willkommen am China.Table Trade, dem neuen Professional Briefing mit den wichtigsten Analysen und News zu Handels- und geopolitischen Entwicklungen zwischen Peking, Berlin und Brüssel. China hat sich 2020 zum wichtigsten Handelspartner der Europäischen Union entwickelt und die USA auf Rang zwei verwiesen. Investitionsabkommen, digitale Wirtschaftspartnerschaften, BRI und CO2-Grenzabgaben – am Trade Table stehen die komplexen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland, EU und der Volksrepublik im Mittelpunkt.
Wie die neue Bundesregierung die Beziehungen zu Peking ausrichten wird, ist vor allem in Brüssel das Gesprächsthema. EU-weit sind derzeit alle Augen auf Deutschland gerichtet. Im deutsche TV-Wahlkampf kommt das Thema aber zu kurz: Auch das zweite Triell zwischen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz ging ohne eine einzige Frage nach internationaler Handels- oder Außenpolitik zu Ende. Im Interview mit China.Table hat die Grünen-Spitzenkandidatin aber über ihre Pläne für eine China-Politik gesprochen. Was Baerbock im Interview mit Felix Lee meint, wenn sie über “strategische Souveränität” statt “Entkoppelung” spricht, macht klar: Der Ton wird rauer. Und die Grünen-Chefin möchte den “Umgang mit China hoch oben auf der politischen Agenda stehen” sehen.
Die schockierenden Entwicklungen in Afghanistan waren indes bereits beim ersten Triell ein Thema – und der Umgang mit den Taliban wird eine der ersten großen Aufgaben für die neue Regierung. Journalist Cem Sey lebte als Korrespondent drei Jahre lang in dem Land. Im Interview spricht Sey über den pragmatischen Umgang Pekings mit den neuen Machthabern in Kabul. Wird China nun zur neuen Ordnungsmacht in Afghanistan?
Das China.Table-Team wird Sie wöchentlich über die wichtigsten Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Was steht für Sie im Vordergrund: Klare Worte zu Menschenrechten oder reibungsloser Handel?
Im Kampf gegen die Klimakrise führt kein Weg an einer Kooperation mit China vorbei. Gleichzeitig kann eine zeitgemäße Handelspolitik nicht entkoppelt von der Frage nach Menschenrechten betrieben werden. Was ist denn am Handel reibungslos, wenn dabei Menschenrechte verletzt und Umwelt und Klima zerstört werden? Das heißt aber auch, Menschenrechte nicht immer nur pro forma anzusprechen und sich wegzuducken, wenn es ums Geld geht. Stattdessen sollten wir die Macht unseres europäischen Binnenmarktes nutzen, um europäische Werte zu schützen.
Die derzeitigen Handelsbeziehungen mit China lassen Zwangsarbeit und die schweren Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang zum Beispiel außer Acht. Das können wir aber unterbinden – Waren aus Zwangsarbeit würden dann keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten. Aber auch mit Blick auf einen fairen Marktzugang für ausländische Investitionen, auf Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen ist in den europäisch-chinesischen Handelsbeziehungen noch viel zu tun.
Wie stehen Sie zu Globalisierung und freien Warenströmen? Denken Sie, die Weltgegenden sollten sich wirtschaftlich entkoppeln?
Globalisierung hat vielen Menschen Wohlstand und Entwicklung gebracht. Gleichzeitig brauchen wir in der globalisierten Welt klare Regeln, die Ungleichheit verringern sowie Menschenrechte und unsere Lebensgrundlagen schützen. Von wirtschaftlicher Entkoppelung oder Protektionismus halte ich nichts. China ist eine so große aufstrebende Wirtschaftskraft, dass wir uns nicht von diesem Land abschotten können. Aber wir dürfen uns natürlich nicht von einem autoritären Regime abhängig machen, das auch mit unlauteren Wirtschaftsmethoden arbeitet.
Wir brauchen eine andere Chinapolitik, die auf alle sensiblen Wirtschaftsbereiche schaut und ihre Kraft aus der gemeinsamen Stärke der Europäischen Union zieht. Wir Europäer*innen können selbst definieren, welche Produkte auf unseren Markt kommen und welche Investitionen, vor allem in kritische Infrastruktur, wir zulassen. Und wir können entscheiden, unsere Lieferketten – zum Beispiel mit gleichgesinnten Staaten im Indopazifik-Raum – zu diversifizieren, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Das ist nicht Entkoppelung, sondern strategische Souveränität.
Wie wichtig ist China generell auf Ihrer Agenda im Vergleich zu EU, USA, Russland und dem Globalen Süden?
Wir erleben derzeit einen Wettbewerb der Systeme – liberale Demokratien versus autoritäre Kräfte wie China. Die chinesische Führung stellt mit ihrer aggressiven Machtpolitik die Staatengemeinschaft vor eine große Herausforderung. Sie zwingt viele Staaten in wirtschaftliche und damit auch in eine politische Abhängigkeit, agiert wie im Südchinesischen Meer zunehmend auch militärisch aggressiv, verletzt das Verfassungsprinzip “Ein Land, zwei Systeme” in Hongkong und setzt Taiwan massiv unter Druck. Gleichzeitig müssen wir mit China und anderen autoritären Regimen bei den großen Menschheitsfragen wie der Klimakrise zusammenarbeiten.
Daher: Der Umgang mit der Volksrepublik muss hoch oben auf der politischen Agenda stehen. Ganz entscheidend ist eine einheitliche europäische Politik, wenn die EU im geopolitischen Gefüge mit China nicht zerrieben werden will. Alleingänge, wie wir sie die letzten Jahre von der Bundesregierung gesehen haben, schwächen die europäische Position gegenüber China. Umso wichtiger ist, dass wir auch in der Chinapolitik mit den USA eng zusammenarbeiten. Die transatlantische Partnerschaft bleibt ein zentraler Stützpfeiler der deutschen Außenpolitik.
Der Vorwurf wog zu schwer, um ihn zu ignorieren. Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hatte in der vorvergangenen Woche beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen mehrere deutsche Textilmarken und Händler gestellt. Die Klage richtet sich gegen die Discounter Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd, zudem C&A und Hugo Boss. Die Menschenrechtsorganisation wirft den Firmen vor, “direkt oder indirekt von Zwangsarbeit von Uiguren” in der chinesischen Region Xinjiang zu profitieren. Damit könnten die Unternehmen in Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert sein, lautet der Vorwurf.
Jetzt reagierten einige der betroffenen Firmen. Das Modelabel Hugo Boss erklärte, es gehe davon aus, dass bei der Herstellung der Waren “keine Rechtsverstöße vorliegen”, wie die Zeitschrift Textilwirtschaft berichtet. Hugo Boss habe “die Lieferanten aufgefordert, uns mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Fertigung unserer Waren in unserer Lieferkette entsprechend unserer Werte und Standards erfolgt.” Besonderes Augenmerk gelte dabei den Menschenrechten. Ein wichtiger chinesischer Partner, die Esquel-Gruppe, habe “versichert”, alle Standards einzuhalten. Leider hätten sich aber wichtige Anbieter von unabhängigen Kontrollen aus der Region zurückgezogen, darunter der TÜV.
Auch C&A hat bereits Stellung genommen. Der Textilwirtschaft zufolge erklärte das Unternehmen, es beziehe gar “keine Kleidung von Herstellern mit Sitz in der Provinz Xinjiang”. Die Feststellung bezieht sich allerdings nur auf die Gegenwart. Die Klage des ECCHR bezog sich auf die Lieferbeziehung zu einem Anbieter, mit dem C&A bis vor einem Jahr zusammengearbeitet hat. Da schon seit 2017 über Menschenrechtsprobleme in Xinjiang berichtet werde, sei das zu spät, unterstellt die Organisation. Lidl teilte dem ECCHR mit, dass es mit zwei Firmen in Xinjiang, die ehemalige Insassen der Umerziehungslager beschäftigt haben sollen, seit “über einem Jahr nicht mehr” zusammenarbeite.
Die Klage des ECCHR gegen die deutschen Unternehmen hat es in sich. Seit Jahren weisen Nichtregierungsorganisationen auf das Risiko von Zwangsarbeit im Baumwoll- und Textilsektor in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang hin. Die Region ist Heimat der muslimischen Minderheit der Uiguren, die von den chinesischen Behörden systematisch unterdrückt werden. Hunderttausende Uiguren sollen Berichten zufolge in den letzten Jahren zeitweise in sogenannte Umerziehungslager gesperrt worden sein. Die chinesische Regierung bestreitet das offiziell, chinesische Staatsmedien haben aber selbst mehrfach diese Lager erwähnt.
Zugleich ist Xinjiang eines der weltweit ertragreichsten Anbaugebiete für Baumwolle. Mehr als 80 Prozent der in China hergestellten Baumwolle kommt aus der Region, das entspricht rund einem Fünftel der Weltproduktion. Ein Großteil davon wird noch immer per Hand gepflückt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch werden oft uigurische Arbeiter dafür eingesetzt. Die chinesische Regierung zwinge Uiguren unter anderem zur Arbeit in der Textilindustrie, heißt es in der fast 100-seitigen Klageschrift. Die Listen von Zulieferern der angezeigten Unternehmen belegen, dass diese entweder aktuell oder bis vor kurzem in Xinjiang produzierten.
Auch andere internationale Modeunternehmen stehen unter Druck. Als die USA und EU im Frühjahr wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Region Sanktionen gegen chinesische Regierungsmitglieder verhängten, erklärten unter anderem Nike und H&M ihren Verzicht auf Baumwolle aus Xinjiang. Daraufhin standen diese Marken allerdings in China am Pranger. In den sozialen Medien rief unter anderem die einflussreiche kommunistische Jugendliga zum Boykott dieser westlichen Marken auf. Boss hatte erst versichert, keine Waren von Direktlieferanten aus der Region Xinjiang zu kaufen. Als man in den chinesischen sozialen Medien allerdings unter Beschuss geriet, versicherte das Unternehmen auf der chinesischen Plattform Weibo, weiterhin Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen.
Es ist nicht die erste Anzeige dieser Art, die das ECCHR einreicht. Mit ähnlichen Verfahren haben die Menschenrechtsanwälte schon früher für Aufsehen gesorgt. 2015 klagten sie gegen den deutschen Textildiscounter KIK. Wegen mangelnden Brandschutzes war vor neun Jahren eine Fabrikhalle in Pakistan von KIKs Lieferanten abgebrannt. 259 Mitarbeiter kamen dabei ums Leben. Die Zivilklage wurde allerdings wegen Verjährung abgewiesen. Dieser Grund wird im Fall von Xinjiang nicht gelten.
Das ECCHR fordert die Generalbundesanwaltschaft auf, “die mutmaßliche Zwangsarbeit und die mögliche rechtliche Verantwortung der Unternehmen zu untersuchen”. Die Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte, Miriam Saage-Maaß, erklärte, es sei “inakzeptabel, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während die Unternehmen womöglich von der Ausbeutung” der uigurischen Bevölkerung profitierten. Tatsächlich sind Unternehmen verpflichtet, völkerstrafrechtliche Standards einzuhalten, selbst wenn sie Geschäftsbeziehungen in repressiven Ländern unterhalten. Falls sich der Verdacht der Zwangsarbeit bestätigen sollte, so Saage-Maaß, sei es “höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden”.
Die Anzeige beruht auf dem existierenden Völkerstrafgesetzbuch, das Menschenrechtsverletzungen im Ausland strafbar macht. Es ist seit 2002 in Kraft. Menschenrechtsjuristen erwarten, dass ein europäisches Lieferkettengesetz den Anwälten noch wesentlich robustere Anhaltspunkte für Klagen gegen große Unternehmen bieten würde, die sich in Fernost mit Waren versorgen (China.Table berichtete). Ein solches Lieferkettengesetz soll in den kommenden Jahren endgültig formuliert und beschlossen werden.
Herr Sey, nach dem Debakel des Westens in Afghanistan – ist China der große Profiteur?
Das lässt sich so noch nicht sagen. Natürlich ist nach dem Fall Kabuls und der Machtergreifung durch die Taliban eine geopolitische Lücke entstanden. Der Westen wird diese Lücke nicht mehr füllen. Und ja, China will gerne gute Beziehungen zu Afghanistan haben. Das hat die chinesische Führung auch schon angekündigt. China pflegt zudem gute Beziehungen zu Pakistan. Und Pakistan steht hinter der Taliban.
Das heißt: Für die Chinesen könnte eine Region entstehen, in der sie im Rahmen ihrer Belt-and-Road-Initiative Eisenbahnlinien und dergleichen bauen könnten. Ein Hindernis bleibt aber: die Nähe der Taliban zu gewalttätigen islamistischen Terrorgruppen. Wenn Extremisten in Afghanistan Fuß fassen, die womöglich die Extremisten unter Uiguren in China unterstützen, würde das Peking überhaupt nicht gefallen. Deswegen, denke ich, werden die Chinesen zunächst einmal sehr vorsichtig agieren.
Als die Taliban vor 20 Jahren an der Macht waren, waren sie selbst eine radikal-islamische Gruppe. Das passt doch überhaupt nicht zu China. Oder ticken die Taliban inzwischen anders?
Nein, das tun sie nicht. Aber Chinesen sind pragmatisch und haben auch kein Problem, mit anderen islamistischen Regierungen zusammenzuarbeiten. Die Taliban sollte man im Übrigen auch nicht mit dem IS verwechseln. Der IS ist eine durch und durch fanatische Bewegung. Die Taliban legen den Islam sehr streng aus und wollen dies auch autoritär durchsetzen. Es geht ihnen aber nicht darum, andere Länder zu islamisieren.
Die Menschen in den anderen muslimisch geprägten Ländern in der Region sehen China und den Ausbau der Infrastruktur im Zuge seiner Neuen Seidenstraße mit großem Misstrauen. Nicht zuletzt auch wegen der Uiguren-Frage wächst in einigen dieser Länder die Gefahr von Anschlägen auf chinesische Einrichtungen.
Tadschiken, Kirgisen und Kasachen sind wie die Uiguren Turkvölker und ihnen kulturell sehr viel näher als die Paschtunen in Afghanistan. Es gibt zwar auch extremistische Taliban, die mit dem IS sympathisieren und die Uiguren-Frage aufgreifen. Diese sind aber meist in Pakistan. Die pakistanischen und afghanischen Taliban sind nicht gleichzusetzen. Das Ziel der afghanischen Taliban war es, die ausländischen Truppen aus dem Land zu haben und ihre Herrschaft auf Basis der Scharia-Gesetze wieder herzustellen. Das haben sie nun erreicht. Weder wird Peking seine Truppen nach Afghanistan schicken, noch ist China aus Sicht der Taliban der Feind .
Wie war bislang das Verhältnis der Afghanen zu China?
Viele Afghanen finden China interessant. Sie betrachten die Chinesen als ein Volk, dass in der Vergangenheit ebenfalls vom Westen unterdrückt war, sich aber aus den Fängen befreien konnte und nun selbst eine Weltmacht ist. Das finden die Afghanen bewundernswert. Afghanen denken zudem pragmatisch. Für sie spielt keine Rolle, ob ihre chinesischen Geschäftspartner muslimisch sind oder nicht. Zudem haben die Chinesen dem Land viele verlockende Angebote gemacht.
Bei der bislang größten chinesischen Investition, der Kupfermine in Mes Aymak, hat China seine Investitionen an keine Bedingungen geknüpft, die über das Geschäftliche hinausgehen. Die Afghanen empfanden das als Verhandlungen auf Augenhöhe. Das Gefühl hatten sie bei den Europäern und den Amerikanern nicht. Anders als die Amerikaner will sich China auch nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Das gefällt Vielen.
Afghanistan ist angeblich reich an Rohstoffen, der Appetit der Chinesen danach ist groß. Warum haben die Chinesen vieles davon nicht längst abgeschöpft?
Natürlich hat Afghanistan auch Bodenschätze. Das haben bereits die Sowjets in den frühen 1980er-Jahren festgestellt. Doch sie haben auch herausgefunden, dass es zu kostspielig wäre, diese zu fördern. Es wäre schlicht und einfach nicht wirtschaftlich. In 2007 haben die USA Argumente gesucht, um die schon damals bröckelnde Unterstützung der Öffentlichkeit für den Einsatz in Afghanistan zu stabilisieren und haben unter anderem die angeblichen Funde der Sowjets aus der Schublade geholt. Seitdem glauben viele daran. Dass Afghanistan enorm rohstoffreich ist, ist also nur eine Legende.
Sonderlich erfolgreich waren die chinesischen Investitionen dann auch nicht. In Mes Aymak haben die Chinesen bis zum Schluss kaum etwas gefördert.
Das lag aber nicht an den Chinesen, sondern an der Korruption auf afghanischer Seite. Für die Mine mussten mehrere Dörfer verlegt werden. Die Bauern sollten entsprechend entschädigt werden, die Chinesen zahlten auch. Das Geld kam aber nie an. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Zudem wurde dann auf der Baustelle eine alte Ruine gefunden, woraufhin internationale Organisationen mit ihren Archäologen kamen. Das hat zu weiteren Verzögerungen geführt. Im Norden Afghanistans haben die Chinesen aber erfolgreich ein Gasfeld erschlossen, die Pipelines sind gebaut.
Die Chinesen werden ihre Geschäfte weiterführen können?
Ich vermute schon. Die Europäer und Amerikaner haben alle ihre Geschäfte gestoppt und Afghanistan unter den Taliban den Geldhahn zugedreht. Die Taliban haben also kein Geld und werden dankbar sein, wenn China und Russland jetzt als Geldgeber einspringen.
Unter den Taliban könnte das afghanisch-chinesische Verhältnis also noch enger werden?
Ich halte das für möglich. Solange der Westen im Land war, war es für chinesische Investoren schwieriger Fuß zu fassen. Als es zum Beispiel um die Gasfelder im Norden des Landes ging, hatte die afghanische Seite westliche Berater zur Seite. Diese fallen nun weg.
Sollte es China unter den Taliban gelingen noch stärker Fuß zu fassen in Afghanistan – was hätte das für die Region für Folgen?
Afghanistan ist in der Region wie ein Schwarzes Loch, das alle umliegenden Länder zu verschlingen droht. Das war schon in den letzten 20 Jahren so. Alle angrenzenden Länder haben riesige Drogenprobleme. Das ist auf den Anbau und den Handel in Afghanistan zurückzuführen. Ebenso ist es beim Waffenhandel. Sollte es den Taliban gelingen, den Drogen- und Waffenhandel stärker unter Kontrolle zu bekommen, wird das nicht nur aus chinesischer Sicht für mehr Stabilität in der Region sorgen. Zugleich gibt es jedoch das angespannte Verhältnis zwischen Indien und China. Beide versuchen über Afghanistan ihre Rivalität auszuspielen. Und wenn die Volksrepublik sich nun zu sehr in Afghanistan breit macht, wird Indien entsprechend reagieren. Das wiederum könnte die Region destabilisieren.
Cem Sey ist Journalist für deutsche und türkischsprachige Medien. Er war 2007 bis 2019 US-Korrespondent der türkischsprachigen Sektion der Deutschen Welle (DW), hat zwischen 2012 und 2015 als Korrespondent in Kabul gelebt und zwischen 2016 und 2019 in Singapur. Schon in den 00er-Jahren war Sey im Auftrag der Akademie der Deutschen Welle, der Mediathek Afghanistan und dem Journalisten-Training der Vereinten Nationen regelmäßig als Medientrainer in Afghanistan.
Die EU-Strategie für den Indopazifik, mit der Brüssel seine Allianzen in der Region gegen China stärken will, könnte es einer Umfrage zufolge in den Mitgliedsstaaten schwer haben. Die Befragung des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt große Differenzen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten: “In Europa herrscht keine Einigkeit darüber, in welchen Bereichen die EU sich stärker in die Region einbringen sollte oder welchen geografischen Raum durch den Begriff ‘Indopazifik’ überhaupt abgedeckt wird”, erklärt die Koordinatorin des ECFR-Asien-Programms, Manisha Reuter, gegenüber China.Table. “Trotz der wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Region besteht in weiten Teilen der EU-Mitgliedstaaten weiterhin ein Mangel an Interesse.”
Die Umfrage und ein begleitender Bericht wurden am Montag vorgestellt. ECFR hatte dafür hochrangige politische Akteure der EU-Mitgliedsstaaten befragt. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) werden am Dienstag ihre erweiterte Strategie für die Region präsentieren. Diese soll unter anderem Partnerschaften im Digital-Bereich mit Japan, Südkorea und Singapur zum Ziel haben (China.Table berichtete).
Dass die Debatte in den einzelnen Mitgliedsländern jedoch “wenig ausgeprägt” sei, könnte letztlich die Effektivität der Strategie begrenzen, warnt Reuter. Sie sieht Nachholbedarf vonseiten Brüssels: “Diejenigen, die die Debatte in Europa antreiben, müssen überzeugend darlegen, warum Europa im Indopazifik aktiv sein sollte. Dabei geht es auch um ein legitimes strategisches Interesse an der Region jenseits von wirtschaftlicher Diversifizierung, welches die EU klar formulieren sollte.” Generell sei die Neuausrichtung von Europas Rolle im Indo-Pazifik-Raum aber ein wichtiger Baustein, so Reuter.
Die EU arbeitet derzeit an mehreren Ecken an Strategien auf die Präsenz Chinas in Asien und entlang der Neuen Seidenstraße (BRI). Die EU-Außenminister hatten zuletzt im Juli den Druck auf die EU-Kommission erhöht, eine attraktive und nachhaltige Alternative zur BRI zu schaffen (China.Table berichtete). ari
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hat den fehlenden Zugang zur Provinz Xinjiang beklagt. “Ich bedaure nicht über Fortschritte bei meinen Bemühungen um einen sinnvollen Zugang zur Autonomen Region Xinjiang berichten zu können”, sagte die UN-Hochkommissarin während der Eröffnung der Sitzungen des UN-Menschenrechtsrats am Montag laut Reuters. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte versucht Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen an muslimischen Uiguren zu untersuchen. Schon seit 2018 verhandelt ihr Büro über einen Zugang nach Xinjiang (China.Table berichtete). Das Bestreben Bachelets wird von mehr als 40 Staaten aktiv unterstützt (China.Table berichtete). Bachelet plant, bald einen Bericht über die “verfügbaren Informationen zu Vorwürfen schwerer Menschenrechtsverletzungen” in Xinjiang zu veröffentlichen. nib
Ein Sprecher der afghanischen Taliban hat die Erwartung geäußert, dem pakistanisch-chinesischen Wirtschaftskorridor beitreten zu können. Das berichtet die Wirtschaftszeitung Nikkei. China sei der Idee nicht abgeneigt, unterstellt eine anonyme Quelle gegenüber dem Blatt. China hat Afghanistan bereits Soforthilfe in Höhe von rund 26 Millionen Euro versprochen (China.Table berichtete). Der pakistanisch-chinesischen Wirtschaftskorridor ist ein Kernprojekt der neuen Seidenstraße (Belt and Road Inititative, BRI). Die Aussichten eines religiös-fundamentalistisch geführten Afghanistan als Teil des chinesischen Wirtschaftsnetzwerks sind einerseits ungewiss, andererseits geht China höchst pragmatisch an den Umgang mit den neuen Nachbarn heran (China.Table berichtete). fin
Chinas Exporte haben im August um 25,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugelegt (in US-Dollar berechnet). Das berichtete der chinesische Zoll am Dienstag in Peking. Die Importe haben demnach gar um 33,1 Prozent zugenommen. Mit diesen Werten zeigt sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stärker als erwartet – trotz des jüngsten Corona-Ausbruchs (China.Table berichtete).
Experten hatten gar mit einer Abschwächung des chinesischen Wachstums gerechnet. Insgesamt gab es jedoch ein Plus von 28,8 Prozent. Der Handelsüberschuss erreichte 58,3 Milliarden US-Dollar.
Die Werte zeigen, dass sich die höheren Transportkosten und die coronabedingten Verzögerungen in den Häfen offenbar weit weniger stark auf den Handel ausgewirkt haben als ursprünglich befürchtet worden war. Auch mit Verweis auf höhere Rohstoffpreise und Lieferengpässe in China hatten Experten ihre deutlich niedrigeren Erwartungen gerechtfertigt und zudem für den Rest des Jahres ein schwächeres Exportwachstum vorhergesagt.
Deutsche Exporteure konnten vom Aufschwung des chinesischen Außenhandels allerdings nicht sonderlich profitieren. Die deutschen Ausfuhren nach China stiegen lediglich um 5,6 Prozent, während im Gegenzug aus China um 29,2 Prozent mehr importiert wurde. Damit wuchs das bilaterale Handelsvolumen insgesamt um 16,4 Prozent.
Chinas Handel mit der gesamten Europäischen Union gar legte um 22,8 Prozent zu. Seine Exporte in die EU kletterten um 29,4 Prozent, während die Importe immerhin um 12,4 Prozent stiegen.
“Die neuen Außenhandelszahlen weisen auf eine nachhaltige Wirtschaftserholung in China hin”, sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK), gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Davon könnten auch deutsche Unternehmen profitieren, doch auf Märkten in anderen Regionen der Welt träfen sich auch vermehrt auf chinesische Konkurrenten. rad
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich besorgt über den Bau neuer Raketensilos in China geäußert. Die Volksrepublik könne ihre atomaren Fähigkeiten dadurch signifikant erhöhen, sagte Stoltenberg am Montag bei einer Konferenz zu Fragen der Rüstungskontrolle, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete. China erweitere rapide seine Kernwaffenbestände um weitere Gefechtsköpfe und um eine größere Anzahl an hoch entwickelten Trägersystemen, so der Nato-Chef.
Das alles geschehe uneingeschränkt und vollständig intransparent, sagte Stoltenberg dem Bericht zufolge. “Als eine globale Macht hat China Verantwortung bei der Rüstungskontrolle”, ergänzte Stoltenberg an die chinesische Regierung gerichtet. Auch Peking würde von gegenseitigen Begrenzungen, mehr Transparenz und Berechenbarkeit profitieren.
China müsse sich zudem den internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Verbreitung von Atomwaffen anschließen, betonte Stoltenberg. Bisher hat sich Peking Gesprächen zu diesem Thema weitgehend verweigert. Die Bauarbeiten neuer Raketensilos hatte Ende Juli die Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler (FAS) gemeldet (China.Table berichtete). Die Experten entdeckten mithilfe von Satellitenaufnahmen nahe Hami (Kumul) in der Nordwestregion Xinjiang ein großes Areal mit im Bau befindlichen Silos für Atomraketen. ari
Nach Ansicht von EU-Ratspräsident Charles Michel muss die Europäische Union ihren eigenen Weg in der China-Politik finden und dürfe sich in der Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik auf keine der beiden Seiten stellen. “Zweifellos teilen wir dieselben demokratischen Werte und dasselbe politische Modell wie die Vereinigten Staaten. Gleichzeitig müssen wir – als Europäer – unsere eigene Strategie gegenüber China als Weltmacht entwickeln”, sagte Michel in einem Interview mit dem französischen Thinktank Groupe d’études géopolitique. In den vergangenen Monaten sei deshalb versucht worden, im Rahmen des Europäischen Rates “die Art und Weise unseres Umgangs mit China zu ermitteln”, so Michel.
Michel zufolge beinhaltet die EU-Strategie drei Elemente. Das sei erstens die “sehr entschiedene und sehr strikte” Durchsetzung von Standards im Bereich der Menschenrechte, beispielsweise in Bezug auf Hongkong oder der Lage der Uiguren. Als zweiten Punkt nannte Michel die Freiheit, multilaterale Fragen anzugehen, “bei denen wir der Meinung sind, dass ein Dialog notwendig ist”, zum Beispiel bei der Corona-Pandemie oder im Klimaschutz. In Handel und Wirtschaft müssten als dritter Punkt die Beziehungen neu ausgerichtet werden, erklärte der EU-Ratspräsident.
Das Investitionsabkommen CAI war nach Meinung Michels ein erster Schritt gewesen, den Zugang zu den jeweiligen Märkten neu auszurichten. Die Arbeit am CAI im Europaparlament ist allerdings auch nach der Sommerpause noch eingestellt. Das EU-Parlament wird voraussichtlich in der kommenden Woche über seinen Entwurf einer Neuausrichtung der China-Politik abstimmen (China.Table berichtete). Die Agenda für die kommende Plenarwoche wird am heutigen Donnerstag bekannt gegeben. In dem Papier wird erneut gefordert, dass die Volksrepublik Sanktionen gegen mehrere EU-Parlamentarier fallen lassen muss, bevor die sich die Abgeordneten wieder mit dem Abkommen auseinandersetzen. ari
Am Mittwoch (15.9.) hält die Chinesische Handelskammer in Deutschland (CHKD) ihren China Day ab. Der Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beteiligen sich als Kooperationspartner. Das Thema der Online-Veranstaltung lautet “Krise als Chance?” Hauptthema ist das Investitionsklima in China und in Deutschland, mit dem Geschäftsleute beider Seiten derzeit unzufrieden sind. Es sprechen unter anderem Duan Wei, Hauptgeschäftsführer der CHKD, Wolfgang Niedermark vom BDI sowie Volker Treier, Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung. fin
Wie im Rahmen des geplanten CO2-Grenzausgleichs der Europäischen Union mit Zertifizierungen aus Drittstaaten wie China umgegangen werden soll, ist einem EU-Kommissionsvertreter zufolge noch nicht klar. “Wir versuchen jetzt aus den Fehlern innerhalb der EU zu lernen”, sagte Gerassimos Thomas am Donnerstag bei einer Debatte zu der Grenzabgabe. Thomas ist Beamter bei der Generaldirektion für Steuern und Zollunion (TAXUD) der Kommission.
Die Debatte fand vor dem Umweltausschuss des Europaparlaments statt. Die “best practice” zu den Zertifizierungen innerhalb der EU dient dazu, “damit wir nicht nach Außen dieselben Fehler machen”, so Thomas. Er reagierte damit auf eine Nachfrage, wie künftig beispielsweise mit CO2-Zertifikaten aus der Volksrepublik umgegangen werden solle. Die wurden gegebenenfalls unter niedrigeren Standards vergeben oder zum Teil schlichtweg gefälscht. Um das zu verhindern, werde ein System der unabhängigen Prüfung eingeführt, betonte Thomas.
Die EU-Kommission hatte für den Gesetzesvorschlag für den CO2-Grenzausgleich (kurz CBAM nach der Abkürzung für “Carbon Border Adjustment Mechanism”) vorerst einen eher schmalen Ansatz von Grundstoffen gewählt. In der ersten Phase wird nur die Einfuhr von Zement, diversen Eisen-, Stahl- und Aluminiumgütern, Düngemittel sowie Elektrizität betroffen sein. Eine Erweiterung der Sektoren sei jedoch fest geplant, betonte Thomas. Der Übergangszeitraum der ersten Phase sei dafür da, um Informationen zu sammeln und einen “vorhersehbaren Weg” für Unternehmen und Verwaltung zu schaffen. Subventionen für EU-Exporte in Staaten mit niedrigeren Umweltstandards lehnte Thomas ab. Bei dem Grenzausgleich handele es sich um eine Umwelt- und nicht Handelsmaßnahme, so der EU-Kommissionsvertreter.
Die Höhe des CO2-Grenzausgleichs soll sich an dem Preis orientieren, den europäische Unternehmen im Wochendurchschnitt für die Ersteigerung von EU-Emissionszertifikaten zahlen müssen. Unternehmen aus Drittstaaten können dabei CO2-Kosten, die im Heimatland entstehen, geltend machen und müssen dann entsprechend weniger “CBAM-Rechte” vorweisen. China hatte Mitte Juli ebenfalls einen Emissionshandel begonnen. Ob dieser mit dem europäischen ETS vereinbar sein wird, ist jedoch sehr fraglich (China.Table berichtete). Der CO2-Grenzausgleich soll nach einer Übergangsphase dann voll ab 2026 für die ersten Sektoren in Kraft treten. ari
Lieferengpässe infolge der Corona-Krise haben in der EU die Diskussion über eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Rückverlagerung der Produktion bestimmter Güter etwa aus China befeuert. Manchmal geht es dabei nur um einzelne kritische Produkte wie zum Beispiel Medizingüter. Doch die Palette der “heimzuholenden” Produktionsprozesse wird von jenen gerne ausgeweitet, die China als besonders mächtigen strategischen Rivalen einschätzen. Es kann gute strategische Gründe geben, kritische Güter oder industriepolitisch wichtige nicht mehr nur aus China zu beziehen. Was von den Befürwortern einer solchen Politik allerdings häufig unterschlagen wird, sind die Kosten, die damit verbunden sind.
Wir haben am Institut für Weltwirtschaft simuliert, welche Folgen es hätte, wenn die EU Handelsbarrieren – abseits von neuen Zöllen – verdoppeln würde, um die heimische Produktion zu fördern. Das kann zum Beispiel durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge, Steuervorteile oder andere Subventionen für EU-Anbieter geschehen – oder durch Importquoten oder -verbote für ausgewählte Güter. Das Ergebnis: Würde die EU einseitig entsprechende Handelsbarrieren gegenüber China verdoppeln, würde das 130 Milliarden Euro (0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) kosten – bei vergleichbaren Gegenmaßnahmen Chinas wüchsen die Kosten auf 170 Milliarden Euro (1 Prozent des BIP).
Schon das teilweise Entkoppeln von internationalen Liefernetzen würde also den Lebensstandard der Menschen in der EU – wie auch bei ihren Handelspartnern – deutlich verschlechtern. Dagegen sind die angeblichen Vorteile einer größeren Autonomie oder Souveränität häufig diffus und schwer zu beziffern. Sie könnten sogar illusorisch sein, falls Risiken sich dadurch in einer kleineren Zahl von Märkten ballen. Die jüngste Flutkatastrophe in Deutschland hat gezeigt, dass sich Krisen auch direkt vor unserer Haustür ereignen können, die Produktion in Europa also nicht in jedem Fall ein “sicherer Hafen” ist.
Intuitiv würde man meinen, dass sich die Entkoppelung von Liefernetzen dann auszahlt, wenn ein Lieferanten-Land einen wirtschaftlichen Schock erleidet – wie zum Beispiel China, als die Corona-Epidemie noch ein dortiges lokales Ereignis war. Doch selbst für diesen Fall zeigen Simulationen, dass eine generelle Entkoppelung von Lieferketten größeren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, als wenn sich der wirtschaftliche Schock aus dem betroffenen Land auf andere überträgt.
Ein Abkoppeln der EU von internationalen Zulieferern würde auch die Preise für Zwischengüter steigen lassen. Das überträgt sich entlang der Lieferketten in höhere Preise sowohl für innerhalb der EU konsumierte Güter als auch für EU-Exporte, die dann wiederum Güter in anderen Ländern verteuern. Solche ungewollten Nebeneffekte, die eine Autonomiepolitik der EU haben könnte, werden häufig ausgeblendet.
Deutschland wäre als international wirtschaftlich besonders stark vernetztes Land härter als viele andere EU-Länder betroffen: Bei einer einseitigen Entkoppelung von China trüge Deutschland rund ein Viertel der Lasten (32 Milliarden Euro, 0,9 Prozent des BIP). Ein eskalierender Handelskrieg mit der Volksrepublik könnte diese Kosten noch einmal um 50 Prozent steigen lassen.
Von einer einseitigen Abkoppelung von China würden einige Branchen in der EU durchaus profitieren – etwa der Groß- und Einzelhandel, der Bausektor oder der Maschinen- und Anlagenbau. Andere Sektoren – vor allem der Fahrzeugbau – würden Wertschöpfung verlieren. Bei einem zweiseitigen Handelskrieg mit China wäre das Ergebnis über alle Branchen negativ.
Wer die Abhängigkeit verringern will, sollte andere Instrumente wählen. Statt chinesische Lieferanten rauszudrängen, wäre es sicherlich sinnvoller, Liefernetze zu diversifizieren, um in Krisen- oder Konfliktfällen auf mehrere Lieferanten zugreifen zu können. Bei kritischen Gütern zum Beispiel aus dem Medizinsektor könnte der Liefersicherheit ein höheres Gewicht in den Beschaffungsverträgen der Krankenkassen mit den Pharmaunternehmen gegeben werden – etwa durch entsprechende Vertragsstrafen.
Lagerhaltung ist teuer, kann aber zu einer lohnenswerten Versicherung gegen Produktionsausfall werden, wenn die Zahlungsbereitschaft für Liefersicherheit künftig höher ist als in der Vergangenheit. Die Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft, die stark auf Recycling setzt, hat nicht nur ökologische Vorteile, sondern kann auch die Abhängigkeit etwa von Rohmateriallieferungen Dritter verringern. Und ein tief integrierter europäischer Binnenmarkt ist die vielleicht beste Versicherung gegen Abhängigkeiten in internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
Wer über negative Aspekte der Abhängigkeit von China diskutiert, darf die Kosten nicht außer Acht lassen, wenn die Vorteile internationaler Arbeitsteilung aufs Spiel gesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass ein “Weiter wie bisher” die beste Lösung ist. Aber die Kosten-Nutzen-Abwägung eines neuen Politikansatzes mit Blick auf China muss schon vollständig ausfallen.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag diskutieren Institutspräsident Gabriel Felbermayr und Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, im Rahmen dieses Formats über das Thema “China und Europa: Riskante wirtschaftliche Abhängigkeiten?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Chinas neues Stempelsteuergesetz tritt am 1. Juli 2022 in Kraft. Damit verbunden ist eine Reihe von Aktualisierungen des bestehenden Steuersystems, wie zum Beispiel eine vereinfachte Einhaltung der Vorschriften, Änderungen einiger Steuersätze und neue Steuerbefreiungen.
Am 10. Juni 2020 wurde das Stempelsteuergesetz vom Ständigen Ausschuss des 13. Nationalen Volkskongresses auf seiner 29. Sitzung verabschiedet. Die derzeit geltende Regelung, die “Vorläufige Regelung der Volksrepublik China zur Stempelsteuer”, die vom Staatsrat am 6. August 1988 verkündet worden war, wird mit seinem Inkrafttreten aufgehoben.
Im Vergleich zur Interimsregelung behält das Stempelsteuergesetz das aktuelle Stempelsteuersystem grundsätzlich bei. Gleichzeitig gibt es einige bemerkenswerte Änderungen, einschließlich angemessener Vereinfachung von Steuerpositionen sowie Steuersenkungen.
Mit Blick auf die Änderungen des Stempelsteuergesetzes möchten wir Sie auf einige Punkte aufmerksam machen, die Sie im täglichen Umgang mit der Stempelsteuer beachten sollten:
Im Jahr 2015 veröffentlichte die staatliche Steuerverwaltung die “Guiding Opinions on Comprehensive Promoting the Governing of Taxes according to Law” (Shui Zong Fa [2015] Nr. 32), in denen festgelegt wurde, dass China die Umwandlung der relevanten Steuervorschriften in Gesetze beschleunigen soll, um die Rechtssicherheit zu verbessern und die Effizienz der Steuerverwaltung zu erhöhen. Dies gilt als wichtiger Teil der umfassenderen Bemühungen Chinas, mehr Rechtsstaatlichkeit, gemeint ist damit eine gesetzesbasierte Verwaltung des Landes, zu erreichen.
Mit der Verabschiedung des Stempelsteuergesetzes hat China Gesetze für zwölf der 18 bestehenden Steuern erlassen. Unternehmen sind gut beraten, die zukünftigen Entwicklungen der chinesischen Steuergesetze genau im Auge zu behalten. Es stehen weitere entscheidende Änderungen an.
Dieser Artikel ist zuerst im Asia Briefing erschienen, das von Dezan Shira Associates herausgegeben wird. Das Unternehmen berät internationale Investoren in Asien und unterhält Büros in China, Hongkong, Indonesien, Singapur, Russland und Vietnam. Bitte nehmen Sie Kontakt auf über info@dezanshira.com oder die Website www.dezshira.com.
willkommen am China.Table Trade, dem neuen Professional Briefing mit den wichtigsten Analysen und News zu Handels- und geopolitischen Entwicklungen zwischen Peking, Berlin und Brüssel. China hat sich 2020 zum wichtigsten Handelspartner der Europäischen Union entwickelt und die USA auf Rang zwei verwiesen. Investitionsabkommen, digitale Wirtschaftspartnerschaften, BRI und CO2-Grenzabgaben – am Trade Table stehen die komplexen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen Deutschland, EU und der Volksrepublik im Mittelpunkt.
Wie die neue Bundesregierung die Beziehungen zu Peking ausrichten wird, ist vor allem in Brüssel das Gesprächsthema. EU-weit sind derzeit alle Augen auf Deutschland gerichtet. Im deutsche TV-Wahlkampf kommt das Thema aber zu kurz: Auch das zweite Triell zwischen Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz ging ohne eine einzige Frage nach internationaler Handels- oder Außenpolitik zu Ende. Im Interview mit China.Table hat die Grünen-Spitzenkandidatin aber über ihre Pläne für eine China-Politik gesprochen. Was Baerbock im Interview mit Felix Lee meint, wenn sie über “strategische Souveränität” statt “Entkoppelung” spricht, macht klar: Der Ton wird rauer. Und die Grünen-Chefin möchte den “Umgang mit China hoch oben auf der politischen Agenda stehen” sehen.
Die schockierenden Entwicklungen in Afghanistan waren indes bereits beim ersten Triell ein Thema – und der Umgang mit den Taliban wird eine der ersten großen Aufgaben für die neue Regierung. Journalist Cem Sey lebte als Korrespondent drei Jahre lang in dem Land. Im Interview spricht Sey über den pragmatischen Umgang Pekings mit den neuen Machthabern in Kabul. Wird China nun zur neuen Ordnungsmacht in Afghanistan?
Das China.Table-Team wird Sie wöchentlich über die wichtigsten Entwicklungen auf dem Laufenden halten.
Was steht für Sie im Vordergrund: Klare Worte zu Menschenrechten oder reibungsloser Handel?
Im Kampf gegen die Klimakrise führt kein Weg an einer Kooperation mit China vorbei. Gleichzeitig kann eine zeitgemäße Handelspolitik nicht entkoppelt von der Frage nach Menschenrechten betrieben werden. Was ist denn am Handel reibungslos, wenn dabei Menschenrechte verletzt und Umwelt und Klima zerstört werden? Das heißt aber auch, Menschenrechte nicht immer nur pro forma anzusprechen und sich wegzuducken, wenn es ums Geld geht. Stattdessen sollten wir die Macht unseres europäischen Binnenmarktes nutzen, um europäische Werte zu schützen.
Die derzeitigen Handelsbeziehungen mit China lassen Zwangsarbeit und die schweren Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren in Xinjiang zum Beispiel außer Acht. Das können wir aber unterbinden – Waren aus Zwangsarbeit würden dann keinen Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten. Aber auch mit Blick auf einen fairen Marktzugang für ausländische Investitionen, auf Rechtssicherheit und gleiche Wettbewerbsbedingungen ist in den europäisch-chinesischen Handelsbeziehungen noch viel zu tun.
Wie stehen Sie zu Globalisierung und freien Warenströmen? Denken Sie, die Weltgegenden sollten sich wirtschaftlich entkoppeln?
Globalisierung hat vielen Menschen Wohlstand und Entwicklung gebracht. Gleichzeitig brauchen wir in der globalisierten Welt klare Regeln, die Ungleichheit verringern sowie Menschenrechte und unsere Lebensgrundlagen schützen. Von wirtschaftlicher Entkoppelung oder Protektionismus halte ich nichts. China ist eine so große aufstrebende Wirtschaftskraft, dass wir uns nicht von diesem Land abschotten können. Aber wir dürfen uns natürlich nicht von einem autoritären Regime abhängig machen, das auch mit unlauteren Wirtschaftsmethoden arbeitet.
Wir brauchen eine andere Chinapolitik, die auf alle sensiblen Wirtschaftsbereiche schaut und ihre Kraft aus der gemeinsamen Stärke der Europäischen Union zieht. Wir Europäer*innen können selbst definieren, welche Produkte auf unseren Markt kommen und welche Investitionen, vor allem in kritische Infrastruktur, wir zulassen. Und wir können entscheiden, unsere Lieferketten – zum Beispiel mit gleichgesinnten Staaten im Indopazifik-Raum – zu diversifizieren, um die Abhängigkeit von China zu reduzieren. Das ist nicht Entkoppelung, sondern strategische Souveränität.
Wie wichtig ist China generell auf Ihrer Agenda im Vergleich zu EU, USA, Russland und dem Globalen Süden?
Wir erleben derzeit einen Wettbewerb der Systeme – liberale Demokratien versus autoritäre Kräfte wie China. Die chinesische Führung stellt mit ihrer aggressiven Machtpolitik die Staatengemeinschaft vor eine große Herausforderung. Sie zwingt viele Staaten in wirtschaftliche und damit auch in eine politische Abhängigkeit, agiert wie im Südchinesischen Meer zunehmend auch militärisch aggressiv, verletzt das Verfassungsprinzip “Ein Land, zwei Systeme” in Hongkong und setzt Taiwan massiv unter Druck. Gleichzeitig müssen wir mit China und anderen autoritären Regimen bei den großen Menschheitsfragen wie der Klimakrise zusammenarbeiten.
Daher: Der Umgang mit der Volksrepublik muss hoch oben auf der politischen Agenda stehen. Ganz entscheidend ist eine einheitliche europäische Politik, wenn die EU im geopolitischen Gefüge mit China nicht zerrieben werden will. Alleingänge, wie wir sie die letzten Jahre von der Bundesregierung gesehen haben, schwächen die europäische Position gegenüber China. Umso wichtiger ist, dass wir auch in der Chinapolitik mit den USA eng zusammenarbeiten. Die transatlantische Partnerschaft bleibt ein zentraler Stützpfeiler der deutschen Außenpolitik.
Der Vorwurf wog zu schwer, um ihn zu ignorieren. Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hatte in der vorvergangenen Woche beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen mehrere deutsche Textilmarken und Händler gestellt. Die Klage richtet sich gegen die Discounter Lidl, Aldi Nord und Aldi Süd, zudem C&A und Hugo Boss. Die Menschenrechtsorganisation wirft den Firmen vor, “direkt oder indirekt von Zwangsarbeit von Uiguren” in der chinesischen Region Xinjiang zu profitieren. Damit könnten die Unternehmen in Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert sein, lautet der Vorwurf.
Jetzt reagierten einige der betroffenen Firmen. Das Modelabel Hugo Boss erklärte, es gehe davon aus, dass bei der Herstellung der Waren “keine Rechtsverstöße vorliegen”, wie die Zeitschrift Textilwirtschaft berichtet. Hugo Boss habe “die Lieferanten aufgefordert, uns mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Fertigung unserer Waren in unserer Lieferkette entsprechend unserer Werte und Standards erfolgt.” Besonderes Augenmerk gelte dabei den Menschenrechten. Ein wichtiger chinesischer Partner, die Esquel-Gruppe, habe “versichert”, alle Standards einzuhalten. Leider hätten sich aber wichtige Anbieter von unabhängigen Kontrollen aus der Region zurückgezogen, darunter der TÜV.
Auch C&A hat bereits Stellung genommen. Der Textilwirtschaft zufolge erklärte das Unternehmen, es beziehe gar “keine Kleidung von Herstellern mit Sitz in der Provinz Xinjiang”. Die Feststellung bezieht sich allerdings nur auf die Gegenwart. Die Klage des ECCHR bezog sich auf die Lieferbeziehung zu einem Anbieter, mit dem C&A bis vor einem Jahr zusammengearbeitet hat. Da schon seit 2017 über Menschenrechtsprobleme in Xinjiang berichtet werde, sei das zu spät, unterstellt die Organisation. Lidl teilte dem ECCHR mit, dass es mit zwei Firmen in Xinjiang, die ehemalige Insassen der Umerziehungslager beschäftigt haben sollen, seit “über einem Jahr nicht mehr” zusammenarbeite.
Die Klage des ECCHR gegen die deutschen Unternehmen hat es in sich. Seit Jahren weisen Nichtregierungsorganisationen auf das Risiko von Zwangsarbeit im Baumwoll- und Textilsektor in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang hin. Die Region ist Heimat der muslimischen Minderheit der Uiguren, die von den chinesischen Behörden systematisch unterdrückt werden. Hunderttausende Uiguren sollen Berichten zufolge in den letzten Jahren zeitweise in sogenannte Umerziehungslager gesperrt worden sein. Die chinesische Regierung bestreitet das offiziell, chinesische Staatsmedien haben aber selbst mehrfach diese Lager erwähnt.
Zugleich ist Xinjiang eines der weltweit ertragreichsten Anbaugebiete für Baumwolle. Mehr als 80 Prozent der in China hergestellten Baumwolle kommt aus der Region, das entspricht rund einem Fünftel der Weltproduktion. Ein Großteil davon wird noch immer per Hand gepflückt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch werden oft uigurische Arbeiter dafür eingesetzt. Die chinesische Regierung zwinge Uiguren unter anderem zur Arbeit in der Textilindustrie, heißt es in der fast 100-seitigen Klageschrift. Die Listen von Zulieferern der angezeigten Unternehmen belegen, dass diese entweder aktuell oder bis vor kurzem in Xinjiang produzierten.
Auch andere internationale Modeunternehmen stehen unter Druck. Als die USA und EU im Frühjahr wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in der Region Sanktionen gegen chinesische Regierungsmitglieder verhängten, erklärten unter anderem Nike und H&M ihren Verzicht auf Baumwolle aus Xinjiang. Daraufhin standen diese Marken allerdings in China am Pranger. In den sozialen Medien rief unter anderem die einflussreiche kommunistische Jugendliga zum Boykott dieser westlichen Marken auf. Boss hatte erst versichert, keine Waren von Direktlieferanten aus der Region Xinjiang zu kaufen. Als man in den chinesischen sozialen Medien allerdings unter Beschuss geriet, versicherte das Unternehmen auf der chinesischen Plattform Weibo, weiterhin Baumwolle aus Xinjiang zu beziehen.
Es ist nicht die erste Anzeige dieser Art, die das ECCHR einreicht. Mit ähnlichen Verfahren haben die Menschenrechtsanwälte schon früher für Aufsehen gesorgt. 2015 klagten sie gegen den deutschen Textildiscounter KIK. Wegen mangelnden Brandschutzes war vor neun Jahren eine Fabrikhalle in Pakistan von KIKs Lieferanten abgebrannt. 259 Mitarbeiter kamen dabei ums Leben. Die Zivilklage wurde allerdings wegen Verjährung abgewiesen. Dieser Grund wird im Fall von Xinjiang nicht gelten.
Das ECCHR fordert die Generalbundesanwaltschaft auf, “die mutmaßliche Zwangsarbeit und die mögliche rechtliche Verantwortung der Unternehmen zu untersuchen”. Die Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte, Miriam Saage-Maaß, erklärte, es sei “inakzeptabel, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während die Unternehmen womöglich von der Ausbeutung” der uigurischen Bevölkerung profitierten. Tatsächlich sind Unternehmen verpflichtet, völkerstrafrechtliche Standards einzuhalten, selbst wenn sie Geschäftsbeziehungen in repressiven Ländern unterhalten. Falls sich der Verdacht der Zwangsarbeit bestätigen sollte, so Saage-Maaß, sei es “höchste Zeit, dass die Verantwortlichen in den Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden”.
Die Anzeige beruht auf dem existierenden Völkerstrafgesetzbuch, das Menschenrechtsverletzungen im Ausland strafbar macht. Es ist seit 2002 in Kraft. Menschenrechtsjuristen erwarten, dass ein europäisches Lieferkettengesetz den Anwälten noch wesentlich robustere Anhaltspunkte für Klagen gegen große Unternehmen bieten würde, die sich in Fernost mit Waren versorgen (China.Table berichtete). Ein solches Lieferkettengesetz soll in den kommenden Jahren endgültig formuliert und beschlossen werden.
Herr Sey, nach dem Debakel des Westens in Afghanistan – ist China der große Profiteur?
Das lässt sich so noch nicht sagen. Natürlich ist nach dem Fall Kabuls und der Machtergreifung durch die Taliban eine geopolitische Lücke entstanden. Der Westen wird diese Lücke nicht mehr füllen. Und ja, China will gerne gute Beziehungen zu Afghanistan haben. Das hat die chinesische Führung auch schon angekündigt. China pflegt zudem gute Beziehungen zu Pakistan. Und Pakistan steht hinter der Taliban.
Das heißt: Für die Chinesen könnte eine Region entstehen, in der sie im Rahmen ihrer Belt-and-Road-Initiative Eisenbahnlinien und dergleichen bauen könnten. Ein Hindernis bleibt aber: die Nähe der Taliban zu gewalttätigen islamistischen Terrorgruppen. Wenn Extremisten in Afghanistan Fuß fassen, die womöglich die Extremisten unter Uiguren in China unterstützen, würde das Peking überhaupt nicht gefallen. Deswegen, denke ich, werden die Chinesen zunächst einmal sehr vorsichtig agieren.
Als die Taliban vor 20 Jahren an der Macht waren, waren sie selbst eine radikal-islamische Gruppe. Das passt doch überhaupt nicht zu China. Oder ticken die Taliban inzwischen anders?
Nein, das tun sie nicht. Aber Chinesen sind pragmatisch und haben auch kein Problem, mit anderen islamistischen Regierungen zusammenzuarbeiten. Die Taliban sollte man im Übrigen auch nicht mit dem IS verwechseln. Der IS ist eine durch und durch fanatische Bewegung. Die Taliban legen den Islam sehr streng aus und wollen dies auch autoritär durchsetzen. Es geht ihnen aber nicht darum, andere Länder zu islamisieren.
Die Menschen in den anderen muslimisch geprägten Ländern in der Region sehen China und den Ausbau der Infrastruktur im Zuge seiner Neuen Seidenstraße mit großem Misstrauen. Nicht zuletzt auch wegen der Uiguren-Frage wächst in einigen dieser Länder die Gefahr von Anschlägen auf chinesische Einrichtungen.
Tadschiken, Kirgisen und Kasachen sind wie die Uiguren Turkvölker und ihnen kulturell sehr viel näher als die Paschtunen in Afghanistan. Es gibt zwar auch extremistische Taliban, die mit dem IS sympathisieren und die Uiguren-Frage aufgreifen. Diese sind aber meist in Pakistan. Die pakistanischen und afghanischen Taliban sind nicht gleichzusetzen. Das Ziel der afghanischen Taliban war es, die ausländischen Truppen aus dem Land zu haben und ihre Herrschaft auf Basis der Scharia-Gesetze wieder herzustellen. Das haben sie nun erreicht. Weder wird Peking seine Truppen nach Afghanistan schicken, noch ist China aus Sicht der Taliban der Feind .
Wie war bislang das Verhältnis der Afghanen zu China?
Viele Afghanen finden China interessant. Sie betrachten die Chinesen als ein Volk, dass in der Vergangenheit ebenfalls vom Westen unterdrückt war, sich aber aus den Fängen befreien konnte und nun selbst eine Weltmacht ist. Das finden die Afghanen bewundernswert. Afghanen denken zudem pragmatisch. Für sie spielt keine Rolle, ob ihre chinesischen Geschäftspartner muslimisch sind oder nicht. Zudem haben die Chinesen dem Land viele verlockende Angebote gemacht.
Bei der bislang größten chinesischen Investition, der Kupfermine in Mes Aymak, hat China seine Investitionen an keine Bedingungen geknüpft, die über das Geschäftliche hinausgehen. Die Afghanen empfanden das als Verhandlungen auf Augenhöhe. Das Gefühl hatten sie bei den Europäern und den Amerikanern nicht. Anders als die Amerikaner will sich China auch nicht in die inneren Angelegenheiten einmischen. Das gefällt Vielen.
Afghanistan ist angeblich reich an Rohstoffen, der Appetit der Chinesen danach ist groß. Warum haben die Chinesen vieles davon nicht längst abgeschöpft?
Natürlich hat Afghanistan auch Bodenschätze. Das haben bereits die Sowjets in den frühen 1980er-Jahren festgestellt. Doch sie haben auch herausgefunden, dass es zu kostspielig wäre, diese zu fördern. Es wäre schlicht und einfach nicht wirtschaftlich. In 2007 haben die USA Argumente gesucht, um die schon damals bröckelnde Unterstützung der Öffentlichkeit für den Einsatz in Afghanistan zu stabilisieren und haben unter anderem die angeblichen Funde der Sowjets aus der Schublade geholt. Seitdem glauben viele daran. Dass Afghanistan enorm rohstoffreich ist, ist also nur eine Legende.
Sonderlich erfolgreich waren die chinesischen Investitionen dann auch nicht. In Mes Aymak haben die Chinesen bis zum Schluss kaum etwas gefördert.
Das lag aber nicht an den Chinesen, sondern an der Korruption auf afghanischer Seite. Für die Mine mussten mehrere Dörfer verlegt werden. Die Bauern sollten entsprechend entschädigt werden, die Chinesen zahlten auch. Das Geld kam aber nie an. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit. Zudem wurde dann auf der Baustelle eine alte Ruine gefunden, woraufhin internationale Organisationen mit ihren Archäologen kamen. Das hat zu weiteren Verzögerungen geführt. Im Norden Afghanistans haben die Chinesen aber erfolgreich ein Gasfeld erschlossen, die Pipelines sind gebaut.
Die Chinesen werden ihre Geschäfte weiterführen können?
Ich vermute schon. Die Europäer und Amerikaner haben alle ihre Geschäfte gestoppt und Afghanistan unter den Taliban den Geldhahn zugedreht. Die Taliban haben also kein Geld und werden dankbar sein, wenn China und Russland jetzt als Geldgeber einspringen.
Unter den Taliban könnte das afghanisch-chinesische Verhältnis also noch enger werden?
Ich halte das für möglich. Solange der Westen im Land war, war es für chinesische Investoren schwieriger Fuß zu fassen. Als es zum Beispiel um die Gasfelder im Norden des Landes ging, hatte die afghanische Seite westliche Berater zur Seite. Diese fallen nun weg.
Sollte es China unter den Taliban gelingen noch stärker Fuß zu fassen in Afghanistan – was hätte das für die Region für Folgen?
Afghanistan ist in der Region wie ein Schwarzes Loch, das alle umliegenden Länder zu verschlingen droht. Das war schon in den letzten 20 Jahren so. Alle angrenzenden Länder haben riesige Drogenprobleme. Das ist auf den Anbau und den Handel in Afghanistan zurückzuführen. Ebenso ist es beim Waffenhandel. Sollte es den Taliban gelingen, den Drogen- und Waffenhandel stärker unter Kontrolle zu bekommen, wird das nicht nur aus chinesischer Sicht für mehr Stabilität in der Region sorgen. Zugleich gibt es jedoch das angespannte Verhältnis zwischen Indien und China. Beide versuchen über Afghanistan ihre Rivalität auszuspielen. Und wenn die Volksrepublik sich nun zu sehr in Afghanistan breit macht, wird Indien entsprechend reagieren. Das wiederum könnte die Region destabilisieren.
Cem Sey ist Journalist für deutsche und türkischsprachige Medien. Er war 2007 bis 2019 US-Korrespondent der türkischsprachigen Sektion der Deutschen Welle (DW), hat zwischen 2012 und 2015 als Korrespondent in Kabul gelebt und zwischen 2016 und 2019 in Singapur. Schon in den 00er-Jahren war Sey im Auftrag der Akademie der Deutschen Welle, der Mediathek Afghanistan und dem Journalisten-Training der Vereinten Nationen regelmäßig als Medientrainer in Afghanistan.
Die EU-Strategie für den Indopazifik, mit der Brüssel seine Allianzen in der Region gegen China stärken will, könnte es einer Umfrage zufolge in den Mitgliedsstaaten schwer haben. Die Befragung des Thinktanks European Council on Foreign Relations (ECFR) zeigt große Differenzen innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten: “In Europa herrscht keine Einigkeit darüber, in welchen Bereichen die EU sich stärker in die Region einbringen sollte oder welchen geografischen Raum durch den Begriff ‘Indopazifik’ überhaupt abgedeckt wird”, erklärt die Koordinatorin des ECFR-Asien-Programms, Manisha Reuter, gegenüber China.Table. “Trotz der wachsenden wirtschaftlichen und politischen Bedeutung der Region besteht in weiten Teilen der EU-Mitgliedstaaten weiterhin ein Mangel an Interesse.”
Die Umfrage und ein begleitender Bericht wurden am Montag vorgestellt. ECFR hatte dafür hochrangige politische Akteure der EU-Mitgliedsstaaten befragt. Die EU-Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst (EEAS) werden am Dienstag ihre erweiterte Strategie für die Region präsentieren. Diese soll unter anderem Partnerschaften im Digital-Bereich mit Japan, Südkorea und Singapur zum Ziel haben (China.Table berichtete).
Dass die Debatte in den einzelnen Mitgliedsländern jedoch “wenig ausgeprägt” sei, könnte letztlich die Effektivität der Strategie begrenzen, warnt Reuter. Sie sieht Nachholbedarf vonseiten Brüssels: “Diejenigen, die die Debatte in Europa antreiben, müssen überzeugend darlegen, warum Europa im Indopazifik aktiv sein sollte. Dabei geht es auch um ein legitimes strategisches Interesse an der Region jenseits von wirtschaftlicher Diversifizierung, welches die EU klar formulieren sollte.” Generell sei die Neuausrichtung von Europas Rolle im Indo-Pazifik-Raum aber ein wichtiger Baustein, so Reuter.
Die EU arbeitet derzeit an mehreren Ecken an Strategien auf die Präsenz Chinas in Asien und entlang der Neuen Seidenstraße (BRI). Die EU-Außenminister hatten zuletzt im Juli den Druck auf die EU-Kommission erhöht, eine attraktive und nachhaltige Alternative zur BRI zu schaffen (China.Table berichtete). ari
Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hat den fehlenden Zugang zur Provinz Xinjiang beklagt. “Ich bedaure nicht über Fortschritte bei meinen Bemühungen um einen sinnvollen Zugang zur Autonomen Region Xinjiang berichten zu können”, sagte die UN-Hochkommissarin während der Eröffnung der Sitzungen des UN-Menschenrechtsrats am Montag laut Reuters. Die UN-Menschenrechtsbeauftragte versucht Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen an muslimischen Uiguren zu untersuchen. Schon seit 2018 verhandelt ihr Büro über einen Zugang nach Xinjiang (China.Table berichtete). Das Bestreben Bachelets wird von mehr als 40 Staaten aktiv unterstützt (China.Table berichtete). Bachelet plant, bald einen Bericht über die “verfügbaren Informationen zu Vorwürfen schwerer Menschenrechtsverletzungen” in Xinjiang zu veröffentlichen. nib
Ein Sprecher der afghanischen Taliban hat die Erwartung geäußert, dem pakistanisch-chinesischen Wirtschaftskorridor beitreten zu können. Das berichtet die Wirtschaftszeitung Nikkei. China sei der Idee nicht abgeneigt, unterstellt eine anonyme Quelle gegenüber dem Blatt. China hat Afghanistan bereits Soforthilfe in Höhe von rund 26 Millionen Euro versprochen (China.Table berichtete). Der pakistanisch-chinesischen Wirtschaftskorridor ist ein Kernprojekt der neuen Seidenstraße (Belt and Road Inititative, BRI). Die Aussichten eines religiös-fundamentalistisch geführten Afghanistan als Teil des chinesischen Wirtschaftsnetzwerks sind einerseits ungewiss, andererseits geht China höchst pragmatisch an den Umgang mit den neuen Nachbarn heran (China.Table berichtete). fin
Chinas Exporte haben im August um 25,6 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugelegt (in US-Dollar berechnet). Das berichtete der chinesische Zoll am Dienstag in Peking. Die Importe haben demnach gar um 33,1 Prozent zugenommen. Mit diesen Werten zeigt sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt stärker als erwartet – trotz des jüngsten Corona-Ausbruchs (China.Table berichtete).
Experten hatten gar mit einer Abschwächung des chinesischen Wachstums gerechnet. Insgesamt gab es jedoch ein Plus von 28,8 Prozent. Der Handelsüberschuss erreichte 58,3 Milliarden US-Dollar.
Die Werte zeigen, dass sich die höheren Transportkosten und die coronabedingten Verzögerungen in den Häfen offenbar weit weniger stark auf den Handel ausgewirkt haben als ursprünglich befürchtet worden war. Auch mit Verweis auf höhere Rohstoffpreise und Lieferengpässe in China hatten Experten ihre deutlich niedrigeren Erwartungen gerechtfertigt und zudem für den Rest des Jahres ein schwächeres Exportwachstum vorhergesagt.
Deutsche Exporteure konnten vom Aufschwung des chinesischen Außenhandels allerdings nicht sonderlich profitieren. Die deutschen Ausfuhren nach China stiegen lediglich um 5,6 Prozent, während im Gegenzug aus China um 29,2 Prozent mehr importiert wurde. Damit wuchs das bilaterale Handelsvolumen insgesamt um 16,4 Prozent.
Chinas Handel mit der gesamten Europäischen Union gar legte um 22,8 Prozent zu. Seine Exporte in die EU kletterten um 29,4 Prozent, während die Importe immerhin um 12,4 Prozent stiegen.
“Die neuen Außenhandelszahlen weisen auf eine nachhaltige Wirtschaftserholung in China hin”, sagte Jens Hildebrandt, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Handelskammer in China (AHK), gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Davon könnten auch deutsche Unternehmen profitieren, doch auf Märkten in anderen Regionen der Welt träfen sich auch vermehrt auf chinesische Konkurrenten. rad
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat sich besorgt über den Bau neuer Raketensilos in China geäußert. Die Volksrepublik könne ihre atomaren Fähigkeiten dadurch signifikant erhöhen, sagte Stoltenberg am Montag bei einer Konferenz zu Fragen der Rüstungskontrolle, wie die Nachrichtenagentur AP berichtete. China erweitere rapide seine Kernwaffenbestände um weitere Gefechtsköpfe und um eine größere Anzahl an hoch entwickelten Trägersystemen, so der Nato-Chef.
Das alles geschehe uneingeschränkt und vollständig intransparent, sagte Stoltenberg dem Bericht zufolge. “Als eine globale Macht hat China Verantwortung bei der Rüstungskontrolle”, ergänzte Stoltenberg an die chinesische Regierung gerichtet. Auch Peking würde von gegenseitigen Begrenzungen, mehr Transparenz und Berechenbarkeit profitieren.
China müsse sich zudem den internationalen Bemühungen zur Eindämmung der Verbreitung von Atomwaffen anschließen, betonte Stoltenberg. Bisher hat sich Peking Gesprächen zu diesem Thema weitgehend verweigert. Die Bauarbeiten neuer Raketensilos hatte Ende Juli die Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler (FAS) gemeldet (China.Table berichtete). Die Experten entdeckten mithilfe von Satellitenaufnahmen nahe Hami (Kumul) in der Nordwestregion Xinjiang ein großes Areal mit im Bau befindlichen Silos für Atomraketen. ari
Nach Ansicht von EU-Ratspräsident Charles Michel muss die Europäische Union ihren eigenen Weg in der China-Politik finden und dürfe sich in der Rivalität zwischen den USA und der Volksrepublik auf keine der beiden Seiten stellen. “Zweifellos teilen wir dieselben demokratischen Werte und dasselbe politische Modell wie die Vereinigten Staaten. Gleichzeitig müssen wir – als Europäer – unsere eigene Strategie gegenüber China als Weltmacht entwickeln”, sagte Michel in einem Interview mit dem französischen Thinktank Groupe d’études géopolitique. In den vergangenen Monaten sei deshalb versucht worden, im Rahmen des Europäischen Rates “die Art und Weise unseres Umgangs mit China zu ermitteln”, so Michel.
Michel zufolge beinhaltet die EU-Strategie drei Elemente. Das sei erstens die “sehr entschiedene und sehr strikte” Durchsetzung von Standards im Bereich der Menschenrechte, beispielsweise in Bezug auf Hongkong oder der Lage der Uiguren. Als zweiten Punkt nannte Michel die Freiheit, multilaterale Fragen anzugehen, “bei denen wir der Meinung sind, dass ein Dialog notwendig ist”, zum Beispiel bei der Corona-Pandemie oder im Klimaschutz. In Handel und Wirtschaft müssten als dritter Punkt die Beziehungen neu ausgerichtet werden, erklärte der EU-Ratspräsident.
Das Investitionsabkommen CAI war nach Meinung Michels ein erster Schritt gewesen, den Zugang zu den jeweiligen Märkten neu auszurichten. Die Arbeit am CAI im Europaparlament ist allerdings auch nach der Sommerpause noch eingestellt. Das EU-Parlament wird voraussichtlich in der kommenden Woche über seinen Entwurf einer Neuausrichtung der China-Politik abstimmen (China.Table berichtete). Die Agenda für die kommende Plenarwoche wird am heutigen Donnerstag bekannt gegeben. In dem Papier wird erneut gefordert, dass die Volksrepublik Sanktionen gegen mehrere EU-Parlamentarier fallen lassen muss, bevor die sich die Abgeordneten wieder mit dem Abkommen auseinandersetzen. ari
Am Mittwoch (15.9.) hält die Chinesische Handelskammer in Deutschland (CHKD) ihren China Day ab. Der Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beteiligen sich als Kooperationspartner. Das Thema der Online-Veranstaltung lautet “Krise als Chance?” Hauptthema ist das Investitionsklima in China und in Deutschland, mit dem Geschäftsleute beider Seiten derzeit unzufrieden sind. Es sprechen unter anderem Duan Wei, Hauptgeschäftsführer der CHKD, Wolfgang Niedermark vom BDI sowie Volker Treier, Mitglied der DIHK-Hauptgeschäftsführung. fin
Wie im Rahmen des geplanten CO2-Grenzausgleichs der Europäischen Union mit Zertifizierungen aus Drittstaaten wie China umgegangen werden soll, ist einem EU-Kommissionsvertreter zufolge noch nicht klar. “Wir versuchen jetzt aus den Fehlern innerhalb der EU zu lernen”, sagte Gerassimos Thomas am Donnerstag bei einer Debatte zu der Grenzabgabe. Thomas ist Beamter bei der Generaldirektion für Steuern und Zollunion (TAXUD) der Kommission.
Die Debatte fand vor dem Umweltausschuss des Europaparlaments statt. Die “best practice” zu den Zertifizierungen innerhalb der EU dient dazu, “damit wir nicht nach Außen dieselben Fehler machen”, so Thomas. Er reagierte damit auf eine Nachfrage, wie künftig beispielsweise mit CO2-Zertifikaten aus der Volksrepublik umgegangen werden solle. Die wurden gegebenenfalls unter niedrigeren Standards vergeben oder zum Teil schlichtweg gefälscht. Um das zu verhindern, werde ein System der unabhängigen Prüfung eingeführt, betonte Thomas.
Die EU-Kommission hatte für den Gesetzesvorschlag für den CO2-Grenzausgleich (kurz CBAM nach der Abkürzung für “Carbon Border Adjustment Mechanism”) vorerst einen eher schmalen Ansatz von Grundstoffen gewählt. In der ersten Phase wird nur die Einfuhr von Zement, diversen Eisen-, Stahl- und Aluminiumgütern, Düngemittel sowie Elektrizität betroffen sein. Eine Erweiterung der Sektoren sei jedoch fest geplant, betonte Thomas. Der Übergangszeitraum der ersten Phase sei dafür da, um Informationen zu sammeln und einen “vorhersehbaren Weg” für Unternehmen und Verwaltung zu schaffen. Subventionen für EU-Exporte in Staaten mit niedrigeren Umweltstandards lehnte Thomas ab. Bei dem Grenzausgleich handele es sich um eine Umwelt- und nicht Handelsmaßnahme, so der EU-Kommissionsvertreter.
Die Höhe des CO2-Grenzausgleichs soll sich an dem Preis orientieren, den europäische Unternehmen im Wochendurchschnitt für die Ersteigerung von EU-Emissionszertifikaten zahlen müssen. Unternehmen aus Drittstaaten können dabei CO2-Kosten, die im Heimatland entstehen, geltend machen und müssen dann entsprechend weniger “CBAM-Rechte” vorweisen. China hatte Mitte Juli ebenfalls einen Emissionshandel begonnen. Ob dieser mit dem europäischen ETS vereinbar sein wird, ist jedoch sehr fraglich (China.Table berichtete). Der CO2-Grenzausgleich soll nach einer Übergangsphase dann voll ab 2026 für die ersten Sektoren in Kraft treten. ari
Lieferengpässe infolge der Corona-Krise haben in der EU die Diskussion über eine stärkere wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Rückverlagerung der Produktion bestimmter Güter etwa aus China befeuert. Manchmal geht es dabei nur um einzelne kritische Produkte wie zum Beispiel Medizingüter. Doch die Palette der “heimzuholenden” Produktionsprozesse wird von jenen gerne ausgeweitet, die China als besonders mächtigen strategischen Rivalen einschätzen. Es kann gute strategische Gründe geben, kritische Güter oder industriepolitisch wichtige nicht mehr nur aus China zu beziehen. Was von den Befürwortern einer solchen Politik allerdings häufig unterschlagen wird, sind die Kosten, die damit verbunden sind.
Wir haben am Institut für Weltwirtschaft simuliert, welche Folgen es hätte, wenn die EU Handelsbarrieren – abseits von neuen Zöllen – verdoppeln würde, um die heimische Produktion zu fördern. Das kann zum Beispiel durch eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge, Steuervorteile oder andere Subventionen für EU-Anbieter geschehen – oder durch Importquoten oder -verbote für ausgewählte Güter. Das Ergebnis: Würde die EU einseitig entsprechende Handelsbarrieren gegenüber China verdoppeln, würde das 130 Milliarden Euro (0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, BIP) kosten – bei vergleichbaren Gegenmaßnahmen Chinas wüchsen die Kosten auf 170 Milliarden Euro (1 Prozent des BIP).
Schon das teilweise Entkoppeln von internationalen Liefernetzen würde also den Lebensstandard der Menschen in der EU – wie auch bei ihren Handelspartnern – deutlich verschlechtern. Dagegen sind die angeblichen Vorteile einer größeren Autonomie oder Souveränität häufig diffus und schwer zu beziffern. Sie könnten sogar illusorisch sein, falls Risiken sich dadurch in einer kleineren Zahl von Märkten ballen. Die jüngste Flutkatastrophe in Deutschland hat gezeigt, dass sich Krisen auch direkt vor unserer Haustür ereignen können, die Produktion in Europa also nicht in jedem Fall ein “sicherer Hafen” ist.
Intuitiv würde man meinen, dass sich die Entkoppelung von Liefernetzen dann auszahlt, wenn ein Lieferanten-Land einen wirtschaftlichen Schock erleidet – wie zum Beispiel China, als die Corona-Epidemie noch ein dortiges lokales Ereignis war. Doch selbst für diesen Fall zeigen Simulationen, dass eine generelle Entkoppelung von Lieferketten größeren wirtschaftlichen Schaden anrichtet, als wenn sich der wirtschaftliche Schock aus dem betroffenen Land auf andere überträgt.
Ein Abkoppeln der EU von internationalen Zulieferern würde auch die Preise für Zwischengüter steigen lassen. Das überträgt sich entlang der Lieferketten in höhere Preise sowohl für innerhalb der EU konsumierte Güter als auch für EU-Exporte, die dann wiederum Güter in anderen Ländern verteuern. Solche ungewollten Nebeneffekte, die eine Autonomiepolitik der EU haben könnte, werden häufig ausgeblendet.
Deutschland wäre als international wirtschaftlich besonders stark vernetztes Land härter als viele andere EU-Länder betroffen: Bei einer einseitigen Entkoppelung von China trüge Deutschland rund ein Viertel der Lasten (32 Milliarden Euro, 0,9 Prozent des BIP). Ein eskalierender Handelskrieg mit der Volksrepublik könnte diese Kosten noch einmal um 50 Prozent steigen lassen.
Von einer einseitigen Abkoppelung von China würden einige Branchen in der EU durchaus profitieren – etwa der Groß- und Einzelhandel, der Bausektor oder der Maschinen- und Anlagenbau. Andere Sektoren – vor allem der Fahrzeugbau – würden Wertschöpfung verlieren. Bei einem zweiseitigen Handelskrieg mit China wäre das Ergebnis über alle Branchen negativ.
Wer die Abhängigkeit verringern will, sollte andere Instrumente wählen. Statt chinesische Lieferanten rauszudrängen, wäre es sicherlich sinnvoller, Liefernetze zu diversifizieren, um in Krisen- oder Konfliktfällen auf mehrere Lieferanten zugreifen zu können. Bei kritischen Gütern zum Beispiel aus dem Medizinsektor könnte der Liefersicherheit ein höheres Gewicht in den Beschaffungsverträgen der Krankenkassen mit den Pharmaunternehmen gegeben werden – etwa durch entsprechende Vertragsstrafen.
Lagerhaltung ist teuer, kann aber zu einer lohnenswerten Versicherung gegen Produktionsausfall werden, wenn die Zahlungsbereitschaft für Liefersicherheit künftig höher ist als in der Vergangenheit. Die Entwicklung zu einer Kreislaufwirtschaft, die stark auf Recycling setzt, hat nicht nur ökologische Vorteile, sondern kann auch die Abhängigkeit etwa von Rohmateriallieferungen Dritter verringern. Und ein tief integrierter europäischer Binnenmarkt ist die vielleicht beste Versicherung gegen Abhängigkeiten in internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
Wer über negative Aspekte der Abhängigkeit von China diskutiert, darf die Kosten nicht außer Acht lassen, wenn die Vorteile internationaler Arbeitsteilung aufs Spiel gesetzt werden. Das bedeutet nicht, dass ein “Weiter wie bisher” die beste Lösung ist. Aber die Kosten-Nutzen-Abwägung eines neuen Politikansatzes mit Blick auf China muss schon vollständig ausfallen.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der Veranstaltungsreihe “Global China Conversations” des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). Am Donnerstag diskutieren Institutspräsident Gabriel Felbermayr und Jörg Wuttke, Präsident der EU-Handelskammer in China, im Rahmen dieses Formats über das Thema “China und Europa: Riskante wirtschaftliche Abhängigkeiten?” China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Chinas neues Stempelsteuergesetz tritt am 1. Juli 2022 in Kraft. Damit verbunden ist eine Reihe von Aktualisierungen des bestehenden Steuersystems, wie zum Beispiel eine vereinfachte Einhaltung der Vorschriften, Änderungen einiger Steuersätze und neue Steuerbefreiungen.
Am 10. Juni 2020 wurde das Stempelsteuergesetz vom Ständigen Ausschuss des 13. Nationalen Volkskongresses auf seiner 29. Sitzung verabschiedet. Die derzeit geltende Regelung, die “Vorläufige Regelung der Volksrepublik China zur Stempelsteuer”, die vom Staatsrat am 6. August 1988 verkündet worden war, wird mit seinem Inkrafttreten aufgehoben.
Im Vergleich zur Interimsregelung behält das Stempelsteuergesetz das aktuelle Stempelsteuersystem grundsätzlich bei. Gleichzeitig gibt es einige bemerkenswerte Änderungen, einschließlich angemessener Vereinfachung von Steuerpositionen sowie Steuersenkungen.
Mit Blick auf die Änderungen des Stempelsteuergesetzes möchten wir Sie auf einige Punkte aufmerksam machen, die Sie im täglichen Umgang mit der Stempelsteuer beachten sollten:
Im Jahr 2015 veröffentlichte die staatliche Steuerverwaltung die “Guiding Opinions on Comprehensive Promoting the Governing of Taxes according to Law” (Shui Zong Fa [2015] Nr. 32), in denen festgelegt wurde, dass China die Umwandlung der relevanten Steuervorschriften in Gesetze beschleunigen soll, um die Rechtssicherheit zu verbessern und die Effizienz der Steuerverwaltung zu erhöhen. Dies gilt als wichtiger Teil der umfassenderen Bemühungen Chinas, mehr Rechtsstaatlichkeit, gemeint ist damit eine gesetzesbasierte Verwaltung des Landes, zu erreichen.
Mit der Verabschiedung des Stempelsteuergesetzes hat China Gesetze für zwölf der 18 bestehenden Steuern erlassen. Unternehmen sind gut beraten, die zukünftigen Entwicklungen der chinesischen Steuergesetze genau im Auge zu behalten. Es stehen weitere entscheidende Änderungen an.
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