Der russische Angriff auf die Ukraine begann nicht mit Bomben und Raketen, er startete mit einer Cyberattacke im All. Ziel war das Sattelitennetzwerk KA-SAT, mit dem der US-Anbieter Viasat Hochgeschwindigkeitsinternet über Satelliten in Europa und den Mittelmeerländern anbietet. Durch die Cyberattacke kam es zu Ausfällen und Störungen bei der Kommunikation staatlicher Behörden, Unternehmen und anderen Nutzern – nicht nur in der Ukraine. Auch kritische Infrastrukturen mehrerer EU-Mitgliedstaaten waren betroffen. So konnten Versorger in Zentraleuropa tausende Windkraftanlagen nicht mehr ansteuern. Der US-Unternehmer Elon Musk sprang mit seinem Satellitendienst Starlink ein und brachte die Ukraine so wieder ans Netz.
Die Situation hat nach Meinung vieler Experten einmal mehr gezeigt, dass Europa nicht nur eine sichere, sondern vor allem auch eine eigene Kommunikationsinfrastruktur aus dem All braucht. Eine, die nicht nur in Kriegs- und Krisenfällen (Europe.Table berichtete), sondern auch bei Katastrophen wie im Ahrtal zuverlässig funktioniert. Strategische Souveränität ist daher ein zentrales Ziel der Secure Connectivity Initiative, mit der die EU nicht nur die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft voranbringen, sondern auch den wachsenden geopolitischen Cybersicherheitsbedrohungen (Europe.Table berichtete) begegnen will. Sie ergänzt die europäischen Weltraumprojekte Galileo und Copernicus.
Auf den Weg gebracht hat die Secure Connectivity Initiative im Februar 2022 EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Der Rat hat Ende Juni seine Position festgelegt. Der nächste Schritt sind die Trilogverhandlungen zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament. Diese werden voraussichtlich im Herbst stattfinden. Berichterstatter für das EU-Parlament ist Christophe Grudler (Renew). Bei den Verhandlungen geht es nicht nur um die Frage, wie das europäische Satellitennetz genau aussehen soll, sondern auch, wer es baut und betreibt.
Investitionsvolumen von sechs Milliarden Euro
Brüssel plant, was in der Raumfahrt als Megakonstellation bezeichnet wird: Ein Kommunikationsnetzwerk von Hunderten, gar Tausenden Satelliten, das aus dem erdnahen Orbit Europa und Teile Afrikas abdeckt. Immerhin hat das Public-Private-Partnership-Vorhaben ein Volumen von sechs Milliarden Euro. Ein Drittel davon will die EU finanzieren, ein Drittel sollen die Mitgliedstaaten tragen und ein Drittel die Privatwirtschaft übernehmen. Denn es ist parallel auch eine kommerzielle Nutzung vorgesehen.
Geplant ist ein schrittweiser Aufbau des Systems mit dem Ziel, die ersten Dienste im Jahr 2024 bereitzustellen (Europe.Table berichtete) und bis 2027 die volle Betriebsfähigkeit zu erreichen. „Internet aus dem All wird strategisch und wirtschaftlich ungeheuer wichtig werden“, ist Matthias Wachter überzeugt. Er ist Geschäftsführer der Initiative New Space beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). „Space Connectivity ist die Basis für viele künftige Anwendungen aus den Bereichen autonomes Fahren, Industrie 4.0 oder dem Internet der Dinge (IoT).“
Es sei richtig, dass Europa dabei auf eine eigene Konstellation setze, sagt Wachter. „Die Frage ist nur, welche Features wird das System haben, wer baut es und wie wird das Setup sein: Wird es ein staatlich dominiertes Projekt oder beauftragt die EU ein privates Konsortium und fungiert als Ankerkunde?“ Es ist wohl kein Zufall, dass es mit Thierry Breton ein Franzose war, der die Secure Connectivity Initiative auf den Weg gebracht hat. In Deutschland sei das Projekt anfänglich deutlich zurückhaltender und kritischer beurteilt worden, sagt Wachter.
In Frankreich sitzt mit Eutelsat nicht nur Europas größter Satellitenbetreiber, sondern auch Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus. Doch während Frankreich die großen und teils staatlichen Player pushe, solle Deutschland sich dafür starkmachen, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – vor allem auch innovative Start-ups – ebenfalls an dem Projekt beteiligt werden, fordert Wachter vom BDI.
Deutsche Start-ups wollen dabei sein
Bereits im vergangenen Jahr hatten verschiedene New-Space-Unternehmen zusammen mit dem BDI ein Schreiben an Breton gesandt. Um die europäische New-Space-Industrie (die Verzahnung von kommerzieller Raumfahrt und klassischer Wirtschaft) zu stärken und eine innovative und wettbewerbsfähige industrielle Basis in Europa zu gewährleisten, müsse die EU das gesamte Ökosystem berücksichtigen. Dies reiche von großen Systemintegratoren (LSI) über KMU, Zulieferer und Dienstleister bis hin zu aufstrebenden Start-ups.
„Europäische Start-ups im New-Space-Umfeld entwickeln bahnbrechende Geschäftsmodelle und hochinnovative Technologien wie Kommunikation per Laser, Deorbiting Drag Sails für eine saubere Weltraumumgebung, Mikroantriebe oder auch modernste Mikrosatellitenbusse.“ Sie alle seien klar auf kommerzielle Kundenbedürfnisse ausgerichtet, heißt es in dem Schreiben weiter.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gemeinsam mit Italiens Innovationsminister Vittorio Colao an Breton geschrieben. Beide kritisierten mangelnde Informationen und äußerten Bedenken zum Fortschritt des Projekts:
- zu den Zielen, Anforderungen und Nutzerbedürfnissen
- zum Konzept des Systems selbst und dem zugrunde liegenden Eigentums- und Betriebskonzessionsmodell
- zum Modell und Business Case für das kommerzielle Segment der Initiative
- zur Finanzierung des Programms.
Dennoch zeigten sich beide Minister zuversichtlich, dass eine Lösung in Reichweite sei.
Alternative Machbarkeitsstudien für KMU und Start-ups
In ihrem Vorschlag hatte die Kommission zuvor betont, dass auch KMU und Start-ups an der Initiative beteiligt werden sollen. Der Anteil soll bei 30 Prozent liegen – aber werden sie nur Zulieferer sein oder auch Gestalter? Um auch die Ideen der KMU und Start-ups einzusammeln, hatte die Kommission nachträglich zwei weitere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben. „Sie haben der Kommission interessante und innovative Architektur- und Dienstleistungsmodelle geliefert“, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Die Ergebnisse würden nun geprüft.
Eines der beiden Konsortien führte Reflex Aerospace an, ein junger Satellitenbauer aus Berlin und München. Noch befindet sich das Unternehmen in der Entwicklungsphase. Ziel sei es jedoch, die Projekte deutlich schneller umzusetzen als die etablierten Hersteller – statt drei bis vier Jahre für Entwicklung des ersten Satelliten einer Kleinserie kalkuliert Reflex Aerospace mit neun Monaten und entsprechend geringeren Kosten.
Hintergrund ist der neue Produktionsansatz von Reflex, bei dem auch Algorithmen und Künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. „Wir verkürzen auch die Iterationszyklen„, sagt Gründer und CEO Walter Ballheimer. „Denn wir denken, dass sich die Raumfahrttechnik stärker an den Konsumentenmarkt annähern muss.“ Schneller bauen, schneller erneuern – so will Reflex Aerospace mit den technischen Innovationszyklen etwa bei der Entwicklung neuer Kameras mithalten.
Mangelnde Risikobereitschaft in Europa
Tempo rauf, Kosten runter – eigentlich klingt das attraktiv, dennoch rechnet sich Reflex Aerospace nur begrenzte Chancen bei der Umsetzung der Secure Connectivity Initiative der EU aus. „Wir sehen in Europa eine mangelnde Risikobereitschaft. Die USA hingegen nutzen staatliche Aufträge dazu, eine neue Industrie zu unterstützen und Newcomer zu motivieren, sich in diesem Feld zu betätigen“, sagt der Reflex-CEO. Erst durch solche Aufträge an die Industrie sei ein Unternehmen wie SpaceX in dieser Größenordnung überhaupt möglich geworden. Anders etwa als in Europa, wo die Voraussetzung für die Teilnahme an der Ausschreibung oft die jahrelange Erfahrung mit einem System sei, was Newcomer automatisch ausschließe. „Das ist ein Problem“, meint Ballheimer. Kommerzielle Kunden hingegen seien da risikobereiter. „Sie sehen den Zeit- und Kostenvorteil.“
So hatten Reflex und seine Konsortialpartner von vorneherein das Gefühl, dass die beiden Machbarkeitsstudien von KMU und Start-ups lediglich Alibi-Charakter hatten. „Aber wir haben versucht, das Beste daraus zu machen und auch öffentlich zu zeigen, dass wir ein vernünftiges Konzept aufstellen können“, sagt Ballheimer. „Ein Konzept, das durchaus berücksichtigt werden muss.“
Im Gegensatz zum Newcomer Reflex Aerospace ist OHB aus Bremen ein etablierter Player am Markt. „Wir könnten das gesamte System im All realisieren“, sagt OHB-Vorstandsmitglied Sabine von der Recke. Vor allem kann OHB ein Feature liefern, auf das auch die Kommission Wert legt und für das es in Europa nur wenige Anbieter gibt: Quantenschlüsselverteilung. Hierbei werden quantenmechanische Effekte als Bestandteil des kryptografischen Verfahrens genutzt, um ein besonders hohes Sicherheitsniveau zu erreichen.
„Wir haben in den Service viel investiert und sind technisch in Deutschland sehr weit“, sagt von der Recke. „Wenn wir in Europa ein zukunftssicheres, resilientes Kommunikationsnetz aufbauen wollen, dann brauchen wir Quantenschlüsselverteilung.“ Europa sei mit der Entwicklung eines souveränen Kommunikationsnetzes im All spät dran, aber nicht zu spät. Es gehe jetzt darum, europäische Assets im All zu sichern, „denn die Frequenzen für die Datenübertragung sind endlich.“