Table.Briefing: China

Merkel und China + Universal Studios Beijing

  • Rückblick auf 16 Jahre China-Politik unter Merkel
  • Universal-Vergnügungspark in Peking: Widerspruch zur Kulturpolitik?
  • Strom-Drosselung bei iPhone-Herstellern
  • Kippt Evergrande den Börsengang der E-Auto-Sparte?
  • Xiaomi verteidigt Sicherheit seiner Handys
  • Nato-Chef fordert mehr Transparenz bei Rüstung
  • Biden will Südamerika in BRI-Alternative einbinden
  • Kehrtwende: Peking reguliert Abtreibungen
  • Standpunkt zur Wahl: Joachim Koschnicke, Ex-Wahlstratege der CDU
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Bundestagswahl ist gelaufen, das Endergebnis steht fest – aber alles andere ist offen. Wer wird neuer Bundeskanzler? Mit welcher Koalition? Christiane Kühl nimmt die Zwischenphase zum Anlass, um einen Blick zu werfen auf 16 Jahre China-Politik von Angela Merkel. In ihrer Analyse geht es um eine gewisse Nähe im Denken, um das frühe Interesse an einer aufsteigenden Weltmacht, aber auch um die Wünsche der deutschen Wirtschaft.

Auch in Peking war Angela Merkel am Montag Thema. Sie habe immer großen Wert auf den Ausbau der Beziehungen zwischen China und Deutschland gelegt, hieß es in der Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums. “China weiß dies sehr zu schätzen”, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying. Nun hoffe und erwarte man, dass die neue deutsche Regierung diese ausgewogene China-Politik fortsetze.

Derweil haben die Universal Studios am Rande Pekings ihren weltgrößten Vergnügungspark eröffnet. Von Harry Potter über die Minions bis zu den Transformers kann man Amerikas Softpower in Reinform bestaunen. Innerhalb einer Minute waren alle Eintrittskarten ausverkauft. Offensichtlich hat Peking nichts gegen westlichen Einfluss, solange China gut daran verdient. Denn der Park ist nur eine Seite der Medaille. Frank Sieren zeigt in seiner Analyse, wie Amerikas Filmstudios inzwischen nach Pekings Pfeife tanzen muss, um überhaupt noch Zugang zu dem riesigen Markt zu erhalten.

Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

Ihr
Michael Radunski
Bild von Michael  Radunski

Analyse

Merkel: Zeugin des Aufstiegs einer Großmacht

Angela Merkel schüttelt Hu Jintao (China) die Hand
Kurz vor Xi: Merkel mit Präsident Hu Jintao im Jahr 2012. Damals kannte sie ihn schon sieben Jahre.

Im Sommer 2005 begann das politische China, sich mit der deutschen Kanzlerkandidatin zu beschäftigen. Damals war Angela Merkel in Peking eine Unbekannte. Sie war 1997 einmal als Umweltministerin unter dem damaligen Kanzler Helmut Kohl im Land gewesen, hatte aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Frage in Peking war also: Was würde die CDU anders machen als SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder? Dieser galt als wirtschafts- und chinafreundlich; er hatte sich unter anderem für eine Aufhebung des nach dem Tiananmen-Massaker von 1989 verhängten Waffenembargos der EU eingesetzt. Merkel hingegen sah im April 2005 im Bundestag keine Anzeichen dafür, dass entsprechende Voraussetzungen gegeben wären.

Das Waffenembargo gilt bis heute. Ansonsten erfüllte Angela Merkel Befürchtungen Pekings nach einem gewaltigen Schwenk nicht. Zwar setzte sie sich hinter den Kulissen etwas mehr für Menschenrechte und die Zivilgesellschaft in China ein als Schröder, der diese Themen weitgehend seinem Außenminister Joschka Fischer überlassen hatte. Aber auch Merkel hatte stets die Interessen der deutschen Wirtschaft im Blick. Wie Schröder reiste sie jedes Jahr nach China und hatte stets viele Firmenvertreter in ihrer Delegation. Und auch sie zollte China für seine rasante Entwicklung Respekt.

Angela Merkel – in China bekannt unter dem Namen 默克尔 Mo Ke Er – besaß zudem eine große Neugier auf das Land und die völlig andere Art, Dinge anzugehen. Daher reiste sie bei ihren Staatsbesuchen von Peking aus immer auch weiter Chinas Provinzen, etwa nach Jiangsu, Hubei, Anhui oder Guangdong. Auch zeigte Merkel ein gewisses Verständnis für die administrativen Schwierigkeiten, ein so großes und diverses Land zu regieren. Bei Hintergrundgesprächen diskutierte sie mit Journalisten auch mal darüber, wie viel Demokratie in China möglich sei. Und teilte scharfsinnige Beobachtungen, die nicht zitierbar waren.

Merkels weitsichtiges Kümmern

Merkel begleitete in ihren 16 Jahren als Kanzlerin den ungeheuren Aufstieg Chinas – und die wachsende Bedeutung, die das Land für die deutsche Wirtschaft bekam. Die deutschen Ausfuhren nach China haben sich seit ihrem Amtsantritt mehr als vervierfacht auf zuletzt rund 96 Milliarden Euro. China ist seit fünf Jahren Deutschlands größter Handelspartner, mit einem Volumen des Warenaustausches von knapp 213 Milliarden Euro. Hinzu kommen Milliardeninvestitionen deutscher Firmen in der Volksrepublik.

China strebt heute einen Weltmachtstatus an, will die Geopolitik mitprägen und bei globalen Technologiestandards mitreden. Ohne China wird kein wirksamer Klimaschutz möglich sein. “Die Bundeskanzlerin hat die wachsende Stärke Chinas von Anfang an im Blick gehabt“, sagte ihr früherer Berater und späterer UN-Botschafter Christoph Heusgen kürzlich dem Magazin Der Spiegel. “Sie hat sehr früh gewusst: Das wird eine Weltmacht.” Deshalb sei sie so oft nach China gereist und habe 2010 die bilateralen Regierungskonsultationen begonnen – ein engen Partnern vorbehaltenes Format, bei dem sämtliche Minister beider Staaten zusammenkommen. “Dieses intensive Kümmern um China war weitsichtig und richtig”, sagte Heusgen.

Viele der aktuellen Themen tauchten bereits in Merkels Anfangsjahren auf: Die EU etwa nahm China schon in den Jahren nach Merkels erstem Wahlsieg 2005 zunehmend als Konkurrenten wahr. Firmen fürchteten laut dem 2007 veröffentlichen Positionspapier der EU-Handelskammer EUCCC eine Abschottung des chinesischen Markts und eine Verschlechterung des Investitionsklimas – genau wie im neuen, vergangene Woche publizierten Papier der Kammer (China.Table berichtete). Auch Klagen über eine Verschärfung der Zensur gab es bereits – denn Peking begann damals, verstärkt gegen die Freiheit des wachsenden Internets vorzugehen.

Merkel und China: Nähe im Denken

Im Jahr 2007 traf Merkel im Bundeskanzleramt den Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter. Das sorgte für ernste, aber nicht für langfristige Verstimmung in Peking. Während der Euro-Krise infolge der weltweiten Finanzkrise jener Jahre kaufte China in erheblichen Umfang Anleihen von Euro-Schuldenstaaten auf, um die Lage zu stabilisieren. Der damalige Ministerpräsident Wen Jiabao sagte immer wieder seine Unterstützung für den Euro zu. Dafür war Merkel nach Ansicht von Beobachtern dankbar.

Die Bundeskanzlerin wurde damals zur zentralen Ansprechpartnerin Chinas in Europa. “Diese Phase etwa von 2008 bis 2014 hat bei Merkel erkennbar den Eindruck hinterlassen, dass es eine Nähe im Denken gibt, die über ideologische Grenzen hinausgeht”, schreibt Andreas Rinke in der Fachzeitschrift Internationale Politik (IP) der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Zudem teilten ihre chinesischen Gesprächspartner ihr Interesse an einer multilateralen Weltordnung als Gegenmodell zu einer alleinigen Dominanz der USA und des Dollars.

Wendepunkt: Der Amtsantritt von Xi Jinping

Einen Wendepunkt markierte der Amtsantritt von Xi Jinping als KP-Chef und Präsident Chinas 2013. China agierte fortan selbstbewusster – und es zeigte sich, dass sich die in der Formel “Wandel durch Handel” ausgedrückte Hoffnung auf eine politische Öffnung des Systems infolge wachsenden Wohlstands nicht erfüllte. Im Gegenteil: Xi schaffte die Amtszeitbegrenzung für sich selbst ab, verstärkte die Zensur weiter, ließ Menschenrechtsanwälte inhaftieren, regierte mit immer härterer Hand in Xinjiang und zuletzt auch in Hongkong.

Merkel kritisierte all das, aber trieb dennoch die enge Zusammenarbeit mit China voran. Beim Antrittsbesuch Xis in Berlin im März 2014 schlossen beide Seiten eine strategische Partnerschaft – die sich explizit auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik erstreckte. Damals gab es bereits 60 verschiedene Dialog- und Kooperationsformate.

Auf der Pressekonferenz sagte Merkel: “Wir haben heute darüber gesprochen, dass sich das politische Vertrauen auch dadurch entwickelt, dass wir Gemeinsamkeiten miteinander austauschen, dass wir neue Wege beschreiten, aber auch in der Lage sind, unterschiedliche Meinungen auszutauschen und über alle Fragen sehr intensiv reden können.” Es ist ein Mantra, dem sie bis heute treu geblieben ist. Beschlossen wurden 2014 zudem ein Finanzdialog und eine engere Zusammenarbeit im Rahmen der UN und der G20. “Merkel wollte den ökonomischen Riesen schrittweise zu einem größeren Engagement in den internationalen Organisationen bewegen und dadurch gleichzeitig Zügel anlegen”, schreibt Rinke.

Mehr Hürden, aber kein Huawei-Bannstrahl

2016 war dann ein Jahr der Schocks. Im Mai übernahm der chinesische Konzern Midea den Robotik-Hersteller Kuka: Erstmals fiel ein echtes Vorzeigeunternehmen an eine chinesische Firma, da sich kein inländischer Käufer gefunden hatte. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 veränderte sich auch die globale Großwetterlage. Merkel navigierte Deutschlands Beziehungen zu China nun in einem zunehmend von globalem Krisenmanagement geprägten Umfeld.

Deutschland erhöhte in dieser Zeit die Hürden für den Einstieg ausländischer Firmen in strategischen Bereichen – vor allem mit Blick auf China. Merkel setzte ab 2017 zunehmend auf Europa, da ihr das Vertrauen in die USA angesichts des feindseligen Verhaltens von Donald Trump abhanden kam.

Und so folgte Merkel auch nicht Trump in seiner China-Politik. Als dieser den Bannstrahl auf den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei richtete, hielt sie sich zurück. Im Streit um die Frage, ob Huawei beim Aufbau des deutschen 5G-Netzes beteiligt werden dürfe, drängte Merkel auf strenge Sicherheitsstandards anstelle eines Huawei-Verbots – auch aus Sorge vor Nachteilen für deutsche Firmen in China. Entsprechende Regeln wurden vom Bund 2020 verabschiedet; bisher beauftragten die Netzbetreiber allerdings ausschließlich europäische Firmen. Dagegen haben Großbritannien, Frankreich und Schweden ebenso wie die USA Huawei vom 5G-Aufbau formal ausgeschlossen.

Vorwurf einer zu chinafreundlichen Politik

Auch wegen solcher Entscheidungen wurden Merkel in Europa zuletzt immer wieder Alleingänge in der China-Politik vorgeworfen. Deutschland sei wirtschaftlich zu abhängig von China, hieß es. Daher traue sich Berlin nicht, auf die autoritären Tendenzen Xis und die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Hongkong mit einer härteren Linie zu antworten. Merkel trieb während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Unterzeichnung des Investitionsabkommens CAI voran, das im Dezember 2020 unterschrieben wurde – und nun wegen chinesischer Sanktionen gegen europäische Politiker und Thinktanks im Eisschrank liegt. Noch im April wurden die letzten Regierungskonsultationen mit China abgehalten – wegen der Pandemie allerdings nur virtuell.

Kontinuität im schwierigen Verhältnis zur neuen Großmacht wollte Merkel auch nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft gewährleisten. Und so ernannte sie ihren Chefberater für Außenpolitik und engen Vertrauten Jan Hecker zum neuen Botschafter in Peking. Doch Hecker verstarb im August mit nur 54 Jahren ganz plötzlich, nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt (China Table berichtete). Nach Heckers tragischem Tod wird nun also voraussichtlich Merkels Nachfolger den nächsten Botschafter ernennen. Das Ausland erwartet vom neuen Kanzler – egal ob er Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt – eine härtere China-Politik Deutschlands.

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Eröffnung der Universal Studios: Im Park ist mehr erlaubt als im Film

Kungu-Fu Panda Universal Studios China
Der Eingang zum Fahrgeschäft des Kung-Fu Panda in den Universal Studios in Peking: Trotz chinesischer Anmutung eher wenig beliebt

Mitten in diplomatisch schwierigen Zeiten hat sich ein Symbol der amerikanischen Kultur am Rande der chinesischen Hauptstadt niedergelassen. Der weltgrößte Vergnügungspark der Universal Studios in Peking hat in der vergangenen Woche seine Tore für die breite Bevölkerung geöffnet. Die Tickets waren binnen einer Minute ausverkauft. Auch die Hotelzimmer, die bis zu 3000 US-Dollar kosten, waren alle schnell vergeben. 

Dabei ist der Park geprägt von westlichen Welten: Harry Potter, Minion Land, Jurassic World und Transformers. Die Softpower der USA scheint also trotz der Betonung der Eigenständigkeit chinesischer Kultur immer noch zu ziehen. Das Einzige, was im Park zumindest etwas chinesische Kultur transportiert, wenn auch US-amerikanisch interpretiert, ist Kung-Fu Panda – und bei dem standen in den ersten Tagen am wenigsten Besucher an.

Qin Gang, Chinas Botschafter in Washington und einer der ersten Besucher des Parks, erklärte eine Fahrt mit der Harry-Potter-Achterbahn gar zur Metapher für die Beziehungen zwischen den USA und China: “Nach all dem Taumeln und Schütteln ist die Achterbahn am Ende weich gelandet“, schrieb er am Dienstag auf Twitter.  

Laut Chinas Staatsmedien soll der vier Quadratkilometer große Park pro Jahr mehr als zehn Millionen Gäste anziehen und einen jährlichen Umsatz von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro erzielen. Das “Universal Beijing Resort” im Stadtbezirk Tongzhou liegt rund 30 Kilometer vom Stadtzentrum Pekings entfernt. Zum Komplex gehören zwei große Hotels, 80 Restaurants, 24 Bühnenshows sowie 37 Attraktionen rund um Hollywood.

“Ein Vorzeigeprojekt der Kooperation”

Das Universal Beijing Resort befindet sich im Besitz der Firma Beijing International Resort, einem Gemeinschaftsunternehmen zwischen Beijing Shouhuan Cultural Tourism Investment Co. Ltd. und Universal Parks & Resorts, einer Geschäftseinheit von Comcast NBCUniversal. Die Chinesen besitzen 70 Prozent des Projekts, während NBCUniversal die restlichen 30 Prozent hält. Die Investitionen für den Park belaufen sich laut Medienberichten auf umgerechnet 6,5 Milliarden Euro. Er ist nach seinen Pendants in Hollywood, Orlando, Singapur und Osaka der fünfte Vergnügungspark der Universal Studios weltweit.

Die Eröffnung der seit 2015 im Bau befindlichen Anlage war aufgrund der Corona-Pandemie um mehrere Monate verschoben worden. Besucher müssen auch jetzt weiter Masken tragen, Abstand halten und sich mit einer Gesundheits-App ausweisen. Am Eingang wird zusätzlich Fieber gemessen. Der Eintritt für einen Erwachsenen kostet derzeit 41,50 Euro. Für die Anreise wurde sogar eigens eine neue U-Bahn-Haltestelle gebaut.

Das Universal Beijing Resort sei “ein Vorzeigeprojekt für chinesisch-amerikanische Kooperation”, sagt Song Yu, Chef der Beijing Tourism Group, einem der großen Teilhaber des Parks. Tatsächlich fällt die Eröffnung in eine Zeit, in der die politischen Beziehungen zwischen China und den USA nach wie vor angespannt sind und die Bemühungen amerikanischer Unternehmen, ihr Geschäft in China auszubauen, schwierig umzusetzen bleiben.

China braucht immer weniger Hollywood

Harry Potter ist der große Renner, auch wenn man dort schon mal 90 Minuten anstehen muss, um mitzufahren. Und obwohl es nicht die spektakulärste Attraktion ist, bleibt festzuhalten, dass viele Besucher, Erwachsene und Kinder, sogar in den passenden Zauberer-Kostümen kamen. Offensichtlich hat die Regierung nichts gegen westlichen Einfluss, solange China gut daran verdient. Der Park wurde sogar von der chinesischen Staatszeitung Global Times als Beleg dafür gesehen, dass westlichen Darstellung “von anti-US-Nationalismus damit ad absurdum geführt werden.”

Viele junge Besucher kamen in Harry-Potter-Verkleidung in den Universal-Park in Peking

Die Darstellung der Global Times und des chinesischen Botschafters ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Außerhalb des Parkgeländes macht es Peking den amerikanischen Filmemachern alles andere als einfach. China gestattet den großen US-Studios, pro Jahr nur 34 Filme in China zu zeigen, während sich die Rechteinhaber noch dazu mit niedrigen 25 Prozent der Ticketeinnahmen begnügen müssen.

Die chinesische Regierung, die die Unterhaltungsindustrie des Landes beaufsichtigt, legt dabei die Veröffentlichungstermine fest. Ebenso reglementiert ist, wie viel Werbung ein Film erhält und in wie vielen Kinos er gezeigt werden darf. US-Produktionen gehen mittlerweile viele Zugeständnisse ein, damit ihre Filme in China überhaupt noch zugelassen werden, vom Casting chinesischer Schauspieler bis hin zu chinesischen Elementen im Skript. Von den aktuellen Top-20-Filmen in China sind nur vier amerikanisch.

Denn Hollywood braucht China längst mehr als China Hollywood. 2020 kam die Volksrepublik auf 3,1 Milliarden Dollar Kino-Ticketeinnahmen, während die USA nur auf 2,3 Milliarden kam. Laut einem im Februar veröffentlichten Bericht verfügt China mittlerweile über mehr als 75.500 Leinwände. In den USA gab es im Jahr 2020 nur etwa 41.000. China ist zu lukrativ geworden, als dass Hollywood widerstehen könnte. Eine Möglichkeit, die Beschränkungen zu umgehen, besteht darin, eine Koproduktion zu organisieren, bei der mindestens ein Drittel der Finanzierung aus chinesischer Hand stammt und die Hauptdarsteller Chinesen sind.

Die junge Generation entdeckt chinesische Produktionen

Peking verfolgt eine klare Strategie: Die Kinozuschauer werden dazu erzogen, chinesische Filme zu schauen. Und der Plan geht auf. In den vergangenen Jahren und insbesondere während der Covid-Epidemie hat sich gezeigt, dass die Verbraucherpräferenzen in China eine neue Richtung einschlagen. Insbesondere die sogenannte Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde, wendet sich zunehmend chinesischen Marken und traditioneller chinesischer Kultur zu.

Made-in-China-Produkte gelten für sie nicht mehr als minderwertig. Das hat nicht nur mit politischem Druck zu tun, sondern auch damit, dass die chinesischen Filme besser werden, und sich Chinesen natürlich mehr für chinesischen Themen interessieren. Mit wachsendem Selbstbewusstsein haben sie auch ihre Sensibilität für stereotype westliche Darstellungen von asiatischer und speziell chinesischer Kultur geschärft. Sichtbar wird das beispielsweise am Popularitätsverlust der “Transformers”- oder “Fast & Furious”-Reihen, die in China zusätzlich schlechte Presse in den Staatsmedien bekommen.

Dennoch gehören die Transformers auch im Universal Park zu den am meisten besuchten Attraktionen. Angetrieben von der Zentralregierung dringen Filmemacher vom Festland in neue, aufwendige Genres wie Science-Fiction vor. Auch die Auswahl aus den asiatischen Nachbarländern wird zunehmend besser. Diese Filme sind dem chinesischen Publikum kulturell ebenfalls näher als Produktionen aus den USA, was nicht zuletzt auch vom Publikum in kleineren Städten honoriert wird, die zunehmend an das wachsende Kino-Netz der Volksrepublik angeschlossen werden.

Bis es allerdings einen chinesischen Park geben wird, der sich auf Augenhöhe zu US-Produktionen bewegt, werden noch sehr viele Jahre vergehen. Und wie lange es dauern wird, bis der erste chinesische Park genauso attraktiv sein wird wie der von Universal in Peking, ist noch gar nicht abzusehen.

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News

Stromsperren betreffen Industrie und Haushalte

Mehrere Zulieferer von Apple haben Teile ihrer Produktion in der Volksrepublik eingestellt, weil ihnen der elektrische Strom gesperrt wurde. Grund dafür seien die von der Zentralregierung in Peking erlassenen Vorgaben zur Energieeinsparung. Als Reaktion erklärte der Apple-Zulieferer Unimicron Technology Corp am Sonntag, in drei seiner Betriebe in China würden bis Donnerstag die Bänder stillstehen. Die Auswirkungen seien allerdings begrenzt, da man die Produktion in anderen Fabriken hochfahren werde.

Auch der Konzern Concraft Holding, der unter anderem Teile für iPhone-Kopfhörer herstellt, will bis Donnerstag nichts mehr produzieren und stattdessen auf seinen Lagerbestand zurückgreifen, um die Nachfrage zu bedienen. Die Foxconn-Gesellschaft Eson Precision Engineering legt ihre Bänder gar bis Freitag still, wie die Zeitung “Nikkei” berichtet.

Die Zentralregierung in Peking will den Stromverbrauch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um drei Prozent reduzieren, um seine Klimaziele zu erreichen – und hat entsprechende Vorgaben an die Provinzen ausgegeben. Die Provinzregierungen hatten ihrerseits die Vorgaben nochmals verschärft. In manchen Provinzen dürfen Einwohner deshalb keine Wasserkocher oder Mikrowellen mehr benutzen, Einkaufszentren müssen früher schließen. In Nordostchina sind auch Haushalte immer öfter von den Abschaltungen betroffen.

Hintergrund ist, dass Chinas Strombedarf immer weiter steigt – im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 um satte 14 Prozent. Seit 2000 ist der Pro-Kopf-Stromverbrauch in der Volksrepublik gar um das Sechsfache angestiegen. Zudem werden mehr als zwei Drittel der Stromnachfrage durch Kohlestrom gedeckt (China.Table berichtete). Als Folge stieg der Anteil Chinas an der weltweiten Kohleverstromung von 50 Prozent im Jahr 2019 auf 53 Prozent.

Schon Ende Mai haben Stromengpässe zu Fabrikschließungen geführt (China.Table berichtete). Damals hatten Stromversorger in der Industriehochburg Guangdong Fabriken aufgefordert, ihren Stromverbrauch zu reduzieren. 17 Städte in der Provinz verhängten daraufhin Beschränkungen für den Stromverbrauch. In einigen Regionen wurden für drei Tage die Fabriken geschlossen. Auch die Nachbarregionen Guangxi und Yunnan kämpften mit Stromengpässen.

Für Auto- und Elektronikkonzerne sind die neuen Zwangspausen ihrer Zulieferfirmen schlechte Nachrichten, kommen sie doch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Seit Monaten herrscht weltweit eine immense Materialknappheit, besonders elektronische Bauteile sind davon betroffen. rad

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Xiaomi regiert auf Litauens Zensur-Vorwürfe

Der chinesische Smartphone-Hersteller Xiaomi hat einen Experten angestellt, um der Warnung der litauischen Regierung vor Sicherheitslücken und eingebauten Zensurfunktionen in den Handys auf den Grund zu gehen. Der unabhängige Sachverständige werde die von Litauen vorgetragenen Punkte prüfen, teilte ein Firmensprecher am Montag mit. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, soll es sich bei dem “Experten” um eine Organisation in Europa handeln.

Vergangene Woche hatte das litauische Verteidigungsministerium Verbrauchern vor den Telefonen der chinesischen Hersteller Xiaomi und Huawei gewarnt (China.Table berichtete). Litauens Vize-Verteidigungsminister Margiris Abukevicius empfahl den Verbrauchern, “keine neuen chinesischen Mobiltelefone zu kaufen”. Nutzer sollten zudem versuchen, bereits erstandene Smartphones aus China “so schnell wie möglich loszuwerden”. Einer Analyse der litauischen Cybersicherheitsbehörde nach, handele es sich um drei 5G-Handys chinesischer Hersteller: das Huawei P40, das Xiaomi Mi 10T und das OnePlus 8T.

Dem Bericht zufolge seien Zensur-Möglichkeiten eingebaut. Die in Europa verkauften Xiaomi-Handys würden Begriffe wie “Freies Tibet”, “Es lebe die Unabhängigkeit Taiwans” oder “Demokratiebewegung” erkennen und zensieren, so die Behörde. Ähnliche Sicherheitslücken habe man bei Telefonen des chinesischen Herstellers Huawei gefunden. Das nationale Cybersicherheitszentrum hat die Untersuchung laut Abukevicius durchgeführt, “um den sicheren Einsatz von 5G-Geräten und Software in Litauern sicherzustellen”. Es seien daher in dem Land verfügbare Smartphones ausgewählt worden, die “von der internationalen Gemeinschaft als etwas riskant” eingeschätzt worden seien.

Als Konsequenz hat auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Untersuchungen aufgenommen. Das BSI nehme derzeit eine Bewertung des Berichts aus Litauen vor, bestätigte ein BSI-Sprecher China.Table. Xiaomi weist die Vorwürfe entschieden zurück. Ein Unternehmenssprecher erklärte, die Geräte zensierten keine Kommunikation mit oder von ihren Nutzern. “Xiaomi hat und wird niemals persönliche Aktivitäten seiner Smartphone-Nutzer einschränken oder unterbinden, wie beispielsweise das Suchen, Anrufen, Surfen im Internet oder die Verwendung von Drittanbieter-Kommunikationssoftware.” Man benutze lediglich Software, um Verbraucher vor bestimmten Inhalten wie Pornografie zu schützen. Es handele sich um eine Standardmaßnahme in der Industrie.

Die Nachfrage nach Xiaomi-Handys ist zuletzt deutlich angestiegen. In Europa stieg der Konzern laut den Marktbeobachtern von Strategy Analytics im zweiten Quartal zur Nummer eins auf. Auch in Deutschland sind die Geräte sehr beliebt. Die Beziehungen zwischen Litauen und China sind seit Wochen äußerst angespannt, nachdem die taiwanische Regierung in Vilnius ihre erste Repräsentanz in Europa unter eigenem Namen eröffnet hatte und damit Peking verärgerte (China.Table berichtete über beide Vorfälle). Die chinesische Regierung betrachtet die Inselrepublik als Teil der Volksrepublik. rad

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Evergrande stoppt E-Auto-Börsengang

Der schwer angeschlagene chinesische Immobilienkonzern Evergrande hat die Pläne für einen Börsengang seiner Elektroautotochter Evergrande New Energy Vehicle (NEV) in Shanghai gestoppt. Der Aktienkurs von Evergrande NEV fiel daraufhin am Montag an der Börse in Hongkong zeitweise um rund zehn Prozent.

Ein strategisches Investment oder ein Verkauf von Vermögensbeständen seien notwendig, um Mitarbeiter und Zulieferer zu bezahlen sowie die Massenproduktion aufrechtzuerhalten. Anleger fürchten nun offenbar eine Insolvenz der Elektroauto-Tochter, die wiederum zum Kollaps des Immobilienriesen führen könnte.

Es gebe “keine Garantie”, dass Evergrande NEV seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen werde, warnte der Automobilhersteller zu Wochenbeginn. Sein Aktienkurs in Hongkong ist seit Jahresbeginn um 80 Prozent gefallen. Am Sonntag hatte Evergrande NEV dann mitgeteilt, die finanziellen Schwierigkeiten des Mutterkonzerns hätten auch “nachteilige Auswirkungen” auf die geplante Massenproduktion von Elektroautos. Man stehe vor einem Liquiditätsengpass. Ohne eine Kapitalspritze stehe die Produktion von E-Autos vor einer ungewissen Zukunft, teilte das Unternehmen mit. Evergrande NEV wollte seine E-Autos auch in Deutschland verkaufen.

Der Mutterkonzern Evergrande beschäftigt seit Wochen die Finanzmärkte. Der Immobilienriese hat in den vergangenen Jahren einen riesigen Schuldenberg angehäuft. Die Verbindlichkeiten sollen sich inzwischen auf über 300 Milliarden US-Dollar belaufen. Nun ist der Konzern in Zahlungsverzug geraten gegenüber Banken, Anleihegläubigern sowie Kunden und Mitarbeitern.

Ob die Zentralregierung den Konzern retten wird, ist noch offen. Experten vermuten allerdings, Peking wolle an Evergrande ein Exempel statuieren (China.Table berichtete). Große Firmen sollen sich nicht darauf verlassen können, dass sie too-big-to-fail sind – also zu groß, um in Konkurs gehen zu können. Der Staat wolle mehr soziale Marktwirtschaft wagen und verfolge drei Ziele: Banken und Immobilienentwickler sollen ihre Risiken selbst tragen; Wohnungen müssen bezahlbar bleiben; und sie müssen eine stabile Wertanlage darstellen. Evergrande-Verwaltungsratschef Xu Jiayin hatte zuletzt versichert, man werde seine Verpflichtungen gegenüber Immobilienbesitzern, Anlegern, Partnerfirmen und Banken erfüllen (China.Table berichtete). rad

  • Autoindustrie

Nato-Chef fordert mehr Transparenz bei Rüstung

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat China zu mehr Transparenz in seiner Rüstungspolitik aufgefordert. In einem Video-Gespräch mit Chinas Außenminister Wang Yi am Montag äußerte der Nato-Chef zudem erstmals direkt Sorge über die atomare Aufrüstung der Volksrepublik, wie aus einer Mitteilung des Verteidigungsbündnisses hervorging. Stoltenberg habe China “nachdrücklich aufgefordert”, an einem Dialog über den Bestand an Kernwaffen teilzunehmen. Er will außerdem wieder mehr Vertrauen aufbauen. China solle sich dazu transparenter zeigen. Stoltenberg hatte sich bereits besorgt über den Bau neuer Raketensilos in China geäußert. Die Volksrepublik könne ihre nuklearen Fähigkeiten dadurch signifikant erhöhen, warnte der Nato-Chef (China.Table berichtete).

Der Nato-Generalsekretär und Außenminister Wang sprachen außerdem über die Lage in Afghanistan. Stoltenberg habe dabei die Bedeutung eines koordinierten internationalen Ansatzes betont. Das betreffe auch Länder der Region. Im Juni nannte die Nato China erstmals eine “systemische Herausforderung” (China.Table berichtete). Stoltenberg betonte damals, dass es wichtig sei, weiterhin miteinander zu sprechen. ari

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Bidens Alternative zur Seidenstraße führt nach Südamerika

Die US-Regierung erwägt, ein eigenes Gegenkonzept zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) zu entwickeln. Ein Abgesandter von Präsident Joe Biden werde demnächst in mehrere südamerikanische Länder reisen, um dort Möglichkeiten für ein Handels- und Investitionsprogramm auszuloten, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Für diese Rolle ist Daleep Singh im Gespräch, ein Ökonom mit einer langen Karriere im amerikanischen Regierungsapparat. Derzeit ist er Vizedirektor des Nationalen Wirtschaftsrates, eines hohen Beratergremiums des US-Präsidenten. Singh wird dem Bericht zufolge zunächst Kolumbien, Ecuador und Panama besuchen und dort Gespräche über mögliche Zusammenarbeiten führen.

Auf dem Treffen der führenden westlichen Industrienationen G7 im Juni haben die Teilnehmer vereinbart, Chinas Seidenstraßeninitiative ein eigenes Programm entgegenzusetzen (China.Table berichtete). Sie wollen Schwellenländer und Länder des globalen Südens erreichen, die China sonst durch Investitionen und Partnerschaften an sich binden könnte. Den G7 hat damals allerdings eher eine gemeinsame Initiative vorgeschwebt. Die EU arbeitet allerdings derzeit ebenfalls an einem eigenen Gegenkonzept (China.Table berichtete). fin

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Peking will weniger Abtreibungen

Die chinesische Regierung will die Zahl der Abtreibungen begrenzen, die zu “nichtmedizinischen Zwecken” vorgenommen werden. Das sehen neue Leitlinien der Regierung vor, die am Montag veröffentlicht wurden. Die grundlegende Politik der geschlechtlichen Gleichstellung und der Grundsatz, Kindern Vorrang einzuräumen, müssten tief verankert werden, sagte der stellvertretende Direktor des Nationalen Arbeitsausschusses für Frauen und Kinder des Staatsrats, Huang Xiaowei, laut einem Bericht von The Guardian. Huang kündigte demnach ebenfalls neue Maßnahmen an, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Männer sollten dazu ermutigt werden, “Verantwortung für die gemeinsame Verhütung zu übernehmen”.

Hintergrund der Maßnahmen ist ein Kurswechsel in Peking: Nach Jahren der Ein-Kind-Politik will die Regierung Familien nun ermutigen, mehrere Kinder zu bekommen. Paare, die drei statt zwei Kinder bekommen, erhalten Unterstützung (China.Table berichtete). Unklar blieb bei der jüngsten Ankündigung, ob die Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, Chinas sinkende Geburtenrate zu bekämpfen. Der Staatsrat erklärte dem Bericht zufolge, die neuen Richtlinien würden auch darauf abzielen, allgemein den Zugang zu medizinischer Versorgung für Schwangere zu verbessern.

In China verbieten strenge Gesetze bereits Abtreibungen von weiblichen Föten. Die Gesundheitsbehörden warnten 2018 außerdem, dass Schwangerschaftsabbrüche schädlich für den Körper seien und zu Unfruchtbarkeit führten. ari

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Presseschau

China to clamp down on abortions for ‘non-medical purposes’ THE GUARDIAN
Beijing Claims Victory Over Huawei Executive’s Return WSJ (PAY)
China condemns ‘evil intentions’ of UK warship passing through Taiwan Strait INDEPENDENT
White House Says ‘No Link’ Between Huawei Case and Freed Canadians BLOOMBERG (PAY)
China ready to work with Malaysia to strengthen communication and properly handle differences on South China Sea issue: Chinese Defense Minister GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
Hoffnung auf geordnete Abwicklung: Aktie von Evergrande steigt kräftig SPIEGEL
BASF erwartet von neuem Verbundstandort in China Milliardenumsätze HANDELSBLATT (PAY)
Peking will Strom sparen: Apple-Zulieferer in China stoppen Produktion N-TV
Reaktionen zur Bundestagswahl: Spanien gratuliert Scholz, China und Russland hoffen auf Dialog ZEIT
Kritik in UN-Menschenrechtsrat: China wirft USA Völkermord vor N-TV

Standpunkt

Aufbruch in die Post-Merkel-Ära

Von Joachim Koschnicke
Joachim Koschnicke Wahlkampfstratege für Angela Merkel
Joachim Koschnicke von der Unternehmensberatung Finsbury Glover Hering. Er war 2017 Wahlkampfstratege für Angela Merkel.

Die Bundestagswahl 2021 in Deutschland ist nicht nur ein entscheidender Moment für die deutsche Politik, sie wird auch Auswirkungen über Deutschland hinaus haben. Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel wurde von Regierungschefs auf der ganzen Welt als Führungsfigur und vertrauenswürdige Partnerin anerkannt und geschätzt. Während ihrer 16-jährigen Amtszeit arbeitete sie mit vier US-Präsidenten, drei EU-Kommissionspräsidenten, zwei chinesischen Präsidenten zusammen und nahm an über 100 EU-Ratsgipfeln teil. Der frühere US-Präsident Barack Obama ging sogar so weit, Merkel als letzte Verteidigerin des liberalen Westens zu bezeichnen. Welche Auswirkungen werden Merkels Austritt und die internationale Politik, insbesondere die Beziehungen EU-USA-China, haben?

Fünf Thesen zu den Auswirkungen der deutschen Wahlen auf die Beziehungen EU-USA-China

1. Die deutsche Außenpolitik wird sich nicht dramatisch ändern. Es wird viel spekuliert, dass Deutschland mit Merkels Weggang seinen außenpolitischen Kurs ändern und vor allem gegenüber China deutlich härter vorgehen wird. Während die Zahl der Befürworter einer solchen Verschiebung zugenommen hat und sich von zivilgesellschaftlichen Gruppen bis hin zu bedeutenden Teilen der deutschen Wirtschaft erstreckt, werden politische Verschiebungen in ihrer Reichweite begrenzt sein.

Warum? Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit grundsätzlich eine werteorientierte Außenpolitik befürwortet, so liegt doch eine noch tiefere Präferenz für Dialog und eine regelrechte Abneigung gegen eine spannungseskalierende Politik zugrunde. Damit verbunden ergibt sich ein wesentlicher Grund für die Bedeutung Deutschlands unter Bundeskanzlerin Merkel gerade in der Positionierung Deutschlands als moderierende Kraft zwischen Ost und West.

Hinzu kommt das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands, und es wird deutlich, dass Deutschland sowohl ein strategisches als auch ein taktisches Interesse daran hat, ein vertrauenswürdiger und unabhängiger Gesprächspartner und Partner für Ost und West zu bleiben. Auch wenn es einige Tonalitätsänderungen geben mag, ist eine grundlegende Änderung der Außenpolitik unwahrscheinlich, da Deutschlands Spitzenpolitiker wissen, dass dies Fortschritte bei wichtigen deutschen Prioritäten wie Klimawandel und internationale Stabilität noch schwieriger machen würde. Aus all diesen Gründen ist ein größerer politischer Wandel unwahrscheinlich – es sei denn, China würde Maßnahmen (z. B. gegenüber Taiwan) ergreifen, die Deutschland zwingen würden, sich für eine Seite zu entscheiden.

2. Für die deutsch-französische Achse werden bis Mitte 2022 Wahlüberlegungen im Vordergrund stehen. Nach dem Brexit hängt Europa mehr denn je vom Funktionieren des deutsch-französischen Motors ab, der für Fortschritte bei allen wichtigen politischen Themen unerlässlich ist. Auch wenn der Aufbau einer deutschen Regierung einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Die Tatsache, dass Deutschland ab dem 1. Januar 2022 die G7-Präsidentschaft innehat, bedeutet, dass der nächste Kanzler die Chance nutzen wird, sich schnell als rechtmäßige:r Nachfolger:in Merkels zu etablieren. Frankreichs Präsident Macron steht vor den Wahlen im Mai 2022 und wird versuchen, sich in einer unsicheren Welt als globaler Führer zu präsentieren – dafür braucht er die enge Unterstützung des nächsten deutschen Kanzlers, angesichts der Herausforderung der französischen Wahlen für Europa. Daher können wir erwarten, dass das deutsch-französische Tandem an der internationalen Front aktiv wird, aber mit einem scharfen Blick auf die Auswirkungen der Wahlen.

3. EU-Präsidentin von der Leyen wird versuchen, das Vakuum zu füllen, indem sie die Regulierungsbefugnisse der EU nutzt. Merkels Abgang und Macrons Wahlkampf schaffen ein Führungsvakuum, das die EU-Kommissionspräsidentin zu füllen versuchen wird. Nachdem es von der Leyen gelungen ist, die Relevanz der EU-Kommission während der Covid-Krise durch die Schaffung (und das Recht, den Zugang zu Mitteln von der Einhaltung der EU-Grundrechte durch die Mitgliedstaaten abhängig zu machen) – ein 750 Milliarden Euro Aufbauplan – um den Einfluss der Kommission in EU- und internationalen Angelegenheiten zu erhöhen. Zu diesem Zweck versucht sie, die Befugnisse der Kommission in Schlüsselbereichen von der Handelspolitik über den Klimawandel bis hin zur Gesetzgebung zu nutzen.

Eine Schlüsselinitiative, die sich sowohl auf EU-Firmen als auch auf globale Unternehmen auswirken wird, wird die bevorstehende EU-Gesetzgebung für Lieferketten sein, die den Marktzugang zur EU regelt, die immer noch der größte Markt der Welt ist. Sie wird die globalen Wertschöpfungsketten beeinflussen. Durchaus verändern könnten deutlich erhöhte Transparenzverpflichtungen und Menschenrechtsstandards die Angleichung wirtschaftlicher, ethischer und ökologischer Aspekte, um einen Triple-E-Goldstandard zu etablieren. Jedes Unternehmen mit Lieferketten und Geschäftspartnern, insbesondere in Schwellenländern, steht vor der Herausforderung, vollständige Transparenz zu gewährleisten und seine Partner zur vollständigen Einhaltung der ESG-Standards zu zwingen.

Europa steht nicht mehr ganz oben auf der US-Agenda

4. Europa wird sich sowohl von den USA als auch von China emanzipieren. Die Bemühungen der Biden-Regierung, die transatlantischen Folgen der Aukus-Allianz zu glätten, ändern nichts an der offensichtlichen Tatsache, die der Ausgrenzung Europas zugrunde liegt: Die US-EU-Beziehung wird nicht zu dem zurückkehren, was sie in der Nachkriegszeit war. Die harte Realität ist, dass Europa nicht mehr die Priorität Nummer 1 der USA ist.

Die Erkenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs nach Trumps Wahl, dass Europa sich nicht länger auf die USA verlassen kann, wurde erst durch die jüngsten Ereignisse bestätigt. Und während die USA und Europa gemeinsame Werte teilen mögen, sind die Interessen, Positionen und Ansätze der EU in Bezug auf China sicherlich nicht identisch. Biden hat dies erkannt und vernünftigerweise aufgehört, politisches Kapital für einige Themen wie 5G aufzuwenden.

Auch wenn der nächste deutsche Bundeskanzler weiterhin versuchen wird, die transatlantische Zusammenarbeit zu stärken, teilen die neuen deutschen Staats- und Regierungschefs sicherlich die Ansicht, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und mehr tun muss, um seine strategische Wirtschaft und seine Interessen zu schützen.

Interessanterweise verfolgen China, Europa und die USA alle ein ähnliches Konzept, um Schwachstellen in der Lieferkette zu reduzieren, ihre jeweiligen industriellen Grundlagen zu stärken und in Technologien der nächsten Generation zu investieren. Als logischer nächster Schritt wird Europa massiv investieren müssen, um die Abhängigkeit von anderen Märkten, einschließlich der militärischen Abhängigkeit von den USA, zu verringern.

5. Die nächsten Monate werden entscheidend für die weitere Entwicklung der globalen Beziehungen sein. Auf dem Jahresgipfel der Vereinten Nationen vergangene Woche war spürbar, dass wir uns an einem kritischen Punkt für die globale politische Dynamik befinden. Sowohl US-Präsident Biden als auch Chinas Präsident Xi betonten, dass sie nicht darauf abzielen, die Welt in eine weitere Konfrontation nach Art des Kalten Krieges zu führen. Das jüngste 90-minütige Telefonat zwischen Präsident Biden und Präsident Xi, in dem beide die Notwendigkeit eines anhaltenden Dialogs betonten, um die Beziehung sorgfältig zu verwalten, ist ein positives Zeichen, aber bestenfalls ein Ausgangspunkt.

Je nachdem, wie Europa seine Karten ausspielt, kann es entweder ein marginaler Akteur in dieser Arena der Großmächte oder eine relevante Kraft sein, die dazu beitragen kann, Spannungen abzubauen und einen Dialog über zentrale Herausforderungen aufzubauen, bei denen Zusammenarbeit möglich und unerlässlich ist – vom Klimawandel bis hin zu integrativem Wirtschaftswachstum und menschlichen Fortschritts bis hin zu einem ethischen und menschenzentrierten Ansatz für technologische Innovation in Schlüsselbereichen, von der KI bis zur Biotechnologie.

Klimaziele hängen von der Zusammenarbeit mit China ab

Im Moment liegt der Fokus fast ausschließlich auf dem, was China, die USA und den Rest trennt. Während der Machtwettbewerb jedoch bestehen bleibt und höchste Aufmerksamkeit erfordert, gibt es zahlreiche Bereiche, in denen Interessen ausgerichtet sind oder übereinstimmen könnten. Der bevorstehende COP-Gipfel in Glasgow ist ein offensichtlicher Bereich, in dem Fortschritte völlig von der Fähigkeit der führenden Mächte der Welt zur Zusammenarbeit abhängen.

Die globale und regionale Stabilität ist ein weiterer potenzieller Bereich, wie das Beispiel Afghanistan zeigt, wo China befürchtet, dass Instabilität Sicherheitsrisiken in China schaffen könnte. Ein weiterer Aspekt betrifft das, was Chinas Präsident Xi “Gemeinsamer Wohlstand” genannt hat. Ein Narrativ mit langer Tradition in China, das sich auf die Überwindung der Armut und die Gewährleistung einer gerechten Gesellschaft konzentriert. Während die Ansätze für Wirtschaftspolitik und Regulierung unterschiedlich sind, gibt es potenzielle Wege für eine Verknüpfung, beispielsweise in Bezug auf die Ausrichtung der EU auf faire Arbeitsbedingungen. Als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und Unterzeichner der ILO-Konventionen könnte China globale Führungsrolle demonstrieren und alle internationalen Standards der ILO, einschließlich Arbeits- und Sozialstandards, anerkennen und sich damit an die bevorstehende europäische Lieferkettengesetzgebung anpassen.

Fazit: Die Welt war unter Merkel nicht flach und wird auch ohne sie fließend bleiben. Die 2020er-Jahre begannen damit, dass die Welt mit einer historischen globalen Covid-Krise konfrontiert wurde. Jetzt wird das nächste Jahr entscheidend sein, um den Weg für die globalen Beziehungen zu ebnen: Es ist entscheidend, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt sorgfältig mit bestehenden Spannungen umgehen und den Mut finden, sich über nationale Interessen zu erheben und Wege für einen Konsens zu finden, um die Herausforderungen zu bewältigen, denen sich die Menschheit und unser Planet gegenübersehen. Die nächste deutsche Regierung wird eine Schlüsselrolle dabei spielen müssen, dass Europa als konstruktive und geschätzte Partei auftritt.

Joachim Koschnicke ist Partner im Bereich Regierungsbeziehungen bei der Unternehmensberatung Finsbury Glover Hering (FGH) in Berlin und dort Co-Leiter des China Desk. Davor beriet er Angela Merkel als Stratege im Wahlkampf 2017. Von 2013 bis 2017 war er in er Politikkommunikation bei General Motors Europe tätig.

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Personalien

Anngret Schulte in den Bäumen hat bei BMW in München die Verantwortung für Konzerninvestitionen in China übernommen. Sie hatte vorher eine Leitungsposition im Bereich Kundendienst.

Frank Ueltzhöffer ist bei Bosch in Suzhou Vice President of Engineering geworden. Zuvor war er bei der Schwesterfirma BSH im benachbarten Nanjing Senior Director Global Electronics and Drive.

Ilaria Mazzocco wurde am Center for Strategic & International Studies in Washington Fellow des Programms für Chinas Wirtschaft und Betriebswirtschaft.

Dessert

China ist unter die Weinproduzenten gegangen, und das Ergebnis sieht richtig lecker aus. In der Provinz Hebei, die Peking umgibt, bereitet sich dieser Weinbauer auf die Ernte vor. Chinas Winzer bewirtschaften bereits 855.000 Hektar mit Reben. Damit übertrifft das Land inzwischen sogar Frankreich mit 850.000 Hektar Fläche. Es liegt nur noch hinter Spanien mit 960.000 Hektar.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Rückblick auf 16 Jahre China-Politik unter Merkel
    • Universal-Vergnügungspark in Peking: Widerspruch zur Kulturpolitik?
    • Strom-Drosselung bei iPhone-Herstellern
    • Kippt Evergrande den Börsengang der E-Auto-Sparte?
    • Xiaomi verteidigt Sicherheit seiner Handys
    • Nato-Chef fordert mehr Transparenz bei Rüstung
    • Biden will Südamerika in BRI-Alternative einbinden
    • Kehrtwende: Peking reguliert Abtreibungen
    • Standpunkt zur Wahl: Joachim Koschnicke, Ex-Wahlstratege der CDU
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Bundestagswahl ist gelaufen, das Endergebnis steht fest – aber alles andere ist offen. Wer wird neuer Bundeskanzler? Mit welcher Koalition? Christiane Kühl nimmt die Zwischenphase zum Anlass, um einen Blick zu werfen auf 16 Jahre China-Politik von Angela Merkel. In ihrer Analyse geht es um eine gewisse Nähe im Denken, um das frühe Interesse an einer aufsteigenden Weltmacht, aber auch um die Wünsche der deutschen Wirtschaft.

    Auch in Peking war Angela Merkel am Montag Thema. Sie habe immer großen Wert auf den Ausbau der Beziehungen zwischen China und Deutschland gelegt, hieß es in der Pressekonferenz des chinesischen Außenministeriums. “China weiß dies sehr zu schätzen”, sagte Außenamtssprecherin Hua Chunying. Nun hoffe und erwarte man, dass die neue deutsche Regierung diese ausgewogene China-Politik fortsetze.

    Derweil haben die Universal Studios am Rande Pekings ihren weltgrößten Vergnügungspark eröffnet. Von Harry Potter über die Minions bis zu den Transformers kann man Amerikas Softpower in Reinform bestaunen. Innerhalb einer Minute waren alle Eintrittskarten ausverkauft. Offensichtlich hat Peking nichts gegen westlichen Einfluss, solange China gut daran verdient. Denn der Park ist nur eine Seite der Medaille. Frank Sieren zeigt in seiner Analyse, wie Amerikas Filmstudios inzwischen nach Pekings Pfeife tanzen muss, um überhaupt noch Zugang zu dem riesigen Markt zu erhalten.

    Viele neue Erkenntnisse bei der Lektüre wünscht

    Ihr
    Michael Radunski
    Bild von Michael  Radunski

    Analyse

    Merkel: Zeugin des Aufstiegs einer Großmacht

    Angela Merkel schüttelt Hu Jintao (China) die Hand
    Kurz vor Xi: Merkel mit Präsident Hu Jintao im Jahr 2012. Damals kannte sie ihn schon sieben Jahre.

    Im Sommer 2005 begann das politische China, sich mit der deutschen Kanzlerkandidatin zu beschäftigen. Damals war Angela Merkel in Peking eine Unbekannte. Sie war 1997 einmal als Umweltministerin unter dem damaligen Kanzler Helmut Kohl im Land gewesen, hatte aber keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Die Frage in Peking war also: Was würde die CDU anders machen als SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder? Dieser galt als wirtschafts- und chinafreundlich; er hatte sich unter anderem für eine Aufhebung des nach dem Tiananmen-Massaker von 1989 verhängten Waffenembargos der EU eingesetzt. Merkel hingegen sah im April 2005 im Bundestag keine Anzeichen dafür, dass entsprechende Voraussetzungen gegeben wären.

    Das Waffenembargo gilt bis heute. Ansonsten erfüllte Angela Merkel Befürchtungen Pekings nach einem gewaltigen Schwenk nicht. Zwar setzte sie sich hinter den Kulissen etwas mehr für Menschenrechte und die Zivilgesellschaft in China ein als Schröder, der diese Themen weitgehend seinem Außenminister Joschka Fischer überlassen hatte. Aber auch Merkel hatte stets die Interessen der deutschen Wirtschaft im Blick. Wie Schröder reiste sie jedes Jahr nach China und hatte stets viele Firmenvertreter in ihrer Delegation. Und auch sie zollte China für seine rasante Entwicklung Respekt.

    Angela Merkel – in China bekannt unter dem Namen 默克尔 Mo Ke Er – besaß zudem eine große Neugier auf das Land und die völlig andere Art, Dinge anzugehen. Daher reiste sie bei ihren Staatsbesuchen von Peking aus immer auch weiter Chinas Provinzen, etwa nach Jiangsu, Hubei, Anhui oder Guangdong. Auch zeigte Merkel ein gewisses Verständnis für die administrativen Schwierigkeiten, ein so großes und diverses Land zu regieren. Bei Hintergrundgesprächen diskutierte sie mit Journalisten auch mal darüber, wie viel Demokratie in China möglich sei. Und teilte scharfsinnige Beobachtungen, die nicht zitierbar waren.

    Merkels weitsichtiges Kümmern

    Merkel begleitete in ihren 16 Jahren als Kanzlerin den ungeheuren Aufstieg Chinas – und die wachsende Bedeutung, die das Land für die deutsche Wirtschaft bekam. Die deutschen Ausfuhren nach China haben sich seit ihrem Amtsantritt mehr als vervierfacht auf zuletzt rund 96 Milliarden Euro. China ist seit fünf Jahren Deutschlands größter Handelspartner, mit einem Volumen des Warenaustausches von knapp 213 Milliarden Euro. Hinzu kommen Milliardeninvestitionen deutscher Firmen in der Volksrepublik.

    China strebt heute einen Weltmachtstatus an, will die Geopolitik mitprägen und bei globalen Technologiestandards mitreden. Ohne China wird kein wirksamer Klimaschutz möglich sein. “Die Bundeskanzlerin hat die wachsende Stärke Chinas von Anfang an im Blick gehabt“, sagte ihr früherer Berater und späterer UN-Botschafter Christoph Heusgen kürzlich dem Magazin Der Spiegel. “Sie hat sehr früh gewusst: Das wird eine Weltmacht.” Deshalb sei sie so oft nach China gereist und habe 2010 die bilateralen Regierungskonsultationen begonnen – ein engen Partnern vorbehaltenes Format, bei dem sämtliche Minister beider Staaten zusammenkommen. “Dieses intensive Kümmern um China war weitsichtig und richtig”, sagte Heusgen.

    Viele der aktuellen Themen tauchten bereits in Merkels Anfangsjahren auf: Die EU etwa nahm China schon in den Jahren nach Merkels erstem Wahlsieg 2005 zunehmend als Konkurrenten wahr. Firmen fürchteten laut dem 2007 veröffentlichen Positionspapier der EU-Handelskammer EUCCC eine Abschottung des chinesischen Markts und eine Verschlechterung des Investitionsklimas – genau wie im neuen, vergangene Woche publizierten Papier der Kammer (China.Table berichtete). Auch Klagen über eine Verschärfung der Zensur gab es bereits – denn Peking begann damals, verstärkt gegen die Freiheit des wachsenden Internets vorzugehen.

    Merkel und China: Nähe im Denken

    Im Jahr 2007 traf Merkel im Bundeskanzleramt den Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter. Das sorgte für ernste, aber nicht für langfristige Verstimmung in Peking. Während der Euro-Krise infolge der weltweiten Finanzkrise jener Jahre kaufte China in erheblichen Umfang Anleihen von Euro-Schuldenstaaten auf, um die Lage zu stabilisieren. Der damalige Ministerpräsident Wen Jiabao sagte immer wieder seine Unterstützung für den Euro zu. Dafür war Merkel nach Ansicht von Beobachtern dankbar.

    Die Bundeskanzlerin wurde damals zur zentralen Ansprechpartnerin Chinas in Europa. “Diese Phase etwa von 2008 bis 2014 hat bei Merkel erkennbar den Eindruck hinterlassen, dass es eine Nähe im Denken gibt, die über ideologische Grenzen hinausgeht”, schreibt Andreas Rinke in der Fachzeitschrift Internationale Politik (IP) der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). “Zudem teilten ihre chinesischen Gesprächspartner ihr Interesse an einer multilateralen Weltordnung als Gegenmodell zu einer alleinigen Dominanz der USA und des Dollars.

    Wendepunkt: Der Amtsantritt von Xi Jinping

    Einen Wendepunkt markierte der Amtsantritt von Xi Jinping als KP-Chef und Präsident Chinas 2013. China agierte fortan selbstbewusster – und es zeigte sich, dass sich die in der Formel “Wandel durch Handel” ausgedrückte Hoffnung auf eine politische Öffnung des Systems infolge wachsenden Wohlstands nicht erfüllte. Im Gegenteil: Xi schaffte die Amtszeitbegrenzung für sich selbst ab, verstärkte die Zensur weiter, ließ Menschenrechtsanwälte inhaftieren, regierte mit immer härterer Hand in Xinjiang und zuletzt auch in Hongkong.

    Merkel kritisierte all das, aber trieb dennoch die enge Zusammenarbeit mit China voran. Beim Antrittsbesuch Xis in Berlin im März 2014 schlossen beide Seiten eine strategische Partnerschaft – die sich explizit auch auf die Außen- und Sicherheitspolitik erstreckte. Damals gab es bereits 60 verschiedene Dialog- und Kooperationsformate.

    Auf der Pressekonferenz sagte Merkel: “Wir haben heute darüber gesprochen, dass sich das politische Vertrauen auch dadurch entwickelt, dass wir Gemeinsamkeiten miteinander austauschen, dass wir neue Wege beschreiten, aber auch in der Lage sind, unterschiedliche Meinungen auszutauschen und über alle Fragen sehr intensiv reden können.” Es ist ein Mantra, dem sie bis heute treu geblieben ist. Beschlossen wurden 2014 zudem ein Finanzdialog und eine engere Zusammenarbeit im Rahmen der UN und der G20. “Merkel wollte den ökonomischen Riesen schrittweise zu einem größeren Engagement in den internationalen Organisationen bewegen und dadurch gleichzeitig Zügel anlegen”, schreibt Rinke.

    Mehr Hürden, aber kein Huawei-Bannstrahl

    2016 war dann ein Jahr der Schocks. Im Mai übernahm der chinesische Konzern Midea den Robotik-Hersteller Kuka: Erstmals fiel ein echtes Vorzeigeunternehmen an eine chinesische Firma, da sich kein inländischer Käufer gefunden hatte. Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 veränderte sich auch die globale Großwetterlage. Merkel navigierte Deutschlands Beziehungen zu China nun in einem zunehmend von globalem Krisenmanagement geprägten Umfeld.

    Deutschland erhöhte in dieser Zeit die Hürden für den Einstieg ausländischer Firmen in strategischen Bereichen – vor allem mit Blick auf China. Merkel setzte ab 2017 zunehmend auf Europa, da ihr das Vertrauen in die USA angesichts des feindseligen Verhaltens von Donald Trump abhanden kam.

    Und so folgte Merkel auch nicht Trump in seiner China-Politik. Als dieser den Bannstrahl auf den chinesischen Telekommunikationsausrüster Huawei richtete, hielt sie sich zurück. Im Streit um die Frage, ob Huawei beim Aufbau des deutschen 5G-Netzes beteiligt werden dürfe, drängte Merkel auf strenge Sicherheitsstandards anstelle eines Huawei-Verbots – auch aus Sorge vor Nachteilen für deutsche Firmen in China. Entsprechende Regeln wurden vom Bund 2020 verabschiedet; bisher beauftragten die Netzbetreiber allerdings ausschließlich europäische Firmen. Dagegen haben Großbritannien, Frankreich und Schweden ebenso wie die USA Huawei vom 5G-Aufbau formal ausgeschlossen.

    Vorwurf einer zu chinafreundlichen Politik

    Auch wegen solcher Entscheidungen wurden Merkel in Europa zuletzt immer wieder Alleingänge in der China-Politik vorgeworfen. Deutschland sei wirtschaftlich zu abhängig von China, hieß es. Daher traue sich Berlin nicht, auf die autoritären Tendenzen Xis und die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Hongkong mit einer härteren Linie zu antworten. Merkel trieb während ihrer EU-Ratspräsidentschaft die Unterzeichnung des Investitionsabkommens CAI voran, das im Dezember 2020 unterschrieben wurde – und nun wegen chinesischer Sanktionen gegen europäische Politiker und Thinktanks im Eisschrank liegt. Noch im April wurden die letzten Regierungskonsultationen mit China abgehalten – wegen der Pandemie allerdings nur virtuell.

    Kontinuität im schwierigen Verhältnis zur neuen Großmacht wollte Merkel auch nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft gewährleisten. Und so ernannte sie ihren Chefberater für Außenpolitik und engen Vertrauten Jan Hecker zum neuen Botschafter in Peking. Doch Hecker verstarb im August mit nur 54 Jahren ganz plötzlich, nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt (China Table berichtete). Nach Heckers tragischem Tod wird nun also voraussichtlich Merkels Nachfolger den nächsten Botschafter ernennen. Das Ausland erwartet vom neuen Kanzler – egal ob er Olaf Scholz oder Armin Laschet heißt – eine härtere China-Politik Deutschlands.

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    Eröffnung der Universal Studios: Im Park ist mehr erlaubt als im Film

    Kungu-Fu Panda Universal Studios China
    Der Eingang zum Fahrgeschäft des Kung-Fu Panda in den Universal Studios in Peking: Trotz chinesischer Anmutung eher wenig beliebt

    Mitten in diplomatisch schwierigen Zeiten hat sich ein Symbol der amerikanischen Kultur am Rande der chinesischen Hauptstadt niedergelassen. Der weltgrößte Vergnügungspark der Universal Studios in Peking hat in der vergangenen Woche seine Tore für die breite Bevölkerung geöffnet. Die Tickets waren binnen einer Minute ausverkauft. Auch die Hotelzimmer, die bis zu 3000 US-Dollar kosten, waren alle schnell vergeben. 

    Dabei ist der Park geprägt von westlichen Welten: Harry Potter, Minion Land, Jurassic World und Transformers. Die Softpower der USA scheint also trotz der Betonung der Eigenständigkeit chinesischer Kultur immer noch zu ziehen. Das Einzige, was im Park zumindest etwas chinesische Kultur transportiert, wenn auch US-amerikanisch interpretiert, ist Kung-Fu Panda – und bei dem standen in den ersten Tagen am wenigsten Besucher an.

    Qin Gang, Chinas Botschafter in Washington und einer der ersten Besucher des Parks, erklärte eine Fahrt mit der Harry-Potter-Achterbahn gar zur Metapher für die Beziehungen zwischen den USA und China: “Nach all dem Taumeln und Schütteln ist die Achterbahn am Ende weich gelandet“, schrieb er am Dienstag auf Twitter.  

    Laut Chinas Staatsmedien soll der vier Quadratkilometer große Park pro Jahr mehr als zehn Millionen Gäste anziehen und einen jährlichen Umsatz von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro erzielen. Das “Universal Beijing Resort” im Stadtbezirk Tongzhou liegt rund 30 Kilometer vom Stadtzentrum Pekings entfernt. Zum Komplex gehören zwei große Hotels, 80 Restaurants, 24 Bühnenshows sowie 37 Attraktionen rund um Hollywood.

    “Ein Vorzeigeprojekt der Kooperation”

    Das Universal Beijing Resort befindet sich im Besitz der Firma Beijing International Resort, einem Gemeinschaftsunternehmen zwischen Beijing Shouhuan Cultural Tourism Investment Co. Ltd. und Universal Parks & Resorts, einer Geschäftseinheit von Comcast NBCUniversal. Die Chinesen besitzen 70 Prozent des Projekts, während NBCUniversal die restlichen 30 Prozent hält. Die Investitionen für den Park belaufen sich laut Medienberichten auf umgerechnet 6,5 Milliarden Euro. Er ist nach seinen Pendants in Hollywood, Orlando, Singapur und Osaka der fünfte Vergnügungspark der Universal Studios weltweit.

    Die Eröffnung der seit 2015 im Bau befindlichen Anlage war aufgrund der Corona-Pandemie um mehrere Monate verschoben worden. Besucher müssen auch jetzt weiter Masken tragen, Abstand halten und sich mit einer Gesundheits-App ausweisen. Am Eingang wird zusätzlich Fieber gemessen. Der Eintritt für einen Erwachsenen kostet derzeit 41,50 Euro. Für die Anreise wurde sogar eigens eine neue U-Bahn-Haltestelle gebaut.

    Das Universal Beijing Resort sei “ein Vorzeigeprojekt für chinesisch-amerikanische Kooperation”, sagt Song Yu, Chef der Beijing Tourism Group, einem der großen Teilhaber des Parks. Tatsächlich fällt die Eröffnung in eine Zeit, in der die politischen Beziehungen zwischen China und den USA nach wie vor angespannt sind und die Bemühungen amerikanischer Unternehmen, ihr Geschäft in China auszubauen, schwierig umzusetzen bleiben.

    China braucht immer weniger Hollywood

    Harry Potter ist der große Renner, auch wenn man dort schon mal 90 Minuten anstehen muss, um mitzufahren. Und obwohl es nicht die spektakulärste Attraktion ist, bleibt festzuhalten, dass viele Besucher, Erwachsene und Kinder, sogar in den passenden Zauberer-Kostümen kamen. Offensichtlich hat die Regierung nichts gegen westlichen Einfluss, solange China gut daran verdient. Der Park wurde sogar von der chinesischen Staatszeitung Global Times als Beleg dafür gesehen, dass westlichen Darstellung “von anti-US-Nationalismus damit ad absurdum geführt werden.”

    Viele junge Besucher kamen in Harry-Potter-Verkleidung in den Universal-Park in Peking

    Die Darstellung der Global Times und des chinesischen Botschafters ist jedoch nur die halbe Wahrheit: Außerhalb des Parkgeländes macht es Peking den amerikanischen Filmemachern alles andere als einfach. China gestattet den großen US-Studios, pro Jahr nur 34 Filme in China zu zeigen, während sich die Rechteinhaber noch dazu mit niedrigen 25 Prozent der Ticketeinnahmen begnügen müssen.

    Die chinesische Regierung, die die Unterhaltungsindustrie des Landes beaufsichtigt, legt dabei die Veröffentlichungstermine fest. Ebenso reglementiert ist, wie viel Werbung ein Film erhält und in wie vielen Kinos er gezeigt werden darf. US-Produktionen gehen mittlerweile viele Zugeständnisse ein, damit ihre Filme in China überhaupt noch zugelassen werden, vom Casting chinesischer Schauspieler bis hin zu chinesischen Elementen im Skript. Von den aktuellen Top-20-Filmen in China sind nur vier amerikanisch.

    Denn Hollywood braucht China längst mehr als China Hollywood. 2020 kam die Volksrepublik auf 3,1 Milliarden Dollar Kino-Ticketeinnahmen, während die USA nur auf 2,3 Milliarden kam. Laut einem im Februar veröffentlichten Bericht verfügt China mittlerweile über mehr als 75.500 Leinwände. In den USA gab es im Jahr 2020 nur etwa 41.000. China ist zu lukrativ geworden, als dass Hollywood widerstehen könnte. Eine Möglichkeit, die Beschränkungen zu umgehen, besteht darin, eine Koproduktion zu organisieren, bei der mindestens ein Drittel der Finanzierung aus chinesischer Hand stammt und die Hauptdarsteller Chinesen sind.

    Die junge Generation entdeckt chinesische Produktionen

    Peking verfolgt eine klare Strategie: Die Kinozuschauer werden dazu erzogen, chinesische Filme zu schauen. Und der Plan geht auf. In den vergangenen Jahren und insbesondere während der Covid-Epidemie hat sich gezeigt, dass die Verbraucherpräferenzen in China eine neue Richtung einschlagen. Insbesondere die sogenannte Generation Z, die zwischen 1995 und 2010 geboren wurde, wendet sich zunehmend chinesischen Marken und traditioneller chinesischer Kultur zu.

    Made-in-China-Produkte gelten für sie nicht mehr als minderwertig. Das hat nicht nur mit politischem Druck zu tun, sondern auch damit, dass die chinesischen Filme besser werden, und sich Chinesen natürlich mehr für chinesischen Themen interessieren. Mit wachsendem Selbstbewusstsein haben sie auch ihre Sensibilität für stereotype westliche Darstellungen von asiatischer und speziell chinesischer Kultur geschärft. Sichtbar wird das beispielsweise am Popularitätsverlust der “Transformers”- oder “Fast & Furious”-Reihen, die in China zusätzlich schlechte Presse in den Staatsmedien bekommen.

    Dennoch gehören die Transformers auch im Universal Park zu den am meisten besuchten Attraktionen. Angetrieben von der Zentralregierung dringen Filmemacher vom Festland in neue, aufwendige Genres wie Science-Fiction vor. Auch die Auswahl aus den asiatischen Nachbarländern wird zunehmend besser. Diese Filme sind dem chinesischen Publikum kulturell ebenfalls näher als Produktionen aus den USA, was nicht zuletzt auch vom Publikum in kleineren Städten honoriert wird, die zunehmend an das wachsende Kino-Netz der Volksrepublik angeschlossen werden.

    Bis es allerdings einen chinesischen Park geben wird, der sich auf Augenhöhe zu US-Produktionen bewegt, werden noch sehr viele Jahre vergehen. Und wie lange es dauern wird, bis der erste chinesische Park genauso attraktiv sein wird wie der von Universal in Peking, ist noch gar nicht abzusehen.

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    News

    Stromsperren betreffen Industrie und Haushalte

    Mehrere Zulieferer von Apple haben Teile ihrer Produktion in der Volksrepublik eingestellt, weil ihnen der elektrische Strom gesperrt wurde. Grund dafür seien die von der Zentralregierung in Peking erlassenen Vorgaben zur Energieeinsparung. Als Reaktion erklärte der Apple-Zulieferer Unimicron Technology Corp am Sonntag, in drei seiner Betriebe in China würden bis Donnerstag die Bänder stillstehen. Die Auswirkungen seien allerdings begrenzt, da man die Produktion in anderen Fabriken hochfahren werde.

    Auch der Konzern Concraft Holding, der unter anderem Teile für iPhone-Kopfhörer herstellt, will bis Donnerstag nichts mehr produzieren und stattdessen auf seinen Lagerbestand zurückgreifen, um die Nachfrage zu bedienen. Die Foxconn-Gesellschaft Eson Precision Engineering legt ihre Bänder gar bis Freitag still, wie die Zeitung “Nikkei” berichtet.

    Die Zentralregierung in Peking will den Stromverbrauch im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um drei Prozent reduzieren, um seine Klimaziele zu erreichen – und hat entsprechende Vorgaben an die Provinzen ausgegeben. Die Provinzregierungen hatten ihrerseits die Vorgaben nochmals verschärft. In manchen Provinzen dürfen Einwohner deshalb keine Wasserkocher oder Mikrowellen mehr benutzen, Einkaufszentren müssen früher schließen. In Nordostchina sind auch Haushalte immer öfter von den Abschaltungen betroffen.

    Hintergrund ist, dass Chinas Strombedarf immer weiter steigt – im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum ersten Halbjahr 2019 um satte 14 Prozent. Seit 2000 ist der Pro-Kopf-Stromverbrauch in der Volksrepublik gar um das Sechsfache angestiegen. Zudem werden mehr als zwei Drittel der Stromnachfrage durch Kohlestrom gedeckt (China.Table berichtete). Als Folge stieg der Anteil Chinas an der weltweiten Kohleverstromung von 50 Prozent im Jahr 2019 auf 53 Prozent.

    Schon Ende Mai haben Stromengpässe zu Fabrikschließungen geführt (China.Table berichtete). Damals hatten Stromversorger in der Industriehochburg Guangdong Fabriken aufgefordert, ihren Stromverbrauch zu reduzieren. 17 Städte in der Provinz verhängten daraufhin Beschränkungen für den Stromverbrauch. In einigen Regionen wurden für drei Tage die Fabriken geschlossen. Auch die Nachbarregionen Guangxi und Yunnan kämpften mit Stromengpässen.

    Für Auto- und Elektronikkonzerne sind die neuen Zwangspausen ihrer Zulieferfirmen schlechte Nachrichten, kommen sie doch zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Seit Monaten herrscht weltweit eine immense Materialknappheit, besonders elektronische Bauteile sind davon betroffen. rad

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    Xiaomi regiert auf Litauens Zensur-Vorwürfe

    Der chinesische Smartphone-Hersteller Xiaomi hat einen Experten angestellt, um der Warnung der litauischen Regierung vor Sicherheitslücken und eingebauten Zensurfunktionen in den Handys auf den Grund zu gehen. Der unabhängige Sachverständige werde die von Litauen vorgetragenen Punkte prüfen, teilte ein Firmensprecher am Montag mit. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, soll es sich bei dem “Experten” um eine Organisation in Europa handeln.

    Vergangene Woche hatte das litauische Verteidigungsministerium Verbrauchern vor den Telefonen der chinesischen Hersteller Xiaomi und Huawei gewarnt (China.Table berichtete). Litauens Vize-Verteidigungsminister Margiris Abukevicius empfahl den Verbrauchern, “keine neuen chinesischen Mobiltelefone zu kaufen”. Nutzer sollten zudem versuchen, bereits erstandene Smartphones aus China “so schnell wie möglich loszuwerden”. Einer Analyse der litauischen Cybersicherheitsbehörde nach, handele es sich um drei 5G-Handys chinesischer Hersteller: das Huawei P40, das Xiaomi Mi 10T und das OnePlus 8T.

    Dem Bericht zufolge seien Zensur-Möglichkeiten eingebaut. Die in Europa verkauften Xiaomi-Handys würden Begriffe wie “Freies Tibet”, “Es lebe die Unabhängigkeit Taiwans” oder “Demokratiebewegung” erkennen und zensieren, so die Behörde. Ähnliche Sicherheitslücken habe man bei Telefonen des chinesischen Herstellers Huawei gefunden. Das nationale Cybersicherheitszentrum hat die Untersuchung laut Abukevicius durchgeführt, “um den sicheren Einsatz von 5G-Geräten und Software in Litauern sicherzustellen”. Es seien daher in dem Land verfügbare Smartphones ausgewählt worden, die “von der internationalen Gemeinschaft als etwas riskant” eingeschätzt worden seien.

    Als Konsequenz hat auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Untersuchungen aufgenommen. Das BSI nehme derzeit eine Bewertung des Berichts aus Litauen vor, bestätigte ein BSI-Sprecher China.Table. Xiaomi weist die Vorwürfe entschieden zurück. Ein Unternehmenssprecher erklärte, die Geräte zensierten keine Kommunikation mit oder von ihren Nutzern. “Xiaomi hat und wird niemals persönliche Aktivitäten seiner Smartphone-Nutzer einschränken oder unterbinden, wie beispielsweise das Suchen, Anrufen, Surfen im Internet oder die Verwendung von Drittanbieter-Kommunikationssoftware.” Man benutze lediglich Software, um Verbraucher vor bestimmten Inhalten wie Pornografie zu schützen. Es handele sich um eine Standardmaßnahme in der Industrie.

    Die Nachfrage nach Xiaomi-Handys ist zuletzt deutlich angestiegen. In Europa stieg der Konzern laut den Marktbeobachtern von Strategy Analytics im zweiten Quartal zur Nummer eins auf. Auch in Deutschland sind die Geräte sehr beliebt. Die Beziehungen zwischen Litauen und China sind seit Wochen äußerst angespannt, nachdem die taiwanische Regierung in Vilnius ihre erste Repräsentanz in Europa unter eigenem Namen eröffnet hatte und damit Peking verärgerte (China.Table berichtete über beide Vorfälle). Die chinesische Regierung betrachtet die Inselrepublik als Teil der Volksrepublik. rad

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    Evergrande stoppt E-Auto-Börsengang

    Der schwer angeschlagene chinesische Immobilienkonzern Evergrande hat die Pläne für einen Börsengang seiner Elektroautotochter Evergrande New Energy Vehicle (NEV) in Shanghai gestoppt. Der Aktienkurs von Evergrande NEV fiel daraufhin am Montag an der Börse in Hongkong zeitweise um rund zehn Prozent.

    Ein strategisches Investment oder ein Verkauf von Vermögensbeständen seien notwendig, um Mitarbeiter und Zulieferer zu bezahlen sowie die Massenproduktion aufrechtzuerhalten. Anleger fürchten nun offenbar eine Insolvenz der Elektroauto-Tochter, die wiederum zum Kollaps des Immobilienriesen führen könnte.

    Es gebe “keine Garantie”, dass Evergrande NEV seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommen werde, warnte der Automobilhersteller zu Wochenbeginn. Sein Aktienkurs in Hongkong ist seit Jahresbeginn um 80 Prozent gefallen. Am Sonntag hatte Evergrande NEV dann mitgeteilt, die finanziellen Schwierigkeiten des Mutterkonzerns hätten auch “nachteilige Auswirkungen” auf die geplante Massenproduktion von Elektroautos. Man stehe vor einem Liquiditätsengpass. Ohne eine Kapitalspritze stehe die Produktion von E-Autos vor einer ungewissen Zukunft, teilte das Unternehmen mit. Evergrande NEV wollte seine E-Autos auch in Deutschland verkaufen.

    Der Mutterkonzern Evergrande beschäftigt seit Wochen die Finanzmärkte. Der Immobilienriese hat in den vergangenen Jahren einen riesigen Schuldenberg angehäuft. Die Verbindlichkeiten sollen sich inzwischen auf über 300 Milliarden US-Dollar belaufen. Nun ist der Konzern in Zahlungsverzug geraten gegenüber Banken, Anleihegläubigern sowie Kunden und Mitarbeitern.

    Ob die Zentralregierung den Konzern retten wird, ist noch offen. Experten vermuten allerdings, Peking wolle an Evergrande ein Exempel statuieren (China.Table berichtete). Große Firmen sollen sich nicht darauf verlassen können, dass sie too-big-to-fail sind – also zu groß, um in Konkurs gehen zu können. Der Staat wolle mehr soziale Marktwirtschaft wagen und verfolge drei Ziele: Banken und Immobilienentwickler sollen ihre Risiken selbst tragen; Wohnungen müssen bezahlbar bleiben; und sie müssen eine stabile Wertanlage darstellen. Evergrande-Verwaltungsratschef Xu Jiayin hatte zuletzt versichert, man werde seine Verpflichtungen gegenüber Immobilienbesitzern, Anlegern, Partnerfirmen und Banken erfüllen (China.Table berichtete). rad

    • Autoindustrie

    Nato-Chef fordert mehr Transparenz bei Rüstung

    Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat China zu mehr Transparenz in seiner Rüstungspolitik aufgefordert. In einem Video-Gespräch mit Chinas Außenminister Wang Yi am Montag äußerte der Nato-Chef zudem erstmals direkt Sorge über die atomare Aufrüstung der Volksrepublik, wie aus einer Mitteilung des Verteidigungsbündnisses hervorging. Stoltenberg habe China “nachdrücklich aufgefordert”, an einem Dialog über den Bestand an Kernwaffen teilzunehmen. Er will außerdem wieder mehr Vertrauen aufbauen. China solle sich dazu transparenter zeigen. Stoltenberg hatte sich bereits besorgt über den Bau neuer Raketensilos in China geäußert. Die Volksrepublik könne ihre nuklearen Fähigkeiten dadurch signifikant erhöhen, warnte der Nato-Chef (China.Table berichtete).

    Der Nato-Generalsekretär und Außenminister Wang sprachen außerdem über die Lage in Afghanistan. Stoltenberg habe dabei die Bedeutung eines koordinierten internationalen Ansatzes betont. Das betreffe auch Länder der Region. Im Juni nannte die Nato China erstmals eine “systemische Herausforderung” (China.Table berichtete). Stoltenberg betonte damals, dass es wichtig sei, weiterhin miteinander zu sprechen. ari

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    • Wang Yi

    Bidens Alternative zur Seidenstraße führt nach Südamerika

    Die US-Regierung erwägt, ein eigenes Gegenkonzept zur chinesischen Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI) zu entwickeln. Ein Abgesandter von Präsident Joe Biden werde demnächst in mehrere südamerikanische Länder reisen, um dort Möglichkeiten für ein Handels- und Investitionsprogramm auszuloten, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg. Für diese Rolle ist Daleep Singh im Gespräch, ein Ökonom mit einer langen Karriere im amerikanischen Regierungsapparat. Derzeit ist er Vizedirektor des Nationalen Wirtschaftsrates, eines hohen Beratergremiums des US-Präsidenten. Singh wird dem Bericht zufolge zunächst Kolumbien, Ecuador und Panama besuchen und dort Gespräche über mögliche Zusammenarbeiten führen.

    Auf dem Treffen der führenden westlichen Industrienationen G7 im Juni haben die Teilnehmer vereinbart, Chinas Seidenstraßeninitiative ein eigenes Programm entgegenzusetzen (China.Table berichtete). Sie wollen Schwellenländer und Länder des globalen Südens erreichen, die China sonst durch Investitionen und Partnerschaften an sich binden könnte. Den G7 hat damals allerdings eher eine gemeinsame Initiative vorgeschwebt. Die EU arbeitet allerdings derzeit ebenfalls an einem eigenen Gegenkonzept (China.Table berichtete). fin

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    Peking will weniger Abtreibungen

    Die chinesische Regierung will die Zahl der Abtreibungen begrenzen, die zu “nichtmedizinischen Zwecken” vorgenommen werden. Das sehen neue Leitlinien der Regierung vor, die am Montag veröffentlicht wurden. Die grundlegende Politik der geschlechtlichen Gleichstellung und der Grundsatz, Kindern Vorrang einzuräumen, müssten tief verankert werden, sagte der stellvertretende Direktor des Nationalen Arbeitsausschusses für Frauen und Kinder des Staatsrats, Huang Xiaowei, laut einem Bericht von The Guardian. Huang kündigte demnach ebenfalls neue Maßnahmen an, um ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden. Männer sollten dazu ermutigt werden, “Verantwortung für die gemeinsame Verhütung zu übernehmen”.

    Hintergrund der Maßnahmen ist ein Kurswechsel in Peking: Nach Jahren der Ein-Kind-Politik will die Regierung Familien nun ermutigen, mehrere Kinder zu bekommen. Paare, die drei statt zwei Kinder bekommen, erhalten Unterstützung (China.Table berichtete). Unklar blieb bei der jüngsten Ankündigung, ob die Maßnahmen darauf ausgerichtet sind, Chinas sinkende Geburtenrate zu bekämpfen. Der Staatsrat erklärte dem Bericht zufolge, die neuen Richtlinien würden auch darauf abzielen, allgemein den Zugang zu medizinischer Versorgung für Schwangere zu verbessern.

    In China verbieten strenge Gesetze bereits Abtreibungen von weiblichen Föten. Die Gesundheitsbehörden warnten 2018 außerdem, dass Schwangerschaftsabbrüche schädlich für den Körper seien und zu Unfruchtbarkeit führten. ari

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    Presseschau

    China to clamp down on abortions for ‘non-medical purposes’ THE GUARDIAN
    Beijing Claims Victory Over Huawei Executive’s Return WSJ (PAY)
    China condemns ‘evil intentions’ of UK warship passing through Taiwan Strait INDEPENDENT
    White House Says ‘No Link’ Between Huawei Case and Freed Canadians BLOOMBERG (PAY)
    China ready to work with Malaysia to strengthen communication and properly handle differences on South China Sea issue: Chinese Defense Minister GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    Hoffnung auf geordnete Abwicklung: Aktie von Evergrande steigt kräftig SPIEGEL
    BASF erwartet von neuem Verbundstandort in China Milliardenumsätze HANDELSBLATT (PAY)
    Peking will Strom sparen: Apple-Zulieferer in China stoppen Produktion N-TV
    Reaktionen zur Bundestagswahl: Spanien gratuliert Scholz, China und Russland hoffen auf Dialog ZEIT
    Kritik in UN-Menschenrechtsrat: China wirft USA Völkermord vor N-TV

    Standpunkt

    Aufbruch in die Post-Merkel-Ära

    Von Joachim Koschnicke
    Joachim Koschnicke Wahlkampfstratege für Angela Merkel
    Joachim Koschnicke von der Unternehmensberatung Finsbury Glover Hering. Er war 2017 Wahlkampfstratege für Angela Merkel.

    Die Bundestagswahl 2021 in Deutschland ist nicht nur ein entscheidender Moment für die deutsche Politik, sie wird auch Auswirkungen über Deutschland hinaus haben. Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel wurde von Regierungschefs auf der ganzen Welt als Führungsfigur und vertrauenswürdige Partnerin anerkannt und geschätzt. Während ihrer 16-jährigen Amtszeit arbeitete sie mit vier US-Präsidenten, drei EU-Kommissionspräsidenten, zwei chinesischen Präsidenten zusammen und nahm an über 100 EU-Ratsgipfeln teil. Der frühere US-Präsident Barack Obama ging sogar so weit, Merkel als letzte Verteidigerin des liberalen Westens zu bezeichnen. Welche Auswirkungen werden Merkels Austritt und die internationale Politik, insbesondere die Beziehungen EU-USA-China, haben?

    Fünf Thesen zu den Auswirkungen der deutschen Wahlen auf die Beziehungen EU-USA-China

    1. Die deutsche Außenpolitik wird sich nicht dramatisch ändern. Es wird viel spekuliert, dass Deutschland mit Merkels Weggang seinen außenpolitischen Kurs ändern und vor allem gegenüber China deutlich härter vorgehen wird. Während die Zahl der Befürworter einer solchen Verschiebung zugenommen hat und sich von zivilgesellschaftlichen Gruppen bis hin zu bedeutenden Teilen der deutschen Wirtschaft erstreckt, werden politische Verschiebungen in ihrer Reichweite begrenzt sein.

    Warum? Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit grundsätzlich eine werteorientierte Außenpolitik befürwortet, so liegt doch eine noch tiefere Präferenz für Dialog und eine regelrechte Abneigung gegen eine spannungseskalierende Politik zugrunde. Damit verbunden ergibt sich ein wesentlicher Grund für die Bedeutung Deutschlands unter Bundeskanzlerin Merkel gerade in der Positionierung Deutschlands als moderierende Kraft zwischen Ost und West.

    Hinzu kommt das exportorientierte Geschäftsmodell Deutschlands, und es wird deutlich, dass Deutschland sowohl ein strategisches als auch ein taktisches Interesse daran hat, ein vertrauenswürdiger und unabhängiger Gesprächspartner und Partner für Ost und West zu bleiben. Auch wenn es einige Tonalitätsänderungen geben mag, ist eine grundlegende Änderung der Außenpolitik unwahrscheinlich, da Deutschlands Spitzenpolitiker wissen, dass dies Fortschritte bei wichtigen deutschen Prioritäten wie Klimawandel und internationale Stabilität noch schwieriger machen würde. Aus all diesen Gründen ist ein größerer politischer Wandel unwahrscheinlich – es sei denn, China würde Maßnahmen (z. B. gegenüber Taiwan) ergreifen, die Deutschland zwingen würden, sich für eine Seite zu entscheiden.

    2. Für die deutsch-französische Achse werden bis Mitte 2022 Wahlüberlegungen im Vordergrund stehen. Nach dem Brexit hängt Europa mehr denn je vom Funktionieren des deutsch-französischen Motors ab, der für Fortschritte bei allen wichtigen politischen Themen unerlässlich ist. Auch wenn der Aufbau einer deutschen Regierung einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

    Die Tatsache, dass Deutschland ab dem 1. Januar 2022 die G7-Präsidentschaft innehat, bedeutet, dass der nächste Kanzler die Chance nutzen wird, sich schnell als rechtmäßige:r Nachfolger:in Merkels zu etablieren. Frankreichs Präsident Macron steht vor den Wahlen im Mai 2022 und wird versuchen, sich in einer unsicheren Welt als globaler Führer zu präsentieren – dafür braucht er die enge Unterstützung des nächsten deutschen Kanzlers, angesichts der Herausforderung der französischen Wahlen für Europa. Daher können wir erwarten, dass das deutsch-französische Tandem an der internationalen Front aktiv wird, aber mit einem scharfen Blick auf die Auswirkungen der Wahlen.

    3. EU-Präsidentin von der Leyen wird versuchen, das Vakuum zu füllen, indem sie die Regulierungsbefugnisse der EU nutzt. Merkels Abgang und Macrons Wahlkampf schaffen ein Führungsvakuum, das die EU-Kommissionspräsidentin zu füllen versuchen wird. Nachdem es von der Leyen gelungen ist, die Relevanz der EU-Kommission während der Covid-Krise durch die Schaffung (und das Recht, den Zugang zu Mitteln von der Einhaltung der EU-Grundrechte durch die Mitgliedstaaten abhängig zu machen) – ein 750 Milliarden Euro Aufbauplan – um den Einfluss der Kommission in EU- und internationalen Angelegenheiten zu erhöhen. Zu diesem Zweck versucht sie, die Befugnisse der Kommission in Schlüsselbereichen von der Handelspolitik über den Klimawandel bis hin zur Gesetzgebung zu nutzen.

    Eine Schlüsselinitiative, die sich sowohl auf EU-Firmen als auch auf globale Unternehmen auswirken wird, wird die bevorstehende EU-Gesetzgebung für Lieferketten sein, die den Marktzugang zur EU regelt, die immer noch der größte Markt der Welt ist. Sie wird die globalen Wertschöpfungsketten beeinflussen. Durchaus verändern könnten deutlich erhöhte Transparenzverpflichtungen und Menschenrechtsstandards die Angleichung wirtschaftlicher, ethischer und ökologischer Aspekte, um einen Triple-E-Goldstandard zu etablieren. Jedes Unternehmen mit Lieferketten und Geschäftspartnern, insbesondere in Schwellenländern, steht vor der Herausforderung, vollständige Transparenz zu gewährleisten und seine Partner zur vollständigen Einhaltung der ESG-Standards zu zwingen.

    Europa steht nicht mehr ganz oben auf der US-Agenda

    4. Europa wird sich sowohl von den USA als auch von China emanzipieren. Die Bemühungen der Biden-Regierung, die transatlantischen Folgen der Aukus-Allianz zu glätten, ändern nichts an der offensichtlichen Tatsache, die der Ausgrenzung Europas zugrunde liegt: Die US-EU-Beziehung wird nicht zu dem zurückkehren, was sie in der Nachkriegszeit war. Die harte Realität ist, dass Europa nicht mehr die Priorität Nummer 1 der USA ist.

    Die Erkenntnis der europäischen Staats- und Regierungschefs nach Trumps Wahl, dass Europa sich nicht länger auf die USA verlassen kann, wurde erst durch die jüngsten Ereignisse bestätigt. Und während die USA und Europa gemeinsame Werte teilen mögen, sind die Interessen, Positionen und Ansätze der EU in Bezug auf China sicherlich nicht identisch. Biden hat dies erkannt und vernünftigerweise aufgehört, politisches Kapital für einige Themen wie 5G aufzuwenden.

    Auch wenn der nächste deutsche Bundeskanzler weiterhin versuchen wird, die transatlantische Zusammenarbeit zu stärken, teilen die neuen deutschen Staats- und Regierungschefs sicherlich die Ansicht, dass Europa sein Schicksal selbst in die Hand nehmen und mehr tun muss, um seine strategische Wirtschaft und seine Interessen zu schützen.

    Interessanterweise verfolgen China, Europa und die USA alle ein ähnliches Konzept, um Schwachstellen in der Lieferkette zu reduzieren, ihre jeweiligen industriellen Grundlagen zu stärken und in Technologien der nächsten Generation zu investieren. Als logischer nächster Schritt wird Europa massiv investieren müssen, um die Abhängigkeit von anderen Märkten, einschließlich der militärischen Abhängigkeit von den USA, zu verringern.

    5. Die nächsten Monate werden entscheidend für die weitere Entwicklung der globalen Beziehungen sein. Auf dem Jahresgipfel der Vereinten Nationen vergangene Woche war spürbar, dass wir uns an einem kritischen Punkt für die globale politische Dynamik befinden. Sowohl US-Präsident Biden als auch Chinas Präsident Xi betonten, dass sie nicht darauf abzielen, die Welt in eine weitere Konfrontation nach Art des Kalten Krieges zu führen. Das jüngste 90-minütige Telefonat zwischen Präsident Biden und Präsident Xi, in dem beide die Notwendigkeit eines anhaltenden Dialogs betonten, um die Beziehung sorgfältig zu verwalten, ist ein positives Zeichen, aber bestenfalls ein Ausgangspunkt.

    Je nachdem, wie Europa seine Karten ausspielt, kann es entweder ein marginaler Akteur in dieser Arena der Großmächte oder eine relevante Kraft sein, die dazu beitragen kann, Spannungen abzubauen und einen Dialog über zentrale Herausforderungen aufzubauen, bei denen Zusammenarbeit möglich und unerlässlich ist – vom Klimawandel bis hin zu integrativem Wirtschaftswachstum und menschlichen Fortschritts bis hin zu einem ethischen und menschenzentrierten Ansatz für technologische Innovation in Schlüsselbereichen, von der KI bis zur Biotechnologie.

    Klimaziele hängen von der Zusammenarbeit mit China ab

    Im Moment liegt der Fokus fast ausschließlich auf dem, was China, die USA und den Rest trennt. Während der Machtwettbewerb jedoch bestehen bleibt und höchste Aufmerksamkeit erfordert, gibt es zahlreiche Bereiche, in denen Interessen ausgerichtet sind oder übereinstimmen könnten. Der bevorstehende COP-Gipfel in Glasgow ist ein offensichtlicher Bereich, in dem Fortschritte völlig von der Fähigkeit der führenden Mächte der Welt zur Zusammenarbeit abhängen.

    Die globale und regionale Stabilität ist ein weiterer potenzieller Bereich, wie das Beispiel Afghanistan zeigt, wo China befürchtet, dass Instabilität Sicherheitsrisiken in China schaffen könnte. Ein weiterer Aspekt betrifft das, was Chinas Präsident Xi “Gemeinsamer Wohlstand” genannt hat. Ein Narrativ mit langer Tradition in China, das sich auf die Überwindung der Armut und die Gewährleistung einer gerechten Gesellschaft konzentriert. Während die Ansätze für Wirtschaftspolitik und Regulierung unterschiedlich sind, gibt es potenzielle Wege für eine Verknüpfung, beispielsweise in Bezug auf die Ausrichtung der EU auf faire Arbeitsbedingungen. Als Gründungsmitglied der Vereinten Nationen und Unterzeichner der ILO-Konventionen könnte China globale Führungsrolle demonstrieren und alle internationalen Standards der ILO, einschließlich Arbeits- und Sozialstandards, anerkennen und sich damit an die bevorstehende europäische Lieferkettengesetzgebung anpassen.

    Fazit: Die Welt war unter Merkel nicht flach und wird auch ohne sie fließend bleiben. Die 2020er-Jahre begannen damit, dass die Welt mit einer historischen globalen Covid-Krise konfrontiert wurde. Jetzt wird das nächste Jahr entscheidend sein, um den Weg für die globalen Beziehungen zu ebnen: Es ist entscheidend, dass die Staats- und Regierungschefs der Welt sorgfältig mit bestehenden Spannungen umgehen und den Mut finden, sich über nationale Interessen zu erheben und Wege für einen Konsens zu finden, um die Herausforderungen zu bewältigen, denen sich die Menschheit und unser Planet gegenübersehen. Die nächste deutsche Regierung wird eine Schlüsselrolle dabei spielen müssen, dass Europa als konstruktive und geschätzte Partei auftritt.

    Joachim Koschnicke ist Partner im Bereich Regierungsbeziehungen bei der Unternehmensberatung Finsbury Glover Hering (FGH) in Berlin und dort Co-Leiter des China Desk. Davor beriet er Angela Merkel als Stratege im Wahlkampf 2017. Von 2013 bis 2017 war er in er Politikkommunikation bei General Motors Europe tätig.

    • Angela Merkel
    • Deutschland
    • Geopolitik
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    Personalien

    Anngret Schulte in den Bäumen hat bei BMW in München die Verantwortung für Konzerninvestitionen in China übernommen. Sie hatte vorher eine Leitungsposition im Bereich Kundendienst.

    Frank Ueltzhöffer ist bei Bosch in Suzhou Vice President of Engineering geworden. Zuvor war er bei der Schwesterfirma BSH im benachbarten Nanjing Senior Director Global Electronics and Drive.

    Ilaria Mazzocco wurde am Center for Strategic & International Studies in Washington Fellow des Programms für Chinas Wirtschaft und Betriebswirtschaft.

    Dessert

    China ist unter die Weinproduzenten gegangen, und das Ergebnis sieht richtig lecker aus. In der Provinz Hebei, die Peking umgibt, bereitet sich dieser Weinbauer auf die Ernte vor. Chinas Winzer bewirtschaften bereits 855.000 Hektar mit Reben. Damit übertrifft das Land inzwischen sogar Frankreich mit 850.000 Hektar Fläche. Es liegt nur noch hinter Spanien mit 960.000 Hektar.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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