Zwischen den Schulclouds in Niedersachsen findet ein bizarrer Förderwettbewerb statt – der mitten in die Landesregierung hinein führt. Auf der einen Seite Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) und seine Schulcloud. Auf der anderen Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) und die niedersächsische Lernwolke IServ. Tonne baut gerade mit Brandenburg und Thüringen eine Organisation auf, die den Betrieb der Schulcloud für die drei Länder gewährleisten soll (Bildung.Table-Interview mit KMK-Präsidentin Ernst). Die Schulcloud ist eine Entwicklung des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam. Sie wurde mit vielen Millionen Euro vom Bund gefördert. Diese staatlich kreierte Schulcloud macht allerdings dem niedersächsischen Marktführer „IServ“ Konkurrenz, der eine sogenannte „private Schulcloud“ für Tausende von Schulen anbietet.
Nun stärkt der Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) in dem Konkurrenzkampf mit 1,7 Millionen Euro IServ. Der ist eine niedersächsische Entwicklung mit Sitz in Braunschweig. „IServ ist unser Leuchtturm in der Kommunikation und der digitalen Kommunikation und Organisation unserer Schulen„, schwärmte Althusmann. Das ist ein Seitenhieb gegen Kultusminister Tonne, der die Schulcloud für das Land bestellt hat. Die Lernwolke IServ sei maßgebliche Grundlage für das Bildungsland Niedersachsen. „In den aktuell schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie hat IServ einen wichtigen Beitrag geleistet. Durch eine zunächst kostenfreie Version konnten im März 2020 kurzfristig innerhalb von zwei Wochen über 700 Bildungseinrichtungen ans Netz angeschlossen werden“, sagte Althusmann. Durch die Doppelförderung von IServ und Schulcloud ist Niedersachsen inzwischen Deutscher Meister bei den Lernwolken. 116 Prozent der Schulen haben hier rechnerisch Zugriff auf ein Lernmanagementsystem. Die Zahl kommt zustande, weil viele Schulen inzwischen zweigleisig fahren. Es gibt also mehr Schulcloudanschlüsse als Schulen. cif
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Die Kultusminister haben nach zwei Jahren Beratung hinter verschlossenen Türen Oberstufe und Abitur reformiert. Darin regeln sie zum ersten Mal seit Einführung des Abiturs bundesweit einheitlich, wie viele Kurse Abiturienten mindestens belegen (40) und ins Abitur einbringen müssen (36). Bisher waren auch 32 Kurse möglich. Indirekt wird damit auch festgeschrieben, wie viel Klausuren in der Oberstufe zu schreiben sind. Das können bis zu 70 sein. Bisher schwankt die Zahl der Klausuren zwischen 40 (in Bayern) und über 70 in Ländern wie Sachsen. Die Reform beginnt im Jahr 2027/28 und wird also die ersten „neuen“ Abiturienten 2030 auf den Markt bringen.
„Noch nie war das Abitur so einheitlich wie heute“, sagte Ties Rabe, Hamburgs Schulsenator und der Koordinator der SPD-regierten Länder. Zu den neuen nationalen Vorgaben zählt die Reduzierung auf zwei bis drei Leistungskurse (bisher zwei bis vier). Mindestens die Hälfte der Abituraufgaben müsse künftig dem gemeinsamen Aufgabenpool entstammen, den einige Bundesländer angelegt haben.
Verkürzung der Klausuren auf 90 Minuten scheitert
Die amtierende Präsidentin der KMK, Astrid-Sabine Busse (SPD), lobte den Beschluss. „Mit der Verständigung auf einheitlichere Regelungen zu wesentlichen Parametern der gymnasialen Oberstufe setzt die Kultusministerkonferenz nicht nur ihr im Oktober 2020 formuliertes politisches Vorhaben um, sondern trägt auch der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer höheren Vergleichbarkeit des Abiturs Rechnung.“ Allerdings gelang nicht alles. Die Festlegung der Dauer von Klausuren in der Qualifikationsphase auf mindestens 90 Minuten scheiterte an Bayern. Der Freistaat, der bald ein neues, liberales Abitur einführen wird, kennt Klausuren von maximal 60 Minuten Länge.
Die Kritiker der Reform von der sogenannten „Potsdamer Erklärung“ kritisierten den Beschluss inhaltlich – und vom Verfahren her. Es habe keinerlei Experten- und Bürgerbeteiligung gegeben, sagte Friedemann Stöffler vom „Bündnis für ein zukunftsfähiges Abitur“. „Wir sprechen immer von Demokratielernen an den Schulen – aber die KMK praktiziert mit ihrem Handeln das genaue Gegenteil“, sagte Stöffler Table.Media. Die Klausur werde durch die Vereinbarung als stilbildendes Prüfungsformat zementiert. „Die Kultusminister haben überhaupt nicht verstanden, welche normative Kraft dieser Beschluss entfalten wird“, sagte Stöffler Table.Media. „Wenn in der Abiturprüfung ein starker Schwerpunkt auf den Klausuren liegt, dann wird die Klausur auch auf dem Weg dorthin das wichtigste Element sein. Das ist nicht zukunftsfähig.“
Erster Jahrgang startet 2027
Die Kultusminister haben gestern eine Art Vorratsbeschluss gefällt. Nach der Veröffentlichung der Oberstufenreform durch Table.Media gab es Kritik an den Plänen. Dennoch haben die politisch Verantwortlichen für Schule lediglich den Beginn der Reform um zwei Jahre nach hinten geschoben. Sie nahmen den Beschluss aber trotzdem vor – ohne öffentliche Anhörung, ohne Diskussion mit Experten, allein in den geschlossenen Runden der Regierungsvertreter der Länder. Am Montag wollen die Reformer ihre „Potsdamer Erklärung“ formell unterzeichnen. Sie hoffen weiter auf eine Änderung des gestrigen Beschlusses. Christian Füller
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Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) konnte bei ihrem Besuch in der KMK offenbar nur wenig Sympathien für ihre angekündigte Taskforce „Team Bildung“ gewinnen. Die Bundesländer sehen keine Notwendigkeit für ein neues Gremium zwischen Bund, Ländern und Kommunen. „Eine neue Gremienstruktur ist nicht vorgesehen und auch nicht nötig“, sagte KMK-Präsident Astrid-Sabine Busse (SPD) heute in Berlin.
Es ist de facto eine Absage an eine ständige gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und Kommunen, wie sie im Koalitionvertrag der Ampel angelegt ist. Am Dienstag hatte Stark-Watzinger (FDP) – unter dem Namen Taskforce „Team Bildung“ – eine Arbeitsgruppe ins Spiel gebracht, mit festen Terminen und strukturierter Zusammenarbeit. Drei Tage später schraubt Busse die Erwartungen des Bundes prompt herunter. Man werde bald beginnen, im „allerkleinsten Kreis“ in Gespräche zu gehen, sagte sie. Und: Die Gespräche sollten nicht in „einem festen Korsett“ stattfinden.
Hamburgs Senator Ties Rabe (SPD), Koordinator der A-Länder, öffnete sich mehr Richtung Bund. Er sprach sich für eine neue Gesprächsebene aus, in der Bund, Länder und Kommunen miteinander reden. Bisher gebe es keinen regelmäßigen Austausch der drei Akteure. „Ranghohe Vertreter aus Bund, Ländern und Kommunen werden sich regelmäßig treffen. Ich habe den Eindruck, dass alle jetzt nach vorne gucken wollen“, sagte Rabe.
Wie häufig und verbindlich solche Treffen stattfinden sollen, ließen die Kultusminister am Freitag offen. Das Wort „Taskforce“ mieden sie. Am Tag nach dem Gipfel hatte Bayern bereits Signale gesendet, die Beobachter als Absage werteten. „Bildungszentralismus wird es mit uns nicht geben, das passt nicht zu Deutschland“, sagte der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) der Deutschen Presse-Agentur in Reaktion auf den Taskforce-Vorschlag aus Berlin. Niklas Prenzel
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