es waren deutliche Worte, die die Regierungschefs Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Mario Draghi und Klaus Iohannis auf ihrer Reise gestern nach Kiew im Gepäck hatten: Sie werden den sofortigen Kandidatenstatus der Ukraine zum Beitritt in die EU unterstützen. In der deutschen Bevölkerung sieht das Bild allerdings anders aus, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt. Till Hoppe hat die Details.
Es ist nicht nur ein Krieg mit Waffen, den Russland gegen die Ukraine führt, sondern auch mit Falschinformationen und Propaganda. Um Fake-News im Netz, aber auch offline, besser begegnen zu können, hat die EU-Kommission den bereits 2018 eingeführten “Code of Practice on Disinformation” überarbeitet. Der Verhaltenskodex enthält deutlich mehr Verpflichtungen für die Unterzeichner, bleibt aber nach wie vor freiwillig, schreibt Torsten Kleinz.
Frankreich wählt am Sonntag, es ist die zweite Runde der Parlamentswahlen. Nichts ist sicher, auch nicht der Posten von Clément Beaune, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten von Frankreich. Seine Hauptaufgabe ist es derzeit, die Französische Ratspräsidentschaft erfolgreich zu Ende zu führen. In ihrer Kolumne blickt Claire Stam auch auf die anderen Kandidaten und ihre Chance.
Apropos Französische Ratspräsidentschaft: Der turnusmäßige Wechsel steht in zwei Wochen an, und Susi Dennison zieht im Standpunkt ein erstes Fazit. Vor allem beim Thema Klimaschutz hat Emmanuel Macron viel versprochen, aber nicht alles erreicht, findet sie.
Es war eine Botschaft, die der ukrainische Präsident in dieser Deutlichkeit kaum erwartet haben dürfte: “Wir vier unterstützen den sofortigen Kandidatenstatus”, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dem Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj, für das er gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Italiens Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis nach Kiew gereist war. Selenskyj reagierte entsprechend erfreut: Der EU-Kandidatenstatus könne “eine historische Entscheidung für Europa sein”.
Der ukrainische Präsident drängt die EU-Staaten seit längerem, sein Land beim anstehenden EU-Gipfel kommenden Donnerstag zum Beitrittskandidaten zu machen. Dass ausgerechnet Macron sein Anliegen so deutlich unterstützen würde, hatte sich vorher nicht abgezeichnet. Der französische Präsident galt als Kritiker einer EU-Erweiterung und hatte die Regierung in Kiew mit Ideen für alternative Konstruktionen geärgert (Europe.Table berichtete). Mit der nun gemachten Ankündigung handele es sich “tatsächlich um eine historische Reise für Europa”, sagt Nicolai von Ondarza, Forschungsgruppenleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Allerdings: Das klare Votum der vier Staats- und Regierungschefs bedeutet noch nicht, dass alle Mitgliedstaaten mitziehen. Noch gibt es die nötige Einstimmigkeit nicht, unter anderem die Niederlande, Dänemark und Portugal haben Bedenken angemeldet. Scholz weiß das und formulierte zurückhaltender als Macron: “Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine”, sagte er. Das gelte auch für die Republik Moldau. Aber dafür brauche es einen einstimmigen Entschluss beim Gipfel.
Macrons Äußerungen würden darauf hinauslaufen, die Ukraine unmittelbar zum Beitrittskandidaten zu machen, und dies nicht zunächst an Bedingungen zu knüpfen. Die müsste Kiew erst vor dem nächsten Schritt im Verfahren erfüllen, der Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen. Die Einzelheiten soll laut Macron ein “Fahrplan” regeln. Selenskyj müsste sich damit, anders als etwa Bosnien-Herzegowina, nicht zunächst mit dem Status des “potenziellen Beitrittskandidaten” begnügen.
Scholz unterstützt den sofortigen Kandidatenstatus ebenfalls. Er pocht aber auf strikte Konditionen im weiteren Verfahren. “Für den Beitritt zur Europäischen Union gelten klare Kriterien, die von allen Kandidaten erfüllt werden müssen”, sagte er. Der Kanzler hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, es dürfe “keine Rabatte” geben. Dieser Grundsatz müsse von Anfang an gelten, hieß es gestern in Berlin.
In der Bundesregierung wird deshalb den Stellungnahmen der EU-Kommission große Bedeutung beigemessen, die Ursula von der Leyen heute Mittag vorstellen wird. In ihren analysiert die Brüsseler Behörde den Zustand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ebenso wie wirtschaftliche Faktoren in der Ukraine, Moldau und Georgien. Und sie spricht Empfehlungen aus, ob und unter welchen Konditionen die drei Länder eine Beitrittsperspektive erhalten sollen. Laut Medienbericht dürfte die Kommission dabei für die Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus empfehlen, mit nachgelagerten Bedingungen. Georgien müsste demnach zunächst die Konditionen erfüllen, bevor es Kandidat wird.
Berlin erhofft sich klare Bedingungen, auch für die Ukraine. In der deutschen Bevölkerung gibt es ebenfalls noch erhebliche Vorbehalte, wie eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Table.Media zeigt. Demnach findet sich derzeit keine Mehrheit dafür, die Ukraine und Moldau bereits jetzt zu Beitrittskandidaten zu machen. Lediglich die Grünen-Anhänger befürworten dies mit großer Mehrheit.
Bei Georgien sind die Vorbehalte in der Politik noch größer. Für die Beitrittsperspektive des Landes machte sich in Kiew vor allem Iohannis stark. “Der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nächste Woche beim Europäischen Rat einen EU-Kandidatenstatus zu garantieren, ist wesentlich dafür, ein starkes und dauerhaftes Schild um unsere Werte herum zu bauen”, sagte der rumänische Präsident.
Scholz hingegen mahnte erneut an, die EU müsse gegenüber den Westbalkan-Staaten ihre Zusagen einhalten. Dies betrifft die ausstehende Entscheidung über den Beginn der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien (Europe.Table berichtete), der bislang von Bulgarien blockiert wird. “Es ist eine Frage der europäischen Glaubwürdigkeit, dass wir gegenüber den Staaten des westlichen Balkan, die sich seit Jahren schon auf diesem Weg befinden, nun endlich unser Versprechen einlösen, jetzt und konkret”, sagte der SPD-Politiker. Auch Draghi forderte ein Umdenken ein. “Wir wissen alle, dass das eine historische Entwicklung ist für Europa, die tiefgreifende Überlegungen verlangt”, sagte er.
Das gilt allerdings auch für die Europäische Union selbst. “Die EU muss sich auf diese Entwicklung vorbereiten und ihre Strukturen und Verfahren modernisieren“, mahnte Scholz. Auch darüber soll beim Gipfel nächste Woche gesprochen werden, die Vorschläge der Zukunftskonferenz bieten dafür einige Anregungen, etwa zur Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Außenpolitik (Europe.Table berichtete). Das Europaparlament hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, einen Konvent einzuberufen, um über Reformen und mögliche Änderungen der EU-Verträge zu beraten.
SWP-Experte Ondarza hält die Bedenken für gerechtfertigt, dass die EU ohne tiefgreifende Reformen nicht bereit ist für eine erneute Erweiterung. “Mit 30 Mitgliedstaaten oder mehr wäre die Gemeinschaft bei den heutigen Entscheidungsstrukturen kaum noch handlungsfähig”, mahnt er.
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
20.06.-21.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Inanspruchnahme des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zugunsten entlassener Arbeitnehmer, 8. Kohäsionsbericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU, Entwurf einer Stellungnahme zur Festlegung von Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Sonderausschusses für Erkenntnisse aus der Covid-19-Pandemie und Empfehlungen für die Zukunft (COVI)
20.06.-21.06.2022
Themen: Gedankenaustausch mit Věra Jourová (Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz) und mit Thierry Breton (EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen).
Vorläufige Tagesordnung
Kooperationsrat EU-Kasachstan
20.06.2022
Themen: Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der EU und Kasachstan, Gedankenaustausch über politische, wirtschaftliche und handelsbezogene Fragen, regionale und internationale Entwicklung und Zusammenarbeit.
Infos
Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
20.06.2022 09:00 Uhr
Themen: Gedankenaustausche zur Situation am Horn von Afrika, zur Situation in Ägypten und zur russischen Aggression in der Ukraine.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
20.06.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Berichterstattung über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen, Währungspolitischer Dialog mit Christine Lagarde (Präsidentin der EZB), Abstimmung über die Einführung des Euro in Kroatien am 1. Januar 2023.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)
20.06.2022 15:00-17:45 Uhr
Themen: Anhörung zum Thema “Mechanismen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der EU”, Erläuterungen zum Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) und des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
20.06.2022 17:00-18:30 Uhr
Themen: Gedankenaustausch mit Odile Renaud-Basso (Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
21.06.2022 09:00-10:45 Uhr
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu gleichen Rechten für Menschen mit Behinderungen, Berichtsentwurf zu europäischen Maßnahmen im Bereich Pflege und Betreuung.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
21.06.2022 10:00 Uhr
Themen: Vorbereitung des Europäischen Rates am 23./24.06., Gedankenaustausch zur Konferenz über die Zukunft Europas, länderspezifische Empfehlungen zum europäischen Semester 2022.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)
Sitzung des Ausschusses für den Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware (PEGA)
21.06.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Gedankenaustausch mit der NSO-Gruppe, Bestandsaufnahme der EU-Spionageprogramm-Anbieter.
Vorläufige Tagesordnung
Wöchentliche Kommission
22.06.2022
Themen: Gemeinsame Mitteilung zur internationalen Meerespolitik, Naturschutzpaket mit einer Überarbeitung der EU-Vorschriften zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden und Zielen für die Wiederherstellung der Natur zum Schutz der biologischen Vielfalt, Überprüfung von Handel und nachhaltiger Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz 12 Uhr
EuGH-Urteil zur Untersagung der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Tata Steel und ThyssenKrupp
22.06.2022
Themen: Mit Beschluss vom 11. Juni 2019 untersagte die Kommission die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Tata Steel und ThyssenKrupp nach der EU-Fusionskontrollverordnung. Nach Ansicht der Kommission würde ein solches Gemeinschaftsunternehmen den Wettbewerb einschränken und hätte einen Anstieg der Preise bestimmter Stahlsorten zur Folge. ThyssenKrupp hat diese Untersagung vor dem Gericht der EU angefochten. Das Unternehmen macht u.a. geltend, dass die Kommission die nach dem Zusammenschluss bestehende Marktmacht falsch analysiert und die angebotenen Abhilfemaßnahmen durch ThyssenKrupp und Tata Steel nicht angemessen berücksichtige habe.
Klage
Plenartagung des EU-Parlaments: Aufbau- und Resilienzfazilität, Handel EU-Afrika, Europäischer Rat
22.06.2022 15:00-22:00 Uhr
Themen: Bericht zur Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität, Bericht zur Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika, Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates am 23./24. Juni 2022.
Vorläufige Tagesordnung
Europäischer Rat
23.06.-24.06.2022
Themen: Ukraine, wirtschaftliche Aspekte, Konferenz zur Zukunft Europas.
Vorläufige Tagesordnung
EU-Westbalkan-Gipfel
23.06.2022
Themen: Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen mit den Staats- und Regierungschefs der Westbalkan-Staaten zusammen.
Infos
Plenartagung des EU-Parlaments: Gasspeicher, rechte Parteien, Beitritt Zivil- und Handels-Übereinkommen
23.06.2022 09:00-11:20 Uhr
Themen: Bericht über Gasspeicher, die Beziehungen der russischen Regierung und Diplomatennetzwerke zu europäischen Parteien des rechten Spektrums im Zusammenhang mit dem Krieg, Empfehlung zum Beitritt der EU zum Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
Vorläufige Tagesordnung
G7-Gipfel
26.06.-28.06.2022
Themen: Die G7-Staats- und Regierungschefs kommen in Elmau zusammen.
Infos
Das Erschrecken in Europa über den Wahlsieg Donald Trumps 2016 hatte dazu geführt, dass die EU-Kommission 2018 einen “Code of Practice on Disinformation” für Online-Plattformen eingeführt hat. Angesichts des Informationskriegs mit Russland hat die Kommission zusammen mit der Industrie den Verhaltenskodex neu aufgelegt – mit mehr Teilnehmern und neuen Selbstverpflichtungen.
“Lassen Sie uns nicht naiv sein – dieser Krieg der Informationen hat nicht im Februar 2022 begonnen”, sagte EU-Kommissarin Věra Jourová bei der Vorstellung der Neuauflage. Ihr Kollege Thierry Breton wies Russland zwar nicht die alleinige die Schuld am Brexit zu, verwies aber darauf, wie knapp das Referendum in Großbritannien ausgegangen sei und wie groß der Einfluss von Propagandamedien gewesen sei.
Der ursprüngliche Verhaltenskodex hatte zuletzt vom EU-Parlament schlechte Noten bekommen (Europe.Table berichtete). Insbesondere die mangelnden Daten zur Erfolgsmessung wurden von vielen Seiten kritisiert. Dies sorgte für Fehlanreize. Wie Jourová ausführte, hätten viele Plattformen sich vorwiegend um Fake-News in englischer Sprache gekümmert. Kleinere Länder, die jedoch noch anfälliger für Fehlinformationskampagnen sind, hätten jedoch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Künftig sollen die Konzerne deshalb mehr Rechenschaft ablegen. Statt lediglich aggregierten Daten abzuliefern, sollen die Plattformen künftig viel kleinteiliger darlegen, wie ihre Maßnahmen wirken. Forscher und unabhängige Prüfer sollen obendrein direkten Zugang zu Kern-Daten bekommen. Gerade Facebook war in die Kritik geraten, weil der Konzern den Zugang zu den Daten über die Tochterfirma Crowdtangle wesentlich einschränkte. Das Analyse-Unternehmen hatte immer wieder gezeigt, wie massiv sich über Facebook Fake-Stories verbreiteten, während klassische Medien vergleichsweise geringe Reichweiten aufwiesen.
Die Kommission hebt hervor, dass die neue Vereinbarung nicht nur mehr Unterzeichner gewinnen konnte, sondern auch deutlich mehr Verpflichtungen beinhalte. Neben den großen Online-Plattformen und Factchecking-Organisationen hat die EU-Kommission zum Beispiel bei der Werbebranche um Zusammenarbeit geworben. Verbände wie das Interactive Advertising Bureau (IAB Europe) und die World Federation of Advertisers (WFA) sollen dazu beitragen, dass sich Fake-News-Seiten nicht refinanzieren können, indem sie Werbeplätze verkaufen.
Hier zeigt sich aber auch, dass es sich bei dem Code Of Practice nur um ein vorläufiges Werk handelt: Konkrete Vorgaben für die Werbeindustrie fehlen. Dabei zeigt sich hier in der Praxis, dass nicht nur die Plattformen Facebook und Google große Probleme haben, unzulässige oder ungewünschte Werbebuchungen effektiv zu verhindern. Ein aktueller Bericht von ProPublica zeigt auf, wie Werbung für Waffen trotz eines Verbots auf Google Werbemarktplätzen gehandelt und ausgespielt wird. Der Werbebranche wurde von der Kommission nun aufgegeben, sich neue Maßnahmen zu überlegen, die deutlich besser als bisher funktionieren sollen. Wie der Fortschritt bei der zutiefst undurchsichtigen Werbebranche dokumentiert werden soll, bleibt vorerst offen.
Die EU-Kommission wandelt hier auf einem schmalem Grat: Auf der einen Seite betonte Jourová, dass die Teilnahme an dem Verhaltenskodex rein freiwillig sei, und dass die EU nicht plane, ein “Wahrheitsministerium” zu installieren. Auf der anderen Seite betonte Breton, dass von dem Digital Services Act gedeckt werden soll, sodass bei Verstößen schmerzhafte Bußgelder von bis zu 6 Prozent des globalen Umsatzes eines Unternehmens (Europe.Table berichtete) oder gar die Sperrung von Angeboten zur Debatte stehe. Gleichzeitig betonen beide, dass EU-Bürgern transparente Einspruchsmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen, wenn ihre Beiträge aufgrund der Maßnahmen gegen Desinformation moderiert werden.
Welche Vorgaben konkret eingehalten werden müssen, muss sich also noch in der Praxis herausstellen. Die EU-Kommission hat deshalb eine ständige Task-Force eingesetzt, der die European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) und das European Digital Media Observatory (EDMO) angehören. Die Unternehmen haben nun erst einmal ein halbes Jahr Zeit, die Vorgaben des neuen Kodex intern umzusetzen und sollen dann mindestens zwei Mal pro Jahr über Erfolge und Misserfolge Bericht erstatten.
Da Desinformation kein reines Online-Problem ist, versucht die EU-Kommission auch klassische Medien in seine Strategie einzubinden: Derzeit ist der Media Freedom Act in Arbeit, der die Unabhängigkeit klassischer Medien sicherstellen soll. Konfliktfrei wird die Durchsetzung der neuen Anti-Desinformationsregeln kaum werden. Zum Beispiel fehlt noch Telegram in der Liste der Kooperationspartner. Und die Plattformen werden in eine Zwickmühle geraten, wenn sie die Desinformationen bekämpfen sollen, die von demokratische gewählten Politikern verbreitet werden. “Einst war es für gewählte Politiker disqualifizierend, wenn sie offensichtliche Lügen verbreiteten. Vielleicht sollten wir dahin zurückkehren”, sagte Jourová.
Die Gaslieferungen aus Russland stocken weiter, am Donnerstag meldeten weitere Staaten Probleme. Der italienische Konzern ENI teilte mit, nur 65 Prozent der angeforderten Gasmenge vom russischen Anbieter Gazprom zu bekommen. Am Mittwoch hatte ENI zunächst eine Drosselung um 15 Prozent gemeldet. Der slowakische Gasimporteur SPP teilte mit, eine Reduzierung von rund 30 Prozent festzustellen. Auch Österreich und Tschechien meldeten verminderte Lieferungen.
Die Lieferungen nach Deutschland hat Gazprom wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag weiter reduziert. Der russische EU-Botschafter betonte gestern beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, Nord Stream könne sogar komplett stillgelegt werden und nannte erneut Probleme bei der Reparatur von Turbinen in Kanada als Grund.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi bezichtigte Russland dagegen der Lüge, wenn es die jüngsten Lieferkürzungen mit technischen Problemen erkläre. Moskau setze Gas politisch ein, sagte Draghi bei einem Besuch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Die europäische Energieversorgung wird nicht durch verringerte Gaslieferungen aus Russland gefährdet, erklärt ein Sprecher der EU-Kommission. “Fußend auf unserem Austausch mit den nationalen Behörden heute Morgen über die Koordinierungsgruppe Gas gibt es keine Anzeichen für ein unmittelbares Risiko für die Versorgungssicherheit”, sagt der Sprecher. Die EU-Kommission und die nationalen Behörden der Länder beobachteten die Situation genau. rtr/dpa
Zur Befüllung der Gasspeicher sollte das deutsche Ausschreibungssystem auf die EU ausgeweitet werden. Eine Ergänzung wäre der gemeinsame Einkauf von LNG, heißt es in einer Bruegel-Analyse vom Donnerstag. Die Denkfabrik legt damit zwei Vorschläge vor, wie die von der Kommission vorangetriebene Energieplattform ausgestaltet werden könnte (Europe.Table berichtete). Brüssel will mit dem gemeinsamen Gaseinkauf die Speicher bis zum nächsten Winter zu möglichst geringen Kosten füllen und eine faire Verteilung sicherstellen.
Bruegel schlägt zum einen vor, dafür die in Deutschland eingeführten Strategic Storage Based Options (SSBO) für die gesamte EU zu nutzen. Die Ausschreibung von Optionen würde demnach zu höheren Preisen in Mitgliedstaaten führen, die von Russland besonders abhängig sind und die gleichzeitig wenige Alternativen und niedrige Speicherstände haben. Genannt werden beispielhaft Ungarn und Bulgarien. Bei der Kostenteilung solle allerdings auch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf berücksichtigt werden. Für die gesamte EU mit einem Speicherbedarf von 1200 Terrawattstunden (TWh) schätzt Bruegel die Kosten auf zehn Milliarden Euro.
Eine mögliche Ergänzung wären Auktionen für die gemeinsame Beschaffung von LNG. Diese könnten den Experten zufolge kostengünstiger zu sein. Dafür würde der SSBO-Mechanismus die Verteilung des Gases auf die bedürftigsten Staaten besser sicherstellen. Die Übertragungskapazitäten einiger Gasfernleitungen könnten sich bei einem Stopp russischer Lieferungen als zu gering erweisen, um gleichzeitig die Speicher weiter zu füllen, warnen die Autoren.
Bruegel stellt außerdem infrage, ob Deutschland, Österreich und Tschechien im Notfall ihr gespeichertes Gas mit anderen Staaten teilen würden, weil sie es derzeit mit hohen Subventionen einkaufen. Bei einem vollständigen Stopp russischer Gaslieferungen werde es Deutschland, Österreich und der Slowakei sehr schwerfallen, ihre Speicher bis zum Winter zu füllen. Schon bei der jetzigen Geschwindigkeit werde dies Bulgarien, Ungarn und Rumänien nicht gelingen. Die jüngsten Kürzungen der Gaslieferungen an Deutschland, Österreich, die Slowakei und weitere Staaten hatte Bruegel bei dieser Analyse noch gar nicht berücksichtigt. ber
Eine Woche vor dem geplanten EU-Westbalkan-Gipfel in Brüssel hat sich EU-Ratspräsident Charles Michel für den zügigen Beginn von Verhandlungen zum EU-Beitritt mit Nordmazedonien und Albanien ausgesprochen. Die Angelegenheit habe “Top-Priorität”, sagte Michel am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem nordmazedonischen Präsidenten Stevo Pendarovski in der Sommerfrische Ohrid am gleichnamigen See.
Die beiden Balkanländer hatten im März 2020 von der EU die Bestätigung erhalten, dass sie die Bedingungen für den Beginn von Beitrittsgesprächen erfüllen. Das EU-Land Bulgarien erhebt allerdings Forderungen gegenüber Nordmazedonien und droht damit, ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen einzulegen. Unter anderem will Sofia erreichen, dass die Rechte der bulgarische Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung festgeschrieben werden.
Michel konnte nicht sagen, ob der Gipfel am 23. und 24. Juni tatsächlich einen Durchbruch in der Blockade bringen wird. “Bei den Treffen des Europäischen Rates sind wir uns nie sicher, was das Ergebnis sein wird”, führte er weiter aus.
Pendarovski gab zu bedenken, dass das ständige Hinausschieben der EU-Integration seines Landes “die Glaubwürdigkeit der EU als Ganzes untergräbt”. Dass ein EU-Mitgliedsland einem Kandidatenland bilaterale Bedingungen stellt, schaffe außerdem einen “gefährlichen Präzedenzfall”, der den EU-Erweiterungsprozess zum Stillstand bringen könne. Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine erhalte aber die EU-Erweiterung eine besondere geo-politische Dimension.
Der slowenische Präsident Borut Pahor forderte derweil die Europäische Union am Donnerstag ebenfalls auf, die Bemühungen um die Aufnahme der westlichen Balkanstaaten zu beschleunigen und Bosnien, dem instabilsten Land der Region, bedingungslos den Kandidatenstatus zu gewähren.
In einem Schreiben an Michel erklärte Pahor, er sei besorgt darüber, dass die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft der westlichen Balkanstaaten trotz früherer Versprechen und trotz der ermutigenden Signale, die Brüssel nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine an die Ukraine und die Republik Moldau gesandt hat, in immer weitere Ferne gerückt sei.
Pahor sagte, insbesondere Bosnien sei ein Beispiel dafür, wie eine Verzögerung des EU-Beitritts eines Landes einen fruchtbaren Boden für Nationalismus schaffen und zu größerer politischer Instabilität führen könne. “Ich bin davon überzeugt, dass es absolut notwendig ist, Bosnien-Herzegowina den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren”, so Pahor in dem Schreiben, das im Vorfeld des Gipfeltreffens am 23. Juni versandt wurde.
Ein solcher Schritt würde die pro-europäischen Kräfte in Bosnien stärken, da das Land mit der Bedrohung durch den serbischen Separatismus konfrontiert ist, der von Russland stillschweigend unterstützt wird, sagte Pahor und fügte hinzu, dass Sarajevo noch die Bedingungen für eine weitere EU-Integration erfüllen müsse.
Pahor forderte auch eine Beschleunigung der laufenden Beitrittsgespräche mit Serbien und Montenegro, die Aufnahme solcher Gespräche mit Albanien und Nordmazedonien sowie die Abschaffung der Visumpflicht für Bürger des Kosovo bei Besuchen in der EU.
Auf einer Reise durch die Region in der vergangenen Woche bezeichnete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den EU-Beitritt der westlichen Balkanstaaten als eine außenpolitische Priorität. Er sagte, dies würde dazu beitragen, die wachsenden regionalen Spannungen zu entschärfen und dem russischen und chinesischen Einfluss entgegenzuwirken. dpa/rtr
Der federführende Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss IMCO des EU-Parlaments hat am Donnerstagmorgen mit großer Mehrheit den Kompromiss zum Digital Services Act (DSA) angenommen. 36 der Abgeordneten votierten für den im Trilog ausgehandelten Text, nur sechs dagegen.
Damit ist der Weg frei für eine Abstimmung im Plenum des Parlaments. Die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) bedankte sich bei allen Beteiligten und erhofft sich Großes vom DSA: Er werde “nicht nur das Internet in der EU beeinflussen, sondern den Standard für die gesamte Welt setzen”, sagte Schaldemose.
Auch im Rat, dessen Vertreter im AStV bereits am Mittwoch den Text annahmen (Europe.Table berichtete), ist der Weg jetzt frei. Nach verbleibenden Feinarbeiten an den unterschiedlichen Sprachversionen soll spätestens Anfang September die Annahme im Ministerrat erfolgen. Zeitnah soll auch die Verkündung des DSA im Amtsblatt der EU stattfinden, damit es nicht zu Verzögerungen kommt: Frühestens 15 Monate und 20 Tage nach offiziellem Inkrafttreten werden die DSA-Regeln dem Kompromiss zufolge verbindlich – als Zieldatum war eigentlich der erste Januar 2024 vorgesehen. fst
Die EU und die USA könnten im ersten Quartal 2023 ein Abkommen über den Datentransfer abschließen, das den vor zwei Jahren von Europas oberstem Gericht gekippten Pakt ersetzt, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Donnerstag.
Europas oberstes Gericht hatte sich 2020 auf die Seite des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems gestellt (Europe.Table berichtete). Schrems hatte gegen Metas Tochterunternehmen Facebook wegen Datenschutzverletzungen geklagt und vor dem Risiko gewarnt, dass US-Geheimdienste auf die Daten der Europäer zugreifen.
Die EU und die Vereinigten Staaten erzielten im März nach dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Brüssel eine vorläufige Einigung, wobei beide Seiten erklärten, sie hätten die Bedenken des Gerichts berücksichtigt und einen stärkeren Rechtsschutz vorgesehen. “Wir warten auf den Textentwurf für die Durchführungsverordnung”, sagte Reynders vor Reportern.
Sobald der EU der Text vorliegt, wird sie die Ansichten der nationalen Datenschutzbehörden, der EU-Länder und der EU-Gesetzgeber berücksichtigen müssen, um in einem etwa sechsmonatigen Prozess eine endgültige rechtliche Einigung zu erzielen, sagte er. “Ich würde sagen, es ist eher für das Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres als vorher”, sagte Reynders und bezog sich dabei auf einen neuen Datentransfer-Pakt mit den USA.
Tausende von Unternehmen nutzen Datenübertragungsinstrumente, die als Standardvertragsklauseln bekannt sind, um Daten für Dienstleistungen wie Cloud-Infrastrukturen, Datenhosting, Gehaltsabrechnungen und Finanzen bis hin zum Marketing in die ganze Welt zu transferieren. Reynders wandte sich auch gegen die Forderungen einiger Kritiker der bahnbrechenden EU-Datenschutzvorschriften, die als Allgemeine Datenschutzverordnung (DSGVO) bekannt sind, und forderte Reformen aufgrund des langsamen Tempos der Untersuchungen und der uneinheitlichen Durchsetzung innerhalb der Union.
“Ich bin mir sicher, dass es eine Büchse der Pandora sein wird, wenn wir versuchen, eine Diskussion über die GDPR zu eröffnen”, sagte er auf einer vom Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) organisierten Konferenz. “Und für den Moment möchte ich sagen, dass die GDPR für den Moment ein Kind ist”, sagte er. rtr
Brüssel feilt weiter an einem geplanten EU-Instrument gegen wirtschaftlichen Druck aus Drittstaaten. Details dazu wurden nun im Ausschuss für Handel des Europaparlaments debattiert: Eine eigens zuständige Einrichtung, ein vorgeschlagenes “EU Resilience Office”, das mögliche wirtschaftliche Nötigungsversuche aus China im Auge behalten und bewerten sollte, ist nach Ansicht des Ausschusses und der EU-Kommission nicht nötig.
Da das Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang (“anti-coercion instrument”, ACI) vor allem abschreckend wirken solle, hätte ein neu geschaffenes Büro idealerweise eher wenig zu tun, sagte der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), am Donnerstag. Demnach soll die Zuständigkeit besser direkt bei der EU-Kommission liegen.
Die genaue Beschaffenheit des ACI ist noch offen, erklärte Colin Brown, der für die EU-Generaldirektion für Handel den Bereich der Rechtsangelegenheiten und Streitbeilegung leitet, im Ausschuss. Ausgeschlossen wurde Brown zufolge die Möglichkeit, auf wirtschaftlichen Zwang mit Visa-Verweigerung oder Visa-Entzug zu kontern. Offen ist auch noch, wie man im Rahmen des Instruments auf extraterritoriale Sanktionen reagieren kann.
Eine Abstimmung im Ausschuss wird Lange zufolge für September erwartet, zuvor wird noch der Ausschuss für internationale Angelegenheiten eine Einschätzung abgeben. Anschließend verhandelt das EU-Parlament dann mit EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsstaaten. Das ACI hat seit dem Vorgehen Chinas gegen den EU-Staat Litauen eine neue Dynamik erhalten. Die Volksrepublik blockiert die Zollabfertigung, weil Litauen Taiwan die Eröffnung einer Handelsvertretung mit dem Namen “Taiwan-Büro” erlaubte (China.Table berichtete). ari
Die Finanzminister der Euro-Zone haben sich noch nicht auf einen neuen Chef für den europäischen Rettungsfonds ESM verständigen können. Der ESM teilte am Donnerstag mit, das Direktorium habe das Thema in Luxemburg diskutiert und werde dies in den nächsten Wochen fortsetzen. Das Gremium setzt sich aus den 19 Euro-Finanzministern zusammen. Die Amtszeit des bisherigen ESM-Chefs Klaus Regling endet am 7. Oktober. Der Deutsche hat den Krisenfonds, der als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren gegründet wurde, maßgeblich geprägt und aufgestellt, um zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) setzt sich für Pierre Gramegna als Regling-Nachfolger ein. Der ehemalige Finanzminister Luxemburgs sei der bevorzugte Kandidat. Im Rennen sind zudem noch der Italiener Marco Buti und der Portugiese Joao Leao. 80 Prozent der Stimmen müssen im ESM-Rat auf den erfolgreichen Kandidaten entfallen. Deutschland hat dabei wegen seines Anteils von 27 Prozent ein Veto-Recht.
Der ESM teilte zudem mit, 2021 einen Überschuss von 311 Millionen Euro erwirtschaftet zu haben. Diese würden den Rücklagen zugeführt. rtr
Wir befinden uns in den letzten Wochen der französischen EU-Ratspräsidentschaft, und Beobachter richten ihre Aufmerksamkeit auf die Bewertung der Leistungen Frankreichs in verschiedenen Bereichen. Mit Blick auf Klimafragen wird es für den Elysée schwer sein, die dramatischen Bilder im EU-Parlament bei der Abstimmung über das Fit-for-55-Paket am 8. Juni zu kaschieren. Denn dass am 22. Juni ein Kompromiss erzielt wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Meinungsverschiedenheiten eher vertuscht als beseitigt und die Klimaziele in den letzten sechs Monaten verwässert worden sind.
Doch in gewisser Weise wurde der französischen EU-Ratspräsidentschaft ein vergifteter Kelch gereicht, als sie den Auftrag erhielt, eine Einigung über das Fit-for-55-Gesetzgebungspaket – das Instrument zur Umsetzung des Europäischen Green Deal (EGD) – zu vermitteln.
Man dachte wohl, dass angesichts der großen Herausforderungen eine größere, einflussreiche Ratspräsidentschaft mehr Chancen hat, diese zu bewältigen, als eine kleine. Zudem erschien Frankreich – Heimat des Pariser Klimaabkommens – aus verschiedenen Gründen gut geeignet, diese Aufgabe zu übernehmen. Macrons Wahlversprechen von 2022, Frankreich zu einer Klimamacht zu machen, die mit gutem Beispiel vorangeht, indem sie in erneuerbare Technologien investiert, sich auf Energieeffizienz bei der Renovierung von Häusern und der Lebensmittelproduktion konzentriert, Einwegplastik abschafft und die Luftverschmutzung reduziert, gab Anlass zur Hoffnung.
Doch die Suche nach einem Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten, die sich die Kosten des Green Deals teilen, der Industrie, den Haushalten und der öffentlichen Hand, war von Anfang an eine Herkulesaufgabe – vor allem wenn die Mitgliedstaaten sich uneins sind. Auch der breitere geopolitische Kontext verlieh Paris keinen Rückenwind, um die Umsetzung des Green Deals voranzutreiben. Russlands Krieg in der Ukraine und die Tatsache, dass Europa dringend seine Energieabhängigkeiten diversifizieren muss, führten dazu, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nun in erster Linie auf die geografische Energiewende konzentrieren.
Der Aufbau und die Vertiefung von Beziehungen zu alternativen Energielieferanten sowie rasche Investitionen in diplomatische Beziehungen zu den neuen Akteuren, die für die Sicherung der für erneuerbare Energiequellen erforderlichen Ressourcen und Technologien nötig sind, stehen nun an erster Stelle. Angesichts rasant steigender Energiepreise sind Industrie, Verbraucher und nationale Regierungen noch weniger bereit als vor dem 24. Februar, die unvermeidlichen Kosten für die Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften zu tragen.
Mit Blick auf die Bemühungen der letzten Wochen, im EU-Parlament einen partei- und interessenübergreifenden Konsens zu erzielen, war das Scheitern am 8. Juni kein gutes Zeichen für das Ende einer Präsidentschaft, die mehr versprochen als erreicht hat. Da alle Seiten fürchteten, dass ihre Interessen in dem hart erkämpften Kompromiss nicht berücksichtigt würden, waren der Ärger und die Enttäuschung unter den politischen Vertretern der EU und der Klimagemeinschaft deutlich spürbar.
Was dieses Bild hätte verändern können, ist die visionäre Führung der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer echten Energiesicherheit abgibt, die langfristig auf sauberen Energiequellen beruht. Seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine ist die Entschlossenheit der EU zur Dekarbonisierung ins Wanken geraten. Die politischen Entscheidungsträger in der EU sind sich nicht sicher, ob sie noch versuchen können oder sollen, die geografische und inhaltliche Diversifizierung der Energieversorgung gleichzeitig voranzutreiben. Die Argumente, dass höheren Kosten entstehen, wenn wir mit Blick auf den Klimawandel untätig bleiben, und dass uns unüberlegter Investitionsentscheidungen viele Jahre an kohlenstoffbasierte Energien binden, wurde bei zu vielen politischen Entscheidungen zur Energiekrise nicht berücksichtigt.
Ein weiterer Eckpfeiler der EU-Klimapolitik, der in den letzten Monaten gefehlt hat, ist ein ausdrücklicheres Eingeständnis der nationalen Hauptstädte und Brüssels, dass in diesem Krisenmoment, wie während der Coronakrise in den letzten zwei Jahren “alles getan werden muss”, um die Investitionen zu finanzieren, die für einen raschen Ausbau der sauberen Energie – wie im RePowerEU-Plan vorgesehen – erforderlich sind. Dazu zählen auch weitere Kreditaufnahmen.
Frankreich hat ein größeres Potenzial als es bisher gezeigt hat, was Führung angeht. Als Verfechter einer europäischen Souveränität ist es glaubwürdig, wenn es um die Notwendigkeit geht, in die Kapazitäten zu investieren, die für den Aufbau europäischer Macht – einschließlich in Klimafragen – wichtig sind. Frankreich hat zudem in der Vergangenheit oft die Rolle einer Brückenmacht gespielt zwischen Deutschland und den sparsamen Staaten auf der einen Seite und den südlichen und östlichen Empfängerländern der EU auf der anderen. Weil Frankreich in keinem dieser Punkte eine klare Vision anbot, ist es kaum überraschend, dass die Vertreter des EU-Parlaments das Gefühl hatten, dass der Rahmen für eine gerechte und ehrgeizige Energiewende nicht gegeben war – was zu dem Zusammenbruch beitrug, den wir am 8. Juni erlebt haben.
Der Kampf um eine gerechte Umsetzung des Green Deal in einem gefährlicheren geopolitischen Umfeld ist zwar noch nicht gewonnen, aber auch nicht verloren. Das nächste Jahrzehnt wird entscheidend sein, damit die Klimaneutralität bis 2050 in Sichtweite bleibt. Der Konsens innerhalb der EU muss mit jedem Schritt auf diesem steinigen Weg neu hergestellt werden. Unerschütterliche Führungsstärke wird in den kommenden Jahren entscheidend sein, um das Endziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn Frankreich demnächst den Ratsvorsitz an Tschechien übergibt, sollte es sich verpflichten, auch die kommenden Ratspräsidentschaften zu unterstützen, um den Klimaschutz voranzutreiben.
Die Souveränität im Bereich der Klimaenergie ist der wohl dringlichste Teil der Souveränitätsagenda geworden, jedoch auch der, der oft übersehen wird. In seiner zweiten Amtszeit sollte sich Macron darauf konzentrieren, dies zu ändern.
Grillade à la française: Mehrere Minister der neuen Regierung von Emmanuel Macron finden sich auf dem Wahlkampfgrill wieder, da die Wähler erneut zu den Urnen gerufen werden, um am kommenden Sonntag in Frankreich die zweite Runde der Parlamentswahlen zu entscheiden. Vom Aufstieg der Nupes (sprich: “Nüp”) überrumpelt, riskieren diese Minister ihre Posten, wenn sie es nicht schaffen, ihren Abgeordnetenposten zu gewinnen. Und unter diesen Wackelkandidaten befindet sich auch der Monsieur Europe des französischen Präsidenten, Clément Beaune.
“Es gibt keinen Zweifel: Wenn ein Minister oder eine Ministerin verliert, muss er oder sie die Regierung verlassen”, betont ein Kenner der Pariser Elysée-Korridore gegenüber Europe Table. So will es das eiserne Gesetz des französischen politischen Lebens, das sich aufgrund der politischen Legitimität erklären lässt: Ein Minister oder eine Ministerin kann Reformen, insbesondere wenn sie unpopulär sind, durchführen, indem er oder sie sich auf die politische Legitimität beruft, die ihm oder ihr durch das Mandat als Abgeordneter der Nationalversammlung verliehen wird.
Tatsächlich lässt die erste Runde der Parlamentswahlen am Sonntag, 12. Juni, Raum für ein enges Duell zwischen den Mehrheitsparteien und den in der Nupes vereinten Linken, die auf der einen Seite die Freiheit des Unternehmertums und auf der anderen “die Harmonie mit der Natur” propagiert.
Am Abend der ersten Runde der Parlamentswahlen lieferte sich die unter dem Banner Nupes vereinte Linke (La France Insoumise, Europe Ecologie Les Verts und die Sozialistische Partei) ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Ensemble! (LREM, Horizons, Modem), die laut der Website des Innenministeriums 25,8 Prozent bzw. 25,7 Prozent der Stimmen erhielt, während die Wahlenthaltung mit 52,48 Prozent (gegenüber 51,30 Prozent im Jahr 2017) einen neuen Rekord erreichte.
Konkret bedeutet eine Niederlage, dass nicht nur die Minister gehen müssen, sondern auch die Personen, die in diese Ministerien berufen wurden. “Alles fängt wieder bei null an”, berichtet unser Kenner des politischen Lebens in Frankreich. Und in Brüssel beobachtet man das Schicksal von Clément Beaune mit besonderer Aufmerksamkeit.
Der stellvertretende Minister für Europa – so sein offizieller Titel – erreichte im 5. Wahlkreis von Paris mit 35,81 Prozent der abgegebenen Stimmen den zweiten Platz hinter der Kandidatin der France insoumise, Caroline Mecary, die 40,43 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Kurze Erinnerung daran, wer Clément Beaune ist und warum wir uns hier besonders für ihn interessieren: Der 41-Jährige wurde zum Europa- und G20-Berater von Emmanuel Macron, als dieser 2017 zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Diese Position hatte er bis Juli 2020 inne, als er zum Staatssekretär für europäische Angelegenheiten beim Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten ernannt wurde.
Als stellvertretender Minister besteht aktuell seine Hauptaufgabe derzeit darin, die französische EU-Ratspräsidentschaft, die Ende Juni endet, zum Erfolg zu führen. Insbesondere im Bereich der nachhaltigen Entwicklung muss eine Einigung zwischen den 27 Mitgliedstaaten über alle Texte des “Fit for 55”-Pakets erzielt werden, mit dem die EU ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will. Und indem sie die Dossiers der Gesetzesvorschläge zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zur importierten Entwaldung und zur Sorgfaltspflicht vorantreibt.
“Es ist heiß und es ist kompliziert”, wird uns aus Paris berichtet, während nur noch knapp zwei Wochen bleiben, um mit dieser heißen Kartoffel zu jonglieren. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass diese Angelegenheiten derzeit vom Ministerium von Agnès Pannier-Runacher verwaltet werden, die zur Ministerin für den Energiewandel ernannt wurde. Diese hat den diplomatischen Berater von Barbara Pompili, die ehemalige Ministerin für den ökologischen Wandel, Philippe Deprédurand, übernommen. “Das ist ein Zeichen der Kontinuität, er kennt diese Dossiers zu gut, um auf seine Expertise verzichten zu können, zumal wir uns dem Ende der französischen Ratspräsidentschaft nähern”, betont unser Experte und fügt hinzu: “Ob er nun langfristig bleiben wird, ist eine andere Frage”.
Eine weitere Ministerin mit europäischer Verknüpfung steht auch im Rampenlicht: Amélie de Montchalin, Ministerin für den ökologischen Übergang und den Zusammenhalt der Territorien, kandidiert im 6. Wahlkreis des Departements Essonne, das im Süden von Paris liegt. Sie belegte den zweiten Platz (31,46 Prozent) hinter dem Sozialisten Jérôme Guedj (38,31 Prozent der Stimmen).
“Keine Ahnung, wer sie ersetzen wird, falls sie die Wahl verlieren sollte. Es ist möglich, dass der Elysée-Palast den Platz für Pascal Canfin warmhalten will”, berichtet unser Informant. Wird die Verwaltung des territorialen Zusammenhalts die pikanten Verhandlungen um das Fit-for-55-Paket für Pascal Canfin in den Schatten stellen können? Das ist zu bezweifeln, und das ist die vorherrschende Meinung in Brüssel. Also wer dann?” Angesichts der schwachen Leistung von LREM können sich die vom ehemaligen Premierminister Edouard Philippe (rechts) angeführte Horizon-Fraktion und die von Francois Bayrou (Mitte-Rechts) angeführte Modem-Fraktion abstimmen, um einen oder eine der ihren für diesen Posten nominieren zu lassen”.
Nun ist es die Premierministerin Élisabeth Borne, die nach dem Willen von Emmanuel Macron das Dach über alle Energie- und Klimadossiers bildet. Zwar hängt ihr Schicksal auch von den Wählern am kommenden Sonntag ab, ihre Chancen sind jedoch groß, gewählt zu werden. Dies veranlasst uns, ein Schlaglicht auf Antoine Pellion zu werfen, den sie zum Generalsekretär für ökologische Planung ernannt hat. Als Leiter der Abteilungen für Ökologie, Verkehr, Energie, Wohnungsbau und Landwirtschaft nimmt er auch die Aufgaben eines Beraters wahr. Dem 38-jährigen Ingenieur ist somit die Beibehaltung seines Postens sicher. Ein wichtiges Detail für die Leser in Deutschland: Laut dem Medium Contexte bekennt sich dieser enge Vertraute von Bernard Doroszczuk, dem Chef der Atomsicherheitsbehörde, klar zu seiner pronuklearen Haltung. Und wird mit der Planung des vom französischen Staatspräsidenten gewünschten Baus neuer EPR beauftragt.
es waren deutliche Worte, die die Regierungschefs Olaf Scholz, Emmanuel Macron, Mario Draghi und Klaus Iohannis auf ihrer Reise gestern nach Kiew im Gepäck hatten: Sie werden den sofortigen Kandidatenstatus der Ukraine zum Beitritt in die EU unterstützen. In der deutschen Bevölkerung sieht das Bild allerdings anders aus, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey zeigt. Till Hoppe hat die Details.
Es ist nicht nur ein Krieg mit Waffen, den Russland gegen die Ukraine führt, sondern auch mit Falschinformationen und Propaganda. Um Fake-News im Netz, aber auch offline, besser begegnen zu können, hat die EU-Kommission den bereits 2018 eingeführten “Code of Practice on Disinformation” überarbeitet. Der Verhaltenskodex enthält deutlich mehr Verpflichtungen für die Unterzeichner, bleibt aber nach wie vor freiwillig, schreibt Torsten Kleinz.
Frankreich wählt am Sonntag, es ist die zweite Runde der Parlamentswahlen. Nichts ist sicher, auch nicht der Posten von Clément Beaune, Staatssekretär für europäische Angelegenheiten von Frankreich. Seine Hauptaufgabe ist es derzeit, die Französische Ratspräsidentschaft erfolgreich zu Ende zu führen. In ihrer Kolumne blickt Claire Stam auch auf die anderen Kandidaten und ihre Chance.
Apropos Französische Ratspräsidentschaft: Der turnusmäßige Wechsel steht in zwei Wochen an, und Susi Dennison zieht im Standpunkt ein erstes Fazit. Vor allem beim Thema Klimaschutz hat Emmanuel Macron viel versprochen, aber nicht alles erreicht, findet sie.
Es war eine Botschaft, die der ukrainische Präsident in dieser Deutlichkeit kaum erwartet haben dürfte: “Wir vier unterstützen den sofortigen Kandidatenstatus”, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach dem Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj, für das er gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Italiens Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem rumänischen Präsidenten Klaus Iohannis nach Kiew gereist war. Selenskyj reagierte entsprechend erfreut: Der EU-Kandidatenstatus könne “eine historische Entscheidung für Europa sein”.
Der ukrainische Präsident drängt die EU-Staaten seit längerem, sein Land beim anstehenden EU-Gipfel kommenden Donnerstag zum Beitrittskandidaten zu machen. Dass ausgerechnet Macron sein Anliegen so deutlich unterstützen würde, hatte sich vorher nicht abgezeichnet. Der französische Präsident galt als Kritiker einer EU-Erweiterung und hatte die Regierung in Kiew mit Ideen für alternative Konstruktionen geärgert (Europe.Table berichtete). Mit der nun gemachten Ankündigung handele es sich “tatsächlich um eine historische Reise für Europa”, sagt Nicolai von Ondarza, Forschungsgruppenleiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
Allerdings: Das klare Votum der vier Staats- und Regierungschefs bedeutet noch nicht, dass alle Mitgliedstaaten mitziehen. Noch gibt es die nötige Einstimmigkeit nicht, unter anderem die Niederlande, Dänemark und Portugal haben Bedenken angemeldet. Scholz weiß das und formulierte zurückhaltender als Macron: “Deutschland ist für eine positive Entscheidung zugunsten der Ukraine”, sagte er. Das gelte auch für die Republik Moldau. Aber dafür brauche es einen einstimmigen Entschluss beim Gipfel.
Macrons Äußerungen würden darauf hinauslaufen, die Ukraine unmittelbar zum Beitrittskandidaten zu machen, und dies nicht zunächst an Bedingungen zu knüpfen. Die müsste Kiew erst vor dem nächsten Schritt im Verfahren erfüllen, der Aufnahme formeller Beitrittsverhandlungen. Die Einzelheiten soll laut Macron ein “Fahrplan” regeln. Selenskyj müsste sich damit, anders als etwa Bosnien-Herzegowina, nicht zunächst mit dem Status des “potenziellen Beitrittskandidaten” begnügen.
Scholz unterstützt den sofortigen Kandidatenstatus ebenfalls. Er pocht aber auf strikte Konditionen im weiteren Verfahren. “Für den Beitritt zur Europäischen Union gelten klare Kriterien, die von allen Kandidaten erfüllt werden müssen”, sagte er. Der Kanzler hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, es dürfe “keine Rabatte” geben. Dieser Grundsatz müsse von Anfang an gelten, hieß es gestern in Berlin.
In der Bundesregierung wird deshalb den Stellungnahmen der EU-Kommission große Bedeutung beigemessen, die Ursula von der Leyen heute Mittag vorstellen wird. In ihren analysiert die Brüsseler Behörde den Zustand von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ebenso wie wirtschaftliche Faktoren in der Ukraine, Moldau und Georgien. Und sie spricht Empfehlungen aus, ob und unter welchen Konditionen die drei Länder eine Beitrittsperspektive erhalten sollen. Laut Medienbericht dürfte die Kommission dabei für die Ukraine und Moldau den Kandidatenstatus empfehlen, mit nachgelagerten Bedingungen. Georgien müsste demnach zunächst die Konditionen erfüllen, bevor es Kandidat wird.
Berlin erhofft sich klare Bedingungen, auch für die Ukraine. In der deutschen Bevölkerung gibt es ebenfalls noch erhebliche Vorbehalte, wie eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von Table.Media zeigt. Demnach findet sich derzeit keine Mehrheit dafür, die Ukraine und Moldau bereits jetzt zu Beitrittskandidaten zu machen. Lediglich die Grünen-Anhänger befürworten dies mit großer Mehrheit.
Bei Georgien sind die Vorbehalte in der Politik noch größer. Für die Beitrittsperspektive des Landes machte sich in Kiew vor allem Iohannis stark. “Der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nächste Woche beim Europäischen Rat einen EU-Kandidatenstatus zu garantieren, ist wesentlich dafür, ein starkes und dauerhaftes Schild um unsere Werte herum zu bauen”, sagte der rumänische Präsident.
Scholz hingegen mahnte erneut an, die EU müsse gegenüber den Westbalkan-Staaten ihre Zusagen einhalten. Dies betrifft die ausstehende Entscheidung über den Beginn der Beitrittsgespräche mit Albanien und Nordmazedonien (Europe.Table berichtete), der bislang von Bulgarien blockiert wird. “Es ist eine Frage der europäischen Glaubwürdigkeit, dass wir gegenüber den Staaten des westlichen Balkan, die sich seit Jahren schon auf diesem Weg befinden, nun endlich unser Versprechen einlösen, jetzt und konkret”, sagte der SPD-Politiker. Auch Draghi forderte ein Umdenken ein. “Wir wissen alle, dass das eine historische Entwicklung ist für Europa, die tiefgreifende Überlegungen verlangt”, sagte er.
Das gilt allerdings auch für die Europäische Union selbst. “Die EU muss sich auf diese Entwicklung vorbereiten und ihre Strukturen und Verfahren modernisieren“, mahnte Scholz. Auch darüber soll beim Gipfel nächste Woche gesprochen werden, die Vorschläge der Zukunftskonferenz bieten dafür einige Anregungen, etwa zur Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips in der Außenpolitik (Europe.Table berichtete). Das Europaparlament hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, einen Konvent einzuberufen, um über Reformen und mögliche Änderungen der EU-Verträge zu beraten.
SWP-Experte Ondarza hält die Bedenken für gerechtfertigt, dass die EU ohne tiefgreifende Reformen nicht bereit ist für eine erneute Erweiterung. “Mit 30 Mitgliedstaaten oder mehr wäre die Gemeinschaft bei den heutigen Entscheidungsstrukturen kaum noch handlungsfähig”, mahnt er.
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
20.06.-21.06.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Inanspruchnahme des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung zugunsten entlassener Arbeitnehmer, 8. Kohäsionsbericht über den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt in der EU, Entwurf einer Stellungnahme zur Festlegung von Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Sonderausschusses für Erkenntnisse aus der Covid-19-Pandemie und Empfehlungen für die Zukunft (COVI)
20.06.-21.06.2022
Themen: Gedankenaustausch mit Věra Jourová (Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz) und mit Thierry Breton (EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen).
Vorläufige Tagesordnung
Kooperationsrat EU-Kasachstan
20.06.2022
Themen: Abkommen über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der EU und Kasachstan, Gedankenaustausch über politische, wirtschaftliche und handelsbezogene Fragen, regionale und internationale Entwicklung und Zusammenarbeit.
Infos
Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
20.06.2022 09:00 Uhr
Themen: Gedankenaustausche zur Situation am Horn von Afrika, zur Situation in Ägypten und zur russischen Aggression in der Ukraine.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung (ECON)
20.06.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Berichterstattung über die laufenden interinstitutionellen Verhandlungen, Währungspolitischer Dialog mit Christine Lagarde (Präsidentin der EZB), Abstimmung über die Einführung des Euro in Kroatien am 1. Januar 2023.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE)
20.06.2022 15:00-17:45 Uhr
Themen: Anhörung zum Thema “Mechanismen zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in der EU”, Erläuterungen zum Bericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET) und des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
20.06.2022 17:00-18:30 Uhr
Themen: Gedankenaustausch mit Odile Renaud-Basso (Präsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL)
21.06.2022 09:00-10:45 Uhr
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu gleichen Rechten für Menschen mit Behinderungen, Berichtsentwurf zu europäischen Maßnahmen im Bereich Pflege und Betreuung.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
21.06.2022 10:00 Uhr
Themen: Vorbereitung des Europäischen Rates am 23./24.06., Gedankenaustausch zur Konferenz über die Zukunft Europas, länderspezifische Empfehlungen zum europäischen Semester 2022.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)
Sitzung des Ausschusses für den Einsatz von Pegasus und ähnlicher Überwachungs- und Spähsoftware (PEGA)
21.06.2022 15:00-18:30 Uhr
Themen: Gedankenaustausch mit der NSO-Gruppe, Bestandsaufnahme der EU-Spionageprogramm-Anbieter.
Vorläufige Tagesordnung
Wöchentliche Kommission
22.06.2022
Themen: Gemeinsame Mitteilung zur internationalen Meerespolitik, Naturschutzpaket mit einer Überarbeitung der EU-Vorschriften zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden und Zielen für die Wiederherstellung der Natur zum Schutz der biologischen Vielfalt, Überprüfung von Handel und nachhaltiger Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung Pressekonferenz 12 Uhr
EuGH-Urteil zur Untersagung der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Tata Steel und ThyssenKrupp
22.06.2022
Themen: Mit Beschluss vom 11. Juni 2019 untersagte die Kommission die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens durch Tata Steel und ThyssenKrupp nach der EU-Fusionskontrollverordnung. Nach Ansicht der Kommission würde ein solches Gemeinschaftsunternehmen den Wettbewerb einschränken und hätte einen Anstieg der Preise bestimmter Stahlsorten zur Folge. ThyssenKrupp hat diese Untersagung vor dem Gericht der EU angefochten. Das Unternehmen macht u.a. geltend, dass die Kommission die nach dem Zusammenschluss bestehende Marktmacht falsch analysiert und die angebotenen Abhilfemaßnahmen durch ThyssenKrupp und Tata Steel nicht angemessen berücksichtige habe.
Klage
Plenartagung des EU-Parlaments: Aufbau- und Resilienzfazilität, Handel EU-Afrika, Europäischer Rat
22.06.2022 15:00-22:00 Uhr
Themen: Bericht zur Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität, Bericht zur Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika, Vorbereitung der Tagung des Europäischen Rates am 23./24. Juni 2022.
Vorläufige Tagesordnung
Europäischer Rat
23.06.-24.06.2022
Themen: Ukraine, wirtschaftliche Aspekte, Konferenz zur Zukunft Europas.
Vorläufige Tagesordnung
EU-Westbalkan-Gipfel
23.06.2022
Themen: Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen mit den Staats- und Regierungschefs der Westbalkan-Staaten zusammen.
Infos
Plenartagung des EU-Parlaments: Gasspeicher, rechte Parteien, Beitritt Zivil- und Handels-Übereinkommen
23.06.2022 09:00-11:20 Uhr
Themen: Bericht über Gasspeicher, die Beziehungen der russischen Regierung und Diplomatennetzwerke zu europäischen Parteien des rechten Spektrums im Zusammenhang mit dem Krieg, Empfehlung zum Beitritt der EU zum Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.
Vorläufige Tagesordnung
G7-Gipfel
26.06.-28.06.2022
Themen: Die G7-Staats- und Regierungschefs kommen in Elmau zusammen.
Infos
Das Erschrecken in Europa über den Wahlsieg Donald Trumps 2016 hatte dazu geführt, dass die EU-Kommission 2018 einen “Code of Practice on Disinformation” für Online-Plattformen eingeführt hat. Angesichts des Informationskriegs mit Russland hat die Kommission zusammen mit der Industrie den Verhaltenskodex neu aufgelegt – mit mehr Teilnehmern und neuen Selbstverpflichtungen.
“Lassen Sie uns nicht naiv sein – dieser Krieg der Informationen hat nicht im Februar 2022 begonnen”, sagte EU-Kommissarin Věra Jourová bei der Vorstellung der Neuauflage. Ihr Kollege Thierry Breton wies Russland zwar nicht die alleinige die Schuld am Brexit zu, verwies aber darauf, wie knapp das Referendum in Großbritannien ausgegangen sei und wie groß der Einfluss von Propagandamedien gewesen sei.
Der ursprüngliche Verhaltenskodex hatte zuletzt vom EU-Parlament schlechte Noten bekommen (Europe.Table berichtete). Insbesondere die mangelnden Daten zur Erfolgsmessung wurden von vielen Seiten kritisiert. Dies sorgte für Fehlanreize. Wie Jourová ausführte, hätten viele Plattformen sich vorwiegend um Fake-News in englischer Sprache gekümmert. Kleinere Länder, die jedoch noch anfälliger für Fehlinformationskampagnen sind, hätten jedoch zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Künftig sollen die Konzerne deshalb mehr Rechenschaft ablegen. Statt lediglich aggregierten Daten abzuliefern, sollen die Plattformen künftig viel kleinteiliger darlegen, wie ihre Maßnahmen wirken. Forscher und unabhängige Prüfer sollen obendrein direkten Zugang zu Kern-Daten bekommen. Gerade Facebook war in die Kritik geraten, weil der Konzern den Zugang zu den Daten über die Tochterfirma Crowdtangle wesentlich einschränkte. Das Analyse-Unternehmen hatte immer wieder gezeigt, wie massiv sich über Facebook Fake-Stories verbreiteten, während klassische Medien vergleichsweise geringe Reichweiten aufwiesen.
Die Kommission hebt hervor, dass die neue Vereinbarung nicht nur mehr Unterzeichner gewinnen konnte, sondern auch deutlich mehr Verpflichtungen beinhalte. Neben den großen Online-Plattformen und Factchecking-Organisationen hat die EU-Kommission zum Beispiel bei der Werbebranche um Zusammenarbeit geworben. Verbände wie das Interactive Advertising Bureau (IAB Europe) und die World Federation of Advertisers (WFA) sollen dazu beitragen, dass sich Fake-News-Seiten nicht refinanzieren können, indem sie Werbeplätze verkaufen.
Hier zeigt sich aber auch, dass es sich bei dem Code Of Practice nur um ein vorläufiges Werk handelt: Konkrete Vorgaben für die Werbeindustrie fehlen. Dabei zeigt sich hier in der Praxis, dass nicht nur die Plattformen Facebook und Google große Probleme haben, unzulässige oder ungewünschte Werbebuchungen effektiv zu verhindern. Ein aktueller Bericht von ProPublica zeigt auf, wie Werbung für Waffen trotz eines Verbots auf Google Werbemarktplätzen gehandelt und ausgespielt wird. Der Werbebranche wurde von der Kommission nun aufgegeben, sich neue Maßnahmen zu überlegen, die deutlich besser als bisher funktionieren sollen. Wie der Fortschritt bei der zutiefst undurchsichtigen Werbebranche dokumentiert werden soll, bleibt vorerst offen.
Die EU-Kommission wandelt hier auf einem schmalem Grat: Auf der einen Seite betonte Jourová, dass die Teilnahme an dem Verhaltenskodex rein freiwillig sei, und dass die EU nicht plane, ein “Wahrheitsministerium” zu installieren. Auf der anderen Seite betonte Breton, dass von dem Digital Services Act gedeckt werden soll, sodass bei Verstößen schmerzhafte Bußgelder von bis zu 6 Prozent des globalen Umsatzes eines Unternehmens (Europe.Table berichtete) oder gar die Sperrung von Angeboten zur Debatte stehe. Gleichzeitig betonen beide, dass EU-Bürgern transparente Einspruchsmöglichkeiten zur Verfügung stehen müssen, wenn ihre Beiträge aufgrund der Maßnahmen gegen Desinformation moderiert werden.
Welche Vorgaben konkret eingehalten werden müssen, muss sich also noch in der Praxis herausstellen. Die EU-Kommission hat deshalb eine ständige Task-Force eingesetzt, der die European Regulators Group for Audiovisual Media Services (ERGA) und das European Digital Media Observatory (EDMO) angehören. Die Unternehmen haben nun erst einmal ein halbes Jahr Zeit, die Vorgaben des neuen Kodex intern umzusetzen und sollen dann mindestens zwei Mal pro Jahr über Erfolge und Misserfolge Bericht erstatten.
Da Desinformation kein reines Online-Problem ist, versucht die EU-Kommission auch klassische Medien in seine Strategie einzubinden: Derzeit ist der Media Freedom Act in Arbeit, der die Unabhängigkeit klassischer Medien sicherstellen soll. Konfliktfrei wird die Durchsetzung der neuen Anti-Desinformationsregeln kaum werden. Zum Beispiel fehlt noch Telegram in der Liste der Kooperationspartner. Und die Plattformen werden in eine Zwickmühle geraten, wenn sie die Desinformationen bekämpfen sollen, die von demokratische gewählten Politikern verbreitet werden. “Einst war es für gewählte Politiker disqualifizierend, wenn sie offensichtliche Lügen verbreiteten. Vielleicht sollten wir dahin zurückkehren”, sagte Jourová.
Die Gaslieferungen aus Russland stocken weiter, am Donnerstag meldeten weitere Staaten Probleme. Der italienische Konzern ENI teilte mit, nur 65 Prozent der angeforderten Gasmenge vom russischen Anbieter Gazprom zu bekommen. Am Mittwoch hatte ENI zunächst eine Drosselung um 15 Prozent gemeldet. Der slowakische Gasimporteur SPP teilte mit, eine Reduzierung von rund 30 Prozent festzustellen. Auch Österreich und Tschechien meldeten verminderte Lieferungen.
Die Lieferungen nach Deutschland hat Gazprom wie angekündigt in der Nacht zum Donnerstag weiter reduziert. Der russische EU-Botschafter betonte gestern beim Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, Nord Stream könne sogar komplett stillgelegt werden und nannte erneut Probleme bei der Reparatur von Turbinen in Kanada als Grund.
Italiens Ministerpräsident Mario Draghi bezichtigte Russland dagegen der Lüge, wenn es die jüngsten Lieferkürzungen mit technischen Problemen erkläre. Moskau setze Gas politisch ein, sagte Draghi bei einem Besuch mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Die europäische Energieversorgung wird nicht durch verringerte Gaslieferungen aus Russland gefährdet, erklärt ein Sprecher der EU-Kommission. “Fußend auf unserem Austausch mit den nationalen Behörden heute Morgen über die Koordinierungsgruppe Gas gibt es keine Anzeichen für ein unmittelbares Risiko für die Versorgungssicherheit”, sagt der Sprecher. Die EU-Kommission und die nationalen Behörden der Länder beobachteten die Situation genau. rtr/dpa
Zur Befüllung der Gasspeicher sollte das deutsche Ausschreibungssystem auf die EU ausgeweitet werden. Eine Ergänzung wäre der gemeinsame Einkauf von LNG, heißt es in einer Bruegel-Analyse vom Donnerstag. Die Denkfabrik legt damit zwei Vorschläge vor, wie die von der Kommission vorangetriebene Energieplattform ausgestaltet werden könnte (Europe.Table berichtete). Brüssel will mit dem gemeinsamen Gaseinkauf die Speicher bis zum nächsten Winter zu möglichst geringen Kosten füllen und eine faire Verteilung sicherstellen.
Bruegel schlägt zum einen vor, dafür die in Deutschland eingeführten Strategic Storage Based Options (SSBO) für die gesamte EU zu nutzen. Die Ausschreibung von Optionen würde demnach zu höheren Preisen in Mitgliedstaaten führen, die von Russland besonders abhängig sind und die gleichzeitig wenige Alternativen und niedrige Speicherstände haben. Genannt werden beispielhaft Ungarn und Bulgarien. Bei der Kostenteilung solle allerdings auch das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf berücksichtigt werden. Für die gesamte EU mit einem Speicherbedarf von 1200 Terrawattstunden (TWh) schätzt Bruegel die Kosten auf zehn Milliarden Euro.
Eine mögliche Ergänzung wären Auktionen für die gemeinsame Beschaffung von LNG. Diese könnten den Experten zufolge kostengünstiger zu sein. Dafür würde der SSBO-Mechanismus die Verteilung des Gases auf die bedürftigsten Staaten besser sicherstellen. Die Übertragungskapazitäten einiger Gasfernleitungen könnten sich bei einem Stopp russischer Lieferungen als zu gering erweisen, um gleichzeitig die Speicher weiter zu füllen, warnen die Autoren.
Bruegel stellt außerdem infrage, ob Deutschland, Österreich und Tschechien im Notfall ihr gespeichertes Gas mit anderen Staaten teilen würden, weil sie es derzeit mit hohen Subventionen einkaufen. Bei einem vollständigen Stopp russischer Gaslieferungen werde es Deutschland, Österreich und der Slowakei sehr schwerfallen, ihre Speicher bis zum Winter zu füllen. Schon bei der jetzigen Geschwindigkeit werde dies Bulgarien, Ungarn und Rumänien nicht gelingen. Die jüngsten Kürzungen der Gaslieferungen an Deutschland, Österreich, die Slowakei und weitere Staaten hatte Bruegel bei dieser Analyse noch gar nicht berücksichtigt. ber
Eine Woche vor dem geplanten EU-Westbalkan-Gipfel in Brüssel hat sich EU-Ratspräsident Charles Michel für den zügigen Beginn von Verhandlungen zum EU-Beitritt mit Nordmazedonien und Albanien ausgesprochen. Die Angelegenheit habe “Top-Priorität”, sagte Michel am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem nordmazedonischen Präsidenten Stevo Pendarovski in der Sommerfrische Ohrid am gleichnamigen See.
Die beiden Balkanländer hatten im März 2020 von der EU die Bestätigung erhalten, dass sie die Bedingungen für den Beginn von Beitrittsgesprächen erfüllen. Das EU-Land Bulgarien erhebt allerdings Forderungen gegenüber Nordmazedonien und droht damit, ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen einzulegen. Unter anderem will Sofia erreichen, dass die Rechte der bulgarische Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung festgeschrieben werden.
Michel konnte nicht sagen, ob der Gipfel am 23. und 24. Juni tatsächlich einen Durchbruch in der Blockade bringen wird. “Bei den Treffen des Europäischen Rates sind wir uns nie sicher, was das Ergebnis sein wird”, führte er weiter aus.
Pendarovski gab zu bedenken, dass das ständige Hinausschieben der EU-Integration seines Landes “die Glaubwürdigkeit der EU als Ganzes untergräbt”. Dass ein EU-Mitgliedsland einem Kandidatenland bilaterale Bedingungen stellt, schaffe außerdem einen “gefährlichen Präzedenzfall”, der den EU-Erweiterungsprozess zum Stillstand bringen könne. Angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine erhalte aber die EU-Erweiterung eine besondere geo-politische Dimension.
Der slowenische Präsident Borut Pahor forderte derweil die Europäische Union am Donnerstag ebenfalls auf, die Bemühungen um die Aufnahme der westlichen Balkanstaaten zu beschleunigen und Bosnien, dem instabilsten Land der Region, bedingungslos den Kandidatenstatus zu gewähren.
In einem Schreiben an Michel erklärte Pahor, er sei besorgt darüber, dass die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft der westlichen Balkanstaaten trotz früherer Versprechen und trotz der ermutigenden Signale, die Brüssel nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine an die Ukraine und die Republik Moldau gesandt hat, in immer weitere Ferne gerückt sei.
Pahor sagte, insbesondere Bosnien sei ein Beispiel dafür, wie eine Verzögerung des EU-Beitritts eines Landes einen fruchtbaren Boden für Nationalismus schaffen und zu größerer politischer Instabilität führen könne. “Ich bin davon überzeugt, dass es absolut notwendig ist, Bosnien-Herzegowina den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren”, so Pahor in dem Schreiben, das im Vorfeld des Gipfeltreffens am 23. Juni versandt wurde.
Ein solcher Schritt würde die pro-europäischen Kräfte in Bosnien stärken, da das Land mit der Bedrohung durch den serbischen Separatismus konfrontiert ist, der von Russland stillschweigend unterstützt wird, sagte Pahor und fügte hinzu, dass Sarajevo noch die Bedingungen für eine weitere EU-Integration erfüllen müsse.
Pahor forderte auch eine Beschleunigung der laufenden Beitrittsgespräche mit Serbien und Montenegro, die Aufnahme solcher Gespräche mit Albanien und Nordmazedonien sowie die Abschaffung der Visumpflicht für Bürger des Kosovo bei Besuchen in der EU.
Auf einer Reise durch die Region in der vergangenen Woche bezeichnete der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz den EU-Beitritt der westlichen Balkanstaaten als eine außenpolitische Priorität. Er sagte, dies würde dazu beitragen, die wachsenden regionalen Spannungen zu entschärfen und dem russischen und chinesischen Einfluss entgegenzuwirken. dpa/rtr
Der federführende Binnenmarkt- und Verbraucherschutzausschuss IMCO des EU-Parlaments hat am Donnerstagmorgen mit großer Mehrheit den Kompromiss zum Digital Services Act (DSA) angenommen. 36 der Abgeordneten votierten für den im Trilog ausgehandelten Text, nur sechs dagegen.
Damit ist der Weg frei für eine Abstimmung im Plenum des Parlaments. Die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D) bedankte sich bei allen Beteiligten und erhofft sich Großes vom DSA: Er werde “nicht nur das Internet in der EU beeinflussen, sondern den Standard für die gesamte Welt setzen”, sagte Schaldemose.
Auch im Rat, dessen Vertreter im AStV bereits am Mittwoch den Text annahmen (Europe.Table berichtete), ist der Weg jetzt frei. Nach verbleibenden Feinarbeiten an den unterschiedlichen Sprachversionen soll spätestens Anfang September die Annahme im Ministerrat erfolgen. Zeitnah soll auch die Verkündung des DSA im Amtsblatt der EU stattfinden, damit es nicht zu Verzögerungen kommt: Frühestens 15 Monate und 20 Tage nach offiziellem Inkrafttreten werden die DSA-Regeln dem Kompromiss zufolge verbindlich – als Zieldatum war eigentlich der erste Januar 2024 vorgesehen. fst
Die EU und die USA könnten im ersten Quartal 2023 ein Abkommen über den Datentransfer abschließen, das den vor zwei Jahren von Europas oberstem Gericht gekippten Pakt ersetzt, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Donnerstag.
Europas oberstes Gericht hatte sich 2020 auf die Seite des österreichischen Datenschutzaktivisten Max Schrems gestellt (Europe.Table berichtete). Schrems hatte gegen Metas Tochterunternehmen Facebook wegen Datenschutzverletzungen geklagt und vor dem Risiko gewarnt, dass US-Geheimdienste auf die Daten der Europäer zugreifen.
Die EU und die Vereinigten Staaten erzielten im März nach dem Besuch von US-Präsident Joe Biden in Brüssel eine vorläufige Einigung, wobei beide Seiten erklärten, sie hätten die Bedenken des Gerichts berücksichtigt und einen stärkeren Rechtsschutz vorgesehen. “Wir warten auf den Textentwurf für die Durchführungsverordnung”, sagte Reynders vor Reportern.
Sobald der EU der Text vorliegt, wird sie die Ansichten der nationalen Datenschutzbehörden, der EU-Länder und der EU-Gesetzgeber berücksichtigen müssen, um in einem etwa sechsmonatigen Prozess eine endgültige rechtliche Einigung zu erzielen, sagte er. “Ich würde sagen, es ist eher für das Ende des ersten Quartals des nächsten Jahres als vorher”, sagte Reynders und bezog sich dabei auf einen neuen Datentransfer-Pakt mit den USA.
Tausende von Unternehmen nutzen Datenübertragungsinstrumente, die als Standardvertragsklauseln bekannt sind, um Daten für Dienstleistungen wie Cloud-Infrastrukturen, Datenhosting, Gehaltsabrechnungen und Finanzen bis hin zum Marketing in die ganze Welt zu transferieren. Reynders wandte sich auch gegen die Forderungen einiger Kritiker der bahnbrechenden EU-Datenschutzvorschriften, die als Allgemeine Datenschutzverordnung (DSGVO) bekannt sind, und forderte Reformen aufgrund des langsamen Tempos der Untersuchungen und der uneinheitlichen Durchsetzung innerhalb der Union.
“Ich bin mir sicher, dass es eine Büchse der Pandora sein wird, wenn wir versuchen, eine Diskussion über die GDPR zu eröffnen”, sagte er auf einer vom Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) organisierten Konferenz. “Und für den Moment möchte ich sagen, dass die GDPR für den Moment ein Kind ist”, sagte er. rtr
Brüssel feilt weiter an einem geplanten EU-Instrument gegen wirtschaftlichen Druck aus Drittstaaten. Details dazu wurden nun im Ausschuss für Handel des Europaparlaments debattiert: Eine eigens zuständige Einrichtung, ein vorgeschlagenes “EU Resilience Office”, das mögliche wirtschaftliche Nötigungsversuche aus China im Auge behalten und bewerten sollte, ist nach Ansicht des Ausschusses und der EU-Kommission nicht nötig.
Da das Instrument gegen wirtschaftlichen Zwang (“anti-coercion instrument”, ACI) vor allem abschreckend wirken solle, hätte ein neu geschaffenes Büro idealerweise eher wenig zu tun, sagte der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD), am Donnerstag. Demnach soll die Zuständigkeit besser direkt bei der EU-Kommission liegen.
Die genaue Beschaffenheit des ACI ist noch offen, erklärte Colin Brown, der für die EU-Generaldirektion für Handel den Bereich der Rechtsangelegenheiten und Streitbeilegung leitet, im Ausschuss. Ausgeschlossen wurde Brown zufolge die Möglichkeit, auf wirtschaftlichen Zwang mit Visa-Verweigerung oder Visa-Entzug zu kontern. Offen ist auch noch, wie man im Rahmen des Instruments auf extraterritoriale Sanktionen reagieren kann.
Eine Abstimmung im Ausschuss wird Lange zufolge für September erwartet, zuvor wird noch der Ausschuss für internationale Angelegenheiten eine Einschätzung abgeben. Anschließend verhandelt das EU-Parlament dann mit EU-Kommission und dem Rat der Mitgliedsstaaten. Das ACI hat seit dem Vorgehen Chinas gegen den EU-Staat Litauen eine neue Dynamik erhalten. Die Volksrepublik blockiert die Zollabfertigung, weil Litauen Taiwan die Eröffnung einer Handelsvertretung mit dem Namen “Taiwan-Büro” erlaubte (China.Table berichtete). ari
Die Finanzminister der Euro-Zone haben sich noch nicht auf einen neuen Chef für den europäischen Rettungsfonds ESM verständigen können. Der ESM teilte am Donnerstag mit, das Direktorium habe das Thema in Luxemburg diskutiert und werde dies in den nächsten Wochen fortsetzen. Das Gremium setzt sich aus den 19 Euro-Finanzministern zusammen. Die Amtszeit des bisherigen ESM-Chefs Klaus Regling endet am 7. Oktober. Der Deutsche hat den Krisenfonds, der als Reaktion auf die Staatsschuldenkrise vor zehn Jahren gegründet wurde, maßgeblich geprägt und aufgestellt, um zusätzliche Aufgaben zu übernehmen.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) setzt sich für Pierre Gramegna als Regling-Nachfolger ein. Der ehemalige Finanzminister Luxemburgs sei der bevorzugte Kandidat. Im Rennen sind zudem noch der Italiener Marco Buti und der Portugiese Joao Leao. 80 Prozent der Stimmen müssen im ESM-Rat auf den erfolgreichen Kandidaten entfallen. Deutschland hat dabei wegen seines Anteils von 27 Prozent ein Veto-Recht.
Der ESM teilte zudem mit, 2021 einen Überschuss von 311 Millionen Euro erwirtschaftet zu haben. Diese würden den Rücklagen zugeführt. rtr
Wir befinden uns in den letzten Wochen der französischen EU-Ratspräsidentschaft, und Beobachter richten ihre Aufmerksamkeit auf die Bewertung der Leistungen Frankreichs in verschiedenen Bereichen. Mit Blick auf Klimafragen wird es für den Elysée schwer sein, die dramatischen Bilder im EU-Parlament bei der Abstimmung über das Fit-for-55-Paket am 8. Juni zu kaschieren. Denn dass am 22. Juni ein Kompromiss erzielt wurde, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Meinungsverschiedenheiten eher vertuscht als beseitigt und die Klimaziele in den letzten sechs Monaten verwässert worden sind.
Doch in gewisser Weise wurde der französischen EU-Ratspräsidentschaft ein vergifteter Kelch gereicht, als sie den Auftrag erhielt, eine Einigung über das Fit-for-55-Gesetzgebungspaket – das Instrument zur Umsetzung des Europäischen Green Deal (EGD) – zu vermitteln.
Man dachte wohl, dass angesichts der großen Herausforderungen eine größere, einflussreiche Ratspräsidentschaft mehr Chancen hat, diese zu bewältigen, als eine kleine. Zudem erschien Frankreich – Heimat des Pariser Klimaabkommens – aus verschiedenen Gründen gut geeignet, diese Aufgabe zu übernehmen. Macrons Wahlversprechen von 2022, Frankreich zu einer Klimamacht zu machen, die mit gutem Beispiel vorangeht, indem sie in erneuerbare Technologien investiert, sich auf Energieeffizienz bei der Renovierung von Häusern und der Lebensmittelproduktion konzentriert, Einwegplastik abschafft und die Luftverschmutzung reduziert, gab Anlass zur Hoffnung.
Doch die Suche nach einem Kompromiss zwischen den Mitgliedstaaten, die sich die Kosten des Green Deals teilen, der Industrie, den Haushalten und der öffentlichen Hand, war von Anfang an eine Herkulesaufgabe – vor allem wenn die Mitgliedstaaten sich uneins sind. Auch der breitere geopolitische Kontext verlieh Paris keinen Rückenwind, um die Umsetzung des Green Deals voranzutreiben. Russlands Krieg in der Ukraine und die Tatsache, dass Europa dringend seine Energieabhängigkeiten diversifizieren muss, führten dazu, dass sich die europäischen Staats- und Regierungschefs nun in erster Linie auf die geografische Energiewende konzentrieren.
Der Aufbau und die Vertiefung von Beziehungen zu alternativen Energielieferanten sowie rasche Investitionen in diplomatische Beziehungen zu den neuen Akteuren, die für die Sicherung der für erneuerbare Energiequellen erforderlichen Ressourcen und Technologien nötig sind, stehen nun an erster Stelle. Angesichts rasant steigender Energiepreise sind Industrie, Verbraucher und nationale Regierungen noch weniger bereit als vor dem 24. Februar, die unvermeidlichen Kosten für die Dekarbonisierung der europäischen Volkswirtschaften zu tragen.
Mit Blick auf die Bemühungen der letzten Wochen, im EU-Parlament einen partei- und interessenübergreifenden Konsens zu erzielen, war das Scheitern am 8. Juni kein gutes Zeichen für das Ende einer Präsidentschaft, die mehr versprochen als erreicht hat. Da alle Seiten fürchteten, dass ihre Interessen in dem hart erkämpften Kompromiss nicht berücksichtigt würden, waren der Ärger und die Enttäuschung unter den politischen Vertretern der EU und der Klimagemeinschaft deutlich spürbar.
Was dieses Bild hätte verändern können, ist die visionäre Führung der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit einer echten Energiesicherheit abgibt, die langfristig auf sauberen Energiequellen beruht. Seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine ist die Entschlossenheit der EU zur Dekarbonisierung ins Wanken geraten. Die politischen Entscheidungsträger in der EU sind sich nicht sicher, ob sie noch versuchen können oder sollen, die geografische und inhaltliche Diversifizierung der Energieversorgung gleichzeitig voranzutreiben. Die Argumente, dass höheren Kosten entstehen, wenn wir mit Blick auf den Klimawandel untätig bleiben, und dass uns unüberlegter Investitionsentscheidungen viele Jahre an kohlenstoffbasierte Energien binden, wurde bei zu vielen politischen Entscheidungen zur Energiekrise nicht berücksichtigt.
Ein weiterer Eckpfeiler der EU-Klimapolitik, der in den letzten Monaten gefehlt hat, ist ein ausdrücklicheres Eingeständnis der nationalen Hauptstädte und Brüssels, dass in diesem Krisenmoment, wie während der Coronakrise in den letzten zwei Jahren “alles getan werden muss”, um die Investitionen zu finanzieren, die für einen raschen Ausbau der sauberen Energie – wie im RePowerEU-Plan vorgesehen – erforderlich sind. Dazu zählen auch weitere Kreditaufnahmen.
Frankreich hat ein größeres Potenzial als es bisher gezeigt hat, was Führung angeht. Als Verfechter einer europäischen Souveränität ist es glaubwürdig, wenn es um die Notwendigkeit geht, in die Kapazitäten zu investieren, die für den Aufbau europäischer Macht – einschließlich in Klimafragen – wichtig sind. Frankreich hat zudem in der Vergangenheit oft die Rolle einer Brückenmacht gespielt zwischen Deutschland und den sparsamen Staaten auf der einen Seite und den südlichen und östlichen Empfängerländern der EU auf der anderen. Weil Frankreich in keinem dieser Punkte eine klare Vision anbot, ist es kaum überraschend, dass die Vertreter des EU-Parlaments das Gefühl hatten, dass der Rahmen für eine gerechte und ehrgeizige Energiewende nicht gegeben war – was zu dem Zusammenbruch beitrug, den wir am 8. Juni erlebt haben.
Der Kampf um eine gerechte Umsetzung des Green Deal in einem gefährlicheren geopolitischen Umfeld ist zwar noch nicht gewonnen, aber auch nicht verloren. Das nächste Jahrzehnt wird entscheidend sein, damit die Klimaneutralität bis 2050 in Sichtweite bleibt. Der Konsens innerhalb der EU muss mit jedem Schritt auf diesem steinigen Weg neu hergestellt werden. Unerschütterliche Führungsstärke wird in den kommenden Jahren entscheidend sein, um das Endziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn Frankreich demnächst den Ratsvorsitz an Tschechien übergibt, sollte es sich verpflichten, auch die kommenden Ratspräsidentschaften zu unterstützen, um den Klimaschutz voranzutreiben.
Die Souveränität im Bereich der Klimaenergie ist der wohl dringlichste Teil der Souveränitätsagenda geworden, jedoch auch der, der oft übersehen wird. In seiner zweiten Amtszeit sollte sich Macron darauf konzentrieren, dies zu ändern.
Grillade à la française: Mehrere Minister der neuen Regierung von Emmanuel Macron finden sich auf dem Wahlkampfgrill wieder, da die Wähler erneut zu den Urnen gerufen werden, um am kommenden Sonntag in Frankreich die zweite Runde der Parlamentswahlen zu entscheiden. Vom Aufstieg der Nupes (sprich: “Nüp”) überrumpelt, riskieren diese Minister ihre Posten, wenn sie es nicht schaffen, ihren Abgeordnetenposten zu gewinnen. Und unter diesen Wackelkandidaten befindet sich auch der Monsieur Europe des französischen Präsidenten, Clément Beaune.
“Es gibt keinen Zweifel: Wenn ein Minister oder eine Ministerin verliert, muss er oder sie die Regierung verlassen”, betont ein Kenner der Pariser Elysée-Korridore gegenüber Europe Table. So will es das eiserne Gesetz des französischen politischen Lebens, das sich aufgrund der politischen Legitimität erklären lässt: Ein Minister oder eine Ministerin kann Reformen, insbesondere wenn sie unpopulär sind, durchführen, indem er oder sie sich auf die politische Legitimität beruft, die ihm oder ihr durch das Mandat als Abgeordneter der Nationalversammlung verliehen wird.
Tatsächlich lässt die erste Runde der Parlamentswahlen am Sonntag, 12. Juni, Raum für ein enges Duell zwischen den Mehrheitsparteien und den in der Nupes vereinten Linken, die auf der einen Seite die Freiheit des Unternehmertums und auf der anderen “die Harmonie mit der Natur” propagiert.
Am Abend der ersten Runde der Parlamentswahlen lieferte sich die unter dem Banner Nupes vereinte Linke (La France Insoumise, Europe Ecologie Les Verts und die Sozialistische Partei) ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Ensemble! (LREM, Horizons, Modem), die laut der Website des Innenministeriums 25,8 Prozent bzw. 25,7 Prozent der Stimmen erhielt, während die Wahlenthaltung mit 52,48 Prozent (gegenüber 51,30 Prozent im Jahr 2017) einen neuen Rekord erreichte.
Konkret bedeutet eine Niederlage, dass nicht nur die Minister gehen müssen, sondern auch die Personen, die in diese Ministerien berufen wurden. “Alles fängt wieder bei null an”, berichtet unser Kenner des politischen Lebens in Frankreich. Und in Brüssel beobachtet man das Schicksal von Clément Beaune mit besonderer Aufmerksamkeit.
Der stellvertretende Minister für Europa – so sein offizieller Titel – erreichte im 5. Wahlkreis von Paris mit 35,81 Prozent der abgegebenen Stimmen den zweiten Platz hinter der Kandidatin der France insoumise, Caroline Mecary, die 40,43 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Kurze Erinnerung daran, wer Clément Beaune ist und warum wir uns hier besonders für ihn interessieren: Der 41-Jährige wurde zum Europa- und G20-Berater von Emmanuel Macron, als dieser 2017 zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Diese Position hatte er bis Juli 2020 inne, als er zum Staatssekretär für europäische Angelegenheiten beim Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten ernannt wurde.
Als stellvertretender Minister besteht aktuell seine Hauptaufgabe derzeit darin, die französische EU-Ratspräsidentschaft, die Ende Juni endet, zum Erfolg zu führen. Insbesondere im Bereich der nachhaltigen Entwicklung muss eine Einigung zwischen den 27 Mitgliedstaaten über alle Texte des “Fit for 55”-Pakets erzielt werden, mit dem die EU ihre Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will. Und indem sie die Dossiers der Gesetzesvorschläge zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zur importierten Entwaldung und zur Sorgfaltspflicht vorantreibt.
“Es ist heiß und es ist kompliziert”, wird uns aus Paris berichtet, während nur noch knapp zwei Wochen bleiben, um mit dieser heißen Kartoffel zu jonglieren. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass diese Angelegenheiten derzeit vom Ministerium von Agnès Pannier-Runacher verwaltet werden, die zur Ministerin für den Energiewandel ernannt wurde. Diese hat den diplomatischen Berater von Barbara Pompili, die ehemalige Ministerin für den ökologischen Wandel, Philippe Deprédurand, übernommen. “Das ist ein Zeichen der Kontinuität, er kennt diese Dossiers zu gut, um auf seine Expertise verzichten zu können, zumal wir uns dem Ende der französischen Ratspräsidentschaft nähern”, betont unser Experte und fügt hinzu: “Ob er nun langfristig bleiben wird, ist eine andere Frage”.
Eine weitere Ministerin mit europäischer Verknüpfung steht auch im Rampenlicht: Amélie de Montchalin, Ministerin für den ökologischen Übergang und den Zusammenhalt der Territorien, kandidiert im 6. Wahlkreis des Departements Essonne, das im Süden von Paris liegt. Sie belegte den zweiten Platz (31,46 Prozent) hinter dem Sozialisten Jérôme Guedj (38,31 Prozent der Stimmen).
“Keine Ahnung, wer sie ersetzen wird, falls sie die Wahl verlieren sollte. Es ist möglich, dass der Elysée-Palast den Platz für Pascal Canfin warmhalten will”, berichtet unser Informant. Wird die Verwaltung des territorialen Zusammenhalts die pikanten Verhandlungen um das Fit-for-55-Paket für Pascal Canfin in den Schatten stellen können? Das ist zu bezweifeln, und das ist die vorherrschende Meinung in Brüssel. Also wer dann?” Angesichts der schwachen Leistung von LREM können sich die vom ehemaligen Premierminister Edouard Philippe (rechts) angeführte Horizon-Fraktion und die von Francois Bayrou (Mitte-Rechts) angeführte Modem-Fraktion abstimmen, um einen oder eine der ihren für diesen Posten nominieren zu lassen”.
Nun ist es die Premierministerin Élisabeth Borne, die nach dem Willen von Emmanuel Macron das Dach über alle Energie- und Klimadossiers bildet. Zwar hängt ihr Schicksal auch von den Wählern am kommenden Sonntag ab, ihre Chancen sind jedoch groß, gewählt zu werden. Dies veranlasst uns, ein Schlaglicht auf Antoine Pellion zu werfen, den sie zum Generalsekretär für ökologische Planung ernannt hat. Als Leiter der Abteilungen für Ökologie, Verkehr, Energie, Wohnungsbau und Landwirtschaft nimmt er auch die Aufgaben eines Beraters wahr. Dem 38-jährigen Ingenieur ist somit die Beibehaltung seines Postens sicher. Ein wichtiges Detail für die Leser in Deutschland: Laut dem Medium Contexte bekennt sich dieser enge Vertraute von Bernard Doroszczuk, dem Chef der Atomsicherheitsbehörde, klar zu seiner pronuklearen Haltung. Und wird mit der Planung des vom französischen Staatspräsidenten gewünschten Baus neuer EPR beauftragt.