lag es an den Ankündigungen der Kommission zu Eingriffen in den Strommarkt? Oder schlicht daran, dass eine Blase geplatzt ist? Die Strom- und Gaspreise jedenfalls sind deutlich gesunken. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kündigte zudem an, die Gaspreise zu beeinflussen durch “kluges, strukturiertes Einkaufsverhalten”. Bewegung kommt nun auch in den EU-weiten Gaseinkauf: Nach Informationen von Europe.Table wollen die Grünen im Europaparlament in den nächsten Tagen einen detaillierten Vorschlag zum gemeinsamen Gaseinkauf vorlegen. Dass die Iberische Halbinsel zu einem Hub für die Verteilung von Gas an den Rest Europas werden kann – darum drehten sich die Gespräche auf Schloss Meseberg. Manuel Berkel und Claire Stam fassen die wichtigsten Entwicklungen aus dem Energiesektor zusammen.
Milliardenschwere Finanzgarantien braucht die Wien Energie vom Staat, um die Stromversorgung in der Hauptstadt zu sichern. “Es geht um die Versorgungssicherheit der größten Stadt Österreichs”, warnte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) angesichts des unerwarteten Finanzbedarfs des städtischen Unternehmens in Höhe von bis zu sechs Milliarden Euro. Die drohende Zahlungsunfähigkeit des Energieversorgers treffe Österreich völlig unvorbereitet und könnte zu einem politischen Desaster für die Oppositionspartei SPÖ werden, schreibt Hans-Peter Siebenhaar.
Nicht alle Länder sind gleichermaßen überzeugt. Doch beim gestrigen Treffen der Verteidigungsminister haben die Mitgliedstaaten sich darauf verständigt, Vorbereitungen für einen Militäreinsatz zur Ausbildung ukrainischer Soldaten einzuleiten. Es gehe darum, “eine Armee aufzubauen, die kämpfen muss und dies für eine lange Zeit tun wird”, sagte Josep Borrell. Die Staaten könnten entsprechend ihrer Spezialisierung helfen, so der EU-Außenbeauftragte – etwa bei der Logistik, der militärischen Gesundheitsversorgung und dem Schutz vor nuklearen oder chemischen Waffen. Aus Prag berichtet Ella Joyner.
Sind sie nun beruhigt oder verschreckt? Die Ankündigung der EU-Spitzen vom Montag scheinen jedenfalls an einem Ort Eindruck gemacht zu haben: den Strom- und Gasmärkten auf dem Kontinent. Gegenüber den Höchstständen vom Freitag gaben die Notierungen gestern wie schon zum Wochenbeginn deutlich nach. Der Gaspreis für September fiel von 339 auf zeitweise 250 Euro pro Megawattstunde, der Strompreis fürs kommende Jahr von 985 auf 610 Euro. Laut Energieexperten könnte dies durchaus an den Ankündigungen der Kommission liegen – oder aber einfach am Platzen einer Spekulationsblase.
“Es ist schwer, das definitiv zu beantworten”, sagt Hanns Koenig von Aurora Energy Research. “Insbesondere beim Strom hatten sich die Preise auf den Terminmärkten in den letzten Wochen von einem rein durch Fundamentaldaten erklärbaren Niveau entfernt. Eine Korrektur wäre daher nicht per se ungewöhnlich.” Die Preissenkung könne aber durchaus mit den Plänen der Kommission und des Rates für kurz- und mittelfristige Eingriffe am Strommarkt zusammenhängen.
Koenig verwies außerdem auf eine Ankündigung von Wirtschaftsminister Robert Habeck vom Montag. Weil Deutschland seinem Speicherziel einen Monat voraus sei, werde man künftig nicht mehr Gas zu jedem Preis kaufen, hatte der Grünen-Politiker gesagt.
Gestern Abend kündigte Habeck weitere Bewegung beim Gaseinkauf an. Es gebe die Möglichkeit, die Gaspreise zu beeinflussen durch “kluges, strukturiertes Einkaufsverhalten”, sagte Habeck. Darüber werde beim EU-Energieministerrat am 9. September gesprochen. Nach Informationen von Europe.Table wollen die Grünen im Europaparlament in den nächsten Tagen einen detaillierten Vorschlag zum gemeinsamen Gaseinkauf vorlegen. Dieser solle von der Kommission und dem Rat beschlossen werden, forderte der Abgeordnete Rasmus Andresen. Schon vor Monaten hatte die Kommission eine gemeinsame Energieplattform eingesetzt und sich davon niedrigere Preise erhofft. Bisher kommt der EU-weite Gaseinkauf aber nicht in die Gänge.
Hauptthema beim Energierat werden allerdings wohl die gestiegenen Strompreise sein. Laut Koenig wird neben dem spanischen Modell weiterhin vor allem der Vorschlag Griechenlands diskutiert, getrennte Strommärkte für erneuerbare und konventionelle Energieträger einzuführen. “Beide halte ich für hochproblematisch”, sagte der Energieexperte. “Eine rationale Politik wäre aus meiner Sicht, die hohen Zusatzgewinne, die derzeit bei einigen Erzeugern anfallen, zumindest teilweise abzuschöpfen, um Energie für vulnerable Haushalte und Unternehmen leistbar zu halten.”
Skeptisch beurteilt kurzfristige Markteingriffe auch das Centrum für Europäische Politik (CEP). “Ich habe noch kein anderes Modell für den Strommarkt gesehen, das besser wäre als das bisherige. Aus den Regeln der Marktwirtschaft kommt man nicht raus”, sagt der Jurist Götz Reichert. “Preisdeckel klingen populär, doch wer entscheidet nach welchen Kriterien über die Höhe? Der Preis ist einfach das ehrlichste Signal, welche Güter knapp sind, wer einsparen und in welche günstigeren Technologien investiert werden sollte.” Einen vorübergehenden Mechanismus, um die Strompreise zu dämpfen, hatte im April bereits das Regulatory Assistance Project vorgestellt.
Der Urheber des spanischen Modells war gestern zu Gast bei der Kabinettsklausur der Bundesregierung in Meseberg. Thema war vordergründig aber die Gasinfrastruktur als Voraussetzung für die gemeinsame Beschaffung. Dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez versicherte Olaf Scholz die Unterstützung für eine Gasverbindung von der Iberischen Halbinsel zu.
“Ich bin Bundeskanzler Scholz auch sehr dankbar für seine Vision, dass wir diese Verbindungen beschleunigen”, sagte seinerseits Sánchez, bevor er, ohne Frankreich zu erwähnen, eine Ergänzung zu MidCat erwähnte. “Wir wissen, wenn sich diese Verbindungen im Sinne von REPowerEU weiterentwickeln, wie wir das in diesem Sommer besprochen haben, dann gibt es noch weitere Möglichkeiten der Verbindung, nämlich die Verbindung der Iberischen Halbinsel mit Italien.”
Sánchez fügte hinzu, dass Spanien 30 Prozent des Flüssiggas-Bedarfs der EU decken könne, wenn sein Land und Portugal an das europäische Gasnetz angebunden würden. Spanien verfügt über sechs LNG-Regasifizierungsanlagen und ist damit das Land mit der größten Regasifizierungskapazität in der gesamten EU. Portugal hat eine solche Anlage. Die Halbinsel verfügt also über die Infrastruktur, um zu einem Hub für die Verteilung von Gas an den Rest Europas zu werden. Allerdings müsste Frankreich noch seinen Teil des MidCat fertigstellen. Hier setzt Sánchez auf die Überzeugungskraft Berlins gegenüber Paris.
Eine weitere Zusammenarbeit zeichnete sich gestern bei Offshore-Windenergie in der Ostsee ab. Acht Ostsee-Anrainerstaaten – darunter Deutschland – einigten sich auf einen massiven Ausbau. Die Offshore-Windkapazität solle bis 2030 versiebenfacht werden, sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei einem Energiegipfel der Anrainerstaaten in Kopenhagen. Eine stärkere Nutzung der Windkraft könnte die Abhängigkeit von russischer Energie verringern.
Keine hervorgehobene Rolle spielt dagegen derzeit das Stromsparen. Für den Gassektor hatten sich die Energieminister auf ein gemeinsames Einsparziel von 15 Prozent geeinigt. Ein ähnlicher Schritt für Elektrizität steht derzeit nicht auf der Tagesordnung, ergab eine Umfrage von Europe.Table bei den EU-Vertretungen der Mitgliedstaaten. Polen verwies sogar auf seine ablehnende Haltung gegenüber Einsparverpflichtungen wie beim Gas.
Bei der Kommission wird hinter vorgehaltener Hand weiter auf die Wichtigkeit von Effizienz verwiesen. Energiesparen sei “fast eine Vorbedingung für jede andere Lösung” sagte eine Quelle zu Europe.Table. Ein konkreter Vorschlag zum Stromsparen ist bisher jedoch nicht aus der Kommission gedrungen. Einen preissenkenden Effekt könnte ein Rückgang der Nachfrage allerdings haben.
“Schon allein die Ankündigung eines Sparziels könnte kurzfristig Druck rausnehmen”, sagt Marco Wünsch vom Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos. “Dann müssten aber richtige Maßnahmen kommen, die den Stromverbrauch senken. Dann gäbe es auch einen nachhaltigen Preiseffekt.”
Die Erfahrungen mit dem Gassparziel haben aber auch für Ernüchterung gesorgt. “Jede eingesparte Kilowattstunde hilft – auch im Strommarkt”, sagt Götz Reichert vom CEP. “Doch der Beschluss zum Gassparen hat gezeigt, dass die Bedingungen in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. Bei einem Stromsparbeschluss würde es wohl wieder viele nationale Ausnahmen geben.” Mit Claire Stam, dpa, rtr
Dem größten österreichischen Energieversorger Wien Energie droht ein finanzielles Desaster. Das Unternehmen hat einen unerwarteten Finanzbedarf von bis zu sechs Milliarden Euro. Wegen misslungener Termingeschäfte an der Börse brauchte das Unternehmen der Stadt Wien am Dienstag im ersten Anlauf Finanzgarantien von mindestens zwei Milliarden Euro, um eine Insolvenz zu vermeiden und die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Der Finanzbedarf wird nach Angaben der Stadtspitze vom Stadtrechnungshof und externen Gutachtern überprüft. “Ich möchte damit zeigen, dass es nichts zu verbergen gibt”, sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstag. Seitens der Stadt Wien ist von einem finanziellen “Schutzschirm” von bis zu sechs Milliarden Euro die Rede. Das Finanzministerium will die Milliardensummen nicht ohne Garantien überweisen. “Die Dimension ist schon gewaltig”, sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im ORF.
Die Stadt Wien hat der Wien Energie in den vergangenen Wochen nach eigenen Angaben bereits mit 700 Millionen Euro geholfen. Für den Kauf von Strom an internationalen Energiebörsen braucht der Energieversorger derzeit sehr hohe Finanzmittel zur Besicherung von künftigen Lieferverträgen (Futures). Die Wien Energie erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 3 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss sank im gleichen Zeitraum um 61 Prozent auf noch 140 Millionen Euro. Der Stromabsatz belief sich zuletzt auf über 10.000 Gigawattstunden (GWh).
Der Finanzskandal erschüttert Österreich ins Mark. Denn die Schieflage der Wien Energie trifft das Land völlig unvorbereitet. Die Beunruhigung der knapp zwei Millionen Bürger in Wien ist groß. “Es geht um die Versorgungssicherheit der größten Stadt Österreichs”, warnte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne). Das Desaster der Wien Energie ist aber noch ein Einzelfall in Österreich. Laut Gewessler gebe es keine anderen großen Energieversorger in der Alpenrepublik, die ähnlich Liquiditätsprobleme wie die Wien Energie haben. Derzeit führt die Aufsichtsbehörde E-Control eine Untersuchung durch, um sich einen finanziellen Marktüberblick zu verschaffen.
Der Skandal droht zu einem politischen Desaster für die Oppositionspartei SPÖ zu werden. Zuletzt hatten die Sozialdemokraten in Umfragen viel Aufwind erhalten und waren zu populärsten Partei im Land aufgestiegen. Die Regierungspartei ÖVP befindet sich hingegen seit Monaten im Stimmungstief. Sowohl die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner als auch SPÖ-Bürgermeister Ludwig bemühten sich wortreich um Schadensbegrenzung.
Dass die österreichische Hauptstadt beim Bund eine Kreditlinie von sechs Milliarden Euro beantragt habe, um eventuell kurzfristig notwendige Kautionszahlungen für Energiegeschäfte an den Strombörsen leisten zu können, sei kein ungewöhnlicher Vorgang. Es gehe um Überbrückungen, “das Geld wird ja dann auch wieder zurückgezahlt”, so Stadtchef Ludwig.
Die Sozialdemokraten sprachen von einem “verrückten” Strommarkt mit stark steigenden, unberechenbaren Preisen. Immer wieder verweisen sie auf die Neuordnungen des Strommarktes in der EU. Am 9. September findet ein Sondertreffen der EU-Energieminister statt. “Österreich ist beim Thema Strom keine Insel”, sagte auch Energieministerin Gewessler. Aus ihrer Sicht brauche es eine europäische Lösung. Die schwarz-grüne Koalition in Wien will demnächst die Pläne für eine Strompreisdeckelung vorstellen.
Die Bundesregierung ist über das Finanzdesaster der Wien Energie nach eigener Aussage erst kurzfristig von der Stadt Wien informiert worden. Finanzminister Magnus Brunner kritisierte am Dienstag im ORF die mutmaßlich spekulativen Geschäfte an der Energiebörse.
Nach Meinung von Experten hat sich die Wien Energie bei Termingeschäften an der Börse verzockt. “Normal waren die Geschäfte nicht”, sagte der österreichische Energiemarktexperte Walter Boltz. “Ich denke schon, dass die Wiener ein Risiko in Kauf genommen haben, sicher in der Hoffnung, hier finanzielle Vorteile für die Wiener Kunden zu bekommen”, so der frühere Chef der Energie-Regulierungsbehörde E-Control in Österreich.
Er kritisierte das Volumen der Börsengeschäfte der Wien Energie. “Wenn daraus Verpflichtungen zur Leistung von Sicherheiten in Höhe von bis zu sechs Milliarden resultieren, dann war einfach die Summe der Geschäfte für die Wiener zu groß”, sagte Boltz.
Den Vorwurf von Spekulationsgeschäften weist Wien unterdessen zurück. Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) verwies zur Erklärung für das Finanzdesaster auf die “Mondpreise” für Strom. Wien sei gezwungen, Strom an den Energiebörsen zu kaufen. “Das ist ein ganz normaler Vorgang”, sagte der Finanzmanager. Die finanziellen Garantien, sprich Kautionen, seien jedoch aufgrund der derzeitigen Marktlage exorbitant teurer. Mit dpa
Die EU will mit Vorbereitungen für einen Militäreinsatz zur Ausbildung ukrainischer Soldaten beginnen. Die 27 Mitgliedstaaten hätten beschlossen, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die Kriterien für eine neue gemeinsame EU-Mission festzulegen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach einem Treffen der Verteidigungsminister in Prag am Dienstag. Es gehe darum, “eine Armee aufzubauen, die kämpfen muss und dies für eine lange Zeit tun wird”, sagte er.
Wie die Mission genau aussehen und wo sie stattfinden könnte, ist noch nicht klar. Eine Ausbildung der Streitkräfte in der Ukraine selbst schließen Deutschland und andere Mitgliedsstaaten aus. Es gehe jetzt darum, mit Kiew zu klären, was notwendig ist, und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen abzustecken. Da jedoch eine Reihe von Staaten (z.B. Deutschland, die Niederlanden und Finnland) bereits ukrainische Streitkräfte ausbildet, stellte sich die Frage, was genau eine EU-Mission erreichen würde. Die Einrichtung einer EU-Mission ist rechtlich aufwändiger als Initiativen der Mitgliedstaaten. Doch die Zeit drängt.
Borrell betonte, es gebe in der Ukraine noch Ausbildungsbedarf – kurz-, mittel- und langfristig. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow nahm per Videolink an den Gesprächen teil. Laut Borrell stellte er bei dem Treffen eine Liste der Ausbildungsmöglichkeiten vor. Der Bedarf sei “gewaltig”, sagte er.
Auf die Frage, welchen Mehrwert eine EU-Mission im Vergleich zu den Bemühungen der einzelnen Mitgliedstaaten bringen würde, sagte Borrell, dass die Mitgliedstaaten “Kapazitäten bündeln” und entsprechend ihrer Spezialisierung helfen könnten. Dies könne zum Beispiel Militärausbildung auf hohem Niveau bedeuten, Logistik, militärische Gesundheitsversorgung oder Schutz vor atomaren, chemischen und biologischen Waffen.
Zuvor hatte der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, erklärt, die Mitgliedstaaten könnten auf den bestehenden Bemühungen aufbauen – einschließlich der technischen Ausbildung für die in die Ukraine gelieferten Waffen. Es gelte nun, einen Nutzen zu finden, der nicht nur unnötige Bürokratie schafft.
Borrell betonte, die endgültige Entscheidung für den Start sei noch nicht gefallen. Nach Angaben von Diplomaten wollen Länder wie Österreich und Italien zunächst noch auf Ebene der Außenminister beraten. Auch Ungarn soll noch Vorbehalte geäußert haben.
Vor dem Treffen sagte die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, die Gespräche befänden sich in einem Vorstadium, in dem es darum gehe, ob eine Mission überhaupt durchgeführt werden könne. Ihre niederländische Amtskollegin Kajsa Ollongren sprach sich deutlicher für eine EU-Mission aus und verwies darauf, dass ihr Land bereits gemeinsam mit Deutschland die Ukraine im Vereinigten Königreich ausbilde. Auch Lettland und Finnland drückten ihre Unterstützung aus.
Die Mitgliedstaaten scheinen sich bei den Treffen in Prag ihre stärksten Emotionen für die Gespräche der Außenminister am Mittwoch aufzusparen. Dabei wird die Frage im Vordergrund stehen, wie stark der Zugang für Russen zu Visa in der EU eingeschränkt werden soll.
Estland, Lettland und Finnland haben Einreiseverbote angekündigt oder bereits umgesetzt. Deutschland, Österreich, Griechenland und Zypern wollen das aber nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte davor, Russen kollektiv haftbar zu machen. Zudem werfe ein solcher Bann rechtliche Probleme auf.
Ein möglicher Kompromiss ist die vollständige Aussetzung des europäischen Visa-Abkommens mit Moskau, das russischen Staatsbürger die Einreise in die EU erleichtert. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach sich am Dienstag dafür aus. Dieses Vorgehen könnte eine “ganz gute Brücke” zwischen den EU-Staaten sein, sagte sie.
Dieser Schritt wird die baltischen Länder wahrscheinlich kaum zufriedenstellen, die sehr viel energischer gegen den Zuzug von Russen in die EU vorgehen wollen. Mit dpa
Eigentlich sollten die Trilogverhandlungen für die Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) sowie für die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) noch vor der COP 27 im November abgeschlossen sein. Doch daraus dürfte nichts werden. Die nächste Trilogrunde zur ETS-Reform soll erst in der zweiten Oktoberwoche (KW41) stattfinden, zum CBAM in der Woche davor (KW40). Mit diesem Zeitplan ist eine Einigung bis zum Beginn der UN-Klimakonferenz am 7. November kaum möglich.
Zwar haben zu beiden Dossiers des Fit-for-55-Pakets die sogenannten Technical Meetings bereits begonnen, in denen die politischen Berater mögliche Konfliktlinien und Kompromisse austarieren. Doch die Verhandlungen auf höchster Ebene beginnen nach Informationen von Europe.Table eben erst in vier bzw. fünf Wochen. Offizieller Verhandlungsbeginn war zwar schon vor der Sommerpause, doch beim ersten Treffen haben die Co-Gesetzgeber lediglich ihre Standpunkte noch einmal dargelegt (Europe.Table berichtete). Die Positionen des Parlaments können Sie hier nachlesen, die des Rates hier.
An den Verhandlungen zum ETS beteiligt sind: der Parlamentsberichterstatter Peter Liese (EVP) sowie die Schattenberichterstatter, der Umweltausschussvorsitzende Pascal Canfin (Renew), Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans sowie ein Vertreter des verstorbenen Generaldirektors Klimapolitik Mauro Petriccione für die Kommission und die tschechische Ratspräsidentschaft.
Beim CBAM ist Mohammed Chahim (S&D) Berichterstatter. Für die Kommission war beim Trilogauftakt Mitte Juli Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni für die Kommission anwesend. luk
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Dienstag eine Forderung des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki zurückgewiesen, das EU-Emissionshandelssystem (ETS) vorübergehend auszusetzen, um die Strompreise zu stabilisieren.
Auf einem Energiegipfel in Kopenhagen schlug Morawiecki vor, das Klimaschutzinstrument der EU auszusetzen. “Warum sollten wir den bereits sehr hohen Strompreisen weitere 90 oder 100 Euro in Form von ETS-Zertifikaten hinzufügen? Wir können zu diesem System zurückkehren, sobald wir die Energieversorgung für ganz Europa gesichert und den Frieden in der Ukraine wiederhergestellt haben”, sagte Morawiecki auf einer Pressekonferenz.
Von der Leyen erteilte dem eine Absage. “Wir brauchen das Emissionshandelssystem, um die CO2-Emissionen zu senken”, sagte sie auf der gleichen Pressekonferenz. Stattdessen arbeite die EU an einem Notfallinstrument und einer strukturellen Reform des EU-Strommarktes. rtr
Die Öl- und Gaskonzerne Wintershall und Equinor planen ein gemeinsames Projekt zum Transport und zur Speicherung von Kohlendioxid in der Nordsee. Eine rund 900 Kilometer lange Pipeline soll CO2 aus Norddeutschland zu den Speicherstätten vor der norwegischen Küste transportieren. Die Pipeline soll noch vor 2032 in Betrieb genommen werden. Das teilten die beiden Unternehmen am Dienstag mit.
Die Pipeline soll eine Transportkapazität von jährlich 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 haben, was etwa 20 Prozent der gesamten deutschen Industrieemissionen pro Jahr entspricht. Der Transport und die unterirdische Lagerung könnten bereits früher starten – dann würde das CO2 bis zur Fertigstellung der Pipeline per Schiff transportiert werden. Wintershall und Equinor wollen zudem Lizenzen für die Offshore-Speicherung von CO2 beantragen, um 15 bis 20 Millionen Tonnen pro Jahr in der Nordsee zu speichern. rtr
Das Bundeskartellamt will den Wettbewerb im Internet vorantreiben und das Vorgehen von Digitalkonzernen wie Amazon oder Apple genau unter die Lupe nehmen. “In enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden auf der ganzen Welt arbeiten wir mit Nachdruck an Lösungen, um den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft zu schützen beziehungsweise wiederherzustellen”, sagte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresberichts 2021/22. Das Thema Digitalwirtschaft sei ein Schwerpunkt in der Tätigkeit seiner Behörde. “Schnelle Rechtsdurchsetzung ist absolut wichtig.”
Die Behörde habe bei Amazon, Alphabet/Google und Meta/Facebook eine “überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb” festgestellt. Bei Google und Meta sei dies rechtskräftig. Amazon habe Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingereicht. Bei Apple laufe das Verfahren noch. Die Einordnung eines Unternehmens in eine solche Kategorie sei nach einem neuen Gesetz der erste Schritt, auf den dann Verbote oder konkrete Handlungsanweisungen folgen könnten.
Amazon sieht den Fall anders. “Wir stimmen der Auslegung dieser komplexen neuen Gesetzgebung durch das Bundeskartellamt nicht zu und haben Beschwerde eingelegt“, sagte ein Sprecher. “Der Einzelhandelsmarkt, in dem Amazon tätig ist, ist sehr groß und ausgesprochen wettbewerbsintensiv, online wie offline.”
Das Bundeskartellamt geht in weiteren Verfahren gegen die vier Digitalkonzerne der Frage nach, ob bestimmte Verhaltensweisen der Unternehmen untersagt werden müssen, da sie den Wettbewerb beeinträchtigen beziehungsweise ihre Machtposition absichern. Allein im Fall von Google gebe es drei Verfahren, sagte Mundt. rtr
Eigentlich wollte er gar nicht nach Europa. Es sei eher ein Zufall gewesen, bekennt Daniel Caspary (CDU), dass er im Europa-Parlament gelandet sei. Der Mann, der seit fünf Jahren die Gruppe der deutschen CDU/CSU-Abgeordneten im Europa-Parlament anführt, erinnert sich an die Zeiten, als er noch jeden Montagabend im Gemeinderat von Stutensee im Nordbadischen saß und seinem Job als Manager bei einem Energieunternehmen nachging: “Kommunalpolitik war mein Hobby. Eigentlich wollte ich daran auch nichts ändern.” Doch es kam anders.
Caspary war 2003 Bezirkschef der Jungen Union. Seine Partei sucht einen Kandidaten für das Europa-Parlament. Einige sagten ab, da hieß es parteiintern: “Du musst das machen.” So kam Caspary, der als technischer Diplom-Volkswirt Wirtschaft und Reaktorsicherheit studiert hatte, in den Plenarsaal des Europa-Parlaments. Das war im Jahr 2004. Caspary war 28.
Im Straßburger Plenum sitzt Caspary in der dritten Reihe nicht weit von Manfred Weber (CSU) entfernt, dem Chef der Fraktion der Christdemokraten (EVP). Wenn Caspary das Wort ergreift, dann lässt er sich mitunter noch mehr vom Furor eines Junge-Union-Politikers tragen als von der Gelassenheit eines langjährigen EU-Abgeordneten. Der heute 46-Jährige hat mit seiner Frau fünf Kinder zwischen zwei und 15 Jahren.
13 Jahre lang hat Caspary im Europa-Parlament inhaltliche Arbeit gemacht. Sein Profil hat er als Experte für Handelspolitik geschärft. Während etwa die Grünen jedes Abkommen abgelehnt haben, hat Caspary aus Überzeugung dafür gestimmt. Und es erfüllt ihn mit Genugtuung, dass etwa der Grüne Sven Giegold, der als Europäer noch Kampagnen gegen TTIP angezettelt hat, nun in seiner neuen Rolle als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) zur Ratifizierung bringen muss. “Die Grünen machen Stimmungspolitik, wir machen Sachpolitik“, meint Caspary.
Als 2017 Herbert Reul, der bis dahin Vorsitzender der Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten im Europa-Parlament war, Innenminister in NRW im Kabinett von Armin Laschet wurde, setzte sich Caspary im Alter von 41 Jahren in der deutschen Gruppe als dessen Nachfolger durch. Auch Andreas Schwab, Bezirkschef in Südbaden, wäre bereit gewesen. Caspary ist ein Machtfaktor unter den Pro-Europäern im Parlament.
Er führt die deutsche Gruppe der Unionsabgeordneten an, die mit 30 Parlamentariern die größte nationale Gruppe einer Parteienfamilie in Straßburg ist. Nicht immer, aber häufig stimmen die deutschen Unionsabgeordneten mit einer Stimme ab. Aus seiner Truppe dringt immer wieder auch Kritik am Kurs von Ursula von der Leyen heraus. Die deutsche Kommissionspräsidentin ist für den Geschmack der Unionsleute immer wieder zu sehr auf grünem Kurs unterwegs, etwa beim Verbrennerverbot oder in der Landwirtschaftspolitik. Wiederholt musste Caspary hier schon als Moderator schlichten.
Auch in seiner Partei ist Caspary eine Nummer. Er ist Vize der Landespartei. Als er das erste Mal für den Posten kandidierte und es zu einer Kampfkandidatur kam, war die damalige Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel anwesend und machte kein Hehl daraus, dass Caspary ihre Sympathien hatte. Caspary siegte bei der Abstimmung, sagt aber rückblickend: “Ich weiß nicht, ob Merkel mir mehr geholfen oder geschadet hat.”
Als Chef der Straßburger Abgeordneten steht Caspary ein Platz im engeren Führungszirkel der Bundespartei, dem Präsidium, zu. Zunächst hatte er bei den Runden kein Stimmrecht. Doch Caspary zeigte Machtbewusstsein. Er setzte bei einem Bundesparteitag eine Satzungsänderung durch. Seitdem gehört der Chef der deutschen Gruppe im EU-Parlament dem Präsidium kraft Amtes an und hat das volle Stimmrecht. Anders etwa als die Ministerpräsidenten. Sie sind nur in beratender Funktion dabei.
Fünf Jahre lang führt Caspary bereits die deutschen Unionsabgeordneten im Straßburger Parlament. Manchmal, gesteht er im Gespräch mit Europe.Table, “sehne ich mich zurück in die Zeiten, als ich inhaltlich arbeiten konnte”. Markus Grabitz
lag es an den Ankündigungen der Kommission zu Eingriffen in den Strommarkt? Oder schlicht daran, dass eine Blase geplatzt ist? Die Strom- und Gaspreise jedenfalls sind deutlich gesunken. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck kündigte zudem an, die Gaspreise zu beeinflussen durch “kluges, strukturiertes Einkaufsverhalten”. Bewegung kommt nun auch in den EU-weiten Gaseinkauf: Nach Informationen von Europe.Table wollen die Grünen im Europaparlament in den nächsten Tagen einen detaillierten Vorschlag zum gemeinsamen Gaseinkauf vorlegen. Dass die Iberische Halbinsel zu einem Hub für die Verteilung von Gas an den Rest Europas werden kann – darum drehten sich die Gespräche auf Schloss Meseberg. Manuel Berkel und Claire Stam fassen die wichtigsten Entwicklungen aus dem Energiesektor zusammen.
Milliardenschwere Finanzgarantien braucht die Wien Energie vom Staat, um die Stromversorgung in der Hauptstadt zu sichern. “Es geht um die Versorgungssicherheit der größten Stadt Österreichs”, warnte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) angesichts des unerwarteten Finanzbedarfs des städtischen Unternehmens in Höhe von bis zu sechs Milliarden Euro. Die drohende Zahlungsunfähigkeit des Energieversorgers treffe Österreich völlig unvorbereitet und könnte zu einem politischen Desaster für die Oppositionspartei SPÖ werden, schreibt Hans-Peter Siebenhaar.
Nicht alle Länder sind gleichermaßen überzeugt. Doch beim gestrigen Treffen der Verteidigungsminister haben die Mitgliedstaaten sich darauf verständigt, Vorbereitungen für einen Militäreinsatz zur Ausbildung ukrainischer Soldaten einzuleiten. Es gehe darum, “eine Armee aufzubauen, die kämpfen muss und dies für eine lange Zeit tun wird”, sagte Josep Borrell. Die Staaten könnten entsprechend ihrer Spezialisierung helfen, so der EU-Außenbeauftragte – etwa bei der Logistik, der militärischen Gesundheitsversorgung und dem Schutz vor nuklearen oder chemischen Waffen. Aus Prag berichtet Ella Joyner.
Sind sie nun beruhigt oder verschreckt? Die Ankündigung der EU-Spitzen vom Montag scheinen jedenfalls an einem Ort Eindruck gemacht zu haben: den Strom- und Gasmärkten auf dem Kontinent. Gegenüber den Höchstständen vom Freitag gaben die Notierungen gestern wie schon zum Wochenbeginn deutlich nach. Der Gaspreis für September fiel von 339 auf zeitweise 250 Euro pro Megawattstunde, der Strompreis fürs kommende Jahr von 985 auf 610 Euro. Laut Energieexperten könnte dies durchaus an den Ankündigungen der Kommission liegen – oder aber einfach am Platzen einer Spekulationsblase.
“Es ist schwer, das definitiv zu beantworten”, sagt Hanns Koenig von Aurora Energy Research. “Insbesondere beim Strom hatten sich die Preise auf den Terminmärkten in den letzten Wochen von einem rein durch Fundamentaldaten erklärbaren Niveau entfernt. Eine Korrektur wäre daher nicht per se ungewöhnlich.” Die Preissenkung könne aber durchaus mit den Plänen der Kommission und des Rates für kurz- und mittelfristige Eingriffe am Strommarkt zusammenhängen.
Koenig verwies außerdem auf eine Ankündigung von Wirtschaftsminister Robert Habeck vom Montag. Weil Deutschland seinem Speicherziel einen Monat voraus sei, werde man künftig nicht mehr Gas zu jedem Preis kaufen, hatte der Grünen-Politiker gesagt.
Gestern Abend kündigte Habeck weitere Bewegung beim Gaseinkauf an. Es gebe die Möglichkeit, die Gaspreise zu beeinflussen durch “kluges, strukturiertes Einkaufsverhalten”, sagte Habeck. Darüber werde beim EU-Energieministerrat am 9. September gesprochen. Nach Informationen von Europe.Table wollen die Grünen im Europaparlament in den nächsten Tagen einen detaillierten Vorschlag zum gemeinsamen Gaseinkauf vorlegen. Dieser solle von der Kommission und dem Rat beschlossen werden, forderte der Abgeordnete Rasmus Andresen. Schon vor Monaten hatte die Kommission eine gemeinsame Energieplattform eingesetzt und sich davon niedrigere Preise erhofft. Bisher kommt der EU-weite Gaseinkauf aber nicht in die Gänge.
Hauptthema beim Energierat werden allerdings wohl die gestiegenen Strompreise sein. Laut Koenig wird neben dem spanischen Modell weiterhin vor allem der Vorschlag Griechenlands diskutiert, getrennte Strommärkte für erneuerbare und konventionelle Energieträger einzuführen. “Beide halte ich für hochproblematisch”, sagte der Energieexperte. “Eine rationale Politik wäre aus meiner Sicht, die hohen Zusatzgewinne, die derzeit bei einigen Erzeugern anfallen, zumindest teilweise abzuschöpfen, um Energie für vulnerable Haushalte und Unternehmen leistbar zu halten.”
Skeptisch beurteilt kurzfristige Markteingriffe auch das Centrum für Europäische Politik (CEP). “Ich habe noch kein anderes Modell für den Strommarkt gesehen, das besser wäre als das bisherige. Aus den Regeln der Marktwirtschaft kommt man nicht raus”, sagt der Jurist Götz Reichert. “Preisdeckel klingen populär, doch wer entscheidet nach welchen Kriterien über die Höhe? Der Preis ist einfach das ehrlichste Signal, welche Güter knapp sind, wer einsparen und in welche günstigeren Technologien investiert werden sollte.” Einen vorübergehenden Mechanismus, um die Strompreise zu dämpfen, hatte im April bereits das Regulatory Assistance Project vorgestellt.
Der Urheber des spanischen Modells war gestern zu Gast bei der Kabinettsklausur der Bundesregierung in Meseberg. Thema war vordergründig aber die Gasinfrastruktur als Voraussetzung für die gemeinsame Beschaffung. Dem spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez versicherte Olaf Scholz die Unterstützung für eine Gasverbindung von der Iberischen Halbinsel zu.
“Ich bin Bundeskanzler Scholz auch sehr dankbar für seine Vision, dass wir diese Verbindungen beschleunigen”, sagte seinerseits Sánchez, bevor er, ohne Frankreich zu erwähnen, eine Ergänzung zu MidCat erwähnte. “Wir wissen, wenn sich diese Verbindungen im Sinne von REPowerEU weiterentwickeln, wie wir das in diesem Sommer besprochen haben, dann gibt es noch weitere Möglichkeiten der Verbindung, nämlich die Verbindung der Iberischen Halbinsel mit Italien.”
Sánchez fügte hinzu, dass Spanien 30 Prozent des Flüssiggas-Bedarfs der EU decken könne, wenn sein Land und Portugal an das europäische Gasnetz angebunden würden. Spanien verfügt über sechs LNG-Regasifizierungsanlagen und ist damit das Land mit der größten Regasifizierungskapazität in der gesamten EU. Portugal hat eine solche Anlage. Die Halbinsel verfügt also über die Infrastruktur, um zu einem Hub für die Verteilung von Gas an den Rest Europas zu werden. Allerdings müsste Frankreich noch seinen Teil des MidCat fertigstellen. Hier setzt Sánchez auf die Überzeugungskraft Berlins gegenüber Paris.
Eine weitere Zusammenarbeit zeichnete sich gestern bei Offshore-Windenergie in der Ostsee ab. Acht Ostsee-Anrainerstaaten – darunter Deutschland – einigten sich auf einen massiven Ausbau. Die Offshore-Windkapazität solle bis 2030 versiebenfacht werden, sagte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen bei einem Energiegipfel der Anrainerstaaten in Kopenhagen. Eine stärkere Nutzung der Windkraft könnte die Abhängigkeit von russischer Energie verringern.
Keine hervorgehobene Rolle spielt dagegen derzeit das Stromsparen. Für den Gassektor hatten sich die Energieminister auf ein gemeinsames Einsparziel von 15 Prozent geeinigt. Ein ähnlicher Schritt für Elektrizität steht derzeit nicht auf der Tagesordnung, ergab eine Umfrage von Europe.Table bei den EU-Vertretungen der Mitgliedstaaten. Polen verwies sogar auf seine ablehnende Haltung gegenüber Einsparverpflichtungen wie beim Gas.
Bei der Kommission wird hinter vorgehaltener Hand weiter auf die Wichtigkeit von Effizienz verwiesen. Energiesparen sei “fast eine Vorbedingung für jede andere Lösung” sagte eine Quelle zu Europe.Table. Ein konkreter Vorschlag zum Stromsparen ist bisher jedoch nicht aus der Kommission gedrungen. Einen preissenkenden Effekt könnte ein Rückgang der Nachfrage allerdings haben.
“Schon allein die Ankündigung eines Sparziels könnte kurzfristig Druck rausnehmen”, sagt Marco Wünsch vom Analyse- und Beratungsunternehmen Prognos. “Dann müssten aber richtige Maßnahmen kommen, die den Stromverbrauch senken. Dann gäbe es auch einen nachhaltigen Preiseffekt.”
Die Erfahrungen mit dem Gassparziel haben aber auch für Ernüchterung gesorgt. “Jede eingesparte Kilowattstunde hilft – auch im Strommarkt”, sagt Götz Reichert vom CEP. “Doch der Beschluss zum Gassparen hat gezeigt, dass die Bedingungen in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich sind. Bei einem Stromsparbeschluss würde es wohl wieder viele nationale Ausnahmen geben.” Mit Claire Stam, dpa, rtr
Dem größten österreichischen Energieversorger Wien Energie droht ein finanzielles Desaster. Das Unternehmen hat einen unerwarteten Finanzbedarf von bis zu sechs Milliarden Euro. Wegen misslungener Termingeschäfte an der Börse brauchte das Unternehmen der Stadt Wien am Dienstag im ersten Anlauf Finanzgarantien von mindestens zwei Milliarden Euro, um eine Insolvenz zu vermeiden und die Versorgungssicherheit zu garantieren.
Der Finanzbedarf wird nach Angaben der Stadtspitze vom Stadtrechnungshof und externen Gutachtern überprüft. “Ich möchte damit zeigen, dass es nichts zu verbergen gibt”, sagte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) am Dienstag. Seitens der Stadt Wien ist von einem finanziellen “Schutzschirm” von bis zu sechs Milliarden Euro die Rede. Das Finanzministerium will die Milliardensummen nicht ohne Garantien überweisen. “Die Dimension ist schon gewaltig”, sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) im ORF.
Die Stadt Wien hat der Wien Energie in den vergangenen Wochen nach eigenen Angaben bereits mit 700 Millionen Euro geholfen. Für den Kauf von Strom an internationalen Energiebörsen braucht der Energieversorger derzeit sehr hohe Finanzmittel zur Besicherung von künftigen Lieferverträgen (Futures). Die Wien Energie erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 3 Milliarden Euro. Der Jahresüberschuss sank im gleichen Zeitraum um 61 Prozent auf noch 140 Millionen Euro. Der Stromabsatz belief sich zuletzt auf über 10.000 Gigawattstunden (GWh).
Der Finanzskandal erschüttert Österreich ins Mark. Denn die Schieflage der Wien Energie trifft das Land völlig unvorbereitet. Die Beunruhigung der knapp zwei Millionen Bürger in Wien ist groß. “Es geht um die Versorgungssicherheit der größten Stadt Österreichs”, warnte Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne). Das Desaster der Wien Energie ist aber noch ein Einzelfall in Österreich. Laut Gewessler gebe es keine anderen großen Energieversorger in der Alpenrepublik, die ähnlich Liquiditätsprobleme wie die Wien Energie haben. Derzeit führt die Aufsichtsbehörde E-Control eine Untersuchung durch, um sich einen finanziellen Marktüberblick zu verschaffen.
Der Skandal droht zu einem politischen Desaster für die Oppositionspartei SPÖ zu werden. Zuletzt hatten die Sozialdemokraten in Umfragen viel Aufwind erhalten und waren zu populärsten Partei im Land aufgestiegen. Die Regierungspartei ÖVP befindet sich hingegen seit Monaten im Stimmungstief. Sowohl die SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner als auch SPÖ-Bürgermeister Ludwig bemühten sich wortreich um Schadensbegrenzung.
Dass die österreichische Hauptstadt beim Bund eine Kreditlinie von sechs Milliarden Euro beantragt habe, um eventuell kurzfristig notwendige Kautionszahlungen für Energiegeschäfte an den Strombörsen leisten zu können, sei kein ungewöhnlicher Vorgang. Es gehe um Überbrückungen, “das Geld wird ja dann auch wieder zurückgezahlt”, so Stadtchef Ludwig.
Die Sozialdemokraten sprachen von einem “verrückten” Strommarkt mit stark steigenden, unberechenbaren Preisen. Immer wieder verweisen sie auf die Neuordnungen des Strommarktes in der EU. Am 9. September findet ein Sondertreffen der EU-Energieminister statt. “Österreich ist beim Thema Strom keine Insel”, sagte auch Energieministerin Gewessler. Aus ihrer Sicht brauche es eine europäische Lösung. Die schwarz-grüne Koalition in Wien will demnächst die Pläne für eine Strompreisdeckelung vorstellen.
Die Bundesregierung ist über das Finanzdesaster der Wien Energie nach eigener Aussage erst kurzfristig von der Stadt Wien informiert worden. Finanzminister Magnus Brunner kritisierte am Dienstag im ORF die mutmaßlich spekulativen Geschäfte an der Energiebörse.
Nach Meinung von Experten hat sich die Wien Energie bei Termingeschäften an der Börse verzockt. “Normal waren die Geschäfte nicht”, sagte der österreichische Energiemarktexperte Walter Boltz. “Ich denke schon, dass die Wiener ein Risiko in Kauf genommen haben, sicher in der Hoffnung, hier finanzielle Vorteile für die Wiener Kunden zu bekommen”, so der frühere Chef der Energie-Regulierungsbehörde E-Control in Österreich.
Er kritisierte das Volumen der Börsengeschäfte der Wien Energie. “Wenn daraus Verpflichtungen zur Leistung von Sicherheiten in Höhe von bis zu sechs Milliarden resultieren, dann war einfach die Summe der Geschäfte für die Wiener zu groß”, sagte Boltz.
Den Vorwurf von Spekulationsgeschäften weist Wien unterdessen zurück. Der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) verwies zur Erklärung für das Finanzdesaster auf die “Mondpreise” für Strom. Wien sei gezwungen, Strom an den Energiebörsen zu kaufen. “Das ist ein ganz normaler Vorgang”, sagte der Finanzmanager. Die finanziellen Garantien, sprich Kautionen, seien jedoch aufgrund der derzeitigen Marktlage exorbitant teurer. Mit dpa
Die EU will mit Vorbereitungen für einen Militäreinsatz zur Ausbildung ukrainischer Soldaten beginnen. Die 27 Mitgliedstaaten hätten beschlossen, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die Kriterien für eine neue gemeinsame EU-Mission festzulegen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach einem Treffen der Verteidigungsminister in Prag am Dienstag. Es gehe darum, “eine Armee aufzubauen, die kämpfen muss und dies für eine lange Zeit tun wird”, sagte er.
Wie die Mission genau aussehen und wo sie stattfinden könnte, ist noch nicht klar. Eine Ausbildung der Streitkräfte in der Ukraine selbst schließen Deutschland und andere Mitgliedsstaaten aus. Es gehe jetzt darum, mit Kiew zu klären, was notwendig ist, und auch die rechtlichen Rahmenbedingungen abzustecken. Da jedoch eine Reihe von Staaten (z.B. Deutschland, die Niederlanden und Finnland) bereits ukrainische Streitkräfte ausbildet, stellte sich die Frage, was genau eine EU-Mission erreichen würde. Die Einrichtung einer EU-Mission ist rechtlich aufwändiger als Initiativen der Mitgliedstaaten. Doch die Zeit drängt.
Borrell betonte, es gebe in der Ukraine noch Ausbildungsbedarf – kurz-, mittel- und langfristig. Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow nahm per Videolink an den Gesprächen teil. Laut Borrell stellte er bei dem Treffen eine Liste der Ausbildungsmöglichkeiten vor. Der Bedarf sei “gewaltig”, sagte er.
Auf die Frage, welchen Mehrwert eine EU-Mission im Vergleich zu den Bemühungen der einzelnen Mitgliedstaaten bringen würde, sagte Borrell, dass die Mitgliedstaaten “Kapazitäten bündeln” und entsprechend ihrer Spezialisierung helfen könnten. Dies könne zum Beispiel Militärausbildung auf hohem Niveau bedeuten, Logistik, militärische Gesundheitsversorgung oder Schutz vor atomaren, chemischen und biologischen Waffen.
Zuvor hatte der Vorsitzende des EU-Militärausschusses, Robert Brieger, erklärt, die Mitgliedstaaten könnten auf den bestehenden Bemühungen aufbauen – einschließlich der technischen Ausbildung für die in die Ukraine gelieferten Waffen. Es gelte nun, einen Nutzen zu finden, der nicht nur unnötige Bürokratie schafft.
Borrell betonte, die endgültige Entscheidung für den Start sei noch nicht gefallen. Nach Angaben von Diplomaten wollen Länder wie Österreich und Italien zunächst noch auf Ebene der Außenminister beraten. Auch Ungarn soll noch Vorbehalte geäußert haben.
Vor dem Treffen sagte die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, die Gespräche befänden sich in einem Vorstadium, in dem es darum gehe, ob eine Mission überhaupt durchgeführt werden könne. Ihre niederländische Amtskollegin Kajsa Ollongren sprach sich deutlicher für eine EU-Mission aus und verwies darauf, dass ihr Land bereits gemeinsam mit Deutschland die Ukraine im Vereinigten Königreich ausbilde. Auch Lettland und Finnland drückten ihre Unterstützung aus.
Die Mitgliedstaaten scheinen sich bei den Treffen in Prag ihre stärksten Emotionen für die Gespräche der Außenminister am Mittwoch aufzusparen. Dabei wird die Frage im Vordergrund stehen, wie stark der Zugang für Russen zu Visa in der EU eingeschränkt werden soll.
Estland, Lettland und Finnland haben Einreiseverbote angekündigt oder bereits umgesetzt. Deutschland, Österreich, Griechenland und Zypern wollen das aber nicht. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte davor, Russen kollektiv haftbar zu machen. Zudem werfe ein solcher Bann rechtliche Probleme auf.
Ein möglicher Kompromiss ist die vollständige Aussetzung des europäischen Visa-Abkommens mit Moskau, das russischen Staatsbürger die Einreise in die EU erleichtert. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sprach sich am Dienstag dafür aus. Dieses Vorgehen könnte eine “ganz gute Brücke” zwischen den EU-Staaten sein, sagte sie.
Dieser Schritt wird die baltischen Länder wahrscheinlich kaum zufriedenstellen, die sehr viel energischer gegen den Zuzug von Russen in die EU vorgehen wollen. Mit dpa
Eigentlich sollten die Trilogverhandlungen für die Reform des europäischen Emissionshandels (ETS) sowie für die Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) noch vor der COP 27 im November abgeschlossen sein. Doch daraus dürfte nichts werden. Die nächste Trilogrunde zur ETS-Reform soll erst in der zweiten Oktoberwoche (KW41) stattfinden, zum CBAM in der Woche davor (KW40). Mit diesem Zeitplan ist eine Einigung bis zum Beginn der UN-Klimakonferenz am 7. November kaum möglich.
Zwar haben zu beiden Dossiers des Fit-for-55-Pakets die sogenannten Technical Meetings bereits begonnen, in denen die politischen Berater mögliche Konfliktlinien und Kompromisse austarieren. Doch die Verhandlungen auf höchster Ebene beginnen nach Informationen von Europe.Table eben erst in vier bzw. fünf Wochen. Offizieller Verhandlungsbeginn war zwar schon vor der Sommerpause, doch beim ersten Treffen haben die Co-Gesetzgeber lediglich ihre Standpunkte noch einmal dargelegt (Europe.Table berichtete). Die Positionen des Parlaments können Sie hier nachlesen, die des Rates hier.
An den Verhandlungen zum ETS beteiligt sind: der Parlamentsberichterstatter Peter Liese (EVP) sowie die Schattenberichterstatter, der Umweltausschussvorsitzende Pascal Canfin (Renew), Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans sowie ein Vertreter des verstorbenen Generaldirektors Klimapolitik Mauro Petriccione für die Kommission und die tschechische Ratspräsidentschaft.
Beim CBAM ist Mohammed Chahim (S&D) Berichterstatter. Für die Kommission war beim Trilogauftakt Mitte Juli Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni für die Kommission anwesend. luk
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Dienstag eine Forderung des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki zurückgewiesen, das EU-Emissionshandelssystem (ETS) vorübergehend auszusetzen, um die Strompreise zu stabilisieren.
Auf einem Energiegipfel in Kopenhagen schlug Morawiecki vor, das Klimaschutzinstrument der EU auszusetzen. “Warum sollten wir den bereits sehr hohen Strompreisen weitere 90 oder 100 Euro in Form von ETS-Zertifikaten hinzufügen? Wir können zu diesem System zurückkehren, sobald wir die Energieversorgung für ganz Europa gesichert und den Frieden in der Ukraine wiederhergestellt haben”, sagte Morawiecki auf einer Pressekonferenz.
Von der Leyen erteilte dem eine Absage. “Wir brauchen das Emissionshandelssystem, um die CO2-Emissionen zu senken”, sagte sie auf der gleichen Pressekonferenz. Stattdessen arbeite die EU an einem Notfallinstrument und einer strukturellen Reform des EU-Strommarktes. rtr
Die Öl- und Gaskonzerne Wintershall und Equinor planen ein gemeinsames Projekt zum Transport und zur Speicherung von Kohlendioxid in der Nordsee. Eine rund 900 Kilometer lange Pipeline soll CO2 aus Norddeutschland zu den Speicherstätten vor der norwegischen Küste transportieren. Die Pipeline soll noch vor 2032 in Betrieb genommen werden. Das teilten die beiden Unternehmen am Dienstag mit.
Die Pipeline soll eine Transportkapazität von jährlich 20 bis 40 Millionen Tonnen CO2 haben, was etwa 20 Prozent der gesamten deutschen Industrieemissionen pro Jahr entspricht. Der Transport und die unterirdische Lagerung könnten bereits früher starten – dann würde das CO2 bis zur Fertigstellung der Pipeline per Schiff transportiert werden. Wintershall und Equinor wollen zudem Lizenzen für die Offshore-Speicherung von CO2 beantragen, um 15 bis 20 Millionen Tonnen pro Jahr in der Nordsee zu speichern. rtr
Das Bundeskartellamt will den Wettbewerb im Internet vorantreiben und das Vorgehen von Digitalkonzernen wie Amazon oder Apple genau unter die Lupe nehmen. “In enger Zusammenarbeit mit der EU-Kommission und nationalen Wettbewerbsbehörden auf der ganzen Welt arbeiten wir mit Nachdruck an Lösungen, um den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft zu schützen beziehungsweise wiederherzustellen”, sagte Kartellamts-Präsident Andreas Mundt am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresberichts 2021/22. Das Thema Digitalwirtschaft sei ein Schwerpunkt in der Tätigkeit seiner Behörde. “Schnelle Rechtsdurchsetzung ist absolut wichtig.”
Die Behörde habe bei Amazon, Alphabet/Google und Meta/Facebook eine “überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb” festgestellt. Bei Google und Meta sei dies rechtskräftig. Amazon habe Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingereicht. Bei Apple laufe das Verfahren noch. Die Einordnung eines Unternehmens in eine solche Kategorie sei nach einem neuen Gesetz der erste Schritt, auf den dann Verbote oder konkrete Handlungsanweisungen folgen könnten.
Amazon sieht den Fall anders. “Wir stimmen der Auslegung dieser komplexen neuen Gesetzgebung durch das Bundeskartellamt nicht zu und haben Beschwerde eingelegt“, sagte ein Sprecher. “Der Einzelhandelsmarkt, in dem Amazon tätig ist, ist sehr groß und ausgesprochen wettbewerbsintensiv, online wie offline.”
Das Bundeskartellamt geht in weiteren Verfahren gegen die vier Digitalkonzerne der Frage nach, ob bestimmte Verhaltensweisen der Unternehmen untersagt werden müssen, da sie den Wettbewerb beeinträchtigen beziehungsweise ihre Machtposition absichern. Allein im Fall von Google gebe es drei Verfahren, sagte Mundt. rtr
Eigentlich wollte er gar nicht nach Europa. Es sei eher ein Zufall gewesen, bekennt Daniel Caspary (CDU), dass er im Europa-Parlament gelandet sei. Der Mann, der seit fünf Jahren die Gruppe der deutschen CDU/CSU-Abgeordneten im Europa-Parlament anführt, erinnert sich an die Zeiten, als er noch jeden Montagabend im Gemeinderat von Stutensee im Nordbadischen saß und seinem Job als Manager bei einem Energieunternehmen nachging: “Kommunalpolitik war mein Hobby. Eigentlich wollte ich daran auch nichts ändern.” Doch es kam anders.
Caspary war 2003 Bezirkschef der Jungen Union. Seine Partei sucht einen Kandidaten für das Europa-Parlament. Einige sagten ab, da hieß es parteiintern: “Du musst das machen.” So kam Caspary, der als technischer Diplom-Volkswirt Wirtschaft und Reaktorsicherheit studiert hatte, in den Plenarsaal des Europa-Parlaments. Das war im Jahr 2004. Caspary war 28.
Im Straßburger Plenum sitzt Caspary in der dritten Reihe nicht weit von Manfred Weber (CSU) entfernt, dem Chef der Fraktion der Christdemokraten (EVP). Wenn Caspary das Wort ergreift, dann lässt er sich mitunter noch mehr vom Furor eines Junge-Union-Politikers tragen als von der Gelassenheit eines langjährigen EU-Abgeordneten. Der heute 46-Jährige hat mit seiner Frau fünf Kinder zwischen zwei und 15 Jahren.
13 Jahre lang hat Caspary im Europa-Parlament inhaltliche Arbeit gemacht. Sein Profil hat er als Experte für Handelspolitik geschärft. Während etwa die Grünen jedes Abkommen abgelehnt haben, hat Caspary aus Überzeugung dafür gestimmt. Und es erfüllt ihn mit Genugtuung, dass etwa der Grüne Sven Giegold, der als Europäer noch Kampagnen gegen TTIP angezettelt hat, nun in seiner neuen Rolle als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada (Ceta) zur Ratifizierung bringen muss. “Die Grünen machen Stimmungspolitik, wir machen Sachpolitik“, meint Caspary.
Als 2017 Herbert Reul, der bis dahin Vorsitzender der Gruppe der CDU/CSU-Abgeordneten im Europa-Parlament war, Innenminister in NRW im Kabinett von Armin Laschet wurde, setzte sich Caspary im Alter von 41 Jahren in der deutschen Gruppe als dessen Nachfolger durch. Auch Andreas Schwab, Bezirkschef in Südbaden, wäre bereit gewesen. Caspary ist ein Machtfaktor unter den Pro-Europäern im Parlament.
Er führt die deutsche Gruppe der Unionsabgeordneten an, die mit 30 Parlamentariern die größte nationale Gruppe einer Parteienfamilie in Straßburg ist. Nicht immer, aber häufig stimmen die deutschen Unionsabgeordneten mit einer Stimme ab. Aus seiner Truppe dringt immer wieder auch Kritik am Kurs von Ursula von der Leyen heraus. Die deutsche Kommissionspräsidentin ist für den Geschmack der Unionsleute immer wieder zu sehr auf grünem Kurs unterwegs, etwa beim Verbrennerverbot oder in der Landwirtschaftspolitik. Wiederholt musste Caspary hier schon als Moderator schlichten.
Auch in seiner Partei ist Caspary eine Nummer. Er ist Vize der Landespartei. Als er das erste Mal für den Posten kandidierte und es zu einer Kampfkandidatur kam, war die damalige Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel anwesend und machte kein Hehl daraus, dass Caspary ihre Sympathien hatte. Caspary siegte bei der Abstimmung, sagt aber rückblickend: “Ich weiß nicht, ob Merkel mir mehr geholfen oder geschadet hat.”
Als Chef der Straßburger Abgeordneten steht Caspary ein Platz im engeren Führungszirkel der Bundespartei, dem Präsidium, zu. Zunächst hatte er bei den Runden kein Stimmrecht. Doch Caspary zeigte Machtbewusstsein. Er setzte bei einem Bundesparteitag eine Satzungsänderung durch. Seitdem gehört der Chef der deutschen Gruppe im EU-Parlament dem Präsidium kraft Amtes an und hat das volle Stimmrecht. Anders etwa als die Ministerpräsidenten. Sie sind nur in beratender Funktion dabei.
Fünf Jahre lang führt Caspary bereits die deutschen Unionsabgeordneten im Straßburger Parlament. Manchmal, gesteht er im Gespräch mit Europe.Table, “sehne ich mich zurück in die Zeiten, als ich inhaltlich arbeiten konnte”. Markus Grabitz