Table.Briefing: Bildung

Lösung für Lehrermangel + Neustart Bildungsplattform + Datenleck bei Sofatutor

  • Mit Lehramtsstudenten gegen Lehrermangel
  • Wikimedia fordert Neuanfang für Nationale Bildungsplattform
  • Bundesschülerkonferenz mit Budget – und Schulden
  • Bundesregierung verlängert Förderung der Sprach-Kitas
  • Sofatutor trackt Schüler
  • EdTechs treffen KMK-Präsidentin
  • Berufswahl durch Corona verzögert
  • Standpunkt: Hannes Aichmayr – Grenzen für EdTechs im Metaverse
  • Heads: Neue Kultusministerin Julia Hamburg – macht Schulpolitik wieder wichtig
Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie erinnern sich: Sachsen-Anhalt ist das Land der Frühaufsteher. So warb das Bundesland für sich – und erwartet frühes Aufstehen auch von seinen Lehramtsstudenten. Dort haben die angehenden Lehrer parallel zum Masterstudium die Möglichkeit vor der Klasse zu stehen und befristet angestellt zu sein. Eine simple Lösung, um den Lehrermangel abzufedern. 20.000 Vollzeitstellen ließen sich aus Deutschlands Lehramtsseminaren besetzen, rechnet Bildungsökonom Klaus Klemm vor. Christian Füller stellt Ihnen das Modell vor und zeigt, warum andere Bundesländer nicht mitziehen wollen.

Vergangene Woche haben wir Ihnen erste Ergebnisse der Konzeptstudie zur Nationalen Bildungsplattform vorgestellt. Gestern Abend wurde sie nun der Öffentlichkeit präsentiert. Wikimedia, bekannt für den Kampf für freies Wissen, erwartet viel von der Bildungsplattform – und hält wenig von den bisherigen Plänen. Daher schlagen die Autoren einen Neustart vor. Besonders die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft sei nicht sichergestellt. Um dieses Problem zu lösen, erfinden die Autoren ein bestechend einfaches Instrument.

Und wo wir bei der Zivilgesellschaft sind: Es ist ein historischer Schritt, dass die Bundesschülerkonferenz erstmals durch den Bund gefördert wird. Das Geld fließt seit Ende Oktober. Stutzig machte uns, dass es treuhänderisch verwaltet wird – daher haben wir für Sie hinter die Kulissen der Schülervertretung geschaut. Das sechsstellige Taschengeld kann sie nicht nur gebrauchen, um Strukturen aufzubauen, sondern auch, um alte Schulden zu begleichen.

Eine erkenntnisreiche Lektüre dieses Briefings für Frühaufsteher wünscht Ihnen

Ihr
Niklas Prenzel
Bild von Niklas  Prenzel

Analyse

Mit Werkstudenten den Lehrermangel bekämpfen

Ministerpräsident Reiner Haseloff: Sein Land ermöglicht ein wegweisendes Modell gegen den Lehrermangel – Werkstudierende.

Der Lehrermangel ist die moderne Geißel der Schule. Zehntausende Lehrer fehlen akut in den Klassenzimmern, Kenner sprechen von 158.000 fehlenden Lehrern bis zum Jahr 2035. Die Politik überbietet sich mit Vorschlägen. Sachsen-Anhalt testet die Vier-Tage-Woche an Schulen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder droht, den Lehrkräften die Teilzeit wegzunehmen. Manche Länder beschäftigen Headhunter, um Lehrer zu finden. In Sachsen-Anhalt gibt es nun eine neue Möglichkeit, die auf denkbar simple Art allen Beteiligten hilft: Werkstudenten

In dem Bundesland können Studierende, die den Bachelor bereits in der Tasche haben, parallel zum Masterstudium als befristet angestellte Lehrkräfte arbeiten. Das Modell ähnelt einem dualen Studium – bei dem man 1.600 Euro verdienen kann.

Mit dem Sachsen-Anhalter Ansatz ließe sich der Lehrermangel kurzfristig auf Null bringen. Deutschland zählt aktuell 263.000 Studierende auf Lehramt – davon dürften etwa 90.000 im Master sein. Da exakte Zahlen zu Master-Lehrämtlern nicht existieren, hat Bildung.Table die Werte mit dem führenden Experten dafür geschätzt, dem Bildungsökonomen Klaus Klemm. Das bedeutet, wenn alle Masterstudierenden acht oder zwölf Schulstunden erteilen, ließen sich rein rechnerisch 30.000 bis 40.000 Vollzeitäquivalente mobilisieren. Das sind ganze Lehrerstellen, und die würden viel helfen. Der Präsident des Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger etwa geht davon aus, dass aktuell rund 40.000 Lehrkräfte in den Klassenzimmern fehlen. 

Kein Konflikt zwischen Klassenzimmer und Uni-Seminar

Gegen den Aderlass an Schulen könnten Werkstudenten wie Johannes Frenkel helfen. Er studiert in Magdeburg auf Lehramt Gymnasium in den Fächern Wirtschaft und Sport. Der 24-Jährige gibt parallel als echter Lehrer an der Reformschule Salzwedel Wirtschaftsunterricht. Zwölf Stunden Deputat absolviert er und verdient dabei 1.600 Euro – neben dem Studium. Gibt es Konflikte zwischen dem Job an der Schule und dem Studium an der Uni? Nein, wehrt Frenkel ab. Im Gegenteil. In den Seminaren an der Uni glänzt Frenkel mit realen Beispielen aus der Praxis

Ähnlich geht es Anna Brünner. Die Studentin unterrichtet seit Anfang dieses Schuljahres an der Integrierten Gesamtschule “Regine Hildebrandt” in Magdeburg sechs Stunden Mathematik. “Mein Studium und der Unterricht in der sechsten Klasse lassen sich zeitlich gut kombinieren”, sagt Brünner. Manche Vorlesung an der Uni, die den Schwerpunkt auf die fachliche Vermittlung legt, wird nun durch die Praxis relativiert. “Im richtigen Unterricht kommt es eben auch darauf an, auf alle Schüler in heterogenen Gruppen einzugehen und Störungen managen zu können”, berichtet Brünner von ihrem Aha-Erlebnis im Klassenzimmer. Die 22-Jährige studiert ebenfalls in Magdeburg. 

Der Ministerpräsident kennt sein Reformmodell nicht

So einfach der Masterplan klingt, viele kennen ihn noch gar nicht. Nicht einmal der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts weiß, dass sein Land die Lösung für eines der dringendsten Probleme der Republik gefunden hat. In Stendal weilt Reiner Haseloff gerade in der Comenius-Gemeinschaftsschule. Als der Landesfürst davon erfährt, dass Studierende in Sachsen-Anhalt parallel als gutbezahlte Teilzeitlehrer arbeiten können, schreckt er auf. “Ach so, da müssen wir doch gleich mal den Herrn vom Landesschulamt fragen, der hier anwesend ist”, sagt Haseloff. Der Referent bestätigt das Modell. Und die Schulleiterin der Salzwedeler Lessing-Schule, die inzwischen fünf Werkstudenten beschäftigt, sagte: “Ich würde alle Lehramtsstudierenden, die den Bachelor in der Tasche haben, zum Dienst in der Schule verpflichten.”

Eine Umfrage von Bildung.Table in ausgewählten Ländern der Bundesrepublik bestätigt den Haseloff-Effekt: Spontan wissen die Kultusministerien nicht, ob es das Modell “Werkstudent im Klassenzimmer” auch bei ihnen gilt. Obwohl der Lehrermangel das Malheur in den Schulen ist. Das Ergebnis lautet, zusammengefasst: Studierende sollen irgendwie früh in die Praxis des Klassenzimmers – das gibt es inzwischen in allen angefragten Ländern. Aber offensiv beworbene tarifliche Bezahlung für teilzeitstudierende Lehrer kennt keines der Bundesländer.

Berlin erfand den Werkstudenten für Schulen: als 500-Euro-Kraft

Berlin hat dieses Modell 2018 erfunden – wenn auch auf reduzierter Basis. Die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bot Master-Studierenden in MINT-Fächern ein Stipendium von 500 Euro pro Monat an. Bedingung: Sie sollten parallel zum Studium in Mathe, Informatik und Naturwissenschaften aushelfen. Das war der Einstieg in eine Art duales Studium – allerdings auf 100 Personen und zwei Jahre begrenzt. Merke: Die Bekämpfung des Lehrermangels soll möglichst billig sein. 

Fragt man heute in der Bildungsverwaltung Berlins nach, wird ein kompliziertes Modell präsentiert, das vielerlei Bedingungen enthält: Wie ist die Mangelsituation an der jeweiligen Schule? Kann man die Lücke anders stopfen, etwa durch Quereinsteiger? Kurz: Regulär wie Lehrer bezahlte Werkstudenten kennt Berlin nicht. “Der Einsatz von Masterstudierenden, die auf Lehramt studieren, ist besonders sinnvoll, weil dies hervorragend auf den Beruf vorbereitet”, lobte Berlins heutige Senatorin und angehende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Astrid-Sabine Busse, gegenüber Bildung.Table.

MV: keine Studierenden als Vertretungslehrkräfte

Auch in Hessen ist die Antwort kompliziert. Das Ministerium lege Wert darauf, wie ein Sprecher sagt, “dass wir der Fachlichkeit der Lehrenden oberste Priorität einräumen”. Deswegen gehe Hessen lieber den Weg, die Zahl der Referendare permanent zu erhöhen, heißt es. Mit anderen Worten: Den Master-Studierenden selbst traut man nicht über den Weg. Freilich ist der Zuwachs an Referendarsstellen in Hessen dann gar nicht so beeindruckend. Im Jahr 2018 gab es 2.565 Stellen für Lehrer in der Ausbildung. Im Jahr 2022 sind es nun 60 mehr: 2617. Ob man damit den Lehrermangel in den Griff bekommt? Zum Vergleich: Hessen hat insgesamt 21.000 Studierende im Lehramt – das heißt mindestens 5.000 befinden sich im Hauptstudium. Alles potenzielle Teilzeitlehrkräfte. 

Aus Mecklenburg-Vorpommern ruft Ministerin Simone Oldenburg (Linke) höchstpersönlich an, um deutlich zu machen: Auch im Norden werden Studierende auf Lehramt möglichst früh in die Schule beordert. Allerdings “sind grundsätzlich keine Studierenden als Vertretungslehrkräfte in Mecklenburg-Vorpommern eingestellt.” Will sagen: Praktikanten, Honorarkräfte – aber kein korrekt bezahlter Lehrerersatz.

Kaum ein Land weiß, wie viele Studis parallel als Lehrer arbeiten 

Auch die größten und leistungsstärksten Bundesländer haben keinen regulären und umfassenden Einsatz von Werkstudenten. Bayern teilt mit, “dass theoretisch ein befristeter Einsatz von Studierenden mit Bachelorabschluss möglich ist.” Der zweite Sieger beim vergangenen Bildungstrend, Sachsen, schreibt: “Lehramtsstudenten können bei uns im Rahmen der Unterrichtsversorgung befristet an Schulen eingestellt werden, wenn zum Beispiel Lehrkräfte krankheitsbedingt länger ausfallen oder Lehrkräfte fehlen.” Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen aus. In Schulen der Sekundarstufe I könnten Studierende “neben einem Masterstudium befristet als Vertretungslehrkraft an Schulen beschäftigt werden.” 

Exakte Auskünfte über den Umfang dieses Programmes kommt aus keinem der Länder. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 80.000 Studierende im Lehramt. Das heißt, es ließe sich rechnerisch ein Gegenwert von 10.000 Vollzeit-Lehrerinnen und Lehrern erzeugen, wenn man das Modell Werkstudent konsequent anwendete. 

Klemm: Werkstudenten könnten helfen – wenn sie früh aufstehen

Klaus Klemm ist der Doyen der Lehrerkapazitätsberechnungen. 1976 hat er sein erstes Buch dazu verfasst, Untertitel: “Die Probleme d. Lehrerbedarfs und die Folgen für die Bildungsreform”. Klemm war es auch, der den Kultusministern im Januar mit seinen Berechnungen sämtliche Prognosen zerschlug. Die Kultusminister behaupteten, 17.300 Lehrer fehlten – Klemm korrigierte sie und sagte, es werden 81.000 bis zum Jahr 2030 sein. 

Er findet die Methode Werkstudent im Prinzip gut. “Das ist einer der Wege, mit der man die Lehrerkrise beherrschbar machen könnte – jedenfalls kurzfristig”, sagte Klemm Bildung.Table. Wenn man Lehramtsstudenten in der Masterphase konsequent zu Lehrern machen würde, “dann kommt man auf Größenordnungen von 20.000 Vollzeitäquivalenten – das ist natürlich eine Hausnummer.” 

Allerdings warnt der emeritierte Bildungsökonom zugleich. Da, wo es konkurrierende Arbeitsmärkte gibt – etwa bei Informatikern -, könne man damit kaum Löcher auf der Stundentafel stopfen. Und er hat noch ein zweites Argument: “Das werden sicherlich nicht alle Masterstudierenden im Lehramt machen, denn dann müssen sie ja um 8:00 Uhr in der Klasse stehen.” 

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Neustart für die Bildungsplattform

Wikipedia ist eine große Bildungsplattform, hat revolutioniert, wie und was wir wissen. Da wundert es nicht, dass der Verein Wikimedia, als Eigentümerin der Weltwissensplattform, sich nun die Pläne des Bundes vorgenommen hat. Denn der tüftelt, weitestgehend von der Öffentlichkeit ignoriert, an einer nationalen Bildungsplattform (NBP). Wikimedia kämpft bekanntlich für freies Wissen und kollaboratives Lernen – und mit dieser Prämisse schauen sich auch die Autoren der Konzeptstudie das “Megavorhaben” (Saskia Esken) an.

So hochkarätig wird über die Plattformpläne selten öffentlich diskutiert. Neben der SPD-Vorsitzenden Esken nehmen unter anderem Bildungsaktivistin Marina Weisband und Johanna Börsch-Supan, Abteilungsleiterin im BMBF, auf dem Podium Platz. Es ist die 20. Minute, als das N-Wort zum ersten Mal fällt: Für einen Neustart plädieren die Verfasserinnen und Verfasser der Studie. Bis dahin haben die Zuschauer im Berliner Einstein-Zentrum erfahren, was schiefläuft im Planungsprozess. Drei Schwachstellen betonen die Autoren:

1) Es fehlt an Theorie

Das Forscherteam fliegt teils in hohen akademischen Höhen, grundiert seine Argumente mal bildungs-, mal plattformtheoretisch. Klares Verdienst der Studie ist, den Theoriemangel der Projektverantwortlichen nachzuweisen. Sie bemängeln ein instrumentelles Verständnis von Bildung, in dem es um den Erwerb von Zertifikaten geht, Bildung werde zur Ware. Lernen ist dabei ein Aneinanderreihen von abgrenzbaren Lernprozessen. Die Autoren kritisieren dieses “eher konservative” Bildungsverständnis und befürworten ein stärker informelles. Ihre Hauptkritik bezieht sich jedoch auf das “Wie” der Diskussion. Problematisch sei, dass das Bildungsverständnis der NBP nicht auf bewussten Entscheidungen der Projektbeteiligten beruhe. Geschweige denn, dass es darüber eine öffentliche Debatte gäbe.

2) Unerschütterlicher Glaube an die Technik

Bei der Entwicklung der Plattform dominiere ein technischer Pragmatismus. Viele Pfadentscheidungen, die die NBP grundlegend strukturieren, wurden früh im Verlauf getroffen. Der Prototyp BIRD der Universität Potsdam sei zentral. Er bildet das technische Rückgrat (BIRD-Projektleiterin im Interview mit Bildung.Table). Der Code war schnell programmiert, weil einige Einzelanwendungen in Potsdam bereits existierten. Doch waren das Lösungen, die auf unzureichend definierte Probleme eine Antwort gaben, so die Autoren. Wenig abgewinnen können sie etwa der geplanten Wallet, in der die Nutzer ihre Lernzertifikate lagern können. Diese kritisieren sie zum einen, weil die User für die Datensicherheit verantwortlich sind, zum anderen wegen der in Code gegossenen Output-Orientierung.

2) Wer regiert die Plattform?

Vor zwei Jahren wurde die staatliche Infrastruktur, die Bildungsanbieter und -inhalte verknüpfen soll, auf den Weg gebracht. Viel wurde programmiert und ausgeschrieben – einen Plan für die Zukunft vermissen die Studienautoren jedoch. “Wer definiert über die Metadaten, was Wissen, Kompetenzen und Skills sind?,” fragen sie etwa. Was passiert, wenn Rechtsextreme dort Lernangebote platzieren; wer entscheidet, was (noch) geht? Die Plattform benötige eine Governance. Wie diese gestaltet werden soll, diese Frage vernachlässige das BMBF sträflich. Jedenfalls hätten sie dazu keine Informationen gefunden, die sie teils erst mittels Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten konnten. Börsch-Supan verweist auf die Anbieter, die, bevor sie Zugang zur Plattform bekommen, geprüft würden. Sie seien es, die für die Inhalte verantwortlich sind. Die Steuerung sollte nicht “Verwaltungssachverständigen” überlassen werden, fordern die Autoren.

So unausgegoren die Prüfung der Inhalte klingt, so unklar ist die Betreiberstruktur. Gefragt nach den jährlichen Kosten der Plattform, antwortete Jens Brandenburg kürzlich auf eine Anfrage der Linken, dass das Betreibermodell noch zu definieren sei. Börsch-Supan lässt sich nicht weiter in die Karten schauen. Nur so viel sei klar. Eine von Wikimedia gefürchtete Public-Private-Partnership werde es nicht. “Der Betrieb ist eine hoheitliche, staatliche Aufgabe”, sagt sie.

Auswege aus der Planungs-Sackgasse

Das Forscherteam um die Medienwissenschaftler Felicitas Macgilchrist und Michael Seemann sowie die Pädagogin Heidrun Allert wirft der NBP vor, nicht systematisch ein “zukunftsfähiges, gemeinwohlorientiertes und digital gestütztes Bildungssystem” zu entwickeln. Das ist ein großer Anspruch, ein Weckruf nach bald drei Jahren Schul- und Bildungsdigitalisierung im Schleudergang.

Um sich größtmöglich Gehör zu verschaffen, fordern sie einen Neustart der NBP. Die bisherigen Ergebnisse könnten als “Steinbruch” dienen, für einen Prozess, in dem eine “gemeinwohlorientierte Vision” zusammen mit Schüler- oder Studierendenvertretungen entsteht. Dort würden Use Cases diskutiert, technische Ziele formuliert und zivilgesellschaftliche Governancestrukturen erdacht. Weil den Autoren die Radikalität dieses Ansatzes bewusst ist, schließen sie ebenso einen Reformkurs vor.

Er baut auf der bisherigen Infrastruktur auf und ergänzt sie. Auch informelle, politische und kulturelle Bildung sollte einen Platz auf der NBP erhalten – und Social Scoring ausgeschlossen werden. Die Autoren befürchten nämlich, dass es zu Letzterem kommen könne, wenn der Algorithmus Nutzenden nur dann spezielle Weiterbildungsangebote vorschlägt, sofern sie entsprechende Zertifikate gesammelt haben.

Ein User-Rat für maximale Partizipation

Kern der Reform besteht in der Gründung eines User-Rats. Es ist eine alte Forderung der Plattform-Theorie. Facebook hat einen solchen eingeführt, Elon Musk plant Ähnliches für Twitter und die deutschen Rundfunkräte kontrollieren seit eh und je die Öffentlich-Rechtlichen. Der nun in die Debatte eingeführte User-Rat soll per Los zusammengesetzt werden und aus Lehrenden und Lernenden aller Bildungsinstitutionen bestehen. Saskia Esken findet das eine “sehr interessante Idee”.

Der Abend in Berlin zeigt, dass die 630 Millionen Euro schwere Plattform noch viele Fragen aufwirft. Börsch-Supan hatte zu Beginn die abendbegleitende Metapher platziert: Die Bildungsplattform sei eine weitestgehend neutrale “Vernetzungsinfrastruktur”, ähnlich einem Straßennetz, das das BMBF für die digitale Bildung baut. Darauf müssten alle Angebote, vom Fußgänger bis zum LKW, sicher fahren können. Marina Weisband, großer Fan einer gemeinnützigen Bildungsplattform, kontert, dass auch der Straßenbau nicht neutral ist. Städte würden Fußgänger oftmals systematisch vernachlässigen.

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Schülerkonferenz hatte Geld vom Bund dringend nötig

Im Juni dieses Jahres wurde die Förderung der Bundesschülerkonferenz (BSK) aus Bundesmitteln beschlossen (Bildung.Table berichtete). Nun ist das Geld da. Exakt 239.733,14 Euro beträgt der Zuwendungsbescheid des BMBF. Die Förderung der BSK aus Bundesmitteln ist nicht nur ein Schritt zur Emanzipation der Schüler, er war dringend nötig für die finanzielle Basis der Konferenz. Oliver Sachsze, Generalsekretär der BSK, betonte im Gespräch, welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergäben – zum Beispiel die Organisation von Tagungen.

Stiftung Bildung als Hüterin des Geldes

Seit dem 21. Oktober kann die BSK mit den knapp 240.000 Euro arbeiten. Allerdings ist nicht die Schülerkonferenz um Sachsze selbst die Hüterin des Geldes, sondern die Stiftung Bildung übernimmt als Trägerin der Förderung die formale Verwaltung. In ihrem Büro im Zentrum Berlins ist seit Ende Oktober auch das neue BSK-Organisationsbüro angesiedelt. Dessen Einrichtung war eines der Hauptziele des Bundessekretariats.

Die Stiftung unter der Vorsitzenden Katja Hintze war für die BSK Retterin in Not. Denn den Schülerinnen und Schülern aus dem Sekretariat der Konferenz fehlt es an den benötigten juristischen Strukturen – und einer gesetzlichen Legitimierung. Laut Sachsze liege die fehlende Unabhängigkeit daran, dass dem Bundessekretariat der nötige Vorlauf gefehlt hat, diese einzurichten. Und er betont, dass eine Vereinsgründung nichts sei, was Schülerinnen und Schüler so einfach übernehmen können.

Personelle Neuaufstellung dringend nötig

Gleichzeitig hatte die BSK intern eine Personal-Krise zu lösen: Sachsze selbst ist nur noch wenige Tage im Amt. Er hatte es im Sommer überraschend übernommen. Für die kurze Amtszeit gibt es Gründe – denn eigentlich war Sachsze zunächst Finanzkoordinator der BSK. Es habe “interne Differenzen und einseitige Kommunikation” gegeben. “Man könnte Listen damit füllen, was problematisch lief”, so Sachsze. Besonders im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit habe die Arbeitsqualität der BSK gelitten und interne Streitigkeiten sollen “nicht nur demotivierend, sondern auch Teamgeist-gefährdend” gewesen sein. Erst personelle Umstrukturierungen hätten dafür gesorgt, dass die BSK wieder handlungsfähig geworden sei.

Förderverein der BSK vor finanziellen Problemen

In diesem Moment kommt nun die Förderung aus Bundesmitteln – und die wird dringend benötigt. Denn auch der Förderverein der BSK hat Probleme – und ist deswegen in Auflösung begriffen. Mehrere stellvertretende Vorsitzende haben ihren Rücktritt erklärt oder stillschweigend die Arbeit niedergelegt. Das führte dazu, dass Rechnungen nicht mehr beglichen und sogar Mahnverfahren eingeleitet wurden. Nach Informationen von Bildung.Table hatte der Förderverein der Schülerkonferenz eine Liste offener Rechnungen, die unter anderem von der Deutschen Bahn und einem Flyerhersteller stammen. Das BMBF hatte offenbar sogar erwogen, bestimmte Zahlungen zurückzuverlangen. Problematisch ist weiterhin, dass der Förderverein der BSK und die BSK selbst zwei unterschiedliche Strukturen sind – und die Schulden des Fördervereins somit nicht mit der Bundesförderung beglichen werden können. Diese lässt sich außerdem nur auf Rechnungen ab dem 21. Oktober anwenden. Aber: Sachsze betont, dass die BSK und ihr Förderverein im Gespräch seien, um diese Problematik anzugehen.

In einem früheren Gespräch mit Bildung.Table betonte Sachsze, dass sein Traum für die BSK eine gesetzliche Legitimierung sei, um endlich volle Handlungsfähigkeit zu haben. Die Hoffnung hat er weiterhin. Doch in Anbetracht der zuletzt chaotischen und konfliktbelasteten inneren Strukturen der BSK bleibt fraglich, wie realistisch eine baldige gesetzliche Legitimierung sein wird. Immerhin ist Sachsze der Überzeugung, dass er die Bundesschüler-Konferenz mit seinem Sekretariat in ruhige Fahrwasser gebracht hat.

  • BMBF
  • Katja Hintze

Standpunkt

“EdTechs, drängt nicht ins Metaverse!”

Lehrer, Unternehmensberater, Risikokapitalgeber: Hannes Aichmayr.

Spätestens seit sich Facebook zu Meta umbenannt hat, ist das Metaverse in aller Munde. Sein Education Virtual Reality Lab lässt sich der Konzern 150 Millionen Euro kosten. Aber auch andere Player versprechen sich Großes vom vollkommenen Eintauchen in Lernwelten. Mit 147 Millionen Euro ist Labster, das auf virtuelle Laborsimulationen setzt, eines der bestfinanzierten EdTechs in Europa. Und HolonIQ schätzt, dass 2025 etwa 12,6 Milliarden Euro in Virtual-Reality-Anwendungen für den Bildungsbereich fließen werden. Mehr als doppelt so viel wie in andere Technologien. Kaum eine Bildungsmesse vergeht in diesem Jahr, ohne dass Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Metaverse zu den Rettern der Bildung hochstilisiert werden. Dabei ist Vorsicht geboten.

Das Metaverse soll, einfach gesagt, die nächste Generation des Internets sein. Nutzer können Kontakte knüpfen, sich austauschen, spielen und lernen. Augmented und Virtual Reality schaffen ein interaktives und virtuelles Äquivalent unserer physischen Welt – und somit auch der Lernangebote. So rufen einige bereits die nächste Revolution des Lernens aus. Damit geraten wir aber in eine Zeitschleife, in der die Bildungsdiskussion sich verfängt.

Zuckerberg: “Awesome Education”

Vor genau einhundert Jahren sprach Thomas Edison davon, dass das Medium Film das Bildungssystem revolutionieren und innerhalb weniger Jahre Schulbücher zu einem Großteil, wenn nicht gar komplett, verdrängen werde. Bewegtbild würde, so die Hoffnung, beim Lernen eine hundertprozentige Lerneffizienz erreichen. Ähnliche Versprechungen gab es beim Aufkommen der ersten computergestützten Unterrichtsprogramme in den sechziger Jahren.

Spulen wir nun in das Jahr 2022 vor, erleben wir ähnlich optimistische Behauptungen in Bezug auf die Potenziale des Metaverse für die Bildung. Lernen soll spannender, individueller, angewandter und dadurch letztendlich besser werden. Oder wie es Mark Zuckerberg in einfachen Worten beschreibt: “Education in the Metaverse is going to be awesome”. Wenn wir jedoch einen Blick auf die digitale Bildungslandschaft werfen, zeigt sich ein anderes Bild. Eine pädagogische Revolution ist im Digitalisierungsschub der vergangenen Jahre nach wie vor ausgeblieben. Viele EdTech-Anwendungen beschränken sich auf die Vermittlung mathematischer Kompetenzen oder das Erlernen neuer Vokabeln (worin sie nachweislich eine erhöhte Wirksamkeit haben). Es ist zu befürchten, dass Bildung im Metaverse lediglich auf Gaming, wie es aktuell der Fall ist, und sehr spezifische Lernanwendungen beschränkt bleibt.

Nutzen in Chirurgie oder chemischer Industrie

Technologie ist nie ein Selbstzweck, sondern soll dort zur Anwendung kommen, wo Nutzen gestiftet wird. Erst muss das Lernziel stehen, dann die Frage nach der Technologie gestellt werden. Einen Nutzen haben auch immersive Technologien beim Lernen. Sie eignen sich, wenn die reale Auseinandersetzung mit einem neuen Konzept (1) gefährlich, (2) unmöglich, (3) kontraproduktiv oder (4) zu teuer ist. Eine sinnvolle Anwendung ergibt sich daher in sehr spezialisierten Bereichen. Das kann die Aus- und Weiterbildung in der Chirurgie sein, weil sie ansonsten aufwendig und teuer ist. Oder die Schulung von Laborpersonal in der chemischen Industrie, weil die Praxis mit Gefahren einhergehen kann. Das Metaverse hingegen als Allheilmittel zu präsentieren, ist eine falsche Versprechung und lenkt von drängenderen Problemen ab.

Es besteht kein Zweifel daran, dass EdTechs dabei helfen können und müssen, Lernen spannender, nachhaltiger und relevanter zu gestalten. Wenn wir gerade auch in den letzten zwei Jahren entstandene Bildungslücken schneller schließen wollen, führt kein Weg an digitalen Bildungsangeboten vorbei. Zentral bleibt jedoch das Zusammenspiel mit den Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Frage nach der Kombination aus analog und digital.

Wir müssen die Anwendungsbereiche finden, wo digitale Angebote nachweislich zu gesteigertem Lernerfolg führen. Gerade in Bezug auf diese Frage fehlt leider in den meisten Fällen die nötige Empirie. Neue Methoden wie Learning Analytics und KI-gestützte Anwendungen können helfen, diese Empirie zu liefern – und gleichzeitig Lernen gezielter auf den oder die Lernende abzustimmen. Darauf sollten sich EdTechs konzentrieren, anstatt hunderte Millionen Euro in den nächsten großen Hype und die Spielerei mit VR oder dem Metaverse zu investieren.

Hannes Aichmayr ist Associate bei Brighteye Ventures, einem großen Risikokapitalfonds für EdTechs. Zuvor arbeitete er in einer Strategieberatung, leitete einen EdTech-Inkubator für die österreichische Regierung und war mit Teach for All zwei Jahre Mittelschullehrer in Wien. In Harvard erwarb er einen Master of Education und veröffentlicht wöchentlich einen Newsletter zur Edtech-Szene.

News

Bund will Kita-Förderung deckeln

Die Bundesregierung will das beliebte Sprach-KitaProgramm, das eigentlich zum Jahresende ausläuft, bis Sommer 2023 verlängern. Das bestätigte Bundesfamilienministerin Lisa Paus am Dienstag gegenüber Bildung.Table. Auf Druck des Finanzministers plant der Bund im Haushalt allerdings keine zusätzlichen Mittel ein, sondern kürzt stattdessen beim Topf für das Kita-Qualitätsgesetz – unterm Strich ein Nullsummenspiel.

Zur Finanzierung des Übergangs stellt der Bund Mittel in Höhe von 109 Millionen Euro zur Verfügung. Dafür schichten wir Bundesmittel aus dem Kita-Qualitätsgesetz um, sagt Paus. Die Länder haben nun weitere sechs Monate Zeit, die sprachliche Bildung nahtlos aus der befristeten Projektfinanzierung in die Dauerförderung zu überführen.”

De facto deckelt die Bundesregierung die Kita-Förderung für 2023 bei zwei Milliarden Euro und riskiert weitere Konflikte mit den Ländern. Diese wollten die Millionen für die Sprachförderung eigentlich obendrauf – obwohl die Kitas, zumindest auf dem Papier, nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen.

Dennoch garantiert die Bundesfamilienministerin nun mit der Übergangsfinanzierung, dass die Sprach-Kita-Strukturen, die über Jahre aufgebaut wurden, nicht zum 1. Januar zusammenbrechen. Sie schichtet das Geld in ihrem Etat um, damit sie die nötige Infrastruktur und die Gehälter der Fachkräfte für ein halbes Jahr weiter aus Bundesmitteln bezahlen kann. Das heißt aber auch: Ab Sommer müssten die Länder die Finanzierung übernehmen und könnten dafür auch das Geld aus dem Kita-Qualitätsgesetz verwenden.

Der Vorschlag von Paus ist laut einem Sprecher innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Das letzte Wort haben jedoch die Abgeordneten im Bundestag, die am Donnerstag zur Bereinigungssitzung zusammenkommen und den Haushalt zusammenschnüren. Moritz Baumann

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Sofatutor nimmt Daten von Nutzern auf 

Nun also auch Sofatutor. Die Video- und Lernplattform aus Berlin soll umfangreiche Trackings ihrer Nutzer vornehmen. Daten von Schülerinnen und Schülern flössen über Sofatutor unter anderem an Google, Facebook und Tiktok. Das hat der in Datenschützerkreisen renommierte Mike Kuketz auf seinem Blog ausgebreitet. Er hatte zuvor die App von Sofatutor in der Androidversion analysiert. Die neue Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp teilte auf Anfrage mit, dass sie die Kritik ernst nehme und ein Verfahren einleiten werde. Kuketz kommt zu dem Schluss, dass es die Verantwortlichen von Sofatutor mit dem Datenschutz offenbar nicht sonderlich genau nähmen. “Nach der Analyse bin ich nicht nur enttäuscht, sondern erschüttert. Von Verantwortlichkeit keine Spur – und das bei einer Zielgruppe (Kinder), die einen besonderen Schutz ihrer personenbezogenen Daten verdienen.” 

Sofatutor: Tracking nicht bei Nutzung in Schulen

Kuketz, der immer wieder auch für den Datenschutzbeauftragten Baden-Württembergs arbeitet, prüfte die App Schritt für Schritt. Seine Kritik besteht zuerst darin, dass Sofatutor seine Nutzer nicht über einen Consent-Banner auf die Erhebung von Daten hinweise beziehungsweise um Erlaubnis frage. Schüler könnten Sofatutor unter diesen Bedingungen eigentlich nur in Verbindung mit ihren Eltern nutzen. Besonders verwundert zeigte sich der Analyst, dass Sofatutor Daten an die Giganten der Branche Google, Facebook und sogar Tiktok weiter gebe. 

Der Gründer von Sofatutor, Stephan Bayer, gestand im Gespräch mit Bildung.Table Kuketz zu, “dass er einen Punkt hat.” Es sei richtig zu beanstanden, “dass werbe-relevante Trackings von Dritten hier implementiert sind.” Diese habe Sofatutor aber nicht bewusst platziert. Sie seien gewissermaßen Folge eines Bugs, die sich bei der per Wrapping hergestellten App eingeschlichen hätten. Die Sofatutor-Programmierer hätten die zum Tracken geeigneten Programmzeilen sofort beseitigt. Bayer legte Wert darauf, dass es sehr wohl ein Consent-Banner gebe, nämlich da, wo Eltern das Ticket für Sofatutor lösen. Dort habe Tracking eine gewisse Berechtigung – da ein Start-up nun mal beobachten müsse, welche Investitionen in Werbung auf Facebook oder TikTok sich wie auf die Akquise auswirken. Bayer entschuldigte sich bei der EdTech-Community für die entstandene Irritation.

Datenexperte: “Jedes Kind maximal schützenswert”

Bayer versicherte, dass Schüler bei der Nutzung von Sofatutor, die über so genannte Landeslizenzen laufe, keinem Tracking unterliegen. Auch das Tracking bei den Privatkunden haben zu keiner Zeit einem Erkenntnisinteresse gedient. Der Datenexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, René Scheppler kommentierte das mit den Worten: “Wer ein Geschäftsmodell mit den Daten von Kindern betreibt, sollte jedes Kind maximal schützenswert behandeln – ungeachtet, auf welchem Weg es zu einem gelangt ist.” Sollte diese Praxis stimmen, würde das skizzierte Problem noch gravierender. Könne man doch dem Anbieter unterstellen, “manche Kinder zu schützen, andere aber dem Tracking zuzuführen.”

Sofatutor ist nicht die erste pädagogische oder Schüler-Anwendung, die in die Aufmerksamkeit von Datenschützern gerät. Vergleichbare Fälle gab es bereits bei Scoolio, einer Jugend- und Schüler-App aus Sachsen. Gründer Danny Roller berief sich hinterher im Gespräch mit Bildung.Table darauf, dass man ohne die gängige Tools von Google ein solches Portal nicht vernünftig betreiben könne. Mike Kuketz kommt in Sachen Sofatutor zu dem Resümee, es gebe “aktuell keine gültige Rechtsgrundlage für die Erhebung bzw. Verarbeitung dieser Daten durch Sofatutor bzw. der eingebundenen Dienstleister.” Christian Füller

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Treffen der EdTechs mit KMK wird Bildungspalaver

Anfang Dezember ist es endlich soweit. Die Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), Karin Prien (CDU), trifft sich mit Vertretern der EdTechs, den Start-ups der Bildung. Das Treffen hatte Prien bei einem Video-Gespräch vor drei Monaten vereinbart. Allerdings scheint dieser Meinungsaustausch von Angesicht zu Angesicht anders zu verlaufen, als erwartet. Zu dem Treffen werden laut Priens Sprecher nicht nur Vertreter der “Initiative digitaler Bildungsanbieter” kommen, die dazu vor eineinhalb Jahren den Anstoß gaben. Ein bunter Strauß teilnehmender Organisationen ist zu dem Treffen in Berlin geladen. Darunter auch der Verband Bildungsmedien, der die Schulbuchverlage vertritt. Nach Informationen von Bildung.Table ist sogar eine externe Moderation und ein Impulsbeitrag geplant. 

Start-ups aus der Bildungsbranche und so genannte EdTechs bemühen sich seit rund zwei Jahren. Sie wollen zusammen mit den Kultusministerinnen und -ministern über die Potenziale bereits etablierter Unternehmen wie Bettermarks, Sofatutor, Simpleclub, Eduki, Tutory, brainyoo und relativ neuen Start-ups wie Deutschfuchs, Tweedback, TaskCards, Scobees oder Inklusion-Digital sprechen. Äußerungen aus internen Protokollen der Kultusminister-Konferenz deuten darauf hin, dass in den Reihen der politisch Verantwortlichen und der Beamten grundsätzliche Bedenken bestehen, EdTechs in die Schulen zu lassen. 

Kein vertrauliches Gespräch zwischen KMK und EdTechs

Die Einladungsliste für das Treffen in Berlin deutet darauf hin, dass man das vertrauliche Gespräch zwischen EdTechs und Kultusminister nicht wollte. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Schulbuchverlage dazugeladen sind. Zu dem Treffen erscheinen nun auch Mitglieder der AG Bildung in einer digitalen Welt der KMK und die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK. Auch die Arbeitsgemeinschaft freier Schulen, das BMBF, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und einige mehr sind dabei. Die Mehrheit der nun Eingeladenen vertritt kritische Haltungen gegenüber EdTechs. Man nennt sie gerne Geschäftsmodelle – also private Bildungsanbieter, die nur auf Profit aus seien. Staatliche Zuschüsse an Start-ups im Bildungsbereich oder vertragliche Beziehungen wie Landeslizenzen gibt es bisher kaum.

Olaf Köller, Leiter der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK, sagte Bildung.Table, das Treffen sei trotzdem wichtig. “Ich erhoffe mir von dem Gespräch einen Fahrplan, wie EdTechs, Schulbuchverlage, universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Praxis (Landesinstitute) gemeinsam die digitale Transformation in Schulen angehen können.” Im Schulterschluss zwischen den Akteuren liege die Chance, endlich zu einem System des evidenzbasierten Einsatzes digitaler Lehr-/Lernmedien in den Schulen zu kommen. Christian Füller 

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Berufswahl in der Pandemie: verzögert und weniger autonom

Mindestens jeder achte Schulabgänger ist in der Pandemie mit Verzögerung in die Berufsausbildung gestartet. Die Berufwahl waren außerdem weniger selbstbestimmt. Doppelt so häufig wie vor der Pandemie griffen Schulabgänger auf Notlösungen zurück. Wer sich etwa für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschied, tat dies deutlich seltener auf eigenen Wunsch. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Frank Tillmann am Dienstag bei der Jahrestagung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) vorgestellt hat. Die Forscher haben Abgänger von Haupt- und Realschulen vor der Pandemie (2017/18) und während der Pandemie (2019/20) befragt. Im Einzelfall achteten sie auf Vergleichbarkeit beim Geschlecht, sozioökonomischen Status, den Schulnoten und der Frage, ob jemand eine Migrationsgeschichte hat.

Die DJI-Studie unterstreicht, dass Jugendliche in der Pandemie Schwierigkeiten hatten, sich beruflich zu orientieren. “Praktika waren oft nicht möglich, zum Beispiel in der Gastronomie, in Gesundheits- oder Sozialberufen oder in der Lagerlogistik”, sagt Studienleiter Tillmann gegenüber Bildung.Table. Viele Schulabgänger seien noch auf der Suche nach dem richtigen Beruf gewesen, besonders jene, die maximal den Hauptschulabschluss erreicht hatten. “Mehr junge Menschen haben sich entschieden, länger zur Schule zu gehen und einen höheren Schulabschluss oder überhaupt einen Abschluss anzustreben”, sagte Tillmann. Die Jugendlichen hätten sich so einen Aufschub bei der Berufswahl verschafft oder hofften auf eine größere Zahl an späteren beruflichen Optionen.

Daneben haben die Forscher vom DJI festgestellt, dass die Zukunftssorgen von Schulabgängern in der Pandemie diffuser waren. Mehr als jeder dritte Haupt- oder Realschüler an der Schwelle ins Berufsleben machte sich Sorgen über seine Zukunft. Am meisten betroffen waren Frauen und Jugendliche mit Migrationsgeschichte. Und auch leistungsstärkere Jugendliche hatten mehr Zukunftsängste. Frank Tillmann plädiert dafür, die gestiegene Verunsicherung zum Anlass zu nehmen, ein Moratorium für Schulabsolventen einzuführen – eine Art Sabbatjahr, für das der Staat einen Teil der Kosten übernimmt. “Vorbild könnte Norwegen sein”, sagt er. “Dort gibt es bereits bildungsbezogene Auszeiten bis zu einem Jahr, die der Staat elternunabhängig fördert.” Anna Parrisius

  • Berufsorientierung
  • Coronavirus
  • Übergangssystem

Heads

Julia Hamburg: Schulministerin – und Vize-Ministerpräsidentin

Julia Hamburg, Niedersachsen, Kultusministerin
Vize-Regierungschefin und Kultusministerin: Julia Willie Hamburg, Bündnis 90/Die Grünen.

Schulpolitik wird wieder wichtig. In Niedersachsen greift die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Julia Willie Hamburg, nach dem Bildungsressort. Nun wird Schule künftig von der stellvertretenden Ministerpräsidentin des Landes repräsentiert – eine deutliche Aufwertung des Politikfeldes. Der bisherige Minister, Grant Hendrik Tonne (SPD), der während Corona WhatsApp für Schulen zugelassen und dafür Kritik unter anderem von der Landesdatenschutzbeauftragten kassiert hatte, wird neuer Fraktionschef der SPD. Unter Beobachtern gilt die 36-jährige Ministerin in spe als zupackende Bildungsexpertin, die viel vorhat. Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün stehen dazu eine ganze Reihe von anspruchsvollen Reformvorhaben – dazu zählt auch die Digitalisierung. 

Dass Kultusminister eine starke Stellung im Landeskabinett haben, gilt heute allenfalls noch für die Zahl der Beschäftigten und die Höhe des Budgets, das sie verwalten. Ihr politischer Einfluss ist meist gering. Die Zeiten des renommierten Hans Maier (CSU) in Bayern oder Annette Schavan (CDU) in Baden-Württemberg, die fast im Schloss Bellevue eingezogen wäre, sind vorbei. Das Ritual in den Bundesländern sieht eher so aus: Schule spielt vor Wahlen eine große Rolle – danach überraschen eher unbekannte Personen als Minister. 

Bei den Schulformen will Hamburg aufräumen

In Niedersachsen ist das anders. Und das, obwohl Julia Willie Hamburg im Wahlkampf damit auffiel, dass auf ihren Plakaten ein peinlicher Schreibfehler auftauchte: “Niedersachen”. Die bisherige Oppositionsführerin hat genaue Vorstellungen für die Schule: Den Lehrermangel will sie kreativ bekämpfen, die Landesmedienzentren grundsätzlich reformieren, bei den Schulformen aufräumen. Dabei kann sie sich darauf stützen, dass Niedersachsen die erfolgreichsten Gesamtschulen in der Republik hat. Von den bisher 13 Schulpreisträgern des Landes sind allein sieben Gesamtschulen. Zuletzt holte vor wenigen Wochen die Integrierte Gesamtschule Buchholz einen zweiten Preis.

Julia Hamburg wurde 1986 in Hannover geboren, wo sie 2004 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Politikwissenschaft, Deutsche Philologie und Philosophie in Göttingen. Ihre politische Karriere begann sie bereits in ihren frühen Zwanzigern – zunächst ganz klassisch als Mitglied der Grünen Jugend, ab 2008 als deren Sprecherin. Drei Jahre später folgte für sie der stellvertretende Landesvorsitz der Grünen in Niedersachsen. 2013 zog Hamburg mit 27 als damals jüngste Abgeordnete in den Landtag ein. Die heute zweifache Mutter war bislang nicht nur Fraktionsvorsitzende, sondern außerdem Sprecherin für Bildung, Queerpolitik, Antifaschismus und Gedenkstätten. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes musste Hamburg einige Zeit wegen einer geburtsbedingten Krankheit pausieren. Nach einigen Monaten stieg sie direkt als Fraktionsvorsitzende wieder ein. 

“Schulen sollen ihr eigenes Ding machen”

Auf Instagram kündigte Hamburg bereits an, einen Aufbruch gestalten zu wollen. Unter dem Motto “Bock auf besser!” setzt sie sich nicht nur für besseres Schulessen ein, sondern will zudem den Personalmangel in Bildungseinrichtungen beenden. Ziel soll etwa die Einführung einer dritten Erzieherin je Kita-Gruppe sein.

Daneben will Hamburg pädagogische Freiräume schaffen. Dass Schulen “ihr eigenes Ding im Sinne der Schülerinnen und Schüler machen”, solle die Regel werden, so Hamburg auf ihrer Website. Sie meint damit jahrgangsübergreifende, projektbezogene und inklusive Bildung – aber nicht nur. Als Oppositionsführerin forderte sie 2019 Schulminister Tonne auf, Schulen selbst entscheiden zu lassen, wie sie die Unterrichtsversorgung unter schlechten Bedingungen gewährleisten. “Entlasten Sie die Schulen an der Stelle, geben Sie ihnen Freiräume, um den Fachkräftemangel zu gestalten”, sagte sie im Landtag.

Digitalisierung: SPD scheint Hamburg zähmen zu wollen

Einer der Schwerpunkte von Julia Hamburg ist seit jeher die Digitalisierung. Dabei nahm sie bisher eine freundlich-kritische Haltung ein. “Digitalisierung ist wichtig, sehr wichtig”, sagte sie in einer Landtagsrede – und zählte zugleich besonders neuralgische Punkte auf. “Wie löst man die Gefahr der Monopolbildung einzelner Unternehmen an Schulen, wie stark werden Eltern hierbei finanziell in die Verantwortung genommen? Wie ist das mit der Verwendung von Open Source?” Noch bevor die Niedersächsische Bildungscloud (NBC) richtig aus der Taufe gehoben war, stellte Hamburg eine Kleine Anfrage – und tippte dabei gezielt auf die Musikantenknochen. Sie fragte nach der “interessegeleiteten Beeinflussung im Sinne der privaten Anbieter”. Und wollte wissen, “welche Daten über die Nutzerinnen und Nutzer” in der NBC erhoben und an Private weitergegeben werden. 

Allerdings scheint die SPD die neue Ministerin per Koalitionsvertrag an dieser Stelle zähmen zu wollen. Ohne den Konkurrenten IServ hätte die NBC niemals binnen kürzester Zeit über 2.000 Schulen anschließen können. IServ stellte die Schnittstellen zur Verfügung. Im Koalitionsvertrag ist nun verabredet, “an den erfolgreichen Start der Niedersächsischen Bildungscloud anzuknüpfen und die NBC weiter auszubauen.” Man darf gespannt sein, ob sich die neue starke Frau im Bildungsministerium Hannovers so an die Kette legen lässt. Christian Füller und Anouk Schlung

  • Schulcloud

Presseschau

Ukrainische Schüler: In Regelklassen lernen sie mehr SZ
Ausbildungsumlage in Bremen und Berlin geplant Handelsblatt
Deutscher Lehrerverband: Maskenpflicht als Option für Schulen BR
Konsequenz aus schwachen Leistungen: Reformvorhaben in Berlin TAGESSPIEGEL
Was drei ukrainische Geflüchtete an einer Kieler Schule erleben ZEIT
Kita-Verband Hessen: “Zahlen verhaltensauffälliger Kinder steigen signifikant” News4teachers
Gutachten aus NRW: Einsatz digitaler Medien garantiert keinen Lernerfolg FAZ
Kommentar: Wie die duale Ausbildung attraktiver werden kann FAZ
Vorurteile gegenüber Ausbildung nach Abitur ZEIT

Termine

11. November 2022, 10:00 bis 11:30 Uhr, Berlin
Impulsvortrag: Berufsbildung für die Grüne Transformation
Andreas Schleicher vom OECD Berlin spricht in seinem Impulsvortrag über Berufsbildung für die grüne Transformation. Im Anschluss findet eine Diskussion mit Kornelia Haugg, (Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung), Holger Schwannecke (Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks) und weiteren Speakern statt. INFOS & ANMELDUNG

18. bis 19. November 2022, Duisburg
Tagung: Ethik in der beruflichen Bildung
Die ethischen Fragen, die bei der Ausübung bestimmter Berufe eine Rolle spielen, werden auf dieser Tagung beleuchtet – so auch die, die für Berufe im Bildungssektor relevant sind. Ziel ist, das fachliche Profil der berufsbezogenen Ethikdidaktik zu untersuchen und zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG

23. November 2022, 18:00 bis 19:30 Uhr, Berlin
Diskussionsveranstaltung: MINT-Report 2022
Im Zuge der Aktionstage von MINTvernetzt wird der MINT-Report 2022 veröffentlicht. Die Studie wird durch Autor Axel Plünnecke (Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration) vorgestellt und in einer Diskussionsrunde mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages, unter anderem Nicole Bauer (FDP) und Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) diskutiert. INFOS & ANMELDUNG

23. bis 24. November 2022, online
Herbstkonferenz: BNE gemeinsam weiterdenken
Der Wandel, dem kommunale Bildungslandschaften unterliegen, wird auf dieser Konferenz thematisiert. Dabei werden Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Projekt “Bildung – Nachhaltigkeit – Kommune: BNE-Kompetenz­zentrum für Prozess­begleitung und Prozess­evaluation”  betrachtet. Hinweis: Eine Teilnahme ist nur noch online möglich. INFOS & ANMELDUNG

24. und 25. November 2022, online
Tagung: EMSE-Netzwerk – Empiriegestützte Schulentwicklung
Thema der 32. EMSE-Tagung ist “Lehrerbildung und Digitalität“. Ausgerichtet vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien geht es zum Beispiel um neue digitale Formate in der Lehreraus- und -fortbildung oder um Emergency Remote Teaching. INFOS & ANMELDUNG

24. bis 25. November 2022,
Seminar: Digitalisierung schulischer Bildung
Mehr als ein finanzieller Kraftakt?” lautet die Frage, die in diesem Seminar in Bezug auf die Digitalisierung schulischer Bildung gestellt wird. Über technische, organisatorische und finanzielle Aspekte hinaus soll betrachtet werden, wie die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen verbessert werden kann. INFOS & ANMELDUNG

BILDUNG.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Mit Lehramtsstudenten gegen Lehrermangel
    • Wikimedia fordert Neuanfang für Nationale Bildungsplattform
    • Bundesschülerkonferenz mit Budget – und Schulden
    • Bundesregierung verlängert Förderung der Sprach-Kitas
    • Sofatutor trackt Schüler
    • EdTechs treffen KMK-Präsidentin
    • Berufswahl durch Corona verzögert
    • Standpunkt: Hannes Aichmayr – Grenzen für EdTechs im Metaverse
    • Heads: Neue Kultusministerin Julia Hamburg – macht Schulpolitik wieder wichtig
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Sie erinnern sich: Sachsen-Anhalt ist das Land der Frühaufsteher. So warb das Bundesland für sich – und erwartet frühes Aufstehen auch von seinen Lehramtsstudenten. Dort haben die angehenden Lehrer parallel zum Masterstudium die Möglichkeit vor der Klasse zu stehen und befristet angestellt zu sein. Eine simple Lösung, um den Lehrermangel abzufedern. 20.000 Vollzeitstellen ließen sich aus Deutschlands Lehramtsseminaren besetzen, rechnet Bildungsökonom Klaus Klemm vor. Christian Füller stellt Ihnen das Modell vor und zeigt, warum andere Bundesländer nicht mitziehen wollen.

    Vergangene Woche haben wir Ihnen erste Ergebnisse der Konzeptstudie zur Nationalen Bildungsplattform vorgestellt. Gestern Abend wurde sie nun der Öffentlichkeit präsentiert. Wikimedia, bekannt für den Kampf für freies Wissen, erwartet viel von der Bildungsplattform – und hält wenig von den bisherigen Plänen. Daher schlagen die Autoren einen Neustart vor. Besonders die Kontrolle durch die Zivilgesellschaft sei nicht sichergestellt. Um dieses Problem zu lösen, erfinden die Autoren ein bestechend einfaches Instrument.

    Und wo wir bei der Zivilgesellschaft sind: Es ist ein historischer Schritt, dass die Bundesschülerkonferenz erstmals durch den Bund gefördert wird. Das Geld fließt seit Ende Oktober. Stutzig machte uns, dass es treuhänderisch verwaltet wird – daher haben wir für Sie hinter die Kulissen der Schülervertretung geschaut. Das sechsstellige Taschengeld kann sie nicht nur gebrauchen, um Strukturen aufzubauen, sondern auch, um alte Schulden zu begleichen.

    Eine erkenntnisreiche Lektüre dieses Briefings für Frühaufsteher wünscht Ihnen

    Ihr
    Niklas Prenzel
    Bild von Niklas  Prenzel

    Analyse

    Mit Werkstudenten den Lehrermangel bekämpfen

    Ministerpräsident Reiner Haseloff: Sein Land ermöglicht ein wegweisendes Modell gegen den Lehrermangel – Werkstudierende.

    Der Lehrermangel ist die moderne Geißel der Schule. Zehntausende Lehrer fehlen akut in den Klassenzimmern, Kenner sprechen von 158.000 fehlenden Lehrern bis zum Jahr 2035. Die Politik überbietet sich mit Vorschlägen. Sachsen-Anhalt testet die Vier-Tage-Woche an Schulen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder droht, den Lehrkräften die Teilzeit wegzunehmen. Manche Länder beschäftigen Headhunter, um Lehrer zu finden. In Sachsen-Anhalt gibt es nun eine neue Möglichkeit, die auf denkbar simple Art allen Beteiligten hilft: Werkstudenten

    In dem Bundesland können Studierende, die den Bachelor bereits in der Tasche haben, parallel zum Masterstudium als befristet angestellte Lehrkräfte arbeiten. Das Modell ähnelt einem dualen Studium – bei dem man 1.600 Euro verdienen kann.

    Mit dem Sachsen-Anhalter Ansatz ließe sich der Lehrermangel kurzfristig auf Null bringen. Deutschland zählt aktuell 263.000 Studierende auf Lehramt – davon dürften etwa 90.000 im Master sein. Da exakte Zahlen zu Master-Lehrämtlern nicht existieren, hat Bildung.Table die Werte mit dem führenden Experten dafür geschätzt, dem Bildungsökonomen Klaus Klemm. Das bedeutet, wenn alle Masterstudierenden acht oder zwölf Schulstunden erteilen, ließen sich rein rechnerisch 30.000 bis 40.000 Vollzeitäquivalente mobilisieren. Das sind ganze Lehrerstellen, und die würden viel helfen. Der Präsident des Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger etwa geht davon aus, dass aktuell rund 40.000 Lehrkräfte in den Klassenzimmern fehlen. 

    Kein Konflikt zwischen Klassenzimmer und Uni-Seminar

    Gegen den Aderlass an Schulen könnten Werkstudenten wie Johannes Frenkel helfen. Er studiert in Magdeburg auf Lehramt Gymnasium in den Fächern Wirtschaft und Sport. Der 24-Jährige gibt parallel als echter Lehrer an der Reformschule Salzwedel Wirtschaftsunterricht. Zwölf Stunden Deputat absolviert er und verdient dabei 1.600 Euro – neben dem Studium. Gibt es Konflikte zwischen dem Job an der Schule und dem Studium an der Uni? Nein, wehrt Frenkel ab. Im Gegenteil. In den Seminaren an der Uni glänzt Frenkel mit realen Beispielen aus der Praxis

    Ähnlich geht es Anna Brünner. Die Studentin unterrichtet seit Anfang dieses Schuljahres an der Integrierten Gesamtschule “Regine Hildebrandt” in Magdeburg sechs Stunden Mathematik. “Mein Studium und der Unterricht in der sechsten Klasse lassen sich zeitlich gut kombinieren”, sagt Brünner. Manche Vorlesung an der Uni, die den Schwerpunkt auf die fachliche Vermittlung legt, wird nun durch die Praxis relativiert. “Im richtigen Unterricht kommt es eben auch darauf an, auf alle Schüler in heterogenen Gruppen einzugehen und Störungen managen zu können”, berichtet Brünner von ihrem Aha-Erlebnis im Klassenzimmer. Die 22-Jährige studiert ebenfalls in Magdeburg. 

    Der Ministerpräsident kennt sein Reformmodell nicht

    So einfach der Masterplan klingt, viele kennen ihn noch gar nicht. Nicht einmal der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts weiß, dass sein Land die Lösung für eines der dringendsten Probleme der Republik gefunden hat. In Stendal weilt Reiner Haseloff gerade in der Comenius-Gemeinschaftsschule. Als der Landesfürst davon erfährt, dass Studierende in Sachsen-Anhalt parallel als gutbezahlte Teilzeitlehrer arbeiten können, schreckt er auf. “Ach so, da müssen wir doch gleich mal den Herrn vom Landesschulamt fragen, der hier anwesend ist”, sagt Haseloff. Der Referent bestätigt das Modell. Und die Schulleiterin der Salzwedeler Lessing-Schule, die inzwischen fünf Werkstudenten beschäftigt, sagte: “Ich würde alle Lehramtsstudierenden, die den Bachelor in der Tasche haben, zum Dienst in der Schule verpflichten.”

    Eine Umfrage von Bildung.Table in ausgewählten Ländern der Bundesrepublik bestätigt den Haseloff-Effekt: Spontan wissen die Kultusministerien nicht, ob es das Modell “Werkstudent im Klassenzimmer” auch bei ihnen gilt. Obwohl der Lehrermangel das Malheur in den Schulen ist. Das Ergebnis lautet, zusammengefasst: Studierende sollen irgendwie früh in die Praxis des Klassenzimmers – das gibt es inzwischen in allen angefragten Ländern. Aber offensiv beworbene tarifliche Bezahlung für teilzeitstudierende Lehrer kennt keines der Bundesländer.

    Berlin erfand den Werkstudenten für Schulen: als 500-Euro-Kraft

    Berlin hat dieses Modell 2018 erfunden – wenn auch auf reduzierter Basis. Die damalige Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) bot Master-Studierenden in MINT-Fächern ein Stipendium von 500 Euro pro Monat an. Bedingung: Sie sollten parallel zum Studium in Mathe, Informatik und Naturwissenschaften aushelfen. Das war der Einstieg in eine Art duales Studium – allerdings auf 100 Personen und zwei Jahre begrenzt. Merke: Die Bekämpfung des Lehrermangels soll möglichst billig sein. 

    Fragt man heute in der Bildungsverwaltung Berlins nach, wird ein kompliziertes Modell präsentiert, das vielerlei Bedingungen enthält: Wie ist die Mangelsituation an der jeweiligen Schule? Kann man die Lücke anders stopfen, etwa durch Quereinsteiger? Kurz: Regulär wie Lehrer bezahlte Werkstudenten kennt Berlin nicht. “Der Einsatz von Masterstudierenden, die auf Lehramt studieren, ist besonders sinnvoll, weil dies hervorragend auf den Beruf vorbereitet”, lobte Berlins heutige Senatorin und angehende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Astrid-Sabine Busse, gegenüber Bildung.Table.

    MV: keine Studierenden als Vertretungslehrkräfte

    Auch in Hessen ist die Antwort kompliziert. Das Ministerium lege Wert darauf, wie ein Sprecher sagt, “dass wir der Fachlichkeit der Lehrenden oberste Priorität einräumen”. Deswegen gehe Hessen lieber den Weg, die Zahl der Referendare permanent zu erhöhen, heißt es. Mit anderen Worten: Den Master-Studierenden selbst traut man nicht über den Weg. Freilich ist der Zuwachs an Referendarsstellen in Hessen dann gar nicht so beeindruckend. Im Jahr 2018 gab es 2.565 Stellen für Lehrer in der Ausbildung. Im Jahr 2022 sind es nun 60 mehr: 2617. Ob man damit den Lehrermangel in den Griff bekommt? Zum Vergleich: Hessen hat insgesamt 21.000 Studierende im Lehramt – das heißt mindestens 5.000 befinden sich im Hauptstudium. Alles potenzielle Teilzeitlehrkräfte. 

    Aus Mecklenburg-Vorpommern ruft Ministerin Simone Oldenburg (Linke) höchstpersönlich an, um deutlich zu machen: Auch im Norden werden Studierende auf Lehramt möglichst früh in die Schule beordert. Allerdings “sind grundsätzlich keine Studierenden als Vertretungslehrkräfte in Mecklenburg-Vorpommern eingestellt.” Will sagen: Praktikanten, Honorarkräfte – aber kein korrekt bezahlter Lehrerersatz.

    Kaum ein Land weiß, wie viele Studis parallel als Lehrer arbeiten 

    Auch die größten und leistungsstärksten Bundesländer haben keinen regulären und umfassenden Einsatz von Werkstudenten. Bayern teilt mit, “dass theoretisch ein befristeter Einsatz von Studierenden mit Bachelorabschluss möglich ist.” Der zweite Sieger beim vergangenen Bildungstrend, Sachsen, schreibt: “Lehramtsstudenten können bei uns im Rahmen der Unterrichtsversorgung befristet an Schulen eingestellt werden, wenn zum Beispiel Lehrkräfte krankheitsbedingt länger ausfallen oder Lehrkräfte fehlen.” Ähnlich sieht es in Nordrhein-Westfalen aus. In Schulen der Sekundarstufe I könnten Studierende “neben einem Masterstudium befristet als Vertretungslehrkraft an Schulen beschäftigt werden.” 

    Exakte Auskünfte über den Umfang dieses Programmes kommt aus keinem der Länder. Allein in Nordrhein-Westfalen gibt es 80.000 Studierende im Lehramt. Das heißt, es ließe sich rechnerisch ein Gegenwert von 10.000 Vollzeit-Lehrerinnen und Lehrern erzeugen, wenn man das Modell Werkstudent konsequent anwendete. 

    Klemm: Werkstudenten könnten helfen – wenn sie früh aufstehen

    Klaus Klemm ist der Doyen der Lehrerkapazitätsberechnungen. 1976 hat er sein erstes Buch dazu verfasst, Untertitel: “Die Probleme d. Lehrerbedarfs und die Folgen für die Bildungsreform”. Klemm war es auch, der den Kultusministern im Januar mit seinen Berechnungen sämtliche Prognosen zerschlug. Die Kultusminister behaupteten, 17.300 Lehrer fehlten – Klemm korrigierte sie und sagte, es werden 81.000 bis zum Jahr 2030 sein. 

    Er findet die Methode Werkstudent im Prinzip gut. “Das ist einer der Wege, mit der man die Lehrerkrise beherrschbar machen könnte – jedenfalls kurzfristig”, sagte Klemm Bildung.Table. Wenn man Lehramtsstudenten in der Masterphase konsequent zu Lehrern machen würde, “dann kommt man auf Größenordnungen von 20.000 Vollzeitäquivalenten – das ist natürlich eine Hausnummer.” 

    Allerdings warnt der emeritierte Bildungsökonom zugleich. Da, wo es konkurrierende Arbeitsmärkte gibt – etwa bei Informatikern -, könne man damit kaum Löcher auf der Stundentafel stopfen. Und er hat noch ein zweites Argument: “Das werden sicherlich nicht alle Masterstudierenden im Lehramt machen, denn dann müssen sie ja um 8:00 Uhr in der Klasse stehen.” 

    • Duales Studium
    • Lehrermangel
    • Simone Oldenburg

    Neustart für die Bildungsplattform

    Wikipedia ist eine große Bildungsplattform, hat revolutioniert, wie und was wir wissen. Da wundert es nicht, dass der Verein Wikimedia, als Eigentümerin der Weltwissensplattform, sich nun die Pläne des Bundes vorgenommen hat. Denn der tüftelt, weitestgehend von der Öffentlichkeit ignoriert, an einer nationalen Bildungsplattform (NBP). Wikimedia kämpft bekanntlich für freies Wissen und kollaboratives Lernen – und mit dieser Prämisse schauen sich auch die Autoren der Konzeptstudie das “Megavorhaben” (Saskia Esken) an.

    So hochkarätig wird über die Plattformpläne selten öffentlich diskutiert. Neben der SPD-Vorsitzenden Esken nehmen unter anderem Bildungsaktivistin Marina Weisband und Johanna Börsch-Supan, Abteilungsleiterin im BMBF, auf dem Podium Platz. Es ist die 20. Minute, als das N-Wort zum ersten Mal fällt: Für einen Neustart plädieren die Verfasserinnen und Verfasser der Studie. Bis dahin haben die Zuschauer im Berliner Einstein-Zentrum erfahren, was schiefläuft im Planungsprozess. Drei Schwachstellen betonen die Autoren:

    1) Es fehlt an Theorie

    Das Forscherteam fliegt teils in hohen akademischen Höhen, grundiert seine Argumente mal bildungs-, mal plattformtheoretisch. Klares Verdienst der Studie ist, den Theoriemangel der Projektverantwortlichen nachzuweisen. Sie bemängeln ein instrumentelles Verständnis von Bildung, in dem es um den Erwerb von Zertifikaten geht, Bildung werde zur Ware. Lernen ist dabei ein Aneinanderreihen von abgrenzbaren Lernprozessen. Die Autoren kritisieren dieses “eher konservative” Bildungsverständnis und befürworten ein stärker informelles. Ihre Hauptkritik bezieht sich jedoch auf das “Wie” der Diskussion. Problematisch sei, dass das Bildungsverständnis der NBP nicht auf bewussten Entscheidungen der Projektbeteiligten beruhe. Geschweige denn, dass es darüber eine öffentliche Debatte gäbe.

    2) Unerschütterlicher Glaube an die Technik

    Bei der Entwicklung der Plattform dominiere ein technischer Pragmatismus. Viele Pfadentscheidungen, die die NBP grundlegend strukturieren, wurden früh im Verlauf getroffen. Der Prototyp BIRD der Universität Potsdam sei zentral. Er bildet das technische Rückgrat (BIRD-Projektleiterin im Interview mit Bildung.Table). Der Code war schnell programmiert, weil einige Einzelanwendungen in Potsdam bereits existierten. Doch waren das Lösungen, die auf unzureichend definierte Probleme eine Antwort gaben, so die Autoren. Wenig abgewinnen können sie etwa der geplanten Wallet, in der die Nutzer ihre Lernzertifikate lagern können. Diese kritisieren sie zum einen, weil die User für die Datensicherheit verantwortlich sind, zum anderen wegen der in Code gegossenen Output-Orientierung.

    2) Wer regiert die Plattform?

    Vor zwei Jahren wurde die staatliche Infrastruktur, die Bildungsanbieter und -inhalte verknüpfen soll, auf den Weg gebracht. Viel wurde programmiert und ausgeschrieben – einen Plan für die Zukunft vermissen die Studienautoren jedoch. “Wer definiert über die Metadaten, was Wissen, Kompetenzen und Skills sind?,” fragen sie etwa. Was passiert, wenn Rechtsextreme dort Lernangebote platzieren; wer entscheidet, was (noch) geht? Die Plattform benötige eine Governance. Wie diese gestaltet werden soll, diese Frage vernachlässige das BMBF sträflich. Jedenfalls hätten sie dazu keine Informationen gefunden, die sie teils erst mittels Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz erhalten konnten. Börsch-Supan verweist auf die Anbieter, die, bevor sie Zugang zur Plattform bekommen, geprüft würden. Sie seien es, die für die Inhalte verantwortlich sind. Die Steuerung sollte nicht “Verwaltungssachverständigen” überlassen werden, fordern die Autoren.

    So unausgegoren die Prüfung der Inhalte klingt, so unklar ist die Betreiberstruktur. Gefragt nach den jährlichen Kosten der Plattform, antwortete Jens Brandenburg kürzlich auf eine Anfrage der Linken, dass das Betreibermodell noch zu definieren sei. Börsch-Supan lässt sich nicht weiter in die Karten schauen. Nur so viel sei klar. Eine von Wikimedia gefürchtete Public-Private-Partnership werde es nicht. “Der Betrieb ist eine hoheitliche, staatliche Aufgabe”, sagt sie.

    Auswege aus der Planungs-Sackgasse

    Das Forscherteam um die Medienwissenschaftler Felicitas Macgilchrist und Michael Seemann sowie die Pädagogin Heidrun Allert wirft der NBP vor, nicht systematisch ein “zukunftsfähiges, gemeinwohlorientiertes und digital gestütztes Bildungssystem” zu entwickeln. Das ist ein großer Anspruch, ein Weckruf nach bald drei Jahren Schul- und Bildungsdigitalisierung im Schleudergang.

    Um sich größtmöglich Gehör zu verschaffen, fordern sie einen Neustart der NBP. Die bisherigen Ergebnisse könnten als “Steinbruch” dienen, für einen Prozess, in dem eine “gemeinwohlorientierte Vision” zusammen mit Schüler- oder Studierendenvertretungen entsteht. Dort würden Use Cases diskutiert, technische Ziele formuliert und zivilgesellschaftliche Governancestrukturen erdacht. Weil den Autoren die Radikalität dieses Ansatzes bewusst ist, schließen sie ebenso einen Reformkurs vor.

    Er baut auf der bisherigen Infrastruktur auf und ergänzt sie. Auch informelle, politische und kulturelle Bildung sollte einen Platz auf der NBP erhalten – und Social Scoring ausgeschlossen werden. Die Autoren befürchten nämlich, dass es zu Letzterem kommen könne, wenn der Algorithmus Nutzenden nur dann spezielle Weiterbildungsangebote vorschlägt, sofern sie entsprechende Zertifikate gesammelt haben.

    Ein User-Rat für maximale Partizipation

    Kern der Reform besteht in der Gründung eines User-Rats. Es ist eine alte Forderung der Plattform-Theorie. Facebook hat einen solchen eingeführt, Elon Musk plant Ähnliches für Twitter und die deutschen Rundfunkräte kontrollieren seit eh und je die Öffentlich-Rechtlichen. Der nun in die Debatte eingeführte User-Rat soll per Los zusammengesetzt werden und aus Lehrenden und Lernenden aller Bildungsinstitutionen bestehen. Saskia Esken findet das eine “sehr interessante Idee”.

    Der Abend in Berlin zeigt, dass die 630 Millionen Euro schwere Plattform noch viele Fragen aufwirft. Börsch-Supan hatte zu Beginn die abendbegleitende Metapher platziert: Die Bildungsplattform sei eine weitestgehend neutrale “Vernetzungsinfrastruktur”, ähnlich einem Straßennetz, das das BMBF für die digitale Bildung baut. Darauf müssten alle Angebote, vom Fußgänger bis zum LKW, sicher fahren können. Marina Weisband, großer Fan einer gemeinnützigen Bildungsplattform, kontert, dass auch der Straßenbau nicht neutral ist. Städte würden Fußgänger oftmals systematisch vernachlässigen.

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    Schülerkonferenz hatte Geld vom Bund dringend nötig

    Im Juni dieses Jahres wurde die Förderung der Bundesschülerkonferenz (BSK) aus Bundesmitteln beschlossen (Bildung.Table berichtete). Nun ist das Geld da. Exakt 239.733,14 Euro beträgt der Zuwendungsbescheid des BMBF. Die Förderung der BSK aus Bundesmitteln ist nicht nur ein Schritt zur Emanzipation der Schüler, er war dringend nötig für die finanzielle Basis der Konferenz. Oliver Sachsze, Generalsekretär der BSK, betonte im Gespräch, welche neuen Möglichkeiten sich daraus ergäben – zum Beispiel die Organisation von Tagungen.

    Stiftung Bildung als Hüterin des Geldes

    Seit dem 21. Oktober kann die BSK mit den knapp 240.000 Euro arbeiten. Allerdings ist nicht die Schülerkonferenz um Sachsze selbst die Hüterin des Geldes, sondern die Stiftung Bildung übernimmt als Trägerin der Förderung die formale Verwaltung. In ihrem Büro im Zentrum Berlins ist seit Ende Oktober auch das neue BSK-Organisationsbüro angesiedelt. Dessen Einrichtung war eines der Hauptziele des Bundessekretariats.

    Die Stiftung unter der Vorsitzenden Katja Hintze war für die BSK Retterin in Not. Denn den Schülerinnen und Schülern aus dem Sekretariat der Konferenz fehlt es an den benötigten juristischen Strukturen – und einer gesetzlichen Legitimierung. Laut Sachsze liege die fehlende Unabhängigkeit daran, dass dem Bundessekretariat der nötige Vorlauf gefehlt hat, diese einzurichten. Und er betont, dass eine Vereinsgründung nichts sei, was Schülerinnen und Schüler so einfach übernehmen können.

    Personelle Neuaufstellung dringend nötig

    Gleichzeitig hatte die BSK intern eine Personal-Krise zu lösen: Sachsze selbst ist nur noch wenige Tage im Amt. Er hatte es im Sommer überraschend übernommen. Für die kurze Amtszeit gibt es Gründe – denn eigentlich war Sachsze zunächst Finanzkoordinator der BSK. Es habe “interne Differenzen und einseitige Kommunikation” gegeben. “Man könnte Listen damit füllen, was problematisch lief”, so Sachsze. Besonders im Bereich der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit habe die Arbeitsqualität der BSK gelitten und interne Streitigkeiten sollen “nicht nur demotivierend, sondern auch Teamgeist-gefährdend” gewesen sein. Erst personelle Umstrukturierungen hätten dafür gesorgt, dass die BSK wieder handlungsfähig geworden sei.

    Förderverein der BSK vor finanziellen Problemen

    In diesem Moment kommt nun die Förderung aus Bundesmitteln – und die wird dringend benötigt. Denn auch der Förderverein der BSK hat Probleme – und ist deswegen in Auflösung begriffen. Mehrere stellvertretende Vorsitzende haben ihren Rücktritt erklärt oder stillschweigend die Arbeit niedergelegt. Das führte dazu, dass Rechnungen nicht mehr beglichen und sogar Mahnverfahren eingeleitet wurden. Nach Informationen von Bildung.Table hatte der Förderverein der Schülerkonferenz eine Liste offener Rechnungen, die unter anderem von der Deutschen Bahn und einem Flyerhersteller stammen. Das BMBF hatte offenbar sogar erwogen, bestimmte Zahlungen zurückzuverlangen. Problematisch ist weiterhin, dass der Förderverein der BSK und die BSK selbst zwei unterschiedliche Strukturen sind – und die Schulden des Fördervereins somit nicht mit der Bundesförderung beglichen werden können. Diese lässt sich außerdem nur auf Rechnungen ab dem 21. Oktober anwenden. Aber: Sachsze betont, dass die BSK und ihr Förderverein im Gespräch seien, um diese Problematik anzugehen.

    In einem früheren Gespräch mit Bildung.Table betonte Sachsze, dass sein Traum für die BSK eine gesetzliche Legitimierung sei, um endlich volle Handlungsfähigkeit zu haben. Die Hoffnung hat er weiterhin. Doch in Anbetracht der zuletzt chaotischen und konfliktbelasteten inneren Strukturen der BSK bleibt fraglich, wie realistisch eine baldige gesetzliche Legitimierung sein wird. Immerhin ist Sachsze der Überzeugung, dass er die Bundesschüler-Konferenz mit seinem Sekretariat in ruhige Fahrwasser gebracht hat.

    • BMBF
    • Katja Hintze

    Standpunkt

    “EdTechs, drängt nicht ins Metaverse!”

    Lehrer, Unternehmensberater, Risikokapitalgeber: Hannes Aichmayr.

    Spätestens seit sich Facebook zu Meta umbenannt hat, ist das Metaverse in aller Munde. Sein Education Virtual Reality Lab lässt sich der Konzern 150 Millionen Euro kosten. Aber auch andere Player versprechen sich Großes vom vollkommenen Eintauchen in Lernwelten. Mit 147 Millionen Euro ist Labster, das auf virtuelle Laborsimulationen setzt, eines der bestfinanzierten EdTechs in Europa. Und HolonIQ schätzt, dass 2025 etwa 12,6 Milliarden Euro in Virtual-Reality-Anwendungen für den Bildungsbereich fließen werden. Mehr als doppelt so viel wie in andere Technologien. Kaum eine Bildungsmesse vergeht in diesem Jahr, ohne dass Augmented Reality (AR), Virtual Reality (VR) und Metaverse zu den Rettern der Bildung hochstilisiert werden. Dabei ist Vorsicht geboten.

    Das Metaverse soll, einfach gesagt, die nächste Generation des Internets sein. Nutzer können Kontakte knüpfen, sich austauschen, spielen und lernen. Augmented und Virtual Reality schaffen ein interaktives und virtuelles Äquivalent unserer physischen Welt – und somit auch der Lernangebote. So rufen einige bereits die nächste Revolution des Lernens aus. Damit geraten wir aber in eine Zeitschleife, in der die Bildungsdiskussion sich verfängt.

    Zuckerberg: “Awesome Education”

    Vor genau einhundert Jahren sprach Thomas Edison davon, dass das Medium Film das Bildungssystem revolutionieren und innerhalb weniger Jahre Schulbücher zu einem Großteil, wenn nicht gar komplett, verdrängen werde. Bewegtbild würde, so die Hoffnung, beim Lernen eine hundertprozentige Lerneffizienz erreichen. Ähnliche Versprechungen gab es beim Aufkommen der ersten computergestützten Unterrichtsprogramme in den sechziger Jahren.

    Spulen wir nun in das Jahr 2022 vor, erleben wir ähnlich optimistische Behauptungen in Bezug auf die Potenziale des Metaverse für die Bildung. Lernen soll spannender, individueller, angewandter und dadurch letztendlich besser werden. Oder wie es Mark Zuckerberg in einfachen Worten beschreibt: “Education in the Metaverse is going to be awesome”. Wenn wir jedoch einen Blick auf die digitale Bildungslandschaft werfen, zeigt sich ein anderes Bild. Eine pädagogische Revolution ist im Digitalisierungsschub der vergangenen Jahre nach wie vor ausgeblieben. Viele EdTech-Anwendungen beschränken sich auf die Vermittlung mathematischer Kompetenzen oder das Erlernen neuer Vokabeln (worin sie nachweislich eine erhöhte Wirksamkeit haben). Es ist zu befürchten, dass Bildung im Metaverse lediglich auf Gaming, wie es aktuell der Fall ist, und sehr spezifische Lernanwendungen beschränkt bleibt.

    Nutzen in Chirurgie oder chemischer Industrie

    Technologie ist nie ein Selbstzweck, sondern soll dort zur Anwendung kommen, wo Nutzen gestiftet wird. Erst muss das Lernziel stehen, dann die Frage nach der Technologie gestellt werden. Einen Nutzen haben auch immersive Technologien beim Lernen. Sie eignen sich, wenn die reale Auseinandersetzung mit einem neuen Konzept (1) gefährlich, (2) unmöglich, (3) kontraproduktiv oder (4) zu teuer ist. Eine sinnvolle Anwendung ergibt sich daher in sehr spezialisierten Bereichen. Das kann die Aus- und Weiterbildung in der Chirurgie sein, weil sie ansonsten aufwendig und teuer ist. Oder die Schulung von Laborpersonal in der chemischen Industrie, weil die Praxis mit Gefahren einhergehen kann. Das Metaverse hingegen als Allheilmittel zu präsentieren, ist eine falsche Versprechung und lenkt von drängenderen Problemen ab.

    Es besteht kein Zweifel daran, dass EdTechs dabei helfen können und müssen, Lernen spannender, nachhaltiger und relevanter zu gestalten. Wenn wir gerade auch in den letzten zwei Jahren entstandene Bildungslücken schneller schließen wollen, führt kein Weg an digitalen Bildungsangeboten vorbei. Zentral bleibt jedoch das Zusammenspiel mit den Pädagoginnen und Pädagogen sowie die Frage nach der Kombination aus analog und digital.

    Wir müssen die Anwendungsbereiche finden, wo digitale Angebote nachweislich zu gesteigertem Lernerfolg führen. Gerade in Bezug auf diese Frage fehlt leider in den meisten Fällen die nötige Empirie. Neue Methoden wie Learning Analytics und KI-gestützte Anwendungen können helfen, diese Empirie zu liefern – und gleichzeitig Lernen gezielter auf den oder die Lernende abzustimmen. Darauf sollten sich EdTechs konzentrieren, anstatt hunderte Millionen Euro in den nächsten großen Hype und die Spielerei mit VR oder dem Metaverse zu investieren.

    Hannes Aichmayr ist Associate bei Brighteye Ventures, einem großen Risikokapitalfonds für EdTechs. Zuvor arbeitete er in einer Strategieberatung, leitete einen EdTech-Inkubator für die österreichische Regierung und war mit Teach for All zwei Jahre Mittelschullehrer in Wien. In Harvard erwarb er einen Master of Education und veröffentlicht wöchentlich einen Newsletter zur Edtech-Szene.

    News

    Bund will Kita-Förderung deckeln

    Die Bundesregierung will das beliebte Sprach-KitaProgramm, das eigentlich zum Jahresende ausläuft, bis Sommer 2023 verlängern. Das bestätigte Bundesfamilienministerin Lisa Paus am Dienstag gegenüber Bildung.Table. Auf Druck des Finanzministers plant der Bund im Haushalt allerdings keine zusätzlichen Mittel ein, sondern kürzt stattdessen beim Topf für das Kita-Qualitätsgesetz – unterm Strich ein Nullsummenspiel.

    Zur Finanzierung des Übergangs stellt der Bund Mittel in Höhe von 109 Millionen Euro zur Verfügung. Dafür schichten wir Bundesmittel aus dem Kita-Qualitätsgesetz um, sagt Paus. Die Länder haben nun weitere sechs Monate Zeit, die sprachliche Bildung nahtlos aus der befristeten Projektfinanzierung in die Dauerförderung zu überführen.”

    De facto deckelt die Bundesregierung die Kita-Förderung für 2023 bei zwei Milliarden Euro und riskiert weitere Konflikte mit den Ländern. Diese wollten die Millionen für die Sprachförderung eigentlich obendrauf – obwohl die Kitas, zumindest auf dem Papier, nicht in die Zuständigkeit des Bundes fallen.

    Dennoch garantiert die Bundesfamilienministerin nun mit der Übergangsfinanzierung, dass die Sprach-Kita-Strukturen, die über Jahre aufgebaut wurden, nicht zum 1. Januar zusammenbrechen. Sie schichtet das Geld in ihrem Etat um, damit sie die nötige Infrastruktur und die Gehälter der Fachkräfte für ein halbes Jahr weiter aus Bundesmitteln bezahlen kann. Das heißt aber auch: Ab Sommer müssten die Länder die Finanzierung übernehmen und könnten dafür auch das Geld aus dem Kita-Qualitätsgesetz verwenden.

    Der Vorschlag von Paus ist laut einem Sprecher innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Das letzte Wort haben jedoch die Abgeordneten im Bundestag, die am Donnerstag zur Bereinigungssitzung zusammenkommen und den Haushalt zusammenschnüren. Moritz Baumann

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    • Kita-Qualitätsgesetz
    • Kitas

    Sofatutor nimmt Daten von Nutzern auf 

    Nun also auch Sofatutor. Die Video- und Lernplattform aus Berlin soll umfangreiche Trackings ihrer Nutzer vornehmen. Daten von Schülerinnen und Schülern flössen über Sofatutor unter anderem an Google, Facebook und Tiktok. Das hat der in Datenschützerkreisen renommierte Mike Kuketz auf seinem Blog ausgebreitet. Er hatte zuvor die App von Sofatutor in der Androidversion analysiert. Die neue Berliner Datenschutzbeauftragte Meike Kamp teilte auf Anfrage mit, dass sie die Kritik ernst nehme und ein Verfahren einleiten werde. Kuketz kommt zu dem Schluss, dass es die Verantwortlichen von Sofatutor mit dem Datenschutz offenbar nicht sonderlich genau nähmen. “Nach der Analyse bin ich nicht nur enttäuscht, sondern erschüttert. Von Verantwortlichkeit keine Spur – und das bei einer Zielgruppe (Kinder), die einen besonderen Schutz ihrer personenbezogenen Daten verdienen.” 

    Sofatutor: Tracking nicht bei Nutzung in Schulen

    Kuketz, der immer wieder auch für den Datenschutzbeauftragten Baden-Württembergs arbeitet, prüfte die App Schritt für Schritt. Seine Kritik besteht zuerst darin, dass Sofatutor seine Nutzer nicht über einen Consent-Banner auf die Erhebung von Daten hinweise beziehungsweise um Erlaubnis frage. Schüler könnten Sofatutor unter diesen Bedingungen eigentlich nur in Verbindung mit ihren Eltern nutzen. Besonders verwundert zeigte sich der Analyst, dass Sofatutor Daten an die Giganten der Branche Google, Facebook und sogar Tiktok weiter gebe. 

    Der Gründer von Sofatutor, Stephan Bayer, gestand im Gespräch mit Bildung.Table Kuketz zu, “dass er einen Punkt hat.” Es sei richtig zu beanstanden, “dass werbe-relevante Trackings von Dritten hier implementiert sind.” Diese habe Sofatutor aber nicht bewusst platziert. Sie seien gewissermaßen Folge eines Bugs, die sich bei der per Wrapping hergestellten App eingeschlichen hätten. Die Sofatutor-Programmierer hätten die zum Tracken geeigneten Programmzeilen sofort beseitigt. Bayer legte Wert darauf, dass es sehr wohl ein Consent-Banner gebe, nämlich da, wo Eltern das Ticket für Sofatutor lösen. Dort habe Tracking eine gewisse Berechtigung – da ein Start-up nun mal beobachten müsse, welche Investitionen in Werbung auf Facebook oder TikTok sich wie auf die Akquise auswirken. Bayer entschuldigte sich bei der EdTech-Community für die entstandene Irritation.

    Datenexperte: “Jedes Kind maximal schützenswert”

    Bayer versicherte, dass Schüler bei der Nutzung von Sofatutor, die über so genannte Landeslizenzen laufe, keinem Tracking unterliegen. Auch das Tracking bei den Privatkunden haben zu keiner Zeit einem Erkenntnisinteresse gedient. Der Datenexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, René Scheppler kommentierte das mit den Worten: “Wer ein Geschäftsmodell mit den Daten von Kindern betreibt, sollte jedes Kind maximal schützenswert behandeln – ungeachtet, auf welchem Weg es zu einem gelangt ist.” Sollte diese Praxis stimmen, würde das skizzierte Problem noch gravierender. Könne man doch dem Anbieter unterstellen, “manche Kinder zu schützen, andere aber dem Tracking zuzuführen.”

    Sofatutor ist nicht die erste pädagogische oder Schüler-Anwendung, die in die Aufmerksamkeit von Datenschützern gerät. Vergleichbare Fälle gab es bereits bei Scoolio, einer Jugend- und Schüler-App aus Sachsen. Gründer Danny Roller berief sich hinterher im Gespräch mit Bildung.Table darauf, dass man ohne die gängige Tools von Google ein solches Portal nicht vernünftig betreiben könne. Mike Kuketz kommt in Sachen Sofatutor zu dem Resümee, es gebe “aktuell keine gültige Rechtsgrundlage für die Erhebung bzw. Verarbeitung dieser Daten durch Sofatutor bzw. der eingebundenen Dienstleister.” Christian Füller

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    • Stephan Bayer

    Treffen der EdTechs mit KMK wird Bildungspalaver

    Anfang Dezember ist es endlich soweit. Die Präsidentin der Konferenz der Kultusminister (KMK), Karin Prien (CDU), trifft sich mit Vertretern der EdTechs, den Start-ups der Bildung. Das Treffen hatte Prien bei einem Video-Gespräch vor drei Monaten vereinbart. Allerdings scheint dieser Meinungsaustausch von Angesicht zu Angesicht anders zu verlaufen, als erwartet. Zu dem Treffen werden laut Priens Sprecher nicht nur Vertreter der “Initiative digitaler Bildungsanbieter” kommen, die dazu vor eineinhalb Jahren den Anstoß gaben. Ein bunter Strauß teilnehmender Organisationen ist zu dem Treffen in Berlin geladen. Darunter auch der Verband Bildungsmedien, der die Schulbuchverlage vertritt. Nach Informationen von Bildung.Table ist sogar eine externe Moderation und ein Impulsbeitrag geplant. 

    Start-ups aus der Bildungsbranche und so genannte EdTechs bemühen sich seit rund zwei Jahren. Sie wollen zusammen mit den Kultusministerinnen und -ministern über die Potenziale bereits etablierter Unternehmen wie Bettermarks, Sofatutor, Simpleclub, Eduki, Tutory, brainyoo und relativ neuen Start-ups wie Deutschfuchs, Tweedback, TaskCards, Scobees oder Inklusion-Digital sprechen. Äußerungen aus internen Protokollen der Kultusminister-Konferenz deuten darauf hin, dass in den Reihen der politisch Verantwortlichen und der Beamten grundsätzliche Bedenken bestehen, EdTechs in die Schulen zu lassen. 

    Kein vertrauliches Gespräch zwischen KMK und EdTechs

    Die Einladungsliste für das Treffen in Berlin deutet darauf hin, dass man das vertrauliche Gespräch zwischen EdTechs und Kultusminister nicht wollte. Dabei geht es nicht nur darum, dass die Schulbuchverlage dazugeladen sind. Zu dem Treffen erscheinen nun auch Mitglieder der AG Bildung in einer digitalen Welt der KMK und die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK. Auch die Arbeitsgemeinschaft freier Schulen, das BMBF, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und einige mehr sind dabei. Die Mehrheit der nun Eingeladenen vertritt kritische Haltungen gegenüber EdTechs. Man nennt sie gerne Geschäftsmodelle – also private Bildungsanbieter, die nur auf Profit aus seien. Staatliche Zuschüsse an Start-ups im Bildungsbereich oder vertragliche Beziehungen wie Landeslizenzen gibt es bisher kaum.

    Olaf Köller, Leiter der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK, sagte Bildung.Table, das Treffen sei trotzdem wichtig. “Ich erhoffe mir von dem Gespräch einen Fahrplan, wie EdTechs, Schulbuchverlage, universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Praxis (Landesinstitute) gemeinsam die digitale Transformation in Schulen angehen können.” Im Schulterschluss zwischen den Akteuren liege die Chance, endlich zu einem System des evidenzbasierten Einsatzes digitaler Lehr-/Lernmedien in den Schulen zu kommen. Christian Füller 

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    Berufswahl in der Pandemie: verzögert und weniger autonom

    Mindestens jeder achte Schulabgänger ist in der Pandemie mit Verzögerung in die Berufsausbildung gestartet. Die Berufwahl waren außerdem weniger selbstbestimmt. Doppelt so häufig wie vor der Pandemie griffen Schulabgänger auf Notlösungen zurück. Wer sich etwa für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschied, tat dies deutlich seltener auf eigenen Wunsch. Das ist das Ergebnis einer Studie, die Frank Tillmann am Dienstag bei der Jahrestagung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) vorgestellt hat. Die Forscher haben Abgänger von Haupt- und Realschulen vor der Pandemie (2017/18) und während der Pandemie (2019/20) befragt. Im Einzelfall achteten sie auf Vergleichbarkeit beim Geschlecht, sozioökonomischen Status, den Schulnoten und der Frage, ob jemand eine Migrationsgeschichte hat.

    Die DJI-Studie unterstreicht, dass Jugendliche in der Pandemie Schwierigkeiten hatten, sich beruflich zu orientieren. “Praktika waren oft nicht möglich, zum Beispiel in der Gastronomie, in Gesundheits- oder Sozialberufen oder in der Lagerlogistik”, sagt Studienleiter Tillmann gegenüber Bildung.Table. Viele Schulabgänger seien noch auf der Suche nach dem richtigen Beruf gewesen, besonders jene, die maximal den Hauptschulabschluss erreicht hatten. “Mehr junge Menschen haben sich entschieden, länger zur Schule zu gehen und einen höheren Schulabschluss oder überhaupt einen Abschluss anzustreben”, sagte Tillmann. Die Jugendlichen hätten sich so einen Aufschub bei der Berufswahl verschafft oder hofften auf eine größere Zahl an späteren beruflichen Optionen.

    Daneben haben die Forscher vom DJI festgestellt, dass die Zukunftssorgen von Schulabgängern in der Pandemie diffuser waren. Mehr als jeder dritte Haupt- oder Realschüler an der Schwelle ins Berufsleben machte sich Sorgen über seine Zukunft. Am meisten betroffen waren Frauen und Jugendliche mit Migrationsgeschichte. Und auch leistungsstärkere Jugendliche hatten mehr Zukunftsängste. Frank Tillmann plädiert dafür, die gestiegene Verunsicherung zum Anlass zu nehmen, ein Moratorium für Schulabsolventen einzuführen – eine Art Sabbatjahr, für das der Staat einen Teil der Kosten übernimmt. “Vorbild könnte Norwegen sein”, sagt er. “Dort gibt es bereits bildungsbezogene Auszeiten bis zu einem Jahr, die der Staat elternunabhängig fördert.” Anna Parrisius

    • Berufsorientierung
    • Coronavirus
    • Übergangssystem

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    Julia Hamburg: Schulministerin – und Vize-Ministerpräsidentin

    Julia Hamburg, Niedersachsen, Kultusministerin
    Vize-Regierungschefin und Kultusministerin: Julia Willie Hamburg, Bündnis 90/Die Grünen.

    Schulpolitik wird wieder wichtig. In Niedersachsen greift die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, Julia Willie Hamburg, nach dem Bildungsressort. Nun wird Schule künftig von der stellvertretenden Ministerpräsidentin des Landes repräsentiert – eine deutliche Aufwertung des Politikfeldes. Der bisherige Minister, Grant Hendrik Tonne (SPD), der während Corona WhatsApp für Schulen zugelassen und dafür Kritik unter anderem von der Landesdatenschutzbeauftragten kassiert hatte, wird neuer Fraktionschef der SPD. Unter Beobachtern gilt die 36-jährige Ministerin in spe als zupackende Bildungsexpertin, die viel vorhat. Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün stehen dazu eine ganze Reihe von anspruchsvollen Reformvorhaben – dazu zählt auch die Digitalisierung. 

    Dass Kultusminister eine starke Stellung im Landeskabinett haben, gilt heute allenfalls noch für die Zahl der Beschäftigten und die Höhe des Budgets, das sie verwalten. Ihr politischer Einfluss ist meist gering. Die Zeiten des renommierten Hans Maier (CSU) in Bayern oder Annette Schavan (CDU) in Baden-Württemberg, die fast im Schloss Bellevue eingezogen wäre, sind vorbei. Das Ritual in den Bundesländern sieht eher so aus: Schule spielt vor Wahlen eine große Rolle – danach überraschen eher unbekannte Personen als Minister. 

    Bei den Schulformen will Hamburg aufräumen

    In Niedersachsen ist das anders. Und das, obwohl Julia Willie Hamburg im Wahlkampf damit auffiel, dass auf ihren Plakaten ein peinlicher Schreibfehler auftauchte: “Niedersachen”. Die bisherige Oppositionsführerin hat genaue Vorstellungen für die Schule: Den Lehrermangel will sie kreativ bekämpfen, die Landesmedienzentren grundsätzlich reformieren, bei den Schulformen aufräumen. Dabei kann sie sich darauf stützen, dass Niedersachsen die erfolgreichsten Gesamtschulen in der Republik hat. Von den bisher 13 Schulpreisträgern des Landes sind allein sieben Gesamtschulen. Zuletzt holte vor wenigen Wochen die Integrierte Gesamtschule Buchholz einen zweiten Preis.

    Julia Hamburg wurde 1986 in Hannover geboren, wo sie 2004 ihr Abitur machte. Anschließend studierte sie Politikwissenschaft, Deutsche Philologie und Philosophie in Göttingen. Ihre politische Karriere begann sie bereits in ihren frühen Zwanzigern – zunächst ganz klassisch als Mitglied der Grünen Jugend, ab 2008 als deren Sprecherin. Drei Jahre später folgte für sie der stellvertretende Landesvorsitz der Grünen in Niedersachsen. 2013 zog Hamburg mit 27 als damals jüngste Abgeordnete in den Landtag ein. Die heute zweifache Mutter war bislang nicht nur Fraktionsvorsitzende, sondern außerdem Sprecherin für Bildung, Queerpolitik, Antifaschismus und Gedenkstätten. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes musste Hamburg einige Zeit wegen einer geburtsbedingten Krankheit pausieren. Nach einigen Monaten stieg sie direkt als Fraktionsvorsitzende wieder ein. 

    “Schulen sollen ihr eigenes Ding machen”

    Auf Instagram kündigte Hamburg bereits an, einen Aufbruch gestalten zu wollen. Unter dem Motto “Bock auf besser!” setzt sie sich nicht nur für besseres Schulessen ein, sondern will zudem den Personalmangel in Bildungseinrichtungen beenden. Ziel soll etwa die Einführung einer dritten Erzieherin je Kita-Gruppe sein.

    Daneben will Hamburg pädagogische Freiräume schaffen. Dass Schulen “ihr eigenes Ding im Sinne der Schülerinnen und Schüler machen”, solle die Regel werden, so Hamburg auf ihrer Website. Sie meint damit jahrgangsübergreifende, projektbezogene und inklusive Bildung – aber nicht nur. Als Oppositionsführerin forderte sie 2019 Schulminister Tonne auf, Schulen selbst entscheiden zu lassen, wie sie die Unterrichtsversorgung unter schlechten Bedingungen gewährleisten. “Entlasten Sie die Schulen an der Stelle, geben Sie ihnen Freiräume, um den Fachkräftemangel zu gestalten”, sagte sie im Landtag.

    Digitalisierung: SPD scheint Hamburg zähmen zu wollen

    Einer der Schwerpunkte von Julia Hamburg ist seit jeher die Digitalisierung. Dabei nahm sie bisher eine freundlich-kritische Haltung ein. “Digitalisierung ist wichtig, sehr wichtig”, sagte sie in einer Landtagsrede – und zählte zugleich besonders neuralgische Punkte auf. “Wie löst man die Gefahr der Monopolbildung einzelner Unternehmen an Schulen, wie stark werden Eltern hierbei finanziell in die Verantwortung genommen? Wie ist das mit der Verwendung von Open Source?” Noch bevor die Niedersächsische Bildungscloud (NBC) richtig aus der Taufe gehoben war, stellte Hamburg eine Kleine Anfrage – und tippte dabei gezielt auf die Musikantenknochen. Sie fragte nach der “interessegeleiteten Beeinflussung im Sinne der privaten Anbieter”. Und wollte wissen, “welche Daten über die Nutzerinnen und Nutzer” in der NBC erhoben und an Private weitergegeben werden. 

    Allerdings scheint die SPD die neue Ministerin per Koalitionsvertrag an dieser Stelle zähmen zu wollen. Ohne den Konkurrenten IServ hätte die NBC niemals binnen kürzester Zeit über 2.000 Schulen anschließen können. IServ stellte die Schnittstellen zur Verfügung. Im Koalitionsvertrag ist nun verabredet, “an den erfolgreichen Start der Niedersächsischen Bildungscloud anzuknüpfen und die NBC weiter auszubauen.” Man darf gespannt sein, ob sich die neue starke Frau im Bildungsministerium Hannovers so an die Kette legen lässt. Christian Füller und Anouk Schlung

    • Schulcloud

    Presseschau

    Ukrainische Schüler: In Regelklassen lernen sie mehr SZ
    Ausbildungsumlage in Bremen und Berlin geplant Handelsblatt
    Deutscher Lehrerverband: Maskenpflicht als Option für Schulen BR
    Konsequenz aus schwachen Leistungen: Reformvorhaben in Berlin TAGESSPIEGEL
    Was drei ukrainische Geflüchtete an einer Kieler Schule erleben ZEIT
    Kita-Verband Hessen: “Zahlen verhaltensauffälliger Kinder steigen signifikant” News4teachers
    Gutachten aus NRW: Einsatz digitaler Medien garantiert keinen Lernerfolg FAZ
    Kommentar: Wie die duale Ausbildung attraktiver werden kann FAZ
    Vorurteile gegenüber Ausbildung nach Abitur ZEIT

    Termine

    11. November 2022, 10:00 bis 11:30 Uhr, Berlin
    Impulsvortrag: Berufsbildung für die Grüne Transformation
    Andreas Schleicher vom OECD Berlin spricht in seinem Impulsvortrag über Berufsbildung für die grüne Transformation. Im Anschluss findet eine Diskussion mit Kornelia Haugg, (Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung), Holger Schwannecke (Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks) und weiteren Speakern statt. INFOS & ANMELDUNG

    18. bis 19. November 2022, Duisburg
    Tagung: Ethik in der beruflichen Bildung
    Die ethischen Fragen, die bei der Ausübung bestimmter Berufe eine Rolle spielen, werden auf dieser Tagung beleuchtet – so auch die, die für Berufe im Bildungssektor relevant sind. Ziel ist, das fachliche Profil der berufsbezogenen Ethikdidaktik zu untersuchen und zu diskutieren. INFOS & ANMELDUNG

    23. November 2022, 18:00 bis 19:30 Uhr, Berlin
    Diskussionsveranstaltung: MINT-Report 2022
    Im Zuge der Aktionstage von MINTvernetzt wird der MINT-Report 2022 veröffentlicht. Die Studie wird durch Autor Axel Plünnecke (Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration) vorgestellt und in einer Diskussionsrunde mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages, unter anderem Nicole Bauer (FDP) und Sandra Detzer (Bündnis 90/Die Grünen) diskutiert. INFOS & ANMELDUNG

    23. bis 24. November 2022, online
    Herbstkonferenz: BNE gemeinsam weiterdenken
    Der Wandel, dem kommunale Bildungslandschaften unterliegen, wird auf dieser Konferenz thematisiert. Dabei werden Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Projekt “Bildung – Nachhaltigkeit – Kommune: BNE-Kompetenz­zentrum für Prozess­begleitung und Prozess­evaluation”  betrachtet. Hinweis: Eine Teilnahme ist nur noch online möglich. INFOS & ANMELDUNG

    24. und 25. November 2022, online
    Tagung: EMSE-Netzwerk – Empiriegestützte Schulentwicklung
    Thema der 32. EMSE-Tagung ist “Lehrerbildung und Digitalität“. Ausgerichtet vom Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien geht es zum Beispiel um neue digitale Formate in der Lehreraus- und -fortbildung oder um Emergency Remote Teaching. INFOS & ANMELDUNG

    24. bis 25. November 2022,
    Seminar: Digitalisierung schulischer Bildung
    Mehr als ein finanzieller Kraftakt?” lautet die Frage, die in diesem Seminar in Bezug auf die Digitalisierung schulischer Bildung gestellt wird. Über technische, organisatorische und finanzielle Aspekte hinaus soll betrachtet werden, wie die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt und die Bildungsteilhabe von Kindern und Jugendlichen verbessert werden kann. INFOS & ANMELDUNG

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