Table.Briefing: Europe

Interview mit VDA-Chefin Müller + Digitalpolitik-Ausblick

  • Hildegard Müller (VDA): “Raus aus China ist keine Lösung”
  • Digital-Politik: Das steht im Herbst auf der Agenda
  • Litauens Ministerpräsidentin appelliert an Durchhaltewillen der Europäer
  • Ukraine: 13 Schiffe mit 282.500 Tonnen Getreide gestartet
  • Strommarkt: Habeck orientiert sich an EU-Vorschlag
  • Ökodesign-Vorgaben und Reparatur-Label: Kommission legt erste Entwürfe vor
  • Standpunkt von Sarah Wiener: Carbon Farming – Ein falsch aufgezäumtes Pferd
Liebe Leserin, lieber Leser,

noch ist das Gesetzgebungsverfahren der EU bei den Auto-relevanten Dossiers nicht abgeschlossen, da zeichnen sich das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 und das Ausbremsen der synthetischen Kraftstoffe schon ab. Die Präsidentin des Branchenverbandes VDA, Hildegard Müller, wirft im Interview mit Lukas Scheid und mir bereits einen Blick auf die Folgen für Hersteller und Zulieferer. Vor allem die Zulieferer würden hart getroffen, eine sechsstellige Zahl von Jobs sei in Gefahr.

Gleichzeitig hat sie große Bedenken, ob der Vorschlag der Kommission für eine Mindestzahl an öffentlichen Ladepunkten (AFIR) fliegt. Europa leide nicht unter einem Ankündigungs-, sondern einem Umsetzungsproblem. Bei der nächsten Stufe der Schadstoffregulierung (Euro 7) sind nicht die Mitgliedstaaten die Akteure, sondern die Industrie. Hier plädiert Müller für einen “maßvollen” Vorschlag. Ansonsten drohe der Verbrenner zu teuer zu werden, bevor er politisch gewollt ins Jenseits befördert werde.

In Brüssel, Straßburg und Luxemburg ist die Sommerpause nun beendet. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft will die Gesetzesvorhaben in der Digitalpolitik vorantreiben. Corinna Visser und Falk Steiner skizzieren in ihrem thematischen Ausblick, was hier im Herbst auf der Agenda steht und wer die Akteure sind.

Am Freitag wollen die Wirtschaftsminister der 27 Mitgliedstaaten bei ihrem Treffen konkrete Beschlüsse fassen, wie der Preisanstieg bei Gas und Strom gestoppt werden kann. Die Bundesregierung hat am Sonntag ihr drittes Entlastungspaket vorgestellt und will dafür sorgen, dass “Zufallsgewinne” von Stromerzeugern abgeschöpft werden sollen. Damit schwenkt die Bundesregierung auf den Kurs ein, den die EU-Kommission vergangene Woche vorgeschlagen hatte.

Ihr
Markus Grabitz
Bild von Markus  Grabitz

Analyse

Hildegard Müller: “Raus aus China ist keine Lösung”

Hildegard Müller ist Präsidentin des Branchenverbandes VDA: Sie will nicht raus aus China
Hildegard Müller ist Präsidentin des Branchenverbandes VDA.

Frau Müller, das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 ist so gut wie sicher. BMW, Mercedes und VW sind vorbereitet, schon Ende des Jahrzehnts überwiegend batterieelektrisch zu fahren. Sind es also eher Phantomschmerzen, wenn die Branche stöhnt?

Es ist zur früh für eine abschließende Bewertung. Schließlich steht der Trilog noch aus. Ich warne allerdings ausdrücklich davor, im EU-Gesetzgebungsverfahren das Ambitionsniveau noch weiter in die Höhe zu treiben. Vielmehr gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die ambitionierten Ziele auch erreicht werden können und die Menschen bei der Transformation mitgenommen werden. Gleichzeitig steht fest: Die Branche wird es schaffen, auf den relevanten Märkten das E-Auto anzubieten. Die Automobilindustrie hat die Herausforderung der Transformation angenommen. Sie investiert dafür rund 220 Milliarden Euro bis 2026 in Forschung und Entwicklung, vor allem in die Elektromobilität. Dazu kommen bis 2030 noch mindestens 100 Milliarden Euro für den Umbau von Werken. Der Autoindustrie kann also niemand vorwerfen, dass es an uns scheitert. Wir wollen den Hochlauf und treiben die Transformation.

Und wie sieht es bei den Zulieferern aus?

Die Zulieferer stehen wahrscheinlich vor ihrer bisher größten unternehmerischen Herausforderung. Viele müssen ein neues Geschäftsmodell entwickeln, während sie noch Komponenten für den Verbrennungsmotor bauen. Wir wissen aus Studien, dass noch immer etwa die Hälfte der Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie am Verbrennungsmotor hängen. Laut ifo-Institut werden bis 2030 mindestens 215.000 Beschäftigte von der Transformation betroffen sein. Nicht alle davon werden wegfallen, aber sie stehen zur Disposition. Die Zulieferer-Industrie ist also außerordentlich gefordert, und ich sehe jeden Tag, wie sie sich diesem Wandel mit all ihrer Innovationskraft und Verantwortung für die Beschäftigten stellt. Dabei leiden sie aktuell besonders unter den massiv gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen. Hinzukommt, dass sie in Sachen Taxonomie und ESG mit Anforderungen konfrontiert sind, die dazu führen, dass die nötigen Finanzmittel für die Transformation schwerer zu beschaffen sind. Im Klartext: Ja, für viele Zulieferer und ihre Beschäftigten ist die Zeit sehr hart.

Synthetische Kraftstoffe sind für den Bestand nötig

Die EU will synthetische Kraftstoffe bei Autos ausbremsen. Nach dem Ministerrat steht das Fenster nur noch einen Spaltbreit offen. Rechnen Sie noch mit einem substanziellen Vorschlag?

Es gibt den klaren Auftrag des Ministerrates, dass die Kommission liefern muss. Es geht nicht darum, dass der zuständige Kommissar Frans Timmermans seine Meinungen pflegt, sondern dass er umsetzt, was die Mitgliedstaaten von ihm wollen – und jetzt zu Recht erwarten. Die EU hat bis heute noch keinen substanziellen Vorschlag gemacht, wie die Bestandsflotte dekarbonisiert werden kann. Damit nimmt sie billigend in Kauf, dass Europa die Klimaziele im Verkehrssektor verfehlen wird. Es geht aktuell um rund 280 Millionen Fahrzeuge in der EU, um 1,5 Milliarden Fahrzeuge weltweit. Ohne eine Lösung für den Bestand ist die Klimaneutralität nicht zu erreichen. Und synthetische Kraftstoffe sind hier eine vielversprechende Option. Eine Option, die jetzt entschlossen ermöglicht und entsprechend vorangebracht werden muss.

Die EU arbeitet an der Verordnung für eine Mindestzahl an öffentlichen Ladepunkten in allen Mitgliedsländern. Gehen die Planungen für die “AFIR”-Verordnung in die richtige Richtung?

Hier muss die EU wesentlich ehrgeiziger werden. Die Branche sorgt dafür, dass die Autos in den Markt kommen. Der Staat ist gefordert, für den Rahmen für die Ladeinfrastruktur zu sorgen. Was die Länder bisher planen, reicht aber bei Weitem nicht. Die Ladeleistung je Fahrzeug ist zu niedrig angesetzt. Wir brauchen 3 KW Ladeleistung je reinem Stromer und 2 KW je Plug-In-Hybrid. Und: Die Maximalabstände zwischen den Ladepunkten sind zu weit gesetzt. Statt 60 Kilometer fordern wir höchstens 40 Kilometer. Außerdem muss die Leistungsbereitstellung je Ladestation verdoppelt werden gegenüber dem Vorschlag. Wir brauchen zudem je Ladestation mindestens einen Punkt mit 350 KW, bislang sind nur 150 KW vorgesehen. Da gibt es also insgesamt noch viel Nachbesserungsbedarf.

Es müsste aber auch sichergestellt werden, dass die Länder ihre Hausaufgaben erledigen…

Fakt ist: Die EU hat meist kein Ankündigungs-, sondern ein Umsetzungsproblem. Deswegen muss es ein regelmäßiges Monitoring geben, ob der Ausbau im Plan liegt. Es braucht nur einen Blick auf die aktuellen Zahlen öffentlicher Ladepunkte, um die Dramatik zu erkennen: Hamburg hat doppelt so viele Ladepunkte wie ganz Griechenland. Brandenburg hat mehr Ladepunkte als ganz Irland. Die Hälfte aller Ladepunkte in der EU stehen in den Niederlanden und in Deutschland – und wir müssen unseren eigenen Ausbau selbst noch erheblich intensivieren. Deswegen muss die EU verpflichtend festlegen, wie politisch nachgesteuert wird, wenn die Ziele verfehlt werden. Auch eine Vernetzung mit der Energiewirtschaft muss sichergestellt sein, damit ausreichend Strom zum Laden vorhanden ist und die Netze entsprechend ausgebaut sind – daran scheitert es nach wie vor viel zu häufig.

Branche will weiter Schadstoffe reduzieren

Die Kommission legt am 12. Oktober ihren Vorschlag für die nächste Stufe der Schadstoffregulierung (Euro 7) vor. Kann man darauf nicht verzichten? Der Verbrenner ist ohnehin ein Auslaufmodell…

Nein, die Branche ist dazu bereit, weiterhin einen Beitrag zu leisten, dass die Luft weiter besser wird. Wir wollen das Auto immer weiterentwickeln. Auch vor dem Hintergrund der feststehenden Entwicklung hin zum Elektroauto müssen die Innovation dabei in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten stehen. Die ersten Vorschläge wären in den Anforderungen zudem auf ein Verbrennerverbot durch die Hintertür hinausgelaufen. Wenn die Grenzwerte in allen Fahrsituationen eingehalten werden müssten, bekämen wir eine Regulierung, die nicht mehr rechtssicher zu handhaben wäre. Sinnvoll ist eine maßvolle und zügige Weiterentwicklung von Euro 6, auch um nun endlich Planungssicherheit zu haben. Entscheidend: Nicht zu komplex – und tatsächlich realisierbar. Der Verbraucher will auch in Zukunft zu vertretbaren Kosten einen Wagen aus europäischer Produktion kaufen können.

Das wirtschaftliche Umfeld verdüstert sich..

Die Prognosen gehen davon aus, dass es zu einer Rezession kommen kann. Das geht mit einem Verlust an Arbeitsplätzen einher. Und dies wirkt sich natürlich auf die Kaufkraft und Kauflaune der Verbraucherinnen und Verbraucher aus. Umso mehr gilt, dass die Kommission die Frage im Blick haben muss: Wie teuer darf die Transformation werden, die wir den Bürgern zumuten? Wir dürfen nicht vergessen: Wenn diese Transformation in Europa scheitert, verliert Europa auch die Vorbildfunktion beim Klimaschutz gegenüber anderen Wirtschaftsregionen. In Afrika etwa wird sehr genau beobachtet, ob der Green Deal in Europa funktioniert. Nur wenn unser Ansatz weltweit kopiert wird, kommen wir beim Klimaschutz global voran.

Geoökonomie als politische Strategie ist neues Phänomen

Stichwort China: Die Hersteller sind in doppelter Weise abhängig von China. BMW, Mercedes und VW brauchen China existenziell als Absatzmarkt wie auch als Lieferant. Hat sich die Industrie zu sehr abhängig gemacht von China?

Die Frage des Verhältnisses zu China geht weit über die Autoindustrie hinaus. Insgesamt beobachten wir auf der Welt fundamentale Veränderungen: Bislang hat die Ökonomie politische Veränderungen begleitet, unterstützt und stabilisiert. Die Tatsache, dass man wirtschaftlich im Gespräch war, hat auch politische Tatsachen geschaffen. Jetzt erleben wir, dass Geoökonomie von einigen als politische Strategie eingesetzt wird. Das ist eine Veränderung, über deren Folgen wir uns in Europa gerade erst bewusst werden.

Was folgt daraus?

Die Antwort kann und darf keine Abkehr von der Globalisierung sein. Der Angriffskrieg von Putin heißt im Gegenteil, dass wir mit noch mehr Ländern reden und zusammenarbeiten müssen. Wir müssen dabei natürlich stärker diversifizieren und Abhängigkeiten reduzieren. Ich werde nicht müde, zu wiederholen: Wir brauchen mehr Rohstoff-, mehr Energie- und mehr Handelsabkommen. Es geht nicht, 15 Jahre lang mit Kanada über CETA zu verhandeln und wenn alles fertig ist, noch einmal nachverhandeln zu wollen. Wir brauchen eine Offensive für mehr rechtssichere Abkommen. Andere Staaten sind sehr aktiv, wenn es darum geht, sich Zugänge zu Rohstoffen und zu Energie zu sichern. Wir sind zu oft nicht dabei, sind viel zu langsam und verschlechtern damit zunehmend die Wettbewerbsbedingungen für Europa und damit auch für unsere Industrie. Es geht um den Wohlstand Europas in der Zukunft.

Und was ist mit dem unternehmerischen Engagement?

Die Unternehmen tun alles dafür, sich stärker zu diversifizieren und resilienter zu werden.  Sie sind dabei, für Rohstoffe und Vorprodukte alternative Lieferanten zu finden, wo immer das möglich ist und Verträge zu schließen. Handelsabkommen geben den Rahmen, in denen diese Verträge rechtssicher geschlossen werden können. Die andere Frage sind die Absatzmärkte. Natürlich ist China dabei für unsere Branche sehr wichtig. Die Erträge, die wir auch dort machen, spielen die Gewinne ein, mit denen die Transformation bezahlt wird. Auch China hat im Übrigen Interesse an unserem Engagement.

Was heißt das?

Ich wünsche mir eine bessere Begleitung durch die Politik. Wir brauchen eine integrierte Chinastrategie. Hier sehe ich aber sehr viel Stillstand, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Einfach raus aus China – das ist nicht die Lösung. Dafür ist das Land und seine wirtschaftliche Bedeutung zu groß. Wir können China nicht isolieren. Das wäre naiv – und sowohl politisch als auch wirtschaftlich fatal. (Lesen Sie hierzu weitere Passagen des Interviews bei China.Table).
 

Marktversagen bei Halbleitern

Die Chipkrise hat die Hersteller viel Geschäft gekostet. Ist es sinnvoller, die Chips hier teurer selbst zu produzieren, statt sie mit Risiko aus Asien zu importieren?

Bei Chips haben wir kein System, das allein von den Gesetzen des Marktes dominiert wird. Vielmehr haben einige Staaten aktive Industriepolitik betrieben und mit viel Subventionen dafür gesorgt, dass Fabriken angesiedelt wurden. Europa hat das lange abgelehnt. Langsam wacht man auf. Es wird höchste Zeit, die EU-Wettbewerbsregeln an die sich verändernden geostrategischen Bedingungen anzupassen. Hier wird schnell als unerlaubte Beihilfe gesehen, was Europa weltweit stärken könnte.

Was heißt das denn?

Die EU hat ja eine Kurskorrektur vorgenommen und zahlreiche IPCEIs auch zur Chipproduktion aufgelegt. Dieser Weg ist in diesem Fall richtig: Die Produktion in Europa halte ich für wichtig, um die Industrie resilienter zu machen.  

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Digitalpolitik (1): Das steht im Herbst auf der Agenda

Einige Meilensteine der Digitalstrategie hat die EU schon hinter sich gebracht. Der Digital Services (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) sind unter Dach und Fach. Doch mit dem Artificial Intelligence Act (AI Act) und dem Data Act stehen zwei weitere wichtige und weitreichende Regulierungen an. Die Verordnung zur Künstlichen Intelligenz ist der erste Versuch überhaupt, eine horizontale Regulierung von KI zu erlassen. Europa erhofft sich, hier eine Vorreiterrolle einnehmen zu können. Doch die Zeit drängt, denn die Konkurrenz aus den USA oder China schafft derweil Fakten.

Artificial Intelligence Act (AI)

Kommissionsvorschlag: 21. April 2021

Akteure: Federführende Ausschüsse im Europäischen Parlament sind IMCO und LIBE; Berichterstatter sind Brando Benifei (IT, S&D) und Dragoş Tudorache (RO, Renew).

Inhalt: Die Kommission hat für die Regulierung von Künstlicher Intelligenz einen risikobasierten Ansatz gewählt. Der Hauptteil der Regulierung befasst sich mit den Hochrisikosystemen. Sie sollen zugelassen werden, aber eine Reihe von Anforderungen und Verpflichtungen erfüllen, um Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Wichtige Diskussionspunkte in Parlament und Rat sind die Definition von KI-Systemen, die Liste verbotener KI-Systeme, die Stärkung der Durchsetzungs- und Rechtsbehelfsmechanismen und die Gewährleistung einer angemessenen demokratischen Kontrolle bei der Gestaltung und Umsetzung der Verordnung.

Zeitplan: Ende April haben die Berichterstatter ihren Berichtsentwurf vorgelegt. Für Ende Oktober ist die Abstimmung in den beiden Ausschüssen IMCO und LIBE vorgesehen, für November das Votum im Plenum. Wegen der mehr als 3000 Änderungsanträge und der geteilten Zuständigkeit könnten sich die Abstimmungstermine noch nach hinten verschieben. Aktuell laufen die Technical Meetings.

Die tschechische Ratspräsidentschaft hat am 15. Juli einen Kompromisstext veröffentlicht, der die Positionen der Mitgliedstaaten konsolidiert. Änderungen gab es zu den vier oben genannten Diskussionspunkten. Die Mitgliedstaaten konnten bis zum 2. September ihr Feedback dazu geben. Ziel ist es, bis zur Sitzung des Rates der Telekommunikationsminister am 6. Dezember eine allgemeine Ausrichtung zu erreichen.

Artificial intelligence liability directive

Kommissionsvorschlag: Wird erwartet für den 28. September.

Akteure: Margrethe Vestager, Věra Jourová, Didier Reynders

Inhalt: Den Rechtsakt zu den Haftungsfragen der Künstlichen Intelligenz hat die Kommission bereits mit dem AI Act angekündigt. Im Oktober 2021 startete sie eine öffentliche Konsultation zu den Regeln für den Ersatz von Schäden durch fehlerhafte Produkte. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf dem Einsatz von KI in Produkten und Dienstleistungen. Zunächst gab es Überlegungen, aus KI-Haftung und der überarbeiteten Produkthaftung einen Rechtsakt zu machen, nun werden es zwei.

Hintergrund für ein eigenes KI-Haftungsgesetz ist, dass die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen nicht nur von ihrem Design und ihrer Produktion abhängt, sondern auch von Software-Updates, Datenflüssen und Algorithmen. Und es geht um die Frage, wer für Schäden haften soll. Das ist besonders bei Allzweck-KI eine brisante Frage, weil ein Anbieter nicht wissen kann, zu welchem Zweck sein System eingesetzt wird. Die Regeln sollten anknüpfen an den AI Act, um wirksame Lösungen für die Haftung zu finden und “eine wirksame Entschädigung der Opfer sicherzustellen”, sagte ein Kommissionssprecher.

Data Act

Kommissionsvorschlag: 23. Februar 2022

Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Bericherstatterin Pilar del Castillo Vera (ES, EVP).

Inhalt: Ziel des Data Acts ist, den Datenfluss zwischen Unternehmen, zwischen Unternehmen und Regierungen sowie im öffentlichen Sektor zu fördern. Es geht dabei zum Beispiel um die Pflichten, wann Unternehmen Daten mit anderen Unternehmen teilen und wann sie Behörden Daten übermitteln müssen, außerdem um Cloud-Switching und Interoperabilität. Für Letzteres ist der IMCO-Ausschuss zuständig.

Die Industrie begrüßt, dass es hierfür nun klare Regeln geben soll, merkt aber an: “Wir müssen in Europa aufpassen, dass Regulierung nicht vor Innovation geht”, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. Die Unternehmen beklagten bereits heute, dass wegen fehlender Daten und fehlender Datenverfügbarkeit technologische Entwicklungen ausgebremst werden. “Der Data Act muss daher für mehr Klarheit beim Datenteilen sorgen und zugleich Geschäftsgeheimnisse besser schützen – und die geplanten Regeln für Cloud-Dienste schießen teilweise weit über das Ziel hinaus”, meint Berg.

Zeitplan: Der ITRE-Berichtsentwurf wird für den 8. September erwartet. Eine erste Aussprache ist für den 26. September vorgesehen, die Deadline für Änderungsanträge der 17. Oktober – beides könnte sich jedoch auf Ende Oktober verschieben. Nachdem die beiden Ausschüsse ITRE und IMCO zunächst über ihre Kompetenzen gestritten hatten, gibt es nun Uneinigkeit über den Zeitplan. Die Abstimmung im ITRE soll im Februar 2023 sein und das Votum im Plenum dann im März 2023.

Die tschechische Ratspräsidentschaft hat im Juli und August bereits Teilkompromisse erzielt. Die nächste Aussprache dazu in der Ratsgruppe ist am heutigen Montag. Ziel ist ein erster vollständiger Kompromisstext bis zum Ende der Ratspräsidentschaft. Eine allgemeine Ausrichtung wird es wohl erst unter der kommenden Ratspräsidentschaft Schwedens geben.

European Digital Identity framework (eIDAS)

Kommissionsvorschlag: 3. Juni 2021

Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatterin Romana Jerković (HR, S&D).

Inhalt: Die aktuellen Vorschriften über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (eIDAS) aus dem Jahr 2014 zielen darauf ab, nationale eID-Systeme europaweit interoperabel zu machen, um den Zugang zu Online-Diensten zu erleichtern. In ihrer Digitalstrategie hat die Kommission angekündigt, die eIDAS-Verordnung zu überprüfen, um ihre Wirksamkeit zu verbessern und die Anwendung zu steigern. Kurz gesagt: Bisher gibt es keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, digitale Identitätsnachweise einzuführen, das soll sich ändern.

Vor allem sollen die Mitgliedsstaaten künftig verpflichtet werden, ein sicheres EU-Identity-Wallet für das Smartphone anzubieten. Dazu gehören eine hoheitliche eID und die Verpflichtung, digitale Nachweise als Identifikation zu akzeptieren.

Zeitplan: Der Industrieausschuss wird voraussichtlich im Oktober 2022 über seinen Bericht abstimmen. Eine allgemeine Ausrichtung des Rates wird für Dezember erwartet.

Union Secure Connectivity Programme

Kommissionsvorschlag: 15. Februar 2022

Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatter Christophe Grudler (FR, Renew).

Inhalt: Der Krieg in der Ukraine hat nach Meinung vieler Experten einmal mehr gezeigt, dass Europa nicht nur eine sichere, sondern auch eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All braucht. Eine, die nicht nur in Kriegs- und Krisenfällen, sondern auch bei Katastrophen wie im Ahrtal zuverlässig funktioniert. Strategische Souveränität ist daher ein zentrales Ziel des Secure Connectivity Programme, mit dem die EU nicht nur die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringensondern auch den wachsenden geopolitischen Cybersicherheitsbedrohungen begegnen will. Die Megakonstellation im erdnahen Orbit soll die europäischen Weltraumprojekte Galileo und Copernicus ergänzen.

Der Vorschlag zu dem Programm kam von Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die Franzosen treiben den Plan voran, da sie sich Großaufträge für ihre Luft- und Raumfahrtindustrie erhoffen. Deutschland hingegen legt Wert darauf, dass auch KMU und vor allem innovative Start-ups sowohl bei der Entwicklung als auch beim Aufbau zum Zuge kommen.

Zeitplan: Am 30. Mai 2022 legte Grudler seinen Berichtsentwurf vor. Die Berichterstatter treffen sich erneut am 13. September in Brüssel, sie wollen über den Zeitrahmen und die Finanzierung beraten. Der Rat der EU hat am 22. Juni 2022 sein Verhandlungsmandat angenommen, damit der Ratsvorsitz die Verhandlungen mit dem Parlament aufnehmen kann.

Cyber Resilience Act

Kommissionsvorschlag: 13.09.2022 (tbc)

Akteure: Thierry Breton, DG Connect

Inhalt: Die Kommission stellt ihren Vorschlag für eine Verordnung mit dem Arbeitstitel Cyber Resilience Act vor, mit dem das Cybersicherheitsniveau bei digitalen Produkten und sogenannten Nebendienstleistungen verbessert werden soll.

Die Kommission hatte in Vorbereitung des Rechtsaktes eine Konsultation mit den Stakeholdern durchgeführt. Dabei ließ sie offen, ob es sich nur um eine Konsolidierung bestehender Vorschriften ergänzt um freiwillige Zertifizierungen und Maßnahmen handeln solle oder um horizontale Regulierungsmaßnahmen. Hier könnten etwa Mindestanforderungen an Anbieter gestellt werden, was Sicherheitsqualitäten und damit unter anderem Updatepflichten angeht. Auch der Scope blieb bislang unklar: Ob etwa alle Software, die als Nebendienstleistung zu Produkten geliefert wird, mit umfasst sein soll, oder nur solche Software, die als kritisch eingestuft wird.

NIS2 – Network and Information Security Directive Revision

Finale Abstimmung: Voraussichtlich Oktober 2022

Akteure: Parlament, Rat, Umsetzung Bundesregierung und Bundestag

Inhalt: Bei der Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) war bereits im Mai eine politische Einigung erzielt worden, der Rat veröffentlichte im Juni das entsprechende Vier-Spalten-Dokument. Seitdem laufen die letzten Feinarbeiten, dann können Parlament und Rat die NIS2 verabschieden – das dürfte in den nächsten Wochen erfolgen.

Hauptunterschiede zur bisherigen NIS-Richtlinie sind neben Schwellenwertvereinheitlichungen die Erweiterung der von der NIS umfassten Bereiche: Hier werden unter anderem bestimmte Bereiche im Gesundheitswesen, bei der digitalen Infrastruktur unter anderem Cloudanbieter und Content-Delivery-Networks künftig auch unter die europäischen Regeln fallen. Im Energiesektor wird auch die Wasserstoffindustrie künftig als kritisch angesehen. Hinzu kommen die öffentliche Verwaltung, der Abwassersektor und Teile von Raumfahrtinfrastrukturen. Die NIS wurde eng mit der parallel verhandelten RCE-Richtlinie abgestimmt, deren Fokus auf der allgemeinen Verfügbarkeit kritischer Anbieter liegt.

Der Anpassungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber durch die NIS2 gilt bei Experten als überschaubar, mit den Überarbeitungen des IT-Sicherheitsgesetzes seien viele Änderungen der EU-Revision bereits vorweggenommen worden. Ab Verkündung im Amtsblatt läuft dann die 21-monatige Umsetzungsfrist. Das in Deutschland zuständige Bundesinnenministerium rechnet (bei baldiger Verabschiedung der Richtlinie) damit, dass die entsprechenden Anpassungen im IT-Sicherheitsgesetz (ITSig) und BSI-Gesetz “voraussichtlich bis Sommer/Herbst 2024 umzusetzen” seien.

Connectivity Infrastructure Act (tbc)

Vorschlag der Kommission: Nicht terminiert

Akteure: Thierry Breton, Margrethe Vestager, Mitgliedstaaten, BEREC

Die Debatte um mögliche Änderungen an Bezahlmodellen im Netz, die besonders datenverkehrsintensive Anbieter betreffen würden, wird seit mehreren Monaten intensiv vor und hinter den Kulissen geführt. Im Zuge des Reviews der Broadband Cost Reduction Directive (BCRD) könnte die Kommission hier jedoch in den kommenden Monaten Vorschläge unterbreiten – während die europäischen TK-Regulierer zuletzt erst weitere Marktuntersuchungen und -konsultationen abschließen wollten.

Einige Mitgliedstaaten drängen auf schnelle Änderungen, um die großen Anbieter auch über die eigenen Netze hinaus zur Kasse zu bitten. Breton und Vestager hatten das Thema selbst ins Rollen gebracht (wir berichteten), sind bislang öffentlich jedoch noch nicht durch klare Vorstellungen aufgefallen. Zuständig ist in Deutschland das BMDV unter Volker Wissing.

Media Freedom Act

Kommissionsvorschlag: 13.09.2022 (tbc)

Akteure: Vera Jourová, Thierry Breton

Inhalt: Ob das Datum des Vorschlages zu halten ist, ist noch nicht klar. Eigentlich soll der Media Freedom Act die Unabhängigkeit der Medien sicherstellen und sie vor unbotmäßiger politischer Einflussnahme, zu hoher Machtkonzentration und einer möglichen Diskriminierung in einzelnen Mitgliedstaaten schützen. Zugleich soll der Vorschlag aber auch bestimmte Abhängigkeitsformen adressieren – etwa von übermächtigen Akteuren im Anzeigenbereich oder bei Onlinenews-Gatekeepern.

Dass ein rigoroser Vorschlag zum Schutz vor staatlicher Einflussnahme in Ländern wie Ungarn oder Polen auf unbegrenzte Begeisterung stößt, steht kaum zu erwarten. Auch Mitgliedstaaten wie Österreich sind mit ihrer umstrittenen, staatlichen Medienunterstützungspraxis nicht unbedingt einfach mit ins Boot zu holen.

Ganz andere Bedenken meldete präventiv bereits der Bundesrat an: Er mahnte Brüssel, die EU-Kompetenzen nicht zu überschreiten und die auch europarechtlich nötige Staatsferne der Medienkontrolle nicht durch europäische Aufsichtsinstitutionen zu gefährden. Von Corinna Visser und Falk Steiner

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News

Litauens Ministerpräsidentin appelliert an Durchhaltewillen der Europäer

Angesichts des andauernden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine hat die litauische Premierministerin Ingrida Šimonytė die EU zu Durchhaltevermögen aufgerufen. “Europa ist immer noch stärker als ein einzelner Autokrat und in der Lage, Entscheidungen zu treffen”, sagte sie gestern bei einem Pressegespräch in Berlin. Menschen in den meisten europäischen Ländern seien beunruhigt angesichts der höheren Preise für Energie. Im Vergleich zu den Zuständen in der Ukraine sei dies jedoch lediglich ein Komfortverlust. “Es ist nichts im Vergleich zu den Menschen, die in der Ukraine jeden Tag sterben, deren Häuser zerstört werden oder die kein Dach mehr über dem Kopf haben”.

Šimonytės appelliert an die Krisenfestigkeit der EU, die sich in der Geschichte schon oft bewährt habe. “Ich hoffe, dass Europa das nicht nur aushält, sondern auch gestärkt daraus hervorgeht, so wie es für die EU üblich ist”, sagte sie. “Die Ukrainer zeigen keine Anzeichen von Ermüdung in ihrem Kampf, und das sollten auch wir nicht tun.”

Die einheitliche Linie und die Sanktionen der EU gegenüber Russland sieht Šimonytė trotz einiger “wackliger” Mitgliedstaaten nicht in Gefahr. Die bulgarische Übergangsregierung hatte angekündigt, wieder Verhandlungen mit Gazprom aufzunehmen; in Italien könnte zudem Ende September eine Putin-freundliche Regierung gewählt werden. Šimonytė äußerte sich dennoch unbesorgt: “Eine gute Sache an den Sanktionen ist, dass man sie nur einstimmig wieder loswerden kann. Das wird also nicht einfach sein”.

Einheitliche Linie als einzige Chance

Optimistisch ist auch ihr Blick auf weitere Sanktionen gegenüber Russland, wie sie bereits die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vorgeschlagen hat: “Alle Beschlüsse über Sanktionen sind bisher durchgekommen, obwohl auch hier Einstimmigkeit die Voraussetzung ist”. Sie vertraue auf die Entscheidungsfähigkeit der EU. Es werde zwar herausfordernde Debatten in der nationalen Politik geben. Europa habe jedoch gar keine andere Chance, als eine gemeinsame Linie aufrechtzuerhalten.

Gemeinsam mit der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas und dem lettischen Ministerpräsidenten Arturs Krišjānis Kariņš erhielt Šimonytė gestern in Berlin den Internationalen Preis der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für “ihr beispielhaftes und mutiges Eintreten für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie für eine solide Haushalts- und marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik”. Die drei baltischen Staaten hätten sich dank guter Regierungsführung seit ihrer Unabhängigkeit zu Vorbildern in Sachen Bildung, Informationstechnik, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, hieß es in der Begründung der Stiftung.

“Ich hoffe, dass die Erfolgsgeschichten der baltischen Staaten uns die Kraft geben werden, den Kampf für eine Welt fortzusetzen, in der die individuellen und wirtschaftlichen Freiheiten gedeihen”, sagte Šimonytė.

Energieeffizienz soll an erster Stelle stehen

Für Litauen sei in der Energiekrise derzeit nicht die Versorgungssicherheit das größte Problem, sondern die massiv gestiegenen Preise. Die litauische Regierung hatte bereits 2010 die Entscheidung getroffen, ein LNG-Terminal zu bauen, um sich aus der Abhängigkeit von Gazprom zu befreien, in die sich viele EU-Mitgliedstaaten begeben hatten. “Doch selbst die Länder, die in der Energieversorgung nicht so stark von Russland abhängig sind, müssen jetzt die Folgen in Form von sehr hohen Marktpreisen tragen”. Auch die übrigen Staaten sollten nicht nur die Suche nach alternativen Zulieferern von Erdgas in den Vordergrund stellen. Langfristig müsse es viel stärker um Energieeffizienz gehen.

Šimonytė forderte einen koordinierten Ansatz auf europäischer Ebene, um den Energieverbrauch langfristig zu reduzieren und schneller auf Erneuerbare Energien umzustellen. “Wir dürfen nicht nur darüber nachdenken, wie wir Energiequellen kompensieren, denn das ist nur eine kurzfristige Frage.”

Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit an einer Notfall-Maßnahme gegen die hohen Strompreise. Teil davon soll auch ein Einsparziel sein. leo

Ukraine: 13 Schiffe mit 282.500 Tonnen Getreide gestartet

Laut ukrainischen Angaben sind 13 Schiffe, die 282.500 Tonnen Getreide geladen haben, von ukrainischen Häfen aus über das Schwarze Meer gestartet. Dies sei der größte Schiffs-Konvoi seit dem Inkrafttreten des unter der Hilfe von den UN und der Türkei verhandelten Abkommens. Die Frachtschiffe, die acht Länder anlaufen sollen, sind in den Häfen von Odessa, Chornomorsk und Pivdennyi ausgelaufen. Die Häfen waren seit Kriegsausbruch und bis zu dem am 22. Juli in Kraft getretenen Abkommen durch die russischen Streitkräfte blockiert.

Seit dem 22. Juli sollen bereits 68 Frachtschiffe Häfen des angegriffenen Landes verlassen haben. Sie hatten den Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums zwei Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Produkte geladen, die für 19 Empfängerländer bestimmt sind.

Infolge des russischen Angriffskriegs ist es zu einem starken Preisanstieg bei Getreide und anderen Nahrungsmitteln gekommen. In Afrika und dem Nahen Osten geht die Sorge vor Nahrungsmittelknappheit um. Die Ukraine hofft, im Laufe der nächsten neun Monate 60 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren, sagte der Wirtschaftsberater des Präsidenten, Oleh Ustenko, im Juli. Falls die Häfen nicht einwandfrei funktionierten, könne dies bis zu 24 Monate dauern. rtr

Strommarkt: Habeck orientiert sich an EU-Vorschlag

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Abschöpfung von Zufallsgewinnen in der Energiebranche bei Treffen auf EU-Ebene vorantreiben. Damit greift die Bundesregierung einen Vorschlag auf, den die EU-Kommission in der vergangenen Woche gemacht hat. Die Abschöpfung von Zufallsgewinnen werde ebenso wie die geplante Strompreisbremse für den Grundverbrauch Thema bei den Beratungen der EU-Energieminister am kommenden Freitag sein, sagte der Grünen-Politiker gestern nach den Beschlüssen der Ampel-Koalition zu einem dritten Entlastungspaket im Volumen von 65 Milliarden Euro.

In Brüssel sollten die Pläne schnell weiter ausbuchstabiert werden. Der Weg wird dabei aber – anders als von den Grünen gefordert – nicht über eine zusätzliche Steuer gehen, die von der FDP abgelehnt wird. Nach Informationen von Reuters wollen die EU-Wirtschaftsminister bei ihrem Treffen auch über Kreditlinien diskutieren, die an Akteure auf dem Energiemarkt vergeben werden könnten.

Unterdessen kündigte der russische Staatskonzern Gazprom an, bis auf Weiteres kein Gas mehr durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 zu leiten und begründete dies mit einem technischen Defekt in der Kompressorstation Portowaja. Bis dieser behoben sei, könne kein Gas mehr fließen.

Die Ukraine will dagegen Deutschland mit der Lieferung von Atomstrom auf dem Weg aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen unterstützen. “Derzeit exportiert die Ukraine ihren Strom nach Moldau, Rumänien, in die Slowakei und nach Polen. Aber wir sind durchaus bereit, unsere Exporte auf Deutschland zu erweitern”, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal der Deutschen Presse-Agentur. “Wir haben eine ausreichende Menge an Strom in der Ukraine dank unserer Kernkraftwerke.” rtr/dpa

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Ökodesign-Vorgaben und Reparatur-Label: Kommission legt erste Entwürfe vor

Die Europäische Kommission hat jeweils einen ersten Entwurf für neue Ökodesign-Vorgaben sowie für ein Reparatur- und Energielabel für Mobiltelefone, Smartphones und Tablets veröffentlicht. Diese stehen bis Ende September für eine öffentliche Konsultation zur Verfügung. Ende November plant die Kommission, die finalen Entwürfe als Teil des zweiten Kreislaufwirtschaftspakets vorzulegen.

Der Entwurf der Ökodesign-Verordnung umfasst Vorgaben, welche die Umweltauswirkungen der drei Gerätegruppen anhand des Produktdesigns mindern sollen. Hersteller sollen die Geräte so entwerfen, dass Einzelteile wie Akkus demontierbar und austauschbar sind, Software-Updates sollen länger und kostenlos verfügbar sein. Die Produkte sollen hundertmal herunterfallen können, ohne an Funktionalität zu verlieren; außerdem sollen Bildschirme robuster und Batterien langlebiger sein. Die Kommission schlägt Vorgaben über Verfügbarkeit, Lieferzeit und Preise von Ersatzteilen vor. Gewerbliche Reparateure sollen zudem besseren Zugang zu Informationen über Reparatur und Instandhaltung erhalten.

Erstmals müssen Hersteller auch Informationen über die Materialien der Elektrogeräte offenlegen: Der Anteil bestimmter kritischer Rohstoffe wie Kobalt in der Batterie oder Neodym im Lautsprecher muss angegeben werden, außerdem die Quote ihrer Wiederverwertbarkeit und der Anteil des recycelten Materials des Produkts. Auch Kunststoffteile mit einem Gewicht von über 50 Gramm müssen sie namentlich kennzeichnen.

Neues Label für Energieeffizienz und Reparierbarkeit

Im zweiten Entwurf schlägt die Kommission ein neues, mehrteiliges Label für Smartphones und Tablets vor. Es soll anzeigen, wie energieeffizient, reparierbar und robust gegen Herunterfallen das jeweilige Produkt ist. Der Wert der Energieeffizienz orientiert sich am bereits für andere Geräte bestehenden Energieeffizienz-Index (EEI) mit einer Notenspanne von A bis G. Die beiden anderen Werte sollen auf einer Skala von A bis E angegeben werden. Das Label soll darüber hinaus Informationen über die Lebensdauer der Batterie und die Resistenz des Geräts gegen Staub und Wasser enthalten.

Erste Reaktionen waren positiv. “Der Reparaturindex und das neue Energielabel werden den Markt für Mobiltelefone und Tablets grundlegend verändern”, sagte Mathieu Rama von der European Coalition on Standards (ECOS). Die Haltbarkeit werde damit zu einem entscheidenden Kriterium beim Kauf dieser Elektrogeräte. Genau wie Preis und Funktionen werde die Lebensdauer eines Elektrogeräts über alle Modelle hinweg vergleichbar sein. Der Vorschlag könnte das Ende der Ära der Wegwerfgeräte einläuten.

Frankreich hatte als erstes Mitgliedsland bereits Anfang 2021 ein Reparierbarkeitslabel eingeführt. Andere Staaten wie Spanien, Belgien und Deutschland haben ähnliche Vorgaben geplant, wollten jedoch zunächst auf den Vorschlag der Kommission warten (Europe.Table berichtete).

ECOS kritisiert jedoch, die Kommission stelle Reparierbarkeit und Zuverlässigkeit der Produkte einander gegenüber. Laut Vorschlag haben Hersteller die Wahl, langlebige Batterien anzubieten oder den Endnutzern Batterien als Ersatzteile zur Verfügung zu stellen. Auch der Verfügbarkeitszeitraum von Ersatzteilen und Software-Updates sei zu kurz. Außerdem seien Mobiltelefone und Tablets mit flexiblen Displays von diesen Verpflichtungen ausgenommen. Dies könnte laut ECOS dazu führen, dass solche Geräte zur Norm für Hersteller werden, die bereit sind, die von der EU auferlegten Designanforderungen zu ignorieren.

Bis zum 28. September ist es möglich, Feedback zu den Vorschlägen über die Ökodesign-Vorgaben sowie über das Energie- und Reparaturlabel auf der Website der Kommission einzureichen. leo

Presseschau

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Standpunkt

Carbon Farming: Ein falsch aufgezäumtes Pferd

Von Sarah Wiener
Carbon Farming: Sarah Wiener ist Öko-Landwirtin, Köchin und Europaabgeordnete der österreichischen Grünen.
Sarah Wiener ist Öko-Landwirtin, Köchin und Europaabgeordnete der österreichischen Grünen.

“Carbon Farming” heißt das neue Schlagwort für eine angeblich klimaschützende Landwirtschaft. Im Rahmen der Farm to Fork-Strategie hatte die EU-Kommission dazu auch eine Initiative angekündigt. Diese wurde im Frühjahr 2022 veröffentlicht. Sie ist Teil der EU-Strategie für nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe. Um das Ziel zu erreichen, bis 2050 mehr Klimagase zu speichern als ausgestoßen werden, soll CO2 jeweils zur Hälfte auf natürliche und technische Weise gespeichert werden.

Zu den “natürlichen Lösungen” gehören das Wiedervernässen von Mooren und CO2-Zertifikate für die Speicherung von Kohlenstoff im Ackerbau. Der sehr technische Ansatz und die enge Fixierung auf die Speicherung, trotz der geringen Klimarelevanz bestimmter Praktiken, machen aus der zunächst gut klingenden Idee allerdings ein falsch aufgezäumtes Pferd.

Schwierigkeiten bei Messung und Vergütung

In ihrer Carbon Farming Initiative weist die EU-Kommission ausführlich auf die biologischen, technischen und juristischen Schwierigkeiten der Speicherung, Messung und Vergütung in der Landwirtschaft hin. Dennoch befürwortet sie dann genau das Instrument der Messung und Vergütung von gespeicherten Kohlenstoffmengen im Boden über CO2-Zertifikate – und bevorzugt dieses Instrument gegenüber der Honorierung nachhaltiger Landbewirtschaftungspraktiken, die neben dem Humusaufbau auch anderen Ökosystemdienstleistungen zugutekommen. Eine überzeugende Begründung dafür liefert die Kommission nicht.

Allerdings liest man in der ebenfalls 2022 vorgestellten Bodenschutzstrategie Folgendes: “Der Banken- und Finanzsektor ist zunehmend daran interessiert, in Landwirte zu investieren, die nachhaltige Praktiken anwenden und den Kohlenstoffgehalt im Boden erhöhen, und marktbasierte Anreize für die Kohlenstoffspeicherung zu schaffen”. Da weiß man doch, wo der Hase langläuft.

Wenn wir sichere Emissionsreduktionen auch in der Landwirtschaft erreichen wollen, dann müssen wir vor allem weg vom Einsatz synthetischen Düngers. Dadurch ließen sich die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft wesentlich schneller und sicherer verringern als mit Carbon Farming, denn der größte Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel entsteht durch die extrem energieintensive Herstellung und Ausbringung von synthetischem Stickstoffdünger.

Reduktion des Tierbestands

Mit einer Reduktion des Tierbestandes, welcher an die Fläche und an Weidehaltung gebunden wird, könnte der zweitgrößte Anteil der Landwirtschaft am Klimawandel deutlich verbessert werden. Denn besonders die Weidehaltung trägt aufgrund des unter Grünland gespeicherten Humus’ zum Klimaschutz bei. Abgesehen von Böden in Permafrostgebieten enthalten Moore und Grasland den größten Teil des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs. Diese Biome zu schützen, muss daher erste Priorität haben.

Grasland ist neben Wald das größte Biom auf unserem Planeten und bedeckt etwa 40 Prozent der bewachsenen Landfläche. Doch für den Schutz des Grünlands braucht man Wiederkäuer, denn nur beweidetes Grünland bleibt auch bestehen und je regelmäßiger es beweidet wird, desto mehr Humus wird aufgebaut. Vor diesem Hintergrund müssen demnach auch die Wiederkäuer anders bewertet werden als nur nach ihrem Methanausstoß, denn auf der Weide sind sie aktive Klimaschützer.

Besonders fragwürdig im Zusammenhang mit der beabsichtigten Kohlenstoff-Speicherung im Boden ist der Einsatz von Pflanzenkohle: Eine Erhöhung des Kohlenstoffgehaltes im Boden über diesen Weg ist nicht gleichzusetzen mit einem nachhaltigen Landwirtschaftsmodell und dem Aufbau von qualitativ hochwertigem Humus. Wenn die Stabilität des Kohlenstoffs im Boden der Fokus ist, dann steht das im Widerspruch zur Förderung eines aktiven Bodenlebens. Dieses braucht zur Aufrechterhaltung der Bodenfunktionen dringend abbaubare Kohlestoff-Substrate. Ein aktives Bodenleben bedeutet Humusaufbau, aber immer auch Um- und Abbau.

Keine Bodenverbesserung durch Pflanzenkohle

Um einen Einfluss auf das Klima zu haben, müssten außerdem riesige Mengen an Pflanzenkohle eingesetzt werden: Um etwa ein Prozent des Treibhausgas-Reduktionsziels für Deutschland 2030 zu erreichen, müsste beispielsweise die gesamte verfügbare Biomasse Deutschlands zu Pflanzenkohle verarbeitet werden. Ein unrealistisches Szenario. Darüber hinaus werden unabhängig von den Ausgangsmaterialien im Verkohlungsprozess polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) gebildet, die krebserregend und erbgutverändernd sind – wahrlich kein Bodenverbesserungsmittel.

Auch der Verzicht auf den Pflug wird immer noch mit Kohlenstoff-Speicherung gleichgesetzt, obwohl das schon lange widerlegt ist (Zunahme nur nahe der Oberfläche und Abnahme im Unterboden). In der Studie “Greenwashing & viel Technik. Vermeintlich nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft” wird das gut aufgedeckt.

Wir müssen eine nachhaltige, klimafreundliche Landwirtschaft systemisch angehen, anstatt Böden als Kohlenstofflagerstätten zu missbrauchen. Das geht über Kompostgaben und Agroforst, aber am wichtigsten sind die Wurzeln, sie sind die größten Humusbildner. Deshalb ist Vielfalt auf und im Boden das Wichtigste, sie fördert alle ökologischen Funktionen. Die einseitige Fokussierung auf die Kohlenstoff-Speicherung übersieht total, dass es beim Bodenmanagement um die Aufrechterhaltung der Ökosystemleistungen geht, um Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, Wasserspeicherung, Wasserreinigung, Verdunstung, Kühlung, gesunde Pflanzen, gesunde Lebensmittel und vieles mehr.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Hildegard Müller (VDA): “Raus aus China ist keine Lösung”
    • Digital-Politik: Das steht im Herbst auf der Agenda
    • Litauens Ministerpräsidentin appelliert an Durchhaltewillen der Europäer
    • Ukraine: 13 Schiffe mit 282.500 Tonnen Getreide gestartet
    • Strommarkt: Habeck orientiert sich an EU-Vorschlag
    • Ökodesign-Vorgaben und Reparatur-Label: Kommission legt erste Entwürfe vor
    • Standpunkt von Sarah Wiener: Carbon Farming – Ein falsch aufgezäumtes Pferd
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    noch ist das Gesetzgebungsverfahren der EU bei den Auto-relevanten Dossiers nicht abgeschlossen, da zeichnen sich das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 und das Ausbremsen der synthetischen Kraftstoffe schon ab. Die Präsidentin des Branchenverbandes VDA, Hildegard Müller, wirft im Interview mit Lukas Scheid und mir bereits einen Blick auf die Folgen für Hersteller und Zulieferer. Vor allem die Zulieferer würden hart getroffen, eine sechsstellige Zahl von Jobs sei in Gefahr.

    Gleichzeitig hat sie große Bedenken, ob der Vorschlag der Kommission für eine Mindestzahl an öffentlichen Ladepunkten (AFIR) fliegt. Europa leide nicht unter einem Ankündigungs-, sondern einem Umsetzungsproblem. Bei der nächsten Stufe der Schadstoffregulierung (Euro 7) sind nicht die Mitgliedstaaten die Akteure, sondern die Industrie. Hier plädiert Müller für einen “maßvollen” Vorschlag. Ansonsten drohe der Verbrenner zu teuer zu werden, bevor er politisch gewollt ins Jenseits befördert werde.

    In Brüssel, Straßburg und Luxemburg ist die Sommerpause nun beendet. Die tschechische EU-Ratspräsidentschaft will die Gesetzesvorhaben in der Digitalpolitik vorantreiben. Corinna Visser und Falk Steiner skizzieren in ihrem thematischen Ausblick, was hier im Herbst auf der Agenda steht und wer die Akteure sind.

    Am Freitag wollen die Wirtschaftsminister der 27 Mitgliedstaaten bei ihrem Treffen konkrete Beschlüsse fassen, wie der Preisanstieg bei Gas und Strom gestoppt werden kann. Die Bundesregierung hat am Sonntag ihr drittes Entlastungspaket vorgestellt und will dafür sorgen, dass “Zufallsgewinne” von Stromerzeugern abgeschöpft werden sollen. Damit schwenkt die Bundesregierung auf den Kurs ein, den die EU-Kommission vergangene Woche vorgeschlagen hatte.

    Ihr
    Markus Grabitz
    Bild von Markus  Grabitz

    Analyse

    Hildegard Müller: “Raus aus China ist keine Lösung”

    Hildegard Müller ist Präsidentin des Branchenverbandes VDA: Sie will nicht raus aus China
    Hildegard Müller ist Präsidentin des Branchenverbandes VDA.

    Frau Müller, das Verbrenner-Aus im Jahr 2035 ist so gut wie sicher. BMW, Mercedes und VW sind vorbereitet, schon Ende des Jahrzehnts überwiegend batterieelektrisch zu fahren. Sind es also eher Phantomschmerzen, wenn die Branche stöhnt?

    Es ist zur früh für eine abschließende Bewertung. Schließlich steht der Trilog noch aus. Ich warne allerdings ausdrücklich davor, im EU-Gesetzgebungsverfahren das Ambitionsniveau noch weiter in die Höhe zu treiben. Vielmehr gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die ambitionierten Ziele auch erreicht werden können und die Menschen bei der Transformation mitgenommen werden. Gleichzeitig steht fest: Die Branche wird es schaffen, auf den relevanten Märkten das E-Auto anzubieten. Die Automobilindustrie hat die Herausforderung der Transformation angenommen. Sie investiert dafür rund 220 Milliarden Euro bis 2026 in Forschung und Entwicklung, vor allem in die Elektromobilität. Dazu kommen bis 2030 noch mindestens 100 Milliarden Euro für den Umbau von Werken. Der Autoindustrie kann also niemand vorwerfen, dass es an uns scheitert. Wir wollen den Hochlauf und treiben die Transformation.

    Und wie sieht es bei den Zulieferern aus?

    Die Zulieferer stehen wahrscheinlich vor ihrer bisher größten unternehmerischen Herausforderung. Viele müssen ein neues Geschäftsmodell entwickeln, während sie noch Komponenten für den Verbrennungsmotor bauen. Wir wissen aus Studien, dass noch immer etwa die Hälfte der Arbeitsplätze in der deutschen Autoindustrie am Verbrennungsmotor hängen. Laut ifo-Institut werden bis 2030 mindestens 215.000 Beschäftigte von der Transformation betroffen sein. Nicht alle davon werden wegfallen, aber sie stehen zur Disposition. Die Zulieferer-Industrie ist also außerordentlich gefordert, und ich sehe jeden Tag, wie sie sich diesem Wandel mit all ihrer Innovationskraft und Verantwortung für die Beschäftigten stellt. Dabei leiden sie aktuell besonders unter den massiv gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen. Hinzukommt, dass sie in Sachen Taxonomie und ESG mit Anforderungen konfrontiert sind, die dazu führen, dass die nötigen Finanzmittel für die Transformation schwerer zu beschaffen sind. Im Klartext: Ja, für viele Zulieferer und ihre Beschäftigten ist die Zeit sehr hart.

    Synthetische Kraftstoffe sind für den Bestand nötig

    Die EU will synthetische Kraftstoffe bei Autos ausbremsen. Nach dem Ministerrat steht das Fenster nur noch einen Spaltbreit offen. Rechnen Sie noch mit einem substanziellen Vorschlag?

    Es gibt den klaren Auftrag des Ministerrates, dass die Kommission liefern muss. Es geht nicht darum, dass der zuständige Kommissar Frans Timmermans seine Meinungen pflegt, sondern dass er umsetzt, was die Mitgliedstaaten von ihm wollen – und jetzt zu Recht erwarten. Die EU hat bis heute noch keinen substanziellen Vorschlag gemacht, wie die Bestandsflotte dekarbonisiert werden kann. Damit nimmt sie billigend in Kauf, dass Europa die Klimaziele im Verkehrssektor verfehlen wird. Es geht aktuell um rund 280 Millionen Fahrzeuge in der EU, um 1,5 Milliarden Fahrzeuge weltweit. Ohne eine Lösung für den Bestand ist die Klimaneutralität nicht zu erreichen. Und synthetische Kraftstoffe sind hier eine vielversprechende Option. Eine Option, die jetzt entschlossen ermöglicht und entsprechend vorangebracht werden muss.

    Die EU arbeitet an der Verordnung für eine Mindestzahl an öffentlichen Ladepunkten in allen Mitgliedsländern. Gehen die Planungen für die “AFIR”-Verordnung in die richtige Richtung?

    Hier muss die EU wesentlich ehrgeiziger werden. Die Branche sorgt dafür, dass die Autos in den Markt kommen. Der Staat ist gefordert, für den Rahmen für die Ladeinfrastruktur zu sorgen. Was die Länder bisher planen, reicht aber bei Weitem nicht. Die Ladeleistung je Fahrzeug ist zu niedrig angesetzt. Wir brauchen 3 KW Ladeleistung je reinem Stromer und 2 KW je Plug-In-Hybrid. Und: Die Maximalabstände zwischen den Ladepunkten sind zu weit gesetzt. Statt 60 Kilometer fordern wir höchstens 40 Kilometer. Außerdem muss die Leistungsbereitstellung je Ladestation verdoppelt werden gegenüber dem Vorschlag. Wir brauchen zudem je Ladestation mindestens einen Punkt mit 350 KW, bislang sind nur 150 KW vorgesehen. Da gibt es also insgesamt noch viel Nachbesserungsbedarf.

    Es müsste aber auch sichergestellt werden, dass die Länder ihre Hausaufgaben erledigen…

    Fakt ist: Die EU hat meist kein Ankündigungs-, sondern ein Umsetzungsproblem. Deswegen muss es ein regelmäßiges Monitoring geben, ob der Ausbau im Plan liegt. Es braucht nur einen Blick auf die aktuellen Zahlen öffentlicher Ladepunkte, um die Dramatik zu erkennen: Hamburg hat doppelt so viele Ladepunkte wie ganz Griechenland. Brandenburg hat mehr Ladepunkte als ganz Irland. Die Hälfte aller Ladepunkte in der EU stehen in den Niederlanden und in Deutschland – und wir müssen unseren eigenen Ausbau selbst noch erheblich intensivieren. Deswegen muss die EU verpflichtend festlegen, wie politisch nachgesteuert wird, wenn die Ziele verfehlt werden. Auch eine Vernetzung mit der Energiewirtschaft muss sichergestellt sein, damit ausreichend Strom zum Laden vorhanden ist und die Netze entsprechend ausgebaut sind – daran scheitert es nach wie vor viel zu häufig.

    Branche will weiter Schadstoffe reduzieren

    Die Kommission legt am 12. Oktober ihren Vorschlag für die nächste Stufe der Schadstoffregulierung (Euro 7) vor. Kann man darauf nicht verzichten? Der Verbrenner ist ohnehin ein Auslaufmodell…

    Nein, die Branche ist dazu bereit, weiterhin einen Beitrag zu leisten, dass die Luft weiter besser wird. Wir wollen das Auto immer weiterentwickeln. Auch vor dem Hintergrund der feststehenden Entwicklung hin zum Elektroauto müssen die Innovation dabei in einem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten stehen. Die ersten Vorschläge wären in den Anforderungen zudem auf ein Verbrennerverbot durch die Hintertür hinausgelaufen. Wenn die Grenzwerte in allen Fahrsituationen eingehalten werden müssten, bekämen wir eine Regulierung, die nicht mehr rechtssicher zu handhaben wäre. Sinnvoll ist eine maßvolle und zügige Weiterentwicklung von Euro 6, auch um nun endlich Planungssicherheit zu haben. Entscheidend: Nicht zu komplex – und tatsächlich realisierbar. Der Verbraucher will auch in Zukunft zu vertretbaren Kosten einen Wagen aus europäischer Produktion kaufen können.

    Das wirtschaftliche Umfeld verdüstert sich..

    Die Prognosen gehen davon aus, dass es zu einer Rezession kommen kann. Das geht mit einem Verlust an Arbeitsplätzen einher. Und dies wirkt sich natürlich auf die Kaufkraft und Kauflaune der Verbraucherinnen und Verbraucher aus. Umso mehr gilt, dass die Kommission die Frage im Blick haben muss: Wie teuer darf die Transformation werden, die wir den Bürgern zumuten? Wir dürfen nicht vergessen: Wenn diese Transformation in Europa scheitert, verliert Europa auch die Vorbildfunktion beim Klimaschutz gegenüber anderen Wirtschaftsregionen. In Afrika etwa wird sehr genau beobachtet, ob der Green Deal in Europa funktioniert. Nur wenn unser Ansatz weltweit kopiert wird, kommen wir beim Klimaschutz global voran.

    Geoökonomie als politische Strategie ist neues Phänomen

    Stichwort China: Die Hersteller sind in doppelter Weise abhängig von China. BMW, Mercedes und VW brauchen China existenziell als Absatzmarkt wie auch als Lieferant. Hat sich die Industrie zu sehr abhängig gemacht von China?

    Die Frage des Verhältnisses zu China geht weit über die Autoindustrie hinaus. Insgesamt beobachten wir auf der Welt fundamentale Veränderungen: Bislang hat die Ökonomie politische Veränderungen begleitet, unterstützt und stabilisiert. Die Tatsache, dass man wirtschaftlich im Gespräch war, hat auch politische Tatsachen geschaffen. Jetzt erleben wir, dass Geoökonomie von einigen als politische Strategie eingesetzt wird. Das ist eine Veränderung, über deren Folgen wir uns in Europa gerade erst bewusst werden.

    Was folgt daraus?

    Die Antwort kann und darf keine Abkehr von der Globalisierung sein. Der Angriffskrieg von Putin heißt im Gegenteil, dass wir mit noch mehr Ländern reden und zusammenarbeiten müssen. Wir müssen dabei natürlich stärker diversifizieren und Abhängigkeiten reduzieren. Ich werde nicht müde, zu wiederholen: Wir brauchen mehr Rohstoff-, mehr Energie- und mehr Handelsabkommen. Es geht nicht, 15 Jahre lang mit Kanada über CETA zu verhandeln und wenn alles fertig ist, noch einmal nachverhandeln zu wollen. Wir brauchen eine Offensive für mehr rechtssichere Abkommen. Andere Staaten sind sehr aktiv, wenn es darum geht, sich Zugänge zu Rohstoffen und zu Energie zu sichern. Wir sind zu oft nicht dabei, sind viel zu langsam und verschlechtern damit zunehmend die Wettbewerbsbedingungen für Europa und damit auch für unsere Industrie. Es geht um den Wohlstand Europas in der Zukunft.

    Und was ist mit dem unternehmerischen Engagement?

    Die Unternehmen tun alles dafür, sich stärker zu diversifizieren und resilienter zu werden.  Sie sind dabei, für Rohstoffe und Vorprodukte alternative Lieferanten zu finden, wo immer das möglich ist und Verträge zu schließen. Handelsabkommen geben den Rahmen, in denen diese Verträge rechtssicher geschlossen werden können. Die andere Frage sind die Absatzmärkte. Natürlich ist China dabei für unsere Branche sehr wichtig. Die Erträge, die wir auch dort machen, spielen die Gewinne ein, mit denen die Transformation bezahlt wird. Auch China hat im Übrigen Interesse an unserem Engagement.

    Was heißt das?

    Ich wünsche mir eine bessere Begleitung durch die Politik. Wir brauchen eine integrierte Chinastrategie. Hier sehe ich aber sehr viel Stillstand, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Einfach raus aus China – das ist nicht die Lösung. Dafür ist das Land und seine wirtschaftliche Bedeutung zu groß. Wir können China nicht isolieren. Das wäre naiv – und sowohl politisch als auch wirtschaftlich fatal. (Lesen Sie hierzu weitere Passagen des Interviews bei China.Table).
     

    Marktversagen bei Halbleitern

    Die Chipkrise hat die Hersteller viel Geschäft gekostet. Ist es sinnvoller, die Chips hier teurer selbst zu produzieren, statt sie mit Risiko aus Asien zu importieren?

    Bei Chips haben wir kein System, das allein von den Gesetzen des Marktes dominiert wird. Vielmehr haben einige Staaten aktive Industriepolitik betrieben und mit viel Subventionen dafür gesorgt, dass Fabriken angesiedelt wurden. Europa hat das lange abgelehnt. Langsam wacht man auf. Es wird höchste Zeit, die EU-Wettbewerbsregeln an die sich verändernden geostrategischen Bedingungen anzupassen. Hier wird schnell als unerlaubte Beihilfe gesehen, was Europa weltweit stärken könnte.

    Was heißt das denn?

    Die EU hat ja eine Kurskorrektur vorgenommen und zahlreiche IPCEIs auch zur Chipproduktion aufgelegt. Dieser Weg ist in diesem Fall richtig: Die Produktion in Europa halte ich für wichtig, um die Industrie resilienter zu machen.  

    • Autoindustrie
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    Digitalpolitik (1): Das steht im Herbst auf der Agenda

    Einige Meilensteine der Digitalstrategie hat die EU schon hinter sich gebracht. Der Digital Services (DSA) und der Digital Markets Act (DMA) sind unter Dach und Fach. Doch mit dem Artificial Intelligence Act (AI Act) und dem Data Act stehen zwei weitere wichtige und weitreichende Regulierungen an. Die Verordnung zur Künstlichen Intelligenz ist der erste Versuch überhaupt, eine horizontale Regulierung von KI zu erlassen. Europa erhofft sich, hier eine Vorreiterrolle einnehmen zu können. Doch die Zeit drängt, denn die Konkurrenz aus den USA oder China schafft derweil Fakten.

    Artificial Intelligence Act (AI)

    Kommissionsvorschlag: 21. April 2021

    Akteure: Federführende Ausschüsse im Europäischen Parlament sind IMCO und LIBE; Berichterstatter sind Brando Benifei (IT, S&D) und Dragoş Tudorache (RO, Renew).

    Inhalt: Die Kommission hat für die Regulierung von Künstlicher Intelligenz einen risikobasierten Ansatz gewählt. Der Hauptteil der Regulierung befasst sich mit den Hochrisikosystemen. Sie sollen zugelassen werden, aber eine Reihe von Anforderungen und Verpflichtungen erfüllen, um Zugang zum EU-Markt zu erhalten. Wichtige Diskussionspunkte in Parlament und Rat sind die Definition von KI-Systemen, die Liste verbotener KI-Systeme, die Stärkung der Durchsetzungs- und Rechtsbehelfsmechanismen und die Gewährleistung einer angemessenen demokratischen Kontrolle bei der Gestaltung und Umsetzung der Verordnung.

    Zeitplan: Ende April haben die Berichterstatter ihren Berichtsentwurf vorgelegt. Für Ende Oktober ist die Abstimmung in den beiden Ausschüssen IMCO und LIBE vorgesehen, für November das Votum im Plenum. Wegen der mehr als 3000 Änderungsanträge und der geteilten Zuständigkeit könnten sich die Abstimmungstermine noch nach hinten verschieben. Aktuell laufen die Technical Meetings.

    Die tschechische Ratspräsidentschaft hat am 15. Juli einen Kompromisstext veröffentlicht, der die Positionen der Mitgliedstaaten konsolidiert. Änderungen gab es zu den vier oben genannten Diskussionspunkten. Die Mitgliedstaaten konnten bis zum 2. September ihr Feedback dazu geben. Ziel ist es, bis zur Sitzung des Rates der Telekommunikationsminister am 6. Dezember eine allgemeine Ausrichtung zu erreichen.

    Artificial intelligence liability directive

    Kommissionsvorschlag: Wird erwartet für den 28. September.

    Akteure: Margrethe Vestager, Věra Jourová, Didier Reynders

    Inhalt: Den Rechtsakt zu den Haftungsfragen der Künstlichen Intelligenz hat die Kommission bereits mit dem AI Act angekündigt. Im Oktober 2021 startete sie eine öffentliche Konsultation zu den Regeln für den Ersatz von Schäden durch fehlerhafte Produkte. Ein besonderer Schwerpunkt lag dabei auf dem Einsatz von KI in Produkten und Dienstleistungen. Zunächst gab es Überlegungen, aus KI-Haftung und der überarbeiteten Produkthaftung einen Rechtsakt zu machen, nun werden es zwei.

    Hintergrund für ein eigenes KI-Haftungsgesetz ist, dass die Sicherheit von Produkten und Dienstleistungen nicht nur von ihrem Design und ihrer Produktion abhängt, sondern auch von Software-Updates, Datenflüssen und Algorithmen. Und es geht um die Frage, wer für Schäden haften soll. Das ist besonders bei Allzweck-KI eine brisante Frage, weil ein Anbieter nicht wissen kann, zu welchem Zweck sein System eingesetzt wird. Die Regeln sollten anknüpfen an den AI Act, um wirksame Lösungen für die Haftung zu finden und “eine wirksame Entschädigung der Opfer sicherzustellen”, sagte ein Kommissionssprecher.

    Data Act

    Kommissionsvorschlag: 23. Februar 2022

    Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Bericherstatterin Pilar del Castillo Vera (ES, EVP).

    Inhalt: Ziel des Data Acts ist, den Datenfluss zwischen Unternehmen, zwischen Unternehmen und Regierungen sowie im öffentlichen Sektor zu fördern. Es geht dabei zum Beispiel um die Pflichten, wann Unternehmen Daten mit anderen Unternehmen teilen und wann sie Behörden Daten übermitteln müssen, außerdem um Cloud-Switching und Interoperabilität. Für Letzteres ist der IMCO-Ausschuss zuständig.

    Die Industrie begrüßt, dass es hierfür nun klare Regeln geben soll, merkt aber an: “Wir müssen in Europa aufpassen, dass Regulierung nicht vor Innovation geht”, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. Die Unternehmen beklagten bereits heute, dass wegen fehlender Daten und fehlender Datenverfügbarkeit technologische Entwicklungen ausgebremst werden. “Der Data Act muss daher für mehr Klarheit beim Datenteilen sorgen und zugleich Geschäftsgeheimnisse besser schützen – und die geplanten Regeln für Cloud-Dienste schießen teilweise weit über das Ziel hinaus”, meint Berg.

    Zeitplan: Der ITRE-Berichtsentwurf wird für den 8. September erwartet. Eine erste Aussprache ist für den 26. September vorgesehen, die Deadline für Änderungsanträge der 17. Oktober – beides könnte sich jedoch auf Ende Oktober verschieben. Nachdem die beiden Ausschüsse ITRE und IMCO zunächst über ihre Kompetenzen gestritten hatten, gibt es nun Uneinigkeit über den Zeitplan. Die Abstimmung im ITRE soll im Februar 2023 sein und das Votum im Plenum dann im März 2023.

    Die tschechische Ratspräsidentschaft hat im Juli und August bereits Teilkompromisse erzielt. Die nächste Aussprache dazu in der Ratsgruppe ist am heutigen Montag. Ziel ist ein erster vollständiger Kompromisstext bis zum Ende der Ratspräsidentschaft. Eine allgemeine Ausrichtung wird es wohl erst unter der kommenden Ratspräsidentschaft Schwedens geben.

    European Digital Identity framework (eIDAS)

    Kommissionsvorschlag: 3. Juni 2021

    Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatterin Romana Jerković (HR, S&D).

    Inhalt: Die aktuellen Vorschriften über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (eIDAS) aus dem Jahr 2014 zielen darauf ab, nationale eID-Systeme europaweit interoperabel zu machen, um den Zugang zu Online-Diensten zu erleichtern. In ihrer Digitalstrategie hat die Kommission angekündigt, die eIDAS-Verordnung zu überprüfen, um ihre Wirksamkeit zu verbessern und die Anwendung zu steigern. Kurz gesagt: Bisher gibt es keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, digitale Identitätsnachweise einzuführen, das soll sich ändern.

    Vor allem sollen die Mitgliedsstaaten künftig verpflichtet werden, ein sicheres EU-Identity-Wallet für das Smartphone anzubieten. Dazu gehören eine hoheitliche eID und die Verpflichtung, digitale Nachweise als Identifikation zu akzeptieren.

    Zeitplan: Der Industrieausschuss wird voraussichtlich im Oktober 2022 über seinen Bericht abstimmen. Eine allgemeine Ausrichtung des Rates wird für Dezember erwartet.

    Union Secure Connectivity Programme

    Kommissionsvorschlag: 15. Februar 2022

    Akteure: Federführender Ausschuss ist ITRE, Berichterstatter Christophe Grudler (FR, Renew).

    Inhalt: Der Krieg in der Ukraine hat nach Meinung vieler Experten einmal mehr gezeigt, dass Europa nicht nur eine sichere, sondern auch eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All braucht. Eine, die nicht nur in Kriegs- und Krisenfällen, sondern auch bei Katastrophen wie im Ahrtal zuverlässig funktioniert. Strategische Souveränität ist daher ein zentrales Ziel des Secure Connectivity Programme, mit dem die EU nicht nur die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringensondern auch den wachsenden geopolitischen Cybersicherheitsbedrohungen begegnen will. Die Megakonstellation im erdnahen Orbit soll die europäischen Weltraumprojekte Galileo und Copernicus ergänzen.

    Der Vorschlag zu dem Programm kam von Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die Franzosen treiben den Plan voran, da sie sich Großaufträge für ihre Luft- und Raumfahrtindustrie erhoffen. Deutschland hingegen legt Wert darauf, dass auch KMU und vor allem innovative Start-ups sowohl bei der Entwicklung als auch beim Aufbau zum Zuge kommen.

    Zeitplan: Am 30. Mai 2022 legte Grudler seinen Berichtsentwurf vor. Die Berichterstatter treffen sich erneut am 13. September in Brüssel, sie wollen über den Zeitrahmen und die Finanzierung beraten. Der Rat der EU hat am 22. Juni 2022 sein Verhandlungsmandat angenommen, damit der Ratsvorsitz die Verhandlungen mit dem Parlament aufnehmen kann.

    Cyber Resilience Act

    Kommissionsvorschlag: 13.09.2022 (tbc)

    Akteure: Thierry Breton, DG Connect

    Inhalt: Die Kommission stellt ihren Vorschlag für eine Verordnung mit dem Arbeitstitel Cyber Resilience Act vor, mit dem das Cybersicherheitsniveau bei digitalen Produkten und sogenannten Nebendienstleistungen verbessert werden soll.

    Die Kommission hatte in Vorbereitung des Rechtsaktes eine Konsultation mit den Stakeholdern durchgeführt. Dabei ließ sie offen, ob es sich nur um eine Konsolidierung bestehender Vorschriften ergänzt um freiwillige Zertifizierungen und Maßnahmen handeln solle oder um horizontale Regulierungsmaßnahmen. Hier könnten etwa Mindestanforderungen an Anbieter gestellt werden, was Sicherheitsqualitäten und damit unter anderem Updatepflichten angeht. Auch der Scope blieb bislang unklar: Ob etwa alle Software, die als Nebendienstleistung zu Produkten geliefert wird, mit umfasst sein soll, oder nur solche Software, die als kritisch eingestuft wird.

    NIS2 – Network and Information Security Directive Revision

    Finale Abstimmung: Voraussichtlich Oktober 2022

    Akteure: Parlament, Rat, Umsetzung Bundesregierung und Bundestag

    Inhalt: Bei der Revision der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) war bereits im Mai eine politische Einigung erzielt worden, der Rat veröffentlichte im Juni das entsprechende Vier-Spalten-Dokument. Seitdem laufen die letzten Feinarbeiten, dann können Parlament und Rat die NIS2 verabschieden – das dürfte in den nächsten Wochen erfolgen.

    Hauptunterschiede zur bisherigen NIS-Richtlinie sind neben Schwellenwertvereinheitlichungen die Erweiterung der von der NIS umfassten Bereiche: Hier werden unter anderem bestimmte Bereiche im Gesundheitswesen, bei der digitalen Infrastruktur unter anderem Cloudanbieter und Content-Delivery-Networks künftig auch unter die europäischen Regeln fallen. Im Energiesektor wird auch die Wasserstoffindustrie künftig als kritisch angesehen. Hinzu kommen die öffentliche Verwaltung, der Abwassersektor und Teile von Raumfahrtinfrastrukturen. Die NIS wurde eng mit der parallel verhandelten RCE-Richtlinie abgestimmt, deren Fokus auf der allgemeinen Verfügbarkeit kritischer Anbieter liegt.

    Der Anpassungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber durch die NIS2 gilt bei Experten als überschaubar, mit den Überarbeitungen des IT-Sicherheitsgesetzes seien viele Änderungen der EU-Revision bereits vorweggenommen worden. Ab Verkündung im Amtsblatt läuft dann die 21-monatige Umsetzungsfrist. Das in Deutschland zuständige Bundesinnenministerium rechnet (bei baldiger Verabschiedung der Richtlinie) damit, dass die entsprechenden Anpassungen im IT-Sicherheitsgesetz (ITSig) und BSI-Gesetz “voraussichtlich bis Sommer/Herbst 2024 umzusetzen” seien.

    Connectivity Infrastructure Act (tbc)

    Vorschlag der Kommission: Nicht terminiert

    Akteure: Thierry Breton, Margrethe Vestager, Mitgliedstaaten, BEREC

    Die Debatte um mögliche Änderungen an Bezahlmodellen im Netz, die besonders datenverkehrsintensive Anbieter betreffen würden, wird seit mehreren Monaten intensiv vor und hinter den Kulissen geführt. Im Zuge des Reviews der Broadband Cost Reduction Directive (BCRD) könnte die Kommission hier jedoch in den kommenden Monaten Vorschläge unterbreiten – während die europäischen TK-Regulierer zuletzt erst weitere Marktuntersuchungen und -konsultationen abschließen wollten.

    Einige Mitgliedstaaten drängen auf schnelle Änderungen, um die großen Anbieter auch über die eigenen Netze hinaus zur Kasse zu bitten. Breton und Vestager hatten das Thema selbst ins Rollen gebracht (wir berichteten), sind bislang öffentlich jedoch noch nicht durch klare Vorstellungen aufgefallen. Zuständig ist in Deutschland das BMDV unter Volker Wissing.

    Media Freedom Act

    Kommissionsvorschlag: 13.09.2022 (tbc)

    Akteure: Vera Jourová, Thierry Breton

    Inhalt: Ob das Datum des Vorschlages zu halten ist, ist noch nicht klar. Eigentlich soll der Media Freedom Act die Unabhängigkeit der Medien sicherstellen und sie vor unbotmäßiger politischer Einflussnahme, zu hoher Machtkonzentration und einer möglichen Diskriminierung in einzelnen Mitgliedstaaten schützen. Zugleich soll der Vorschlag aber auch bestimmte Abhängigkeitsformen adressieren – etwa von übermächtigen Akteuren im Anzeigenbereich oder bei Onlinenews-Gatekeepern.

    Dass ein rigoroser Vorschlag zum Schutz vor staatlicher Einflussnahme in Ländern wie Ungarn oder Polen auf unbegrenzte Begeisterung stößt, steht kaum zu erwarten. Auch Mitgliedstaaten wie Österreich sind mit ihrer umstrittenen, staatlichen Medienunterstützungspraxis nicht unbedingt einfach mit ins Boot zu holen.

    Ganz andere Bedenken meldete präventiv bereits der Bundesrat an: Er mahnte Brüssel, die EU-Kompetenzen nicht zu überschreiten und die auch europarechtlich nötige Staatsferne der Medienkontrolle nicht durch europäische Aufsichtsinstitutionen zu gefährden. Von Corinna Visser und Falk Steiner

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    News

    Litauens Ministerpräsidentin appelliert an Durchhaltewillen der Europäer

    Angesichts des andauernden Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine hat die litauische Premierministerin Ingrida Šimonytė die EU zu Durchhaltevermögen aufgerufen. “Europa ist immer noch stärker als ein einzelner Autokrat und in der Lage, Entscheidungen zu treffen”, sagte sie gestern bei einem Pressegespräch in Berlin. Menschen in den meisten europäischen Ländern seien beunruhigt angesichts der höheren Preise für Energie. Im Vergleich zu den Zuständen in der Ukraine sei dies jedoch lediglich ein Komfortverlust. “Es ist nichts im Vergleich zu den Menschen, die in der Ukraine jeden Tag sterben, deren Häuser zerstört werden oder die kein Dach mehr über dem Kopf haben”.

    Šimonytės appelliert an die Krisenfestigkeit der EU, die sich in der Geschichte schon oft bewährt habe. “Ich hoffe, dass Europa das nicht nur aushält, sondern auch gestärkt daraus hervorgeht, so wie es für die EU üblich ist”, sagte sie. “Die Ukrainer zeigen keine Anzeichen von Ermüdung in ihrem Kampf, und das sollten auch wir nicht tun.”

    Die einheitliche Linie und die Sanktionen der EU gegenüber Russland sieht Šimonytė trotz einiger “wackliger” Mitgliedstaaten nicht in Gefahr. Die bulgarische Übergangsregierung hatte angekündigt, wieder Verhandlungen mit Gazprom aufzunehmen; in Italien könnte zudem Ende September eine Putin-freundliche Regierung gewählt werden. Šimonytė äußerte sich dennoch unbesorgt: “Eine gute Sache an den Sanktionen ist, dass man sie nur einstimmig wieder loswerden kann. Das wird also nicht einfach sein”.

    Einheitliche Linie als einzige Chance

    Optimistisch ist auch ihr Blick auf weitere Sanktionen gegenüber Russland, wie sie bereits die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vorgeschlagen hat: “Alle Beschlüsse über Sanktionen sind bisher durchgekommen, obwohl auch hier Einstimmigkeit die Voraussetzung ist”. Sie vertraue auf die Entscheidungsfähigkeit der EU. Es werde zwar herausfordernde Debatten in der nationalen Politik geben. Europa habe jedoch gar keine andere Chance, als eine gemeinsame Linie aufrechtzuerhalten.

    Gemeinsam mit der estnischen Regierungschefin Kaja Kallas und dem lettischen Ministerpräsidenten Arturs Krišjānis Kariņš erhielt Šimonytė gestern in Berlin den Internationalen Preis der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für “ihr beispielhaftes und mutiges Eintreten für eine freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sowie für eine solide Haushalts- und marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik”. Die drei baltischen Staaten hätten sich dank guter Regierungsführung seit ihrer Unabhängigkeit zu Vorbildern in Sachen Bildung, Informationstechnik, Digitalisierung und Wettbewerbsfähigkeit entwickelt, hieß es in der Begründung der Stiftung.

    “Ich hoffe, dass die Erfolgsgeschichten der baltischen Staaten uns die Kraft geben werden, den Kampf für eine Welt fortzusetzen, in der die individuellen und wirtschaftlichen Freiheiten gedeihen”, sagte Šimonytė.

    Energieeffizienz soll an erster Stelle stehen

    Für Litauen sei in der Energiekrise derzeit nicht die Versorgungssicherheit das größte Problem, sondern die massiv gestiegenen Preise. Die litauische Regierung hatte bereits 2010 die Entscheidung getroffen, ein LNG-Terminal zu bauen, um sich aus der Abhängigkeit von Gazprom zu befreien, in die sich viele EU-Mitgliedstaaten begeben hatten. “Doch selbst die Länder, die in der Energieversorgung nicht so stark von Russland abhängig sind, müssen jetzt die Folgen in Form von sehr hohen Marktpreisen tragen”. Auch die übrigen Staaten sollten nicht nur die Suche nach alternativen Zulieferern von Erdgas in den Vordergrund stellen. Langfristig müsse es viel stärker um Energieeffizienz gehen.

    Šimonytė forderte einen koordinierten Ansatz auf europäischer Ebene, um den Energieverbrauch langfristig zu reduzieren und schneller auf Erneuerbare Energien umzustellen. “Wir dürfen nicht nur darüber nachdenken, wie wir Energiequellen kompensieren, denn das ist nur eine kurzfristige Frage.”

    Die Europäische Kommission arbeitet zurzeit an einer Notfall-Maßnahme gegen die hohen Strompreise. Teil davon soll auch ein Einsparziel sein. leo

    Ukraine: 13 Schiffe mit 282.500 Tonnen Getreide gestartet

    Laut ukrainischen Angaben sind 13 Schiffe, die 282.500 Tonnen Getreide geladen haben, von ukrainischen Häfen aus über das Schwarze Meer gestartet. Dies sei der größte Schiffs-Konvoi seit dem Inkrafttreten des unter der Hilfe von den UN und der Türkei verhandelten Abkommens. Die Frachtschiffe, die acht Länder anlaufen sollen, sind in den Häfen von Odessa, Chornomorsk und Pivdennyi ausgelaufen. Die Häfen waren seit Kriegsausbruch und bis zu dem am 22. Juli in Kraft getretenen Abkommen durch die russischen Streitkräfte blockiert.

    Seit dem 22. Juli sollen bereits 68 Frachtschiffe Häfen des angegriffenen Landes verlassen haben. Sie hatten den Angaben des ukrainischen Landwirtschaftsministeriums zwei Millionen Tonnen landwirtschaftlicher Produkte geladen, die für 19 Empfängerländer bestimmt sind.

    Infolge des russischen Angriffskriegs ist es zu einem starken Preisanstieg bei Getreide und anderen Nahrungsmitteln gekommen. In Afrika und dem Nahen Osten geht die Sorge vor Nahrungsmittelknappheit um. Die Ukraine hofft, im Laufe der nächsten neun Monate 60 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren, sagte der Wirtschaftsberater des Präsidenten, Oleh Ustenko, im Juli. Falls die Häfen nicht einwandfrei funktionierten, könne dies bis zu 24 Monate dauern. rtr

    Strommarkt: Habeck orientiert sich an EU-Vorschlag

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Abschöpfung von Zufallsgewinnen in der Energiebranche bei Treffen auf EU-Ebene vorantreiben. Damit greift die Bundesregierung einen Vorschlag auf, den die EU-Kommission in der vergangenen Woche gemacht hat. Die Abschöpfung von Zufallsgewinnen werde ebenso wie die geplante Strompreisbremse für den Grundverbrauch Thema bei den Beratungen der EU-Energieminister am kommenden Freitag sein, sagte der Grünen-Politiker gestern nach den Beschlüssen der Ampel-Koalition zu einem dritten Entlastungspaket im Volumen von 65 Milliarden Euro.

    In Brüssel sollten die Pläne schnell weiter ausbuchstabiert werden. Der Weg wird dabei aber – anders als von den Grünen gefordert – nicht über eine zusätzliche Steuer gehen, die von der FDP abgelehnt wird. Nach Informationen von Reuters wollen die EU-Wirtschaftsminister bei ihrem Treffen auch über Kreditlinien diskutieren, die an Akteure auf dem Energiemarkt vergeben werden könnten.

    Unterdessen kündigte der russische Staatskonzern Gazprom an, bis auf Weiteres kein Gas mehr durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 zu leiten und begründete dies mit einem technischen Defekt in der Kompressorstation Portowaja. Bis dieser behoben sei, könne kein Gas mehr fließen.

    Die Ukraine will dagegen Deutschland mit der Lieferung von Atomstrom auf dem Weg aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen unterstützen. “Derzeit exportiert die Ukraine ihren Strom nach Moldau, Rumänien, in die Slowakei und nach Polen. Aber wir sind durchaus bereit, unsere Exporte auf Deutschland zu erweitern”, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal der Deutschen Presse-Agentur. “Wir haben eine ausreichende Menge an Strom in der Ukraine dank unserer Kernkraftwerke.” rtr/dpa

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    Ökodesign-Vorgaben und Reparatur-Label: Kommission legt erste Entwürfe vor

    Die Europäische Kommission hat jeweils einen ersten Entwurf für neue Ökodesign-Vorgaben sowie für ein Reparatur- und Energielabel für Mobiltelefone, Smartphones und Tablets veröffentlicht. Diese stehen bis Ende September für eine öffentliche Konsultation zur Verfügung. Ende November plant die Kommission, die finalen Entwürfe als Teil des zweiten Kreislaufwirtschaftspakets vorzulegen.

    Der Entwurf der Ökodesign-Verordnung umfasst Vorgaben, welche die Umweltauswirkungen der drei Gerätegruppen anhand des Produktdesigns mindern sollen. Hersteller sollen die Geräte so entwerfen, dass Einzelteile wie Akkus demontierbar und austauschbar sind, Software-Updates sollen länger und kostenlos verfügbar sein. Die Produkte sollen hundertmal herunterfallen können, ohne an Funktionalität zu verlieren; außerdem sollen Bildschirme robuster und Batterien langlebiger sein. Die Kommission schlägt Vorgaben über Verfügbarkeit, Lieferzeit und Preise von Ersatzteilen vor. Gewerbliche Reparateure sollen zudem besseren Zugang zu Informationen über Reparatur und Instandhaltung erhalten.

    Erstmals müssen Hersteller auch Informationen über die Materialien der Elektrogeräte offenlegen: Der Anteil bestimmter kritischer Rohstoffe wie Kobalt in der Batterie oder Neodym im Lautsprecher muss angegeben werden, außerdem die Quote ihrer Wiederverwertbarkeit und der Anteil des recycelten Materials des Produkts. Auch Kunststoffteile mit einem Gewicht von über 50 Gramm müssen sie namentlich kennzeichnen.

    Neues Label für Energieeffizienz und Reparierbarkeit

    Im zweiten Entwurf schlägt die Kommission ein neues, mehrteiliges Label für Smartphones und Tablets vor. Es soll anzeigen, wie energieeffizient, reparierbar und robust gegen Herunterfallen das jeweilige Produkt ist. Der Wert der Energieeffizienz orientiert sich am bereits für andere Geräte bestehenden Energieeffizienz-Index (EEI) mit einer Notenspanne von A bis G. Die beiden anderen Werte sollen auf einer Skala von A bis E angegeben werden. Das Label soll darüber hinaus Informationen über die Lebensdauer der Batterie und die Resistenz des Geräts gegen Staub und Wasser enthalten.

    Erste Reaktionen waren positiv. “Der Reparaturindex und das neue Energielabel werden den Markt für Mobiltelefone und Tablets grundlegend verändern”, sagte Mathieu Rama von der European Coalition on Standards (ECOS). Die Haltbarkeit werde damit zu einem entscheidenden Kriterium beim Kauf dieser Elektrogeräte. Genau wie Preis und Funktionen werde die Lebensdauer eines Elektrogeräts über alle Modelle hinweg vergleichbar sein. Der Vorschlag könnte das Ende der Ära der Wegwerfgeräte einläuten.

    Frankreich hatte als erstes Mitgliedsland bereits Anfang 2021 ein Reparierbarkeitslabel eingeführt. Andere Staaten wie Spanien, Belgien und Deutschland haben ähnliche Vorgaben geplant, wollten jedoch zunächst auf den Vorschlag der Kommission warten (Europe.Table berichtete).

    ECOS kritisiert jedoch, die Kommission stelle Reparierbarkeit und Zuverlässigkeit der Produkte einander gegenüber. Laut Vorschlag haben Hersteller die Wahl, langlebige Batterien anzubieten oder den Endnutzern Batterien als Ersatzteile zur Verfügung zu stellen. Auch der Verfügbarkeitszeitraum von Ersatzteilen und Software-Updates sei zu kurz. Außerdem seien Mobiltelefone und Tablets mit flexiblen Displays von diesen Verpflichtungen ausgenommen. Dies könnte laut ECOS dazu führen, dass solche Geräte zur Norm für Hersteller werden, die bereit sind, die von der EU auferlegten Designanforderungen zu ignorieren.

    Bis zum 28. September ist es möglich, Feedback zu den Vorschlägen über die Ökodesign-Vorgaben sowie über das Energie- und Reparaturlabel auf der Website der Kommission einzureichen. leo

    Presseschau

    EU-Kommission schlägt Strom-Preisdeckel und Übergewinnsteuer vor WELT
    EU stellt 5 Milliarden Euro Finanzhilfe für Ukraine in Aussicht EURACTIV
    EU: Nord Stream 1 unter “falschen Vorwänden” stillgelegt ZEIT
    EU: Fünf Jahre Garantie von Ersatzteilen bei Mobilgeräten BR
    Energiepläne der EU: Alle Register gegen hohe Preise TAGESSCHAU
    Energiesicherheit: EU laut Wirtschaftskommissar gut auf möglichen Stopp von Gaslieferungen aus Russland vorbereitet DEUTSCHLANDFUNK
    EU-Ratspräsident: Kommission zu langsam im Kampf gegen hohe Gaspreise ARIVA
    Energiepreise: Zehntausende demonstrieren in Prag gegen Russland-Sanktionen BERLINER-ZEITUNG
    Als einziger EU-Regierungschef: Orban nimmt an Trauerfeier für Gorbatschow teil N-TV
    EU Policy Chief Says Iran’s Response To Nuclear Talks Received, Distributed To Participants RFERL
    Nach Ema-Empfehlung: EU-Kommission lässt Omikron-Impfstoffe zu DONAUKURIER
    Rechnungsprüfer loben Resilienz der EU-Institutionen während Corona-Krise EURACTIV
    Europe’s Energy Crunch Squeezes World’s Largest Particle Collider WSJ
    Dürre in Europa enthüllt Schätze der Vergangenheit DW

    Standpunkt

    Carbon Farming: Ein falsch aufgezäumtes Pferd

    Von Sarah Wiener
    Carbon Farming: Sarah Wiener ist Öko-Landwirtin, Köchin und Europaabgeordnete der österreichischen Grünen.
    Sarah Wiener ist Öko-Landwirtin, Köchin und Europaabgeordnete der österreichischen Grünen.

    “Carbon Farming” heißt das neue Schlagwort für eine angeblich klimaschützende Landwirtschaft. Im Rahmen der Farm to Fork-Strategie hatte die EU-Kommission dazu auch eine Initiative angekündigt. Diese wurde im Frühjahr 2022 veröffentlicht. Sie ist Teil der EU-Strategie für nachhaltige Kohlenstoffkreisläufe. Um das Ziel zu erreichen, bis 2050 mehr Klimagase zu speichern als ausgestoßen werden, soll CO2 jeweils zur Hälfte auf natürliche und technische Weise gespeichert werden.

    Zu den “natürlichen Lösungen” gehören das Wiedervernässen von Mooren und CO2-Zertifikate für die Speicherung von Kohlenstoff im Ackerbau. Der sehr technische Ansatz und die enge Fixierung auf die Speicherung, trotz der geringen Klimarelevanz bestimmter Praktiken, machen aus der zunächst gut klingenden Idee allerdings ein falsch aufgezäumtes Pferd.

    Schwierigkeiten bei Messung und Vergütung

    In ihrer Carbon Farming Initiative weist die EU-Kommission ausführlich auf die biologischen, technischen und juristischen Schwierigkeiten der Speicherung, Messung und Vergütung in der Landwirtschaft hin. Dennoch befürwortet sie dann genau das Instrument der Messung und Vergütung von gespeicherten Kohlenstoffmengen im Boden über CO2-Zertifikate – und bevorzugt dieses Instrument gegenüber der Honorierung nachhaltiger Landbewirtschaftungspraktiken, die neben dem Humusaufbau auch anderen Ökosystemdienstleistungen zugutekommen. Eine überzeugende Begründung dafür liefert die Kommission nicht.

    Allerdings liest man in der ebenfalls 2022 vorgestellten Bodenschutzstrategie Folgendes: “Der Banken- und Finanzsektor ist zunehmend daran interessiert, in Landwirte zu investieren, die nachhaltige Praktiken anwenden und den Kohlenstoffgehalt im Boden erhöhen, und marktbasierte Anreize für die Kohlenstoffspeicherung zu schaffen”. Da weiß man doch, wo der Hase langläuft.

    Wenn wir sichere Emissionsreduktionen auch in der Landwirtschaft erreichen wollen, dann müssen wir vor allem weg vom Einsatz synthetischen Düngers. Dadurch ließen sich die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft wesentlich schneller und sicherer verringern als mit Carbon Farming, denn der größte Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel entsteht durch die extrem energieintensive Herstellung und Ausbringung von synthetischem Stickstoffdünger.

    Reduktion des Tierbestands

    Mit einer Reduktion des Tierbestandes, welcher an die Fläche und an Weidehaltung gebunden wird, könnte der zweitgrößte Anteil der Landwirtschaft am Klimawandel deutlich verbessert werden. Denn besonders die Weidehaltung trägt aufgrund des unter Grünland gespeicherten Humus’ zum Klimaschutz bei. Abgesehen von Böden in Permafrostgebieten enthalten Moore und Grasland den größten Teil des im Boden gespeicherten Kohlenstoffs. Diese Biome zu schützen, muss daher erste Priorität haben.

    Grasland ist neben Wald das größte Biom auf unserem Planeten und bedeckt etwa 40 Prozent der bewachsenen Landfläche. Doch für den Schutz des Grünlands braucht man Wiederkäuer, denn nur beweidetes Grünland bleibt auch bestehen und je regelmäßiger es beweidet wird, desto mehr Humus wird aufgebaut. Vor diesem Hintergrund müssen demnach auch die Wiederkäuer anders bewertet werden als nur nach ihrem Methanausstoß, denn auf der Weide sind sie aktive Klimaschützer.

    Besonders fragwürdig im Zusammenhang mit der beabsichtigten Kohlenstoff-Speicherung im Boden ist der Einsatz von Pflanzenkohle: Eine Erhöhung des Kohlenstoffgehaltes im Boden über diesen Weg ist nicht gleichzusetzen mit einem nachhaltigen Landwirtschaftsmodell und dem Aufbau von qualitativ hochwertigem Humus. Wenn die Stabilität des Kohlenstoffs im Boden der Fokus ist, dann steht das im Widerspruch zur Förderung eines aktiven Bodenlebens. Dieses braucht zur Aufrechterhaltung der Bodenfunktionen dringend abbaubare Kohlestoff-Substrate. Ein aktives Bodenleben bedeutet Humusaufbau, aber immer auch Um- und Abbau.

    Keine Bodenverbesserung durch Pflanzenkohle

    Um einen Einfluss auf das Klima zu haben, müssten außerdem riesige Mengen an Pflanzenkohle eingesetzt werden: Um etwa ein Prozent des Treibhausgas-Reduktionsziels für Deutschland 2030 zu erreichen, müsste beispielsweise die gesamte verfügbare Biomasse Deutschlands zu Pflanzenkohle verarbeitet werden. Ein unrealistisches Szenario. Darüber hinaus werden unabhängig von den Ausgangsmaterialien im Verkohlungsprozess polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) gebildet, die krebserregend und erbgutverändernd sind – wahrlich kein Bodenverbesserungsmittel.

    Auch der Verzicht auf den Pflug wird immer noch mit Kohlenstoff-Speicherung gleichgesetzt, obwohl das schon lange widerlegt ist (Zunahme nur nahe der Oberfläche und Abnahme im Unterboden). In der Studie “Greenwashing & viel Technik. Vermeintlich nachhaltige Lösungen für die Landwirtschaft” wird das gut aufgedeckt.

    Wir müssen eine nachhaltige, klimafreundliche Landwirtschaft systemisch angehen, anstatt Böden als Kohlenstofflagerstätten zu missbrauchen. Das geht über Kompostgaben und Agroforst, aber am wichtigsten sind die Wurzeln, sie sind die größten Humusbildner. Deshalb ist Vielfalt auf und im Boden das Wichtigste, sie fördert alle ökologischen Funktionen. Die einseitige Fokussierung auf die Kohlenstoff-Speicherung übersieht total, dass es beim Bodenmanagement um die Aufrechterhaltung der Ökosystemleistungen geht, um Biodiversität, Kreislaufwirtschaft, Wasserspeicherung, Wasserreinigung, Verdunstung, Kühlung, gesunde Pflanzen, gesunde Lebensmittel und vieles mehr.

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    Europe.Table Redaktion

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