ein Bild sagt mehr als tausend Worte – selbst wir Mitglieder der schreibenden Zunft müssen das oft anerkennen. Ganz deutlich wird das bei den Werken des Pekinger Künstlers Brother Nut. Mit kreativen Aktionen wie einem aus Smog gepressten Ziegelstein macht er auf die Umwelt- und Klimaprobleme Chinas aufmerksam. Und erzeugt dabei eindrückliche Bilder, die wohl länger im Gedächtnis bleiben als viele schriftliche Schilderungen der Klima- und Umweltprobleme.
Im Gespräch mit Renxiu Zhao erzählt Brother Nut, dass das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten häufig auf Kosten der Umwelt erreicht wurde. Es raubt den Menschen das Trinkwasser und verseucht den Boden, auf dem die Menschen eigentlich ihr Auskommen erzielen sollten. Verzweiflung ist die Folge. Denn die Opfer der Umweltverschmutzung finden selten Gehör bei den Behörden. Die Öffentlichkeit erfährt häufig nicht von den Problemen in anderen Landesteilen. Doch da die Klimakrise auch alle Chinesinnen und Chinesen betrifft, wird die Regierung bei Umwelt- und Klimaproblemen in Zukunft seltener wegschauen können.
Ins mediale Schaufenster stellen die Behörden hingegen die heroischen Bemühungen zur Erzeugung künstlichen Regens. Der mit Drohnen, Flugzeugen und Raketen herbeigeführte Niederschlag soll zur Bewältigung der Dürre in China beitragen. Unser Team vor Ort hat die Zusammenhänge genau analysiert und stellt fest: Künstlicher Niederschlag wird kein Allheilmittel. Und es drohen neue Konflikte mit den Nachbarstaaten, die um ihre eigene Wasserversorgung bangen.
Chinas riesige Lebensmittelreserven erweisen sich als Geheimwaffe der Kommunistischen Partei gegen Inflation. Sie wurden angelegt, um bei Ernteausfällen die Nahrungsversorgung zu garantieren, und genau diese Funktion erfüllen sie derzeit nach der Rekord-Dürre. Indem die staatlichen Planer in Krisenzeiten das Angebot hoch halten, dämpfen sie auch die Preisschwankungen, analysiert Ning Wang. China besitzt die weltweit größten Vorräte an Agrarprodukten wie Weizen oder Schweinefleisch.
Wenn nun allerdings weltweit Jahr auf Jahr mit trockenem Wetter folgt, dann nützen irgendwann auch die hohen Reserven nichts mehr. Staatschef Xi Jinping hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie bereits eine Lösung vorgeschlagen: Chinas Bürger sollen sparsamer essen. Wer verschwenderisch mit Lebensmitteln umgeht, muss Strafen zahlen. Im Zweifelsfall wird China allerdings wieder auf dem Weltmarkt zukaufen – und treibt damit die Preise in anderen Regionen in die Höhe.
Im Juli starteten Sie in Peking das Projekt “Telephone booth for help”, bei dem Sie eine gewöhnliche Telefonzelle in eine “Hotline” für Betroffene von Umweltverschmutzung in der Stadt Huludao in der Provinz Liaoning verwandelten. Über die Telefonzelle konnten die Betroffenen ihr Leid mit Fremden in Chinas Hauptstadt teilen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
In der Regel werden Problem in China “top-down” gelöst. Es gibt Anlaufstellen wie die 12345-Hotline, die Betroffene mit lokalen Behörden verbindet, und speziellere Kanäle wie die zentrale staatliche Aufsichtsbehörde. Aber wie in vielen Orten der Welt werden Hilferufe absichtlich oder versehentlich ignoriert. Das Problem der Umweltverschmutzung in Huludao, in der Provinz Liaoning, ist jedoch sehr ernst, da es einen großen Teil der Stadtbevölkerung betrifft und schon lange andauert. Die Menschen vor Ort beschweren sich schon seit Jahren bei der Hotline 12345, aber die örtliche Regierung hat das Problem nie ernst genommen. Mit dem “Telephone booth for help” haben wir versucht, die unterdrückten Stimmen dieser kleinen nordöstlichen Stadt in die Parallelwelt der Hauptstadt zu tragen. Der Empfänger hört und fühlt dort die Hilferufe, den Schmerz am anderen Ende der Leitung – und plötzlich ist das Problem nicht mehr weit weg.
Wie war die Reaktion der Öffentlichkeit?
Einige Internetnutzer berichteten, dass die Leute am anderen Ende der Leitung verstört gewesen seien. Etwa, weil ihre Social-Media-Konten eingeschränkt wurden und die Behörden die Verantwortung von sich wiesen. Ein älterer Mann erklärte: “Wir fühlen uns gefangen, wie in einem Käfig”. Unter den Anrufern waren auch junge Eltern, die ihre Türen und Fenster geschlossen halten, weil sie um die Sicherheit ihres vierjährigen Kindes besorgt sind, das häufig Nasenbluten bekommt. Eine Frau wurde von der Polizei zu einem Gespräch vorgeladen, nachdem sie sich bei der Umweltschutzbehörde gemeldet hatte. Den Schmerz, sich nicht äußern zu können, und vergeblich um Hilfe zu flehen, hat mich während dieser Zeit so überwältigt, dass ich selbst aus der Telefonzelle flüchten wollte.
Wurden die zuständigen Behörden in Huludao durch die Aktion auf das Problem aufmerksam und wurde schließlich etwas unternommen?
“Telephone booth for help” wurde auf Weibo rund 30.000 Mal geteilt. Die örtliche Regierung hat innerhalb eines halben Monats zwei Pressekonferenzen abgehalten, und die Unternehmen, die für die Luftverschmutzung verantwortlich sind, haben teilweise ihre Produktion unterbrochen. Die Stadtverwaltung hat mehr als 90 Experten, Sicherheitskräfte und Überwachungsteams aus anderen Regionen nach Huludao bestellt, um Untersuchungen durchzuführen. Allerdings gibt es bisher weder einen konkreten Untersuchungsbericht noch Lösungsansätze. Anwohner und Netizens warten noch immer auf eine ernsthafte und aufrichtige Lösung seitens der Stadtverwaltung.
Wann haben Sie entschieden, sich als Künstler mit Umweltthemen auseinanderzusetzen?
Die Projekte, die ich im Laufe der letzten Jahre verwirklicht habe, drehten sich meist um akute Notlagen. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kosten der Umwelt und die Verlagerung der Umweltverschmutzung von strukturstarken in strukturschwache Gebiete, von der Küste ins Landesinnere, sowie die Altlasten haben zu einer Vielzahl von Krisen geführt. Es gibt beispielsweise Orte, an denen die Wasserverschmutzung Krebserkrankungen bei der örtlichen Bevölkerung und das Sterben von Rindern und Schafen verursacht hat. Solche Probleme müssen dringend gelöst werden. Oftmals muss auch die Trinkwasserqualität sofort verbessert werden. Der Versuch, reale soziale Probleme zu lösen, ist das wesentliche Ziel meiner Projekte.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem Chinas im Umweltschutz?
Das größte Problem ist das Top-Down-Modell in der Umweltpolitik – objektiv gesehen sind Chinas enorme Erfolge beim Umweltschutz der vergangenen Jahre untrennbar mit dieser tatkräftigen Art von Politik verbunden. Allerdings ist bei dieser Art von Umweltpolitik die Kontrollmacht der Öffentlichkeit und der Medien zu sehr eingeschränkt. Laut offiziellen Angaben ist fast ein Fünftel der Ackerfläche Chinas mit Schwermetallen verseucht – ein weitaus gravierendes Problem als Smog, das nur langsam behoben werden kann. Wo genau diese Verschmutzungen konzentriert sind, wird der Öffentlichkeit jedoch oft nicht mitgeteilt. Das Ministerium für Ökologie und Umweltschutz führte im Jahr 2021 eine Untersuchung des Bodenverschmutzungspotenzials von fast 15.000 Unternehmen durch und stellte fest, dass fast 70 Prozent der Unternehmen ein mehr oder weniger großes Verschmutzungspotenzial aufweisen. Welche Unternehmen dies sind, wird jedoch ebenfalls nicht bekannt gegeben. Die Medien und die Öffentlichkeit sind als Kontrollinstanz außen vor.
Warum herrscht so starker Widerstand gegen Umweltschutz-Aktivismus, obwohl er dem Land und der Bevölkerung dient?
In einigen wirtschaftlich schwachen Regionen ist der Umweltschutz nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage. In China leisten wirtschaftlich starke Provinzen in der Regel weitaus bessere Arbeit beim Umweltschutz als wirtschaftlich schwache Regionen und sie sind eher zur Transparenz bereit. Sobald Umweltprobleme aufgedeckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gegen die betroffenen Unternehmen ermittelt wird und dass die zuständigen örtlichen Beamten bestraft werden. Dies führt wiederum dazu, dass die betroffenen Unternehmen und Verwaltungen sehr nervös werden, sobald Verschmutzungsprobleme bekannt werden.
Der Raum für freie Meinungsäußerung wird in China zunehmend eingeschränkt. Eine Bewegung wie Fridays for Future, die sich in großer Zahl auf der Straße versammelt, ist ausgeschlossen. Wie können Umweltschützer in China dennoch etwas bewirken?
Soweit ich weiß, arbeiten viele Nichtregierungsorganisationen in China noch immer im Hintergrund und engagieren sich für zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen wie Aufforstung oder die Überwachung von CO2-Emissionen. Ihre Arbeit ist sehr wichtig. Die in China in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Überschwemmungen, Dürren und hohe Temperaturen, machen die globale Klimakrise für uns nicht länger zu einem abstrakten Konzept. Gleichzeitig hat die Pandemie die Menschen für gesellschaftliche Probleme sensibilisiert. Die Klimakrise betrifft uns alle, das spürt man auch in Großstädte wie Shanghai, Shenzhen und Peking. Dort leben viele junge Menschen, die sich für gesellschaftliche Belange interessieren. Am häufigsten äußern sie sich natürlich auf Weibo, WeChat, Douyin und Bilibili wo sie ihre Unzufriedenheit über die Klimakrise zum Ausdruck bringen und Veränderungen fordern.
Sie bewegen sich mit ihrer Kunst auf einem schmalen Grat. Haben Sie manchmal Angst, dass ihre Arbeit verboten werden könnte?
Diese Gefahr besteht tatsächlich, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was in China und dem, was in Deutschland möglich ist. Ich habe keine Strategie, ich weiß nicht, wie lange ich das alles machen kann. Irgendwann werde ich vielleicht nicht mehr sprechen oder etwas tun können. Während der Kommunikation mit örtlichen Behörden hat mir einmal jemand ins Gesicht gesagt, “Künstler sind alle Abschaum”. Vielleicht sollte ich zwei Papageien diesen Satz beibringen, damit sie ihn bei einer künftigen Ausstellung abwechselnd aufsagen. Laut diesen Leuten habe ich ihnen nur Schwierigkeiten bereitet. Gleichzeitig bin ich ein Künstler, der soziale Probleme löst, und ein Umweltschützer, der sich für die Aufdeckung von Umweltproblemen einsetzt. Vielleicht können sie ihre kulturelle Vielfalt und Toleranz unter Beweis stellen, indem sie jemanden wie mich tolerieren.
Brother Nut 坚果兄弟 (“verrückter Bruder”) ist ein international bekannter Künstler aus Peking, der mit öffentlichen Performances auf Umweltprobleme aufmerksam macht. Sein bekanntestes Werk ist “Project Dust” aus dem Jahr 2015, bei dem er aus Feinstaubpartikeln der stark verschmutzten Pekinger Luft einen Ziegelstein formte.
Mitarbeit: Fabian Peltsch
Die Dürre in großen Teilen Chinas hat apokalyptische Bilder produziert. Die Staatsmedien fanden in den vergangenen Tagen dennoch einen Weg, dem Thema einen positiven Dreh zu verpassen. Immer wieder berichteten sie über die Hightech-Drohnen vom Typ Wing Loong-2H UAV. Bei der chinesischen Eigenentwicklung handelt es sich eigentlich um ein Militärgerät. China hat jedoch einige der unbemannten Flugzeuge umgerüstet, um sie gezielt im Kampf gegen die Dürre einsetzen zu können.
Wie das chinesische Nachrichtenportal Global Times berichtet, hob eine der Wing-Loong-Drohnen am vergangenen Donnerstag in der besonders betroffenen Provinz Sichuan ab, um “Wetteränderungen” vorzunehmen. Während ihres vierstündigen Fluges gab die Drohne demnach 20 Salven mit Silberiodid in die Wolken ab, um so künstlichen Regen zu erzeugen.
Silberiodid trägt mikroskopisch kleine Kondensationskeime in die Wolke, an denen sich Wasser-Moleküle festsetzen und schließlich Tröpfchen bilden. Sind sie groß genug, fallen sie in Form von Regengüssen auf die Erde. Nach Angaben von Staatsmedien gab es seit Anfang August mehr als 90 Flüge in zehn Provinzen, um Wolken mit Silberiodid zu beschießen.
Bei den meisten Operationen waren jedoch keine Drohnen, sondern herkömmliche Flugzeuge im Einsatz. Auch schossen die Spezialisten Tausende Raketen vom Boden ab. Dafür kommen in der Regel umgerüstete Pick-up-Trucks mit Raketenwerfern auf der Ladefläche zum Einsatz. Unter anderem in der ebenfalls schwer von Trockenheit getroffenen Metropole Chongqing soll die Technik dabei geholfen haben, “leichte Regenschauer” zu erzeugen.
China ist inzwischen so etwas wie der unangefochtene Weltmeister im Regenmachen. Doch die Menge künstlich provozierten Niederschlags soll sich drastisch erhöhen. Bis 2035 sollen 5,5 Millionen Quadratkilometer Land künstlich berieselt werden können. Das entspräche mehr als der Hälfte der Landfläche der Volksrepublik. Das Projekt werde dazu beitragen, “Katastrophen wie Dürren und Hagel” zu lindern und auch beim Löschen von Waldbränden helfen.
Ein Wundermittel gegen anhaltende Dürren und Verwüstung ist der künstliche Regen jedoch nicht. Die Konsequenzen des Klimawandels, die China in diesem Sommer mit einer beispiellosen Hitzewelle drastisch vor Augen geführt bekommt, können auch die Silberiodid-Salven allenfalls lindern. Übliche Niederschläge einer Region steigen trotz der chemischen Reaktion höchstens um 20 Prozent. Und Regionen, denen laut der Klimamodelle dauerhafte Dürre prognostiziert wird, ist auch mit Drohnen und Raketen nicht mehr zu helfen.
Andere asiatische Länder blicken derweil zunehmend besorgt auf die künstliche Veränderung der Niederschlagszyklen. Benachbarte Staaten fürchten, dass ihnen dringend benötigte Regenfälle vorenthalten werden könnten. Schließlich regnen sich Wolken schon über chinesischem Staatsgebiet ab, statt auf natürliche Weise in anderen Regionen des Kontinents.
China weist solche Vorwürfe zurück, ohne jedoch Belege vorzulegen, die für Beruhigung sorgen würden. Zugleich gestehen chinesische Wissenschaftler jedoch ein, dass die Technik klare Grenzen hat. Vor einem sicheren Einsatz mit den Regen-Raketen müssen viele Bedingungen erfüllt sein, warnt Forscher Wei Ke vom Institut für Atmosphärenphysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gegenüber der Global Times. Bei zu viel Wind sei ein Einsatz nicht möglich. Auch könne natürlich kein Niederschlag erzeugt werden, wenn am Himmel keine Wolken zu sehen sind.
Das Wetter wird schon lange manipuliert in China. Schon während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking ließ die Regierung Wolken, die sich der Hauptstadt näherten, mit der gleichen Technologie frühzeitig abregnen. Obwohl Regen angesagt war, blieb der Himmel über Peking während der Spiele strahlend blau. Der Ansatz zeigt, dass es nicht nur darum geht, gegen Trockenheit vorzugehen. In der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang lassen die Behörden Wolken bereits seit vielen Jahren abregnen, um Hagelschäden und zu intensive Regengüsse zu verhindern.
Über die Jahre hinweg hat China die technischen Mittel zur Verteilung des Silberiodids stetig erweitert. Nicht nur Drohnen oder Raketenwerfer kommen zum Einsatz. Schon vor einigen Jahren stellten Wissenschaftler ein Verfahren vor, mit dem der Niederschlag auf dem Tibetischen Plateau erhöht werden kann. Die Idee dabei ist es, Zehntausende frei stehende Ofenkammern zu bauen, die permanent Silberiodid in die Luft abgeben. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Seit Wochen plagen Hitzewellen weite Teile Chinas. Die Thermometer kletterten gleich an mehreren Tagen auf 44 Grad Celsius (China.Table berichtete). Während die Hitze in manchen Regionen Ende August langsam nachlassen sollen, herrscht unter Landwirten in vielen Provinzen Verzweiflung. Die Dürre lässt die Sorge um Missernten oder gar Ausfällen von ganzen Ernten wachsen. “Die Ernten im Herbst machen drei Viertel der landwirtschaftlichen Produktion Chinas aus”, sagte Vize-Premier Hu Chunhua und reiht sich in die Kette von offiziellen Stimmen ein, die offen über die drohenden Folgen des Klimas warnen: Wie kann eine Lebensmittelknappheit verhindert werden?
Mitte August erst warnte Liu Weiping, Chinas Vizeminister für Wasserressourcen: “Reis und andere Herbstfrüchte befinden sich in einer kritischen Phase, wenn es um die Bewässerung geht”. Die Tiefstände des Jangtse-Flusses (China.Table berichtete) hätten laut Liu im Jangtse-Becken über 800.000 Hektar Ackerland beschädigt. Über 800.000 Menschen in der Region haben Probleme, an sauberes Wasser zu gelangen.
“Ernteschäden und Wasserknappheit könnten sich “auf andere Lebensmittelsektoren ausbreiten und im schlimmsten Fall zu einem erheblichen Preisanstieg oder einer Lebensmittelkrise führen”, sagte Ende August Lin Zhong, Professor an der City University of Hong Kong, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in China untersucht. Experten rechnen damit, dass China noch mehr Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt aufkaufen wird, um seine Vorräte aufzustocken und seine von der politischen Führung gesetzten Versorgungsziele zu erreichen.
Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich mit dem Thema Selbstversorgung in einer Grundsatzrede auseinandergesetzt: “In Zukunft wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weiter steigen und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage immer enger werden”, heißt es in einer Rede von ihm, die Ende März in der Parteizeitschrift Qiushi erschien. Hu Chunhua, Xi Jinping und Liu Weiping sind Jahrgänge 1963 und 1953 und damit durchaus in der Nähe der Hungernot in den 1950er-Jahren geboren. Mao Zedongs Kampagne “Der große Sprung nach vorn” sollte die Stahl- und Landwirtschaftsproduktion ankurbeln. Sie führte zu den größten Missernten der jüngeren Geschichte. So ein Trauma wirkt lange nach.
Der “Große Sprung nach vorn” war auch der Beginn für Chinas Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland. Laut Scott Rozelle, Entwicklungsökonom an der Stanford-Universität, liegt Chinas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten bei etwa zehn Prozent. Das ist im Vergleich zu der hohen Importabhängigkeit des Nachbarlands Japan zwar ein eher geringer Wert. Doch: Die USA und die EU, aber auch Kanada oder Australien haben Überschüsse und sehen ihre Versorgungssicherheit auch durch Krisen vorerst nicht wirklich gefährdet.
Die Investmentbank Goldman Sachs wies Anleger zuletzt in einer Notiz darauf hin, dass sechs Provinzen im vergangenen Jahr die Hälfte der Reisproduktion im Land ausmachten. Alle sechs sind nun besonders von der Dürre betroffen. Es handelt sich um Sichuan, Chongqing, Hubei, Henan, Jiangxi und Anhui.
Zuletzt wurde im Frühjahr aufgrund eines Ausfalls die Winterweizenernte knapp (China.Table berichtete). 2021 regnete es soviel in den betroffenen Gebieten, dass es zu Überschwemmungen kam und die Aussaat verschoben werden musste. Die Engpässe im Land wurden daraufhin durch Beschaffung auf dem Weltmarkt ausgeglichen. Das wiederum trägt zu den Preissteigerungen bei, die jetzt in den reichen Ländern die Inflation anheizen und arme Länder in Existenznot bringen.
Chinas Regierung hamstert jedoch in gewaltigem Maßstab eine ganze Reihe von Grundnahrungsmitteln. Bei Weizen lagert die Volksrepublik inzwischen etwa 50 Prozent der globalen Bestände, bei Mais sind es sogar 70 Prozent (China.Table berichtete). Erst Mitte August wurde die China Enterprise United Grain Reserve Ltd. Company 中企联合粮食储备有限公司 aus einer Fusion von Sinograin und COFCO, eine der größten staatlichen Holdinggesellschaften für Lebensmittelverarbeitung, gegründet, “um Chinas nationale Getreidereserve zu verwalten”, heißt es in einem aktuellen Bericht des Deutsch-Chinesischen Agrarzentrums mit Sitz in Peking.
Die Details der staatlichen Reserven sind wohl eines der best gehüteten Geheimnisse der Kommunistischen Partei. Über sie ist in der Regel nicht einmal der Standort bekannt, wohl auch, um sie vor Plünderungen zu schützen. Michaela Böhme, Agrar- und Lebensmittelexpertin und China-Analystin beim Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum in Peking, hat in einem Papier die wenigen Informationen zusammengetragen.
China betreibt Böhmes Bericht zufolge mehrere Nahrungsreservesysteme. Die Provinzen sind verpflichtet, Mindestmengen folgender Rohstoffe vorzuhalten:
Die Provinzen sollen die Waren auf den Markt werfen, wenn die Preise steigen und damit für die Verbraucher für einen Ausgleich der Schwankungen sorgen. “Diese Reserven werden über ein Auktionssystem freigegeben, wenn die Verfügbarkeit von Getreide und Ölsaaten auf dem heimischen Markt nach der Ernte abnimmt”, erklärt Böhme die Strukturen der Nationalen Lebensmittelreserven in ihrem Bericht.
Auch strategische Schweinefleischreserven werden vorgehalten um die Abhängigkeit von Importen aufzuwiegen. Seit 2007 bestehen sowohl Reserven für lebende Schweine als auch für tiefgefrorenes Schweinefleisch. Als 2019 die Afrikanische Schweinepest (ASP) drohte, stiegen die Preise für Schweinefleisch um teils über 110 Prozent, da die Volksrepublik bis zu 40 Prozent ihres Schweinebestandes keulen musste. Das entsprach damals etwa einem Fünftel der weltweiten Schweinepopulation.
Chinas wachsende Vorräte an Lebensmitteln rufen Kritik aus anderen Ländern hervor. Schließlich verschärfen sie die globale Knappheit dieser Waren. China selbst bleibt derweil von der Inflation weitgehend verschont. Ein Grund dafür sind auch die staatlichen Lebensmittelreserven. Durch die Öffnung seiner Reserven kontrolliert Peking auch die Preise am Markt und dämpft damit den Preisauftrieb (China.Table berichtete).
Doch es gibt erste Anzeichen, dass das angesichts der Missernten nicht mehr ausreicht. Mitten in der Pandemie rief Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sommer 2020 die Bürger dazu auf, ihren Konsum von Lebensmitteln zu mäßigen (China.Table berichtete). “Fördern Sie ein soziales Umfeld, in dem Verschwendung beschämend und Sparsamkeit lobenswert ist”, lautete das Motto der von Xi höchstpersönlich ausgerufenen Kampagne.
Doch Sorge vor Hunger müssen sich die Menschen in China auf absehbare Zeit nicht machen. Es ist ein Kernziel der Partei, die Debakel der Mao-Zeit nie mehr auch nur ansatzweise zu wiederholen. Die Reserven sind hoch, und die Finanzkraft des Landes ist gigantisch. Es könnte den Weltmarkt auch zu einem Vielfachen der derzeit geforderten Preise anzapfen, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Dennoch muss eine Umstellung auf die neuen Verhältnisse des Klimawandels rasch erfolgen, um die Versorgung weiterhin zu sichern.
Ein Beitrag auf dem Nachrichtenportal Spiegel Online weckt Hoffnung auf Lieferungen von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus China. Die Meldung basiert allerdings allein auf einem Artikel in der britischen Zeitung Financial Times (FT), der sich seinerseits auf einen Bericht in der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei stützt, zu deren Verlagsgruppe auch die FT gehört. Und auch dem Nikkei-Bericht liegen nur wenig neue Informationen zugrunde.
China könne demnach aus den eigenen, gut gefüllten Beständen im Laufe des Winters LNG-Bestände nach Europa verschiffen, so die Argumentation. Die Nikkei zitiert als wichtigsten Beleg eine anonyme Quelle bei dem chinesische Rohstoff-Handelshaus Jovo Group aus Guangzhou. Diese berichtet davon, bereits “eine Ladung” an einen EU-Abnehmer veräußert zu haben. Der Öl- und Gasförderer Sinopec berichtete zudem ganz offiziell davon, überschüssige LNG-Bestände “auf den Weltmarkt” abzugeben.
Der mögliche Weiterverkauf von russischem Gas und Öl durch China war jedoch von Anfang des Krieges an ein Diskussionsthema (China.Table berichtete), ohne dass sich entsprechende Ideen bisher konkretisiert haben. Russland setzt einen guten Teil dessen, was nicht mehr nach Europa geht, mit Rabatt an China, Indien und andere treue Käufer ab. Einem Weiterverkauf steht zwar theoretisch nichts im Wege: Russland kann China nicht vorschreiben, was es mit dem LNG macht. Es gibt jedoch in der Praxis erhebliche Engstellen:
Chinesische LNG-Lieferungen für Europa sind daher zwar hochwillkommen und werden auch stattfinden, aber sie werden – anders als der Spiegel es suggeriert – vermutlich kein entscheidender Faktor für die Überwindung der akuten Energiekrise in Deutschland sein. fin
Im Südwesten Chinas sind zehntausende Menschen wegen Überschwemmungsgefahr in sicherere Gebiete gebracht worden. Wie der staatliche Fernsehsender CCTV am Montag berichtete, mussten in Sichuan seit Sonntagabend etwa 61.000 Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. In der Metropolregion Chongqing wurde eine Hochwasserwarnung ausgegeben. Für die zuvor von Hitze und Dürre geplagten Provinz Sichuan und die Metropolregion Chongqing sind weiter schwere Regenfälle vorhergesagt.
Der Wetterumschwung brachte jedoch auch Erleichterung von der Hitze und Trockenheit. Fabriken in Sichuan wurden wieder vollständig mit Strom versorgt. Zuvor hatte es zwei Wochen lang Einschränkungen wegen der reduzierten Wasserkraftproduktion gegeben. Auf der Internetseite von CCTV hieß es, die Stromversorgung in Sichuan für den kommerziellen und industriellen Gebrauch sei “vollständig wiederhergestellt”. In Sichuan werden normalerweise mehr als 80 Prozent des Stroms aus Wasserkraft generiert, sie gehört zudem zu den wichtigsten Stromlieferanten für die Ballungszentren im Osten des Landes.
China erlebt in den vergangenen zwei Monaten die schlimmste Dürre und Hitzewelle seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1961. Wegen der anhaltenden Dürre und dem Ausfall der Wasserkraftwerke kam es zu Stromrationierungen, in Teilen Chinas mussten Industriebetriebe geschlossen werden –Versäumnisse der Vergangenheit traten offen zu Tage (China.Table berichtete). rad
Der russische Gasriese Gazprom will die Pläne zum Bau einer zweiten Pipeline nach China vorantreiben. Die Projektvorbereitungen für den Bau der seit Jahren geplanten Pipeline “Kraft Sibiriens 2” sollen bald starten, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller der Nachrichtenagentur Interfax. Die zweite Röhre nach China würde die Möglichkeiten des russischen Gasexports in die Volksrepublik stark erhöhen (China.Table berichtete).
Durch die neue Pipeline könnte erstmals Gas aus den westlichen Feldern Sibiriens, das traditionell für den europäischen Markt bestimmt ist, gen China fließen. Gazprom will auch das Pipeline-Netz innerhalb Russlands ausbauen. Baubeginn von “Kraft Sibiriens 2” soll laut Informationen der Financial Times im Jahr 2024 sein. Mit der Inbetriebnahme der Pipeline wird laut Moscow Times für das Jahr 2030 gerechnet. nib
Chinas Öl-Konzerne haben im ersten Halbjahr 2022 kräftige Gewinne verbucht. Die staatliche Sinopec-Gruppe, der größte Ölverarbeiter in Asien, meldete am Sonntag für das erste Halbjahr einen Nettogewinn von 43,53 Milliarden Yuan (6,37 Milliarden Euro) – das ist eine Steigerung von 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Grund sind die rasant angestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs, die die höheren Importkosten und den rückläufigen inländischen Kraftstoffverbrauch der vergangenen Monate mehr als aufgewogen haben. So verkaufte beispielsweise Sinopec nicht mehr, sondern weniger Öl. Der Absatz des Konzerns ging gar um 9,8 Prozent zurück.
Der Ölkonzern PetroChina wiederum verbuchte von Januar bis Juli einen Gewinn von 82,39 Milliarden Yuan. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das ein Plus von satten 55,3 Prozent. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge handelt es sich um ein Rekordergebnis für den größten chinesischen Rohölproduzenten.
Wie die chinesische Zeitung “China Daily” berichtet, gelang auch CNOOC, dem größten Produzenten von Gas und Öl aus dem Meer, ein enormer Gewinnsprung: Das Unternehmen fuhr im ersten Halbjahr 71,89 Milliarden Yuan ein, eine Steigerung um 116 Prozent. Zudem erwarten die Unternehmen eine Trendwende für die chinesische Wirtschaft. Der Vorsitzende von PetroChina sagte, dass die Konjunkturpakete der Regierung die Ölnachfrage zusätzlich stützten. Bei Sinopec geht man davon aus, dass die inländischen Kraftstoffverkäufe in der zweiten Hälfte gegenüber der ersten um elf Prozent steigen werden. rad
Chinas Börsen haben mit der Umsetzung der neuen Standards für Grüne Anleihen begonnen. Die Börse Shanghai setzt nun voraus, dass 100 Prozent der Finanzmittel, die durch Grüne Anleihen akquiriert werden, für nachhaltige Investitionen genutzt werden. Das geht aus einer Mitteilung der Börse hervor, die Reuters einsehen konnte. Zuvor mussten Einnahmen aus grünen Unternehmensanleihen, die an Börsen gehandelt werden, zu lediglich 70 Prozent für nachhaltige Zwecke genutzt werden. Bei grünen Anleihen von Staatsunternehmen lag die Quote lediglich bei 50 Prozent. Das wurde jetzt vereinheitlicht. Unklar ist jedoch, ob auch Grüne Anleihen von Staatsunternehmen unter die neuen Standards fallen. Laut der chinesischen Finanzseite Securities Times werden diese Anleihen von den neuen Regeln ausgenommen.
Weiterhin können die Mittel aus Grünen Anleihen allerdings für den Bau und Betrieb von Erdgastransport- und Speicheranlagen – darunter fallen beispielsweise Pipelines und Flüssigerdgas-Terminals – genutzt werden; ebenso zum Bau von Großwasserkraftwerken, obwohl die dadurch entstehenden Stauseen häufig zu einer massiven Umweltzerstörung führen. Auch Projekte zur Kohlendioxidabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) können in China mit grünen Anleihen finanziert werden; ebenso wie bestimmte Atomkraftwerke wie moderne Druckwasserreaktoren (China.Table berichtete).
Zudem hat die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde die Börsen in Shanghai und Shenzhen dazu aufgerufen, ihre Regeln für die Emission neuer Anleihen zu überarbeiten und den jüngst veröffentlichten neuen Standards für Grüne Anleihen anzupassen (China.Table berichtete). Brian Pascoe, der Vorsitzende der International Capital Market Association, lobte, dass die Einnahmen nun komplett in nachhaltige Projekte fließen müssten. Das würde “Bedenken internationaler Markteilnehmer zerstreuen” und ausländische Investitionen in Chinas Green Finance Markt in Zukunft erleichtern.
Die Climate Bonds Initiative (CBI), eine in London ansässige gemeinnützige Organisation, die Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördert, hat in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass ein großer Teil der Grünen Anleihen aus China nicht internationalen Standards entsprechen. Nach Erhebungen der Organisation waren es allein im letzten Jahr 40 Prozent der vermeintlich grünen Anleihen. Auch der Vorsitzende der CBI äußerte sich positiv zu den neuen Standards. nib
ein Bild sagt mehr als tausend Worte – selbst wir Mitglieder der schreibenden Zunft müssen das oft anerkennen. Ganz deutlich wird das bei den Werken des Pekinger Künstlers Brother Nut. Mit kreativen Aktionen wie einem aus Smog gepressten Ziegelstein macht er auf die Umwelt- und Klimaprobleme Chinas aufmerksam. Und erzeugt dabei eindrückliche Bilder, die wohl länger im Gedächtnis bleiben als viele schriftliche Schilderungen der Klima- und Umweltprobleme.
Im Gespräch mit Renxiu Zhao erzählt Brother Nut, dass das Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahrzehnten häufig auf Kosten der Umwelt erreicht wurde. Es raubt den Menschen das Trinkwasser und verseucht den Boden, auf dem die Menschen eigentlich ihr Auskommen erzielen sollten. Verzweiflung ist die Folge. Denn die Opfer der Umweltverschmutzung finden selten Gehör bei den Behörden. Die Öffentlichkeit erfährt häufig nicht von den Problemen in anderen Landesteilen. Doch da die Klimakrise auch alle Chinesinnen und Chinesen betrifft, wird die Regierung bei Umwelt- und Klimaproblemen in Zukunft seltener wegschauen können.
Ins mediale Schaufenster stellen die Behörden hingegen die heroischen Bemühungen zur Erzeugung künstlichen Regens. Der mit Drohnen, Flugzeugen und Raketen herbeigeführte Niederschlag soll zur Bewältigung der Dürre in China beitragen. Unser Team vor Ort hat die Zusammenhänge genau analysiert und stellt fest: Künstlicher Niederschlag wird kein Allheilmittel. Und es drohen neue Konflikte mit den Nachbarstaaten, die um ihre eigene Wasserversorgung bangen.
Chinas riesige Lebensmittelreserven erweisen sich als Geheimwaffe der Kommunistischen Partei gegen Inflation. Sie wurden angelegt, um bei Ernteausfällen die Nahrungsversorgung zu garantieren, und genau diese Funktion erfüllen sie derzeit nach der Rekord-Dürre. Indem die staatlichen Planer in Krisenzeiten das Angebot hoch halten, dämpfen sie auch die Preisschwankungen, analysiert Ning Wang. China besitzt die weltweit größten Vorräte an Agrarprodukten wie Weizen oder Schweinefleisch.
Wenn nun allerdings weltweit Jahr auf Jahr mit trockenem Wetter folgt, dann nützen irgendwann auch die hohen Reserven nichts mehr. Staatschef Xi Jinping hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie bereits eine Lösung vorgeschlagen: Chinas Bürger sollen sparsamer essen. Wer verschwenderisch mit Lebensmitteln umgeht, muss Strafen zahlen. Im Zweifelsfall wird China allerdings wieder auf dem Weltmarkt zukaufen – und treibt damit die Preise in anderen Regionen in die Höhe.
Im Juli starteten Sie in Peking das Projekt “Telephone booth for help”, bei dem Sie eine gewöhnliche Telefonzelle in eine “Hotline” für Betroffene von Umweltverschmutzung in der Stadt Huludao in der Provinz Liaoning verwandelten. Über die Telefonzelle konnten die Betroffenen ihr Leid mit Fremden in Chinas Hauptstadt teilen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
In der Regel werden Problem in China “top-down” gelöst. Es gibt Anlaufstellen wie die 12345-Hotline, die Betroffene mit lokalen Behörden verbindet, und speziellere Kanäle wie die zentrale staatliche Aufsichtsbehörde. Aber wie in vielen Orten der Welt werden Hilferufe absichtlich oder versehentlich ignoriert. Das Problem der Umweltverschmutzung in Huludao, in der Provinz Liaoning, ist jedoch sehr ernst, da es einen großen Teil der Stadtbevölkerung betrifft und schon lange andauert. Die Menschen vor Ort beschweren sich schon seit Jahren bei der Hotline 12345, aber die örtliche Regierung hat das Problem nie ernst genommen. Mit dem “Telephone booth for help” haben wir versucht, die unterdrückten Stimmen dieser kleinen nordöstlichen Stadt in die Parallelwelt der Hauptstadt zu tragen. Der Empfänger hört und fühlt dort die Hilferufe, den Schmerz am anderen Ende der Leitung – und plötzlich ist das Problem nicht mehr weit weg.
Wie war die Reaktion der Öffentlichkeit?
Einige Internetnutzer berichteten, dass die Leute am anderen Ende der Leitung verstört gewesen seien. Etwa, weil ihre Social-Media-Konten eingeschränkt wurden und die Behörden die Verantwortung von sich wiesen. Ein älterer Mann erklärte: “Wir fühlen uns gefangen, wie in einem Käfig”. Unter den Anrufern waren auch junge Eltern, die ihre Türen und Fenster geschlossen halten, weil sie um die Sicherheit ihres vierjährigen Kindes besorgt sind, das häufig Nasenbluten bekommt. Eine Frau wurde von der Polizei zu einem Gespräch vorgeladen, nachdem sie sich bei der Umweltschutzbehörde gemeldet hatte. Den Schmerz, sich nicht äußern zu können, und vergeblich um Hilfe zu flehen, hat mich während dieser Zeit so überwältigt, dass ich selbst aus der Telefonzelle flüchten wollte.
Wurden die zuständigen Behörden in Huludao durch die Aktion auf das Problem aufmerksam und wurde schließlich etwas unternommen?
“Telephone booth for help” wurde auf Weibo rund 30.000 Mal geteilt. Die örtliche Regierung hat innerhalb eines halben Monats zwei Pressekonferenzen abgehalten, und die Unternehmen, die für die Luftverschmutzung verantwortlich sind, haben teilweise ihre Produktion unterbrochen. Die Stadtverwaltung hat mehr als 90 Experten, Sicherheitskräfte und Überwachungsteams aus anderen Regionen nach Huludao bestellt, um Untersuchungen durchzuführen. Allerdings gibt es bisher weder einen konkreten Untersuchungsbericht noch Lösungsansätze. Anwohner und Netizens warten noch immer auf eine ernsthafte und aufrichtige Lösung seitens der Stadtverwaltung.
Wann haben Sie entschieden, sich als Künstler mit Umweltthemen auseinanderzusetzen?
Die Projekte, die ich im Laufe der letzten Jahre verwirklicht habe, drehten sich meist um akute Notlagen. Das wirtschaftliche Wachstum auf Kosten der Umwelt und die Verlagerung der Umweltverschmutzung von strukturstarken in strukturschwache Gebiete, von der Küste ins Landesinnere, sowie die Altlasten haben zu einer Vielzahl von Krisen geführt. Es gibt beispielsweise Orte, an denen die Wasserverschmutzung Krebserkrankungen bei der örtlichen Bevölkerung und das Sterben von Rindern und Schafen verursacht hat. Solche Probleme müssen dringend gelöst werden. Oftmals muss auch die Trinkwasserqualität sofort verbessert werden. Der Versuch, reale soziale Probleme zu lösen, ist das wesentliche Ziel meiner Projekte.
Was ist aus Ihrer Sicht das größte Problem Chinas im Umweltschutz?
Das größte Problem ist das Top-Down-Modell in der Umweltpolitik – objektiv gesehen sind Chinas enorme Erfolge beim Umweltschutz der vergangenen Jahre untrennbar mit dieser tatkräftigen Art von Politik verbunden. Allerdings ist bei dieser Art von Umweltpolitik die Kontrollmacht der Öffentlichkeit und der Medien zu sehr eingeschränkt. Laut offiziellen Angaben ist fast ein Fünftel der Ackerfläche Chinas mit Schwermetallen verseucht – ein weitaus gravierendes Problem als Smog, das nur langsam behoben werden kann. Wo genau diese Verschmutzungen konzentriert sind, wird der Öffentlichkeit jedoch oft nicht mitgeteilt. Das Ministerium für Ökologie und Umweltschutz führte im Jahr 2021 eine Untersuchung des Bodenverschmutzungspotenzials von fast 15.000 Unternehmen durch und stellte fest, dass fast 70 Prozent der Unternehmen ein mehr oder weniger großes Verschmutzungspotenzial aufweisen. Welche Unternehmen dies sind, wird jedoch ebenfalls nicht bekannt gegeben. Die Medien und die Öffentlichkeit sind als Kontrollinstanz außen vor.
Warum herrscht so starker Widerstand gegen Umweltschutz-Aktivismus, obwohl er dem Land und der Bevölkerung dient?
In einigen wirtschaftlich schwachen Regionen ist der Umweltschutz nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Frage. In China leisten wirtschaftlich starke Provinzen in der Regel weitaus bessere Arbeit beim Umweltschutz als wirtschaftlich schwache Regionen und sie sind eher zur Transparenz bereit. Sobald Umweltprobleme aufgedeckt werden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass gegen die betroffenen Unternehmen ermittelt wird und dass die zuständigen örtlichen Beamten bestraft werden. Dies führt wiederum dazu, dass die betroffenen Unternehmen und Verwaltungen sehr nervös werden, sobald Verschmutzungsprobleme bekannt werden.
Der Raum für freie Meinungsäußerung wird in China zunehmend eingeschränkt. Eine Bewegung wie Fridays for Future, die sich in großer Zahl auf der Straße versammelt, ist ausgeschlossen. Wie können Umweltschützer in China dennoch etwas bewirken?
Soweit ich weiß, arbeiten viele Nichtregierungsorganisationen in China noch immer im Hintergrund und engagieren sich für zahlreiche Umweltschutzmaßnahmen wie Aufforstung oder die Überwachung von CO2-Emissionen. Ihre Arbeit ist sehr wichtig. Die in China in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Überschwemmungen, Dürren und hohe Temperaturen, machen die globale Klimakrise für uns nicht länger zu einem abstrakten Konzept. Gleichzeitig hat die Pandemie die Menschen für gesellschaftliche Probleme sensibilisiert. Die Klimakrise betrifft uns alle, das spürt man auch in Großstädte wie Shanghai, Shenzhen und Peking. Dort leben viele junge Menschen, die sich für gesellschaftliche Belange interessieren. Am häufigsten äußern sie sich natürlich auf Weibo, WeChat, Douyin und Bilibili wo sie ihre Unzufriedenheit über die Klimakrise zum Ausdruck bringen und Veränderungen fordern.
Sie bewegen sich mit ihrer Kunst auf einem schmalen Grat. Haben Sie manchmal Angst, dass ihre Arbeit verboten werden könnte?
Diese Gefahr besteht tatsächlich, es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was in China und dem, was in Deutschland möglich ist. Ich habe keine Strategie, ich weiß nicht, wie lange ich das alles machen kann. Irgendwann werde ich vielleicht nicht mehr sprechen oder etwas tun können. Während der Kommunikation mit örtlichen Behörden hat mir einmal jemand ins Gesicht gesagt, “Künstler sind alle Abschaum”. Vielleicht sollte ich zwei Papageien diesen Satz beibringen, damit sie ihn bei einer künftigen Ausstellung abwechselnd aufsagen. Laut diesen Leuten habe ich ihnen nur Schwierigkeiten bereitet. Gleichzeitig bin ich ein Künstler, der soziale Probleme löst, und ein Umweltschützer, der sich für die Aufdeckung von Umweltproblemen einsetzt. Vielleicht können sie ihre kulturelle Vielfalt und Toleranz unter Beweis stellen, indem sie jemanden wie mich tolerieren.
Brother Nut 坚果兄弟 (“verrückter Bruder”) ist ein international bekannter Künstler aus Peking, der mit öffentlichen Performances auf Umweltprobleme aufmerksam macht. Sein bekanntestes Werk ist “Project Dust” aus dem Jahr 2015, bei dem er aus Feinstaubpartikeln der stark verschmutzten Pekinger Luft einen Ziegelstein formte.
Mitarbeit: Fabian Peltsch
Die Dürre in großen Teilen Chinas hat apokalyptische Bilder produziert. Die Staatsmedien fanden in den vergangenen Tagen dennoch einen Weg, dem Thema einen positiven Dreh zu verpassen. Immer wieder berichteten sie über die Hightech-Drohnen vom Typ Wing Loong-2H UAV. Bei der chinesischen Eigenentwicklung handelt es sich eigentlich um ein Militärgerät. China hat jedoch einige der unbemannten Flugzeuge umgerüstet, um sie gezielt im Kampf gegen die Dürre einsetzen zu können.
Wie das chinesische Nachrichtenportal Global Times berichtet, hob eine der Wing-Loong-Drohnen am vergangenen Donnerstag in der besonders betroffenen Provinz Sichuan ab, um “Wetteränderungen” vorzunehmen. Während ihres vierstündigen Fluges gab die Drohne demnach 20 Salven mit Silberiodid in die Wolken ab, um so künstlichen Regen zu erzeugen.
Silberiodid trägt mikroskopisch kleine Kondensationskeime in die Wolke, an denen sich Wasser-Moleküle festsetzen und schließlich Tröpfchen bilden. Sind sie groß genug, fallen sie in Form von Regengüssen auf die Erde. Nach Angaben von Staatsmedien gab es seit Anfang August mehr als 90 Flüge in zehn Provinzen, um Wolken mit Silberiodid zu beschießen.
Bei den meisten Operationen waren jedoch keine Drohnen, sondern herkömmliche Flugzeuge im Einsatz. Auch schossen die Spezialisten Tausende Raketen vom Boden ab. Dafür kommen in der Regel umgerüstete Pick-up-Trucks mit Raketenwerfern auf der Ladefläche zum Einsatz. Unter anderem in der ebenfalls schwer von Trockenheit getroffenen Metropole Chongqing soll die Technik dabei geholfen haben, “leichte Regenschauer” zu erzeugen.
China ist inzwischen so etwas wie der unangefochtene Weltmeister im Regenmachen. Doch die Menge künstlich provozierten Niederschlags soll sich drastisch erhöhen. Bis 2035 sollen 5,5 Millionen Quadratkilometer Land künstlich berieselt werden können. Das entspräche mehr als der Hälfte der Landfläche der Volksrepublik. Das Projekt werde dazu beitragen, “Katastrophen wie Dürren und Hagel” zu lindern und auch beim Löschen von Waldbränden helfen.
Ein Wundermittel gegen anhaltende Dürren und Verwüstung ist der künstliche Regen jedoch nicht. Die Konsequenzen des Klimawandels, die China in diesem Sommer mit einer beispiellosen Hitzewelle drastisch vor Augen geführt bekommt, können auch die Silberiodid-Salven allenfalls lindern. Übliche Niederschläge einer Region steigen trotz der chemischen Reaktion höchstens um 20 Prozent. Und Regionen, denen laut der Klimamodelle dauerhafte Dürre prognostiziert wird, ist auch mit Drohnen und Raketen nicht mehr zu helfen.
Andere asiatische Länder blicken derweil zunehmend besorgt auf die künstliche Veränderung der Niederschlagszyklen. Benachbarte Staaten fürchten, dass ihnen dringend benötigte Regenfälle vorenthalten werden könnten. Schließlich regnen sich Wolken schon über chinesischem Staatsgebiet ab, statt auf natürliche Weise in anderen Regionen des Kontinents.
China weist solche Vorwürfe zurück, ohne jedoch Belege vorzulegen, die für Beruhigung sorgen würden. Zugleich gestehen chinesische Wissenschaftler jedoch ein, dass die Technik klare Grenzen hat. Vor einem sicheren Einsatz mit den Regen-Raketen müssen viele Bedingungen erfüllt sein, warnt Forscher Wei Ke vom Institut für Atmosphärenphysik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften gegenüber der Global Times. Bei zu viel Wind sei ein Einsatz nicht möglich. Auch könne natürlich kein Niederschlag erzeugt werden, wenn am Himmel keine Wolken zu sehen sind.
Das Wetter wird schon lange manipuliert in China. Schon während der Olympischen Sommerspiele 2008 in Peking ließ die Regierung Wolken, die sich der Hauptstadt näherten, mit der gleichen Technologie frühzeitig abregnen. Obwohl Regen angesagt war, blieb der Himmel über Peking während der Spiele strahlend blau. Der Ansatz zeigt, dass es nicht nur darum geht, gegen Trockenheit vorzugehen. In der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang lassen die Behörden Wolken bereits seit vielen Jahren abregnen, um Hagelschäden und zu intensive Regengüsse zu verhindern.
Über die Jahre hinweg hat China die technischen Mittel zur Verteilung des Silberiodids stetig erweitert. Nicht nur Drohnen oder Raketenwerfer kommen zum Einsatz. Schon vor einigen Jahren stellten Wissenschaftler ein Verfahren vor, mit dem der Niederschlag auf dem Tibetischen Plateau erhöht werden kann. Die Idee dabei ist es, Zehntausende frei stehende Ofenkammern zu bauen, die permanent Silberiodid in die Luft abgeben. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Seit Wochen plagen Hitzewellen weite Teile Chinas. Die Thermometer kletterten gleich an mehreren Tagen auf 44 Grad Celsius (China.Table berichtete). Während die Hitze in manchen Regionen Ende August langsam nachlassen sollen, herrscht unter Landwirten in vielen Provinzen Verzweiflung. Die Dürre lässt die Sorge um Missernten oder gar Ausfällen von ganzen Ernten wachsen. “Die Ernten im Herbst machen drei Viertel der landwirtschaftlichen Produktion Chinas aus”, sagte Vize-Premier Hu Chunhua und reiht sich in die Kette von offiziellen Stimmen ein, die offen über die drohenden Folgen des Klimas warnen: Wie kann eine Lebensmittelknappheit verhindert werden?
Mitte August erst warnte Liu Weiping, Chinas Vizeminister für Wasserressourcen: “Reis und andere Herbstfrüchte befinden sich in einer kritischen Phase, wenn es um die Bewässerung geht”. Die Tiefstände des Jangtse-Flusses (China.Table berichtete) hätten laut Liu im Jangtse-Becken über 800.000 Hektar Ackerland beschädigt. Über 800.000 Menschen in der Region haben Probleme, an sauberes Wasser zu gelangen.
“Ernteschäden und Wasserknappheit könnten sich “auf andere Lebensmittelsektoren ausbreiten und im schlimmsten Fall zu einem erheblichen Preisanstieg oder einer Lebensmittelkrise führen”, sagte Ende August Lin Zhong, Professor an der City University of Hong Kong, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in China untersucht. Experten rechnen damit, dass China noch mehr Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt aufkaufen wird, um seine Vorräte aufzustocken und seine von der politischen Führung gesetzten Versorgungsziele zu erreichen.
Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich mit dem Thema Selbstversorgung in einer Grundsatzrede auseinandergesetzt: “In Zukunft wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weiter steigen und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage immer enger werden”, heißt es in einer Rede von ihm, die Ende März in der Parteizeitschrift Qiushi erschien. Hu Chunhua, Xi Jinping und Liu Weiping sind Jahrgänge 1963 und 1953 und damit durchaus in der Nähe der Hungernot in den 1950er-Jahren geboren. Mao Zedongs Kampagne “Der große Sprung nach vorn” sollte die Stahl- und Landwirtschaftsproduktion ankurbeln. Sie führte zu den größten Missernten der jüngeren Geschichte. So ein Trauma wirkt lange nach.
Der “Große Sprung nach vorn” war auch der Beginn für Chinas Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland. Laut Scott Rozelle, Entwicklungsökonom an der Stanford-Universität, liegt Chinas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten bei etwa zehn Prozent. Das ist im Vergleich zu der hohen Importabhängigkeit des Nachbarlands Japan zwar ein eher geringer Wert. Doch: Die USA und die EU, aber auch Kanada oder Australien haben Überschüsse und sehen ihre Versorgungssicherheit auch durch Krisen vorerst nicht wirklich gefährdet.
Die Investmentbank Goldman Sachs wies Anleger zuletzt in einer Notiz darauf hin, dass sechs Provinzen im vergangenen Jahr die Hälfte der Reisproduktion im Land ausmachten. Alle sechs sind nun besonders von der Dürre betroffen. Es handelt sich um Sichuan, Chongqing, Hubei, Henan, Jiangxi und Anhui.
Zuletzt wurde im Frühjahr aufgrund eines Ausfalls die Winterweizenernte knapp (China.Table berichtete). 2021 regnete es soviel in den betroffenen Gebieten, dass es zu Überschwemmungen kam und die Aussaat verschoben werden musste. Die Engpässe im Land wurden daraufhin durch Beschaffung auf dem Weltmarkt ausgeglichen. Das wiederum trägt zu den Preissteigerungen bei, die jetzt in den reichen Ländern die Inflation anheizen und arme Länder in Existenznot bringen.
Chinas Regierung hamstert jedoch in gewaltigem Maßstab eine ganze Reihe von Grundnahrungsmitteln. Bei Weizen lagert die Volksrepublik inzwischen etwa 50 Prozent der globalen Bestände, bei Mais sind es sogar 70 Prozent (China.Table berichtete). Erst Mitte August wurde die China Enterprise United Grain Reserve Ltd. Company 中企联合粮食储备有限公司 aus einer Fusion von Sinograin und COFCO, eine der größten staatlichen Holdinggesellschaften für Lebensmittelverarbeitung, gegründet, “um Chinas nationale Getreidereserve zu verwalten”, heißt es in einem aktuellen Bericht des Deutsch-Chinesischen Agrarzentrums mit Sitz in Peking.
Die Details der staatlichen Reserven sind wohl eines der best gehüteten Geheimnisse der Kommunistischen Partei. Über sie ist in der Regel nicht einmal der Standort bekannt, wohl auch, um sie vor Plünderungen zu schützen. Michaela Böhme, Agrar- und Lebensmittelexpertin und China-Analystin beim Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum in Peking, hat in einem Papier die wenigen Informationen zusammengetragen.
China betreibt Böhmes Bericht zufolge mehrere Nahrungsreservesysteme. Die Provinzen sind verpflichtet, Mindestmengen folgender Rohstoffe vorzuhalten:
Die Provinzen sollen die Waren auf den Markt werfen, wenn die Preise steigen und damit für die Verbraucher für einen Ausgleich der Schwankungen sorgen. “Diese Reserven werden über ein Auktionssystem freigegeben, wenn die Verfügbarkeit von Getreide und Ölsaaten auf dem heimischen Markt nach der Ernte abnimmt”, erklärt Böhme die Strukturen der Nationalen Lebensmittelreserven in ihrem Bericht.
Auch strategische Schweinefleischreserven werden vorgehalten um die Abhängigkeit von Importen aufzuwiegen. Seit 2007 bestehen sowohl Reserven für lebende Schweine als auch für tiefgefrorenes Schweinefleisch. Als 2019 die Afrikanische Schweinepest (ASP) drohte, stiegen die Preise für Schweinefleisch um teils über 110 Prozent, da die Volksrepublik bis zu 40 Prozent ihres Schweinebestandes keulen musste. Das entsprach damals etwa einem Fünftel der weltweiten Schweinepopulation.
Chinas wachsende Vorräte an Lebensmitteln rufen Kritik aus anderen Ländern hervor. Schließlich verschärfen sie die globale Knappheit dieser Waren. China selbst bleibt derweil von der Inflation weitgehend verschont. Ein Grund dafür sind auch die staatlichen Lebensmittelreserven. Durch die Öffnung seiner Reserven kontrolliert Peking auch die Preise am Markt und dämpft damit den Preisauftrieb (China.Table berichtete).
Doch es gibt erste Anzeichen, dass das angesichts der Missernten nicht mehr ausreicht. Mitten in der Pandemie rief Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sommer 2020 die Bürger dazu auf, ihren Konsum von Lebensmitteln zu mäßigen (China.Table berichtete). “Fördern Sie ein soziales Umfeld, in dem Verschwendung beschämend und Sparsamkeit lobenswert ist”, lautete das Motto der von Xi höchstpersönlich ausgerufenen Kampagne.
Doch Sorge vor Hunger müssen sich die Menschen in China auf absehbare Zeit nicht machen. Es ist ein Kernziel der Partei, die Debakel der Mao-Zeit nie mehr auch nur ansatzweise zu wiederholen. Die Reserven sind hoch, und die Finanzkraft des Landes ist gigantisch. Es könnte den Weltmarkt auch zu einem Vielfachen der derzeit geforderten Preise anzapfen, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Dennoch muss eine Umstellung auf die neuen Verhältnisse des Klimawandels rasch erfolgen, um die Versorgung weiterhin zu sichern.
Ein Beitrag auf dem Nachrichtenportal Spiegel Online weckt Hoffnung auf Lieferungen von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus China. Die Meldung basiert allerdings allein auf einem Artikel in der britischen Zeitung Financial Times (FT), der sich seinerseits auf einen Bericht in der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei stützt, zu deren Verlagsgruppe auch die FT gehört. Und auch dem Nikkei-Bericht liegen nur wenig neue Informationen zugrunde.
China könne demnach aus den eigenen, gut gefüllten Beständen im Laufe des Winters LNG-Bestände nach Europa verschiffen, so die Argumentation. Die Nikkei zitiert als wichtigsten Beleg eine anonyme Quelle bei dem chinesische Rohstoff-Handelshaus Jovo Group aus Guangzhou. Diese berichtet davon, bereits “eine Ladung” an einen EU-Abnehmer veräußert zu haben. Der Öl- und Gasförderer Sinopec berichtete zudem ganz offiziell davon, überschüssige LNG-Bestände “auf den Weltmarkt” abzugeben.
Der mögliche Weiterverkauf von russischem Gas und Öl durch China war jedoch von Anfang des Krieges an ein Diskussionsthema (China.Table berichtete), ohne dass sich entsprechende Ideen bisher konkretisiert haben. Russland setzt einen guten Teil dessen, was nicht mehr nach Europa geht, mit Rabatt an China, Indien und andere treue Käufer ab. Einem Weiterverkauf steht zwar theoretisch nichts im Wege: Russland kann China nicht vorschreiben, was es mit dem LNG macht. Es gibt jedoch in der Praxis erhebliche Engstellen:
Chinesische LNG-Lieferungen für Europa sind daher zwar hochwillkommen und werden auch stattfinden, aber sie werden – anders als der Spiegel es suggeriert – vermutlich kein entscheidender Faktor für die Überwindung der akuten Energiekrise in Deutschland sein. fin
Im Südwesten Chinas sind zehntausende Menschen wegen Überschwemmungsgefahr in sicherere Gebiete gebracht worden. Wie der staatliche Fernsehsender CCTV am Montag berichtete, mussten in Sichuan seit Sonntagabend etwa 61.000 Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. In der Metropolregion Chongqing wurde eine Hochwasserwarnung ausgegeben. Für die zuvor von Hitze und Dürre geplagten Provinz Sichuan und die Metropolregion Chongqing sind weiter schwere Regenfälle vorhergesagt.
Der Wetterumschwung brachte jedoch auch Erleichterung von der Hitze und Trockenheit. Fabriken in Sichuan wurden wieder vollständig mit Strom versorgt. Zuvor hatte es zwei Wochen lang Einschränkungen wegen der reduzierten Wasserkraftproduktion gegeben. Auf der Internetseite von CCTV hieß es, die Stromversorgung in Sichuan für den kommerziellen und industriellen Gebrauch sei “vollständig wiederhergestellt”. In Sichuan werden normalerweise mehr als 80 Prozent des Stroms aus Wasserkraft generiert, sie gehört zudem zu den wichtigsten Stromlieferanten für die Ballungszentren im Osten des Landes.
China erlebt in den vergangenen zwei Monaten die schlimmste Dürre und Hitzewelle seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1961. Wegen der anhaltenden Dürre und dem Ausfall der Wasserkraftwerke kam es zu Stromrationierungen, in Teilen Chinas mussten Industriebetriebe geschlossen werden –Versäumnisse der Vergangenheit traten offen zu Tage (China.Table berichtete). rad
Der russische Gasriese Gazprom will die Pläne zum Bau einer zweiten Pipeline nach China vorantreiben. Die Projektvorbereitungen für den Bau der seit Jahren geplanten Pipeline “Kraft Sibiriens 2” sollen bald starten, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller der Nachrichtenagentur Interfax. Die zweite Röhre nach China würde die Möglichkeiten des russischen Gasexports in die Volksrepublik stark erhöhen (China.Table berichtete).
Durch die neue Pipeline könnte erstmals Gas aus den westlichen Feldern Sibiriens, das traditionell für den europäischen Markt bestimmt ist, gen China fließen. Gazprom will auch das Pipeline-Netz innerhalb Russlands ausbauen. Baubeginn von “Kraft Sibiriens 2” soll laut Informationen der Financial Times im Jahr 2024 sein. Mit der Inbetriebnahme der Pipeline wird laut Moscow Times für das Jahr 2030 gerechnet. nib
Chinas Öl-Konzerne haben im ersten Halbjahr 2022 kräftige Gewinne verbucht. Die staatliche Sinopec-Gruppe, der größte Ölverarbeiter in Asien, meldete am Sonntag für das erste Halbjahr einen Nettogewinn von 43,53 Milliarden Yuan (6,37 Milliarden Euro) – das ist eine Steigerung von 10,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Grund sind die rasant angestiegenen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs, die die höheren Importkosten und den rückläufigen inländischen Kraftstoffverbrauch der vergangenen Monate mehr als aufgewogen haben. So verkaufte beispielsweise Sinopec nicht mehr, sondern weniger Öl. Der Absatz des Konzerns ging gar um 9,8 Prozent zurück.
Der Ölkonzern PetroChina wiederum verbuchte von Januar bis Juli einen Gewinn von 82,39 Milliarden Yuan. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet das ein Plus von satten 55,3 Prozent. Der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge handelt es sich um ein Rekordergebnis für den größten chinesischen Rohölproduzenten.
Wie die chinesische Zeitung “China Daily” berichtet, gelang auch CNOOC, dem größten Produzenten von Gas und Öl aus dem Meer, ein enormer Gewinnsprung: Das Unternehmen fuhr im ersten Halbjahr 71,89 Milliarden Yuan ein, eine Steigerung um 116 Prozent. Zudem erwarten die Unternehmen eine Trendwende für die chinesische Wirtschaft. Der Vorsitzende von PetroChina sagte, dass die Konjunkturpakete der Regierung die Ölnachfrage zusätzlich stützten. Bei Sinopec geht man davon aus, dass die inländischen Kraftstoffverkäufe in der zweiten Hälfte gegenüber der ersten um elf Prozent steigen werden. rad
Chinas Börsen haben mit der Umsetzung der neuen Standards für Grüne Anleihen begonnen. Die Börse Shanghai setzt nun voraus, dass 100 Prozent der Finanzmittel, die durch Grüne Anleihen akquiriert werden, für nachhaltige Investitionen genutzt werden. Das geht aus einer Mitteilung der Börse hervor, die Reuters einsehen konnte. Zuvor mussten Einnahmen aus grünen Unternehmensanleihen, die an Börsen gehandelt werden, zu lediglich 70 Prozent für nachhaltige Zwecke genutzt werden. Bei grünen Anleihen von Staatsunternehmen lag die Quote lediglich bei 50 Prozent. Das wurde jetzt vereinheitlicht. Unklar ist jedoch, ob auch Grüne Anleihen von Staatsunternehmen unter die neuen Standards fallen. Laut der chinesischen Finanzseite Securities Times werden diese Anleihen von den neuen Regeln ausgenommen.
Weiterhin können die Mittel aus Grünen Anleihen allerdings für den Bau und Betrieb von Erdgastransport- und Speicheranlagen – darunter fallen beispielsweise Pipelines und Flüssigerdgas-Terminals – genutzt werden; ebenso zum Bau von Großwasserkraftwerken, obwohl die dadurch entstehenden Stauseen häufig zu einer massiven Umweltzerstörung führen. Auch Projekte zur Kohlendioxidabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS) können in China mit grünen Anleihen finanziert werden; ebenso wie bestimmte Atomkraftwerke wie moderne Druckwasserreaktoren (China.Table berichtete).
Zudem hat die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde die Börsen in Shanghai und Shenzhen dazu aufgerufen, ihre Regeln für die Emission neuer Anleihen zu überarbeiten und den jüngst veröffentlichten neuen Standards für Grüne Anleihen anzupassen (China.Table berichtete). Brian Pascoe, der Vorsitzende der International Capital Market Association, lobte, dass die Einnahmen nun komplett in nachhaltige Projekte fließen müssten. Das würde “Bedenken internationaler Markteilnehmer zerstreuen” und ausländische Investitionen in Chinas Green Finance Markt in Zukunft erleichtern.
Die Climate Bonds Initiative (CBI), eine in London ansässige gemeinnützige Organisation, die Investitionen in eine kohlenstoffarme Wirtschaft fördert, hat in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, dass ein großer Teil der Grünen Anleihen aus China nicht internationalen Standards entsprechen. Nach Erhebungen der Organisation waren es allein im letzten Jahr 40 Prozent der vermeintlich grünen Anleihen. Auch der Vorsitzende der CBI äußerte sich positiv zu den neuen Standards. nib