Table.Briefing: Europe

Fit for 55 im Umweltrat + Energiecharta-Vertrag + G7: Druck auf China + Nato-Gipfel + Einigung bei CER-Richtline

  • Umweltrat: Mühsame Suche nach Kompromiss
  • “Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus”
  • Nato-Streit mit Türkei gelöst – Weg frei für Beitrittsgespräche
  • G7: China soll Druck auf Russland erhöhen
  • Melnyk: “Taxonomie favorisiert russisches Gas”
  • Kreml: Gazprom könnte bei Gas-Preisobergrenze Verträge ändern
  • Polen: EU-Ziele für Getreideexport aus Ukraine unrealistisch
  • CER-Richtlinie: Einigung im Trilog
  • Luxemburgische Datenschutzaufsicht führt Zertifizierung GDPR-CARPA ein
  • Vorläufiger Deal: Schneller Zugriff für Ermittler auf Digital-Beweise
  • Schottland: Erneutes Referendum über Unabhängigkeit
  • Bundesregierung macht bei Ceta Tempo
  • Renaturierungsgesetz: positiver Impuls im Green Deal
Liebe Leserin, lieber Leser,

aus dem bayerischen Elmau, wo gestern der G7-Gipfel mit einem dringenden Appell an China endete, Russland zur Beendigung der Invasion in der Ukraine zu bewegen, geht es jetzt direkt ins spanische Madrid zum Nato-Gipfel. Dort auf dem Speiseplan: “Russischer Salat”. Der Name des Gerichts aus Erbsen, Kartoffeln, Karotten und Mayonnaise sorgte dann doch etwas für Verwunderung unter den Teilnehmenden – ist Russland doch der allgemeine Feind auf diesem Gipfel. Das Zusammentreffen an sich startete gestern Abend dafür gleich mit einer wichtigen Nachricht: Die Türkei hat ihren Widerstand gegen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands aufgegeben.

In Luxemburg diskutierten die EU-Umwelt- und Klimaminister bis spät in die Nacht über ihre gemeinsame Position zu einigen entscheidenden Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets. Nur unter großen Anstrengungen und Kompromissbereitschaft konnte am Ende noch ein sogenannter Package-Deal beschlossen werden. Lukas Scheid ist wachgeblieben und hat die Ergebnisse des Umweltrates analysiert.

Der Energiecharta-Vertrag wird reformiert. Auf die grundsätzlichen Inhalte haben sich die Vertragsstaaten vergangene Woche geeinigt. Im Interview mit Till Hoppe erklärt Michael De Boeck, Rechtsexperte am College of Europe in Brügge, worin der echte Fortschritt liegt.

Ihre
Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

Umweltrat: Späte Kompromisse zu Verbrenner-Aus, ETS und CBAM

Es war von Anfang an keine leichte Aufgabe. Eine einzige allgemeinen Ausrichtung des Umweltrates für fünf teilweise völlig unterschiedliche Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets – am Ende steht nun die Position der 27 Mitgliedstaaten. Damit können die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament unter der anstehenden tschechischen Ratspräsidentschaft beginnen.

Verbrenner-Aus 2035 beschlossen

Schwer gerungen wurde bis zum Schluss bei der Verschärfung der Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Doch die Einigung beinhaltet nun tatsächlich, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden dürfen. Allerdings soll die Kommission 2026 überprüfen, ob auch Plug-in-Hybride oder E-Fuels zu den Zielerreichungen beitragen könnten. Voraussetzung dafür ist, dass diese keine Treibhausgase emittieren, was bislang technologisch nicht möglich ist.

Mit der Position des Rates steht dem Verbrenner-Aus trotz noch bevorstehendem Trilog nichts mehr im Weg, da sich auch das Parlament für das Ausstiegsdatum ausgesprochen hatte (Europe.Table berichtete).

Beinahe Koalitionsstreit über Verbrenner-Aus

Lange sah es am Dienstag nicht nach einer Einigung auf ein Ende des Verbrennungsmotors für Pkw aus, auch weil die deutsche Bundesregierung nicht recht auf einen Nenner kommen wollte. Umweltministerin Steffi Lemke und Finanzminister Christian Lindner machten im Laufe des Tages unterschiedliche Aussagen zur gemeinsamen Position Deutschlands. Kurzzeitig sah es sogar nach einem handfesten und vor allem öffentlichen Koalitionsstreit aus.

Zum Schluss intervenierte Bundeskanzler Olaf Scholz aus der Ferne und erklärte noch beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau, man wolle möglich machen, dass 2035 Autos etwa mit E-Fuels zugelassen würden (Europe.Table berichtete). Kurz darauf kündigte ein Regierungssprecher an, dass die Bundesregierung dem Kompromiss beim Treffen der EU-Umweltminister in Luxemburg zustimmen werde – allerdings mit einer etwas kryptischen Begründung.

Der Sprecher erklärte, dass die EU-Kommission zugesagt habe, außerhalb der Flottengrenzwerte einen Vorschlag zu unterbreiten, wie auch nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden könnten, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden. Das beziehe sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Bundesregierung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Die Flottengrenzwerte gelten allerdings für eben jene Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, weshalb noch immer nicht klar ist, inwiefern aus Sicht der Bundesregierung E-Fuels auch nach 2035 noch eine Rolle spielen sollten.

Habeck setzt sich bei ETS und CBAM durch

Ein deutscher Kompromissvorschlag zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) erfuhr viel Zuspruch und wurde schließlich übernommen. Allerdings sieht er eine langsamere Abschmelzung der kostenlosen Zertifikate als Schutz vor Carbon Leakage vor als von der Kommission vorgesehen.

So sollen die Freizuteilungen zwischen 2026 und 2028 um jährlich 5 Prozentpunkte reduziert werden, 2029 und 2030 um 7,5 Prozentpunkte, 2031 und 2032 um 10 Prozentpunkte, 2033 und 2034 um 15 Prozentpunkte und 2035 um 20 Prozentpunkte. 2036 gäbe es folglich keine kostenlosen Zertifikate mehr. Zunächst soll der CBAM nur den Stromsektor und die Industriesektoren Zement, Eisen und Stahl, Aluminium und Düngemittel umfassen (Europe.Table berichtete).

Deutschland hatte sich zudem für eine Änderung der Benchmarks für Industrieanlagen bei den Freizuteilungen ein- und schlussendlich durchgesetzt. Die Benchmarks sind die Berechnungsgrundlage für die Menge an Freizuteilungen für die jeweiligen Industrien. Sie beruhen auf der Treibhausgasemissionsintensität eines Produkts (THG-Emissionen in Tonnen pro Tonne des hergestellten Produkts). Die Benchmarks sollen so die Leistung der besten 10 Prozent der unter das ETS fallenden Anlagen, die das Produkt herstellen, widerspiegeln.

Das bedeutet, durch den Einsatz klimafreundlicher Technologien steigt die Benchmark und Anlagenbetreiber erhalten auf diese Weise Anreize, diese einzusetzen – so die Idee. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich jedoch dafür ausgesprochen, Benchmarks in den Jahren 2026 bis 2030 nicht mehr anzuheben. Der Grund: Setzt ein Unternehmen an einem Standort eine klimafreundlichere Technik um, verteuert sie den Betrieb ihrer anderen noch zu ersetzenden älteren Anlagen. Dies schafft laut Habeck einen Negativanreiz und hat seine Amtskollegen offenbar überzeugt.

Der Rat hat sich außerdem darauf geeinigt, die Emissionen des Seeverkehrs in den Geltungsbereich des ETS aufzunehmen sowie die schrittweise Abschaffung der Freizuteilung für den Luftverkehr bis 2027.

Klimasozialfonds und Volatilitätsmechanismus sorgten für Streit

Die Einführung eines zweiten Emissionshandels für Gebäudeheizung und Straßenverkehr (ETS 2) war ebenfalls Teil des Package-Deals der Franzosen und wird damit auch von den Mitgliedstaaten unterstützt (Europe.Table berichtete). Heftig gestritten wurde allerdings über den sozialen Ausgleich durch die entstehenden Mehrkosten des ETS 2. Der Umfang des sozialen Klimafonds wurde von der Kommission mit über 72 Milliarden Euro beziffert. Zu viel für einige reichere Mitgliedstaaten.

Der Kompromissvorschlag der Franzosen belief sich schließlich auf 59 Milliarden, aber auch das Entgegenkommen reichte unter anderem Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Schweden nicht. Habeck versuchte noch den Umfang des Fonds auf 48,5 Milliarden zu drücken. Allerdings ohne Erfolg – es blieb bei den 59 Milliarden.

Gestritten wurde auch über einen Volatilitätsmechanismus des ETS, der Preissprünge verhindern soll. Artikel 29a gibt Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Zertifikate aus der Markstabilitätsreserve zu verkaufen, wenn deren Preis in mehr als sechs aufeinander folgenden Monaten dreimal so hoch wie der Durchschnittspreis in den beiden vorangegangenen Jahren ist.

Einigen Ländern, die besonders unter den Preissteigerungen litten, wollten früher und stärker greifende Instrumente. Reichere Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – lehnten das zwar entschieden ab, stimmten dem Kompromiss der Franzosen aber schlussendlich zu. Dieser sieht nun vor, dass 29a beim 2,5-fachen Durchschnittspreis bereits greifen soll und 75 Millionen CO2-Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigibt.

Einigung auch bei ESR und LULUCF

Weniger kontrovers, aber ebenfalls Teil des Pakets: Die Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Reguation – ESR) sowie Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF). Bei der ESR einigten sich die Mitgliedstaaten auf ein EU-weites Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 2005 für die Sektoren, die nicht unter das ETS fallen. Für LULUCF bestätigte der Rat ein Gesamtziel von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent für den Nettoabbau im LULUCF-Sektor im Jahr 2030.

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“Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus”

Herr De Boeck, was ist die Modernisierung des Energiecharta-Vertrags für Sie: Stückwerk oder echte Reform?

Wir müssen den endgültigen Rechtstext abwarten. Aber nach dem, was wir wissen, ist es zumindest in einer Hinsicht eine echte Reform: Es wird bestätigt, dass die EU-interne Anwendung der Streitbeilegungsbestimmung in Artikel 26 des ECT gestrichen wird. Dafür hat die Kommission sehr lange gekämpft, und der Europäische Gerichtshof hat dies als absolut entscheidend erachtet.

Wie wichtig sind diese Streitigkeiten zwischen einem europäischen Investor und einem anderen Mitgliedstaat?

Äußerst wichtig. Die Statistiken sind etwas unzuverlässig wegen der Vertraulichkeit von ISDS-Verhandlungen, aber der Energiecharta-Vertrag ist eines der am häufigsten genutzten Vehikel für Investoren. Etwa 50 Prozent aller Fälle innerhalb der EU gehen auf diesen zurück. Das Achmea-Urteil des EuGH im Jahr 2018 hat auch deshalb unter Praktikern in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wie eine Bombe eingeschlagen, weil es einen großen Teil ihres Geschäfts infrage stellte.

In dem Urteil entschied der EuGH, dass die Schiedsklausel im bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen den Niederlanden und der Slowakei nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei.

Dennoch wurde das Urteil von allen bisherigen Investitionsgerichten infrage gestellt, bis auf eines vor kurzem.

Warum das?

Die Tribunale berufen sich bei ihrer Zuständigkeit auf internationales Recht. Man muss zwischen der Gültigkeit eines internationalen Vertrages und seiner Vereinbarkeit mit EU-Recht unterscheiden. Ersteres hängt davon ab, ob er gemäß internationalem Recht abgeschlossen wurde. Der zweite Begriff ist, ob dieser Vertrag mit dem EU-Primärrecht in Einklang steht. Der EuGH entschied im Fall Achmea, dass besondere Erwägungen gelten, wenn die EU oder die Mitgliedstaaten einen Vertrag mit Bestimmungen zur Streitbeilegung schließen: Wenn der Streit sich um die Interpretation von EU-Recht dreht, ist nur der EuGH zuständig. Es sei denn, es sind einige sehr strenge Bedingungen erfüllt. Die internationalen Investitionsgerichte haben die gerichtliche Zuständigkeit jedoch stets aus der Perspektive des Völkerrechts betrachtet. Alle Argumente des EuGH zur Vereinbarkeit mit EU-Recht sind aus ihrer Sicht hier nicht relevant.

Energiecharta-Vertrag: Verhandlungen die einzige Lösung

Weil diese Sicht gut zu ihren Geschäftsinteressen passt?

Ich selbst glaube nicht, dass die Rechtsprechung des EuGH Auswirkungen auf die internationale Gültigkeit eines Vertrags hat – das sind zwei grundverschiedene Dinge. Aber das bringt uns in eine sehr schwierige Lage. Denn der Vertrag über die Energiecharta bindet die Parteien – wenn man einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus. Man kann auch kein anderes Vertragsrecht anwenden, um den Energiecharta-Vertrag zu umgehen. Der berüchtigte Artikel 16 besagt, dass man stets die für den Investor vorteilhafteste Regel anwenden muss. Die einzige Lösung scheint darin zu bestehen, weiter mit den anderen Parteien zu verhandeln, um eine Änderung des Vertrags zu erreichen.

Aktivisten und einige Mitgliedstaaten fordern, aus dem Energiecharta-Vertrag auszutreten.

Die Ausstiegsklausel ist eindeutig: Wenn man aussteigt, ist man für weitere 20 Jahre gebunden. Das ist eindeutig. Einige behaupten, die EU-Mitgliedstaaten könnten stattdessen einen speziellen Vertrag untereinander schließen. Aber das halte ich nicht für machbar – Artikel 16 des Vertrags über die Energiecharta verbietet das. Für eine Änderung des bestehenden Vertrags wäre wiederum die Zustimmung eines Quorums der Vertragspartner erforderlich, die sie nicht erhalten werden, selbst wenn alle EU-Mitgliedstaaten dafür stimmen. Deshalb ist der einzige vernünftige Weg, rechtlich gesehen, die Neuverhandlung im Rahmen der ECT-Ministerkonferenz.

Was die EU in den Verhandlungen erreicht hat, ist das Recht, bereits getätigte Investitionen in fossile Energien nach einer zehnjährigen Übergangsfrist aus dem Schutz der Energiecharta auszuschließen. Umweltschützer kritisieren, das sei zu wenig und zu spät.

Das bedeutet aber eine Beschleunigung um zehn Jahre im Vergleich zu einem Ausstieg, der die Verfallsklausel auslösen würde. Ich halte das für positiv.

Die meisten Bedenken zerstreuen

Die Modernisierung des Vertrags klärt auch einige Punkte, die den Handlungsspielraum der Regierungen gegenüber Investoren in ihrer Energiepolitik betreffen. Wie beurteilen Sie das?

Die neue Generation der von der EU abgeschlossenen Freihandels- und Investitionsabkommen enthält bereits qualifiziertere Investitionsschutzstandards, um den Regulierungsspielraum der Staaten zu schützen. Wenn die Bestimmungen im modernisierten Energiecharta-Vertrag gut formuliert sind, könnten sie die meisten Bedenken zerstreuen. Doch dafür müssen wir den finalen Rechtstext abwarten.

Es gibt viele kritische Stimmen.

Für einige Umweltschutz-Aktivisten und Kommentatoren wird eine Reform nie ausreichen. Für sie geht bereits der Schutz von Investoren durch internationales Recht zu weit. Ich denke, wir müssen ein Gleichgewicht finden: Investitionen durch ein stabiles Investitionsklima fördern, dem Verhalten des Staates, der auch nicht immer ein Engel ist, gewisse Grenzen setzen und zugleich deutlich machen, dass Investitionsschutz kein Freibrief für soziale oder Umweltvergehen ist.

Und dieses Gleichgewicht wurde bei der Neuverhandlung des Energiecharta-Vertrages erreicht?

Es ist schwierig, das auf der Grundlage der grundsätzlichen Vereinbarung zu sagen. Wir müssen den finalen Text abwarten. Die Modernisierung des ECT und die konkreteren Investitionsschutzstandards in den neuen Handelsabkommen sind aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

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Nato: Türkei ebnet Weg für Schweden und Finnland

Die Türkei hat ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato aufgegeben. Ankara werde während des Nato-Gipfels in Madrid die Einladung an die beiden nordischen Länder unterstützen, Bündnismitglied zu werden, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö mit. Ein entsprechendes Memorandum sei nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von den Außenministern der drei Länder unterschrieben worden.

Das gemeinsame Memorandum unterstreiche die Verpflichtung Finnlands, Schwedens und der Türkei, ihre volle Unterstützung gegen die Bedrohung der Sicherheit des jeweils anderen Landes zu gewährleisten, hieß es in der Mitteilung des finnischen Präsidenten. Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehören dazu weitere Rechtsänderungen, ein hartes Vorgehen gegen PKK-Aktivitäten und der Abschluss eines Auslieferungsabkommens mit der Türkei.

Schweden und Finnland hoffen auf schnellen Nato-Beitritt

Finnland und Schweden sind bislang keine Nato-Mitglieder, aber enge Partner des Verteidigungsbündnisses. Russlands Einmarsch in die Ukraine löste jedoch in den beiden militärisch bisher bündnisfreien Ländern intensive Debatten über eine solche Mitgliedschaft aus. Am 18. Mai beantragten sie jeweils die Aufnahme in die Nato – in der Hoffnung, das Prozedere bis zum letztlichen Beitritt möglichst schnell durchlaufen zu können.

Die Nato hatte am Montag bereits angekündigt, die schnelle Eingreiftruppe von 40.000 Soldaten auf weit über 300.000 aufzustocken. Deutschland wird sich laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit 15.000 Soldaten beteiligen. Zudem werde die Bundesrepublik etwa 35 Flugzeuge und 20 Schiffe beitragen. Lambrecht gab zudem bekannt, dass Deutschland drei weitere Panzerhaubitzen an die Ukraine liefern werde. dpa/rtr

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G7: China soll Druck auf Russland erhöhen

Die G7-Staaten haben China aufgerufen, Russland zum Ende seiner Invasion in der Ukraine zu drängen. China solle Druck auf Russland ausüben, die Truppen unverzüglich und ohne Bedingungen aus der Ukraine abzuziehen, so die G7. Im Abschlussdokument des dreitägigen Gipfels äußerten sich die G7-Staaten zudem besorgt über die Lage im Ost- und Südchinesischen Meer und sprachen sich gegen einseitige Versuche aus, den Status quo mit Gewalt oder Zwang zu verändern. Die Abschlusserklärung des G7-Gipfels enthielt dieses Mal fast eine ganze Seite nur zur Chinapolitik.

Über die Menschenrechtslage in China drückten die G7-Staaten besondere Besorgnis aus. China müsse die universellen Menschenrechte achten und die Grundfreiheiten garantieren – auch in Tibet und Xinjiang. Die G7-Länder wollen demnach gemeinsam stärker gegen Zwangsarbeit in China vorgehen. So sollen Produkte, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, von den globalen Lieferketten ausgeschlossen werden. Dieser Vorgang ist vor allem an die Adresse Chinas gerichtet, das in der Provinz Xinjiang in großem Stil Zwangsarbeit durchsetze, heißt es in einem auf der Webseite des Weißen Hauses veröffentlichten Factsheet. Auch seien sich die G7 einig, geschlossen gegen unfaire Wirtschaftspraktiken der Volksrepublik vorzugehen, heißt es in dem Dokument.

Abhängigkeiten von China reduzieren

Mit Blick auf Chinas protektionistische Wirtschaftspolitik beklagen die G7 nicht-transparente und Markt-verzerrende Maßnahmen der Volksrepublik. Die sieben großen Industrienationen haben vereinbart, sich darüber weiterhin auszutauschen und auch außerhalb des G7-Forums gemeinsame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Man wolle ökonomische Abhängigkeiten von China reduzieren und sich gegen ökonomische Zwangsmaßnahmen wappnen, so das Abschlussdokument. Die EU-Staaten arbeiten derzeit an einem Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang (China.Table berichtete).

Mit Blick auf die Lage in Hongkong fordern die G7 China auf, die in der Gemeinsamen Chinesisch-Britischen Erklärung und dem Basic Law eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und die dort festgehaltenen Rechte, Freiheiten und Autonomie Hongkongs zu gewährleisten. Notwendig sei es, mit China bei gemeinsamen globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust an Artenvielfalt zu kooperieren. nib/fpe/rtr

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Melnyk: “Taxonomie favorisiert russisches Gas”

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat das Europäische Parlament aufgefordert, den zweiten Delegierten Rechtsakt der EU-Taxonomie abzulehnen. Kurz vor der finalen Abstimmung des Parlaments über den Rechtsakt wandte sich Melnyk mit einem Brief an die deutsche Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) und bezog sich auf die “sicherheitspolitische Bedeutung” des Votums.

Russland erziele laut Melnyk “erhebliche Einnahmen durch den Verkauf von Erdgas an die Europäische Union.” Der vorliegende Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission würde den Bau von Gaskraftwerken fördern, während LNG-Terminals als nicht förderfähig gelten – russisches Erdgas würde dementsprechend “klar favorisiert”. Dies wäre inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein “fatales Signal”, heißt es in dem Brief.

Entscheidung über Erdgas in der EU-Taxonomie nächste Woche

In der kommenden Woche entscheidet das Parlament bei seiner Sitzung in Straßburg, ob durch einen Delegierten Rechtsakt Erdgas- und Atomkraftprojekte in die Taxonomie aufgenommen werden und dadurch als nachhaltig gelabelt werden. Grüne und sozialdemokratische Abgeordnete hatten Einspruch eingelegt. Der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss stimmten Mitte Juni bereits für den Einspruch (Europe.Table berichtete). Ob auch das Plenum das Veto unterstützen wird, ist trotz eines großen überparteilichen Bündnisses gegen den Rechtsakt unsicher. leo

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Kreml: Gazprom könnte bei Gas-Preisobergrenze Verträge ändern

Russland droht mit einer Änderung der Gas-Lieferverträge durch den Energiekonzern Gazprom bei der Einführung einer Preisobergrenze für russisches Gas. “Es hängt von der Richtung ab, von der Entscheidung, die Gazprom trifft. Wahrscheinlich wird die Frage aufgeworfen, ob die Bedingungen bestehender Verträge oder der Preis geändert werden sollen”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag.

Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten hatten sich zuvor darauf geeinigt, mögliche Preisobergrenzen für russisches Öl und Gas zu prüfen (Europe.Table berichtete). Damit sollten die Möglichkeiten der russischen Regierung zu Finanzierung ihrer Invasion in der Ukraine eingeschränkt werden.

Peskow ging nicht näher darauf ein, ob es sich bei den Änderungen um eine Anpassung der Verträge an die vorgeschlagenen Obergrenzen oder um eine vollständige Überarbeitung der Vertragsbedingungen handeln könnte. Gazprom war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen, ebenso nicht das Finanzministerium. Auf die Frage, wie sich die G7-Vorschläge zur Deckelung der Preise auf den Staatshaushalt auswirken könnten, sagte Peskow: “Wir wissen noch nicht, worum es sich handelt.”

Stopp russischer Gas-Lieferungen: Folgen für Deutschland

Obwohl Russland angesichts explodierender Energiepreise mehr verdient als vor der Invasion in der Ukraine, erwartet das Land für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, da es die soziale Unterstützung und die der Wirtschaft zum Ausgleich der Sanktionen erhöht. Nach Einschätzung von Natalia Orlova, Chefvolkswirtin bei der Alfa Bank, benötigt Russland selbst bei diesem geplanten Haushaltsdefizit in diesem Jahr einen Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel, um seinen Haushalt auszugleichen.

Mehreren Studien zufolge wäre Deutschland von einem abrupten Stopp russischer Gaslieferung besonders stark betroffen. Das könnte 12,7 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Prognos-Studie für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hervorgeht. Einer ZEW-Studie zufolge verlieren in Europa vor allem Deutschland und die Niederlande an Wettbewerbsfähigkeit – wegen besonders stark gestiegener Strompreise. Frankreich, die Schweiz, die USA und Japan sind deutlich weniger stark betroffen. Allerdings hat laut den führenden Forschungsinstituten die Gefahr einer Versorgungslücke mit Erdgas im Falle ausbleibender Lieferungen zuletzt abgenommen. rtr

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Polen: EU-Ziele für Getreideexport aus Ukraine unrealistisch

Die Ziele der Europäischen Union zum Export von 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine bis Ende Juli sind nach polnischer Einschätzung unrealistisch. Der Grund dafür sei, dass es zu wenig Fortschritt bei der Lösung von Logistikproblemen gebe (Europe.Table berichtete), sagte der polnische Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.

“Hätten wir Mitte Mai angefangen, wäre es immer noch schwierig gewesen, aber wir wären dem Ziel näher.” Kowalczyk kritisierte insbesondere, dass die EU Polen zu wenig mit Ausrüstung wie Silos oder Containern helfe. Bei der EU-Kommission war zunächst niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

Polen verfügt über eine lange Landgrenze zur Ukraine. In dem Land lagern große Mengen Getreide, die wegen der russischen Blockade im Schwarzen Meer nicht exportiert werden können. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den Landtransport zu erleichtern (Europe.Table berichtete). Allerdings kann über Land nur ein Bruchteil der Mengen transportiert werden, die sonst per Schiff die Ukraine verlassen.

Erschwert wird das unter anderem durch unterschiedliche Spurbreiten bei Zügen in der EU und in dem osteuropäischen Land. Das Getreide soll an der Grenze oder an einer ukrainischen Strecke, die sich 400 Kilometer weit nach Polen erstreckt, in mobile Silos umgeladen und dann über europäische Züge nach Westen transportiert werden.

Draghi: Getreide-Exporte aus der Ukraine über den Seeweg

Italiens Ministerpräsident Mario Draghi erklärte derweil am Dienstag beim G7-Treffen, dass die Getreideexporte aus der Ukraine möglicherweise bald wieder auf dem Seeweg aufgenommen werden könnten. So könnten die Engpässe gelindert werden, von denen vor allem die armen Länder betroffen sind (Europe.Table berichtete).

Zum Abschluss des G7-Treffens sagte Draghi, dass die Minen in den ukrainischen Häfen nicht vollständig geräumt werden müssten und dass es “Korridore” gäbe, die den Betrieb von Frachtschiffen ermöglichen könnten. Für die Wiederaufnahme der Exporte sei ein endgültiges grünes Licht des Kremls erforderlich, und das “sollte bald kommen”, sagte Draghi vor Reportern. rtr

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CER-Richtlinie: Einigung im Trilog

Die Verhandler von Europäischem Parlament und Rat haben sich am Dienstag bei der Überarbeitung der Richtlinie über kritische Einheiten (CER) im Trilog mit der Kommission geeinigt. Die CER-Richtlinie soll die bisherige Richtlinie über kritische Infrastrukturen von 2008 ersetzen. Die CER ist eng mit der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) verwandt, deren Revision unter dem Kürzel NIS2 (Europe.Table berichtete) Mitte Mai von den europäischen Verhandlern beschlossen wurde.

Mit der CER müssen die Mitgliedstaaten für mehr Sektoren eine Strategie zum Schutz vor Ausfällen entwickeln, außerdem werden Risiko-Folgeabschätzungen für diese verpflichtend. Zudem müssen Mitgliedstaaten künftig – man höre und staune – auch die Durchsetzung ihrer Regeln praktisch ermöglichen und Strafen bei Nichtbefolgung der Vorschriften durch betroffene Unternehmen verhängen. Damit werden die Regeln europaweit auf ein gemeinsames Mindestniveau angehoben.

Sicherung von Europas Kritischer Infrastruktur sei Top-Priorität

“Vor dem Hintergrund der Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine ist die Sicherung von Europas Kritischer Infrastruktur zu einer Top-Priorität geworden”, sagte EP-Vizepräsident und -Verhandlungsführer Michal Šimečka (Renew/Slowakei). “Die neue Richtlinie wird die Versorgung mit essenziellen Dienstleistungen sicherstellen, etwa Energie, Transport, Wasser und Gesundheit. Und dabei die Auswirkungen natürlicher und menschengemachter Vorfälle minimieren”, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson.

Umstritten war unter anderem, ab welchen Schwellenwerten Unternehmen als kritisch einzustufen sind. Zudem wurde zwischen den Verhandlern gerungen, wie genau mit Kritischen Infrastrukturen von grenzübergreifender oder gesamteuropäischer Bedeutung umgegangen werden soll. Ebenfalls umstritten war, inwiefern Betreiber und Behörden gleichermaßen für die Risikofolgenabschätzung zuständig sein sollten. Der BDI etwa hatte die CER insgesamt begrüßt, aber auch eine gemeinsame Methodologie für die Folgenabschätzung verlangt. fst

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Luxemburgische Datenschutzaufsicht führt Zertifizierung GDPR-CARPA ein

In Luxemburg ansässige datenverarbeitende Stellen können sich künftig einem Zertifizierungsmechanismus unterwerfen. Mit diesem soll ihnen eine hochgradig DSGVO-konforme Datenverarbeitung bescheinigt werden.

Bei einer Konferenz stellte die luxemburgische Datenschutzaufsichtsbehörde Commission nationale pour la protection des données (CNPD) ihren Mechanismus GDPR-CARPA am Dienstag vor. Damit ist die Datenschutzaufsicht des Großherzogtums die erste Aufsichtsbehörde, die eine entsprechende Zertifizierung eingeführt hat. Die Datenschutzgrundverordnung sieht diese Möglichkeit in Artikel 42 ausdrücklich vor. Das Luxemburger Zertifizierungsschema sieht dabei die Erfüllung spezifischer aus der DSGVO erwachsender Pflichten vor, die insgesamt 59 Seiten Vorschriften und Interpretationen umfassen.

Mit der Zertifizierung soll offenbar vor allem der Bereich der in Luxemburg starken Finanzdienstleistungen angesprochen werden. Diese Branche gilt als besonders in Regulierung und Zertifizierungsmechanismen erfahren. Die CNDP hat laut eigener Darstellung bei der Entwicklung seit 2018 “mit Akteuren aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfung” zusammengearbeitet, “um das Interesse und die Art der Zertifizierung unter der DSGVO zu ermitteln, die für das luxemburgische Ökosystem von Nutzen sein könnte.”

DSGVO-konforme Datenverarbeitung – GDPR-CARPA legt vor

Maßgebliche Standards für die Zertifizierung sind laut CNPD der ISAE 3000-Standard für das Audit-Verfahren, ISCQ1 für die Qualitätskontrolle von Auditstellen und ISO 17065 für Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, deren Rolle in Luxemburg der CNPD selbst zukommt. Das Zertifizierungsschema soll dabei die Anforderungen an ISAE 3000 Typ 2-Berichte erfüllen und damit nahtlos in die Finanzweltstandards integriert werden können.

Im Februar hatten der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden von den Luxemburger Kollegen noch Nachbesserungen eingefordert, um einer Zersplitterung der DSGVO-Interpretation vorzubeugen. Im Mai hatte die Luxemburger Datenschutzaufsicht dann den Beschluss gefasst, mit GDPR-CARPA an den Start zu gehen. fst

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Vorläufiger Deal: Schneller Zugriff für Ermittler auf Digital-Beweise

Ermittler in der Europäischen Union sollen zur Verfolgung schwerer Straftaten einfacher Zugriff auf E-Mails und Chat-Mitteilungen aus anderen EU-Ländern bekommen. Nach mehr als vier Jahren Verhandlung einigten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten am Dienstag auf Schlüsselelemente für den Zugriff durch Ermittler auf elektronische Beweismittel, wie beide Seiten mitteilten.

Die noch ausstehenden Punkte sollen in den kommenden Wochen von den Unterhändlern verhandelt werden. Anschließend müssen die EU-Staaten und das Europaparlament die Einigung noch billigen. Die Verhandlungsführerin des Parlaments, Birgit Sippel (SPD), sprach von einem Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz (Europe.Table berichtete): “Erstmals werden nationale Ermittlungsbehörden die Möglichkeit haben, Diensteanbieter in anderen EU-Mitgliedstaaten direkt zur Herausgabe oder Sicherung elektronischer Beweismittel aufzufordern, mit klaren Fristen und EU-weit einheitlichen Regeln.”

Bislang müssen Ermittler oft lange auf die Herausgabe der Daten warten. In der Zwischenzeit werden wichtige Beweise oft gelöscht. Das Parlament setzte in den Verhandlungen durch, dass bei Anordnungen zu besonders sensiblen Daten wie Verkehrsdaten künftig auch das Land, in dem der Dienst sitzt, über die Anordnung informiert werden muss.

Voraussetzung dafür ist, dass die gesuchte Person nicht ausschließlich in dem Staat der Anordnung lebt und die Straftat nicht nur dort begangen wurde. Die informierte Behörde kann dann in bestimmten Fällen die Herausgabe der Daten verweigern – etwa dann, wenn es Bedenken mit Blick auf die Grundrechte in dem anfordernden Land gibt, wie Sippel mitteilte.

Dieses Vorgehen geht auch auf deutsche Bedenken ein. Die damalige Bundesregierung hatte 2018 gegen die Position der EU-Staaten gestimmt, weil dadurch etwa polnische oder ungarische Ermittler ohne Einverständnis der deutschen Behörden bei der Telekom Informationen hätten abfragen können. “Wir wissen, die rechtsstaatlichen Prinzipien werden in der Europäischen Union nicht überall gleichermaßen gewahrt. (…) Wir halten deswegen das Vier-Augen-Prinzip für wichtig”, sagte die damalige Justizministerin Katarina Barley.

Ein weiterer Teil der Einigung vom Dienstag sieht nach Angaben der französischen EU-Ratspräsidentschaft vor, dass die Diensteanbieter Vertreter benennen müssen, die für die Anfragen der Behörden zuständig sind. dpa

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Schottland: Erneutes Referendum über Unabhängigkeit

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Herbst des kommenden Jahres erneut darüber abstimmen lassen, ob Schottland ein unabhängiger Staat werden soll. Ein entsprechendes Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich solle am 19. Oktober 2023 stattfinden, kündigte Sturgeon am Dienstag im schottischen Parlament in Edinburgh an. “Die Zeit ist gekommen, um Schottland auf den richtigen Weg zu bringen. Die Zeit für die Unabhängigkeit ist gekommen”, sagte die Politikerin. Sie werde nie zulassen, “dass die schottische Demokratie von Boris Johnson oder einem anderen Premierminister gefangengehalten wird”, erklärte sie.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sagte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um über ein Referendum über Schottlands Unabhängigkeit zu sprechen. Die Regierung werde den Vorschlag von Sturgeon aber sorgfältig prüfen, sagte sein Sprecher am Dienstag.

Bei einem Referendum hatte 2014 eine Mehrheit der Schotten (55 Prozent) noch für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Das war allerdings vor dem Brexit, den der nördlichste britische Landesteil mit klarer Mehrheit (62 Prozent) abgelehnt hatte. Daher hoffen die Unabhängigkeitsbefürworter, dass sich bei einer erneuten Abstimmung die Verhältnisse ändern.

Eigentlich ist für eine solche Abstimmung die Zustimmung der britischen Regierung notwendig, was diese bislang ablehnt. Sturgeon will jedoch notfalls die Abstimmung so gestalten, dass sie auch ohne diese Zustimmung auf rechtmäßige Weise abgehalten werden kann. Experten rechnen mit Klagen und rechtlichen Hürden. dpa/rtr

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Bundesregierung macht bei Ceta Tempo

Die Bundesregierung will das Gesetz zur Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada nach der politischen Einigung nun schnell in den Bundestag einbringen (Europe.Table berichtete). Der entsprechende Gesetzesentwurf wurde gestern in die Ressortabstimmung gegeben und soll voraussichtlich am Freitag vom Kabinett beschlossen werden.

Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP hatten sich vergangene Woche darauf verständigt, unter welchen Bedingungen Deutschland das seit 2017 vorläufig angewandte Ceta-Abkommen ratifizieren kann. Dazu zählt, die Bestimmungen insbesondere zum Investitionsschutz noch einmal zu präzisieren, ohne das Abkommen aufschnüren zu müssen.

Die EU-Kommission soll dazu mit Kanada im Gemeinsamen Ceta-Ausschuss die materiell-rechtlichen Investitionsschutzstandards konkretisieren, um ein Aushebeln des staatlichen Regulierungshandelns etwa beim Klimaschutz zu verhindern. Die vereinbarten Standards würden dann auch das Schiedsgericht binden, das in Streitfällen entscheidet. Hierzu habe man “erste positive Signale von Kanada erhalten”, hieß es in Regierungskreisen.

Ceta-Abkommen: Deutschland hofft auf EU-Unterstützung

Die Koalition erhofft sich von der Initiative auch neue Dynamik in der EU-Handelspolitik. Derzeit haben nur 15 der 27 Mitgliedstaaten Ceta ratifiziert, andere Abkommen etwa mit den Mercosur-Staaten warten noch auf die Zustimmung von Rat und Europaparlament.

Neben dem Ceta-Ratifizierungsgesetz enthält das Koalitionspaket zwei weitere Bestandteile: die Unterstützung des Kommissionsvorstoßes, die Nachhaltigkeitskapitel von Handelsabkommen mit schärferen Sanktionsmöglichkeiten zu versehen; und eine Positionierung zur Modernisierung des Energiecharta-Vertrages (Europe.Table berichtete), die allerdings noch nicht abgeschlossen ist. tho

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Presseschau

Koalition einigt sich auf gemeinsame Position zum Verbrenner-Aus ZEIT
G7 unterstützen Scholz-Idee eines internationalen Klimaclubs FAZ
G7 wollen Preisdeckel für russisches Öl durchsetzen NTV
EU einigt sich auf schärfere Sicherheitsregeln gegen Cyberangriffe ZEIT
Machtkampf im All: Satelliten-Internet soll “strategisches Instrument” der EU werden HANDELSBLATT
Illegale Pushbacks in Griechenland: EU und Bundesregierung drängen auf Aufklärung TAGESSCHAU
EU-Parlament will mehr umstrittene “nachhaltige” Kraftstoffe im Flugverkehr EURACTIV
Schadstoffe und Umwelteinflüsse verursachen jeden zehnten Krebsfall in Europa SPIEGEL

Standpunkt

Renaturierungsgesetz: positiver Impuls im Green Deal

Von Raphael Weyland
Dr. Raphael Weyland ist Büroleiter des Nabu in Brüssel. Im Standpunkt schreibt er über Renaturierungsmaßnahmen der EU.
Dr. Raphael Weyland ist Büroleiter des Nabu in Brüssel.

Der Vorschlag für das nature restoration law war ursprünglich bereits für vergangenen November vorgesehen, wurde aber aufgrund des Drucks unter anderem der Landnutzerlobby mehrfach verschoben. Dabei ist das Argument, dass wir uns in Zeiten des Angriffs auf die Ukraine keinen Umweltschutz leisten können, mehrfach falsch. Schon rein zeitlich ändert ein Vorschlag, der noch das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, nichts an den aktuellen Umständen. Außerdem geht die Natur- und Klimakrise leider unvermindert weiter.

Wenn wir etwas für die Ernährungssicherheit tun wollten, sollten wir die Tierhaltung und das Thema Biokraftstoffe in den Blick nehmen. Wenn wir nicht mit der Wiederherstellung von Ökosystemen beginnen, schlägt die Klima- und Naturkrise noch härter zu und gefährdet die Ernährungssicherheit durch Bodenerosion (Europe.Table berichtete), fehlende Bestäuber und anderes mehr.

Renaturierungsmaßnahmen werden verbindlich

Zum Kommissionsvorschlag: Bereits bis 2020 sollten eigentlich 15 Prozent der Ökosysteme renaturiert werden. Da die EU-Mitgliedstaaten keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, folgt nun ein verbindlicheres Vorgehen (Europe.Table berichtete). Dass es hierzu kommt, ist sehr zu begrüßen. Der Verordnungsvorschlag stellt die erste größere EU-Gesetzgebung für die Natur seit Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie 1992 dar, sieht man von der auf Gewässer bezogenen Wasserrahmenrichtlinie und der speziellen Invasiven-Arten-Verordnung ab.

Inhaltlich besteht an verschiedenen Stellen des Vorschlags Nachbesserungsbedarf. So erfuhren gerade die für die Agrarlandschaft und für Moore vorgesehenen Maßnahmen auf den letzten Metern Abschwächungen. Auch lässt die Vollzugsfähigkeit noch zu wünschen übrig.

Nachschärfungen nötig

Was sieht der Verordnungsvorschlag vor? Zunächst ist in Artikel 1, Absatz 2 ein EU-weites Ziel enthalten, wonach Renaturierungsmaßnahmen bis 2030 auf 20 Prozent der Fläche erfolgen sollen (Europe.Table berichtete). Dieses Ziel ist aber nicht vollzugsscharf formuliert. Sodann folgen in den Artikeln 4 bis 10 zeitgebundene Unterziele mit Renaturierungsvorgaben für verschiedene Ökosystemen für die Jahre 2030, 2040 und 2050. Diese sind teils flächenbezogen, teils maßnahmenbezogen formuliert.

Von der Wirkung her ist sicherlich das für terrestrische natürliche Ökosysteme geltende Unterziel mit am relevantesten. Bezüglich des Unterziels für marine Ökosysteme sollte im Gesetzgebungsverfahren klargestellt werden, dass die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen trotz der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU durchgeführt werden können. Die Vorgabe, eine bestimmte Anzahl an Flusskilometern zu renaturieren, ist unklar formuliert.

Die unter dem Artikel für die Agrarlandschaft vorgesehenen Renaturierungsmaßnahmen bedürfen einer Nachschärfung. Dies gilt für artenreiche Landschaftselemente, für welche die konkrete Prozentzahl gestrichen wurde. Maßgeblich sein sollte die in der EU-Biodiversitätsstrategie enthaltene Vorgabe von 10 Prozent auf regionaler Ebene. Das Ziel zur Moor-Renaturierung umfasst schon nicht alle früheren Moor-Flächen. Kritisch ist zudem vor allem die Alternativregelung für den Torfabbau, welche die Vorgaben insgesamt leerlaufen lassen könnte.

Das letzte Unterziel bezieht sich auf Waldökosysteme, und enthält Vorgaben einer guten fachlichen Praxis – nicht des Schutzes -, zum Beispiel durch einen bestimmten Totholzanteil. Umgesetzt werden sollen die Vorgaben durch einen nationalen Renaturierungsplan. Diesbezüglich muss Deutschland Fehler aus der Natura-2000-Umsetzung vermeiden und von vornherein eine effektivere Steuerung auf Bundesebene anstreben – unter anderem kann das geplante Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz passende Förderinstrumente bereitstellen.

Vorarbeiten zur Umsetzung sollten zeitnah starten. Selbst wenn erst in ein bis zwei Jahren mit Inkrafttreten der dann unmittelbar geltenden EU-Verordnung zu rechnen ist und die finalen Details erst hiernach feststehen, Grundfragen lassen sich bereits jetzt klären.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Umweltrat: Mühsame Suche nach Kompromiss
    • “Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus”
    • Nato-Streit mit Türkei gelöst – Weg frei für Beitrittsgespräche
    • G7: China soll Druck auf Russland erhöhen
    • Melnyk: “Taxonomie favorisiert russisches Gas”
    • Kreml: Gazprom könnte bei Gas-Preisobergrenze Verträge ändern
    • Polen: EU-Ziele für Getreideexport aus Ukraine unrealistisch
    • CER-Richtlinie: Einigung im Trilog
    • Luxemburgische Datenschutzaufsicht führt Zertifizierung GDPR-CARPA ein
    • Vorläufiger Deal: Schneller Zugriff für Ermittler auf Digital-Beweise
    • Schottland: Erneutes Referendum über Unabhängigkeit
    • Bundesregierung macht bei Ceta Tempo
    • Renaturierungsgesetz: positiver Impuls im Green Deal
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    aus dem bayerischen Elmau, wo gestern der G7-Gipfel mit einem dringenden Appell an China endete, Russland zur Beendigung der Invasion in der Ukraine zu bewegen, geht es jetzt direkt ins spanische Madrid zum Nato-Gipfel. Dort auf dem Speiseplan: “Russischer Salat”. Der Name des Gerichts aus Erbsen, Kartoffeln, Karotten und Mayonnaise sorgte dann doch etwas für Verwunderung unter den Teilnehmenden – ist Russland doch der allgemeine Feind auf diesem Gipfel. Das Zusammentreffen an sich startete gestern Abend dafür gleich mit einer wichtigen Nachricht: Die Türkei hat ihren Widerstand gegen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands aufgegeben.

    In Luxemburg diskutierten die EU-Umwelt- und Klimaminister bis spät in die Nacht über ihre gemeinsame Position zu einigen entscheidenden Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets. Nur unter großen Anstrengungen und Kompromissbereitschaft konnte am Ende noch ein sogenannter Package-Deal beschlossen werden. Lukas Scheid ist wachgeblieben und hat die Ergebnisse des Umweltrates analysiert.

    Der Energiecharta-Vertrag wird reformiert. Auf die grundsätzlichen Inhalte haben sich die Vertragsstaaten vergangene Woche geeinigt. Im Interview mit Till Hoppe erklärt Michael De Boeck, Rechtsexperte am College of Europe in Brügge, worin der echte Fortschritt liegt.

    Ihre
    Lisa-Martina Klein
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    Analyse

    Umweltrat: Späte Kompromisse zu Verbrenner-Aus, ETS und CBAM

    Es war von Anfang an keine leichte Aufgabe. Eine einzige allgemeinen Ausrichtung des Umweltrates für fünf teilweise völlig unterschiedliche Gesetzesvorschläge des Fit-for-55-Pakets – am Ende steht nun die Position der 27 Mitgliedstaaten. Damit können die Trilogverhandlungen mit dem EU-Parlament unter der anstehenden tschechischen Ratspräsidentschaft beginnen.

    Verbrenner-Aus 2035 beschlossen

    Schwer gerungen wurde bis zum Schluss bei der Verschärfung der Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Doch die Einigung beinhaltet nun tatsächlich, dass ab 2035 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zugelassen werden dürfen. Allerdings soll die Kommission 2026 überprüfen, ob auch Plug-in-Hybride oder E-Fuels zu den Zielerreichungen beitragen könnten. Voraussetzung dafür ist, dass diese keine Treibhausgase emittieren, was bislang technologisch nicht möglich ist.

    Mit der Position des Rates steht dem Verbrenner-Aus trotz noch bevorstehendem Trilog nichts mehr im Weg, da sich auch das Parlament für das Ausstiegsdatum ausgesprochen hatte (Europe.Table berichtete).

    Beinahe Koalitionsstreit über Verbrenner-Aus

    Lange sah es am Dienstag nicht nach einer Einigung auf ein Ende des Verbrennungsmotors für Pkw aus, auch weil die deutsche Bundesregierung nicht recht auf einen Nenner kommen wollte. Umweltministerin Steffi Lemke und Finanzminister Christian Lindner machten im Laufe des Tages unterschiedliche Aussagen zur gemeinsamen Position Deutschlands. Kurzzeitig sah es sogar nach einem handfesten und vor allem öffentlichen Koalitionsstreit aus.

    Zum Schluss intervenierte Bundeskanzler Olaf Scholz aus der Ferne und erklärte noch beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau, man wolle möglich machen, dass 2035 Autos etwa mit E-Fuels zugelassen würden (Europe.Table berichtete). Kurz darauf kündigte ein Regierungssprecher an, dass die Bundesregierung dem Kompromiss beim Treffen der EU-Umweltminister in Luxemburg zustimmen werde – allerdings mit einer etwas kryptischen Begründung.

    Der Sprecher erklärte, dass die EU-Kommission zugesagt habe, außerhalb der Flottengrenzwerte einen Vorschlag zu unterbreiten, wie auch nach 2035 Fahrzeuge zugelassen werden könnten, die ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden. Das beziehe sich nach dem gemeinsamen Verständnis der Bundesregierung auch auf Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Die Flottengrenzwerte gelten allerdings für eben jene Pkw und leichte Nutzfahrzeuge, weshalb noch immer nicht klar ist, inwiefern aus Sicht der Bundesregierung E-Fuels auch nach 2035 noch eine Rolle spielen sollten.

    Habeck setzt sich bei ETS und CBAM durch

    Ein deutscher Kompromissvorschlag zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) erfuhr viel Zuspruch und wurde schließlich übernommen. Allerdings sieht er eine langsamere Abschmelzung der kostenlosen Zertifikate als Schutz vor Carbon Leakage vor als von der Kommission vorgesehen.

    So sollen die Freizuteilungen zwischen 2026 und 2028 um jährlich 5 Prozentpunkte reduziert werden, 2029 und 2030 um 7,5 Prozentpunkte, 2031 und 2032 um 10 Prozentpunkte, 2033 und 2034 um 15 Prozentpunkte und 2035 um 20 Prozentpunkte. 2036 gäbe es folglich keine kostenlosen Zertifikate mehr. Zunächst soll der CBAM nur den Stromsektor und die Industriesektoren Zement, Eisen und Stahl, Aluminium und Düngemittel umfassen (Europe.Table berichtete).

    Deutschland hatte sich zudem für eine Änderung der Benchmarks für Industrieanlagen bei den Freizuteilungen ein- und schlussendlich durchgesetzt. Die Benchmarks sind die Berechnungsgrundlage für die Menge an Freizuteilungen für die jeweiligen Industrien. Sie beruhen auf der Treibhausgasemissionsintensität eines Produkts (THG-Emissionen in Tonnen pro Tonne des hergestellten Produkts). Die Benchmarks sollen so die Leistung der besten 10 Prozent der unter das ETS fallenden Anlagen, die das Produkt herstellen, widerspiegeln.

    Das bedeutet, durch den Einsatz klimafreundlicher Technologien steigt die Benchmark und Anlagenbetreiber erhalten auf diese Weise Anreize, diese einzusetzen – so die Idee. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte sich jedoch dafür ausgesprochen, Benchmarks in den Jahren 2026 bis 2030 nicht mehr anzuheben. Der Grund: Setzt ein Unternehmen an einem Standort eine klimafreundlichere Technik um, verteuert sie den Betrieb ihrer anderen noch zu ersetzenden älteren Anlagen. Dies schafft laut Habeck einen Negativanreiz und hat seine Amtskollegen offenbar überzeugt.

    Der Rat hat sich außerdem darauf geeinigt, die Emissionen des Seeverkehrs in den Geltungsbereich des ETS aufzunehmen sowie die schrittweise Abschaffung der Freizuteilung für den Luftverkehr bis 2027.

    Klimasozialfonds und Volatilitätsmechanismus sorgten für Streit

    Die Einführung eines zweiten Emissionshandels für Gebäudeheizung und Straßenverkehr (ETS 2) war ebenfalls Teil des Package-Deals der Franzosen und wird damit auch von den Mitgliedstaaten unterstützt (Europe.Table berichtete). Heftig gestritten wurde allerdings über den sozialen Ausgleich durch die entstehenden Mehrkosten des ETS 2. Der Umfang des sozialen Klimafonds wurde von der Kommission mit über 72 Milliarden Euro beziffert. Zu viel für einige reichere Mitgliedstaaten.

    Der Kompromissvorschlag der Franzosen belief sich schließlich auf 59 Milliarden, aber auch das Entgegenkommen reichte unter anderem Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Schweden nicht. Habeck versuchte noch den Umfang des Fonds auf 48,5 Milliarden zu drücken. Allerdings ohne Erfolg – es blieb bei den 59 Milliarden.

    Gestritten wurde auch über einen Volatilitätsmechanismus des ETS, der Preissprünge verhindern soll. Artikel 29a gibt Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Zertifikate aus der Markstabilitätsreserve zu verkaufen, wenn deren Preis in mehr als sechs aufeinander folgenden Monaten dreimal so hoch wie der Durchschnittspreis in den beiden vorangegangenen Jahren ist.

    Einigen Ländern, die besonders unter den Preissteigerungen litten, wollten früher und stärker greifende Instrumente. Reichere Mitgliedstaaten – darunter auch Deutschland – lehnten das zwar entschieden ab, stimmten dem Kompromiss der Franzosen aber schlussendlich zu. Dieser sieht nun vor, dass 29a beim 2,5-fachen Durchschnittspreis bereits greifen soll und 75 Millionen CO2-Zertifikate aus der Marktstabilitätsreserve freigibt.

    Einigung auch bei ESR und LULUCF

    Weniger kontrovers, aber ebenfalls Teil des Pakets: Die Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Reguation – ESR) sowie Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF). Bei der ESR einigten sich die Mitgliedstaaten auf ein EU-weites Ziel zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zu 2005 für die Sektoren, die nicht unter das ETS fallen. Für LULUCF bestätigte der Rat ein Gesamtziel von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent für den Nettoabbau im LULUCF-Sektor im Jahr 2030.

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    “Wer einmal drin ist, kommt nicht mehr raus”

    Herr De Boeck, was ist die Modernisierung des Energiecharta-Vertrags für Sie: Stückwerk oder echte Reform?

    Wir müssen den endgültigen Rechtstext abwarten. Aber nach dem, was wir wissen, ist es zumindest in einer Hinsicht eine echte Reform: Es wird bestätigt, dass die EU-interne Anwendung der Streitbeilegungsbestimmung in Artikel 26 des ECT gestrichen wird. Dafür hat die Kommission sehr lange gekämpft, und der Europäische Gerichtshof hat dies als absolut entscheidend erachtet.

    Wie wichtig sind diese Streitigkeiten zwischen einem europäischen Investor und einem anderen Mitgliedstaat?

    Äußerst wichtig. Die Statistiken sind etwas unzuverlässig wegen der Vertraulichkeit von ISDS-Verhandlungen, aber der Energiecharta-Vertrag ist eines der am häufigsten genutzten Vehikel für Investoren. Etwa 50 Prozent aller Fälle innerhalb der EU gehen auf diesen zurück. Das Achmea-Urteil des EuGH im Jahr 2018 hat auch deshalb unter Praktikern in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit wie eine Bombe eingeschlagen, weil es einen großen Teil ihres Geschäfts infrage stellte.

    In dem Urteil entschied der EuGH, dass die Schiedsklausel im bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen den Niederlanden und der Slowakei nicht mit dem EU-Recht vereinbar sei.

    Dennoch wurde das Urteil von allen bisherigen Investitionsgerichten infrage gestellt, bis auf eines vor kurzem.

    Warum das?

    Die Tribunale berufen sich bei ihrer Zuständigkeit auf internationales Recht. Man muss zwischen der Gültigkeit eines internationalen Vertrages und seiner Vereinbarkeit mit EU-Recht unterscheiden. Ersteres hängt davon ab, ob er gemäß internationalem Recht abgeschlossen wurde. Der zweite Begriff ist, ob dieser Vertrag mit dem EU-Primärrecht in Einklang steht. Der EuGH entschied im Fall Achmea, dass besondere Erwägungen gelten, wenn die EU oder die Mitgliedstaaten einen Vertrag mit Bestimmungen zur Streitbeilegung schließen: Wenn der Streit sich um die Interpretation von EU-Recht dreht, ist nur der EuGH zuständig. Es sei denn, es sind einige sehr strenge Bedingungen erfüllt. Die internationalen Investitionsgerichte haben die gerichtliche Zuständigkeit jedoch stets aus der Perspektive des Völkerrechts betrachtet. Alle Argumente des EuGH zur Vereinbarkeit mit EU-Recht sind aus ihrer Sicht hier nicht relevant.

    Energiecharta-Vertrag: Verhandlungen die einzige Lösung

    Weil diese Sicht gut zu ihren Geschäftsinteressen passt?

    Ich selbst glaube nicht, dass die Rechtsprechung des EuGH Auswirkungen auf die internationale Gültigkeit eines Vertrags hat – das sind zwei grundverschiedene Dinge. Aber das bringt uns in eine sehr schwierige Lage. Denn der Vertrag über die Energiecharta bindet die Parteien – wenn man einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus. Man kann auch kein anderes Vertragsrecht anwenden, um den Energiecharta-Vertrag zu umgehen. Der berüchtigte Artikel 16 besagt, dass man stets die für den Investor vorteilhafteste Regel anwenden muss. Die einzige Lösung scheint darin zu bestehen, weiter mit den anderen Parteien zu verhandeln, um eine Änderung des Vertrags zu erreichen.

    Aktivisten und einige Mitgliedstaaten fordern, aus dem Energiecharta-Vertrag auszutreten.

    Die Ausstiegsklausel ist eindeutig: Wenn man aussteigt, ist man für weitere 20 Jahre gebunden. Das ist eindeutig. Einige behaupten, die EU-Mitgliedstaaten könnten stattdessen einen speziellen Vertrag untereinander schließen. Aber das halte ich nicht für machbar – Artikel 16 des Vertrags über die Energiecharta verbietet das. Für eine Änderung des bestehenden Vertrags wäre wiederum die Zustimmung eines Quorums der Vertragspartner erforderlich, die sie nicht erhalten werden, selbst wenn alle EU-Mitgliedstaaten dafür stimmen. Deshalb ist der einzige vernünftige Weg, rechtlich gesehen, die Neuverhandlung im Rahmen der ECT-Ministerkonferenz.

    Was die EU in den Verhandlungen erreicht hat, ist das Recht, bereits getätigte Investitionen in fossile Energien nach einer zehnjährigen Übergangsfrist aus dem Schutz der Energiecharta auszuschließen. Umweltschützer kritisieren, das sei zu wenig und zu spät.

    Das bedeutet aber eine Beschleunigung um zehn Jahre im Vergleich zu einem Ausstieg, der die Verfallsklausel auslösen würde. Ich halte das für positiv.

    Die meisten Bedenken zerstreuen

    Die Modernisierung des Vertrags klärt auch einige Punkte, die den Handlungsspielraum der Regierungen gegenüber Investoren in ihrer Energiepolitik betreffen. Wie beurteilen Sie das?

    Die neue Generation der von der EU abgeschlossenen Freihandels- und Investitionsabkommen enthält bereits qualifiziertere Investitionsschutzstandards, um den Regulierungsspielraum der Staaten zu schützen. Wenn die Bestimmungen im modernisierten Energiecharta-Vertrag gut formuliert sind, könnten sie die meisten Bedenken zerstreuen. Doch dafür müssen wir den finalen Rechtstext abwarten.

    Es gibt viele kritische Stimmen.

    Für einige Umweltschutz-Aktivisten und Kommentatoren wird eine Reform nie ausreichen. Für sie geht bereits der Schutz von Investoren durch internationales Recht zu weit. Ich denke, wir müssen ein Gleichgewicht finden: Investitionen durch ein stabiles Investitionsklima fördern, dem Verhalten des Staates, der auch nicht immer ein Engel ist, gewisse Grenzen setzen und zugleich deutlich machen, dass Investitionsschutz kein Freibrief für soziale oder Umweltvergehen ist.

    Und dieses Gleichgewicht wurde bei der Neuverhandlung des Energiecharta-Vertrages erreicht?

    Es ist schwierig, das auf der Grundlage der grundsätzlichen Vereinbarung zu sagen. Wir müssen den finalen Text abwarten. Die Modernisierung des ECT und die konkreteren Investitionsschutzstandards in den neuen Handelsabkommen sind aber sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

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    Nato: Türkei ebnet Weg für Schweden und Finnland

    Die Türkei hat ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato aufgegeben. Ankara werde während des Nato-Gipfels in Madrid die Einladung an die beiden nordischen Länder unterstützen, Bündnismitglied zu werden, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö mit. Ein entsprechendes Memorandum sei nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von den Außenministern der drei Länder unterschrieben worden.

    Das gemeinsame Memorandum unterstreiche die Verpflichtung Finnlands, Schwedens und der Türkei, ihre volle Unterstützung gegen die Bedrohung der Sicherheit des jeweils anderen Landes zu gewährleisten, hieß es in der Mitteilung des finnischen Präsidenten. Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehören dazu weitere Rechtsänderungen, ein hartes Vorgehen gegen PKK-Aktivitäten und der Abschluss eines Auslieferungsabkommens mit der Türkei.

    Schweden und Finnland hoffen auf schnellen Nato-Beitritt

    Finnland und Schweden sind bislang keine Nato-Mitglieder, aber enge Partner des Verteidigungsbündnisses. Russlands Einmarsch in die Ukraine löste jedoch in den beiden militärisch bisher bündnisfreien Ländern intensive Debatten über eine solche Mitgliedschaft aus. Am 18. Mai beantragten sie jeweils die Aufnahme in die Nato – in der Hoffnung, das Prozedere bis zum letztlichen Beitritt möglichst schnell durchlaufen zu können.

    Die Nato hatte am Montag bereits angekündigt, die schnelle Eingreiftruppe von 40.000 Soldaten auf weit über 300.000 aufzustocken. Deutschland wird sich laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit 15.000 Soldaten beteiligen. Zudem werde die Bundesrepublik etwa 35 Flugzeuge und 20 Schiffe beitragen. Lambrecht gab zudem bekannt, dass Deutschland drei weitere Panzerhaubitzen an die Ukraine liefern werde. dpa/rtr

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    G7: China soll Druck auf Russland erhöhen

    Die G7-Staaten haben China aufgerufen, Russland zum Ende seiner Invasion in der Ukraine zu drängen. China solle Druck auf Russland ausüben, die Truppen unverzüglich und ohne Bedingungen aus der Ukraine abzuziehen, so die G7. Im Abschlussdokument des dreitägigen Gipfels äußerten sich die G7-Staaten zudem besorgt über die Lage im Ost- und Südchinesischen Meer und sprachen sich gegen einseitige Versuche aus, den Status quo mit Gewalt oder Zwang zu verändern. Die Abschlusserklärung des G7-Gipfels enthielt dieses Mal fast eine ganze Seite nur zur Chinapolitik.

    Über die Menschenrechtslage in China drückten die G7-Staaten besondere Besorgnis aus. China müsse die universellen Menschenrechte achten und die Grundfreiheiten garantieren – auch in Tibet und Xinjiang. Die G7-Länder wollen demnach gemeinsam stärker gegen Zwangsarbeit in China vorgehen. So sollen Produkte, die mit Zwangsarbeit hergestellt wurden, von den globalen Lieferketten ausgeschlossen werden. Dieser Vorgang ist vor allem an die Adresse Chinas gerichtet, das in der Provinz Xinjiang in großem Stil Zwangsarbeit durchsetze, heißt es in einem auf der Webseite des Weißen Hauses veröffentlichten Factsheet. Auch seien sich die G7 einig, geschlossen gegen unfaire Wirtschaftspraktiken der Volksrepublik vorzugehen, heißt es in dem Dokument.

    Abhängigkeiten von China reduzieren

    Mit Blick auf Chinas protektionistische Wirtschaftspolitik beklagen die G7 nicht-transparente und Markt-verzerrende Maßnahmen der Volksrepublik. Die sieben großen Industrienationen haben vereinbart, sich darüber weiterhin auszutauschen und auch außerhalb des G7-Forums gemeinsame Gegenmaßnahmen zu entwickeln. Man wolle ökonomische Abhängigkeiten von China reduzieren und sich gegen ökonomische Zwangsmaßnahmen wappnen, so das Abschlussdokument. Die EU-Staaten arbeiten derzeit an einem Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang (China.Table berichtete).

    Mit Blick auf die Lage in Hongkong fordern die G7 China auf, die in der Gemeinsamen Chinesisch-Britischen Erklärung und dem Basic Law eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen und die dort festgehaltenen Rechte, Freiheiten und Autonomie Hongkongs zu gewährleisten. Notwendig sei es, mit China bei gemeinsamen globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust an Artenvielfalt zu kooperieren. nib/fpe/rtr

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    Melnyk: “Taxonomie favorisiert russisches Gas”

    Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat das Europäische Parlament aufgefordert, den zweiten Delegierten Rechtsakt der EU-Taxonomie abzulehnen. Kurz vor der finalen Abstimmung des Parlaments über den Rechtsakt wandte sich Melnyk mit einem Brief an die deutsche Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) und bezog sich auf die “sicherheitspolitische Bedeutung” des Votums.

    Russland erziele laut Melnyk “erhebliche Einnahmen durch den Verkauf von Erdgas an die Europäische Union.” Der vorliegende Taxonomie-Vorschlag der EU-Kommission würde den Bau von Gaskraftwerken fördern, während LNG-Terminals als nicht förderfähig gelten – russisches Erdgas würde dementsprechend “klar favorisiert”. Dies wäre inmitten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein “fatales Signal”, heißt es in dem Brief.

    Entscheidung über Erdgas in der EU-Taxonomie nächste Woche

    In der kommenden Woche entscheidet das Parlament bei seiner Sitzung in Straßburg, ob durch einen Delegierten Rechtsakt Erdgas- und Atomkraftprojekte in die Taxonomie aufgenommen werden und dadurch als nachhaltig gelabelt werden. Grüne und sozialdemokratische Abgeordnete hatten Einspruch eingelegt. Der Umwelt- und der Wirtschaftsausschuss stimmten Mitte Juni bereits für den Einspruch (Europe.Table berichtete). Ob auch das Plenum das Veto unterstützen wird, ist trotz eines großen überparteilichen Bündnisses gegen den Rechtsakt unsicher. leo

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    Kreml: Gazprom könnte bei Gas-Preisobergrenze Verträge ändern

    Russland droht mit einer Änderung der Gas-Lieferverträge durch den Energiekonzern Gazprom bei der Einführung einer Preisobergrenze für russisches Gas. “Es hängt von der Richtung ab, von der Entscheidung, die Gazprom trifft. Wahrscheinlich wird die Frage aufgeworfen, ob die Bedingungen bestehender Verträge oder der Preis geändert werden sollen”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag.

    Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten hatten sich zuvor darauf geeinigt, mögliche Preisobergrenzen für russisches Öl und Gas zu prüfen (Europe.Table berichtete). Damit sollten die Möglichkeiten der russischen Regierung zu Finanzierung ihrer Invasion in der Ukraine eingeschränkt werden.

    Peskow ging nicht näher darauf ein, ob es sich bei den Änderungen um eine Anpassung der Verträge an die vorgeschlagenen Obergrenzen oder um eine vollständige Überarbeitung der Vertragsbedingungen handeln könnte. Gazprom war zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen, ebenso nicht das Finanzministerium. Auf die Frage, wie sich die G7-Vorschläge zur Deckelung der Preise auf den Staatshaushalt auswirken könnten, sagte Peskow: “Wir wissen noch nicht, worum es sich handelt.”

    Stopp russischer Gas-Lieferungen: Folgen für Deutschland

    Obwohl Russland angesichts explodierender Energiepreise mehr verdient als vor der Invasion in der Ukraine, erwartet das Land für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts, da es die soziale Unterstützung und die der Wirtschaft zum Ausgleich der Sanktionen erhöht. Nach Einschätzung von Natalia Orlova, Chefvolkswirtin bei der Alfa Bank, benötigt Russland selbst bei diesem geplanten Haushaltsdefizit in diesem Jahr einen Ölpreis von 100 Dollar pro Barrel, um seinen Haushalt auszugleichen.

    Mehreren Studien zufolge wäre Deutschland von einem abrupten Stopp russischer Gaslieferung besonders stark betroffen. Das könnte 12,7 Prozent der Wirtschaftsleistung kosten, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Prognos-Studie für die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hervorgeht. Einer ZEW-Studie zufolge verlieren in Europa vor allem Deutschland und die Niederlande an Wettbewerbsfähigkeit – wegen besonders stark gestiegener Strompreise. Frankreich, die Schweiz, die USA und Japan sind deutlich weniger stark betroffen. Allerdings hat laut den führenden Forschungsinstituten die Gefahr einer Versorgungslücke mit Erdgas im Falle ausbleibender Lieferungen zuletzt abgenommen. rtr

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    Polen: EU-Ziele für Getreideexport aus Ukraine unrealistisch

    Die Ziele der Europäischen Union zum Export von 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine bis Ende Juli sind nach polnischer Einschätzung unrealistisch. Der Grund dafür sei, dass es zu wenig Fortschritt bei der Lösung von Logistikproblemen gebe (Europe.Table berichtete), sagte der polnische Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters.

    “Hätten wir Mitte Mai angefangen, wäre es immer noch schwierig gewesen, aber wir wären dem Ziel näher.” Kowalczyk kritisierte insbesondere, dass die EU Polen zu wenig mit Ausrüstung wie Silos oder Containern helfe. Bei der EU-Kommission war zunächst niemand für eine Stellungnahme zu erreichen.

    Polen verfügt über eine lange Landgrenze zur Ukraine. In dem Land lagern große Mengen Getreide, die wegen der russischen Blockade im Schwarzen Meer nicht exportiert werden können. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den Landtransport zu erleichtern (Europe.Table berichtete). Allerdings kann über Land nur ein Bruchteil der Mengen transportiert werden, die sonst per Schiff die Ukraine verlassen.

    Erschwert wird das unter anderem durch unterschiedliche Spurbreiten bei Zügen in der EU und in dem osteuropäischen Land. Das Getreide soll an der Grenze oder an einer ukrainischen Strecke, die sich 400 Kilometer weit nach Polen erstreckt, in mobile Silos umgeladen und dann über europäische Züge nach Westen transportiert werden.

    Draghi: Getreide-Exporte aus der Ukraine über den Seeweg

    Italiens Ministerpräsident Mario Draghi erklärte derweil am Dienstag beim G7-Treffen, dass die Getreideexporte aus der Ukraine möglicherweise bald wieder auf dem Seeweg aufgenommen werden könnten. So könnten die Engpässe gelindert werden, von denen vor allem die armen Länder betroffen sind (Europe.Table berichtete).

    Zum Abschluss des G7-Treffens sagte Draghi, dass die Minen in den ukrainischen Häfen nicht vollständig geräumt werden müssten und dass es “Korridore” gäbe, die den Betrieb von Frachtschiffen ermöglichen könnten. Für die Wiederaufnahme der Exporte sei ein endgültiges grünes Licht des Kremls erforderlich, und das “sollte bald kommen”, sagte Draghi vor Reportern. rtr

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    CER-Richtlinie: Einigung im Trilog

    Die Verhandler von Europäischem Parlament und Rat haben sich am Dienstag bei der Überarbeitung der Richtlinie über kritische Einheiten (CER) im Trilog mit der Kommission geeinigt. Die CER-Richtlinie soll die bisherige Richtlinie über kritische Infrastrukturen von 2008 ersetzen. Die CER ist eng mit der Netzwerk- und Informationssicherheitsrichtlinie (NIS) verwandt, deren Revision unter dem Kürzel NIS2 (Europe.Table berichtete) Mitte Mai von den europäischen Verhandlern beschlossen wurde.

    Mit der CER müssen die Mitgliedstaaten für mehr Sektoren eine Strategie zum Schutz vor Ausfällen entwickeln, außerdem werden Risiko-Folgeabschätzungen für diese verpflichtend. Zudem müssen Mitgliedstaaten künftig – man höre und staune – auch die Durchsetzung ihrer Regeln praktisch ermöglichen und Strafen bei Nichtbefolgung der Vorschriften durch betroffene Unternehmen verhängen. Damit werden die Regeln europaweit auf ein gemeinsames Mindestniveau angehoben.

    Sicherung von Europas Kritischer Infrastruktur sei Top-Priorität

    “Vor dem Hintergrund der Pandemie und Russlands Krieg in der Ukraine ist die Sicherung von Europas Kritischer Infrastruktur zu einer Top-Priorität geworden”, sagte EP-Vizepräsident und -Verhandlungsführer Michal Šimečka (Renew/Slowakei). “Die neue Richtlinie wird die Versorgung mit essenziellen Dienstleistungen sicherstellen, etwa Energie, Transport, Wasser und Gesundheit. Und dabei die Auswirkungen natürlicher und menschengemachter Vorfälle minimieren”, sagte Innenkommissarin Ylva Johansson.

    Umstritten war unter anderem, ab welchen Schwellenwerten Unternehmen als kritisch einzustufen sind. Zudem wurde zwischen den Verhandlern gerungen, wie genau mit Kritischen Infrastrukturen von grenzübergreifender oder gesamteuropäischer Bedeutung umgegangen werden soll. Ebenfalls umstritten war, inwiefern Betreiber und Behörden gleichermaßen für die Risikofolgenabschätzung zuständig sein sollten. Der BDI etwa hatte die CER insgesamt begrüßt, aber auch eine gemeinsame Methodologie für die Folgenabschätzung verlangt. fst

    • Europäisches Parlament

    Luxemburgische Datenschutzaufsicht führt Zertifizierung GDPR-CARPA ein

    In Luxemburg ansässige datenverarbeitende Stellen können sich künftig einem Zertifizierungsmechanismus unterwerfen. Mit diesem soll ihnen eine hochgradig DSGVO-konforme Datenverarbeitung bescheinigt werden.

    Bei einer Konferenz stellte die luxemburgische Datenschutzaufsichtsbehörde Commission nationale pour la protection des données (CNPD) ihren Mechanismus GDPR-CARPA am Dienstag vor. Damit ist die Datenschutzaufsicht des Großherzogtums die erste Aufsichtsbehörde, die eine entsprechende Zertifizierung eingeführt hat. Die Datenschutzgrundverordnung sieht diese Möglichkeit in Artikel 42 ausdrücklich vor. Das Luxemburger Zertifizierungsschema sieht dabei die Erfüllung spezifischer aus der DSGVO erwachsender Pflichten vor, die insgesamt 59 Seiten Vorschriften und Interpretationen umfassen.

    Mit der Zertifizierung soll offenbar vor allem der Bereich der in Luxemburg starken Finanzdienstleistungen angesprochen werden. Diese Branche gilt als besonders in Regulierung und Zertifizierungsmechanismen erfahren. Die CNDP hat laut eigener Darstellung bei der Entwicklung seit 2018 “mit Akteuren aus dem Bereich der Wirtschaftsprüfung” zusammengearbeitet, “um das Interesse und die Art der Zertifizierung unter der DSGVO zu ermitteln, die für das luxemburgische Ökosystem von Nutzen sein könnte.”

    DSGVO-konforme Datenverarbeitung – GDPR-CARPA legt vor

    Maßgebliche Standards für die Zertifizierung sind laut CNPD der ISAE 3000-Standard für das Audit-Verfahren, ISCQ1 für die Qualitätskontrolle von Auditstellen und ISO 17065 für Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, deren Rolle in Luxemburg der CNPD selbst zukommt. Das Zertifizierungsschema soll dabei die Anforderungen an ISAE 3000 Typ 2-Berichte erfüllen und damit nahtlos in die Finanzweltstandards integriert werden können.

    Im Februar hatten der Gemeinsame Ausschuss der Europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden von den Luxemburger Kollegen noch Nachbesserungen eingefordert, um einer Zersplitterung der DSGVO-Interpretation vorzubeugen. Im Mai hatte die Luxemburger Datenschutzaufsicht dann den Beschluss gefasst, mit GDPR-CARPA an den Start zu gehen. fst

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    Vorläufiger Deal: Schneller Zugriff für Ermittler auf Digital-Beweise

    Ermittler in der Europäischen Union sollen zur Verfolgung schwerer Straftaten einfacher Zugriff auf E-Mails und Chat-Mitteilungen aus anderen EU-Ländern bekommen. Nach mehr als vier Jahren Verhandlung einigten sich Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten am Dienstag auf Schlüsselelemente für den Zugriff durch Ermittler auf elektronische Beweismittel, wie beide Seiten mitteilten.

    Die noch ausstehenden Punkte sollen in den kommenden Wochen von den Unterhändlern verhandelt werden. Anschließend müssen die EU-Staaten und das Europaparlament die Einigung noch billigen. Die Verhandlungsführerin des Parlaments, Birgit Sippel (SPD), sprach von einem Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz (Europe.Table berichtete): “Erstmals werden nationale Ermittlungsbehörden die Möglichkeit haben, Diensteanbieter in anderen EU-Mitgliedstaaten direkt zur Herausgabe oder Sicherung elektronischer Beweismittel aufzufordern, mit klaren Fristen und EU-weit einheitlichen Regeln.”

    Bislang müssen Ermittler oft lange auf die Herausgabe der Daten warten. In der Zwischenzeit werden wichtige Beweise oft gelöscht. Das Parlament setzte in den Verhandlungen durch, dass bei Anordnungen zu besonders sensiblen Daten wie Verkehrsdaten künftig auch das Land, in dem der Dienst sitzt, über die Anordnung informiert werden muss.

    Voraussetzung dafür ist, dass die gesuchte Person nicht ausschließlich in dem Staat der Anordnung lebt und die Straftat nicht nur dort begangen wurde. Die informierte Behörde kann dann in bestimmten Fällen die Herausgabe der Daten verweigern – etwa dann, wenn es Bedenken mit Blick auf die Grundrechte in dem anfordernden Land gibt, wie Sippel mitteilte.

    Dieses Vorgehen geht auch auf deutsche Bedenken ein. Die damalige Bundesregierung hatte 2018 gegen die Position der EU-Staaten gestimmt, weil dadurch etwa polnische oder ungarische Ermittler ohne Einverständnis der deutschen Behörden bei der Telekom Informationen hätten abfragen können. “Wir wissen, die rechtsstaatlichen Prinzipien werden in der Europäischen Union nicht überall gleichermaßen gewahrt. (…) Wir halten deswegen das Vier-Augen-Prinzip für wichtig”, sagte die damalige Justizministerin Katarina Barley.

    Ein weiterer Teil der Einigung vom Dienstag sieht nach Angaben der französischen EU-Ratspräsidentschaft vor, dass die Diensteanbieter Vertreter benennen müssen, die für die Anfragen der Behörden zuständig sind. dpa

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    Schottland: Erneutes Referendum über Unabhängigkeit

    Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will ihre Landsleute im Herbst des kommenden Jahres erneut darüber abstimmen lassen, ob Schottland ein unabhängiger Staat werden soll. Ein entsprechendes Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich solle am 19. Oktober 2023 stattfinden, kündigte Sturgeon am Dienstag im schottischen Parlament in Edinburgh an. “Die Zeit ist gekommen, um Schottland auf den richtigen Weg zu bringen. Die Zeit für die Unabhängigkeit ist gekommen”, sagte die Politikerin. Sie werde nie zulassen, “dass die schottische Demokratie von Boris Johnson oder einem anderen Premierminister gefangengehalten wird”, erklärte sie.

    Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sagte, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um über ein Referendum über Schottlands Unabhängigkeit zu sprechen. Die Regierung werde den Vorschlag von Sturgeon aber sorgfältig prüfen, sagte sein Sprecher am Dienstag.

    Bei einem Referendum hatte 2014 eine Mehrheit der Schotten (55 Prozent) noch für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt. Das war allerdings vor dem Brexit, den der nördlichste britische Landesteil mit klarer Mehrheit (62 Prozent) abgelehnt hatte. Daher hoffen die Unabhängigkeitsbefürworter, dass sich bei einer erneuten Abstimmung die Verhältnisse ändern.

    Eigentlich ist für eine solche Abstimmung die Zustimmung der britischen Regierung notwendig, was diese bislang ablehnt. Sturgeon will jedoch notfalls die Abstimmung so gestalten, dass sie auch ohne diese Zustimmung auf rechtmäßige Weise abgehalten werden kann. Experten rechnen mit Klagen und rechtlichen Hürden. dpa/rtr

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    Bundesregierung macht bei Ceta Tempo

    Die Bundesregierung will das Gesetz zur Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada nach der politischen Einigung nun schnell in den Bundestag einbringen (Europe.Table berichtete). Der entsprechende Gesetzesentwurf wurde gestern in die Ressortabstimmung gegeben und soll voraussichtlich am Freitag vom Kabinett beschlossen werden.

    Die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP hatten sich vergangene Woche darauf verständigt, unter welchen Bedingungen Deutschland das seit 2017 vorläufig angewandte Ceta-Abkommen ratifizieren kann. Dazu zählt, die Bestimmungen insbesondere zum Investitionsschutz noch einmal zu präzisieren, ohne das Abkommen aufschnüren zu müssen.

    Die EU-Kommission soll dazu mit Kanada im Gemeinsamen Ceta-Ausschuss die materiell-rechtlichen Investitionsschutzstandards konkretisieren, um ein Aushebeln des staatlichen Regulierungshandelns etwa beim Klimaschutz zu verhindern. Die vereinbarten Standards würden dann auch das Schiedsgericht binden, das in Streitfällen entscheidet. Hierzu habe man “erste positive Signale von Kanada erhalten”, hieß es in Regierungskreisen.

    Ceta-Abkommen: Deutschland hofft auf EU-Unterstützung

    Die Koalition erhofft sich von der Initiative auch neue Dynamik in der EU-Handelspolitik. Derzeit haben nur 15 der 27 Mitgliedstaaten Ceta ratifiziert, andere Abkommen etwa mit den Mercosur-Staaten warten noch auf die Zustimmung von Rat und Europaparlament.

    Neben dem Ceta-Ratifizierungsgesetz enthält das Koalitionspaket zwei weitere Bestandteile: die Unterstützung des Kommissionsvorstoßes, die Nachhaltigkeitskapitel von Handelsabkommen mit schärferen Sanktionsmöglichkeiten zu versehen; und eine Positionierung zur Modernisierung des Energiecharta-Vertrages (Europe.Table berichtete), die allerdings noch nicht abgeschlossen ist. tho

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    Presseschau

    Koalition einigt sich auf gemeinsame Position zum Verbrenner-Aus ZEIT
    G7 unterstützen Scholz-Idee eines internationalen Klimaclubs FAZ
    G7 wollen Preisdeckel für russisches Öl durchsetzen NTV
    EU einigt sich auf schärfere Sicherheitsregeln gegen Cyberangriffe ZEIT
    Machtkampf im All: Satelliten-Internet soll “strategisches Instrument” der EU werden HANDELSBLATT
    Illegale Pushbacks in Griechenland: EU und Bundesregierung drängen auf Aufklärung TAGESSCHAU
    EU-Parlament will mehr umstrittene “nachhaltige” Kraftstoffe im Flugverkehr EURACTIV
    Schadstoffe und Umwelteinflüsse verursachen jeden zehnten Krebsfall in Europa SPIEGEL

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    Renaturierungsgesetz: positiver Impuls im Green Deal

    Von Raphael Weyland
    Dr. Raphael Weyland ist Büroleiter des Nabu in Brüssel. Im Standpunkt schreibt er über Renaturierungsmaßnahmen der EU.
    Dr. Raphael Weyland ist Büroleiter des Nabu in Brüssel.

    Der Vorschlag für das nature restoration law war ursprünglich bereits für vergangenen November vorgesehen, wurde aber aufgrund des Drucks unter anderem der Landnutzerlobby mehrfach verschoben. Dabei ist das Argument, dass wir uns in Zeiten des Angriffs auf die Ukraine keinen Umweltschutz leisten können, mehrfach falsch. Schon rein zeitlich ändert ein Vorschlag, der noch das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen muss, nichts an den aktuellen Umständen. Außerdem geht die Natur- und Klimakrise leider unvermindert weiter.

    Wenn wir etwas für die Ernährungssicherheit tun wollten, sollten wir die Tierhaltung und das Thema Biokraftstoffe in den Blick nehmen. Wenn wir nicht mit der Wiederherstellung von Ökosystemen beginnen, schlägt die Klima- und Naturkrise noch härter zu und gefährdet die Ernährungssicherheit durch Bodenerosion (Europe.Table berichtete), fehlende Bestäuber und anderes mehr.

    Renaturierungsmaßnahmen werden verbindlich

    Zum Kommissionsvorschlag: Bereits bis 2020 sollten eigentlich 15 Prozent der Ökosysteme renaturiert werden. Da die EU-Mitgliedstaaten keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, folgt nun ein verbindlicheres Vorgehen (Europe.Table berichtete). Dass es hierzu kommt, ist sehr zu begrüßen. Der Verordnungsvorschlag stellt die erste größere EU-Gesetzgebung für die Natur seit Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie 1992 dar, sieht man von der auf Gewässer bezogenen Wasserrahmenrichtlinie und der speziellen Invasiven-Arten-Verordnung ab.

    Inhaltlich besteht an verschiedenen Stellen des Vorschlags Nachbesserungsbedarf. So erfuhren gerade die für die Agrarlandschaft und für Moore vorgesehenen Maßnahmen auf den letzten Metern Abschwächungen. Auch lässt die Vollzugsfähigkeit noch zu wünschen übrig.

    Nachschärfungen nötig

    Was sieht der Verordnungsvorschlag vor? Zunächst ist in Artikel 1, Absatz 2 ein EU-weites Ziel enthalten, wonach Renaturierungsmaßnahmen bis 2030 auf 20 Prozent der Fläche erfolgen sollen (Europe.Table berichtete). Dieses Ziel ist aber nicht vollzugsscharf formuliert. Sodann folgen in den Artikeln 4 bis 10 zeitgebundene Unterziele mit Renaturierungsvorgaben für verschiedene Ökosystemen für die Jahre 2030, 2040 und 2050. Diese sind teils flächenbezogen, teils maßnahmenbezogen formuliert.

    Von der Wirkung her ist sicherlich das für terrestrische natürliche Ökosysteme geltende Unterziel mit am relevantesten. Bezüglich des Unterziels für marine Ökosysteme sollte im Gesetzgebungsverfahren klargestellt werden, dass die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen trotz der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU durchgeführt werden können. Die Vorgabe, eine bestimmte Anzahl an Flusskilometern zu renaturieren, ist unklar formuliert.

    Die unter dem Artikel für die Agrarlandschaft vorgesehenen Renaturierungsmaßnahmen bedürfen einer Nachschärfung. Dies gilt für artenreiche Landschaftselemente, für welche die konkrete Prozentzahl gestrichen wurde. Maßgeblich sein sollte die in der EU-Biodiversitätsstrategie enthaltene Vorgabe von 10 Prozent auf regionaler Ebene. Das Ziel zur Moor-Renaturierung umfasst schon nicht alle früheren Moor-Flächen. Kritisch ist zudem vor allem die Alternativregelung für den Torfabbau, welche die Vorgaben insgesamt leerlaufen lassen könnte.

    Das letzte Unterziel bezieht sich auf Waldökosysteme, und enthält Vorgaben einer guten fachlichen Praxis – nicht des Schutzes -, zum Beispiel durch einen bestimmten Totholzanteil. Umgesetzt werden sollen die Vorgaben durch einen nationalen Renaturierungsplan. Diesbezüglich muss Deutschland Fehler aus der Natura-2000-Umsetzung vermeiden und von vornherein eine effektivere Steuerung auf Bundesebene anstreben – unter anderem kann das geplante Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz passende Förderinstrumente bereitstellen.

    Vorarbeiten zur Umsetzung sollten zeitnah starten. Selbst wenn erst in ein bis zwei Jahren mit Inkrafttreten der dann unmittelbar geltenden EU-Verordnung zu rechnen ist und die finalen Details erst hiernach feststehen, Grundfragen lassen sich bereits jetzt klären.

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