichtete). Das Projekt hat ein Investitionsvolumen von umgerechnet 7,34 Milliarden Euro. Mercedes Benz ist zwar der größte Kunde dieser Fabrik, ist entgegen anderslautender Meldungen (zum Beispiel hier oder hier) am Projekt aber nicht weitergehend beteiligt. “Wir haben die größte Abnahmemenge, sind aber weder finanziell noch anderweitig eingebunden”, erklärte eine Sprecherin des Konzerns auf Anfrage gegenüber Table.Media. Andere Medien hatten den Vorgang so dargestellt, als ob Mercedes selbst in das Werk investiere.
Mercedes verfolgt aktuell eine “Electric-Only”-Strategie. Ab dem Ende des Jahrzehnts sollen nur noch vollelektrische Fahrzeuge gebaut werden – zumindest “überall dort, wo es die Marktbedingungen zulassen”, wie der Konzern einschränkend hinterherschiebt. Die Planungen sehen vor, dass ab dem Jahr 2025 alle neuen Fahrzeugarchitekturen ausschließlich elektrisch sind. Die Hälfte aller Neuwagen mit Stern sollen dann E-Autos sein. Um das Ziel zu erreichen, will Mercedes zwischen 2022 und 2030 rund 40 Milliarden Euro investieren.
Die Partnerschaft mit Contemporary Amperex Technology Co. Limited (CATL) ist ein Baustein dieser Planungen. Mercedes rechnet vor, 200 Gigawattstunden Batteriekapazität zu benötigen, um eine ausreichende Menge Fahrzeuge rein elektrisch bewegen zu können. In Zukunft möchte der Konzern zwar weniger, aber dafür teurere Autos verkaufen. Die Corona-Pandemie hat aber Schwachstellen in den Lieferketten offengelegt. Deswegen will sich Mercedes bei der Versorgung mit Akkus möglichst breit aufstellen, also möglichst viele Lieferanten anwerben.
Weltweit benötigt Mercedes acht Zellfabriken, um ausreichend Batteriekapazität produzieren oder zukaufen zu können. Vier in Europa, vier in den USA und in China. In den USA kooperiert Mercedes mit Envision AESC. Dort soll eine Batteriezellenfabrik in der Nähe des eigenen Werkes entstehen. In China heißen die Partner zum einen CATL und zum anderen Farasis. Von Farasis hält Mercedes sogar drei Prozent der Aktien, die angeblich rund 400 Millionen Euro gekostet haben sollen. Ursprünglich wollte Farasis in Bitterfeld Batteriezellen für Mercedes produzieren. Doch das Projekt scheiterte 2021 endgültig.
In Europa ist Mercedes an der Automotive Cells Company (ACC) mit Sitz in Frankreich beteiligt – gemeinsam mit der Stellantis-Gruppe (Peugeot, Citroën, Fiat, Chrysler, Jeep) und dem französischen Energieunternehmen Total Energies. Hier sind die Pläne durchaus ambitioniert, wie die Unternehmenssprecherin erläutert: “Wir haben uns gemeinsam mit Stellantis und Total Energies an ACC beteiligt, um einen europäischen Batteriechampion aufzubauen. Hier wollen wir unsere eigene Expertise mit einbringen und so die Entwicklung von ACC beschleunigen.” Diese Diversifizierung ist Teil der “local-for-local”-Strategie. Fällt die Produktion oder die Lieferkette in einem Teil der Welt aus, sitzen die Fabriken in anderen Ländern nicht gänzlich auf dem Trockenen. Gleichzeitig werden so beim Transport Treibhausgase eingespart.
In Europa soll CATL diese Versorgung mit den begehrten Zellen garantieren. Befeuert von Ungarns Wirtschaftspolitik. Ministerpräsident Viktor Orbán möchte sein Land zum zweitwichtigsten Standort für die E-Mobilität ausbauen – hinter Deutschland. Dafür lockte er unter anderem Samsung SDI nach Göd, eine Kleinstadt nördlich von Budapest, in der seitdem Batterien gefertigt werden. Wegen schlechter Arbeitsbedingungen, Lärm und Verschmutzungen musste das Unternehmen bereits über ein Dutzend Strafzahlungen leisten, wie die NZZ berichtet. Auch die südkoreanischen Firmen SK One (in Ivancsa) und Ecpro BM (in Debrecen) werden bald Batterien und benötigte Bauteile in Ungarn fertigen. Dazu kommt das von Mercedes angekündigte CATL-Werk.
Die Investitionen in die E-Mobilität in Ungarn beliefen sich in den vergangenen Jahren auf insgesamt acht Milliarden Euro. Allein das CATL-Werk wird diese Summe fast verdoppeln. Woher die Arbeitskräfte kommen sollen, ist derweil unklar. Mercedes verweist im Gespräch mit Table.Media zwar auf die nachhaltige Produktion der Batteriezellen, meint damit aber nur die CO2-Neutralität. Die sozialen und wirtschaftlichen Aspekte schließt die Unternehmenssprecherin dezidiert aus.
Das stellt Ungarn vor Probleme. Denn in dem Land gibt es schlichtweg nicht ausreichend Fachkräfte, um die wachsende Nachfrage bedienen zu können. Von den geschätzt 5.000 Mitarbeitern bei Samsung SDI sollen gerade einmal hundert aus Ungarn kommen, wie Balogh Csaba, Bürgermeister von Göd, gegenüber der NZZ vorrechnet. Die restlichen Arbeitskräfte kommen aus Asien. Wie das bei CATL aussehen könnte, ist derzeit noch völlig offen.
Chinas Öl-Konzerne haben im ersten Halbjahr 2022 kräftige Gewinne verbucht. Die staatliche Sinopec-Gruppe, der größte Ölverarbeiter in Asien, meldete am Sonntag für das erste Halbjahr einen Nettogewinn von 43,53 Milliarden Yuan (6,37 Milliarden Euro) – das ist eine Steigerung von 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Grund sind die rasant angestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs, die die höheren Importkosten und den rückläufigen inländischen Kraftstoffverbrauch der vergangenen Monate mehr als aufgewogen haben. So verkaufte beispielsweise Sinopec nicht mehr, sondern weniger Öl. Der Absatz des Konzerns ging gar um 9,8 Prozent zurück.
Der Ölkonzern PetroChina wiederum verbuchte von Januar bis Juli einen Gewinn von 82,39 Milliarden Yuan. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das ein Plus von satten 55,3 Prozent. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge handelt es sich um ein Rekordergebnis für den größten chinesischen Rohölproduzenten.
Wie die chinesische Zeitung “China Daily” berichtet, gelang auch CNOOC, dem größten Produzenten von Gas und Öl aus dem Meer, ein enormer Gewinnsprung: Das Unternehmen fuhr im ersten Halbjahr 71,89 Milliarden Yuan ein, eine Steigerung um 116 Prozent. Zudem erwarten die Unternehmen eine Trendwende für die chinesische Wirtschaft. Der Vorsitzende von PetroChina sagte, dass die Konjunkturpakete der Regierung die Ölnachfrage zusätzlich stützten. Bei Sinopec geht man davon aus, dass die inländischen Kraftstoffverkäufe in der zweiten Hälfte gegenüber der ersten um elf Prozent steigen werden. rad
Die Schiffscontainer-Hersteller China International Marine Containers und Maersk Container Industry haben die geplante Fusion ihres Kühlcontainer-Geschäfts nach einem Veto der deutschen und amerikanischen Kartellbehörden abgesagt. Maersk aus Kopenhagen erklärte, der Konzern bedauere das Scheitern der Übernahme seiner Sparte durch den chinesischen Konzern mit einem Volumen von knapp einer Milliarde Dollar.
Die beiden Unternehmen gehören zu den vier größten Anbietern von isolierten Container-Boxen und Kühlcontainern. Hätten die Kartellabteilungen keinen Einspruch erhoben, wären über 90 Prozent der weltweiten Produktion in chinesischen Staatsbesitz beziehungsweise in den Besitz von Staatsbetrieben geraten.
“Die amerikanischen Verbraucher sind bei vielen Gütern des täglichen Bedarfs auf die globale Kältelieferkette angewiesen”, erklärte der stellvertretende Generalstaatsanwalt Jonathan Kanter von der Kartellabteilung des US-Justizministeriums. Die Übernahme hätte zu “höheren Preisen, niedrigerer Qualität und geringerer Widerstandsfähigkeit der globalen Lieferketten“ führen können, so Kanter. Maersk wäre zudem als innovativer, unabhängiger Wettbewerber ausgeschaltet worden. fpe
Ein ehemaliger Mitarbeiter des US-Technikkonzerns Apple hat vor Gericht zugegeben, technische Daten aus der Entwicklung eines selbstfahrenden Autos kopiert zu haben. Nachdem er das Unternehmen verlassen hat, wollte er nach China zurückkehren und dort bei dem Autohersteller Xpeng anheuern. Die US-Polizei hatte ihn am Flughafen verhaftet.
Ein Zusammenhang zwischen dem Diebstahl der Baupläne und dem Wechsel des Arbeitgebers ist nicht nachgewiesen. Xpeng leugnet jedes Interesse an dem Know-how von Apple Car. Zhang Xiaolang hatte von 2015 bis 2018 für Apple gearbeitet. Ihm drohen nun bis zu zehn Jahren Gefängnis für Industriespionage. fin
Chinas Börsen haben mit der Umsetzung der neuen Standards für Grüne Anleihen begonnen. Die Börse Shanghai setzt nun voraus, dass 100 Prozent der Finanzmittel, die durch Grüne Anleihen akquiriert werden, für nachhaltige Investitionen genutzt werden. Das geht aus einer Mitteilung der Börse hervor, die Reuters einsehen konnte. Zuvor mussten Einnahmen aus grünen Unternehmensanleihen, die an Börsen gehandelt werden, zu lediglich 70 Prozent für nachhaltige Zwecke genutzt werden. Bei grünen Anleihen von Staatsunternehmen lag die Quote lediglich bei 50 Prozent. Das wurde jetzt vereinheitlicht. Unklar ist jedoch, ob auch Grüne Anleihen von Staatsunternehmen unter die neuen Standards fallen. Laut der chinesischen Finanzseite Securities Times werden diese Anleihen von den neuen Regeln ausgenommen.
Weiterhin können die Mittel aus Grünen Anleihen allerdings für den Bau und Betrieb von Erdgastransport- und Speicheranlagen – darunter fallen beispielsweise Pipelines und Flüssigerdgas-Terminals – genutzt werden; ebenso zum Bau von Großwasserkraftwerken, obwohl die dadurch entstehenden Stauseen häufig zu einer massiven Umweltzerstörung führen. Auch Projekte zur Kohlendioxidabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) können in China mit grünen Anleihen finanziert werden; ebenso wie bestimmte Atomkraftwerke wie moderne Druckwasserreaktoren (China.Table berichtete).
Zudem hat die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde die Börsen in Shanghai und Shenzhen dazu aufgerufen, ihre Regeln für die Emission neuer Anleihen zu überarbeiten und den jüngst veröffentlichten neuen Standards für Grüne Anleihen anzupassen (China.Table berichtete). Brian Pascoe, der Vorsitzende der International Capital Market Association, lobte, dass die Einnahmen nun komplett in nachhaltige Projekte fließen müssten. Das würde “Bedenken internationaler Markteilnehmer zerstreuen” und ausländische Investitionen in Chinas Green Finance Markt in Zukunft erleichtern.
Die Climate Bonds Initiative (CBI), eine in London ansässige gemeinnützige Organisation, die Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördert, hat in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass ein großer Teil der Grünen Anleihen aus China nicht internationalen Standards entsprechen. Nach Erhebungen der Organisation waren es allein im letzten Jahr 40 Prozent der vermeintlich grünen Anleihen. Auch der Vorsitzende der CBI äußerte sich positiv zu den neuen Standards. nib
China will einer Studie zufolge ausländische Unternehmen im Land immer mehr politisch auf Kurs bringen. Das geht aus einer Untersuchung des China-Thinktanks Merics hervor, die die Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch veröffentlichte. Die Forscher stellten demnach bei einer Analyse von mehr als 100 Unternehmen fest, dass die für die chinesische Führung sensiblen Themen zunehmen. Zudem sei die Schwelle für die Ausübung von Druck gesunken. Seit 2018 hätten die Fälle deutlich zugenommen.
“Es ging darum, erstmals ein Muster zu erkennen, wann und wie China Druck ausübt”, sagte Max Zenglein, einer der Autoren der vom BDI mitfinanzierten Studie zu Reuters. Früher habe es traditionelle “rote Linien” gegeben, etwa wenn Fragen der nationalen Souveränität, Menschenrechtsfragen in Tibet oder Xinjiang oder Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer berührt worden seien. Diese Linien werden laut des Berichts nun aber anders gezogen – etwa bei missliebigen Äußerungen über die Entstehung des Coronavirus oder Sanktionen gegen chinesische Unternehmen wie im Fall von Huawei beim Ausbau der 5G-Kommunikationsnetze.
Dabei nutze Peking ein ganzes Bündel an Bestrafungsmaßnahmen, heißt es in der Merics-Studie. Vor allem Konsumartikelfirmen würden mit einem Kaufboykott überzogen. Bekannt wurde etwa der Fall des deutschen Autokonzerns Daimler, der sich 2018 mehrfach entschuldigte, nachdem er mit einem Zitat des Dalai Lama geworben hatte.
Zudem habe Peking die Sanktionsmöglichkeiten ausgeweitet. Dazu gehörten Strafzahlungen, regulatorische Maßnahmen wie Ausfuhrkontrollen sowie Antidumping-Zölle etwa gegen Australien. Die Forscher untersuchten 123 bekanntgewordene Fälle, die sich zwischen Februar 2010 und März 2022 zugetragen hatten und in welchen Druck auf ausländische Firmen in China ausgeübt wurde. Diese Zahl sei aber nur “die Spitze des Eisbergs”. Viele Unternehmen machten die wirtschaftliche Erpressung nicht öffentlich, so die Studie. Die Forscher empfehlen den Firmen, klar zu analysieren, wie angreifbar sie in China sind. Chinas wirksamste Formen der wirtschaftlicher Nötigung seien “impliziter Druck und informelle Maßnahmen”, um ausländische Unternehmen im Land zu beeinflussen.
Die Debatte um zu große Abhängigkeiten gegenüber China hat auch Deutschland erfasst. Insbesondere die deutsche Automobilindustrie erzielt große Teile ihrer Gewinne in der Volksrepublik. Doch auch bei Rohstoffen und zentralen Gütern der Pharma- sowie Techindustrie sowie bei erneuerbaren Energien bestehen Lieferabhängigkeiten. Bundespolitiker wie Kanzler Scholz, Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck hatten sich in den letzten Wochen kritisch zu dem Thema geäußert. Auch große Wirtschaftsforschungsinstitute wie das Ifo und das IW hatten sich jüngst mit Analysen zu dem Thema gemeldet (China.Table berichtete). Die China-Community wartet derzeit gebannt auf eine neue China-Strategie aus dem Außenministerium. Es wird davon ausgegangen, dass die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in dem Papier eine zentrale Rolle spielen. nib/rtr
Die Eindrücke seiner ersten China-Reise sind Nis Grünberg nachhaltig im Gedächtnis geblieben. Noch heute übermannt ihn beim Gedanken daran seine Gefühlswelt so intensiv, dass es dem Halbdänen glatt die deutsche Sprache verschlägt. “Mindblowing”, sagt der Lead Analyst des Berliner Forschungsinstituts Merics im Gespräch mit China.Table stattdessen: einfach überwältigend. Vor 18 Jahren war das, und seitdem war für Grünberg klar, dass er China, das er bis dato nur als abstrakte Vorstellung aus dem Studium kannte, sein Berufsleben widmen wollte – und er hat dieses Versprechen an sich selbst eingelöst.
Mit seiner Forschung zur Kommunistischen Partei Chinas, ihrer Elitenpolitik und zuletzt verstärkt auch zur nachhaltigen und grünen Wende der chinesischen Wirtschaft gilt Grünberg längst als einer der wichtigsten China-Erklärer in Deutschland. Leitmedien gibt er regelmäßig Interviews zu chinesischer Politik und zu den Veränderungen, denen das Land unterworfen ist.
Es sind theoretische Fragen, von denen Grünberg zu Beginn seines Studiums nie gedacht hätte, dass sie ihn eines Tages beschäftigen könnten. An der Freien Universität Berlin beginnt er 2003 ein Magister-Studium der Ethnologie und stößt dabei eher durch Zufall in einem Studienkatalog auf die Volksrepublik. Er wählt Chinastudien als seinen Schwerpunkt und beginnt, Mandarin zu lernen. “Das hat mir gelegen”, stellte er schnell fest. Er ging später nach Kopenhagen, studierte Chinastudien zunächst im Bachelor und dann im Master. Danach promovierte er.
Als es ihn 2004 dann zum ersten Mal in das Land zieht, war die Vorstellung eines Chinas als künftige Wirtschaftsmacht in Deutschland zwar schon existent. Aber eine konkrete Idee, wie das Land selbst, aber auch die Welt mit einer mächtigen Volksrepublik aussehen würde, kursierte noch nicht. Nur langsam stellte sich heraus, was es bedeutet, wenn ein Land dieser Größe wirtschaftlich erwacht. Welche Konsequenzen das beispielsweise für unseren Planeten hat.
Die Frage, die Grünberg aktuell umtreibt, beschäftigt sich genau mit diesen Dimensionen: Kann China die Energiewende nachhaltig und effizient gestalten? Die Antwort ist noch offen. China hat zwar den Vorteil, dass es Ressourcen sehr schnell in eine Richtung lenken kann, beobachtet Grünberg. Ob es aber auch den damit verbundenen Kulturwandel und damit die gesamte Umstellung hin zu Erneuerbaren Energien schafft, kann aktuell noch niemand vorhersagen.
Doch Grünbergs wahre Leidenschaft, sagt er, liegt bis heute nicht im Theoretischen, sondern in der “Erkundung der enormen Vielfalt und gesellschaftlichen Komplexität Chinas”. Wann immer es die Studienzeit zuließ, setzte er sich in den Flieger oder den Zug nach Fernost und reiste quer durchs Land. Als Reiseleiter führte er dänische Touristen durch China und sicherte sich so ein Visum und kostenlosen Transport. “Die meiste Zeit meiner Zwanziger habe ich in China verbracht, auch wenn ich dort nie vollständig hingezogen bin”, erinnert er sich. Südchina, besonders die Provinz Yunnan, gefiel ihm besonders gut.
Entsprechend schmerzt den 40-Jährigen inzwischen kaum mehr als die strengen Einreisebesdingungen ins Land. “Die menschliche Dimension fehlt völlig”, sagt er. “Hier geht gerade das Verständnis zwischen China und dem Rest der Welt verloren, das Persönliche und die Nuancen. Das ist hochgefährlich für das gegenseitige Miteinander”, ist er überzeugt. Zumal seine Erfahrungen von einst mit den aktuellen Entwicklungen nicht mehr Schritt halten und dringend aufgefrischt werden müssten. “Ich habe damals ein China kennengelernt, das es heute so nicht mehr gibt und das Studenten, die mal ein halbes Jahr an einer Eliteuniversität in Shanghai studiert haben, nie kennenlernen werden”, sagt Grünberg.
Denn so gut Open-Source-Daten für Analysen zu wirtschaftlicher Entwicklung heute sind, können sie dennoch die menschliche Komponente nicht ersetzen – den Austausch und die Frage: Was beschäftigt die Menschen wirklich? All das lässt sich seit Pandemiebeginn nicht mehr herausfinden. Ginge es nach Grünberg, würde er sich sofort in ein Flugzeug setzen und wieder einmal durchs ländliche China touren. Doch dafür muss das Land sich öffnen. Ob das noch einmal passiert? “Ich hoffe”, sagt Grünberg. Nils Wischmeyer