Table.Briefing: Bildung

Nachwuchs-Offiziere als Vertretungslehrer + Klimalabels + Blogpost von Michael Seemann

  • Bayerische Schule setzte Nachwuchs-Offiziere als Vertretungslehrer ein
  • Klimalabels für Schulen: mehr Schein als Sein?
  • Plattform-Theoretiker Michael Seemann über die Nationale Bildungsplattform
  • Corona, Lehrermangel, auffällige Schüler: Studie über Schulen in der Krise
  • FDP im Bundestag: Stephan Seiter soll neuer Sprecher für Forschungspolitik werden
  • Leitfaden: Dienstgeräte für Lehrkräfte beschaffen
  • Porträt: Markus Peuser – Online-Sprachschule für Ukrainer
  • Presseschau
  • Termine
Liebe Leserin, lieber Leser,

im Kampf gegen den Lehrkräftemangel hat eine bayerische Schulleiterin aufgerüstet. Durch Quarantäne, Krankheit oder Elternzeit war ihr Kollegium derart ausgedünnt, dass sie bei der Bundeswehruni um Hilfe bat. Drei Monate lang gaben Jungoffiziere Vertretungsunterricht, wie Moritz Baumann exklusiv berichtet. Anwerbeverbot, Beutelsbacher Konsens – der Fall wirft viele Fragen auf und ist Symptom eines bildungspolitischen Desasters. Die SPD lobt die Schulleiterin übrigens für ihre Kreativität, während die GEW vor einer zu großen Nähe von Bundeswehr und Schule warnt.

Die Nationale Bildungsplattform soll ein Prestigeprojekt des BMBF werden. Deutschlands wohl kenntnisreichster Plattform-Theoretiker, Michael Seemann, erstellt derzeit eine Studie zu dem millionenschweren Projekt. Im Gastbeitrag für Bildung.Table warnt er vor unterschätzten Pfadentscheidungen. Denn Plattformen sind immer politisch und können “Infrastrukturhegemonie” erlangen. Sie bestimmen, wie, warum und was wir in Zukunft lernen. Darüber sollte die Öffentlichkeit debattieren, statt vom BMBF als Zaungast auf Abstand gehalten zu werden.

Lesen Sie heute außerdem eine Analyse über Anspruch und Wirklichkeit von Klimalabels und -schulen. Wir verraten Ihnen, wer neuer Sprecher für Forschungspolitik der FDP-Fraktion werden soll, blicken in den “Leitfaden zur Beschaffung von Lehrerdienstgeräten” des Bündnis für Bildung und stellen einen Mann vor, der seine Kiewer Sprachschule nun von Fehmarn aus leitet – und tausenden Ukrainern online Deutschunterricht ermöglicht.

Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Bundeswehr-Nachwuchs im Klassenzimmer: Gewerkschaft übt scharfe Kritik

Eigentlich wird die Bundeswehr bei Hochwasserkatastrophen gerufen; wenn Personal in Testzentren fehlt oder Impfstoff durchs Land transportiert werden muss. In Krisen eilen die Soldaten herbei, um Amts- oder Katastrophenhilfe zu leisten. Umso erstaunlicher, dass sich in Bayern ausgerechnet eine Schulleiterin gezwungen sah, bei der Universität der Bundeswehr anzuklopfen. Sie suchte bei der Truppe nach Personal, genauer gesagt: Hilfskräfte für Vertretungsstunden. Das sorgt nun für Kritik.

An ihrer Schule, dem Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching (Lkr. München), sind im Frühjahr ungewöhnlich viele Lehrkräfte ausgefallen. Sie saßen in Quarantäne, verweilten im Mutterschutz oder mussten ihre Kinder in der Corona-Isolation betreuen. Also wurde Michaela Trinder kreativ – mit Erfolg. Die Schulleiterin konnte eine Gruppe von sieben jungen Offiziersanwärtern als Vertretungskräfte gewinnen; freiwillig, ehrenamtlich und unbezahlt, wie ihr Dienstherr auf Anfrage von Table.Media betont.

Wie nah darf die Bundeswehr an die Schüler heran?

Das Kultusministerium bestätigt damit eine Meldung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die dieser Redaktion vor Veröffentlichung vorlag. Darin kritisiert die GEW den Einsatz von angehenden Soldaten im Klassenzimmer scharf, gerade weil es um Kinder und Jugendliche geht. Laut der Gewerkschaft wurden die Studierenden “überwiegend in den Jahrgangsstufen fünf bis neun eingesetzt”. Das Ministerium bestätigt dies. Insgesamt 92 Stunden war der Bundeswehr-Nachwuchs im Einsatz.

Dabei gibt es immer wieder Streit, wie nah die Bundeswehr an die Schüler herandarf. In der Regel geht es in der Debatte um sogenannte Jugendoffiziere, die Vorträge und Seminare an Schulen halten. Sie erklären die Aufgaben der Bundeswehr, berichten über Auslandseinsätze und das deutsche NATO-Engagement. Werbung für die Truppe ist den Jugendoffizieren ausdrücklich untersagt.

Freie Wähler wollen “Bildungsarbeit der Bundeswehr” verstärken

In Unterhaching wurden nun also Studierende der Bundeswehr, Fachrichtung Staats- und Sozialwissenschaft, über etwa drei Monate hinweg als Aufsichten in Vertretungsstunden eingesetzt. Das ist neu und wirft Fragen auf. Auf keinen Fall dürfe die Schwelle zur Anwerbung überschritten werden, sagt Martina Borgendale. “Dies kann beim Einsatz von Soldat*innen als Lehrkräften schwerlich sichergestellt werden”, so die Vorsitzende der GEW Bayern.

Die Gewerkschaft ist Teil des Bündnisses “Unter 18 nie!”, das seit Jahren darauf drängt, der Bundeswehr zu verbieten, Minderjährige zu rekrutieren. Laut einer Studie von Child Soldiers International von 2018 haben sich rund 150 Staaten weltweit zum sogenannten “Straight-18”-Standard bekannt, Deutschland nicht.

Der Krieg in der Ukraine hat die Debatte über die Bundeswehr neu entfacht, die Suche nach Nachwuchs läuft. Die Freien Wähler, die in Bayern auch den Kultusminister stellen, forderten scho im April die “politische Bildungsarbeit der Bundeswehr” an den Schulen zu “intensivieren”. Die GEW protestiert und erinnert an den Beutelsbacher Konsens. Schüler dürften nicht mit bestimmten politischen Positionen überwältigt werden, die Rolle des Militärs müsse kontrovers diskutiert werden. “Dies sei mit Offizieranwärter*innen, die allein in den Unterricht geschickt werden, nicht möglich”, schreibt die Gewerkschaft.

Kritik an der GEW: Politikum, das keines ist

Rekrutierung? Werbung fürs Militär? UN-Kinderrechtskonvention? Dass eine Lehrergewerkschaft ein solches Politikum konstruiert, sorgt an dem Münchner Gymnasium für Irritation. Michaela Trinder, die Schulleiterin, will sich nicht äußern. Pressearbeit laufe über das Ministerium, heißt es.

Nach Informationen von Bildung.Table ging es Trinder vor allem darum, Unterrichtsausfall zu verhindern. Warum also all die Aufregung? Die Studierenden seien eingesprungen, um die Kinder zu beaufsichtigen – nicht in Uniform, sondern in zivil. Und das nur für einen begrenzten Zeitraum. Die Offiziersanwärter seien schriftlich belehrt worden, dass sie keine Werbung machen dürfen. Die Eltern waren informiert, niemand habe protestiert, heißt es aus Kreisen der Schule.

Das Ministerium, das jeden Schritt genehmigt hat, rechtfertigt die Aktion mit “ungewöhnlich hohen Personalausfällen” an dem Gymnasium und spricht von einer “Art Praktikum“, um die Schule zu unterstützen. “Die (Studierenden) sollten an der Schule keinen Unterricht halten, sondern lediglich von Lehrkräften konzipierte Arbeitsaufträge an die Schülerinnen und Schüler ausgeben und sie bei der Bearbeitung beaufsichtigen und gegebenenfalls unterstützen”, teilt ein Sprecher mit. Und das alles ehrenamtlich.

Ein richtiger bezahlter Vertrag, beispielsweise als Teamlehrkraft, wäre wohl juristisch heikel geworden. In diesem Fall, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium, bräuchte es einen Antrag auf Amtshilfe (Art. 35 GG) – wegen Personalnot an den Schulen. Vorher jedoch müssten alle anderen Möglichkeiten “vollends ausgeschöpft” sein, erklärt eine Sprecherin.

SPD lobt die Schulleiterin für ihre Kreativität

Die gewerkschaftsnahe SPD-Opposition im Landtag reagiert gelassen – und spricht sogar ein Lob an die Schulleiterin aus. “Dieser Frau muss man Respekt zollen, dass sie da so kreativ war”, sagt Margit Wild, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion. “Da gleich den Bogen zur Propaganda zu spannen, soweit möchte ich nicht gehen.”

Wild hat kein Problem, dass Studierende der Bundeswehr an den Schulen aushelfen. “Die Zeiten haben sich geändert, in einem Nachbarland findet Krieg statt. Da wäre ich zurückhaltend mit Kritik. Wir werden ohne Aushilfen aus anderen Professionen nicht zurechtkommen“, sagt sie mit Blick auf die Personallücken an den Schulen. Es klingt, als sei momentan jede Hilfe erwünscht – egal ob sich Sänger melden, oder eben engagierte Soldaten.

Lesen Sie HIER, wer sich in Bayern um den Lehrermangel kümmert.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Bayerische Kultusministerium habe sich nicht zum Alter der Schüler geäußert. Dies ist nicht korrekt. Wir haben die Stelle korrigiert.

Klima und Schule: schöne Labels statt Sanierung

Wenn sie nicht im Unterricht sitzt, engagiert sich Marlen im Klimaclub. Auf einer ‘Klimatafel’ im Schulflur wirbt die HTL Rennweg, eine berufsbildende Schule im dritten Bezirk von Wien, mit gleich drei österreichischen Klima-Zertifikaten. Die Schülerinnen und Schüler haben gelernt, wie sie die CO2-Bilanz ihrer Schule ausrechnen. Die Berechnung für das Jahr 2019 hängt gleich daneben. Bunte Erdkugeln baumeln von der Decke, auf einer steht in roter Schrift “Help”.

Fridays for Future hat das Thema Klimaschutz nicht nur auf die Straßen, sondern auch in die Schulen gebracht. Viele Schulen werben mit Umweltprojekten und Klimalabels, doch der Spielraum der einzelnen Schulgemeinschaft ist begrenzt. Fahrrad-Aktionstage und Schulgärten lösen allein nicht das Problem, dass viele Schulen jährlich hunderte Tonnen CO2 ausstoßen. Es bräuchte eine Sanierungsoffensive, die die Länder und Kommunen finanzieren müssten. 

Schulen als Klimasünder

Eine Berechnung der Initiative “Klimaneutrale Schule” hat ergeben, dass eine Schule im Durchschnitt etwa 385 Tonnen CO2 pro Jahr durch Strom und Heizung ausstößt. Das entspricht mehr als 100 Flugreisen von Düsseldorf nach New York. Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland sprießen daher Klima-Projekte aus dem Boden: Da gibt es die “Schools for Earth“-Initiative von Greenpeace, “Schools4Future” vom Wuppertal Institut und das Projekt “Klimaneutrale Schule“. Ihr gemeinsames Ziel: Schulen sollen sich auf dem Weg zur Klimaneutralität machen. Doch was heißt das eigentlich? 

“Wir haben Klimaneutralität nicht streng mathematisch definiert. Uns geht es darum, dass die Schulen in einem selbstgewählten Zeitraum ihre CO2-Emissionen auf ein absolutes Minimum reduzieren“, sagt Markus Power von Greenpeace. Echte Klimaneutralität könnten Schulen letztlich nur über eine Kompensation des CO2-Verbrauchs erreichen, betont Christoph Stein von der Initiative “Klimaneutrale Schule” – ein teures und umstrittenes Vorgehen, wie er selbst sagt. Dieses Jahr werden die ersten zwölf “klimaneutralen” Schulen ausgezeichnet. Er schätzt, dass sie für die CO2-Kompensation jeweils zwischen 3000 und 7000 Euro ausgeben mussten – mindestens.  

Mülltrennung und Biokiste lösen das Problem nicht

Wie komplex es ist, Klimaneutralität zu erreichen, wird im Gespräch mit Sabine Djahanschah von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt deutlich: “Klimaneutralität bedeutet, dass genauso viel Energie erzeugt, wie verbraucht wird.” Dies ließe sich auf verschiedenen Ebenen erreichen: Der Schulträger kann die Technik des Schulgebäudes erneuern und bei der Sanierung auf bestimmte Materialien achten. Gleichzeitig müssen sich Lehrkräfte und Schüler weiterbilden, wie sie sich im Schulalltag klimafreundlich verhalten

An der HTL Rennweg haben Schüler einen Klimaclub gegründet. Sie wollen den Druck auf Verwaltung und Politik erhöhen. um Klimaschutz an Schulen zu garantieren.
An der HTL Rennweg haben Schüler einen Klimaclub gegründet. Sie wollen den Druck auf Verwaltung und Politik erhöhen.

Spätestens jedoch, wenn es um Sanierung und Umbau geht, liegen die Entscheidung nicht mehr in der Hand engagierter junger Leute. Die Projekte können Ansporn und Richtungsweiser sein. Doch dass Schulen allein durch das Nutzungsverhalten klimaneutral würden, sei chancenlos, sagt Sabine Djahanschah. Licht ausschalten, Veggie-Tage in der Schulmensa und Mülltrennung allein reichen eben nicht. 

Auch Patrick Kohl von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) warnt vor möglichen Negativ-Folgen: “Die Verantwortung wird dem Individuum auferlegt und weniger das Strukturelle in den Blick genommen”, sagt er. “Kommunalpolitiker können dann mit Verweis auf die vielen Schulen mit solchen Labels das Thema vom Tisch wischen.” Und sich damit teure Sanierungsprogramme sparen.  

Sanierungsstau hat Folgen fürs Klima

Laut Umwelthilfe sind Gebäude in Deutschland für etwa ein Drittel des Endenergieverbrauchs und für 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was es braucht, wären Sanierungen. Doch dafür fehlt vielen Kommunen das Geld, der Investitionsstau ist enorm – was auch auf Kosten der Klimabilanz geht. Aus der Praxis berichtet HTL-Direktor Jüngling: Vier Jahre musste er mit dem Schulträger verhandeln, damit die Dachfenster an seiner Schule so umgebaut werden, dass man sie zum Lüften öffnen kann. 

Die drei großen deutschen Klimaprojekte – “Schools for Earth“, “Schools4Future” und “Klimaneutrale Schule” – haben viele Gemeinsamkeiten: Zunächst berechnet die Schule ihren CO2-Fußabdruck, unter anderem in den Bereichen Strom, Wärme, Mobilität und Essen. Danach müssen konkrete Maßnahmen entwickelt werden, um diese Emissionen zu reduzieren. 

An der HTL Rennweg in Wien war 2019 Mobilität mit 64 Prozent der größte Emissionstreiber – auch wegen CO2-intensiven Sprachreisen ins Ausland. Das Thema soll in den nächsten Jahren angegangen werden. Bis dahin, quasi als Kompensation, organisiert der Klimaclub der Schule jedes Jahr Fahrradtage. 

Die zweite CO2-Baustelle ist der Energieumsatz der Schule, der zuletzt bei 26 Prozent lag. Heute lässt eine neue Software die Schulcomputer um 19 Uhr automatisch herunterfahren. Das elektronische Licht schaltet sich, wenn die Sonne scheint, automatisch ab. “Das sind alles kleine Mosaiksteine“, sagt Direktor Jüngling. 

Schul-Initiativen setzen auf Klimabildung

An der Lutherschule, einer privaten Volksschule in Wien, hat Schulleiterin Nina Dlouhy das österreichische Umweltzeichen von ihrer Vorgängerin geerbt. Die Siegel schmücken die Website und den Eingangsbereich. “Ich bin stolz auf unsere Klima-Abzeichen”, sagt Dlouhy, “das hat nicht jede Schule.” An der Schule gibt es ein eigenes Umweltzeichen-Team, denn die Schule muss regelmäßig ihre Aktivitäten belegen. Über jedem Lichtschalter klebt ein kleines Tier-Bild, das daran erinnert, das Licht auszuschalten. Es gibt einen Garten und eine Wurmkiste für die Bioabfälle. Dlouhy träumt von einer klimaneutralen Schule, doch der Weg dahin ist weit – und der Spielraum der einzelnen Schule begrenzt.  

Die Initiativen hinter den Labels verweisen indes auf den Bildungsaspekt ihrer Projekte. Dieser sei mindestens so wichtig wie die tatsächliche Klimaneutralität, sagt Markus Power von Greenpeace. Mit “Schools for Earth” verfolgen sie einen Whole School Approach, ganz im Sinne der Strategie zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. “Wir möchten den Schülerinnen und Schülern ihre Handlungsmöglichkeiten aufzeigen”, betont Power.

Und wer weiß, vielleicht können die Schülerinnen damit den Druck auf Bürgermeister und Bildungsminister erhöhen. Fridays for Future ist das mit den Klimastreiks gelungen. 

  • Schularten
  • Unterricht

Blogpost

“Die Öffentlichkeit muss mitreden”

Auf dem Foto sieht man Michael Seemann, er fordert mehr Transparenz bei den Plänen einer Nationale Bildungsplattform.
Michael Seemann erforscht im Auftrag von wikimedia die Plattformpläne des BMBF.

von Michael Seemann

Als Facebook 2014 bekannt gab, 50 neue Geschlechterkategorien für seine Profile einzuführen, ging ein Rauschen durch den Blätterwald. Die Politik dieser Entscheidung wurde allgegenwärtig erkannt und in den Feuilletons kontrovers diskutiert. Das war 2004 anders, als eine ähnliche Entscheidung getroffen wurde. Damals führte das frisch gestartete “thefacebook” allerdings nur “männlich” und “weiblich” als Geschlechterkategorien ein. Natürlich war auch diese Entscheidung eine ebenso politische, auch wenn Mark Zuckerberg das beim Programmieren wohl nicht so gesehen hat.

Infrastrukturelle Entscheidungen sind keine reinen Gegenwartsphänomene, sondern bilden die Grundlage für Weiterentwicklungen und für darauf aufbauende Software und Kommunikationspraktiken. Man nennt solche Entscheidungen auch Pfadentscheidungen, denn sie setzen die Weiterentwicklung auf einen speziellen Pfad. In allen digitalen Infrastrukturen sitzen etliche solche Pfadentscheidungen und machen bestimmte kommunikative Handlungen möglich oder wahrscheinlich, andere unmöglich oder unwahrscheinlich. Diese “Politik der Pfadentscheidung” ist eine oft übersehene, aber umso mächtigere Form der gesellschaftlichen Beeinflussung.

Die wichtigsten Pfadentscheidungen werden jetzt getroffen

Vor etwas über einem Jahr stellte die Bundesregierung ihr Projekt der “Nationalen Bildungsplattform” vor (lesen Sie hier eine Analyse und ein Interview von Bildung.Table). Sie soll als “Meta-Plattform” das vorhandene Feld bestehender Education-Software und Lernmanagement-Systeme im Hintergrund vernetzen. Diese “Middleware” soll einen gemeinsamen Log-in, eine standardisierte Datenhaltung beim User, sowie den Austausch von Metadaten zwischen den verschiedenen Systemen bewerkstelligen. Das 630 Millionen Euro-Projekt befindet sich nach einer einjährigen Explorationsphase, in der verschiedene Prototypen und Softwareprojekte testweise aufeinander abgestimmt wurden, in der Evaluation. Die Ergebnisse der Auswertung sollen vermutlich im Herbst in die eigentliche Ausschreibung der nationalen Bildungsplattform münden. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Pfadentscheidungen werden genau jetzt getroffen.

Die Verantwortlichen tun derweil alles dafür, das Projekt rein technisch und unpolitisch aussehen zu lassen. So spricht man heute nicht mehr gerne von “Plattform”, sondern bevorzugt “Meta-Plattform”, als wäre der Plattformbegriff noch nicht abstrakt genug. Doch davon darf man sich nicht täuschen lassen. Auch die nationale Bildungsplattform inkorporiert viele implizit politische Pfadentscheidungen – allerdings abseits der Öffentlichkeit.

Spärliche Informationen aus Projektbüro und BMBF

Um genau diese Pfadentscheidungen zu identifizieren und zur Diskussion zu stellen, hat Wikimedia Deutschland e.V. uns mit der Erstellung einer Konzeptstudie beauftragt. Zusammen mit Felicitas Macgilchrist, Christoph Richter, Heidrun Allert, Jürgen Geuter und Kathy Messmer haben wir uns daran gemacht, öffentliche Informationen zu sammeln, Dokumente zu analysieren und Interviews zu führen. Wir wollen in einem ersten Schritt die Pfadentscheidungen der Bildungsplattform analysieren und zeigen, welche Vorstellungen von Lernen und Bildung dort implizit festgeschrieben werden. In einem zweiten Schritt wollen wir diesen Vorstellungen eine selbst entwickelte Alternative entgegensetzen und in einem dritten Schritt erklären, wie diese alternativen Vorstellungen in Software umgesetzt werden könnten.

Was wir für unsere Studie benötigen, sind Informationen. Doch die geben die Verantwortlichen nur ungern heraus. Das Projektbüro, das mit der Umsetzung der nationalen Bildungsplattform beauftragt ist, sagte uns bei einem ersten virtuellen Treffen im März dieses Jahres Interviews und Zugang zu allerlei Dokumenten zu. Aus den Interviews wurden schriftliche Fragen, die wir einreichen durften – und auf die Dokumente warten wir bis heute.

Kritisch: Governance, Lernkonzept, Datensicherheit

Doch selbst anhand des Materials, das wir bereits haben, kann man einige kritische Fragen stellen.

  • Warum wurden fast ausschließlich Projekte gefördert, die auf individualistische Lernkonzepte abstellen? Ist Lernen nicht auch kollaborativ und kollektiv? Die Meta-Plattform ist technisch und rhetorisch insgesamt sehr auf das Individuum zugeschnitten. Es geht um Identitätsmanagement und Zertifikat- (bzw. Zeugnis-)Verwaltung. Bleibt da auch Raum für Gemeinschaftlichkeit, Freunde und Vernetzung und nicht formalisierte Lernprozesse?
  • Was macht eine auf das Sammeln von Zertifikaten optimierte Infrastruktur mit den Anreizen im Bildungssystem? Das zieht sich auch durch die Metaphern. Ständig wird vom “individuellen Lernpfad” und von der “lebensbegleitenden Bildungsreise” gesprochen. Das klingt erstmal, als ob überall auf unsere Bedürfnisse eingegangen wird. Bis man bedenkt, dass damit die Lernerfolge der Vergangenheit die Lernchancen der Zukunft vorstrukturieren sollen. Ein Lernen wie auf Schienen kennen wir bereits aus dem dreigliedrigen Schulsystem. Wollen wir das im Digitalen wirklich weiter radikalisieren?
  • Die beim User selbstverwaltete Wallet soll Datensouveränität herstellen. Klingt zwar erstmal gut, bedeutet aber in der Realität das Outsourcen der Informationssicherheit auf das Individuum. Wie gut das funktioniert kann man im Krypto-Bereich nachlesen, wo Hacker*innen täglich hässliche Affenbilder aus ebensolchen Wallets klauen.
  • Völlig unterbelichtet ist die ganze Frage der Governance. Wer soll darüber entscheiden, welche Bildungsangebote über die Plattform erreichbar, welche promotet werden? Nach welchen Regeln geschieht das und wer ist verantwortlich? Allein, die Tatsache, dass es im Projektbüro dazu bisher noch kaum Konzepte gibt, zeigt, wie wenig sich über diese Fragen Gedanken gemacht wird.

Angesichts der Reichweite und Dominanz, die Plattformen erreichen können, sind solche Fragen alles andere als trivial. Große Plattformen erreichen einen Zustand, den ich auch “Infrastrukurhegemonie” nenne. Wenn sich Millionen Nutzerinnen und Nutzer, Inhalte, Apps und ganze Ökosysteme um eine Plattform formieren, dann werden infrastrukturelle Pfadentscheidungen zu quasi-hegemonialen Herrschaftssystemen.

Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, bei diesen Entscheidungen mitzureden. Das Projektbüro und das Ministerium darf die Öffentlichkeit nicht einfach vor vollendete Schnittstellen stellen. Ich fordere endlich mehr Transparenz in dem Prozess und die aktive Einbeziehung der Öffentlichkeit in diese Debatten. Insbesondere Lehrer und Schülerinnen, die am Ende mit dem System zurechtkommen müssen, haben ein Recht darauf, mitreden zu dürfen.

Michael Seemann ist promovierter Medienwissenschaftler. Zuletzt erschien sein viel beachtetes Buch Die Macht der Plattformen. Für wikimedia führt er derzeit zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Studie zur Nationalen Bildungsplattform durch. Zwischenergebnisse hat wikimedia vergangene Woche auf der re:publica präsentiert (zum Politikbrief).

News

Bosch-Stiftung offenbart tiefe Krise der Schulen

Besonders die deutschen Grundschulen stecken in einer tiefen Krise. In einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage gaben 83 Prozent der Lehrkräfte an Grundschulen an, ihren Schülern “aktuell nicht die adäquate Unterstützung beim Lernen” bieten zu können. Drei Viertel sagen: “Die Förderung des psychischen Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler sollte aktuell wichtiger sein als das Erfüllen der Lehrpläne.”

Die Umfrage gab die Bosch-Stiftung als “Schulbarometer” in Auftrag. 1.017 Lehrkräfte nahmen teil. Sie berichten von belasteten Kollegien und regelmäßiger Wochenendarbeit. Das Schulbarometer war zuletzt im September vergangenen Jahres durchgeführt worden. Die Ergebnisse der neuen Studie lassen sich in drei Kategorien einteilen: die aktuelle Lage an den Schulen, der Zustand der Lehrkräfte (Gesundheit & Berufszufriedenheit) und schließlich das Verhalten von Schülerinnen und Schülern.

Schulbarometer: Größte Herausforderungen sind Corona, Lehrermangel, auffällige Schüler

Als größte Herausforderung an ihrer Schule identifizierten 38 Prozent der Befragten Corona. Auf Platz zwei folgt der Lehrkräftemangel (26 Prozent), den erneut Grundschullehrkräfte besonders häufig nannten (38 Prozent), während nur 16 Prozent der Gymnasiallehrkräfte das so sehen. Auf Platz drei folgen “Verhaltensauffälligkeiten von Schüler:innen“. Gut ein Fünftel sieht das Verhalten der Schülerschaft als größte Herausforderung an. Die Digitalisierung des Lernens folgt erst auf Platz 4 der Probleme.

Trotz aller Probleme sagen drei Viertel aller Lehrkräfte, sie seien mit ihrem Job sehr (19 Prozent) oder eher (55 Preozent) zufrieden. Allerdings planen 13 Prozent der Befragten, ihre Stunden im Schuljahr 2022/23 zu reduzieren. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, sieht darin ein deutliches Signal. “Teilzeitarbeit ist für viele Lehrkräfte ihre persönliche Flucht aus der Überlastung.” Das System stecke in einem Teufelskreis aus Überlastung und Lehrkräftemangel. Die GEW forderte, die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Bundesmittel für die Förderung von 4.000 Schulen nach einem sozial-indizierten Schlüssel zu verteilen. Lehrkräfte beobachten laut Studie häufiger deutliche Lernrückstände an Schulen, an denen mindestens die Hälfte aller Kinder eine andere Familiensprache als Deutsch hat.

Drei Viertel der Lehrer arbeiten auch am Wochenende

Mehr als 75 Prozent der Befragten sagen, Arbeiten am Wochenende sei für sie eher Regel als Ausnahme. Über 60 Prozent der Lehrkräfte leiden häufig unter körperlicher Erschöpfung. Lehrkräfte, die ein Deputat mit 25 oder mehr Stunden haben, nennen sämtliche körperlichen und mentalen Beschwerden häufiger als Lehrkräfte, die unter 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, forderte mehr Unterstützung für Lehrkräfte: “Wir brauchen über die politische Zustimmung hinaus jetzt endlich Taten, damit Lehrkräfte ihren pädagogischen Anspruch umsetzen können, ohne dabei in der Selbstausbeutungsfalle zu enden!” Robert Saar

Forschung und Bildung: FDP-Fraktion sortiert sich neu

Stephan Seiter soll neuer Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag werden. Er würde Mario Brandenburg nachfolgen, der Anfang Juni als parlamentarischer Staatssekretär ins BMBF gewechselt ist. Zuvor hatte Thomas Sattelberger überraschend seinen Rückzug aus der Politik und dem BMBF wegen privater und gesundheitlicher Gründe verkündet. Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin, soll die AG Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in Zukunft leiten. Die ehemalige Juli-Bundesvorsitzende war es, die die neue Postenverteilung auf Instagram verkündete. Auf Anfrage wollte die FDP-Fraktion die Personalien weder bestätigen noch dementieren. Die Wahl finde erst am kommenden Montag statt, hieß es. Auch Stephan Seiter wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist Parlamentsneuling und “politischer Quereinsteiger”, wie er auf seiner Webseite schreibt. 2016 trat er in die FDP ein und war bis zu seinem Abgeordnetenmandat Professor für Volkswirtschaft an der ESB Business School Reutlingen. Niklas Prenzel

Leitfaden für Dienstgeräte: So kompliziert wie Panzer-Beschaffung

Leitfaden Dienstgeräte
Mit dieser Grafik will das “Bündnis für Bildung” die Beschaffung von Dienstgeräten erleichtern.

Darauf haben die Schulträger und -leiter lange warten müssen: einen “Leitfaden zur Beschaffung von Lehrerdienstgeräten”. Jetzt ist er da, erstellt vom “Bündnis für Bildung“, zusammen mit einer Reihe von Experten diverser Gerätehersteller. Sie reichen von HP über Acer bis Fujitsu. Gut daran ist, dass der Leitfaden alle Fragen vom Auswahlprozess für die Endgeräte über Ausschreibung, Finanzierung und Support bis zum Rollout aufgreift; sogar den Nutzen von Dienstgeräten erklären die Autoren. Nicht so gut daran ist, dass das Vademecum geschlagene 36 Seiten zählt. Darunter einige Grafiken, die einem Laien im Lehrerzimmer wahrscheinlich nicht helfen, sondern eher verwirren. 

Der Leitfaden ist ein erster wirklich großer Überblick über die komplizierte Frage der Dienstgerätebeschaffung. In welche Abgründe dienstliche Laptops und Tablets führen können, hatte das 500 Millionen Euro schwere Programm des Bundes gezeigt. Obwohl damit erstmals flächendeckend Endgeräte für Lehrkräfte besorgt werden sollten, gingen Schulträger und Lehrer schnell auf die Barrikaden. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg riet seinen Mitgliedern sogar, sich an dem Dienstgeräteprogramm keinesfalls zu beteiligen. Der Grund: Es ist eine bislang offene Frage, wer eigentlich für die Ersatzinvestitionen zuständig sein soll, wenn Dienstgeräte kaputtgehen.

Nicht im Leitfaden: Kommunen erwarten wegen Dienstgeräten Kostenlawine

Das Bündnis für Bildung beantwortet den Streit auf eine interessante Art. “Bund und Länder müssen einen gemeinsamen Plan zur dauerhaften, zeitlich unbegrenzten Finanzierung von ITAusstattung und Administration entwickeln und umsetzen”, heißt es in dem Leitfaden. Die Wahrheit ist: Jedes Bundesland muss sich mit seinen jeweiligen Schulträgern darauf einigen. Solche Vereinbarungen auf einer wirklich auskömmlichen Kostenteilung für Städte und Kreise sind bisher nicht zu erkennen. Auf die Kommunen rollt eine Kostenlawine zu, sobald die jetzt durch den Bund finanzierten Dienstgeräte nicht mehr funktionsfähig sind. 

Wie komplex und zugleich banal die Causa Dienstgeräte für Lehrkräfte ist, sieht man an zwei Checklisten am Anfang und am Ende des Leitfadens. Sie machen rund 20 Prozent des Textteils aus – und klingen so, als richteten sie sich an Personen bar jeden Fachwissens. So wird Lehrerinnen und Lehrern die Nutzung von Dienstgeräten mehrfach mit dem Hinweis schmackhaft gemacht, man könne mit Laptops und Tablets auch Notizen anfertigen. Im Hause Apple dürfte man über einen derartigen Leitfaden schmunzeln. Das Unternehmen mit dem Apfel setzt die meisten Dienstgeräte an Schulen ab. Es hat diesen Leitfaden der Verlierer im Rennen um die Digitalpaktmilliarden nicht mitformuliert. Christian Füller

  • Apple

Makerspace

Markus Peuser – Online-Sprachschule für Ukrainer

Auf dem Foto sieht man das Gesicht von Markus Peuser, Gründer einer kostenlosen Online-Sprachschule für Ukrainer
Markus Peuser will bald wieder nach Kiew ziehen.

Es war auf einer Reise, als Markus Peuser sich in die Ukraine verliebte. Fünf Jahre lebte er in Kiew, gründete eine Sprachschule, bevor er vor dem Krieg floh und Unterschlupf bei seiner Schwester auf Fehmarn suchte. Von dort organisiert er kostenlose Online-Deutschkurse für Flüchtlinge aus der Ukraine.

Nach Kriegsbeginn erhielt er Anfragen von rund 2.500 interessierten Teilnehmenden. Daraufhin organisierte er neben dem regulären, auch kostenlosen Online-Unterricht. Der 40-Jährige hat schon immer für seinen Beruf gelebt, zurzeit habe er jedoch so gut wie keine Freizeit. Die ersten Lernenden haben ihren Anfängerkurs schon abgeschlossen und besuchen jetzt hierzulande reguläre Deutschkurse. Aktuell laufen rund sechzig Flüchtlingskurse. Jede Woche starten ungefähr sechzig bis achtzig Geflüchtete mit einem neuen Kurs.

Ukrainische Lehrkräfte gesucht

Derzeit ist Markus Peuser auf dem Weg zurück nach Kiew. Dort möchte er neue Deutschlehrkräfte finden. Durch seine jahrelange Arbeit in Kiew hat er gute Kontakte zu dortigen Universitäten, die ihm geeignetes Personal für den Unterricht vermitteln.

Dennoch kann er den Bedarf zurzeit kaum decken. Denn wenn die Lehrkräfte selbst nach Deutschland geflohen sind, arbeiten sie meist nicht mehr für ihn. “Regulär bekommen unsere Lehrkräfte ein ukrainisches Gehalt von nur 7,50 Euro pro Stunde. Für diejenigen, die schon in Deutschland sind, ist es attraktiver, hier an einer normalen Schule zu arbeiten”, erklärt er.

Kaum Unterstützung für sein Unternehmen

Rund 12.000 Euro Spenden konnte Markus Peuser für sein Flüchtlingsprojekt sammeln. Teilweise kooperiert er mit Volkshochschulen, die den Dozierenden ein besseres Gehalt zahlen können als er selbst. Den Rest stemmt er aus der eigenen Tasche. Eine Zeitlang hat er versucht, für sein Flüchtlingsprojekt Unterstützung von Kommunen, Banken oder der deutschen Botschaft in der Ukraine zu bekommen. Aber das hat er inzwischen aufgeben.

Anfangs sei er schockiert gewesen, wie kompliziert die Dinge in Deutschland laufen, erzählt der Unternehmer, der die Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsort unbürokratisch an den Deutschkursen teilnehmen lassen möchte: “Ich kann verstehen, dass man die Dinge ein bisschen planen muss. Aber hier wird wirklich sehr lange über Bedarfe gesprochen. Und dann passiert leider oft gar nichts.”

Ein Beispiel: Ende März habe die Stadtverwaltung Fehmarn ihm mitgeteilt, für die siebzig Ukrainer:innen, die dort leben, sehe man keinen Bedarf an Deutschkursen. “Die Menschen wollen arbeiten”, sagt er. “Dafür müssen sie Deutsch können. Doch leider haben sie keine Möglichkeit, es zu lernen.” Janna Degener-Storr

Presseschau

Steinmeier will Pflichtdienst für junge Menschen SPIEGEL

Interview: Was gegen den Verfall der Handschrift zu tun ist FAZ

Messerattacke in Esslinger Schule: Verdacht eines versuchten Tötungsdelikts SWR

Einleitung: Lernförderliche Schulentwicklung PÄDAGOGIK

Wie Corona den Lehrermangel verschärfen könnte SÜDDEUTSCHE

Berlins Hochschulgesetz verstößt laut Gutachten gegen Wissenschaftsfreiheit FAZ

Referendariat treibt viele junge Lehrkräfte an den Rand der Verzweiflung SÜDDEUTSCHE

Termine

15. Juni 2022, 09 – 16 Uhr
Online-Fachtagung Bildung in der digitalen Welt
Die GEW-Berlin lädt zur pädagogischen Fachtagung. Neben konkreten Ideen zu Medienkompetenzförderung und medienpädagogischen Angeboten soll es im Rahmen der Tagung auch um Medienkritik, den souveränen Umgang mit Daten, Strategien gegen Hass, Cybermobbing und Mediensucht sowie Rahmenbedingungen für die dienstliche Mediennutzung gehen. Informationen

16. Juni 2022, 15 Uhr
Webinar Rethinking education from the classroom up
Wenn das Bildungswesen mit der Zeit Schritt halten will, müssen wir die Rolle der Schulen möglicherweise völlig neu überdenken. Die OECD lässt daher Andreas Schleicher mit Lehrkräften über die Frage diskutieren, was das für Lehren und Lernen bedeutet. Anmeldung

17. und 18. Juni 2022
Tagung Lehrerfortbildung in Deutschland: Sachstand & Perspektiven
Die Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung und das IPN in Kiel richten gemeinsam das alle zwei Jahre stattfindende Sankelmarker Gespräch zur Lehrerbildung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin aus. Expertinnen und Experten aus Schule, Lehrerbildung, Lehrerverbänden und Bildungsverwaltung diskutieren eines der brisanten Themen der deutschen Bildungspolitik. Programm

17. und 18. Juni 2022
Barcamp: edunautika
Die edunautika ist ein Barcamp zu zeitgemäßer Pädagogik im digitalen Wandel und findet in der Winterhuder Reformschule in Hamburg statt. Hier sollen sich Menschen austauschen, die Unterricht mit digitalen Medien optimieren – oder sogar grundlegend überdenken wollen.
Informationen

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    im Kampf gegen den Lehrkräftemangel hat eine bayerische Schulleiterin aufgerüstet. Durch Quarantäne, Krankheit oder Elternzeit war ihr Kollegium derart ausgedünnt, dass sie bei der Bundeswehruni um Hilfe bat. Drei Monate lang gaben Jungoffiziere Vertretungsunterricht, wie Moritz Baumann exklusiv berichtet. Anwerbeverbot, Beutelsbacher Konsens – der Fall wirft viele Fragen auf und ist Symptom eines bildungspolitischen Desasters. Die SPD lobt die Schulleiterin übrigens für ihre Kreativität, während die GEW vor einer zu großen Nähe von Bundeswehr und Schule warnt.

    Die Nationale Bildungsplattform soll ein Prestigeprojekt des BMBF werden. Deutschlands wohl kenntnisreichster Plattform-Theoretiker, Michael Seemann, erstellt derzeit eine Studie zu dem millionenschweren Projekt. Im Gastbeitrag für Bildung.Table warnt er vor unterschätzten Pfadentscheidungen. Denn Plattformen sind immer politisch und können “Infrastrukturhegemonie” erlangen. Sie bestimmen, wie, warum und was wir in Zukunft lernen. Darüber sollte die Öffentlichkeit debattieren, statt vom BMBF als Zaungast auf Abstand gehalten zu werden.

    Lesen Sie heute außerdem eine Analyse über Anspruch und Wirklichkeit von Klimalabels und -schulen. Wir verraten Ihnen, wer neuer Sprecher für Forschungspolitik der FDP-Fraktion werden soll, blicken in den “Leitfaden zur Beschaffung von Lehrerdienstgeräten” des Bündnis für Bildung und stellen einen Mann vor, der seine Kiewer Sprachschule nun von Fehmarn aus leitet – und tausenden Ukrainern online Deutschunterricht ermöglicht.

    Eine erkenntnisreiche Lektüre wünscht Ihnen

    Ihr
    Niklas Prenzel
    Bild von Niklas  Prenzel

    Analyse

    Bundeswehr-Nachwuchs im Klassenzimmer: Gewerkschaft übt scharfe Kritik

    Eigentlich wird die Bundeswehr bei Hochwasserkatastrophen gerufen; wenn Personal in Testzentren fehlt oder Impfstoff durchs Land transportiert werden muss. In Krisen eilen die Soldaten herbei, um Amts- oder Katastrophenhilfe zu leisten. Umso erstaunlicher, dass sich in Bayern ausgerechnet eine Schulleiterin gezwungen sah, bei der Universität der Bundeswehr anzuklopfen. Sie suchte bei der Truppe nach Personal, genauer gesagt: Hilfskräfte für Vertretungsstunden. Das sorgt nun für Kritik.

    An ihrer Schule, dem Lise-Meitner-Gymnasium in Unterhaching (Lkr. München), sind im Frühjahr ungewöhnlich viele Lehrkräfte ausgefallen. Sie saßen in Quarantäne, verweilten im Mutterschutz oder mussten ihre Kinder in der Corona-Isolation betreuen. Also wurde Michaela Trinder kreativ – mit Erfolg. Die Schulleiterin konnte eine Gruppe von sieben jungen Offiziersanwärtern als Vertretungskräfte gewinnen; freiwillig, ehrenamtlich und unbezahlt, wie ihr Dienstherr auf Anfrage von Table.Media betont.

    Wie nah darf die Bundeswehr an die Schüler heran?

    Das Kultusministerium bestätigt damit eine Meldung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die dieser Redaktion vor Veröffentlichung vorlag. Darin kritisiert die GEW den Einsatz von angehenden Soldaten im Klassenzimmer scharf, gerade weil es um Kinder und Jugendliche geht. Laut der Gewerkschaft wurden die Studierenden “überwiegend in den Jahrgangsstufen fünf bis neun eingesetzt”. Das Ministerium bestätigt dies. Insgesamt 92 Stunden war der Bundeswehr-Nachwuchs im Einsatz.

    Dabei gibt es immer wieder Streit, wie nah die Bundeswehr an die Schüler herandarf. In der Regel geht es in der Debatte um sogenannte Jugendoffiziere, die Vorträge und Seminare an Schulen halten. Sie erklären die Aufgaben der Bundeswehr, berichten über Auslandseinsätze und das deutsche NATO-Engagement. Werbung für die Truppe ist den Jugendoffizieren ausdrücklich untersagt.

    Freie Wähler wollen “Bildungsarbeit der Bundeswehr” verstärken

    In Unterhaching wurden nun also Studierende der Bundeswehr, Fachrichtung Staats- und Sozialwissenschaft, über etwa drei Monate hinweg als Aufsichten in Vertretungsstunden eingesetzt. Das ist neu und wirft Fragen auf. Auf keinen Fall dürfe die Schwelle zur Anwerbung überschritten werden, sagt Martina Borgendale. “Dies kann beim Einsatz von Soldat*innen als Lehrkräften schwerlich sichergestellt werden”, so die Vorsitzende der GEW Bayern.

    Die Gewerkschaft ist Teil des Bündnisses “Unter 18 nie!”, das seit Jahren darauf drängt, der Bundeswehr zu verbieten, Minderjährige zu rekrutieren. Laut einer Studie von Child Soldiers International von 2018 haben sich rund 150 Staaten weltweit zum sogenannten “Straight-18”-Standard bekannt, Deutschland nicht.

    Der Krieg in der Ukraine hat die Debatte über die Bundeswehr neu entfacht, die Suche nach Nachwuchs läuft. Die Freien Wähler, die in Bayern auch den Kultusminister stellen, forderten scho im April die “politische Bildungsarbeit der Bundeswehr” an den Schulen zu “intensivieren”. Die GEW protestiert und erinnert an den Beutelsbacher Konsens. Schüler dürften nicht mit bestimmten politischen Positionen überwältigt werden, die Rolle des Militärs müsse kontrovers diskutiert werden. “Dies sei mit Offizieranwärter*innen, die allein in den Unterricht geschickt werden, nicht möglich”, schreibt die Gewerkschaft.

    Kritik an der GEW: Politikum, das keines ist

    Rekrutierung? Werbung fürs Militär? UN-Kinderrechtskonvention? Dass eine Lehrergewerkschaft ein solches Politikum konstruiert, sorgt an dem Münchner Gymnasium für Irritation. Michaela Trinder, die Schulleiterin, will sich nicht äußern. Pressearbeit laufe über das Ministerium, heißt es.

    Nach Informationen von Bildung.Table ging es Trinder vor allem darum, Unterrichtsausfall zu verhindern. Warum also all die Aufregung? Die Studierenden seien eingesprungen, um die Kinder zu beaufsichtigen – nicht in Uniform, sondern in zivil. Und das nur für einen begrenzten Zeitraum. Die Offiziersanwärter seien schriftlich belehrt worden, dass sie keine Werbung machen dürfen. Die Eltern waren informiert, niemand habe protestiert, heißt es aus Kreisen der Schule.

    Das Ministerium, das jeden Schritt genehmigt hat, rechtfertigt die Aktion mit “ungewöhnlich hohen Personalausfällen” an dem Gymnasium und spricht von einer “Art Praktikum“, um die Schule zu unterstützen. “Die (Studierenden) sollten an der Schule keinen Unterricht halten, sondern lediglich von Lehrkräften konzipierte Arbeitsaufträge an die Schülerinnen und Schüler ausgeben und sie bei der Bearbeitung beaufsichtigen und gegebenenfalls unterstützen”, teilt ein Sprecher mit. Und das alles ehrenamtlich.

    Ein richtiger bezahlter Vertrag, beispielsweise als Teamlehrkraft, wäre wohl juristisch heikel geworden. In diesem Fall, heißt es aus dem Bundesverteidigungsministerium, bräuchte es einen Antrag auf Amtshilfe (Art. 35 GG) – wegen Personalnot an den Schulen. Vorher jedoch müssten alle anderen Möglichkeiten “vollends ausgeschöpft” sein, erklärt eine Sprecherin.

    SPD lobt die Schulleiterin für ihre Kreativität

    Die gewerkschaftsnahe SPD-Opposition im Landtag reagiert gelassen – und spricht sogar ein Lob an die Schulleiterin aus. “Dieser Frau muss man Respekt zollen, dass sie da so kreativ war”, sagt Margit Wild, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion. “Da gleich den Bogen zur Propaganda zu spannen, soweit möchte ich nicht gehen.”

    Wild hat kein Problem, dass Studierende der Bundeswehr an den Schulen aushelfen. “Die Zeiten haben sich geändert, in einem Nachbarland findet Krieg statt. Da wäre ich zurückhaltend mit Kritik. Wir werden ohne Aushilfen aus anderen Professionen nicht zurechtkommen“, sagt sie mit Blick auf die Personallücken an den Schulen. Es klingt, als sei momentan jede Hilfe erwünscht – egal ob sich Sänger melden, oder eben engagierte Soldaten.

    Lesen Sie HIER, wer sich in Bayern um den Lehrermangel kümmert.

    Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, das Bayerische Kultusministerium habe sich nicht zum Alter der Schüler geäußert. Dies ist nicht korrekt. Wir haben die Stelle korrigiert.

    Klima und Schule: schöne Labels statt Sanierung

    Wenn sie nicht im Unterricht sitzt, engagiert sich Marlen im Klimaclub. Auf einer ‘Klimatafel’ im Schulflur wirbt die HTL Rennweg, eine berufsbildende Schule im dritten Bezirk von Wien, mit gleich drei österreichischen Klima-Zertifikaten. Die Schülerinnen und Schüler haben gelernt, wie sie die CO2-Bilanz ihrer Schule ausrechnen. Die Berechnung für das Jahr 2019 hängt gleich daneben. Bunte Erdkugeln baumeln von der Decke, auf einer steht in roter Schrift “Help”.

    Fridays for Future hat das Thema Klimaschutz nicht nur auf die Straßen, sondern auch in die Schulen gebracht. Viele Schulen werben mit Umweltprojekten und Klimalabels, doch der Spielraum der einzelnen Schulgemeinschaft ist begrenzt. Fahrrad-Aktionstage und Schulgärten lösen allein nicht das Problem, dass viele Schulen jährlich hunderte Tonnen CO2 ausstoßen. Es bräuchte eine Sanierungsoffensive, die die Länder und Kommunen finanzieren müssten. 

    Schulen als Klimasünder

    Eine Berechnung der Initiative “Klimaneutrale Schule” hat ergeben, dass eine Schule im Durchschnitt etwa 385 Tonnen CO2 pro Jahr durch Strom und Heizung ausstößt. Das entspricht mehr als 100 Flugreisen von Düsseldorf nach New York. Nicht nur in Österreich, auch in Deutschland sprießen daher Klima-Projekte aus dem Boden: Da gibt es die “Schools for Earth“-Initiative von Greenpeace, “Schools4Future” vom Wuppertal Institut und das Projekt “Klimaneutrale Schule“. Ihr gemeinsames Ziel: Schulen sollen sich auf dem Weg zur Klimaneutralität machen. Doch was heißt das eigentlich? 

    “Wir haben Klimaneutralität nicht streng mathematisch definiert. Uns geht es darum, dass die Schulen in einem selbstgewählten Zeitraum ihre CO2-Emissionen auf ein absolutes Minimum reduzieren“, sagt Markus Power von Greenpeace. Echte Klimaneutralität könnten Schulen letztlich nur über eine Kompensation des CO2-Verbrauchs erreichen, betont Christoph Stein von der Initiative “Klimaneutrale Schule” – ein teures und umstrittenes Vorgehen, wie er selbst sagt. Dieses Jahr werden die ersten zwölf “klimaneutralen” Schulen ausgezeichnet. Er schätzt, dass sie für die CO2-Kompensation jeweils zwischen 3000 und 7000 Euro ausgeben mussten – mindestens.  

    Mülltrennung und Biokiste lösen das Problem nicht

    Wie komplex es ist, Klimaneutralität zu erreichen, wird im Gespräch mit Sabine Djahanschah von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt deutlich: “Klimaneutralität bedeutet, dass genauso viel Energie erzeugt, wie verbraucht wird.” Dies ließe sich auf verschiedenen Ebenen erreichen: Der Schulträger kann die Technik des Schulgebäudes erneuern und bei der Sanierung auf bestimmte Materialien achten. Gleichzeitig müssen sich Lehrkräfte und Schüler weiterbilden, wie sie sich im Schulalltag klimafreundlich verhalten

    An der HTL Rennweg haben Schüler einen Klimaclub gegründet. Sie wollen den Druck auf Verwaltung und Politik erhöhen. um Klimaschutz an Schulen zu garantieren.
    An der HTL Rennweg haben Schüler einen Klimaclub gegründet. Sie wollen den Druck auf Verwaltung und Politik erhöhen.

    Spätestens jedoch, wenn es um Sanierung und Umbau geht, liegen die Entscheidung nicht mehr in der Hand engagierter junger Leute. Die Projekte können Ansporn und Richtungsweiser sein. Doch dass Schulen allein durch das Nutzungsverhalten klimaneutral würden, sei chancenlos, sagt Sabine Djahanschah. Licht ausschalten, Veggie-Tage in der Schulmensa und Mülltrennung allein reichen eben nicht. 

    Auch Patrick Kohl von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) warnt vor möglichen Negativ-Folgen: “Die Verantwortung wird dem Individuum auferlegt und weniger das Strukturelle in den Blick genommen”, sagt er. “Kommunalpolitiker können dann mit Verweis auf die vielen Schulen mit solchen Labels das Thema vom Tisch wischen.” Und sich damit teure Sanierungsprogramme sparen.  

    Sanierungsstau hat Folgen fürs Klima

    Laut Umwelthilfe sind Gebäude in Deutschland für etwa ein Drittel des Endenergieverbrauchs und für 30 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Was es braucht, wären Sanierungen. Doch dafür fehlt vielen Kommunen das Geld, der Investitionsstau ist enorm – was auch auf Kosten der Klimabilanz geht. Aus der Praxis berichtet HTL-Direktor Jüngling: Vier Jahre musste er mit dem Schulträger verhandeln, damit die Dachfenster an seiner Schule so umgebaut werden, dass man sie zum Lüften öffnen kann. 

    Die drei großen deutschen Klimaprojekte – “Schools for Earth“, “Schools4Future” und “Klimaneutrale Schule” – haben viele Gemeinsamkeiten: Zunächst berechnet die Schule ihren CO2-Fußabdruck, unter anderem in den Bereichen Strom, Wärme, Mobilität und Essen. Danach müssen konkrete Maßnahmen entwickelt werden, um diese Emissionen zu reduzieren. 

    An der HTL Rennweg in Wien war 2019 Mobilität mit 64 Prozent der größte Emissionstreiber – auch wegen CO2-intensiven Sprachreisen ins Ausland. Das Thema soll in den nächsten Jahren angegangen werden. Bis dahin, quasi als Kompensation, organisiert der Klimaclub der Schule jedes Jahr Fahrradtage. 

    Die zweite CO2-Baustelle ist der Energieumsatz der Schule, der zuletzt bei 26 Prozent lag. Heute lässt eine neue Software die Schulcomputer um 19 Uhr automatisch herunterfahren. Das elektronische Licht schaltet sich, wenn die Sonne scheint, automatisch ab. “Das sind alles kleine Mosaiksteine“, sagt Direktor Jüngling. 

    Schul-Initiativen setzen auf Klimabildung

    An der Lutherschule, einer privaten Volksschule in Wien, hat Schulleiterin Nina Dlouhy das österreichische Umweltzeichen von ihrer Vorgängerin geerbt. Die Siegel schmücken die Website und den Eingangsbereich. “Ich bin stolz auf unsere Klima-Abzeichen”, sagt Dlouhy, “das hat nicht jede Schule.” An der Schule gibt es ein eigenes Umweltzeichen-Team, denn die Schule muss regelmäßig ihre Aktivitäten belegen. Über jedem Lichtschalter klebt ein kleines Tier-Bild, das daran erinnert, das Licht auszuschalten. Es gibt einen Garten und eine Wurmkiste für die Bioabfälle. Dlouhy träumt von einer klimaneutralen Schule, doch der Weg dahin ist weit – und der Spielraum der einzelnen Schule begrenzt.  

    Die Initiativen hinter den Labels verweisen indes auf den Bildungsaspekt ihrer Projekte. Dieser sei mindestens so wichtig wie die tatsächliche Klimaneutralität, sagt Markus Power von Greenpeace. Mit “Schools for Earth” verfolgen sie einen Whole School Approach, ganz im Sinne der Strategie zur Bildung für nachhaltige Entwicklung. “Wir möchten den Schülerinnen und Schülern ihre Handlungsmöglichkeiten aufzeigen”, betont Power.

    Und wer weiß, vielleicht können die Schülerinnen damit den Druck auf Bürgermeister und Bildungsminister erhöhen. Fridays for Future ist das mit den Klimastreiks gelungen. 

    • Schularten
    • Unterricht

    Blogpost

    “Die Öffentlichkeit muss mitreden”

    Auf dem Foto sieht man Michael Seemann, er fordert mehr Transparenz bei den Plänen einer Nationale Bildungsplattform.
    Michael Seemann erforscht im Auftrag von wikimedia die Plattformpläne des BMBF.

    von Michael Seemann

    Als Facebook 2014 bekannt gab, 50 neue Geschlechterkategorien für seine Profile einzuführen, ging ein Rauschen durch den Blätterwald. Die Politik dieser Entscheidung wurde allgegenwärtig erkannt und in den Feuilletons kontrovers diskutiert. Das war 2004 anders, als eine ähnliche Entscheidung getroffen wurde. Damals führte das frisch gestartete “thefacebook” allerdings nur “männlich” und “weiblich” als Geschlechterkategorien ein. Natürlich war auch diese Entscheidung eine ebenso politische, auch wenn Mark Zuckerberg das beim Programmieren wohl nicht so gesehen hat.

    Infrastrukturelle Entscheidungen sind keine reinen Gegenwartsphänomene, sondern bilden die Grundlage für Weiterentwicklungen und für darauf aufbauende Software und Kommunikationspraktiken. Man nennt solche Entscheidungen auch Pfadentscheidungen, denn sie setzen die Weiterentwicklung auf einen speziellen Pfad. In allen digitalen Infrastrukturen sitzen etliche solche Pfadentscheidungen und machen bestimmte kommunikative Handlungen möglich oder wahrscheinlich, andere unmöglich oder unwahrscheinlich. Diese “Politik der Pfadentscheidung” ist eine oft übersehene, aber umso mächtigere Form der gesellschaftlichen Beeinflussung.

    Die wichtigsten Pfadentscheidungen werden jetzt getroffen

    Vor etwas über einem Jahr stellte die Bundesregierung ihr Projekt der “Nationalen Bildungsplattform” vor (lesen Sie hier eine Analyse und ein Interview von Bildung.Table). Sie soll als “Meta-Plattform” das vorhandene Feld bestehender Education-Software und Lernmanagement-Systeme im Hintergrund vernetzen. Diese “Middleware” soll einen gemeinsamen Log-in, eine standardisierte Datenhaltung beim User, sowie den Austausch von Metadaten zwischen den verschiedenen Systemen bewerkstelligen. Das 630 Millionen Euro-Projekt befindet sich nach einer einjährigen Explorationsphase, in der verschiedene Prototypen und Softwareprojekte testweise aufeinander abgestimmt wurden, in der Evaluation. Die Ergebnisse der Auswertung sollen vermutlich im Herbst in die eigentliche Ausschreibung der nationalen Bildungsplattform münden. Mit anderen Worten: Die wichtigsten Pfadentscheidungen werden genau jetzt getroffen.

    Die Verantwortlichen tun derweil alles dafür, das Projekt rein technisch und unpolitisch aussehen zu lassen. So spricht man heute nicht mehr gerne von “Plattform”, sondern bevorzugt “Meta-Plattform”, als wäre der Plattformbegriff noch nicht abstrakt genug. Doch davon darf man sich nicht täuschen lassen. Auch die nationale Bildungsplattform inkorporiert viele implizit politische Pfadentscheidungen – allerdings abseits der Öffentlichkeit.

    Spärliche Informationen aus Projektbüro und BMBF

    Um genau diese Pfadentscheidungen zu identifizieren und zur Diskussion zu stellen, hat Wikimedia Deutschland e.V. uns mit der Erstellung einer Konzeptstudie beauftragt. Zusammen mit Felicitas Macgilchrist, Christoph Richter, Heidrun Allert, Jürgen Geuter und Kathy Messmer haben wir uns daran gemacht, öffentliche Informationen zu sammeln, Dokumente zu analysieren und Interviews zu führen. Wir wollen in einem ersten Schritt die Pfadentscheidungen der Bildungsplattform analysieren und zeigen, welche Vorstellungen von Lernen und Bildung dort implizit festgeschrieben werden. In einem zweiten Schritt wollen wir diesen Vorstellungen eine selbst entwickelte Alternative entgegensetzen und in einem dritten Schritt erklären, wie diese alternativen Vorstellungen in Software umgesetzt werden könnten.

    Was wir für unsere Studie benötigen, sind Informationen. Doch die geben die Verantwortlichen nur ungern heraus. Das Projektbüro, das mit der Umsetzung der nationalen Bildungsplattform beauftragt ist, sagte uns bei einem ersten virtuellen Treffen im März dieses Jahres Interviews und Zugang zu allerlei Dokumenten zu. Aus den Interviews wurden schriftliche Fragen, die wir einreichen durften – und auf die Dokumente warten wir bis heute.

    Kritisch: Governance, Lernkonzept, Datensicherheit

    Doch selbst anhand des Materials, das wir bereits haben, kann man einige kritische Fragen stellen.

    • Warum wurden fast ausschließlich Projekte gefördert, die auf individualistische Lernkonzepte abstellen? Ist Lernen nicht auch kollaborativ und kollektiv? Die Meta-Plattform ist technisch und rhetorisch insgesamt sehr auf das Individuum zugeschnitten. Es geht um Identitätsmanagement und Zertifikat- (bzw. Zeugnis-)Verwaltung. Bleibt da auch Raum für Gemeinschaftlichkeit, Freunde und Vernetzung und nicht formalisierte Lernprozesse?
    • Was macht eine auf das Sammeln von Zertifikaten optimierte Infrastruktur mit den Anreizen im Bildungssystem? Das zieht sich auch durch die Metaphern. Ständig wird vom “individuellen Lernpfad” und von der “lebensbegleitenden Bildungsreise” gesprochen. Das klingt erstmal, als ob überall auf unsere Bedürfnisse eingegangen wird. Bis man bedenkt, dass damit die Lernerfolge der Vergangenheit die Lernchancen der Zukunft vorstrukturieren sollen. Ein Lernen wie auf Schienen kennen wir bereits aus dem dreigliedrigen Schulsystem. Wollen wir das im Digitalen wirklich weiter radikalisieren?
    • Die beim User selbstverwaltete Wallet soll Datensouveränität herstellen. Klingt zwar erstmal gut, bedeutet aber in der Realität das Outsourcen der Informationssicherheit auf das Individuum. Wie gut das funktioniert kann man im Krypto-Bereich nachlesen, wo Hacker*innen täglich hässliche Affenbilder aus ebensolchen Wallets klauen.
    • Völlig unterbelichtet ist die ganze Frage der Governance. Wer soll darüber entscheiden, welche Bildungsangebote über die Plattform erreichbar, welche promotet werden? Nach welchen Regeln geschieht das und wer ist verantwortlich? Allein, die Tatsache, dass es im Projektbüro dazu bisher noch kaum Konzepte gibt, zeigt, wie wenig sich über diese Fragen Gedanken gemacht wird.

    Angesichts der Reichweite und Dominanz, die Plattformen erreichen können, sind solche Fragen alles andere als trivial. Große Plattformen erreichen einen Zustand, den ich auch “Infrastrukurhegemonie” nenne. Wenn sich Millionen Nutzerinnen und Nutzer, Inhalte, Apps und ganze Ökosysteme um eine Plattform formieren, dann werden infrastrukturelle Pfadentscheidungen zu quasi-hegemonialen Herrschaftssystemen.

    Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, bei diesen Entscheidungen mitzureden. Das Projektbüro und das Ministerium darf die Öffentlichkeit nicht einfach vor vollendete Schnittstellen stellen. Ich fordere endlich mehr Transparenz in dem Prozess und die aktive Einbeziehung der Öffentlichkeit in diese Debatten. Insbesondere Lehrer und Schülerinnen, die am Ende mit dem System zurechtkommen müssen, haben ein Recht darauf, mitreden zu dürfen.

    Michael Seemann ist promovierter Medienwissenschaftler. Zuletzt erschien sein viel beachtetes Buch Die Macht der Plattformen. Für wikimedia führt er derzeit zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Studie zur Nationalen Bildungsplattform durch. Zwischenergebnisse hat wikimedia vergangene Woche auf der re:publica präsentiert (zum Politikbrief).

    News

    Bosch-Stiftung offenbart tiefe Krise der Schulen

    Besonders die deutschen Grundschulen stecken in einer tiefen Krise. In einer aktuellen repräsentativen Forsa-Umfrage gaben 83 Prozent der Lehrkräfte an Grundschulen an, ihren Schülern “aktuell nicht die adäquate Unterstützung beim Lernen” bieten zu können. Drei Viertel sagen: “Die Förderung des psychischen Wohlbefindens der Schülerinnen und Schüler sollte aktuell wichtiger sein als das Erfüllen der Lehrpläne.”

    Die Umfrage gab die Bosch-Stiftung als “Schulbarometer” in Auftrag. 1.017 Lehrkräfte nahmen teil. Sie berichten von belasteten Kollegien und regelmäßiger Wochenendarbeit. Das Schulbarometer war zuletzt im September vergangenen Jahres durchgeführt worden. Die Ergebnisse der neuen Studie lassen sich in drei Kategorien einteilen: die aktuelle Lage an den Schulen, der Zustand der Lehrkräfte (Gesundheit & Berufszufriedenheit) und schließlich das Verhalten von Schülerinnen und Schülern.

    Schulbarometer: Größte Herausforderungen sind Corona, Lehrermangel, auffällige Schüler

    Als größte Herausforderung an ihrer Schule identifizierten 38 Prozent der Befragten Corona. Auf Platz zwei folgt der Lehrkräftemangel (26 Prozent), den erneut Grundschullehrkräfte besonders häufig nannten (38 Prozent), während nur 16 Prozent der Gymnasiallehrkräfte das so sehen. Auf Platz drei folgen “Verhaltensauffälligkeiten von Schüler:innen“. Gut ein Fünftel sieht das Verhalten der Schülerschaft als größte Herausforderung an. Die Digitalisierung des Lernens folgt erst auf Platz 4 der Probleme.

    Trotz aller Probleme sagen drei Viertel aller Lehrkräfte, sie seien mit ihrem Job sehr (19 Prozent) oder eher (55 Preozent) zufrieden. Allerdings planen 13 Prozent der Befragten, ihre Stunden im Schuljahr 2022/23 zu reduzieren. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Maike Finnern, sieht darin ein deutliches Signal. “Teilzeitarbeit ist für viele Lehrkräfte ihre persönliche Flucht aus der Überlastung.” Das System stecke in einem Teufelskreis aus Überlastung und Lehrkräftemangel. Die GEW forderte, die im Koalitionsvertrag vorgesehenen Bundesmittel für die Förderung von 4.000 Schulen nach einem sozial-indizierten Schlüssel zu verteilen. Lehrkräfte beobachten laut Studie häufiger deutliche Lernrückstände an Schulen, an denen mindestens die Hälfte aller Kinder eine andere Familiensprache als Deutsch hat.

    Drei Viertel der Lehrer arbeiten auch am Wochenende

    Mehr als 75 Prozent der Befragten sagen, Arbeiten am Wochenende sei für sie eher Regel als Ausnahme. Über 60 Prozent der Lehrkräfte leiden häufig unter körperlicher Erschöpfung. Lehrkräfte, die ein Deputat mit 25 oder mehr Stunden haben, nennen sämtliche körperlichen und mentalen Beschwerden häufiger als Lehrkräfte, die unter 15 Stunden wöchentlich arbeiten. Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, forderte mehr Unterstützung für Lehrkräfte: “Wir brauchen über die politische Zustimmung hinaus jetzt endlich Taten, damit Lehrkräfte ihren pädagogischen Anspruch umsetzen können, ohne dabei in der Selbstausbeutungsfalle zu enden!” Robert Saar

    Forschung und Bildung: FDP-Fraktion sortiert sich neu

    Stephan Seiter soll neuer Sprecher für Forschung, Technologie und Innovation der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag werden. Er würde Mario Brandenburg nachfolgen, der Anfang Juni als parlamentarischer Staatssekretär ins BMBF gewechselt ist. Zuvor hatte Thomas Sattelberger überraschend seinen Rückzug aus der Politik und dem BMBF wegen privater und gesundheitlicher Gründe verkündet. Ria Schröder, bildungspolitische Sprecherin, soll die AG Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung in Zukunft leiten. Die ehemalige Juli-Bundesvorsitzende war es, die die neue Postenverteilung auf Instagram verkündete. Auf Anfrage wollte die FDP-Fraktion die Personalien weder bestätigen noch dementieren. Die Wahl finde erst am kommenden Montag statt, hieß es. Auch Stephan Seiter wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler ist Parlamentsneuling und “politischer Quereinsteiger”, wie er auf seiner Webseite schreibt. 2016 trat er in die FDP ein und war bis zu seinem Abgeordnetenmandat Professor für Volkswirtschaft an der ESB Business School Reutlingen. Niklas Prenzel

    Leitfaden für Dienstgeräte: So kompliziert wie Panzer-Beschaffung

    Leitfaden Dienstgeräte
    Mit dieser Grafik will das “Bündnis für Bildung” die Beschaffung von Dienstgeräten erleichtern.

    Darauf haben die Schulträger und -leiter lange warten müssen: einen “Leitfaden zur Beschaffung von Lehrerdienstgeräten”. Jetzt ist er da, erstellt vom “Bündnis für Bildung“, zusammen mit einer Reihe von Experten diverser Gerätehersteller. Sie reichen von HP über Acer bis Fujitsu. Gut daran ist, dass der Leitfaden alle Fragen vom Auswahlprozess für die Endgeräte über Ausschreibung, Finanzierung und Support bis zum Rollout aufgreift; sogar den Nutzen von Dienstgeräten erklären die Autoren. Nicht so gut daran ist, dass das Vademecum geschlagene 36 Seiten zählt. Darunter einige Grafiken, die einem Laien im Lehrerzimmer wahrscheinlich nicht helfen, sondern eher verwirren. 

    Der Leitfaden ist ein erster wirklich großer Überblick über die komplizierte Frage der Dienstgerätebeschaffung. In welche Abgründe dienstliche Laptops und Tablets führen können, hatte das 500 Millionen Euro schwere Programm des Bundes gezeigt. Obwohl damit erstmals flächendeckend Endgeräte für Lehrkräfte besorgt werden sollten, gingen Schulträger und Lehrer schnell auf die Barrikaden. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg riet seinen Mitgliedern sogar, sich an dem Dienstgeräteprogramm keinesfalls zu beteiligen. Der Grund: Es ist eine bislang offene Frage, wer eigentlich für die Ersatzinvestitionen zuständig sein soll, wenn Dienstgeräte kaputtgehen.

    Nicht im Leitfaden: Kommunen erwarten wegen Dienstgeräten Kostenlawine

    Das Bündnis für Bildung beantwortet den Streit auf eine interessante Art. “Bund und Länder müssen einen gemeinsamen Plan zur dauerhaften, zeitlich unbegrenzten Finanzierung von ITAusstattung und Administration entwickeln und umsetzen”, heißt es in dem Leitfaden. Die Wahrheit ist: Jedes Bundesland muss sich mit seinen jeweiligen Schulträgern darauf einigen. Solche Vereinbarungen auf einer wirklich auskömmlichen Kostenteilung für Städte und Kreise sind bisher nicht zu erkennen. Auf die Kommunen rollt eine Kostenlawine zu, sobald die jetzt durch den Bund finanzierten Dienstgeräte nicht mehr funktionsfähig sind. 

    Wie komplex und zugleich banal die Causa Dienstgeräte für Lehrkräfte ist, sieht man an zwei Checklisten am Anfang und am Ende des Leitfadens. Sie machen rund 20 Prozent des Textteils aus – und klingen so, als richteten sie sich an Personen bar jeden Fachwissens. So wird Lehrerinnen und Lehrern die Nutzung von Dienstgeräten mehrfach mit dem Hinweis schmackhaft gemacht, man könne mit Laptops und Tablets auch Notizen anfertigen. Im Hause Apple dürfte man über einen derartigen Leitfaden schmunzeln. Das Unternehmen mit dem Apfel setzt die meisten Dienstgeräte an Schulen ab. Es hat diesen Leitfaden der Verlierer im Rennen um die Digitalpaktmilliarden nicht mitformuliert. Christian Füller

    • Apple

    Makerspace

    Markus Peuser – Online-Sprachschule für Ukrainer

    Auf dem Foto sieht man das Gesicht von Markus Peuser, Gründer einer kostenlosen Online-Sprachschule für Ukrainer
    Markus Peuser will bald wieder nach Kiew ziehen.

    Es war auf einer Reise, als Markus Peuser sich in die Ukraine verliebte. Fünf Jahre lebte er in Kiew, gründete eine Sprachschule, bevor er vor dem Krieg floh und Unterschlupf bei seiner Schwester auf Fehmarn suchte. Von dort organisiert er kostenlose Online-Deutschkurse für Flüchtlinge aus der Ukraine.

    Nach Kriegsbeginn erhielt er Anfragen von rund 2.500 interessierten Teilnehmenden. Daraufhin organisierte er neben dem regulären, auch kostenlosen Online-Unterricht. Der 40-Jährige hat schon immer für seinen Beruf gelebt, zurzeit habe er jedoch so gut wie keine Freizeit. Die ersten Lernenden haben ihren Anfängerkurs schon abgeschlossen und besuchen jetzt hierzulande reguläre Deutschkurse. Aktuell laufen rund sechzig Flüchtlingskurse. Jede Woche starten ungefähr sechzig bis achtzig Geflüchtete mit einem neuen Kurs.

    Ukrainische Lehrkräfte gesucht

    Derzeit ist Markus Peuser auf dem Weg zurück nach Kiew. Dort möchte er neue Deutschlehrkräfte finden. Durch seine jahrelange Arbeit in Kiew hat er gute Kontakte zu dortigen Universitäten, die ihm geeignetes Personal für den Unterricht vermitteln.

    Dennoch kann er den Bedarf zurzeit kaum decken. Denn wenn die Lehrkräfte selbst nach Deutschland geflohen sind, arbeiten sie meist nicht mehr für ihn. “Regulär bekommen unsere Lehrkräfte ein ukrainisches Gehalt von nur 7,50 Euro pro Stunde. Für diejenigen, die schon in Deutschland sind, ist es attraktiver, hier an einer normalen Schule zu arbeiten”, erklärt er.

    Kaum Unterstützung für sein Unternehmen

    Rund 12.000 Euro Spenden konnte Markus Peuser für sein Flüchtlingsprojekt sammeln. Teilweise kooperiert er mit Volkshochschulen, die den Dozierenden ein besseres Gehalt zahlen können als er selbst. Den Rest stemmt er aus der eigenen Tasche. Eine Zeitlang hat er versucht, für sein Flüchtlingsprojekt Unterstützung von Kommunen, Banken oder der deutschen Botschaft in der Ukraine zu bekommen. Aber das hat er inzwischen aufgeben.

    Anfangs sei er schockiert gewesen, wie kompliziert die Dinge in Deutschland laufen, erzählt der Unternehmer, der die Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsort unbürokratisch an den Deutschkursen teilnehmen lassen möchte: “Ich kann verstehen, dass man die Dinge ein bisschen planen muss. Aber hier wird wirklich sehr lange über Bedarfe gesprochen. Und dann passiert leider oft gar nichts.”

    Ein Beispiel: Ende März habe die Stadtverwaltung Fehmarn ihm mitgeteilt, für die siebzig Ukrainer:innen, die dort leben, sehe man keinen Bedarf an Deutschkursen. “Die Menschen wollen arbeiten”, sagt er. “Dafür müssen sie Deutsch können. Doch leider haben sie keine Möglichkeit, es zu lernen.” Janna Degener-Storr

    Presseschau

    Steinmeier will Pflichtdienst für junge Menschen SPIEGEL

    Interview: Was gegen den Verfall der Handschrift zu tun ist FAZ

    Messerattacke in Esslinger Schule: Verdacht eines versuchten Tötungsdelikts SWR

    Einleitung: Lernförderliche Schulentwicklung PÄDAGOGIK

    Wie Corona den Lehrermangel verschärfen könnte SÜDDEUTSCHE

    Berlins Hochschulgesetz verstößt laut Gutachten gegen Wissenschaftsfreiheit FAZ

    Referendariat treibt viele junge Lehrkräfte an den Rand der Verzweiflung SÜDDEUTSCHE

    Termine

    15. Juni 2022, 09 – 16 Uhr
    Online-Fachtagung Bildung in der digitalen Welt
    Die GEW-Berlin lädt zur pädagogischen Fachtagung. Neben konkreten Ideen zu Medienkompetenzförderung und medienpädagogischen Angeboten soll es im Rahmen der Tagung auch um Medienkritik, den souveränen Umgang mit Daten, Strategien gegen Hass, Cybermobbing und Mediensucht sowie Rahmenbedingungen für die dienstliche Mediennutzung gehen. Informationen

    16. Juni 2022, 15 Uhr
    Webinar Rethinking education from the classroom up
    Wenn das Bildungswesen mit der Zeit Schritt halten will, müssen wir die Rolle der Schulen möglicherweise völlig neu überdenken. Die OECD lässt daher Andreas Schleicher mit Lehrkräften über die Frage diskutieren, was das für Lehren und Lernen bedeutet. Anmeldung

    17. und 18. Juni 2022
    Tagung Lehrerfortbildung in Deutschland: Sachstand & Perspektiven
    Die Deutsche Gesellschaft für Bildungsverwaltung und das IPN in Kiel richten gemeinsam das alle zwei Jahre stattfindende Sankelmarker Gespräch zur Lehrerbildung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin aus. Expertinnen und Experten aus Schule, Lehrerbildung, Lehrerverbänden und Bildungsverwaltung diskutieren eines der brisanten Themen der deutschen Bildungspolitik. Programm

    17. und 18. Juni 2022
    Barcamp: edunautika
    Die edunautika ist ein Barcamp zu zeitgemäßer Pädagogik im digitalen Wandel und findet in der Winterhuder Reformschule in Hamburg statt. Hier sollen sich Menschen austauschen, die Unterricht mit digitalen Medien optimieren – oder sogar grundlegend überdenken wollen.
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