US-Präsident Joe Biden will die diplomatische Kurzsichtigkeit seines Vorgängers Donald Trump wettmachen. Damit hat er alle Hände voll zu tun, vor allem in Asien. Derzeit weilt Biden in der Region, die geopolitisch auch in Zukunft entscheidend sein wird im Ringen zwischen China und den USA um die globale Führung.
Entsprechend viel Zeit hat sich Biden genommen: Nach drei Tagen in Südkorea landete der US-Präsident am Montag in Japan – beides demokratische Verbündete der USA. Finn Mayer-Kuckuk hat Bidens Auftritt in Tokio verfolgt und stellt fest, dass man der Reise des US-Präsidenten eine klare Überschrift geben kann: Die USA sind auf der Suche nach Partnern gegen China. Dabei setzt Biden auf eine Mischung aus militärischer Stärke und wirtschaftlichen Anreizen.
Auch der frisch wiedergewählte französische Präsident hat China im Blick. Es ist Emmanuel Macron, der sich immer wieder stark macht für eine geschlossene europäische Haltung gegenüber der Volksrepublik.
Im Juni wird nun das französische Parlament neu gewählt – und dabei tritt in Paris ein besonders umstrittener Kandidat mit engen Verbindungen zu China an: Buon Tan. Wir haben uns den umtriebigen Geschäftsmann genauer angeschaut und zeigt, dass er nicht zu Unrecht als verlängerter Arm der Kommunistischen Partei Chinas gilt. Selbst mit Xi Jinping stand Tan schon in Kontakt. Das Problem für Frankreichs Politik: Tan ist auch ein enger Vertrauter von Emmanuel Macron.
Die Corona-Krise hat in China einige Gewissheiten ins Wanken gebracht und scheint andere Trends zu verstärken. Europäische Unternehmen beklagen sich über Intransparenz und eine geringe Planbarkeit der Geschäftsaktivitäten. Doch auch abseits der Lockdowns ist einiges in Bewegung: Immer mehr Expats verlassen das Land, die Behörden vergeben weniger Visa, und die Lage für internationale Schulen wird immer schwieriger, wie Christiane Kühl erklärt.
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US-Präsident Joe Biden hat seine Wortwahl zum Thema Taiwan am Montag noch einmal verschärft. In Japan versprach er zunächst allgemein Militärhilfe für Taiwan, falls es von China angegriffen wird. Auf die Frage nach einem möglichen Einsatz der US-Armee sagte Biden: “Ja, wir haben diese Verpflichtung.”
Bereits im vergangenen Oktober hatte sich der US-Präsident ähnlich geäußert (China.Table berichtete). Der Hinweis auf die “Verpflichtung” zum Schutz Taiwans erfolgte seinerzeit ebenfalls erst auf Nachfrage eines Journalisten. Damals wie heute kam kurz darauf ein Hinweis seiner Kommunikationsabteilung, der Satz des Präsidenten sei nicht als Kurswechsel zu verstehen. Die fast wortgetreue Wiederholung des Vorgangs deutet jedoch darauf hin, dass die damalige Formulierung kein Zufall war.
Die Äußerungen Bidens erhalten ihre Tragweite jedoch vor allem im Gesamtbild weitreichender neuer Sprachregeln der US-Politik in der Taiwan-Frage. Erst kürzlich hatte das Außenministerium die Beschreibung Taiwans auf seiner Internetseite geändert (China.Table berichtete). Der Hinweis auf “ein China” fiel weg. Eine kleine, aber symbolträchtige Änderung.
Ohne die Politik seines Landes fundamental neu auszurichten, justiert Biden so die Haltung zu Taiwan dennoch neu. Dies geschieht unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine. Wladimir Putin hatte sich nicht von unklaren Zusagen gegenüber der Ukraine abschrecken lassen. Die Lehre daraus ist offenbar: Wenn den USA wirklich etwas an einem freien Taiwan liegt, müssen sie deutlicher werden als bisher.
Auch wenn eine echte, vertraglich festgelegte Sicherheitsgarantie noch aussteht, zeichnen sich an dieser Stelle signifikante Änderungen ab. Bisher bestand die US-Strategie darin, absichtlich vage zu bleiben. Davon erhoffte Washington sich zwei Vorteile: China sollte im Unklaren über die Handlungsbereitschaft der USA bleiben. Und Taiwan sollte keinen Anreiz erhalten, mit einer vermeintlich amerikanischen Rückendeckung auf die formale Unabhängigkeit auszurufen. Putins großes Wagnis in der Ukraine lässt nun zumindest die Strategie der Abschreckung durch Unklarheit fraglich erscheinen.
Ein eigenständiges, aber nicht offiziell für unabhängig erklärtes Taiwan ist für die USA derweil weiterhin wichtig. Die Insel dient als Brückenkopf, direkt vor der chinesischen Küste. Sie vervollständigt eine Einkreisung Chinas durch mehr oder minder treue US-Verbündete. Diese bilden einen großen Bogen von Südkorea über Japan und die Philippinen bis nach Indien. Die Aneignung Taiwans wäre zudem ein Akt chinesischer Stärke und ein Bruch internationaler Normen. Das würde die Position der USA empfindlich schwächen, bliebe ein solcher Schritt anschließend ungesühnt. Zugleich wollen die USA aber auch keine rote Linie überschreiten, die wiederum China zum Handeln zwingen würde.
Ebenfalls am Montag hat Biden – wie angekündigt (China.Table berichtete) – Details zu einer neuen indopazifischen Wirtschaftskooperation bekannt gegeben. Das passt ebenfalls zum großen Thema seiner Asienreise: der Einhegung Chinas. Das Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) soll den inhaltlichen Rahmen für gedeihlichen Handel setzen. Indien und Japan sind dabei, China nicht.
Dem IPEF treten als Gründungsmitglieder bei:
Das Fehlen Chinas (immerhin die Wirtschaftsmacht, um die sich diese Länder räumlich gruppieren) fällt gnadenlos auf. Die Gruppe ist offensichtlich als Gegengewicht gedacht. Das war seinerzeit auch die ursprüngliche Absicht von Barack Obama, die der damalige US-Präsident mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) verfolgte. Die hat allerdings inzwischen China für seine Zwecke gekapert.
Die Liste der Mitglieder von IPEF und RCEP liest sich tatsächlich sehr ähnlich, wenn man von China absieht. Der asiatische Freihandel ist damit jetzt reichlich kompliziert geregelt. Schließlich gibt es auch noch das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) und Asean.
Das IPEF ist bisher allerdings kein sehr weitreichendes Abkommen. Zollfreiheit ist nicht vorgesehen – die ist jedoch der Goldstandard für Marktöffnung und wirtschaftliche Integration. Stattdessen geht es um Regeln für Internetkonzerne, den Schutz von Lieferketten, die Bekämpfung von Klimawandel und Korruption.
Am Dienstag trifft Biden in Präsenz mit Führern der Quad-Gruppe zusammen, die sich ebenfalls gegen China richtet. Dabei handelt es sich um Indien, Australien, Japan und eben die USA. Friedensdemonstranten in Tokio warfen ihrer Regierung wegen ihrer Teilhabe an Quad Kriegstreiberei vor. Finn Mayer-Kuckuk
Im 13. Pariser Arrondissement spielt China eine große Rolle: Der Bezirk im Südosten der französischen Hauptstadt ist die Heimat des bekanntesten “Chinatown” im Land. Hier reihen sich Supermärkte an Restaurants und Deko-Geschäfte mit Waren aus Fernost. Die familiären Wurzeln ihrer Besitzer liegen in der Volksrepublik, aber auch in anderen asiatischen Ländern wie Vietnam, Laos und Kambodscha, also der Region, die von Frankreich einst unter dem Begriff Indochina kolonialisiert wurde.
Das 13. Arrondissement ist auch die Heimat von Buon Tan – den Kritiker gerne als “Pekings Liebling in Frankreich” bezeichnen. Tan hält Posten in wichtigen parlamentarischen Kommissionen mit Bezug zu China und der Kommunistischen Partei. Er nimmt – auch bei Abstimmungen in der Nationalversammlung – KPCh-orientierte Positionen zu Themen wie dem Umgang mit Huawei und der Unterdrückung der Uiguren ein. Tan war zudem Mitglied mehrerer Organisationen, die der Einheitsfront der KP China unterstehen. Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst und versucht, durch Einflussnahme auf Eliten außerhalb Chinas die Interessen Pekings in der Welt durchzusetzen.
Die Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron, LREM (“La République en Marche”, seit der Präsidentschafts-Wahlkampagne umbenannt zu “Renaissance”), setzt trotzdem auf den 55-Jährigen bei den anstehenden Parlamentswahlen im Juni: Tan tritt wieder im 9. Wahlkreis der französischen Hauptstadt an. Mit dem Segen Macrons – denn der französische Staatschef winkt die LREM-Kandidaten persönlich durch. Der sozialistische Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann kritisierte Macrons Entscheidung: “Warum löst die Ernennung eines Akteurs des chinesischen Regimes durch die Partei des Präsidenten keinen Medienaufschrei oder politischen Skandal aus? Ist es normal, dass ein Vertreter des französischen Volkes direkt für eine ausländische Tyrannei arbeitet?”, schrieb Glucksmann auf Twitter.
Bestätigung für Buon Tan kommt nicht nur aus dem Élysée. 2019 schüttelte Buon Tan Xi Jinping bei einem Treffen der Einheitsfront die Hand, wie Videoaufnahmen zeigen. 2013 nahm er an der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes als “nicht stimmberechtigter Delegierter aus Übersee” teil – solche Einladungen sind äußerst selten. Tan war in dieser Zeit auch Mitglied der Lobbying-Gruppe China Overseas Exchange Association (COEA). COEA wolle “umfassende Kontakte” zu Chinesen in Übersee knüpfen, um Kapital, Technologien und ausländische Arbeitskräfte nach China zu bringen sowie “Kulturaustausch und Außenpropaganda” voranzutreiben, zitiert der tschechische Thinktank Sinopsis in einem Papier zu dem französischen Politiker aus einer offiziellen COEA-Mitteilung.
Tan begleitete in dieser Zeit auch französische Politiker, von Ministern bis hin zu Präsidenten, bei Reisen nach Asien als Berater. Während des Empfangs des chinesischen Premierministers Li Keqiang im Juni 2015 ging der damalige französische Premierminister Manuel Valls laut der Tageszeitung Libération so weit, Buon Tan als den “einflussreichsten Chinesen in Paris” vorzustellen.
Buon Tan wurde in Kambodscha als Sohn einer Familie aus Puning in der Region Chaoshan in China geboren und kam 1975 im Alter von acht Jahren auf der Flucht vor den Roten Khmer mit seiner Familie nach Frankreich. Sein Vater machte ein Vermögen mit dem Import von Tee, was Buon Tan auch den Spitznamen “Teeblatt-Prinz” einbrachte. Tans Vater war ein angesehener Mann im 13. Arrondissement. Sein Sohn begann seine politische Karriere bei den Sozialisten (PS), bei der Präsidentenwahl 2017 setzte sich der Geschäftsmann für den Sieg von Politik-Quereinsteiger Macron ein. Die Zeitung Libération nannte ihn deshalb “Macrons Lotsenfisch in der asiatischen Diaspora”. Buon Tan zog bei der anschließenden Parlamentswahl erstmals als LREM-Abgeordneter in die Nationalversammlung ein.
Dort fiel er vor allem dieses Jahr im Januar negativ auf: Als einziger Abgeordneter stimmte er gegen eine Resolution, die die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung an der uigurischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord einstufte (China.Table berichtete). “Der Text ist wirkungslos, sogar kontraproduktiv, er hilft der Sache nicht”, erklärte Tan gegenüber der Zeitung Le Monde.
Dass Buon Tan mit Rückenwind von LREM wieder antrete, sei ein völlig falsches Signal, findet der China-Beobachter Antoine Bondaz. Er beschäftigt sich für den französischen Think-Tank “Fondation pour la recherche stratégique” (FRS) mit Asien und der Volksrepublik. Nach allem, was über den 55-Jährigen bekannt geworden sei, wäre es nicht gut für die China-Politik der Regierungspartei, wenn Tan wieder in die Nationalversammlung einziehe und sich niemand an den Verbindungen nach Peking störe, so Bondaz.
Weit mehr Einfluss auf Macron haben jedoch die Außenpolitik-Berater im Präsidialamt – und diese seien durchaus erfahren im Umgang mit China, so Bondaz. Im diplomatischen Stab des Élysée kümmert sich derzeit Walid Fouque um Asien und Ozeanien. Fouque war von 2014 bis 2017 in der französischen Botschaft in Peking tätig, spricht neben Mandarin auch Koreanisch und Japanisch.
Seit November 2020 sitzt er im Berater-Team von Macron. Über seine Herangehensweise an das China-Dossier ist öffentlich so gut wie nichts bekannt, Fouque taucht so gut wie nie in Interviews auf. Seine Ernennung als Asien-Berater zeige jedoch, dass die Volksrepublik im Élysée aufmerksam verfolgt werde, sagt der französische Historiker und China-Beobachter Emmanuel Lincot. Fouque sei ein “Kenner chinesischer Angelegenheiten”, so Lincot.
China-Kompetenz spiele sonst in der Bildung des neuen Kabinetts und des Beraterstabs allerdings keine große Rolle, erklärt FRS-Forscher Bondaz. Zwischen der Präsidentenwahl und der Parlamentswahl sei gerade viel in Bewegung. “Wir wissen noch nicht, ob die bisherigen Berater bleiben”, meint Bondaz. Auch die französische Diplomatie in China könnte nach der Kabinettsbildung Macrons neu aufgestellt werden: Botschafter Laurent Bili befindet sich seit 2019 auf seinem Posten in Peking.
Dass es hier zu einem zeitnahen Wechsel kommt, ist Bondaz zufolge sehr wahrscheinlich. Bilis Besetzung in China galt 2019 als Überraschung, er ist ein enger Vertrauter von Außenminister Jean-Yves Le Drian und war zuvor Botschafter in Brasilien und Thailand. Bili gilt als sehr diplomatisch, äußert sich selten kritisch. Zwist zwischen ihm und der Zentrale in Paris gab es, als darüber gestritten wurde, wann die Botschaft in Peking vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt hatte.
Frankreichs China-Politik wird in den kommenden Monaten auf verschiedenen Ebenen in Bewegung geraten. Zuletzt hatte Präsident Macron nach einem Gespräch mit Amtskollege Xi Jinping sogar erstmals auf Mandarin einen Tweet abgesetzt. Spannend wird die Entwicklung vor allem im 13. Arrondissement von Paris. Denn Buon Tans Wiederwahl ist keinesfalls sicher. Er trifft gegen die Grünen-Kandidatin Sandrine Rousseau an. Und das in einem Wahlkreis, in dem bei der ersten Präsidentenwahlrunde der linke Jean-Luc Mélenchon gegenüber Macron bevorzugt wurde. Verliert Buon Tan, verliert auch Peking einen klaren Fürsprecher im französischen Parlament.
Resignation macht sich breit unter internationalen Firmen in China. Eine Abkehr von der Null-Covid-Politik ist kurzfristig ebenso wenig in Sicht wie ein Ausweg aus dem Kreislauf immer wiederkehrender Ausbrüche. Statt einer großen Impfkampagne plant die Regierung, alle Städte mit einem dichten Netz von “PCR-Testkiosken” zu überziehen. Ohne aktuellen negativen Test wird ein normales Leben bis auf Weiteres kaum möglich sein (China.Table berichtete).
Das für einige Wochen abgeriegelte Shenyang sei nun beinahe wieder offen, erzählt Harald Kumpfert, EU-Kammervorsitzender für Nordostchina. “Aber dafür gibt es jetzt Tests mindestens alle 48 Stunden. Und viele Städte akzeptieren nicht die Testergebnisse aus anderen Städten.” Geschäftsreisen seien nicht ohne Risiko, so Kumpfert. “Wer mit dem Zug oder dem Auto durch eine Stadt mit nur einem Covid-Fall kommt, kann danach in Quarantäne genommen werden.”
Ähnliche Geschichten gibt es aus ganz China. “Man braucht vier Covid-Tests binnen 24 Stunden für einen Kurztrip zwischen Chengdu und Chongqing, da es in beiden Städte Hochrisikogegenden gibt”, berichtet Massimo Bagnasco von der EU-Kammer für den Südwesten des Landes. Die beiden Metropolen liegen zwei Stunden mit dem Hochgeschwindigkeitszug voneinander entfernt. In Jiangsu wiederum müssen Lastwagenfahrer nach Angaben der dortigen EU-Kammer in manchen Städten nach der “Einreise” drei Tage in Quarantäne. In der Gegend um Shanghai sind Reisen und Logistik ohnehin auf einen Bruchteil zusammengeschrumpft (China Table berichtete).
Selbst der wochenlange Lockdown der wichtigsten Wirtschaftsmetropole Shanghai mit seinen Folgen bringt die Regierung bisher nicht zum Umdenken: Für Null-Covid opfert Peking offenbar sogar das Wachstum. Die Beiträge von Zweiflern, darunter auch chinesische Ökonomen, werden zensiert.
Seit April zeigt sich die ganze Wucht von Null-Covid auf die Wirtschaft. Die Industrieproduktion ging gegenüber dem Vorjahresmonat um mehr als drei Prozent zurück, die Einzelhandelsumsätze um elf Prozent, die Autoverkäufe gar um 48 Prozent. “Alles weist in die falsche Richtung”, sagt EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke – auch die Impfstatistik. “Im März wurden pro Woche im Schnitt 800.000 über 60-Jährige geimpft. In der ersten Maiwoche waren es nur noch 300.000.” Impfpersonal wird vielerorts zum Testen abgezogen.
Inzwischen dürfte jedem klar sein, dass ein Ende von Null-Covid oder zumindest eine gewisse Planbarkeit kurzfristig nicht zu erwarten sind. Das größte Problem ist die Unsicherheit, wie es weitergeht, das klingt aus den Aussagen der EU-Kammervertreter heraus. Neue Projekte schiebt derzeit kaum jemand an, alle warten ab.
Manche Experten warnen China vor einer “Wachstumsrezession” – einem sehr langsamen Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit stieg im April auf sechs Prozent; unter den 16-24-Jährigen lag sie bei über 18 Prozent. Andere glauben, China drohe eine sogenannte Double-Dip-Rezession, ähnlich wie in den USA Anfang der 1980er Jahre – eine Rezession, gefolgt von einer leichten Erholung, gefolgt von einer erneuten Rezession.
Und mit einem groß angelegten Konjunkturprogramm will Peking dieses Mal nicht reagieren. Dazu fehlt schlicht das Geld: Der Staat und die Kommunen sind viel höher verschuldet als in früheren Krisen – nicht zuletzt wegen der damals aufgelegten Konjunkturprogramme. In seiner im April veröffentlichten Quartalsanalyse versprach das Politbüro der KP Steuersenkungen und andere unterstützende Maßnahmen. Auch die EU-Kammervertreter berichten von punktueller Unterstützung vor Ort. Doch die Zentralbank betont, dass es keine Pläne gebe, die Wirtschaft mit Liquidität zu fluten.
Die Firmen und ihre Mitarbeitenden stimmen zunehmend mit den Füßen ab. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Deutschen Handelskammer in China (AHK) planen 28 Prozent der ausländischen Mitarbeiter der befragten Unternehmen, China wegen Null-Covid zu verlassen. Andreas Risch, EU-Kammervorsitzender für Jiangsu in Nanjing erzählt, dass dort die Zahl der Ausländer von 30.000 auf 8.000 zurückgegangen sei. Zigtausende Ausländer haben China seit Beginn der Pandemie verlassen. Ein weiterer Exodus steht nach Ansicht Wuttkes diesen Sommer bevor.
Jüngste Ankündigungen verheißen zudem nichts Gutes: Bis auf Weiteres dürfen Chinesen nicht mehr ohne “wichtigen Grund” ins Ausland reisen; auch Pässe werden nur noch bei Angabe triftiger Reisegründe ausgestellt. “Das war ein Riesen-Schock für viele unserer Angestellten”, sagt Kammer-Vizepräsidentin Bettina Schön-Behanzin aus Shanghai. “Es fühlt sich an wie eine neue Ära. Aber wir wissen nicht, was für eine Art Ära es sein wird.” Und Jörg Wuttke fügte hinzu: “Es ist schon ironisch, dass wir unser Management lokalisieren, aber dann dieses Management nicht mehr ins Ausland reisen darf.“
Kritisch ist auch die Lage der internationalen Schulen im Land. Rund 40 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer internationaler Schulen werden China diesen Sommer laut Reuters voraussichtlich verlassen – normal waren vor der Pandemie 15 Prozent. Und inzwischen sei es äußerst schwierig, diese Stellen neu zu besetzen, wie EU-Kammervertreter mehrerer Regionen berichteten. Jobs in China sind für internationale Lehrkräfte angesichts der Lockdowns wenig attraktiv. Außerdem ist es nach wie vor mühsam, dafür ein Visum zu bekommen.
In einer kürzlichen Blitzumfrage der EUCCC gaben 23 Prozent der befragten Unternehmen an zu erwägen, aktuelle oder geplante Investitionen aufgrund der Coronavirus-Maßnahmen in andere Länder zu verlagern (China.Table berichtete). Eine noch aktuellere Umfrage der American Chamber of Commerce in China zeigte ebenfalls, dass mehr als die Hälfte der befragten US-Firmen ihre Investitionen bereits verschoben oder reduziert hatte.
Beim 70. Jahrestag der Veranstaltung des China Council for the Promotion of International Trade (CCPIT) am Donnerstag räumte Ministerpräsident Li Kepqiang im Beisein von Vertretern mehrerer ausländischer Handelskammern unter anderem die Lieferketten- und Logistikprobleme für ausländische Unternehmen ein. Nach Angaben der britischen Kammer gelobte Li, den Firmen zu helfen: “Wir werden uns weiterhin um die allgemeinen Anliegen aller kümmern, uns auf die Lösung der Probleme konzentrieren, auf die [ausländische Unternehmen] gestoßen sind, und bessere Dienstleistungen anbieten.” China wolle weiter offen sein.
Für die lokalen Behörden sei es aber schwierig, in diesem Umfeld ausländische Investitionen anzuziehen, sagt Andreas Risch. “Mehrere Lokalregierungen haben uns angesprochen, um beim Anwerben von Investitionen zu helfen.” Der Gesprächskanal sei gut, die Mitgliedsfirmen mit den lokalen Behörden generell zufrieden. “Doch sie sind sich der zentralisierten Entscheidungsfindung bewusst, Jiangsu hat kaum eine Wahl.”. Die Null-Covid-Politik wird in Peking gemacht. Und dort steht derzeit nicht das Wohlergehen internationaler Unternehmen im Vordergrund.
Die Quarantäne-Zeit bei der Einreise nach China könnte noch in diesem Monat ein weiteres Mal verkürzt werden. Medienberichten zufolge sind nur noch sieben Tage nach Ankunft in einem Hotel angedacht. Danach sollen wie bisher sieben Tage Quarantäne in den eigenen vier Wänden folgen.
Die mögliche Reduktion ist bislang allerdings weder in Kraft noch offiziell verkündet. Dennoch zeigen die Überlegungen, dass die anhaltenden Beschwerden von Wirtschaftsvertretern aus aller Welt über die lange Quarantäne in Peking offenbar Eindruck hinterlassen haben. Ausländische Firmen klagen zunehmend über die strengen Beschränkungen durch die Behörden, die ihrerseits die Null-Covid-Maxime der Staatsspitze versuchen, umzusetzen. Erst vor wenigen Wochen war die Länge der Hotel-Isolation auf zehn Tage plus sieben Tage Heimaufenthalt verkürzt worden.
Peking stemmt sich seit mehreren Wochen gegen einen kompletten Lockdown, wie er beispielsweise seit rund zwei Monaten in Shanghai gilt (China.Table berichtete). Die Hauptstadt verzeichnet zweistellige Infektionszahlen pro Tag, hat die Bürger:innen zum Homeoffice aufgerufen, die Innen-Gastronomie geschlossen, den öffentlichen Nahverkehr weitgehend lahmgelegt und Online-Schulunterricht verordnet. Mehr als 10.000 Menschen befinden sich schon in Quarantäne-Einrichtungen.
In Shanghai sinken die Zahlen zwar stetig, doch noch immer sind die Menschen in der Stadt in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Ganze Wohnblöcke befinden sich unter Ausgangssperre, Bewohner:innen infektionsfreier Nachbarschaften dürfen nur wenige Stunden pro Woche ihre Anlage verlassen. Bis Ende Juni möchte die Stadtverwaltung wieder Normalität herstellen (China.Table berichtete).
Helfen soll dabei im kommenden Monat ein verstärktes Rückverfolgungssystem. Öffentliche Gebäude, Schulen, aber auch Parks und Wohnanlagen dürfen ab kommenden Monat nur noch nach einer elektronischen Registrierung über das Mobiltelefon betreten werden. Wer sich der Vorschrift widersetzt, soll bestraft werden, kündigte ein Funktionär des Big Data Centre in Shanghai an. Wie genau die Bestrafung aussehen soll, sagte er nicht.
Shanghai hat nunmehr drei Tage in Folge außerhalb der isolierten Zonen keine Ansteckung mehr diagnostiziert. Wohnanlagen, in denen jedoch eine Infektion nachgewiesen wird, müssen wochenlang in der Isolation bleiben. Positive Fälle und deren Kontaktpersonen werden in eine der zahllosen Quarantäne-Einrichtungen verfrachtet. grz
Wegen der Lockdowns in zahlreichen Großstädten hat die chinesische Regierung ein weiteres Paket für Steuersenkungen angekündigt. Der Staatsrat verabschiedete am Montag Vergünstigungen für Unternehmen und Autokäufer in Höhe von 21 Milliarden US-Dollar. Rund neun Milliarden Dollar davon entfallen auf Senkungen der Mehrwertsteuer beim Erwerb eines Neuwagens.
Damit steigt das Gesamtvolumen der Steuernachlässe im laufenden Jahr auf insgesamt rund 400 Milliarden Dollar und übersteigt damit knapp die Nachlässe von 2020. Ziel der Maßnahme sei es, die Wirtschaft weiter zu stabilisieren. Denn vor allem die betroffene Kommunen tragen hohe Kosten und leiden unter Produktionseinbrüchen (China.Table berichtete).
Vorgesehen ist auch eine ausgedehnte Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen durch Unternehmen auf weitere Industriesektoren. Die Zahl der Inlandsflüge soll zudem schnellstmöglich erhöht werden, um die stotternde Produktivität im Land wieder anzukurbeln. So oder so erwarten Ökonomen einen Einbruch der chinesischen Wirtschaftsleistung für das Jahr 2022. Im ersten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt nach offiziellen Angaben m it 4,8 Prozent dennoch stärker gewachsen als prognostiziert. grz
Nach dem ergebnislosen EU-China-Gipfel Anfang April bemühen sich Diplomaten beider Seiten nun offenbar um das Aufsammeln der Scherben: Peking entsendet diese Woche seinen Sonderbeauftragten für Europa Wu Hongbo nach Brüssel, wie EU-Kreise China.Table bestätigten. Wu wird demnach mehrere Vertreter des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) treffen. Er war zuletzt im November in Brüssel gewesen und hatte dort unter anderem den Vizegeneralsekretär des EEAS, Enrique Mora, getroffen.
Seither ist die Liste der bilateralen Probleme eigentlich nur länger geworden. Ging es den Kreisen zufolge im November primär noch darum, die gegenseitigen Sanktionen aufzuheben, hängen inzwischen auch die chinesische Handelsblockade gegen den EU-Staat Litauen sowie Chinas Position zur russischen Invasion in der Ukraine schwer über dem Verhältnis zwischen Peking und Brüssel. Mit Wu aber kommt nun ein erfahrener Diplomat zum Einsatz: Er war von 2009 bis 2012 Botschafter Chinas in Deutschland. ari
Kanada schließt Huawei wegen Sicherheitsbedenken vom 5G-Ausbau aus. Das staatlich geförderte chinesische Telekommunikationsunternehmen stelle eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar, sagte Industrieminister Francois-Philippe Champagne laut Bloomberg. Auch das chinesische Unternehmen ZTE wird demnach ausgeschlossen. Firmen, die bereits Geräte von Huawei oder ZTE installiert haben, müssen diese beim 5G-Standard bis Juni 2024 und bei 4G bis Ende 2027 entfernen, hieß es demnach. Für den Austausch dieser Geräte werde es keine Erstattungen geben. Mehrere kanadische Anbieter wie Bell Canada oder Telus haben beim Ausbau des 4G-Netzes auf chinesische Ausrüster gesetzt.
Die kanadische Regierung unter Justin Trudeau hatte die Entscheidung immer wieder hinausgezögert, nachdem es zwischen beiden Ländern zu Spannungen gekommen war. Kanada hatte im Auftrag der USA die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou in Auslieferungs-Arrest genommen hatte. Nachdem sie fast drei Jahre ihre Villa in Vancouver nicht verlassen durfte, kehrte Meng infolge einer Einigung mit den USA im September 2021 nach China zurück (China.Table berichtete).
Ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Kanada bezeichnete nun den Verweis auf mutmaßliche Sicherheitsbedenken als Ausrede für politische Manipulation. Er warf Kanada vor, mit den USA zusammenzuarbeiten, um chinesische Firmen zu unterdrücken. Alykhan Velshi, Huawei-Manager in Kanada, sagte gegenüber der Canadian Broadcasting Corp., dass sein Unternehmen weiterhin auf eine Erklärung warte, welche Sicherheitsrisiken Huawei darstelle. Der Konzern hat in Kanada 1.500 Mitarbeitende.
Kanada schließt sich mit dem Entschluss den Mitgliedern der unter anderem in Geheimdienstfragen kooperierenden “Fünf-Augen-Allianz” an. Dazu gehören die USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Als eines der ersten Länder hatten die USA Huawei 2019 unter der Trump-Regierung sanktioniert. niw
China will die Schwellenländer-Gruppe Brics erweitern. Außenminister Wang Yi sagte in einem Online-Meeting der Brics-Staaten: “China schlägt vor, den Brics-Erweiterungsprozess zu starten, die Kriterien und Verfahren für die Erweiterung zu untersuchen und schrittweise einen Konsens zu finden”. Die Staatengruppe aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wurde 2009 gegründet. Details zur Erweiterung oder potenziellen Beitrittskandidaten sind bisher noch nicht bekannt.
Es handelt sich bei Brics nicht um ein formelles Bündnis. Die Gruppe hat in den letzten Jahren aber eine gemeinsame Entwicklungsbank gegründet, die auch in Drittstaaten aktiv ist. Zudem gibt es eine Kooperation, um Finanzkrisen abzuwenden. Eine Ausweitung der Brics-Gruppe könnte die Süd-Südkooperation stärken und in Konkurrenz zu westlichen Bündnissen und Institutionen treten. Allerdings gibt es unter den Brics-Staaten auch Grenz- und andere Konflikte. nib
Die Wertschöpfungskette von Halbleitern ist unglaublich komplex und erstreckt sich weltweit: Deren Herstellung ist nicht nur eine der forschungs- und entwicklungsintensivsten Aktivitäten, sie umfasst auch eine Reihe spezialisierter Fertigungsschritte, die von Firmen in der ganzen Welt durchgeführt werden. Die größten Halbleiterfirmen sind überwiegend in den Vereinigten Staaten, Südkorea, Europa und Japan ansässig (zum Beispiel Intel, Samsung, Infineon, und Kioxia). Viele Hersteller lagern die kapitalintensive Fertigung sowie Gehäusemontage- und Testtätigkeiten an spezialisierte Unternehmen in Chinesisch-Taipeh, China und Singapur aus. Einige, wie TSMC, haben sich zu Technologieführern bei der Bereitstellung von fortschrittlichen Chipfertigungsdiensten entwickelt. Auf ihre Dienste ist ein Großteil der Smartphones und Computer der Welt angewiesen. Unternehmen wie TSMC sind ihrerseits von wichtigen Lieferanten spezialisierter Präzisionsgeräte wie dem niederländischen Unternehmen ASML abhängig. Diese Zulieferer stellen beispielsweise die Lithografie-Maschinen her, die für die Halbleiterfertigung benötigt werden.
Da die Chipproduktion ein innovationsgetriebener, kapitalintensiver und strategisch wichtiger Sektor ist, ist staatliche Einmischung seit langem ein Merkmal der Halbleiterindustrie. Anfang der 1960er Jahre wurde die NASA zum Hauptabnehmer integrierter Schaltkreise und sorgte für eine stabile Nachfrage bei den US-Herstellern. Etwa zur gleichen Zeit richteten die chinesischen Behörden das Werk Nr. 742 in Wuxi als staatliche Ausbildungsstätte für Halbleiteringenieure ein. Frankreich gründete 1967 das CEA-Leti, ein auf Mikroelektronik spezialisiertes öffentliches Forschungszentrum. In den 1970er und 80er Jahren folgten die Behörden in Japan, Korea und Chinesisch-Taipeh, die alle die Halbleiterforschung und -entwicklung (F&E) durch öffentliche Institute wie ETRI und ITRI unterstützten. Auch die Vereinigten Staaten gründeten 1980 das Very High Speed Integrated Circuit Programm und 1987 das Forschungs- und Entwicklungskonsortium Sematech.
Einem aktuellen OECD-Bericht über Subventionen in der Halbleiterindustrie zufolge haben 21 der weltweit größten Halbleiterunternehmen zwischen 2014 und 2018 mehr als 50 Milliarden US-Dollar an staatlicher Unterstützung erhalten. Davon entfielen zwei Drittel auf staatliche Zuschüsse und Steuervergünstigungen, darunter mehr als 15 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung von F&E-Ausgaben und 20 Milliarden in Form von Einkommensteuervergünstigungen und Investitionsanreizen. Ein weiteres Drittel der Unterstützung erfolgte in Form von Finanzierungen unter Marktniveau, das heißt Fremd- und Eigenkapital, welches die Unternehmen zu marktunüblich günstigen Konditionen erhielten.
Während alle untersuchten Unternehmen F&E-Förderung und in gewissem Umfang Steuervergünstigungen erhielten, scheint die Finanzierung unter Marktniveau weitgehend ein chinesisches Phänomen zu sein. Dies gilt insbesondere nach der Entscheidung Chinas, im Jahr 2014 einen nationalen Investitionsfonds für integrierte Schaltkreise sowie ähnliche Fonds auf Provinz- und Kommunalebene einzurichten. Diese Fonds haben seitdem einer Reihe wichtiger chinesischer Halbleiterhersteller, darunter SMIC, Hua Hong und Tsinghua Unigroup und deren Tochtergesellschaften, frisches Eigenkapital zugeführt. Außerdem besteht offenbar ein direkter Zusammenhang zwischen den Eigenkapitalerhöhungen durch Chinas Staatsfonds und dem Bau neuer Halbleiterfabriken.
Ein entscheidendes Problem aus handelspolitischer Sicht ist die mangelnde Transparenz der staatlichen Unterstützung und insbesondere der Finanzierung unter Marktniveau. Viele Regierungen legen die von ihnen gewährten Subventionen nicht offen. Dieses Problem verschärft sich noch im Fall von Finanzierungen unter Marktniveau. Der Nachweis einer solchen Unterstützung erfordert einen Vergleich mit einem marktbasierten Referenzwert, wofür detaillierte Methoden erst noch festgelegt oder vereinbart werden müssen. Mitunter fehlen auch Informationen über die Eigentumsstruktur von Unternehmen, was das wahre Ausmaß staatlicher Investitionen in Industrieunternehmen verschleiern kann.
Einige Formen von Subventionen können notwendig sein, und dies gilt für die Halbleiterindustrie ebenso wie für andere Sektoren. Doch selbst F&E-Subventionen können marktverzerrend wirken, wenn sie schlecht konzipiert und umgesetzt werden. Eine Analyse der ZEW-Forscher Philipp Boeing und Bettina Peters zeigt beispielsweise, dass die von China zwischen 2001 und 2011 gewährten F&E-Subventionen bisweilen zweckentfremdet wurden, was die Wirksamkeit der F&E-Politik untergräbt und darauf hindeutet, dass ein gewisser Teil der F&E-Förderung möglicherweise für andere Zwecke wie den Ausbau von Produktionskapazitäten verwendet wurde (China.Table berichtete). Zwar gibt es gute wirtschaftliche Argumente für die Förderung von Forschung und Entwicklung. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass diese F&E-Unterstützungsmaßnahmen so gestaltet werden, dass sie den gesellschaftlichen Nutzen erhöhen und gleichzeitig die Kosten in Grenzen halten. Konkret: Innovationsanstrengungen, die Produktivität und Wohlstand steigern können, sollten im Vordergrund stehen. Wettbewerbsverzerrungen sollten vermieden werden.
Staatliche Eigenkapitalerhöhungen in der Halbleiter-Wertschöpfungskette haben Auswirkungen auf den Handel und den globalen Wettbewerb. Was sie für Handelsregeln und insbesondere für die Disziplinierung von Subventionen bedeuten, muss genauer untersucht werden. Eigenkapital unter Marktniveau gehört aufgrund seiner Eigenheiten wahrscheinlich zu den am schwierigsten zu identifizierenden und zu quantifizierenden Formen der Unterstützung. Daher ist mehr Transparenz erforderlich, die sich insbesondere auf Folgendes konzentrieren sollte:
In einem breiteren Kontext wirft die Arbeit der OECD auch Fragen über die Rolle und Wirksamkeit staatlicher Unterstützung in F&E-intensiven Industrien auf, die durch kurze Produktzyklen gekennzeichnet sind. Diese Diskussion ist von besonderer Bedeutung für China, das in Technologien der Halbleiterfertigung trotz relativ umfangreicher staatlicher Unterstützung im Rückstand ist und seit langem eine Politik verfolgt, die ausdrücklich die Entwicklung der heimischen Industrie für integrierte Schaltkreise fördern soll.
Jehan Sauvage arbeitet derzeit als Politikanalyst in der Direktion Handel und Landwirtschaft der OECD, wo er sich auf Fragen im Zusammenhang mit Marktverzerrungen und staatlichen Subventionen in Industriesektoren spezialisiert hat.
Christian Steidl ist Politikanalyst bei der OECD und beschäftigt sich mit der Analyse verschiedener Formen der staatlichen Unterstützung für Industrieunternehmen.
Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Dr. Sophia Helmrich (BDI), Jehan Sauvage (OECD) und Christian Steidl (OECD) über das Thema: “Der Wettlauf um die Technologie-Souveränität: Der Fall der staatlichen Unterstützung in der Halbleiterindustrie”. China.Table ist Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln rein die Meinung der Autoren wider. Sie sind nicht notwendigerweise Ausdruck der Ansichten des OECD Sekretariats oder der Mitgliedsstaaten der OECD.
US-Präsident Joe Biden will die diplomatische Kurzsichtigkeit seines Vorgängers Donald Trump wettmachen. Damit hat er alle Hände voll zu tun, vor allem in Asien. Derzeit weilt Biden in der Region, die geopolitisch auch in Zukunft entscheidend sein wird im Ringen zwischen China und den USA um die globale Führung.
Entsprechend viel Zeit hat sich Biden genommen: Nach drei Tagen in Südkorea landete der US-Präsident am Montag in Japan – beides demokratische Verbündete der USA. Finn Mayer-Kuckuk hat Bidens Auftritt in Tokio verfolgt und stellt fest, dass man der Reise des US-Präsidenten eine klare Überschrift geben kann: Die USA sind auf der Suche nach Partnern gegen China. Dabei setzt Biden auf eine Mischung aus militärischer Stärke und wirtschaftlichen Anreizen.
Auch der frisch wiedergewählte französische Präsident hat China im Blick. Es ist Emmanuel Macron, der sich immer wieder stark macht für eine geschlossene europäische Haltung gegenüber der Volksrepublik.
Im Juni wird nun das französische Parlament neu gewählt – und dabei tritt in Paris ein besonders umstrittener Kandidat mit engen Verbindungen zu China an: Buon Tan. Wir haben uns den umtriebigen Geschäftsmann genauer angeschaut und zeigt, dass er nicht zu Unrecht als verlängerter Arm der Kommunistischen Partei Chinas gilt. Selbst mit Xi Jinping stand Tan schon in Kontakt. Das Problem für Frankreichs Politik: Tan ist auch ein enger Vertrauter von Emmanuel Macron.
Die Corona-Krise hat in China einige Gewissheiten ins Wanken gebracht und scheint andere Trends zu verstärken. Europäische Unternehmen beklagen sich über Intransparenz und eine geringe Planbarkeit der Geschäftsaktivitäten. Doch auch abseits der Lockdowns ist einiges in Bewegung: Immer mehr Expats verlassen das Land, die Behörden vergeben weniger Visa, und die Lage für internationale Schulen wird immer schwieriger, wie Christiane Kühl erklärt.
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US-Präsident Joe Biden hat seine Wortwahl zum Thema Taiwan am Montag noch einmal verschärft. In Japan versprach er zunächst allgemein Militärhilfe für Taiwan, falls es von China angegriffen wird. Auf die Frage nach einem möglichen Einsatz der US-Armee sagte Biden: “Ja, wir haben diese Verpflichtung.”
Bereits im vergangenen Oktober hatte sich der US-Präsident ähnlich geäußert (China.Table berichtete). Der Hinweis auf die “Verpflichtung” zum Schutz Taiwans erfolgte seinerzeit ebenfalls erst auf Nachfrage eines Journalisten. Damals wie heute kam kurz darauf ein Hinweis seiner Kommunikationsabteilung, der Satz des Präsidenten sei nicht als Kurswechsel zu verstehen. Die fast wortgetreue Wiederholung des Vorgangs deutet jedoch darauf hin, dass die damalige Formulierung kein Zufall war.
Die Äußerungen Bidens erhalten ihre Tragweite jedoch vor allem im Gesamtbild weitreichender neuer Sprachregeln der US-Politik in der Taiwan-Frage. Erst kürzlich hatte das Außenministerium die Beschreibung Taiwans auf seiner Internetseite geändert (China.Table berichtete). Der Hinweis auf “ein China” fiel weg. Eine kleine, aber symbolträchtige Änderung.
Ohne die Politik seines Landes fundamental neu auszurichten, justiert Biden so die Haltung zu Taiwan dennoch neu. Dies geschieht unter dem Eindruck der russischen Aggression gegen die Ukraine. Wladimir Putin hatte sich nicht von unklaren Zusagen gegenüber der Ukraine abschrecken lassen. Die Lehre daraus ist offenbar: Wenn den USA wirklich etwas an einem freien Taiwan liegt, müssen sie deutlicher werden als bisher.
Auch wenn eine echte, vertraglich festgelegte Sicherheitsgarantie noch aussteht, zeichnen sich an dieser Stelle signifikante Änderungen ab. Bisher bestand die US-Strategie darin, absichtlich vage zu bleiben. Davon erhoffte Washington sich zwei Vorteile: China sollte im Unklaren über die Handlungsbereitschaft der USA bleiben. Und Taiwan sollte keinen Anreiz erhalten, mit einer vermeintlich amerikanischen Rückendeckung auf die formale Unabhängigkeit auszurufen. Putins großes Wagnis in der Ukraine lässt nun zumindest die Strategie der Abschreckung durch Unklarheit fraglich erscheinen.
Ein eigenständiges, aber nicht offiziell für unabhängig erklärtes Taiwan ist für die USA derweil weiterhin wichtig. Die Insel dient als Brückenkopf, direkt vor der chinesischen Küste. Sie vervollständigt eine Einkreisung Chinas durch mehr oder minder treue US-Verbündete. Diese bilden einen großen Bogen von Südkorea über Japan und die Philippinen bis nach Indien. Die Aneignung Taiwans wäre zudem ein Akt chinesischer Stärke und ein Bruch internationaler Normen. Das würde die Position der USA empfindlich schwächen, bliebe ein solcher Schritt anschließend ungesühnt. Zugleich wollen die USA aber auch keine rote Linie überschreiten, die wiederum China zum Handeln zwingen würde.
Ebenfalls am Montag hat Biden – wie angekündigt (China.Table berichtete) – Details zu einer neuen indopazifischen Wirtschaftskooperation bekannt gegeben. Das passt ebenfalls zum großen Thema seiner Asienreise: der Einhegung Chinas. Das Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) soll den inhaltlichen Rahmen für gedeihlichen Handel setzen. Indien und Japan sind dabei, China nicht.
Dem IPEF treten als Gründungsmitglieder bei:
Das Fehlen Chinas (immerhin die Wirtschaftsmacht, um die sich diese Länder räumlich gruppieren) fällt gnadenlos auf. Die Gruppe ist offensichtlich als Gegengewicht gedacht. Das war seinerzeit auch die ursprüngliche Absicht von Barack Obama, die der damalige US-Präsident mit der Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) verfolgte. Die hat allerdings inzwischen China für seine Zwecke gekapert.
Die Liste der Mitglieder von IPEF und RCEP liest sich tatsächlich sehr ähnlich, wenn man von China absieht. Der asiatische Freihandel ist damit jetzt reichlich kompliziert geregelt. Schließlich gibt es auch noch das Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership (CPTPP) und Asean.
Das IPEF ist bisher allerdings kein sehr weitreichendes Abkommen. Zollfreiheit ist nicht vorgesehen – die ist jedoch der Goldstandard für Marktöffnung und wirtschaftliche Integration. Stattdessen geht es um Regeln für Internetkonzerne, den Schutz von Lieferketten, die Bekämpfung von Klimawandel und Korruption.
Am Dienstag trifft Biden in Präsenz mit Führern der Quad-Gruppe zusammen, die sich ebenfalls gegen China richtet. Dabei handelt es sich um Indien, Australien, Japan und eben die USA. Friedensdemonstranten in Tokio warfen ihrer Regierung wegen ihrer Teilhabe an Quad Kriegstreiberei vor. Finn Mayer-Kuckuk
Im 13. Pariser Arrondissement spielt China eine große Rolle: Der Bezirk im Südosten der französischen Hauptstadt ist die Heimat des bekanntesten “Chinatown” im Land. Hier reihen sich Supermärkte an Restaurants und Deko-Geschäfte mit Waren aus Fernost. Die familiären Wurzeln ihrer Besitzer liegen in der Volksrepublik, aber auch in anderen asiatischen Ländern wie Vietnam, Laos und Kambodscha, also der Region, die von Frankreich einst unter dem Begriff Indochina kolonialisiert wurde.
Das 13. Arrondissement ist auch die Heimat von Buon Tan – den Kritiker gerne als “Pekings Liebling in Frankreich” bezeichnen. Tan hält Posten in wichtigen parlamentarischen Kommissionen mit Bezug zu China und der Kommunistischen Partei. Er nimmt – auch bei Abstimmungen in der Nationalversammlung – KPCh-orientierte Positionen zu Themen wie dem Umgang mit Huawei und der Unterdrückung der Uiguren ein. Tan war zudem Mitglied mehrerer Organisationen, die der Einheitsfront der KP China unterstehen. Die Einheitsfront ist fast so alt wie die Partei selbst und versucht, durch Einflussnahme auf Eliten außerhalb Chinas die Interessen Pekings in der Welt durchzusetzen.
Die Regierungspartei von Präsident Emmanuel Macron, LREM (“La République en Marche”, seit der Präsidentschafts-Wahlkampagne umbenannt zu “Renaissance”), setzt trotzdem auf den 55-Jährigen bei den anstehenden Parlamentswahlen im Juni: Tan tritt wieder im 9. Wahlkreis der französischen Hauptstadt an. Mit dem Segen Macrons – denn der französische Staatschef winkt die LREM-Kandidaten persönlich durch. Der sozialistische Europaabgeordnete Raphaël Glucksmann kritisierte Macrons Entscheidung: “Warum löst die Ernennung eines Akteurs des chinesischen Regimes durch die Partei des Präsidenten keinen Medienaufschrei oder politischen Skandal aus? Ist es normal, dass ein Vertreter des französischen Volkes direkt für eine ausländische Tyrannei arbeitet?”, schrieb Glucksmann auf Twitter.
Bestätigung für Buon Tan kommt nicht nur aus dem Élysée. 2019 schüttelte Buon Tan Xi Jinping bei einem Treffen der Einheitsfront die Hand, wie Videoaufnahmen zeigen. 2013 nahm er an der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes als “nicht stimmberechtigter Delegierter aus Übersee” teil – solche Einladungen sind äußerst selten. Tan war in dieser Zeit auch Mitglied der Lobbying-Gruppe China Overseas Exchange Association (COEA). COEA wolle “umfassende Kontakte” zu Chinesen in Übersee knüpfen, um Kapital, Technologien und ausländische Arbeitskräfte nach China zu bringen sowie “Kulturaustausch und Außenpropaganda” voranzutreiben, zitiert der tschechische Thinktank Sinopsis in einem Papier zu dem französischen Politiker aus einer offiziellen COEA-Mitteilung.
Tan begleitete in dieser Zeit auch französische Politiker, von Ministern bis hin zu Präsidenten, bei Reisen nach Asien als Berater. Während des Empfangs des chinesischen Premierministers Li Keqiang im Juni 2015 ging der damalige französische Premierminister Manuel Valls laut der Tageszeitung Libération so weit, Buon Tan als den “einflussreichsten Chinesen in Paris” vorzustellen.
Buon Tan wurde in Kambodscha als Sohn einer Familie aus Puning in der Region Chaoshan in China geboren und kam 1975 im Alter von acht Jahren auf der Flucht vor den Roten Khmer mit seiner Familie nach Frankreich. Sein Vater machte ein Vermögen mit dem Import von Tee, was Buon Tan auch den Spitznamen “Teeblatt-Prinz” einbrachte. Tans Vater war ein angesehener Mann im 13. Arrondissement. Sein Sohn begann seine politische Karriere bei den Sozialisten (PS), bei der Präsidentenwahl 2017 setzte sich der Geschäftsmann für den Sieg von Politik-Quereinsteiger Macron ein. Die Zeitung Libération nannte ihn deshalb “Macrons Lotsenfisch in der asiatischen Diaspora”. Buon Tan zog bei der anschließenden Parlamentswahl erstmals als LREM-Abgeordneter in die Nationalversammlung ein.
Dort fiel er vor allem dieses Jahr im Januar negativ auf: Als einziger Abgeordneter stimmte er gegen eine Resolution, die die Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung an der uigurischen Minderheit in Xinjiang als Völkermord einstufte (China.Table berichtete). “Der Text ist wirkungslos, sogar kontraproduktiv, er hilft der Sache nicht”, erklärte Tan gegenüber der Zeitung Le Monde.
Dass Buon Tan mit Rückenwind von LREM wieder antrete, sei ein völlig falsches Signal, findet der China-Beobachter Antoine Bondaz. Er beschäftigt sich für den französischen Think-Tank “Fondation pour la recherche stratégique” (FRS) mit Asien und der Volksrepublik. Nach allem, was über den 55-Jährigen bekannt geworden sei, wäre es nicht gut für die China-Politik der Regierungspartei, wenn Tan wieder in die Nationalversammlung einziehe und sich niemand an den Verbindungen nach Peking störe, so Bondaz.
Weit mehr Einfluss auf Macron haben jedoch die Außenpolitik-Berater im Präsidialamt – und diese seien durchaus erfahren im Umgang mit China, so Bondaz. Im diplomatischen Stab des Élysée kümmert sich derzeit Walid Fouque um Asien und Ozeanien. Fouque war von 2014 bis 2017 in der französischen Botschaft in Peking tätig, spricht neben Mandarin auch Koreanisch und Japanisch.
Seit November 2020 sitzt er im Berater-Team von Macron. Über seine Herangehensweise an das China-Dossier ist öffentlich so gut wie nichts bekannt, Fouque taucht so gut wie nie in Interviews auf. Seine Ernennung als Asien-Berater zeige jedoch, dass die Volksrepublik im Élysée aufmerksam verfolgt werde, sagt der französische Historiker und China-Beobachter Emmanuel Lincot. Fouque sei ein “Kenner chinesischer Angelegenheiten”, so Lincot.
China-Kompetenz spiele sonst in der Bildung des neuen Kabinetts und des Beraterstabs allerdings keine große Rolle, erklärt FRS-Forscher Bondaz. Zwischen der Präsidentenwahl und der Parlamentswahl sei gerade viel in Bewegung. “Wir wissen noch nicht, ob die bisherigen Berater bleiben”, meint Bondaz. Auch die französische Diplomatie in China könnte nach der Kabinettsbildung Macrons neu aufgestellt werden: Botschafter Laurent Bili befindet sich seit 2019 auf seinem Posten in Peking.
Dass es hier zu einem zeitnahen Wechsel kommt, ist Bondaz zufolge sehr wahrscheinlich. Bilis Besetzung in China galt 2019 als Überraschung, er ist ein enger Vertrauter von Außenminister Jean-Yves Le Drian und war zuvor Botschafter in Brasilien und Thailand. Bili gilt als sehr diplomatisch, äußert sich selten kritisch. Zwist zwischen ihm und der Zentrale in Paris gab es, als darüber gestritten wurde, wann die Botschaft in Peking vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt hatte.
Frankreichs China-Politik wird in den kommenden Monaten auf verschiedenen Ebenen in Bewegung geraten. Zuletzt hatte Präsident Macron nach einem Gespräch mit Amtskollege Xi Jinping sogar erstmals auf Mandarin einen Tweet abgesetzt. Spannend wird die Entwicklung vor allem im 13. Arrondissement von Paris. Denn Buon Tans Wiederwahl ist keinesfalls sicher. Er trifft gegen die Grünen-Kandidatin Sandrine Rousseau an. Und das in einem Wahlkreis, in dem bei der ersten Präsidentenwahlrunde der linke Jean-Luc Mélenchon gegenüber Macron bevorzugt wurde. Verliert Buon Tan, verliert auch Peking einen klaren Fürsprecher im französischen Parlament.
Resignation macht sich breit unter internationalen Firmen in China. Eine Abkehr von der Null-Covid-Politik ist kurzfristig ebenso wenig in Sicht wie ein Ausweg aus dem Kreislauf immer wiederkehrender Ausbrüche. Statt einer großen Impfkampagne plant die Regierung, alle Städte mit einem dichten Netz von “PCR-Testkiosken” zu überziehen. Ohne aktuellen negativen Test wird ein normales Leben bis auf Weiteres kaum möglich sein (China.Table berichtete).
Das für einige Wochen abgeriegelte Shenyang sei nun beinahe wieder offen, erzählt Harald Kumpfert, EU-Kammervorsitzender für Nordostchina. “Aber dafür gibt es jetzt Tests mindestens alle 48 Stunden. Und viele Städte akzeptieren nicht die Testergebnisse aus anderen Städten.” Geschäftsreisen seien nicht ohne Risiko, so Kumpfert. “Wer mit dem Zug oder dem Auto durch eine Stadt mit nur einem Covid-Fall kommt, kann danach in Quarantäne genommen werden.”
Ähnliche Geschichten gibt es aus ganz China. “Man braucht vier Covid-Tests binnen 24 Stunden für einen Kurztrip zwischen Chengdu und Chongqing, da es in beiden Städte Hochrisikogegenden gibt”, berichtet Massimo Bagnasco von der EU-Kammer für den Südwesten des Landes. Die beiden Metropolen liegen zwei Stunden mit dem Hochgeschwindigkeitszug voneinander entfernt. In Jiangsu wiederum müssen Lastwagenfahrer nach Angaben der dortigen EU-Kammer in manchen Städten nach der “Einreise” drei Tage in Quarantäne. In der Gegend um Shanghai sind Reisen und Logistik ohnehin auf einen Bruchteil zusammengeschrumpft (China Table berichtete).
Selbst der wochenlange Lockdown der wichtigsten Wirtschaftsmetropole Shanghai mit seinen Folgen bringt die Regierung bisher nicht zum Umdenken: Für Null-Covid opfert Peking offenbar sogar das Wachstum. Die Beiträge von Zweiflern, darunter auch chinesische Ökonomen, werden zensiert.
Seit April zeigt sich die ganze Wucht von Null-Covid auf die Wirtschaft. Die Industrieproduktion ging gegenüber dem Vorjahresmonat um mehr als drei Prozent zurück, die Einzelhandelsumsätze um elf Prozent, die Autoverkäufe gar um 48 Prozent. “Alles weist in die falsche Richtung”, sagt EU-Kammerpräsident Jörg Wuttke – auch die Impfstatistik. “Im März wurden pro Woche im Schnitt 800.000 über 60-Jährige geimpft. In der ersten Maiwoche waren es nur noch 300.000.” Impfpersonal wird vielerorts zum Testen abgezogen.
Inzwischen dürfte jedem klar sein, dass ein Ende von Null-Covid oder zumindest eine gewisse Planbarkeit kurzfristig nicht zu erwarten sind. Das größte Problem ist die Unsicherheit, wie es weitergeht, das klingt aus den Aussagen der EU-Kammervertreter heraus. Neue Projekte schiebt derzeit kaum jemand an, alle warten ab.
Manche Experten warnen China vor einer “Wachstumsrezession” – einem sehr langsamen Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig steigender Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit stieg im April auf sechs Prozent; unter den 16-24-Jährigen lag sie bei über 18 Prozent. Andere glauben, China drohe eine sogenannte Double-Dip-Rezession, ähnlich wie in den USA Anfang der 1980er Jahre – eine Rezession, gefolgt von einer leichten Erholung, gefolgt von einer erneuten Rezession.
Und mit einem groß angelegten Konjunkturprogramm will Peking dieses Mal nicht reagieren. Dazu fehlt schlicht das Geld: Der Staat und die Kommunen sind viel höher verschuldet als in früheren Krisen – nicht zuletzt wegen der damals aufgelegten Konjunkturprogramme. In seiner im April veröffentlichten Quartalsanalyse versprach das Politbüro der KP Steuersenkungen und andere unterstützende Maßnahmen. Auch die EU-Kammervertreter berichten von punktueller Unterstützung vor Ort. Doch die Zentralbank betont, dass es keine Pläne gebe, die Wirtschaft mit Liquidität zu fluten.
Die Firmen und ihre Mitarbeitenden stimmen zunehmend mit den Füßen ab. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Deutschen Handelskammer in China (AHK) planen 28 Prozent der ausländischen Mitarbeiter der befragten Unternehmen, China wegen Null-Covid zu verlassen. Andreas Risch, EU-Kammervorsitzender für Jiangsu in Nanjing erzählt, dass dort die Zahl der Ausländer von 30.000 auf 8.000 zurückgegangen sei. Zigtausende Ausländer haben China seit Beginn der Pandemie verlassen. Ein weiterer Exodus steht nach Ansicht Wuttkes diesen Sommer bevor.
Jüngste Ankündigungen verheißen zudem nichts Gutes: Bis auf Weiteres dürfen Chinesen nicht mehr ohne “wichtigen Grund” ins Ausland reisen; auch Pässe werden nur noch bei Angabe triftiger Reisegründe ausgestellt. “Das war ein Riesen-Schock für viele unserer Angestellten”, sagt Kammer-Vizepräsidentin Bettina Schön-Behanzin aus Shanghai. “Es fühlt sich an wie eine neue Ära. Aber wir wissen nicht, was für eine Art Ära es sein wird.” Und Jörg Wuttke fügte hinzu: “Es ist schon ironisch, dass wir unser Management lokalisieren, aber dann dieses Management nicht mehr ins Ausland reisen darf.“
Kritisch ist auch die Lage der internationalen Schulen im Land. Rund 40 Prozent aller Lehrerinnen und Lehrer internationaler Schulen werden China diesen Sommer laut Reuters voraussichtlich verlassen – normal waren vor der Pandemie 15 Prozent. Und inzwischen sei es äußerst schwierig, diese Stellen neu zu besetzen, wie EU-Kammervertreter mehrerer Regionen berichteten. Jobs in China sind für internationale Lehrkräfte angesichts der Lockdowns wenig attraktiv. Außerdem ist es nach wie vor mühsam, dafür ein Visum zu bekommen.
In einer kürzlichen Blitzumfrage der EUCCC gaben 23 Prozent der befragten Unternehmen an zu erwägen, aktuelle oder geplante Investitionen aufgrund der Coronavirus-Maßnahmen in andere Länder zu verlagern (China.Table berichtete). Eine noch aktuellere Umfrage der American Chamber of Commerce in China zeigte ebenfalls, dass mehr als die Hälfte der befragten US-Firmen ihre Investitionen bereits verschoben oder reduziert hatte.
Beim 70. Jahrestag der Veranstaltung des China Council for the Promotion of International Trade (CCPIT) am Donnerstag räumte Ministerpräsident Li Kepqiang im Beisein von Vertretern mehrerer ausländischer Handelskammern unter anderem die Lieferketten- und Logistikprobleme für ausländische Unternehmen ein. Nach Angaben der britischen Kammer gelobte Li, den Firmen zu helfen: “Wir werden uns weiterhin um die allgemeinen Anliegen aller kümmern, uns auf die Lösung der Probleme konzentrieren, auf die [ausländische Unternehmen] gestoßen sind, und bessere Dienstleistungen anbieten.” China wolle weiter offen sein.
Für die lokalen Behörden sei es aber schwierig, in diesem Umfeld ausländische Investitionen anzuziehen, sagt Andreas Risch. “Mehrere Lokalregierungen haben uns angesprochen, um beim Anwerben von Investitionen zu helfen.” Der Gesprächskanal sei gut, die Mitgliedsfirmen mit den lokalen Behörden generell zufrieden. “Doch sie sind sich der zentralisierten Entscheidungsfindung bewusst, Jiangsu hat kaum eine Wahl.”. Die Null-Covid-Politik wird in Peking gemacht. Und dort steht derzeit nicht das Wohlergehen internationaler Unternehmen im Vordergrund.
Die Quarantäne-Zeit bei der Einreise nach China könnte noch in diesem Monat ein weiteres Mal verkürzt werden. Medienberichten zufolge sind nur noch sieben Tage nach Ankunft in einem Hotel angedacht. Danach sollen wie bisher sieben Tage Quarantäne in den eigenen vier Wänden folgen.
Die mögliche Reduktion ist bislang allerdings weder in Kraft noch offiziell verkündet. Dennoch zeigen die Überlegungen, dass die anhaltenden Beschwerden von Wirtschaftsvertretern aus aller Welt über die lange Quarantäne in Peking offenbar Eindruck hinterlassen haben. Ausländische Firmen klagen zunehmend über die strengen Beschränkungen durch die Behörden, die ihrerseits die Null-Covid-Maxime der Staatsspitze versuchen, umzusetzen. Erst vor wenigen Wochen war die Länge der Hotel-Isolation auf zehn Tage plus sieben Tage Heimaufenthalt verkürzt worden.
Peking stemmt sich seit mehreren Wochen gegen einen kompletten Lockdown, wie er beispielsweise seit rund zwei Monaten in Shanghai gilt (China.Table berichtete). Die Hauptstadt verzeichnet zweistellige Infektionszahlen pro Tag, hat die Bürger:innen zum Homeoffice aufgerufen, die Innen-Gastronomie geschlossen, den öffentlichen Nahverkehr weitgehend lahmgelegt und Online-Schulunterricht verordnet. Mehr als 10.000 Menschen befinden sich schon in Quarantäne-Einrichtungen.
In Shanghai sinken die Zahlen zwar stetig, doch noch immer sind die Menschen in der Stadt in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt. Ganze Wohnblöcke befinden sich unter Ausgangssperre, Bewohner:innen infektionsfreier Nachbarschaften dürfen nur wenige Stunden pro Woche ihre Anlage verlassen. Bis Ende Juni möchte die Stadtverwaltung wieder Normalität herstellen (China.Table berichtete).
Helfen soll dabei im kommenden Monat ein verstärktes Rückverfolgungssystem. Öffentliche Gebäude, Schulen, aber auch Parks und Wohnanlagen dürfen ab kommenden Monat nur noch nach einer elektronischen Registrierung über das Mobiltelefon betreten werden. Wer sich der Vorschrift widersetzt, soll bestraft werden, kündigte ein Funktionär des Big Data Centre in Shanghai an. Wie genau die Bestrafung aussehen soll, sagte er nicht.
Shanghai hat nunmehr drei Tage in Folge außerhalb der isolierten Zonen keine Ansteckung mehr diagnostiziert. Wohnanlagen, in denen jedoch eine Infektion nachgewiesen wird, müssen wochenlang in der Isolation bleiben. Positive Fälle und deren Kontaktpersonen werden in eine der zahllosen Quarantäne-Einrichtungen verfrachtet. grz
Wegen der Lockdowns in zahlreichen Großstädten hat die chinesische Regierung ein weiteres Paket für Steuersenkungen angekündigt. Der Staatsrat verabschiedete am Montag Vergünstigungen für Unternehmen und Autokäufer in Höhe von 21 Milliarden US-Dollar. Rund neun Milliarden Dollar davon entfallen auf Senkungen der Mehrwertsteuer beim Erwerb eines Neuwagens.
Damit steigt das Gesamtvolumen der Steuernachlässe im laufenden Jahr auf insgesamt rund 400 Milliarden Dollar und übersteigt damit knapp die Nachlässe von 2020. Ziel der Maßnahme sei es, die Wirtschaft weiter zu stabilisieren. Denn vor allem die betroffene Kommunen tragen hohe Kosten und leiden unter Produktionseinbrüchen (China.Table berichtete).
Vorgesehen ist auch eine ausgedehnte Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen durch Unternehmen auf weitere Industriesektoren. Die Zahl der Inlandsflüge soll zudem schnellstmöglich erhöht werden, um die stotternde Produktivität im Land wieder anzukurbeln. So oder so erwarten Ökonomen einen Einbruch der chinesischen Wirtschaftsleistung für das Jahr 2022. Im ersten Quartal war das Bruttoinlandsprodukt nach offiziellen Angaben m it 4,8 Prozent dennoch stärker gewachsen als prognostiziert. grz
Nach dem ergebnislosen EU-China-Gipfel Anfang April bemühen sich Diplomaten beider Seiten nun offenbar um das Aufsammeln der Scherben: Peking entsendet diese Woche seinen Sonderbeauftragten für Europa Wu Hongbo nach Brüssel, wie EU-Kreise China.Table bestätigten. Wu wird demnach mehrere Vertreter des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) treffen. Er war zuletzt im November in Brüssel gewesen und hatte dort unter anderem den Vizegeneralsekretär des EEAS, Enrique Mora, getroffen.
Seither ist die Liste der bilateralen Probleme eigentlich nur länger geworden. Ging es den Kreisen zufolge im November primär noch darum, die gegenseitigen Sanktionen aufzuheben, hängen inzwischen auch die chinesische Handelsblockade gegen den EU-Staat Litauen sowie Chinas Position zur russischen Invasion in der Ukraine schwer über dem Verhältnis zwischen Peking und Brüssel. Mit Wu aber kommt nun ein erfahrener Diplomat zum Einsatz: Er war von 2009 bis 2012 Botschafter Chinas in Deutschland. ari
Kanada schließt Huawei wegen Sicherheitsbedenken vom 5G-Ausbau aus. Das staatlich geförderte chinesische Telekommunikationsunternehmen stelle eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar, sagte Industrieminister Francois-Philippe Champagne laut Bloomberg. Auch das chinesische Unternehmen ZTE wird demnach ausgeschlossen. Firmen, die bereits Geräte von Huawei oder ZTE installiert haben, müssen diese beim 5G-Standard bis Juni 2024 und bei 4G bis Ende 2027 entfernen, hieß es demnach. Für den Austausch dieser Geräte werde es keine Erstattungen geben. Mehrere kanadische Anbieter wie Bell Canada oder Telus haben beim Ausbau des 4G-Netzes auf chinesische Ausrüster gesetzt.
Die kanadische Regierung unter Justin Trudeau hatte die Entscheidung immer wieder hinausgezögert, nachdem es zwischen beiden Ländern zu Spannungen gekommen war. Kanada hatte im Auftrag der USA die Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou in Auslieferungs-Arrest genommen hatte. Nachdem sie fast drei Jahre ihre Villa in Vancouver nicht verlassen durfte, kehrte Meng infolge einer Einigung mit den USA im September 2021 nach China zurück (China.Table berichtete).
Ein Sprecher der chinesischen Botschaft in Kanada bezeichnete nun den Verweis auf mutmaßliche Sicherheitsbedenken als Ausrede für politische Manipulation. Er warf Kanada vor, mit den USA zusammenzuarbeiten, um chinesische Firmen zu unterdrücken. Alykhan Velshi, Huawei-Manager in Kanada, sagte gegenüber der Canadian Broadcasting Corp., dass sein Unternehmen weiterhin auf eine Erklärung warte, welche Sicherheitsrisiken Huawei darstelle. Der Konzern hat in Kanada 1.500 Mitarbeitende.
Kanada schließt sich mit dem Entschluss den Mitgliedern der unter anderem in Geheimdienstfragen kooperierenden “Fünf-Augen-Allianz” an. Dazu gehören die USA, Großbritannien, Australien und Neuseeland. Als eines der ersten Länder hatten die USA Huawei 2019 unter der Trump-Regierung sanktioniert. niw
China will die Schwellenländer-Gruppe Brics erweitern. Außenminister Wang Yi sagte in einem Online-Meeting der Brics-Staaten: “China schlägt vor, den Brics-Erweiterungsprozess zu starten, die Kriterien und Verfahren für die Erweiterung zu untersuchen und schrittweise einen Konsens zu finden”. Die Staatengruppe aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wurde 2009 gegründet. Details zur Erweiterung oder potenziellen Beitrittskandidaten sind bisher noch nicht bekannt.
Es handelt sich bei Brics nicht um ein formelles Bündnis. Die Gruppe hat in den letzten Jahren aber eine gemeinsame Entwicklungsbank gegründet, die auch in Drittstaaten aktiv ist. Zudem gibt es eine Kooperation, um Finanzkrisen abzuwenden. Eine Ausweitung der Brics-Gruppe könnte die Süd-Südkooperation stärken und in Konkurrenz zu westlichen Bündnissen und Institutionen treten. Allerdings gibt es unter den Brics-Staaten auch Grenz- und andere Konflikte. nib
Die Wertschöpfungskette von Halbleitern ist unglaublich komplex und erstreckt sich weltweit: Deren Herstellung ist nicht nur eine der forschungs- und entwicklungsintensivsten Aktivitäten, sie umfasst auch eine Reihe spezialisierter Fertigungsschritte, die von Firmen in der ganzen Welt durchgeführt werden. Die größten Halbleiterfirmen sind überwiegend in den Vereinigten Staaten, Südkorea, Europa und Japan ansässig (zum Beispiel Intel, Samsung, Infineon, und Kioxia). Viele Hersteller lagern die kapitalintensive Fertigung sowie Gehäusemontage- und Testtätigkeiten an spezialisierte Unternehmen in Chinesisch-Taipeh, China und Singapur aus. Einige, wie TSMC, haben sich zu Technologieführern bei der Bereitstellung von fortschrittlichen Chipfertigungsdiensten entwickelt. Auf ihre Dienste ist ein Großteil der Smartphones und Computer der Welt angewiesen. Unternehmen wie TSMC sind ihrerseits von wichtigen Lieferanten spezialisierter Präzisionsgeräte wie dem niederländischen Unternehmen ASML abhängig. Diese Zulieferer stellen beispielsweise die Lithografie-Maschinen her, die für die Halbleiterfertigung benötigt werden.
Da die Chipproduktion ein innovationsgetriebener, kapitalintensiver und strategisch wichtiger Sektor ist, ist staatliche Einmischung seit langem ein Merkmal der Halbleiterindustrie. Anfang der 1960er Jahre wurde die NASA zum Hauptabnehmer integrierter Schaltkreise und sorgte für eine stabile Nachfrage bei den US-Herstellern. Etwa zur gleichen Zeit richteten die chinesischen Behörden das Werk Nr. 742 in Wuxi als staatliche Ausbildungsstätte für Halbleiteringenieure ein. Frankreich gründete 1967 das CEA-Leti, ein auf Mikroelektronik spezialisiertes öffentliches Forschungszentrum. In den 1970er und 80er Jahren folgten die Behörden in Japan, Korea und Chinesisch-Taipeh, die alle die Halbleiterforschung und -entwicklung (F&E) durch öffentliche Institute wie ETRI und ITRI unterstützten. Auch die Vereinigten Staaten gründeten 1980 das Very High Speed Integrated Circuit Programm und 1987 das Forschungs- und Entwicklungskonsortium Sematech.
Einem aktuellen OECD-Bericht über Subventionen in der Halbleiterindustrie zufolge haben 21 der weltweit größten Halbleiterunternehmen zwischen 2014 und 2018 mehr als 50 Milliarden US-Dollar an staatlicher Unterstützung erhalten. Davon entfielen zwei Drittel auf staatliche Zuschüsse und Steuervergünstigungen, darunter mehr als 15 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung von F&E-Ausgaben und 20 Milliarden in Form von Einkommensteuervergünstigungen und Investitionsanreizen. Ein weiteres Drittel der Unterstützung erfolgte in Form von Finanzierungen unter Marktniveau, das heißt Fremd- und Eigenkapital, welches die Unternehmen zu marktunüblich günstigen Konditionen erhielten.
Während alle untersuchten Unternehmen F&E-Förderung und in gewissem Umfang Steuervergünstigungen erhielten, scheint die Finanzierung unter Marktniveau weitgehend ein chinesisches Phänomen zu sein. Dies gilt insbesondere nach der Entscheidung Chinas, im Jahr 2014 einen nationalen Investitionsfonds für integrierte Schaltkreise sowie ähnliche Fonds auf Provinz- und Kommunalebene einzurichten. Diese Fonds haben seitdem einer Reihe wichtiger chinesischer Halbleiterhersteller, darunter SMIC, Hua Hong und Tsinghua Unigroup und deren Tochtergesellschaften, frisches Eigenkapital zugeführt. Außerdem besteht offenbar ein direkter Zusammenhang zwischen den Eigenkapitalerhöhungen durch Chinas Staatsfonds und dem Bau neuer Halbleiterfabriken.
Ein entscheidendes Problem aus handelspolitischer Sicht ist die mangelnde Transparenz der staatlichen Unterstützung und insbesondere der Finanzierung unter Marktniveau. Viele Regierungen legen die von ihnen gewährten Subventionen nicht offen. Dieses Problem verschärft sich noch im Fall von Finanzierungen unter Marktniveau. Der Nachweis einer solchen Unterstützung erfordert einen Vergleich mit einem marktbasierten Referenzwert, wofür detaillierte Methoden erst noch festgelegt oder vereinbart werden müssen. Mitunter fehlen auch Informationen über die Eigentumsstruktur von Unternehmen, was das wahre Ausmaß staatlicher Investitionen in Industrieunternehmen verschleiern kann.
Einige Formen von Subventionen können notwendig sein, und dies gilt für die Halbleiterindustrie ebenso wie für andere Sektoren. Doch selbst F&E-Subventionen können marktverzerrend wirken, wenn sie schlecht konzipiert und umgesetzt werden. Eine Analyse der ZEW-Forscher Philipp Boeing und Bettina Peters zeigt beispielsweise, dass die von China zwischen 2001 und 2011 gewährten F&E-Subventionen bisweilen zweckentfremdet wurden, was die Wirksamkeit der F&E-Politik untergräbt und darauf hindeutet, dass ein gewisser Teil der F&E-Förderung möglicherweise für andere Zwecke wie den Ausbau von Produktionskapazitäten verwendet wurde (China.Table berichtete). Zwar gibt es gute wirtschaftliche Argumente für die Förderung von Forschung und Entwicklung. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass diese F&E-Unterstützungsmaßnahmen so gestaltet werden, dass sie den gesellschaftlichen Nutzen erhöhen und gleichzeitig die Kosten in Grenzen halten. Konkret: Innovationsanstrengungen, die Produktivität und Wohlstand steigern können, sollten im Vordergrund stehen. Wettbewerbsverzerrungen sollten vermieden werden.
Staatliche Eigenkapitalerhöhungen in der Halbleiter-Wertschöpfungskette haben Auswirkungen auf den Handel und den globalen Wettbewerb. Was sie für Handelsregeln und insbesondere für die Disziplinierung von Subventionen bedeuten, muss genauer untersucht werden. Eigenkapital unter Marktniveau gehört aufgrund seiner Eigenheiten wahrscheinlich zu den am schwierigsten zu identifizierenden und zu quantifizierenden Formen der Unterstützung. Daher ist mehr Transparenz erforderlich, die sich insbesondere auf Folgendes konzentrieren sollte:
In einem breiteren Kontext wirft die Arbeit der OECD auch Fragen über die Rolle und Wirksamkeit staatlicher Unterstützung in F&E-intensiven Industrien auf, die durch kurze Produktzyklen gekennzeichnet sind. Diese Diskussion ist von besonderer Bedeutung für China, das in Technologien der Halbleiterfertigung trotz relativ umfangreicher staatlicher Unterstützung im Rückstand ist und seit langem eine Politik verfolgt, die ausdrücklich die Entwicklung der heimischen Industrie für integrierte Schaltkreise fördern soll.
Jehan Sauvage arbeitet derzeit als Politikanalyst in der Direktion Handel und Landwirtschaft der OECD, wo er sich auf Fragen im Zusammenhang mit Marktverzerrungen und staatlichen Subventionen in Industriesektoren spezialisiert hat.
Christian Steidl ist Politikanalyst bei der OECD und beschäftigt sich mit der Analyse verschiedener Formen der staatlichen Unterstützung für Industrieunternehmen.
Dieser Beitrag steht im Rahmen der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Dr. Sophia Helmrich (BDI), Jehan Sauvage (OECD) und Christian Steidl (OECD) über das Thema: “Der Wettlauf um die Technologie-Souveränität: Der Fall der staatlichen Unterstützung in der Halbleiterindustrie”. China.Table ist Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten spiegeln rein die Meinung der Autoren wider. Sie sind nicht notwendigerweise Ausdruck der Ansichten des OECD Sekretariats oder der Mitgliedsstaaten der OECD.