heute bekommen Sie Europe.Table erstmals an einem Samstag. Der Grund: In der abgelaufenen Woche waren wir als Medienpartner bei den Berliner Energietagen dabei, einer der großen Fachkonferenzen in Deutschland. Jeden Morgen lieferte unser Redaktionsteam für Sie einen Ausblick auf die Programmhighlights und fasste die wichtigsten Ergebnisse des Vortages zusammen. Dazu gab es Analysen und Interviews. Alle unsere Artikel finden Sie in diesem Energietage-Summary.
Ich habe beleuchtet, wie die Förderung fürs Gassparen in der Industrie ins Stocken geraten ist. Kirsten Westphal von H2Global spricht im Interview über die Pläne zum Aufbau einer Wasserstoffwelt. Zum Auftakt der Energietage haben wir zudem auf einer eigenen Veranstaltung darüber diskutiert, wie die Rohstoffversorgung für klimafreundliche Technologien organisiert werden sollte, um neue Abhängigkeiten zu vermeiden.
Der Ukraine-Krieg hat unsere Energieversorgung ins Zentrum der großen Politik katapultiert. Europe.Table begleitet die Diskussionen um ein Öl- und Gasembargo gegen Russland, um den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren oder das weltweite Wettrennen um grünen Wasserstoff hautnah. Ich hoffe, unsere Berichterstattung erleichtert es Ihnen, in diesen bewegten Tagen den Überblick zu behalten.
Nach dem Stop-and-go bei Bundesmitteln für die Gebäudesanierung kann die Ampelkoalition die Nachfrage nach einem weiteren Energiesparprogramm nicht schnell genug bedienen. Fördergelder für das Programm Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) würden vorerst nur noch für bereits bewilligte Projekte ausgezahlt. Das erklärte ein Sprecher des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) am Donnerstagabend auf Anfrage von Europe.Table. Von einem Förderstopp will die Behörde allerdings nicht sprechen.
Mit dem Programm fördern das BAFA und die KfW die Anschaffung von energieeffizienten neuen Anlagen, die Optimierung bestehender Prozesse und die Umstellung von Wärmeanwendungen in Industrie und Gewerbe auf erneuerbare Energien. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Wirtschaftsministeriums mehr als 11.000 Anträge mit einem Fördervolumen von insgesamt 567 Millionen Euro bewilligt.
Hintergrund für die aktuellen Verzögerungen sind das rasant gestiegene Interesse der Unternehmen infolge der hohen Energiekosten und die laufenden Haushaltsverhandlungen. Nach dem Regierungswechsel wurde der Bundeshaushalt für 2022 noch nicht verabschiedet. “Das Programm ‘Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft’ (EEW) befindet sich daher unter dem Vorbehalt der vorläufigen Haushaltsführung. Für das EEW-Programm werden daher vorerst nur Projekte ausgezahlt, die bereits bewilligt wurden“, teilte das BAFA Europe.Table mit.
Weiter erklärte die Behörde: “Zusätzliche Fördermittel für die Erteilung von neuen Zuwendungsbescheiden stehen bis zum In-Kraft-Treten des Bundeshaushalts nur im verringerten Umfang zur Verfügung. Von einem Förderstopp kann daher keine Rede sein.”
Offen blieb bei dieser Antwort, ob der Bundestag zusätzliche Fördermittel trotz der noch ausstehenden Verabschiedung des gesamten Haushalts bereits freigegeben hat. Am Morgen hatte der zuständige Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Bornkamm, bei den Berliner Energietagen noch davon gesprochen, man könne erst dann wieder “einen Stempel auf die Anträge machen”, wenn der Haushaltsausschuss eine weitere sogenannte überplanmäßige Verpflichtungsermächtigung für weitere Fördermittel bewilligt habe.
Der Verband der Unternehmen, die mit Energieeffizienz ihr Geld verdienen, ist jedenfalls alarmiert. “Der Anfang der Legislaturperiode fällt äußerst ungünstig mit dem akut hohen Bedarf in allen Sektoren der Wirtschaft zusammen. Umso wichtiger ist es, dass bald der reguläre Bundeshaushalt steht”, sagt Tatjana Ruhl von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF). Die DENEFF hatte bereits am Mittwoch bei den Berliner Energietagen kritisiert, dass die Gelder aus dem Förderprogramm derzeit vor allem in das Erstellen von Transformationskonzepten der Unternehmen flössen – aber noch nicht in Investitionen, die schnell Energie- oder Ressourceneinsparungen bringen.
Für die Wirtschaft kommt die stockende Vergabe zur Unzeit. Vor wenigen Tagen wurden Berechnungen des Forschungszentrums Jülich bekannt, wonach mehreren energieintensiven Branchen und Kraftwerken in der EU wochenlang das Gas abgestellt werden müsste, falls sich die russischen Lieferungen um zwei Drittel verringerten und die Gasspeicher bis zum Winter gefüllt werden sollen.
Manche Investitionen ins Energiesparen oder den Wechsel zu erneuerbaren Energien lohnen sich bei den aktuell hohen Gas- und Ölpreisen allerdings auch ohne Förderung. “Viele Maßnahmen, die Unternehmen früher verworfen haben, rechnen sich jetzt”, sagte Paul Fay von der Arbeitsgemeinschaft der Energieeffizienz-Netzwerke Deutschland (AGEEN) bei der Podiumsdiskussion. “Wir müssen bloß hoffen, dass die Unternehmen überleben.”
Wie existenzbedrohend die Lage für viele Betriebe ist, zeigt sich auch am Informationsbedarf. Manche Betriebe seien akut vollauf damit beschäftigt, überhaupt ihre Energielieferungen zu sichern und hätten keine Zeit für die Planung von Effizienzmaßnahmen, sagte Steffen Joest von der Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke (IEEKN). Andere Unternehmen suchten umso stärker nach Beratung. Vorbereitet würden nun Informationen zu schnell wirksamen Optimierungen beim Energieverbrauch, für die keine größeren Investitionen nötig seien.
Das Bundeswirtschaftsministerium prüft laut Bornkamm aktuell, wie auch das EEW-Programm weiterentwickelt werden kann, um insbesondere den Gasverbrauch zu senken. Neu gefördert werden könnten demnach Tiefengeothermie, die auch erneuerbare Wärme jenseits von 100 Grad liefern kann, konzentrierende Solarthermie und mobile Wärmespeicher.
Manuel Berkel: Die Industrie möchte Milliarden in klimafreundliche Anlagen investieren und ihre Produktion auf grünen Wasserstoff umstellen. Wann wird das erste grüne Gas über H2Global nach Europa kommen?
Kirsten Westphal: Im ersten Förderfenster reden wir noch nicht über reinen Wasserstoff, sondern über Derivate – also grünen Ammoniak, Methanol und Treibstoff für Flugzeuge. Die Ausschreibungen für diese drei Lose bereitet unsere Tochtergesellschaft HINT.CO gerade vor. Im Sommer wollen wir die Auktionsverfahren starten und bis Ende des Jahres die Verträge unterzeichnen. Mit den ersten Schiffsladungen wäre dann zwischen Ende 2024 und Anfang 2025 zu rechnen.
Grüner Wasserstoff und seine Derivate spielen auch eine wichtige Rolle im REPowerEU-Plan, mit dem die Kommission Europa unabhängiger von russischen Energielieferungen machen möchte (Europe.Table berichtete). Welche Bedeutung hat H2Global als deutsches Förderinstrument für die europäischen Pläne?
Die Initiative wurde zwar von der Bundesregierung aufgesetzt, aber H2Global versteht sich nicht als rein deutsches Instrument. Als Lieferpunkt ist die Region zwischen den Häfen Antwerpen, Zeebrugge, Rotterdam und Hamburg bis nach Rostock und Duisburg als großem Binnenhafen definiert. Diese nordwesteuropäische Industrieregion ist prädestiniert. Auch die H2Global Stiftung wird immer europäischer, wenn Sie schauen, wer sich bei uns engagiert. H2Global kann ein Wegbereiter für einen europäischen Wasserstoff-Accelerator werden, wie ihn REPowerEU beschreibt.
Welche Mengen an Wasserstoff-Derivaten wird H2Global denn beschaffen können? Die Kommission will die Ziele für grünes H2 bis 2030 vervierfachen – auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr.
Im ersten Förderfenster haben wir 900 Millionen Euro bis 2033 zur Verfügung. Damit kaufen wir die Derivate und damit ist auch die erwartbare Differenz zwischen den Gebotspreisen für die Lieferung und für die Abnahme gedeckt. Welche Mengen wir dafür bekommen können, lässt sich derzeit schwer abzuschätzen. Weltweit gibt es bisher praktisch keine Preissignale, was grünes Ammoniak kostet. H2Global kann Transparenz über die Preise von Wasserstoff-Derivaten herstellen, für die Industrie wird das ein wichtiger Mehrwert sein. Die Frage ist aber berechtigt. Große Mengen wird H2Global in der ersten Förderrunde nicht beschaffen können. Es ist zunächst ein wichtiger Pilot. Entscheidend ist, dass wir mal loslegen und Wasserstoffprojekte finden, die sich skalieren lassen. Und H2Global wird europaweit das erste Instrument sein, um die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff zu erproben.
Was meinen Sie damit?
Bisher schaut man sehr stark auf die Produktion und die Abnehmer von grünem Wasserstoff und glaubt, das dazwischen wird schon irgendwie werden. Aber auch die Lieferketten sind hochkomplex: Transportmittel, Transportwege, Speicher. Die Logistik von Wasserstoff-Importen ist wegen des Krieges gegen die Ukraine noch dringlicher geworden. Wir werden eine größere Zahl unterschiedlicher Derivate schneller benötigen. H2Global schafft ein schützendes Dach, damit sich Lieferketten etablieren und Unternehmen entsprechend aufstellen können. Die Bieter müssen sich darum kümmern, dass die Logistik funktioniert. Das wird in die Gebote einfließen, deshalb werden die Ausschreibungen auch Transparenz über die Transportkosten schaffen. Ein anderer großer Faktor, der noch fehlt, ist die Regulatorik. Erst wenn der regulatorische Rahmen geklärt ist, können Unternehmen grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte wirklich in Wert setzen – Stichwort delegierter Rechtsakt zur RED II.
Verhandelt werden in Brüssel auch noch die Novelle der gesamten Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II und das Gaspaket (Europe.Table berichtete). Muss das alles beschlossen sein, damit Sie Ihre Wasserstoff-Derivate als “grün” zertifizieren können?
Bei den Fragen der Zertifizierung und der Anrechenbarkeit ist tatsächlich noch viel offen. Die Standards für unser erstes Förderfenster wird das Bundeswirtschaftsministerium bis zum Beginn der Auktionen definieren. Die Herausforderung wird sein, die Standards für H2Global so hoch zu setzen, dass die angekauften Produkte während der gesamten Vertragslaufzeit als grün gelten. Das gehört schon zu unseren Lessons Learned: Europas erster klimaneutraler Wasserstoff muss auch in zehn Jahren noch als grün verkauft werden können. Für H2-Pilotprojekte bräuchte es ein Grandfathering in der europäischen Regulierung.
Der Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff wird als Chance gesehen, gefährliche Abhängigkeiten aufzubrechen. Wie lässt sich die Diversifizierung der Lieferanten sicherstellen?
Der Aufbau einer Wasserstoffwelt wird eine Generationenaufgabe. Um den Markt anzureizen, werden wir übergangsweise vielleicht ähnliche Strukturen erleben wie in der Erdgaswirtschaft – große Leitungen, an deren Ende Produzenten und Abnehmer skalieren. Aber langfristig wollen wir ja nicht wieder in ähnliche Fallen tappen. Deshalb ist H2Global von Anfang an flexibel ausgelegt. Das Instrument erlaubt es, neue Förderfenster an politische Ziele anzupassen. Man schaut jetzt viel in den Mittleren Osten, nach Australien und Chile. Dort gibt es Front-Runner, die über Kapital verfügen und in den Projekten schon recht weit sind. Aber in der zweiten oder dritten Runde von Förderfenstern könnten wir zum Beispiel Europas Partnerschaft mit weiteren afrikanischen Staaten ausbauen und so diversifizieren. Ich denke sehr an Interkonnektoren nach Ägypten, von wo aus man weitere Infrastrukturverbindungen in den Kontinent schaffen könnte. Diese ließen sich mit H2Global unterlegen.
Wird H2Global so lange bestehen bleiben oder wird es schon bald in einer europäischen Plattform aufgehen (Europe.Table berichtete)?
Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass die Bundesregierung H2Global europäisch weiterentwickeln und finanziell entsprechend ausstatten möchte. Das ist auch gut, damit sich Investoren nicht immer wieder auf unterschiedliche nationale Regeln einstellen müssen und sich die Projekte untereinander keine Konkurrenz machen. H2Global kann der EU dabei helfen, mit einem Gesicht zur Welt zu sprechen – was in der Erdgaswelt lange gefehlt hat. Wenn ich weiter vorausdenke, können wir mehrere regional definierte Lieferregionen identifizieren. Wasserstoff könnte über Triest, Barcelona, Marseille oder andere Mittelmeerhäfen nach Europa gelangen.
Vor dem Krieg galt auch die Ukraine als aussichtsreicher Partner für Wasserstoffpartnerschaften. Besteht diese Vision weiterhin?
Angesichts der erschreckenden Bilder aus der Ukraine ist es nun leider noch viel zu früh für solche Pläne. Akteure in der EU haben die Ukraine aber zurecht immer schon mitgedacht beim Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft, so wie beim European Hydrogen Backbone und der 2×40-Gigawatt-Strategie. Langfristig bleibt es sehr sinnvoll, die Ukraine in die Wasserstoffpläne der EU einzubeziehen. Bei den Strom- und Gasnetzen sehen wir bereits, wie wichtig die Zusammenarbeit von europäischen Betreibern mit ihren ukrainischen Partnern ist. Wenn es um den Wiederaufbau geht, werden die Interkonnektoren sowohl beim Strom als auch bei Wasserstoff eine wesentliche Rolle spielen.
Jetzt sind die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am Zug. Die Beratungen im Kreis der EU-Botschafter haben noch am Mittwoch begonnen. Am Morgen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das sechste Sanktionspaket gegen Russland präsentiert. Für eine Einigung im Kreis der Mitgliedstaaten könnte es bis zum Wochenende dauern. Die nötige Einstimmigkeit ist derzeit nicht garantiert.
Ungarn und die Slowakei lehnen den Vorschlag ab, obwohl die EU-Kommission den beiden Ländern deutlich längere Fristen für den Ausstieg beim russischen Öl zugesteht: “Dieses Sanktionspaket würde die Energieversorgung Ungarns völlig unmöglich machen”, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Das sei keine Frage mangelnden politischen Willens. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission hätten Ungarn sowie die Slowakei bis Ende 2023 Zeit, Ersatz für Öl aus Russland zu finden.
Das sei leider viel zu wenig, so der slowakische Energieminister Karol Galek. Die Slowakei brauche mindestens bis Ende 2025, um Ersatz für das schwere Rohöl für seine Raffinerien zu finden. Die anderen EU-Staaten müssten die Lieferverträge für russisches Rohöl schon in sechs Monaten und jene für Diesel sowie Benzin bis Ende des Jahres auslaufen lassen.
Weniger kategorisch fallen die Reaktionen der Wirtschaft und wichtiger Branchenverbände aus. Dort scheint man sich schon auf das Öl-Embargo gegen Russland eingestellt zu haben. Als Branche unterstütze man das Vorhaben, bis Ende des Jahres aus russischen Öl-Importen auszusteigen, sagte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x). Bei einer Veranstaltung der Berliner Energietage betonte er, dass die Auswirkungen eines Öl-Embargos für die Raffinerien in Ostdeutschland schwerer zu verkraften seien als in Westdeutschland. Es stelle sich vor allem die Frage nach Möglichkeiten für Ersatzlieferungen für russisches Öl.
Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt kann laut dem Wirtschaftsverband über eine Pipeline durch den Seehafen Danzig versorgt werden, wenn auch in geringerem Umfang. Die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die bislang mit russischem Öl durch den Staatskonzern Rosneft beliefert wurde, könnte übergangsweise ebenfalls via Pipeline aus Rostock beliefert werden. Allerdings müsste auch in Schwedt auf Teillast umgestellt werden, da der Lieferumfang aus Rostock nicht die ausfallenden Rosneft-Lieferungen kompensieren könnte.
In Summe würden in den ostdeutschen Regionen Mineralprodukte fehlen, mahnt der Verband. Diese müssten durch Transporte innerhalb Deutschlands und Importe aus dem Ausland ersetzt werden. Übergangsweise könne man mit der Situation umgehen, da Rohölprodukte auf Vorrat bereitstünden. Gemeinsam mit der Teillast der beiden Raffinerien könne der Tankstellenbetrieb aufrechterhalten werden. Allerdings nur erheblicher Belastung der Transportwege, insbesondere der Binnenschifffahrt.
Ähnlich verhalten die Reaktion des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI): “Es gilt das Primat der Politik, wir haben mit diesem Schritt gerechnet.” Dank eines Kraftaktes von Politik und Wirtschaft in den vergangenen Wochen scheine die Versorgung über alternative Bezugsquellen gesichert. Sorgen macht man sich in der Branche aber über die zu erwartenden weiteren Preisanstiege für Rohöl und generell die Rohstoffpreise. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche werde damit mehr und mehr belastet, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Der Verband betont, dass ein Lieferstopp für Erdgas ein deutlich gravierenderes Problem darstellen würde.
Wie immer bei Sanktionen bestehe das Risiko, dass es zu Umleitungen komme, sagt Katsiaryna Kliuyeva von European Shippers Council (ESC). Russland werde andere Abnehmer für sein Öl finden. Moskau gegenüber weniger kritische Länder wie Indien oder China seien logische Destinationen. Wladimir Putin könnte auch versuchen, russisches Öl billiger an ärmere Länder zu verkaufen. Unter der Bedingung, dass sich diese Länder nicht an westlichen Sanktionen beteiligen. Allerdings geht das Sanktionspaket beim Öl über ein reines Importverbot hinaus. Auch Versicherer, Konsulenten und andere Dienstleister im Ölhandel sind im Visier. So könnte es für Reedereien schwierig werden, ihre Tanker zu versichern, wenn sie russisches Öl transportieren.
Damit wäre möglicherweise auch eine andere Gefahr gebannt, vor der Experten im Vorfeld gewarnt haben. Dass nämlich Putin dank steigender Preise vom Öl-Embargo indirekt noch profitieren könnte. Russland könnte zwar nach dem Ausstieg der Europäer weniger verkaufen, aber für die geringeren Mengen mehr Geld bekommen. Auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hatte unter anderem mit diesem Argument vor einem schrittweisen Ausstieg gewarnt und für Preisobergrenzen oder Abgaben plädiert.
Tatsächlich hat der Markt das Öl-Embargo gegen Russland mit steigenden Preisen teilweise schon vorweggenommen. Der russische Haushalt dürfte durch den hohen Ölpreis in diesem Jahr mehr an Steuern einnehmen als 2021, sagte Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mittelfristig würden Russland aber die Einnahmen aus Europa fehlen. Die große Frage werde sein, wie schnell Moskau andere Abnehmer finden werde.
Das Sanktionspaket dürfte bis zur Verabschiedung durch die EU-Botschafter noch einige Veränderungen erfahren. Sowohl das Öl-Embargo an sich als auch der geordnete Ausstieg bleiben umstritten. Christian Egenhofer von der Brüsseler Denkfabrik Ceps hält das Embargo überhaupt für Symbolpolitik. Was Putin wirklich treffen würde, sei ein Gasembargo. Denn Gas könne nicht einfach umgeleitet werden. Beobachter schließen allerdings nicht aus, dass Putin nun als Reaktion auf das Öl-Embargo nach dem Gasstopp für Bulgarien und Polen auch anderen EU-Staaten den Hahn zudreht.
Doch während es Ungarn und der Slowakei beim Öl zu schnell geht, hatten die baltischen Länder und Polen auf einen sofortigen Ausstieg gedrängt. Ursula von der Leyen versuchte deshalb den schwierigen Balanceakt: Es gehe darum, den Druck auf Russland zu maximieren und den Kollateralschaden für die EU und ihre Partner zu minimieren. Am Ende spielt auch der öffentliche Druck eine Rolle. So ist es schwer verständlich, dass Europa nach wie vor indirekt Putins Krieg mitfinanziert. Mit Lukas Scheid und Ella Joyner
Lithium, Magnesium, Seltene Erden: Europa ist bei wichtigen Rohstoffen für die Energiewende stark abhängig von Importen. Chinesische Unternehmen dominieren etwa viele Produktionsstufen von Fotovoltaikanlagen, auch wichtige Bestandteile von Windrädern oder Elektroautos bezieht die EU fast vollständig aus China.
Politik und Industrie sind sich einig: Das soll sich ändern. Europa muss resilienter sein als bisher, um globalen Schocks wie der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine standzuhalten. Auch über die Lösungsansätze besteht zumindest im Grundsatz weitgehend Einigkeit. Die Importquellen von Rohmaterialien müssen vielfältiger werden, die heimische Förderung soll wieder gestärkt, Reserven für kritische Rohstoffe angelegt werden.
“Wir müssen zumindest in Teilen die Weiterverarbeitung von Rohstoffen wieder in Europa ermöglichen“, sagte Matthias Wachter, Abteilungsleiter für Rohstoffe beim BDI, gestern auf einer Veranstaltung von Europe.Table auf den Berliner Energietagen. Diese Prozesse sind energieintensiv und belasten die Umwelt – mit Importen aus anderen Ländern umging Europa diese Probleme in den vergangenen Jahren immer mehr. Sollen Unternehmen in Europa wieder verstärkt Rohstoffe produzieren, so müssten diese Kosten bedacht und die Rahmenbedingungen verändert werden, so Wachter. “Flächen werden oft so überplant, dass heimische Förderung gar nicht mehr möglich ist. Und politisch ist sie bisher nicht gewollt.”
Kerstin Jorna, Generaldirektorin für Binnenmarkt und Industrie in der Europäischen Kommission, fordert eine stärkere Beteiligung der Industrie. Die European Raw Materials Alliance (ERMA) versuche etwa, einen Business Case für Veredelung und Recycling Seltener Erden in Europa zu erstellen. “Im Moment kommt sie aber nicht voran, weil sich die Industrie sehr bedeckt hält”, sagte Jorna.
Solange nicht sicher sei, dass die Abnehmer Preise für nach europäischen Standards geförderte Rohstoffe zu zahlen bereit seien, hätten die Produzenten nicht die nötige Investitionssicherheit – und die Regierungen bräuchten sich nicht zu engagieren. “Es kann nicht sein, dass die Industrie die Absatzmöglichkeiten hat und das Versorgungsrisiko durch die Regierung abgedeckt wird”, so Jorna. “Wir müssen in beidem zusammenarbeiten.”
Matthias Wachter vom BDI hält dagegen: “Die Unternehmen sind bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn damit eine langfristige Versorgungssicherheit sichergestellt ist – aber auch keine unendlich hohen Preise.” Das Problem sei, dass Hütten und Schmelzen in Europa deutlich höhere Energiepreise zahlen müssten als in anderen Ländern. Er brachte Sondertarife für die Versorgung dieser sehr energieintensiven Anlagen ins Spiel.
Jorna entgegnete, statt solcher Einzelmaßnahmen sei ein umfassender Ansatz geboten. Dazu gehörten Partnerschaften mit anderen Staaten. So sei die Kommission im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) mit den USA im Gespräch über eine strategische Zusammenarbeit in der Rohstoffpolitik.
Konkret gehe es um einen Informationsaustausch über neue Bergbauvorhaben, sagte Jorna. “So können wir auch zusammen ein Angebot machen, das besser ist als das schnelle Angebot aus China.” Die EU wolle im Planungs- und Erschließungsprozess, in der Ausbildung von Arbeitnehmer:innen vor Ort und im Technologietransfer mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten. “Dafür müssen wir nun mit unseren Unternehmen sprechen, wie weit sie bereit sind, einzusteigen”, so Jorna. “Es geht nicht darum, alles in Europa zu machen. Aber wo wir können, sollten wir das tun.”
Henrike Hahn, Schattenberichterstatterin der Grünen/EFA zur europäischen Rohstoffstrategie, fordert eine akkurate Bedarfsberechnung für Rohstoffe. Laut einer Studie des Öko-Instituts seien für die grüne Transformation viel weniger Rohstoffe notwendig als angenommen, sagte sie bei der Veranstaltung. “Die Unternehmen kennen ihren Bedarf an Rohmaterialien wesentlich genauer als die Politik”, sagte Hahn. “Die Kommission muss professioneller werden, was die Kalkulation betrifft. Nur so können wir seitens der Politik ordentliche Strukturen schaffen.”
Für Erdgas und Erdöl garantieren strategische Reserven in der EU im Notfall zumindest einige Wochen lang die Energieversorgung. Würden jedoch die Importe etwa von Seltenen Erden aus China unterbrochen, dann gibt es keine Vorräte – mit unmittelbaren Folgen für die gesamte Wirtschaft. Der Europäische Rat schlug deshalb im März eine strategische Vorratshaltung vor. Laut Matthias Wachter vom BDI sollte diese allerdings nicht auf politischer Ebene erfolgen. “Wir schlagen eine Lagerhaltung auf Ebene der Unternehmen vor. Dazu müssen steuerliche Anreize gesetzt und die bilanzielle Benachteiligung von Lagerhaltung aufgelöst werden.”
Auf einer Diskussion im Rahmen der Berliner Energietage haben Expert:innen aus Forschung, Politik und Wirtschaft internationale Standards für einen nachhaltigen Wasserstoffhandel gefordert. Es reiche nicht aus, deutsche oder europäische Kriterien festzulegen, hieß es auf der Veranstaltung am Freitag.
Ist Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral, so eine Berechnung des Forschungszentrum Jülich, wird es einen jährlichen Bedarf an Wasserstoff von etwa 400 Terrawattstunden haben. “Die Hälfte davon wird dann importiert, per Pipeline oder per Schiff”, erklärte Heidi Heinrichs vom Forschungszentrum auf den Energietagen. Drei Kriterien seien dabei ausschlaggebend: Die Importe müssen treibhausgasneutral sein (also auch die Transportoptionen, was derzeit im Schifftransport noch schwierig sei), sicher (also aus einer Vielzahl politisch stabiler Länder) und fair (die Exportländer müssen auch profitieren).
Um Standards festzulegen, eigne sich eine internationale Plattform. “Wir brauchen ein globales Regelwerk und die Zertifizierung von Erzeugung, Transport und Handel“, sagte Elisabeth Taher, Referentin im Bundeswirtschaftsministerium. “Das wird letzten Endes den Preis von grünem Wasserstoff bestimmen. Je klarer die Spielregeln sind, desto besser.”
Die derzeitige G7-Präsidentschaft Deutschlands sei eine wertvolle Chance, Standards für den Wasserstoffhandel zu initiieren, sagte Heino von Meyer vom PtX Hub der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). “Wer die Standards setzt, beherrscht später auch den Markt.” Auch Christoph Reißfelder, Manager Energie- und Klimapolitik des Werkstoffherstellers Covestro, sprach sich für einen grenzüberschreitenden Ansatz aus. “Es ist niemandem geholfen, wenn wir als Deutsche oder Europäer Standards festlegen, die von anderen, globalen Konkurrenten unterlaufen werden”, sagte er. Wir sollten lieber daran arbeiten, mit Erzeugerländern, Nutzerländern und der Privatwirtschaft allgemein verbindliche und akzeptierte Standards festzulegen.” Als mögliche Institutionen nannte er OECD, G7, G20 und die Internationale Energieagentur (IEA).
Viele Expert:innen waren optimistisch angesichts der Vielzahl an Initiativen zur Zertifizierung, betonten jedoch, dass eine Harmonisierung wichtig sei. “Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht zu viele parallele Stränge gibt”, sagte Taher. Alle Projekte liefen in eine ähnliche Richtung, es gehe nur noch um eine Feinjustierung, betonte auch Reißfelder.
Bei einem Treffen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Donnerstag hatten sich die europäischen Elektrolyseur-Hersteller verpflichtet, ihre Produktionskapazitäten für Elektrolyseure bis 2025 zu verzehnfachen – auf eine Kapazität von 17,5 Gigawatt im Jahr. So soll das Ziel der REPowerEU-Mitteilung von März 2022 erreicht werden: eine jährliche EU-Produktion von zehn Millionen Tonnen erneuerbarem Wasserstoff bis 2030. leo
Europäische Schlüsselindustrien werden nach Experteneinschätzung erst nach 2030 in ausreichendem Umfang mit Wasserstoff und seinen Derivaten versorgt werden können. Schon eine gesicherte Belieferung der deutschen Stahlindustrie werde bis 2030 auch durch Importe voraussichtlich nicht sichergestellt werden können, sagte Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZSW) am Montag bei den Berliner Energietagen. “Ich glaube eher, dass kleinere Wasserstoffanwendungen im Inland wachsen werden”, sagte die Wissenschaftlerin.
Um den Wasserstoffbedarf aller Sektoren in Deutschland bis 2030 zu decken, sind nach einer Metaanalyse der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) 50 bis 250 Terrawattstunden (TWh) Wasserstoff nötig. Dafür würden Elektrolyseure mit 17 bis 90 Gigawatt (GW) benötigt. Bis Mitte der 2030er-Jahre seien allerdings in Deutschland bisher nur Erzeugungsanlagen mit 4 GW angekündigt, sagte Acatech-Wissenschaftlerin Andrea Lübcke. Die Bundesregierung verfolgt für 2030 das Ziel von 10 GW Elektrolyseleistung.
Selbst wenn es ausreichend Erzeugungskapazitäten geben sollte, ist die Verteilung innerhalb Europas über Schiffe, Lkw oder Leitungen eine weitere ungelöste Aufgabe. “Damit es nicht zu einer Abkopplung einzelner Regionen kommt, ist eine Herausforderung, eine gleichzeitige Entwicklung in Europa hinzubekommen”, sagte Kirsten Westphal, Vorstand des Importprojekts H2Global der Bundesregierung und Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat.
Um die Technologieentwicklung zu beschleunigen, rieten mehrere Experten von zu strengen Nachhaltigkeitsanforderungen ab. Eine erste Phase mit niedrigeren Anforderungen und einer schrittweisen Verschärfung sei ein diskussionswürdiger Ansatz, sagte Schmidt. Japan und Südkorea würden bei der Beschaffung keine strengen Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Wasserstofferzeugung stellen, berichtete Christoph Stemmler von acatech.
Eine wichtige technische Begrenzung ist beispielsweise die kontinuierliche Auslastung von Elektrolyseuren und Syntheseanlagen zur Herstellung von Wasserstoff und seinen Derivaten. Allein mit fluktuierenden erneuerbaren Energien lässt sie sich kaum gewährleisten. Würde man für Versorgungslücken weiteren grünen Wasserstoff zur Rückverstromung vorhalten, müssten Schmidt zufolge deutlich größere Elektrolyseleistungen und sehr große Wasserstoffspeicher an den Erzeugungsstandorten eingeplant werden. Bei den derzeitigen Kosten sei dies aber unwirtschaftlich. ber
Der Wandel weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien werde sich beschleunigen, prognostizierte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x), bei den Berliner Energietagen. Aber man müsse auf dem Weg dorthin technologieoffen agieren, forderte er die Politik auf. Die eine Lösung gebe es nicht, es brauche vielmehr eine Vielzahl von Angeboten alternativer Flüssigkraftstoffe: von fortschrittlichen Biokraftstoffen ohne Nahrungskonkurrenz über synthetische Kraftstoffe bis hin zu Wasserstoff.
Ob man beispielsweise in Leuna, eine der beiden Ölraffinerien in Ostdeutschland, künftig sogenannte E-Fuels auf Wasserstoff-Basis herstellen kann, hänge von der EU-Definition von grünem Wasserstoff ab, sagte Thomas Behrends, der Geschäftsführer der Leuna-Raffinerie. Er schickt damit eine klare Forderung nach Brüssel, der Mineralölindustrie die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Transformation zu geben.
Bei der Überarbeitung der Renewable Energy Directive (RED III) erhofft sich die Branche in dieser Hinsicht endlich Klarheit. Denn solange nicht geklärt ist, welche Technologien später auch als “grün” gelten, kann die Hochskalierung nicht starten. In Leuna hofft man auf eine möglichst breite Begriffsdefinition. Denn, so Behrends, man baue bestehende Anlagen bereits um, um mit grünem Wasserstoff synthetische Kraftstoffe beispielsweise für den Einsatz in Flugzeugtanks herzustellen.
Damit sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) allerdings marktreif und preislich konkurrenzfähig werden (Europe.Table berichtete), müsse man aus Demonstrationsmaßstäben endlich in die industrielle Produktion kommen, fordert Melanie Form. Sie sitzt im Vorstand der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany (AIREG), einer NGO, die sich für den Hochlauf von SAF einsetzt.
Derzeit kosten SAF noch das Zwei- bis Sechsfache, verglichen mit herkömmlichem fossilen Kerosin. Aber: Gelingt der Markthochlauf, sinken auch die Preise, so die Idee. Das hat auch die Politik eingesehen. Bernd Westphal, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft, kündigte an, alle Potenziale nutzen zu wollen, um aus der Pilotphase herauszukommen und den Hochlauf zu schaffen. Beim Luftverkehr sei die Zahlungsbereitschaft für teurere, aber grüne Kraftstoffe ohnehin vorhanden. Melanie Form glaubt, dass auch Passagiere für mehr Klimaschutz zahlen würden, so wie sie es beim Heizen von Gebäuden bereits tun. luk
Mit Blick auf die Diversifizierung von Energiequellen hat der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) einen stärkeren Einsatz von Biomethan für die Wärmewende und den Ausbau internationaler Lieferketten vorgeschlagen. Die Erzeugung und Veredelung von Biogas sei bislang zu sehr auf Deutschland begrenzt, sagte Markus Staudt, Hauptgeschäftsführer des BDH, auf den Berliner Energietagen. Für einen Markthochlauf von Biomethan würden noch größere Produktionspotenziale im europäischen und außereuropäischen Ausland benötigt.
“Biomethan kann heute ohne technische Restriktionen zu hundert Prozent in jeder Gasheizung eingesetzt werden”, erklärte Staudt. Nur bestehe bisher im Wärmemarkt noch keine Anerkennung in der Regulatorik für den Bestandsbau. Nach der jetzigen Gesetzeslage werde Biomethan lediglich für Neubauten als Erfüllungsoption für die Nutzung erneuerbarer Energien anerkannt. Haushalte in Bestandsgebäuden hätten deshalb mit einem Biomethan-Tarif keinerlei Vorteil. Die Anerkennung von Biomethan als Erfüllungsoption für die Nutzung erneuerbarer Energien zum Heizen, wie sie bereits in Baden-Württemberg besteht, wünscht sich der BDH für ganz Deutschland.
Laut einer Analyse der Deutschen Energie-Agentur (dena) ist der internationale Handel mit Biomethan in den vergangenen Jahren bereits gewachsen. Besonders in Europa habe er sich sehr dynamisch entwickelt. Deutschland importierte im Jahr 2020 Biomethan vor allem aus Dänemark (178 Gigawattstunden), kleinere Mengen aus Großbritannien, den Niederlanden und Ungarn. Auch 2021 haben sich die Importe positiv entwickelt, erklärte die dena gegenüber Europe.Table. Die Exporte seien konstant geblieben, Hauptabnehmer von deutschem Biomethan sei die Schweiz.
Die Bundesregierung will als Teil ihres Osterpakets das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ändern, um Energie aus Biomasse in Situationen mit besonders hohem Energiebedarf einzusetzen. Auch die EU will im Rahmen der REPowerEU-Pläne die Erzeugung von Biogas in den Mitgliedstaaten bis 2030 verdoppeln (Europe.Table berichtete). Die Europäische Kommission formulierte Anfang März in einer Mitteilung das Ziel von 35 Milliarden Kubikmetern Biogas bis 2030 und forderte die Mitgliedsstaaten auf, Strategien für erneuerbare Gase zu beschließen. 20 Prozent der Erdgasimporte aus Russland sollen so ersetzt werden. leo
Der Bau von LNG-Terminals in Deutschland geht voran. Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet zurzeit an der Beschaffung von vier schwimmenden Flüssiggas-Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU), wie Andreas Kaiser, Referent im BMWK, auf den Berliner Energietagen berichtete. Das LNG-Terminal in Wilhelmshaven solle noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden, das Terminal in Brunsbüttel Anfang kommenden Jahres. “Als Standorte für die zwei weiteren LNG-Terminals kommen Stade, Rostock, Hamburg und Eemshaven in den Niederlanden in Betracht”, sagte Kaiser. Mittelfristig sollen dann auch stationäre LNG-Terminals errichtet werden.
Das Terminal in Wilhelmshaven wird vom Energiekonzern Uniper betrieben. Über die Anbindungsleitung sollen laut Angaben des Netzbetreibers Open Grid Europe (OGE) anfangs jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas transportiert werden. Durch den Anschluss an die Fernleitung NETRA ist der Transport von der Nordsee nach Süd- und Ostdeutschland möglich, wo das Gas russische Importe ersetzen soll. Später kann die Leitung auf Wasserstoff umgestellt werden, heißt es in einer Pressemitteilung von OGE.
Um den Bau von Flüssiggas-Terminals in Norddeutschland zu beschleunigen, will die Bundesregierung zudem das LNG-Beschleunigungsgesetz vorlegen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat in Abstimmung mit dem Umweltministerium eine Formulierungshilfe für ein Gesetz erstellt, über die sich die Ressorts nun abstimmen.
Als weitere Maßnahme zur Diversifizierung der Importquellen hat das Ministerium mit einem Ankaufprogramm bereits fast eine Milliarde Kubikmeter Erdgas erworben, sagte Kaiser auf den Energietagen. Bis Ende Mai sollen diese in deutsche Erdgasspeicher gefüllt werden. Aktuell seien die Speicher zu etwa einem Drittel gefüllt, es werde kontinuierlich eingespeichert. Laut Bundeswirtschaftsministerium kann bis zum Ende des Jahres durch diese Maßnahmen der Anteil der russischen Gaslieferungen auf etwa dreißig Prozent gesenkt werden. Das Ziel sei, bis zum Sommer 2024 unabhängig von russischen Gaslieferungen zu sein. leo/dpa
Obwohl angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine aktuell vermehrt auf LNG als Alternative zu russischem Gas gesetzt wird, halten die Vertreter verschiedener Thinktanks und Verbände Flüssiggas maximal für eine Teillösung. Casimir Lorenz, Ökonom bei Aurora Energy Research, stellte bei den Berliner Energietagen klar, dass die geplanten LNG-Kapazitäten in Deutschland nicht ausreichen, um kurzfristig russisches Gas zu ersetzen. Auch global seien von der Gesamtproduktionskapazität von 500 bcm nur etwa 120 bcm frei. Dies reiche nicht aus. Abschaltungen der Industrie wären die Folge eines Gasembargos.
Sommer 2024 hält Lorenz für den frühestmöglichen Zeitpunkt, um komplett unabhängig von Energielieferungen aus Russland zu sein. In der Zwischenzeit könnten Kohlekraftwerke bei der Stromproduktion helfen, den Gasverbrauch zu reduzieren, beziehungsweise die frei werdenden Kapazitäten für die Industrie zu sichern. Den Kohleausstieg 2030 würde dies nicht in Gefahr bringen, so Lorenz, da 2026 ohnehin mehr LNG zur Verfügung stünde und die Kohlekraftwerke wie geplant heruntergefahren werden könnten.
Im Zentrum der Versorgungssicherheit sollten allerdings erneuerbare Energien stehen, betont Tilman Schwencke, Leiter Politik und Strategie beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Ziele seien vor und nach dem Kriegsbeginn die gleichen: Ausbau der Erneuerbaren, Erhöhung der Effizienz und Renovierung bei Gebäuden. Geändert habe sich nur die Geschwindigkeit, mit der dies passieren muss sowie die Substituierung russischer Energielieferungen und Diversifizierung der Lieferanten.
Zu hohe Abhängigkeiten von LNG sieht er kritisch. Man sei auch nicht ganz blöd gewesen, auf russisches Erdgas zu setzen, weil LNG schmutziger und teurer sei. Zudem nehme man in den kommenden Jahren anderen Ländern LNG weg, da Qatar und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise vor 2024 ihre Produktionsmengen nicht erheblich erhöhen könnten.
Für die Zukunft der europäischen Energieversorgung mahnt Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel, dass jedes einzelne Element ersetzbar sein müsse. Das bedeutet, dass zur Energieversorgung keine neuen Abhängigkeiten geschaffen werden würden. Die Erneuerbaren sieht er dabei ebenfalls in der geeignetsten Position.
Kurzfristig muss man Russland laut Zachmann dringend klarmachen, dass man nicht abhängig von ihren Energielieferungen sei. Wie genau, ließ er offen. Auch im Hinblick auf mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sei es “politisch ein absoluter Imperativ”, sodass man der Ukraine zur Seite stünde, statt ihnen in den Rücken zu fallen. Um die Folgen für die Industrie abzufedern, fordert Zachmann “europäische Lösungen”. Deutschland könne nicht seine eigene Industrie mit subventionierter Energie versorgen, während man die Speicher der Nachbarländer leer saugt, so der Energieexperte. luk
In der laufenden Novelle der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) will sich das Bundeswirtschaftsministerium für eine stärkere Berücksichtigung von gemeinschaftlichen Ansätzen zur Wärmeversorgung einsetzen. Das kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Krischer (Grüne) am Dienstag bei den Berliner Energietagen an. In verdichteten Städten könne es kontraproduktiv sein, nur die Energieversorgung einzelner Gebäude zu betrachten. Auch bei der Novelle des deutschen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) 2023 solle der Quartiersansatz gestärkt werden.
Nach diesem Ansatz können Eigentümer derzeit die Pflichten nach dem GEG für ihre Gebäude auch dadurch erfüllen, dass sie gemeinsam Anlagen zur Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) betreiben. Die EU-Gebäuderichtlinie enthält derzeit nur den Auftrag an die Kommission, zu untersuchen, inwiefern die Staaten im Gebäudesektor auch Quartiersansätze anwenden könnten. Nach europäischem Recht muss allerdings weiter jedes einzelne Gebäude die Mindestanforderungen an die Energieeffizienz erfüllen.
Zum Problem könnte sich entwickeln, wie der Quartiersansatz mit der Notwendigkeit einer ambitionierten Reduktion des Gasverbrauchs in Einklang gebracht werden kann. Wärme und Strom erzeugende, effiziente KWK-Anlagen werden derzeit meist mit Erdgas betrieben.
Befürworter von Quartierslösungen ist der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Für die Mitgliedsunternehmen sei es verstörend, dass die EU-Gebäuderichtlinie nur einzelne Gebäude adressiere, sagte deren Präsident Axel Gedaschko. ber
Kommunen sollen künftig verbindlich eine Wärmeplanung erarbeiten. Eine entsprechende rechtliche Änderung kündigte Abteilungsleiter Christian Maaß aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am Mittwoch bei den Berliner Energietagen an. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel lediglich vereinbart, sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung einzusetzen. Für Kommunen bestimmter Größe sind Wärmepläne bereits durch ein Landesgesetz in Baden-Württemberg vorgesehen. Mit diesem Instrument wird in erster Linie der Ausbau von Fernwärmenetzen geplant oder der Umbau von bestehenden Netzen auf den Betrieb mit erneuerbaren Energien.
Zur beihilferechtlichen Genehmigung der entsprechenden Bundesförderung für effiziente Wärmenetze steht das Ministerium laut Maaß in engem Kontakt mit der EU-Kommission. Sobald Berlin die Genehmigung erhalte, werde die Förderung umgesetzt.
Der schnellere Ausbau von Wärmenetzen für erneuerbare Energien steht in Konkurrenz zur weiteren Nutzung von und Erhaltungsinvestitionen in kommunale Gasverteilnetze. Zum Teil seien diese Assets noch nicht abgeschrieben, hatte einen Tag zuvor Kerstin Andreae gemahnt, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Bundesnetzagentur (BNetzA) habe dieses Problem noch nicht adressiert, sagte Andreae. Die Energiewirtschaft brauche eine Regulierung, mit der die Abschreibung bestehender Netze und gleichzeitig die Investition in neue Infrastrukturen funktioniere. ber
heute bekommen Sie Europe.Table erstmals an einem Samstag. Der Grund: In der abgelaufenen Woche waren wir als Medienpartner bei den Berliner Energietagen dabei, einer der großen Fachkonferenzen in Deutschland. Jeden Morgen lieferte unser Redaktionsteam für Sie einen Ausblick auf die Programmhighlights und fasste die wichtigsten Ergebnisse des Vortages zusammen. Dazu gab es Analysen und Interviews. Alle unsere Artikel finden Sie in diesem Energietage-Summary.
Ich habe beleuchtet, wie die Förderung fürs Gassparen in der Industrie ins Stocken geraten ist. Kirsten Westphal von H2Global spricht im Interview über die Pläne zum Aufbau einer Wasserstoffwelt. Zum Auftakt der Energietage haben wir zudem auf einer eigenen Veranstaltung darüber diskutiert, wie die Rohstoffversorgung für klimafreundliche Technologien organisiert werden sollte, um neue Abhängigkeiten zu vermeiden.
Der Ukraine-Krieg hat unsere Energieversorgung ins Zentrum der großen Politik katapultiert. Europe.Table begleitet die Diskussionen um ein Öl- und Gasembargo gegen Russland, um den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren oder das weltweite Wettrennen um grünen Wasserstoff hautnah. Ich hoffe, unsere Berichterstattung erleichtert es Ihnen, in diesen bewegten Tagen den Überblick zu behalten.
Nach dem Stop-and-go bei Bundesmitteln für die Gebäudesanierung kann die Ampelkoalition die Nachfrage nach einem weiteren Energiesparprogramm nicht schnell genug bedienen. Fördergelder für das Programm Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft (EEW) würden vorerst nur noch für bereits bewilligte Projekte ausgezahlt. Das erklärte ein Sprecher des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) am Donnerstagabend auf Anfrage von Europe.Table. Von einem Förderstopp will die Behörde allerdings nicht sprechen.
Mit dem Programm fördern das BAFA und die KfW die Anschaffung von energieeffizienten neuen Anlagen, die Optimierung bestehender Prozesse und die Umstellung von Wärmeanwendungen in Industrie und Gewerbe auf erneuerbare Energien. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Wirtschaftsministeriums mehr als 11.000 Anträge mit einem Fördervolumen von insgesamt 567 Millionen Euro bewilligt.
Hintergrund für die aktuellen Verzögerungen sind das rasant gestiegene Interesse der Unternehmen infolge der hohen Energiekosten und die laufenden Haushaltsverhandlungen. Nach dem Regierungswechsel wurde der Bundeshaushalt für 2022 noch nicht verabschiedet. “Das Programm ‘Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft’ (EEW) befindet sich daher unter dem Vorbehalt der vorläufigen Haushaltsführung. Für das EEW-Programm werden daher vorerst nur Projekte ausgezahlt, die bereits bewilligt wurden“, teilte das BAFA Europe.Table mit.
Weiter erklärte die Behörde: “Zusätzliche Fördermittel für die Erteilung von neuen Zuwendungsbescheiden stehen bis zum In-Kraft-Treten des Bundeshaushalts nur im verringerten Umfang zur Verfügung. Von einem Förderstopp kann daher keine Rede sein.”
Offen blieb bei dieser Antwort, ob der Bundestag zusätzliche Fördermittel trotz der noch ausstehenden Verabschiedung des gesamten Haushalts bereits freigegeben hat. Am Morgen hatte der zuständige Referatsleiter im Bundeswirtschaftsministerium, Oliver Bornkamm, bei den Berliner Energietagen noch davon gesprochen, man könne erst dann wieder “einen Stempel auf die Anträge machen”, wenn der Haushaltsausschuss eine weitere sogenannte überplanmäßige Verpflichtungsermächtigung für weitere Fördermittel bewilligt habe.
Der Verband der Unternehmen, die mit Energieeffizienz ihr Geld verdienen, ist jedenfalls alarmiert. “Der Anfang der Legislaturperiode fällt äußerst ungünstig mit dem akut hohen Bedarf in allen Sektoren der Wirtschaft zusammen. Umso wichtiger ist es, dass bald der reguläre Bundeshaushalt steht”, sagt Tatjana Ruhl von der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF). Die DENEFF hatte bereits am Mittwoch bei den Berliner Energietagen kritisiert, dass die Gelder aus dem Förderprogramm derzeit vor allem in das Erstellen von Transformationskonzepten der Unternehmen flössen – aber noch nicht in Investitionen, die schnell Energie- oder Ressourceneinsparungen bringen.
Für die Wirtschaft kommt die stockende Vergabe zur Unzeit. Vor wenigen Tagen wurden Berechnungen des Forschungszentrums Jülich bekannt, wonach mehreren energieintensiven Branchen und Kraftwerken in der EU wochenlang das Gas abgestellt werden müsste, falls sich die russischen Lieferungen um zwei Drittel verringerten und die Gasspeicher bis zum Winter gefüllt werden sollen.
Manche Investitionen ins Energiesparen oder den Wechsel zu erneuerbaren Energien lohnen sich bei den aktuell hohen Gas- und Ölpreisen allerdings auch ohne Förderung. “Viele Maßnahmen, die Unternehmen früher verworfen haben, rechnen sich jetzt”, sagte Paul Fay von der Arbeitsgemeinschaft der Energieeffizienz-Netzwerke Deutschland (AGEEN) bei der Podiumsdiskussion. “Wir müssen bloß hoffen, dass die Unternehmen überleben.”
Wie existenzbedrohend die Lage für viele Betriebe ist, zeigt sich auch am Informationsbedarf. Manche Betriebe seien akut vollauf damit beschäftigt, überhaupt ihre Energielieferungen zu sichern und hätten keine Zeit für die Planung von Effizienzmaßnahmen, sagte Steffen Joest von der Initiative Energieeffizienz- und Klimaschutz-Netzwerke (IEEKN). Andere Unternehmen suchten umso stärker nach Beratung. Vorbereitet würden nun Informationen zu schnell wirksamen Optimierungen beim Energieverbrauch, für die keine größeren Investitionen nötig seien.
Das Bundeswirtschaftsministerium prüft laut Bornkamm aktuell, wie auch das EEW-Programm weiterentwickelt werden kann, um insbesondere den Gasverbrauch zu senken. Neu gefördert werden könnten demnach Tiefengeothermie, die auch erneuerbare Wärme jenseits von 100 Grad liefern kann, konzentrierende Solarthermie und mobile Wärmespeicher.
Manuel Berkel: Die Industrie möchte Milliarden in klimafreundliche Anlagen investieren und ihre Produktion auf grünen Wasserstoff umstellen. Wann wird das erste grüne Gas über H2Global nach Europa kommen?
Kirsten Westphal: Im ersten Förderfenster reden wir noch nicht über reinen Wasserstoff, sondern über Derivate – also grünen Ammoniak, Methanol und Treibstoff für Flugzeuge. Die Ausschreibungen für diese drei Lose bereitet unsere Tochtergesellschaft HINT.CO gerade vor. Im Sommer wollen wir die Auktionsverfahren starten und bis Ende des Jahres die Verträge unterzeichnen. Mit den ersten Schiffsladungen wäre dann zwischen Ende 2024 und Anfang 2025 zu rechnen.
Grüner Wasserstoff und seine Derivate spielen auch eine wichtige Rolle im REPowerEU-Plan, mit dem die Kommission Europa unabhängiger von russischen Energielieferungen machen möchte (Europe.Table berichtete). Welche Bedeutung hat H2Global als deutsches Förderinstrument für die europäischen Pläne?
Die Initiative wurde zwar von der Bundesregierung aufgesetzt, aber H2Global versteht sich nicht als rein deutsches Instrument. Als Lieferpunkt ist die Region zwischen den Häfen Antwerpen, Zeebrugge, Rotterdam und Hamburg bis nach Rostock und Duisburg als großem Binnenhafen definiert. Diese nordwesteuropäische Industrieregion ist prädestiniert. Auch die H2Global Stiftung wird immer europäischer, wenn Sie schauen, wer sich bei uns engagiert. H2Global kann ein Wegbereiter für einen europäischen Wasserstoff-Accelerator werden, wie ihn REPowerEU beschreibt.
Welche Mengen an Wasserstoff-Derivaten wird H2Global denn beschaffen können? Die Kommission will die Ziele für grünes H2 bis 2030 vervierfachen – auf 20 Millionen Tonnen pro Jahr.
Im ersten Förderfenster haben wir 900 Millionen Euro bis 2033 zur Verfügung. Damit kaufen wir die Derivate und damit ist auch die erwartbare Differenz zwischen den Gebotspreisen für die Lieferung und für die Abnahme gedeckt. Welche Mengen wir dafür bekommen können, lässt sich derzeit schwer abzuschätzen. Weltweit gibt es bisher praktisch keine Preissignale, was grünes Ammoniak kostet. H2Global kann Transparenz über die Preise von Wasserstoff-Derivaten herstellen, für die Industrie wird das ein wichtiger Mehrwert sein. Die Frage ist aber berechtigt. Große Mengen wird H2Global in der ersten Förderrunde nicht beschaffen können. Es ist zunächst ein wichtiger Pilot. Entscheidend ist, dass wir mal loslegen und Wasserstoffprojekte finden, die sich skalieren lassen. Und H2Global wird europaweit das erste Instrument sein, um die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette für grünen Wasserstoff zu erproben.
Was meinen Sie damit?
Bisher schaut man sehr stark auf die Produktion und die Abnehmer von grünem Wasserstoff und glaubt, das dazwischen wird schon irgendwie werden. Aber auch die Lieferketten sind hochkomplex: Transportmittel, Transportwege, Speicher. Die Logistik von Wasserstoff-Importen ist wegen des Krieges gegen die Ukraine noch dringlicher geworden. Wir werden eine größere Zahl unterschiedlicher Derivate schneller benötigen. H2Global schafft ein schützendes Dach, damit sich Lieferketten etablieren und Unternehmen entsprechend aufstellen können. Die Bieter müssen sich darum kümmern, dass die Logistik funktioniert. Das wird in die Gebote einfließen, deshalb werden die Ausschreibungen auch Transparenz über die Transportkosten schaffen. Ein anderer großer Faktor, der noch fehlt, ist die Regulatorik. Erst wenn der regulatorische Rahmen geklärt ist, können Unternehmen grünen Wasserstoff und seine Folgeprodukte wirklich in Wert setzen – Stichwort delegierter Rechtsakt zur RED II.
Verhandelt werden in Brüssel auch noch die Novelle der gesamten Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II und das Gaspaket (Europe.Table berichtete). Muss das alles beschlossen sein, damit Sie Ihre Wasserstoff-Derivate als “grün” zertifizieren können?
Bei den Fragen der Zertifizierung und der Anrechenbarkeit ist tatsächlich noch viel offen. Die Standards für unser erstes Förderfenster wird das Bundeswirtschaftsministerium bis zum Beginn der Auktionen definieren. Die Herausforderung wird sein, die Standards für H2Global so hoch zu setzen, dass die angekauften Produkte während der gesamten Vertragslaufzeit als grün gelten. Das gehört schon zu unseren Lessons Learned: Europas erster klimaneutraler Wasserstoff muss auch in zehn Jahren noch als grün verkauft werden können. Für H2-Pilotprojekte bräuchte es ein Grandfathering in der europäischen Regulierung.
Der Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff wird als Chance gesehen, gefährliche Abhängigkeiten aufzubrechen. Wie lässt sich die Diversifizierung der Lieferanten sicherstellen?
Der Aufbau einer Wasserstoffwelt wird eine Generationenaufgabe. Um den Markt anzureizen, werden wir übergangsweise vielleicht ähnliche Strukturen erleben wie in der Erdgaswirtschaft – große Leitungen, an deren Ende Produzenten und Abnehmer skalieren. Aber langfristig wollen wir ja nicht wieder in ähnliche Fallen tappen. Deshalb ist H2Global von Anfang an flexibel ausgelegt. Das Instrument erlaubt es, neue Förderfenster an politische Ziele anzupassen. Man schaut jetzt viel in den Mittleren Osten, nach Australien und Chile. Dort gibt es Front-Runner, die über Kapital verfügen und in den Projekten schon recht weit sind. Aber in der zweiten oder dritten Runde von Förderfenstern könnten wir zum Beispiel Europas Partnerschaft mit weiteren afrikanischen Staaten ausbauen und so diversifizieren. Ich denke sehr an Interkonnektoren nach Ägypten, von wo aus man weitere Infrastrukturverbindungen in den Kontinent schaffen könnte. Diese ließen sich mit H2Global unterlegen.
Wird H2Global so lange bestehen bleiben oder wird es schon bald in einer europäischen Plattform aufgehen (Europe.Table berichtete)?
Im Koalitionsvertrag steht bereits, dass die Bundesregierung H2Global europäisch weiterentwickeln und finanziell entsprechend ausstatten möchte. Das ist auch gut, damit sich Investoren nicht immer wieder auf unterschiedliche nationale Regeln einstellen müssen und sich die Projekte untereinander keine Konkurrenz machen. H2Global kann der EU dabei helfen, mit einem Gesicht zur Welt zu sprechen – was in der Erdgaswelt lange gefehlt hat. Wenn ich weiter vorausdenke, können wir mehrere regional definierte Lieferregionen identifizieren. Wasserstoff könnte über Triest, Barcelona, Marseille oder andere Mittelmeerhäfen nach Europa gelangen.
Vor dem Krieg galt auch die Ukraine als aussichtsreicher Partner für Wasserstoffpartnerschaften. Besteht diese Vision weiterhin?
Angesichts der erschreckenden Bilder aus der Ukraine ist es nun leider noch viel zu früh für solche Pläne. Akteure in der EU haben die Ukraine aber zurecht immer schon mitgedacht beim Aufbau einer europäischen Wasserstoffwirtschaft, so wie beim European Hydrogen Backbone und der 2×40-Gigawatt-Strategie. Langfristig bleibt es sehr sinnvoll, die Ukraine in die Wasserstoffpläne der EU einzubeziehen. Bei den Strom- und Gasnetzen sehen wir bereits, wie wichtig die Zusammenarbeit von europäischen Betreibern mit ihren ukrainischen Partnern ist. Wenn es um den Wiederaufbau geht, werden die Interkonnektoren sowohl beim Strom als auch bei Wasserstoff eine wesentliche Rolle spielen.
Jetzt sind die Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten am Zug. Die Beratungen im Kreis der EU-Botschafter haben noch am Mittwoch begonnen. Am Morgen hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das sechste Sanktionspaket gegen Russland präsentiert. Für eine Einigung im Kreis der Mitgliedstaaten könnte es bis zum Wochenende dauern. Die nötige Einstimmigkeit ist derzeit nicht garantiert.
Ungarn und die Slowakei lehnen den Vorschlag ab, obwohl die EU-Kommission den beiden Ländern deutlich längere Fristen für den Ausstieg beim russischen Öl zugesteht: “Dieses Sanktionspaket würde die Energieversorgung Ungarns völlig unmöglich machen”, sagte Ungarns Außenminister Péter Szijjártó in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Das sei keine Frage mangelnden politischen Willens. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission hätten Ungarn sowie die Slowakei bis Ende 2023 Zeit, Ersatz für Öl aus Russland zu finden.
Das sei leider viel zu wenig, so der slowakische Energieminister Karol Galek. Die Slowakei brauche mindestens bis Ende 2025, um Ersatz für das schwere Rohöl für seine Raffinerien zu finden. Die anderen EU-Staaten müssten die Lieferverträge für russisches Rohöl schon in sechs Monaten und jene für Diesel sowie Benzin bis Ende des Jahres auslaufen lassen.
Weniger kategorisch fallen die Reaktionen der Wirtschaft und wichtiger Branchenverbände aus. Dort scheint man sich schon auf das Öl-Embargo gegen Russland eingestellt zu haben. Als Branche unterstütze man das Vorhaben, bis Ende des Jahres aus russischen Öl-Importen auszusteigen, sagte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x). Bei einer Veranstaltung der Berliner Energietage betonte er, dass die Auswirkungen eines Öl-Embargos für die Raffinerien in Ostdeutschland schwerer zu verkraften seien als in Westdeutschland. Es stelle sich vor allem die Frage nach Möglichkeiten für Ersatzlieferungen für russisches Öl.
Die Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt kann laut dem Wirtschaftsverband über eine Pipeline durch den Seehafen Danzig versorgt werden, wenn auch in geringerem Umfang. Die Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, die bislang mit russischem Öl durch den Staatskonzern Rosneft beliefert wurde, könnte übergangsweise ebenfalls via Pipeline aus Rostock beliefert werden. Allerdings müsste auch in Schwedt auf Teillast umgestellt werden, da der Lieferumfang aus Rostock nicht die ausfallenden Rosneft-Lieferungen kompensieren könnte.
In Summe würden in den ostdeutschen Regionen Mineralprodukte fehlen, mahnt der Verband. Diese müssten durch Transporte innerhalb Deutschlands und Importe aus dem Ausland ersetzt werden. Übergangsweise könne man mit der Situation umgehen, da Rohölprodukte auf Vorrat bereitstünden. Gemeinsam mit der Teillast der beiden Raffinerien könne der Tankstellenbetrieb aufrechterhalten werden. Allerdings nur erheblicher Belastung der Transportwege, insbesondere der Binnenschifffahrt.
Ähnlich verhalten die Reaktion des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI): “Es gilt das Primat der Politik, wir haben mit diesem Schritt gerechnet.” Dank eines Kraftaktes von Politik und Wirtschaft in den vergangenen Wochen scheine die Versorgung über alternative Bezugsquellen gesichert. Sorgen macht man sich in der Branche aber über die zu erwartenden weiteren Preisanstiege für Rohöl und generell die Rohstoffpreise. Die Wettbewerbsfähigkeit der Branche werde damit mehr und mehr belastet, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. Der Verband betont, dass ein Lieferstopp für Erdgas ein deutlich gravierenderes Problem darstellen würde.
Wie immer bei Sanktionen bestehe das Risiko, dass es zu Umleitungen komme, sagt Katsiaryna Kliuyeva von European Shippers Council (ESC). Russland werde andere Abnehmer für sein Öl finden. Moskau gegenüber weniger kritische Länder wie Indien oder China seien logische Destinationen. Wladimir Putin könnte auch versuchen, russisches Öl billiger an ärmere Länder zu verkaufen. Unter der Bedingung, dass sich diese Länder nicht an westlichen Sanktionen beteiligen. Allerdings geht das Sanktionspaket beim Öl über ein reines Importverbot hinaus. Auch Versicherer, Konsulenten und andere Dienstleister im Ölhandel sind im Visier. So könnte es für Reedereien schwierig werden, ihre Tanker zu versichern, wenn sie russisches Öl transportieren.
Damit wäre möglicherweise auch eine andere Gefahr gebannt, vor der Experten im Vorfeld gewarnt haben. Dass nämlich Putin dank steigender Preise vom Öl-Embargo indirekt noch profitieren könnte. Russland könnte zwar nach dem Ausstieg der Europäer weniger verkaufen, aber für die geringeren Mengen mehr Geld bekommen. Auch die Brüsseler Denkfabrik Bruegel hatte unter anderem mit diesem Argument vor einem schrittweisen Ausstieg gewarnt und für Preisobergrenzen oder Abgaben plädiert.
Tatsächlich hat der Markt das Öl-Embargo gegen Russland mit steigenden Preisen teilweise schon vorweggenommen. Der russische Haushalt dürfte durch den hohen Ölpreis in diesem Jahr mehr an Steuern einnehmen als 2021, sagte Jacopo Pepe von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Mittelfristig würden Russland aber die Einnahmen aus Europa fehlen. Die große Frage werde sein, wie schnell Moskau andere Abnehmer finden werde.
Das Sanktionspaket dürfte bis zur Verabschiedung durch die EU-Botschafter noch einige Veränderungen erfahren. Sowohl das Öl-Embargo an sich als auch der geordnete Ausstieg bleiben umstritten. Christian Egenhofer von der Brüsseler Denkfabrik Ceps hält das Embargo überhaupt für Symbolpolitik. Was Putin wirklich treffen würde, sei ein Gasembargo. Denn Gas könne nicht einfach umgeleitet werden. Beobachter schließen allerdings nicht aus, dass Putin nun als Reaktion auf das Öl-Embargo nach dem Gasstopp für Bulgarien und Polen auch anderen EU-Staaten den Hahn zudreht.
Doch während es Ungarn und der Slowakei beim Öl zu schnell geht, hatten die baltischen Länder und Polen auf einen sofortigen Ausstieg gedrängt. Ursula von der Leyen versuchte deshalb den schwierigen Balanceakt: Es gehe darum, den Druck auf Russland zu maximieren und den Kollateralschaden für die EU und ihre Partner zu minimieren. Am Ende spielt auch der öffentliche Druck eine Rolle. So ist es schwer verständlich, dass Europa nach wie vor indirekt Putins Krieg mitfinanziert. Mit Lukas Scheid und Ella Joyner
Lithium, Magnesium, Seltene Erden: Europa ist bei wichtigen Rohstoffen für die Energiewende stark abhängig von Importen. Chinesische Unternehmen dominieren etwa viele Produktionsstufen von Fotovoltaikanlagen, auch wichtige Bestandteile von Windrädern oder Elektroautos bezieht die EU fast vollständig aus China.
Politik und Industrie sind sich einig: Das soll sich ändern. Europa muss resilienter sein als bisher, um globalen Schocks wie der Coronapandemie und dem Krieg in der Ukraine standzuhalten. Auch über die Lösungsansätze besteht zumindest im Grundsatz weitgehend Einigkeit. Die Importquellen von Rohmaterialien müssen vielfältiger werden, die heimische Förderung soll wieder gestärkt, Reserven für kritische Rohstoffe angelegt werden.
“Wir müssen zumindest in Teilen die Weiterverarbeitung von Rohstoffen wieder in Europa ermöglichen“, sagte Matthias Wachter, Abteilungsleiter für Rohstoffe beim BDI, gestern auf einer Veranstaltung von Europe.Table auf den Berliner Energietagen. Diese Prozesse sind energieintensiv und belasten die Umwelt – mit Importen aus anderen Ländern umging Europa diese Probleme in den vergangenen Jahren immer mehr. Sollen Unternehmen in Europa wieder verstärkt Rohstoffe produzieren, so müssten diese Kosten bedacht und die Rahmenbedingungen verändert werden, so Wachter. “Flächen werden oft so überplant, dass heimische Förderung gar nicht mehr möglich ist. Und politisch ist sie bisher nicht gewollt.”
Kerstin Jorna, Generaldirektorin für Binnenmarkt und Industrie in der Europäischen Kommission, fordert eine stärkere Beteiligung der Industrie. Die European Raw Materials Alliance (ERMA) versuche etwa, einen Business Case für Veredelung und Recycling Seltener Erden in Europa zu erstellen. “Im Moment kommt sie aber nicht voran, weil sich die Industrie sehr bedeckt hält”, sagte Jorna.
Solange nicht sicher sei, dass die Abnehmer Preise für nach europäischen Standards geförderte Rohstoffe zu zahlen bereit seien, hätten die Produzenten nicht die nötige Investitionssicherheit – und die Regierungen bräuchten sich nicht zu engagieren. “Es kann nicht sein, dass die Industrie die Absatzmöglichkeiten hat und das Versorgungsrisiko durch die Regierung abgedeckt wird”, so Jorna. “Wir müssen in beidem zusammenarbeiten.”
Matthias Wachter vom BDI hält dagegen: “Die Unternehmen sind bereit, höhere Preise zu zahlen, wenn damit eine langfristige Versorgungssicherheit sichergestellt ist – aber auch keine unendlich hohen Preise.” Das Problem sei, dass Hütten und Schmelzen in Europa deutlich höhere Energiepreise zahlen müssten als in anderen Ländern. Er brachte Sondertarife für die Versorgung dieser sehr energieintensiven Anlagen ins Spiel.
Jorna entgegnete, statt solcher Einzelmaßnahmen sei ein umfassender Ansatz geboten. Dazu gehörten Partnerschaften mit anderen Staaten. So sei die Kommission im Rahmen des Trade and Technology Council (TTC) mit den USA im Gespräch über eine strategische Zusammenarbeit in der Rohstoffpolitik.
Konkret gehe es um einen Informationsaustausch über neue Bergbauvorhaben, sagte Jorna. “So können wir auch zusammen ein Angebot machen, das besser ist als das schnelle Angebot aus China.” Die EU wolle im Planungs- und Erschließungsprozess, in der Ausbildung von Arbeitnehmer:innen vor Ort und im Technologietransfer mit Gleichgesinnten zusammenarbeiten. “Dafür müssen wir nun mit unseren Unternehmen sprechen, wie weit sie bereit sind, einzusteigen”, so Jorna. “Es geht nicht darum, alles in Europa zu machen. Aber wo wir können, sollten wir das tun.”
Henrike Hahn, Schattenberichterstatterin der Grünen/EFA zur europäischen Rohstoffstrategie, fordert eine akkurate Bedarfsberechnung für Rohstoffe. Laut einer Studie des Öko-Instituts seien für die grüne Transformation viel weniger Rohstoffe notwendig als angenommen, sagte sie bei der Veranstaltung. “Die Unternehmen kennen ihren Bedarf an Rohmaterialien wesentlich genauer als die Politik”, sagte Hahn. “Die Kommission muss professioneller werden, was die Kalkulation betrifft. Nur so können wir seitens der Politik ordentliche Strukturen schaffen.”
Für Erdgas und Erdöl garantieren strategische Reserven in der EU im Notfall zumindest einige Wochen lang die Energieversorgung. Würden jedoch die Importe etwa von Seltenen Erden aus China unterbrochen, dann gibt es keine Vorräte – mit unmittelbaren Folgen für die gesamte Wirtschaft. Der Europäische Rat schlug deshalb im März eine strategische Vorratshaltung vor. Laut Matthias Wachter vom BDI sollte diese allerdings nicht auf politischer Ebene erfolgen. “Wir schlagen eine Lagerhaltung auf Ebene der Unternehmen vor. Dazu müssen steuerliche Anreize gesetzt und die bilanzielle Benachteiligung von Lagerhaltung aufgelöst werden.”
Auf einer Diskussion im Rahmen der Berliner Energietage haben Expert:innen aus Forschung, Politik und Wirtschaft internationale Standards für einen nachhaltigen Wasserstoffhandel gefordert. Es reiche nicht aus, deutsche oder europäische Kriterien festzulegen, hieß es auf der Veranstaltung am Freitag.
Ist Deutschland im Jahr 2045 klimaneutral, so eine Berechnung des Forschungszentrum Jülich, wird es einen jährlichen Bedarf an Wasserstoff von etwa 400 Terrawattstunden haben. “Die Hälfte davon wird dann importiert, per Pipeline oder per Schiff”, erklärte Heidi Heinrichs vom Forschungszentrum auf den Energietagen. Drei Kriterien seien dabei ausschlaggebend: Die Importe müssen treibhausgasneutral sein (also auch die Transportoptionen, was derzeit im Schifftransport noch schwierig sei), sicher (also aus einer Vielzahl politisch stabiler Länder) und fair (die Exportländer müssen auch profitieren).
Um Standards festzulegen, eigne sich eine internationale Plattform. “Wir brauchen ein globales Regelwerk und die Zertifizierung von Erzeugung, Transport und Handel“, sagte Elisabeth Taher, Referentin im Bundeswirtschaftsministerium. “Das wird letzten Endes den Preis von grünem Wasserstoff bestimmen. Je klarer die Spielregeln sind, desto besser.”
Die derzeitige G7-Präsidentschaft Deutschlands sei eine wertvolle Chance, Standards für den Wasserstoffhandel zu initiieren, sagte Heino von Meyer vom PtX Hub der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). “Wer die Standards setzt, beherrscht später auch den Markt.” Auch Christoph Reißfelder, Manager Energie- und Klimapolitik des Werkstoffherstellers Covestro, sprach sich für einen grenzüberschreitenden Ansatz aus. “Es ist niemandem geholfen, wenn wir als Deutsche oder Europäer Standards festlegen, die von anderen, globalen Konkurrenten unterlaufen werden”, sagte er. Wir sollten lieber daran arbeiten, mit Erzeugerländern, Nutzerländern und der Privatwirtschaft allgemein verbindliche und akzeptierte Standards festzulegen.” Als mögliche Institutionen nannte er OECD, G7, G20 und die Internationale Energieagentur (IEA).
Viele Expert:innen waren optimistisch angesichts der Vielzahl an Initiativen zur Zertifizierung, betonten jedoch, dass eine Harmonisierung wichtig sei. “Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht zu viele parallele Stränge gibt”, sagte Taher. Alle Projekte liefen in eine ähnliche Richtung, es gehe nur noch um eine Feinjustierung, betonte auch Reißfelder.
Bei einem Treffen mit Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Donnerstag hatten sich die europäischen Elektrolyseur-Hersteller verpflichtet, ihre Produktionskapazitäten für Elektrolyseure bis 2025 zu verzehnfachen – auf eine Kapazität von 17,5 Gigawatt im Jahr. So soll das Ziel der REPowerEU-Mitteilung von März 2022 erreicht werden: eine jährliche EU-Produktion von zehn Millionen Tonnen erneuerbarem Wasserstoff bis 2030. leo
Europäische Schlüsselindustrien werden nach Experteneinschätzung erst nach 2030 in ausreichendem Umfang mit Wasserstoff und seinen Derivaten versorgt werden können. Schon eine gesicherte Belieferung der deutschen Stahlindustrie werde bis 2030 auch durch Importe voraussichtlich nicht sichergestellt werden können, sagte Maike Schmidt vom Zentrum für Sonnenergie- und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg (ZSW) am Montag bei den Berliner Energietagen. “Ich glaube eher, dass kleinere Wasserstoffanwendungen im Inland wachsen werden”, sagte die Wissenschaftlerin.
Um den Wasserstoffbedarf aller Sektoren in Deutschland bis 2030 zu decken, sind nach einer Metaanalyse der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) 50 bis 250 Terrawattstunden (TWh) Wasserstoff nötig. Dafür würden Elektrolyseure mit 17 bis 90 Gigawatt (GW) benötigt. Bis Mitte der 2030er-Jahre seien allerdings in Deutschland bisher nur Erzeugungsanlagen mit 4 GW angekündigt, sagte Acatech-Wissenschaftlerin Andrea Lübcke. Die Bundesregierung verfolgt für 2030 das Ziel von 10 GW Elektrolyseleistung.
Selbst wenn es ausreichend Erzeugungskapazitäten geben sollte, ist die Verteilung innerhalb Europas über Schiffe, Lkw oder Leitungen eine weitere ungelöste Aufgabe. “Damit es nicht zu einer Abkopplung einzelner Regionen kommt, ist eine Herausforderung, eine gleichzeitige Entwicklung in Europa hinzubekommen”, sagte Kirsten Westphal, Vorstand des Importprojekts H2Global der Bundesregierung und Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat.
Um die Technologieentwicklung zu beschleunigen, rieten mehrere Experten von zu strengen Nachhaltigkeitsanforderungen ab. Eine erste Phase mit niedrigeren Anforderungen und einer schrittweisen Verschärfung sei ein diskussionswürdiger Ansatz, sagte Schmidt. Japan und Südkorea würden bei der Beschaffung keine strengen Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Wasserstofferzeugung stellen, berichtete Christoph Stemmler von acatech.
Eine wichtige technische Begrenzung ist beispielsweise die kontinuierliche Auslastung von Elektrolyseuren und Syntheseanlagen zur Herstellung von Wasserstoff und seinen Derivaten. Allein mit fluktuierenden erneuerbaren Energien lässt sie sich kaum gewährleisten. Würde man für Versorgungslücken weiteren grünen Wasserstoff zur Rückverstromung vorhalten, müssten Schmidt zufolge deutlich größere Elektrolyseleistungen und sehr große Wasserstoffspeicher an den Erzeugungsstandorten eingeplant werden. Bei den derzeitigen Kosten sei dies aber unwirtschaftlich. ber
Der Wandel weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien werde sich beschleunigen, prognostizierte Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer beim Wirtschaftsverband Fuels und Energie (en2x), bei den Berliner Energietagen. Aber man müsse auf dem Weg dorthin technologieoffen agieren, forderte er die Politik auf. Die eine Lösung gebe es nicht, es brauche vielmehr eine Vielzahl von Angeboten alternativer Flüssigkraftstoffe: von fortschrittlichen Biokraftstoffen ohne Nahrungskonkurrenz über synthetische Kraftstoffe bis hin zu Wasserstoff.
Ob man beispielsweise in Leuna, eine der beiden Ölraffinerien in Ostdeutschland, künftig sogenannte E-Fuels auf Wasserstoff-Basis herstellen kann, hänge von der EU-Definition von grünem Wasserstoff ab, sagte Thomas Behrends, der Geschäftsführer der Leuna-Raffinerie. Er schickt damit eine klare Forderung nach Brüssel, der Mineralölindustrie die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Transformation zu geben.
Bei der Überarbeitung der Renewable Energy Directive (RED III) erhofft sich die Branche in dieser Hinsicht endlich Klarheit. Denn solange nicht geklärt ist, welche Technologien später auch als “grün” gelten, kann die Hochskalierung nicht starten. In Leuna hofft man auf eine möglichst breite Begriffsdefinition. Denn, so Behrends, man baue bestehende Anlagen bereits um, um mit grünem Wasserstoff synthetische Kraftstoffe beispielsweise für den Einsatz in Flugzeugtanks herzustellen.
Damit sogenannte Sustainable Aviation Fuels (SAF) allerdings marktreif und preislich konkurrenzfähig werden (Europe.Table berichtete), müsse man aus Demonstrationsmaßstäben endlich in die industrielle Produktion kommen, fordert Melanie Form. Sie sitzt im Vorstand der Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany (AIREG), einer NGO, die sich für den Hochlauf von SAF einsetzt.
Derzeit kosten SAF noch das Zwei- bis Sechsfache, verglichen mit herkömmlichem fossilen Kerosin. Aber: Gelingt der Markthochlauf, sinken auch die Preise, so die Idee. Das hat auch die Politik eingesehen. Bernd Westphal, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft, kündigte an, alle Potenziale nutzen zu wollen, um aus der Pilotphase herauszukommen und den Hochlauf zu schaffen. Beim Luftverkehr sei die Zahlungsbereitschaft für teurere, aber grüne Kraftstoffe ohnehin vorhanden. Melanie Form glaubt, dass auch Passagiere für mehr Klimaschutz zahlen würden, so wie sie es beim Heizen von Gebäuden bereits tun. luk
Mit Blick auf die Diversifizierung von Energiequellen hat der Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) einen stärkeren Einsatz von Biomethan für die Wärmewende und den Ausbau internationaler Lieferketten vorgeschlagen. Die Erzeugung und Veredelung von Biogas sei bislang zu sehr auf Deutschland begrenzt, sagte Markus Staudt, Hauptgeschäftsführer des BDH, auf den Berliner Energietagen. Für einen Markthochlauf von Biomethan würden noch größere Produktionspotenziale im europäischen und außereuropäischen Ausland benötigt.
“Biomethan kann heute ohne technische Restriktionen zu hundert Prozent in jeder Gasheizung eingesetzt werden”, erklärte Staudt. Nur bestehe bisher im Wärmemarkt noch keine Anerkennung in der Regulatorik für den Bestandsbau. Nach der jetzigen Gesetzeslage werde Biomethan lediglich für Neubauten als Erfüllungsoption für die Nutzung erneuerbarer Energien anerkannt. Haushalte in Bestandsgebäuden hätten deshalb mit einem Biomethan-Tarif keinerlei Vorteil. Die Anerkennung von Biomethan als Erfüllungsoption für die Nutzung erneuerbarer Energien zum Heizen, wie sie bereits in Baden-Württemberg besteht, wünscht sich der BDH für ganz Deutschland.
Laut einer Analyse der Deutschen Energie-Agentur (dena) ist der internationale Handel mit Biomethan in den vergangenen Jahren bereits gewachsen. Besonders in Europa habe er sich sehr dynamisch entwickelt. Deutschland importierte im Jahr 2020 Biomethan vor allem aus Dänemark (178 Gigawattstunden), kleinere Mengen aus Großbritannien, den Niederlanden und Ungarn. Auch 2021 haben sich die Importe positiv entwickelt, erklärte die dena gegenüber Europe.Table. Die Exporte seien konstant geblieben, Hauptabnehmer von deutschem Biomethan sei die Schweiz.
Die Bundesregierung will als Teil ihres Osterpakets das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ändern, um Energie aus Biomasse in Situationen mit besonders hohem Energiebedarf einzusetzen. Auch die EU will im Rahmen der REPowerEU-Pläne die Erzeugung von Biogas in den Mitgliedstaaten bis 2030 verdoppeln (Europe.Table berichtete). Die Europäische Kommission formulierte Anfang März in einer Mitteilung das Ziel von 35 Milliarden Kubikmetern Biogas bis 2030 und forderte die Mitgliedsstaaten auf, Strategien für erneuerbare Gase zu beschließen. 20 Prozent der Erdgasimporte aus Russland sollen so ersetzt werden. leo
Der Bau von LNG-Terminals in Deutschland geht voran. Das Bundeswirtschaftsministerium arbeitet zurzeit an der Beschaffung von vier schwimmenden Flüssiggas-Terminals (Floating Storage and Regasification Units, FSRU), wie Andreas Kaiser, Referent im BMWK, auf den Berliner Energietagen berichtete. Das LNG-Terminal in Wilhelmshaven solle noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden, das Terminal in Brunsbüttel Anfang kommenden Jahres. “Als Standorte für die zwei weiteren LNG-Terminals kommen Stade, Rostock, Hamburg und Eemshaven in den Niederlanden in Betracht”, sagte Kaiser. Mittelfristig sollen dann auch stationäre LNG-Terminals errichtet werden.
Das Terminal in Wilhelmshaven wird vom Energiekonzern Uniper betrieben. Über die Anbindungsleitung sollen laut Angaben des Netzbetreibers Open Grid Europe (OGE) anfangs jährlich zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas transportiert werden. Durch den Anschluss an die Fernleitung NETRA ist der Transport von der Nordsee nach Süd- und Ostdeutschland möglich, wo das Gas russische Importe ersetzen soll. Später kann die Leitung auf Wasserstoff umgestellt werden, heißt es in einer Pressemitteilung von OGE.
Um den Bau von Flüssiggas-Terminals in Norddeutschland zu beschleunigen, will die Bundesregierung zudem das LNG-Beschleunigungsgesetz vorlegen. Das Bundeswirtschaftsministerium hat in Abstimmung mit dem Umweltministerium eine Formulierungshilfe für ein Gesetz erstellt, über die sich die Ressorts nun abstimmen.
Als weitere Maßnahme zur Diversifizierung der Importquellen hat das Ministerium mit einem Ankaufprogramm bereits fast eine Milliarde Kubikmeter Erdgas erworben, sagte Kaiser auf den Energietagen. Bis Ende Mai sollen diese in deutsche Erdgasspeicher gefüllt werden. Aktuell seien die Speicher zu etwa einem Drittel gefüllt, es werde kontinuierlich eingespeichert. Laut Bundeswirtschaftsministerium kann bis zum Ende des Jahres durch diese Maßnahmen der Anteil der russischen Gaslieferungen auf etwa dreißig Prozent gesenkt werden. Das Ziel sei, bis zum Sommer 2024 unabhängig von russischen Gaslieferungen zu sein. leo/dpa
Obwohl angesichts des russischen Angriffskrieges in der Ukraine aktuell vermehrt auf LNG als Alternative zu russischem Gas gesetzt wird, halten die Vertreter verschiedener Thinktanks und Verbände Flüssiggas maximal für eine Teillösung. Casimir Lorenz, Ökonom bei Aurora Energy Research, stellte bei den Berliner Energietagen klar, dass die geplanten LNG-Kapazitäten in Deutschland nicht ausreichen, um kurzfristig russisches Gas zu ersetzen. Auch global seien von der Gesamtproduktionskapazität von 500 bcm nur etwa 120 bcm frei. Dies reiche nicht aus. Abschaltungen der Industrie wären die Folge eines Gasembargos.
Sommer 2024 hält Lorenz für den frühestmöglichen Zeitpunkt, um komplett unabhängig von Energielieferungen aus Russland zu sein. In der Zwischenzeit könnten Kohlekraftwerke bei der Stromproduktion helfen, den Gasverbrauch zu reduzieren, beziehungsweise die frei werdenden Kapazitäten für die Industrie zu sichern. Den Kohleausstieg 2030 würde dies nicht in Gefahr bringen, so Lorenz, da 2026 ohnehin mehr LNG zur Verfügung stünde und die Kohlekraftwerke wie geplant heruntergefahren werden könnten.
Im Zentrum der Versorgungssicherheit sollten allerdings erneuerbare Energien stehen, betont Tilman Schwencke, Leiter Politik und Strategie beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Ziele seien vor und nach dem Kriegsbeginn die gleichen: Ausbau der Erneuerbaren, Erhöhung der Effizienz und Renovierung bei Gebäuden. Geändert habe sich nur die Geschwindigkeit, mit der dies passieren muss sowie die Substituierung russischer Energielieferungen und Diversifizierung der Lieferanten.
Zu hohe Abhängigkeiten von LNG sieht er kritisch. Man sei auch nicht ganz blöd gewesen, auf russisches Erdgas zu setzen, weil LNG schmutziger und teurer sei. Zudem nehme man in den kommenden Jahren anderen Ländern LNG weg, da Qatar und die Vereinigten Arabischen Emirate beispielsweise vor 2024 ihre Produktionsmengen nicht erheblich erhöhen könnten.
Für die Zukunft der europäischen Energieversorgung mahnt Georg Zachmann vom Brüsseler Thinktank Bruegel, dass jedes einzelne Element ersetzbar sein müsse. Das bedeutet, dass zur Energieversorgung keine neuen Abhängigkeiten geschaffen werden würden. Die Erneuerbaren sieht er dabei ebenfalls in der geeignetsten Position.
Kurzfristig muss man Russland laut Zachmann dringend klarmachen, dass man nicht abhängig von ihren Energielieferungen sei. Wie genau, ließ er offen. Auch im Hinblick auf mögliche Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sei es “politisch ein absoluter Imperativ”, sodass man der Ukraine zur Seite stünde, statt ihnen in den Rücken zu fallen. Um die Folgen für die Industrie abzufedern, fordert Zachmann “europäische Lösungen”. Deutschland könne nicht seine eigene Industrie mit subventionierter Energie versorgen, während man die Speicher der Nachbarländer leer saugt, so der Energieexperte. luk
In der laufenden Novelle der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD) will sich das Bundeswirtschaftsministerium für eine stärkere Berücksichtigung von gemeinschaftlichen Ansätzen zur Wärmeversorgung einsetzen. Das kündigte der Parlamentarische Staatssekretär Oliver Krischer (Grüne) am Dienstag bei den Berliner Energietagen an. In verdichteten Städten könne es kontraproduktiv sein, nur die Energieversorgung einzelner Gebäude zu betrachten. Auch bei der Novelle des deutschen Gebäudeenergiegesetzes (GEG) 2023 solle der Quartiersansatz gestärkt werden.
Nach diesem Ansatz können Eigentümer derzeit die Pflichten nach dem GEG für ihre Gebäude auch dadurch erfüllen, dass sie gemeinsam Anlagen zur Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) betreiben. Die EU-Gebäuderichtlinie enthält derzeit nur den Auftrag an die Kommission, zu untersuchen, inwiefern die Staaten im Gebäudesektor auch Quartiersansätze anwenden könnten. Nach europäischem Recht muss allerdings weiter jedes einzelne Gebäude die Mindestanforderungen an die Energieeffizienz erfüllen.
Zum Problem könnte sich entwickeln, wie der Quartiersansatz mit der Notwendigkeit einer ambitionierten Reduktion des Gasverbrauchs in Einklang gebracht werden kann. Wärme und Strom erzeugende, effiziente KWK-Anlagen werden derzeit meist mit Erdgas betrieben.
Befürworter von Quartierslösungen ist der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW). Für die Mitgliedsunternehmen sei es verstörend, dass die EU-Gebäuderichtlinie nur einzelne Gebäude adressiere, sagte deren Präsident Axel Gedaschko. ber
Kommunen sollen künftig verbindlich eine Wärmeplanung erarbeiten. Eine entsprechende rechtliche Änderung kündigte Abteilungsleiter Christian Maaß aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) am Mittwoch bei den Berliner Energietagen an. Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel lediglich vereinbart, sich für eine flächendeckende kommunale Wärmeplanung einzusetzen. Für Kommunen bestimmter Größe sind Wärmepläne bereits durch ein Landesgesetz in Baden-Württemberg vorgesehen. Mit diesem Instrument wird in erster Linie der Ausbau von Fernwärmenetzen geplant oder der Umbau von bestehenden Netzen auf den Betrieb mit erneuerbaren Energien.
Zur beihilferechtlichen Genehmigung der entsprechenden Bundesförderung für effiziente Wärmenetze steht das Ministerium laut Maaß in engem Kontakt mit der EU-Kommission. Sobald Berlin die Genehmigung erhalte, werde die Förderung umgesetzt.
Der schnellere Ausbau von Wärmenetzen für erneuerbare Energien steht in Konkurrenz zur weiteren Nutzung von und Erhaltungsinvestitionen in kommunale Gasverteilnetze. Zum Teil seien diese Assets noch nicht abgeschrieben, hatte einen Tag zuvor Kerstin Andreae gemahnt, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Die Bundesnetzagentur (BNetzA) habe dieses Problem noch nicht adressiert, sagte Andreae. Die Energiewirtschaft brauche eine Regulierung, mit der die Abschreibung bestehender Netze und gleichzeitig die Investition in neue Infrastrukturen funktioniere. ber