in der Gaskrise blickt die EU-Gemeinschaft mit Spannung auf kommenden Mittwoch, wenn Kommissionvize Frans Timmermans den gemeinsamen Notfallplan für den Winter vorstellt. Manuel Berkel hat bereits jetzt einen Blick in den Entwurf des Papiers geworfen und berichtet, mit welcher Strategie die Kommission die Einschnitte in die Industrieproduktion möglichst gering halten will.
Gestern hat die EU-Kommission ihren Rule of Law Report vorgestellt, den jährlichen Bericht zum Rechtsstaat. Die größten Probleme sieht die Behörde – wenig überraschend – in Ungarn und Polen. Dem deutschen Rechtsstaat stellt die Kommission ein gutes Zeugnis aus, übt allerdings auch Kritik: Verbesserung gebe es beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft, die “Abkühlphase” sei bislang zu kurz. Doch gerade in dieser Sache werde Brüssel seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, analysiert Eric Bonse.
Thierry Breton ist mal wieder im Krisenmodus. Zurzeit ist er viel unterwegs, er wolle “in allen Mitgliedstaaten sehr präsent sein in dieser schwierigen Periode”. Schon während der Corona-Krise spielte Breton eine Schlüsselrolle. Und dann sind da noch die zahlreichen großen Gesetzesvorhaben, die in seine Zuständigkeit fallen. Dabei hatte Breton zu Beginn seiner Zeit in Brüssel Mühe, in der Kommission Fuß zu fassen, wie Stephan Israel und Till Hoppe im Porträt über den EU-Binnenmarktkommissar schreiben.
Mit einem Katalog an Empfehlungen, Best-Practice-Beispielen und gemeinsamen Kriterien für Abschaltungen von Industriebetrieben will Brüssel die Staatengemeinschaft auf einen möglichen Gasmangel im Winter vorbereiten. “Die Analyse der Kommission zeigt, dass es wesentlich kostengünstiger wäre, die Erdgasnachfrage über einen längeren Zeitraum moderat zu senken und früher damit zu beginnen, als die Nachfrage plötzlich und ohne angemessene Vorbereitung drastisch zu drosseln”, schreibt die EU-Behörde in einem Entwurf ihres Gas-Notfallplans, der Europe.Table vorliegt.
Es könnte noch deutliche Änderungen geben, die offizielle Version will Vizepräsident Frans Timmermans am 20. Juli vorstellen (Europe.Table berichtete). Doch eine politische Richtung scheint bereits klar durch: Mit dem Energiesparen soll es jetzt ernst werden.
Die Risiken benennt das Papier ganz deutlich: Sollte Russland die Gaslieferungen im Juli komplett einstellen, könnten die Speicher nur zu 65 bis 71 Prozent gefüllt werden. Im Winter drohe nach Simulationen des Verbands Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSOG) eine EU-weite Gaslücke von 20 Milliarden Kubikmetern (bcm) – etwa fünf Prozent des Jahresverbrauchs.
Wie ernst die Gefahr ist, zeigte gestern Nachmittag eine kryptische Mitteilung von Gazprom. Der russische Konzern stellte die Lieferung der Siemens-Turbine aus Kanada und damit die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 1 infrage.
Im Notfallplan schreiben die EU-Beamten nun: “Jeder Bürger, jeder Haushalt kann Gas sparen.” Erst am Dienstag hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont, dass auch geschützte Kunden – also vor allem Haushalte – ihren Teil beitragen müssten. Einschnitte in der Industrie sollten so begrenzt werden, heißt es dazu im Kommissionsentwurf. Bei konkreten Maßnahmen ist das Papier aber noch unentschieden.
An einer Stelle heißt es lediglich, dass in der Alarmstufe in öffentlichen Gebäuden die Heiztemperatur auf 19 Grad abgesenkt werden solle. An anderer Stelle werden dagegen auch Temperaturgrenzen für Haushalte ins Spiel gebracht. Am 20. Juli wird sich zeigen, welche dieser Vorschläge bestehen bleiben.
Konkreter sind die Vorschläge für Gaskraftwerke. Eine erste Analyse des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) für die Kommission ergab, dass nur die Hälfte des Gasverbrauchs im Stromsektor für die Versorgungssicherheit unverzichtbar sei. Vier bis 40 bcm Gas könnten in Kraftwerken eingespart werden. Allerdings sind die rechtlichen Möglichkeiten der Kommission begrenzt.
Das Papier weist einmal mehr darauf hin, dass der Energiemix Sache der Mitgliedstaaten sei. Einen juristischen Hebel zum Brennstoffwechsel sieht die Kommission allenfalls über die Verordnung zur Risikovorsorge im Elektrizitätssektor.
Für die Industrie schlägt die Kommission die rasche Einführung von Ausschreibungen zum Gassparen vor. Deutschland arbeitet bereits an einem solchen System und will es bis Ende des Sommers einführen. Dabei verfolgt die Kommission die Strategie, nicht einzelne, besonders große industrielle Verbraucher für längere Zeit abzuschalten, sondern eine Vielzahl von gezielten, kurzen Abschaltungen anzureizen. Das Papier verweist auf Erfahrungen mit Energiemanagementsystemen im Stromsektor, wo wiederkehrende Abregelungen von nur einer Minute die Auswirkungen auf die Produktion minimieren.
Geringere Kosten verspricht sich die Kommission davon, wenn die Ausschreibungen für industrielle Abschaltungen grenzüberschreitend durchgeführt werden. Das Papier schlägt zudem Swap-Geschäfte zwischen Industriebetrieben vor, die ähnliche Güter produzieren. Würde in einer Region das Gas knapp, könnte der Vertragspartner aus einem anderen Staat in die Lieferverpflichtungen eintreten.
Schließlich regt die Kommission gemeinsame Kriterien an (Europe.Table berichtete), nach denen nicht geschützte Verbraucher in der Industrie bei einer Mangellage von den Behörden abgeschaltet werden, wenn marktliche Mittel erschöpft sind. Die vier Gruppen umfassen soziale Kriterien, grenzüberschreitende Lieferketten, Möglichkeiten zum Brennstoffwechsel und zur Verbrauchsreduktion und mögliche Schäden an Produktionsanlagen.
Bereits zum dritten Mal hat die EU-Kommission am Mittwoch in Luxemburg ihren jährlichen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit vorgestellt. Vor dem Hintergrund der russischen Invasion in die Ukraine komme diesem Bericht eine ganz besondere Bedeutung zu, sagte Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová. Während der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine auch gegen Demokratie und Menschenrechte zu Felde ziehe, könne die EU “nur dann glaubwürdig sein, wenn in unserem eigenen Haus Ordnung herrscht”.
Um für mehr Ordnung zu sorgen, hat die Kommission ihre 27 Länderberichte, die sich um Justiz, Korruption, Medien und die Gewaltenteilung in den 27 EU-Staaten drehen, erstmals mit Handlungsempfehlungen versehen. Hinter einige Ratschläge, etwa zum Lobbying, fällt die Brüsseler Behörde allerdings selbst zurück. Zudem fehle es weiter an der Durchsetzung, heißt es im Europaparlament.
Als größte Problemfälle werden im “2022 Rule of Law Report” – wie schon im Vorjahr – Ungarn und Polen benannt. In Ungarn rügt die EU-Behörde “hochrangige Korruptionsfälle”, die nicht oder nur unzureichend verfolgt würden. Unabhängige Kontrollmechanismen reichten weiter nicht aus, um Korruption aufzudecken. Die Rede ist von “einem Umfeld, in dem die Risiken von Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen werden”.
Die Kommission hält deshalb die Auszahlung die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds zurück (Europe.Table berichtete) und hat ein Verfahren nach dem Konditionalitätsmechanismus eingeleitet. Sollte Premier Viktor Orbán nicht gegen die Missstände vorgehen, könnte die Behörde Budapest auch Mittel aus dem regulären EU-Budget verweigern. Bislang habe die Regierung wenig Bereitschaft zum Einlenken gezeigt, heißt es in Brüssel.
In Polen prangert die Kommission erneut staatliche Eingriffe in die Justiz an. Die nationalkonservative Regierung in Warschau hat zwar einen Schritt auf Brüssel zugemacht und die umstrittene Disziplinarkammer für Richter aufgelöst. Doch die EU-Kommission sieht weiter “ernste Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz”. Die von Behördenchefin Ursula von der Leyen in Aussicht gestellten Gelder aus dem Aufbaufonds will die Kommission so lange zurückhalten, bis Polen nachbessert und aus Sicht Brüssels die vereinbarten Meilensteine erreicht (Europe.Table berichtete).
Widersprüchlich fällt das Urteil zu Deutschland aus. Einerseits stellt die Kommission dem deutschen Rechtsstaat ein gutes Zeugnis aus. Die Unabhängigkeit der Justiz werde als sehr hoch wahrgenommen, heißt es in dem Bericht. Andererseits rügt die Behörde, dass Richter nicht gut genug bezahlt würden. Dabei gehe es auch um die Attraktivität des Berufs. Verbesserungsbedarf sieht die Kommission zudem beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft. Die “Abkühlphase” müsse länger sein.
Diese Empfehlung ist pikant – denn Brüssel hat selbst ein Problem mit dem Lobbyismus. So wurde erst am Montag enthüllt, dass die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes (Europe.Table berichtete) kurz nach ihrem Ausscheiden aus der EU-Behörde für den amerikanischen Uber-Konzern tätig wurde. Zuvor waren zahlreiche Jobs des ehemaligen deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger bekannt geworden. Beschwerden aus dem Europaparlament hat von der Leyen ignoriert.
Entsprechend harsch fällt die Reaktion der Abgeordneten auf den Rechtsstaats-Bericht aus. “Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss endlich handeln. Wir werden das Rechtsstaatsproblem in der EU nicht lösen, wenn Ursula von der Leyen nur Berichte schreibt”, mahnt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der sich seit langem für mehr Transparenz und eine unabhängige Ethikbehörde einsetzt. Bei Verstößen müsse es Finanz-Sanktionen geben.
“Die Zeit ist mehr als reif für Konsequenzen”, meint auch Moritz Körner von der FDP. Der Kommissions-Bericht zu Ungarn sei vernichtend. “Ob Justizwesen, Korruption oder Medienfreiheit – der ungarische Rechtsstaat ist kaputt.” Die EU-Mittel an Ungarn müssten sofort zurückgehalten werden, um auf die systemische Korruption zu reagieren.
Ein positiveres Fazit zieht Katarina Barley von der SPD. Erfreulich sei, dass die Kommission auch Handlungsempfehlungen an die Mitgliedstaaten ausgesprochen habe, wie dies das Europaparlament gefordert hatte. Die EU-Behörde müsse nun “nachverfolgen, ob die Regierungen ihre Empfehlungen auch umsetzen und sie andernfalls durch finanziellen Druck oder Vertragsverletzungsverfahren durchsetzen”.
Die EU werde ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, meint dagegen der Bürgerrechtler Patrick Breyer (Piraten). Die Union habe selbst ein Problem mit Rechtsstaatlichkeit, weil mit der Vorratsspeicherung von Standort- und Kommunikationsdaten die Urteile des EU-Gerichtshofs missachtet würden. “Die EU-Kommission muss nun endlich ihre Aufgabe erfüllen und damit beginnen, die Grundsatzurteile durchzusetzen, anstatt insgeheim die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung voranzutreiben”, fordert Breyer. Mit Till Hoppe
18.07.-20.07.2022, online
College of Europe, Seminar Competition Policy & Digital Markets
This seminar will focus on how antitrust law influences the EU digital single market and its recent developments, such as the Digital Markets Act, data-based mergers or algorithmic collusion. REGISTRATION
19.07.-20.07.2022, online
ESCAP, Conference 1st Asia-Pacific Regulatory Forum on Power System Connectivity
Key themes of the Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP) forum are the importance of regulatory collaboration in the power sector, the integration of electricity storage in power systems, the security implications of cross-border power system integration, and the role of low-carbon fuels in power generation and connectivity. INFOS & REGISTRATION
19.07.-22.07.2022, Aspen (USA)
Aspen Ideas, Conference Aspen Security Forum
This year’s Aspen Security Forum topics include the U.S. strategy in the Indo-Pacific region, food security, sanctions against Russia, national security, and artificial intelligence. INFOS & REGISTRATION
Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) hat gestern die Berichte zur Erneuerbaren Energien- und zur Energieeffizienz-Richtlinie angenommen. Wie bereits berichtet, werden die Ziele für Primärenergie- und Endenergieeinsparungen bis 2030 auf 14,5 Prozent gegenüber dem erwarteten Niveau angehoben. Ausgedrückt werden die Ziele aber wieder im Vergleich zu 2007 und nicht 2020. Damit sollten bereits erreichte Erfolge der Mitgliedstaaten bei Energieeinsparungen stärker berücksichtigt werden, sagte Berichterstatter Niels Fuglsang (S&D).
Die Ausschussmitglieder unterstützten auch das Ziel, bis 2030 45 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen (Europe.Table berichtete). Mit einem Unterschied von zwei Stimmen wurde allerdings der Vorstoß des Berichterstatters Markus Pieper (EVP) abgeblockt, die Kriterien für grünen Wasserstoff in der Erneuerbaren-Richtlinie und nicht im delegierten Rechtsakt der Kommission festzulegen (Europe.Table berichtete). Pieper kündigte gestern allerdings an, bei der Abstimmung im Plenum weiter für seine Initiative zu kämpfen. Es brauche pragmatische Kriterien, damit auch bereits geförderte Erneuerbaren-Anlagen Wasserstoff produzieren könnten, nannte Pieper ein Beispiel.
Das Plenum soll in der zweiten Septemberwoche über die RED III und die EED abstimmen. Erleichterte Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien will die Kommission dagegen erst mit einer weiteren Novelle der Erneuerbaren-Richtlinie regeln (RED IV). Den entsprechenden ITRE-Bericht kündigte Pieper für den 26. September an. Sein Ziel sei es, RED III und RED IV gemeinsam im Trilog zu verhandeln. ber
Litauen hat die Präzisierung der Leitlinien zum Transitverkehr zwischen Russland und dessen Ostsee-Exklave Kaliningrad durch die EU-Kommission begrüßt, sich aber auch kritisch geäußert. Das Außenministerium in Vilnius bewertete in einer Mitteilung am Mittwoch positiv, dass durch die Klarstellung keine besonderen Ausnahmen und keine unterschiedliche Behandlung der Hoheitsgebiete der EU-Mitgliedstaaten geschaffen werde. Allerdings könnte die neue Regelung nach Ansicht Litauens möglicherweise den falschen Eindruck erwecken, dass die transatlantische Gemeinschaft ihre Position und Sanktionspolitik gegenüber Russland aufweiche.
Die EU-Kommission hatte zuvor nach Protesten und Drohungen aus Moskau neue Leitlinien erstellt, die den Transitverkehr zwischen Russland und seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad betreffen. Dies wurde notwendig, weil der Transit durch Litauen und damit durch EU-Territorium verläuft.
Russland darf demnach auf der Sanktionsliste stehende zivile Güter per Bahn ohne große Einschränkungen durch Litauen bringen. Der EU-Staat hatte zuletzt keine mit Sanktionen belegte Waren mehr durchgelassen (Europe.Table berichtete). Betroffen davon waren etwa Luxusgüter und Stahlerzeugnisse. Untersagt sind nach dem am Mittwoch veröffentlichten Dokument allerdings weiterhin Straßentransporte von russischen Speditionen durch EU-Territorium. Zudem dürfen auch per Bahn keine Güter transportiert werden, die auch militärisch genutzt werden können.
Zu dem Transport von zivilen Gütern per Bahn hält die EU-Kommission in ihren Leitlinien nach dpa-Informationen fest, dass diese nur in den bislang üblichen Mengen befördert werden dürfen. Dazu soll es auch weiterhin zielgerichtete und effektive Kontrollen geben. Wenn auffällt, dass größere Mengen an Waren als üblich transportiert werden, müssen diese den Leitlinien zufolge aufgehalten werden. Damit soll verhindert werden, dass Russland auf Sanktionslisten stehende Güter über Kaliningrad in andere Länder transportiert und so Strafmaßnahmen umgeht.
“Litauen wird die Anwendung der Sanktionen effektiv sicherstellen, indem es genau überwacht, prinzipiell und effektiv überprüft, ob Russland versucht, seine Transitmöglichkeiten zu missbrauchen“, hieß es in der Mitteilung des Außenamts. Sollte so etwas entdeckt werden, behalte Litauen sich das Recht vor, derartige Versuche einseitig zu verhindern. Gleiches gelte bei nationalen Sicherheitsinteressen.
Mit der neuen Leitlinie macht die EU-Kommission deutlich, dass sie das Transitrecht Russlands über die rechtliche Sicht stellt, nach der Russland der Transport von Gütern über Litauen vor dem Hintergrund der Sanktionsverordnungen untersagt werden sollte.
Wann Litauen wieder mit Sanktionen belegte Waren aus und nach Kaliningrad passieren lassen wird, blieb zunächst unklar. “Wir warten vorerst auf eine Klärung durch die zuständigen Institutionen”, sagte eine Sprecherin der litauischen Bahn dem Rundfunk. dpa
Fünf mitteleuropäische EU-Mitgliedsstaaten haben die Europäische Union dazu aufgefordert, dem Westbalkan-Land Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus zu verleihen. “Es geht um ein Signal unserer Regierungen, dass der Westbalkan für die EU wichtig ist”, sagte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg am Mittwoch in Budapest. Bei ihrem Treffen in der ungarischen Hauptstadt forderten die Außenminister der sogenannten C5 (Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Slowenien), dass der nächste EU-Gipfel im Oktober das Thema auf die Tagesordnung setzt.
Beim EU-Gipfel im Juni hatten die von Russland angegriffene Ukraine sowie Moldau den EU-Kandidatenstatus erhalten (Europe.Table berichtete). Bosnien, das immer noch an den Folgen des Kriegs von 1992 bis 1995 leidet, war bei jenem Gipfel übergangen worden. Einige Westbalkan-Länder wie Serbien und Montenegro verhandeln bereits seit längerem über einen EU-Beitritt. Nur Bosnien und das Kosovo haben noch keinen Kandidatenstatus.
Die Ländergruppe der C5 war 2020 gegründet worden, um ursprünglich die regionale Zusammenarbeit in der Corona-Krise zu stärken. Das Treffen in Budapest war das erste seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine. In manchen Punkten seien sich die Teilnehmer nicht einig, räumte Schallenberg ein. Insbesondere Ungarn verfolgt Beobachtern zufolge eine eher russlandfreundliche Außen- und Energiepolitik (Europe.Table berichtete). dpa
Im Streit um Getreide-Exporte aus der Ukraine ist nach Angaben von UN-Generalsekretär António Guterres ein erster Durchbruch erzielt worden. Bei den Gesprächen zwischen Vertretern der Vereinten Nationen, der Ukraine, Russlands und der Türkei in Istanbul sei ein “entscheidender Schritt” in Richtung einer Lösung vorgenommen worden, sagte Guterres am Mittwoch vor Journalisten in New York. “Heute haben wir endlich ein bisschen Hoffnung.”
Details teilte Guterres zunächst nicht mit. Er sagte aber: “Es wird noch mehr technische Arbeit notwendig sein, damit sich der heutige Fortschritt materialisiert.”
Die internationale Gemeinschaft fordert von Russland seit Wochen, den Export von Getreide aus der Ukraine zu ermöglichen (Europe.Table berichtete). Die Ukraine beklagt, dass die russische Kriegsmarine ihre Häfen im Schwarzen Meer blockiere. Russland streitet ab, Weizenexporte zu verhindern. Die beiden Länder gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Nahrungssicherheit in der Welt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten. dpa
Deutschland und die anderen EU-Staaten fordern vom EU-Parlament, auf die geplante Einstellung von knapp 170 neuen Mitarbeitern zu verzichten. Vor dem Hintergrund der hohen Inflationsraten sei derzeit bei Ausgaben Zurückhaltung notwendig, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme von Regierungsvertretern zu den bevorstehenden EU-Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2023.
Das EU-Parlament habe bereits im vergangenen Jahr Mittel für 142 interne und 180 externe Mitarbeiter herausgehandelt. Dieses Jahr wird nach Angaben der Mitgliedstaaten Geld für 52 neue Planstellen und für 116 zusätzliche akkreditierte parlamentarische Assistenten gefordert.
Nach eigenen Angaben hatte das Parlament an seinen unterschiedlichen Standorten wie Brüssel, Straßburg und Luxemburg zuletzt 8132 Mitarbeiter. Rund 1100 davon waren für die Fraktionen tätig. dpa
Angesichts der chaotischen Zustände an einigen europäischen Flughäfen fordert der Europaabgeordnete Dennis Radtke (CDU) ein Eingreifen der EU-Kommission sowie der nationalen Regierungen. Es fehle an Personal für die Abfertigung, die Sicherheitskontrollen und die Gepäckverladung. Dies sei der Hauptgrund dafür, dass viele Passagiere ihre Flüge verpassen und teilweise stundenlange Wartezeiten auf sich nehmen müssten. Der Personalmangel ist die Folge zahlreicher Entlassungen während der Coronapandemie.
Insbesondere die Sicherheitskontrollen seien jedoch eine hoheitliche Aufgabe und damit auch die Verantwortung der Regulierungsbehörden, sagte der Sozialpolitiker am Mittwoch. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, schlägt er vor, dass die Bundespolizei sicherheitsrelevante Aufgaben an Flughäfen übernimmt.
Radtke hält den “desaströsen Preiswettbewerb, der von einigen Airlines und Flughäfen betrieben wird”, für einen wesentlichen Auslöser der aktuellen Lage. Brüssel sei für die Regulierung des europäischen Flugverkehrs zuständig und lasse “ein gnadenloses Preisdumping von Flughäfen und Airlines zu”.
Selbstständige Piloten ohne Arbeitsverträge, die Fremdvergabe von sicherheitsrelevanten Arbeiten an externe Dienstleister und “Blacklists” für Piloten, die zu viel Treibstoff für ihre Flüge einkalkulieren, seien die Folge eines Preiswettbewerbs nach unten, so Dennis Radtke. Dieser sei nicht nur arbeitsrechtlich problematisch, sondern auch ein Aspekt der Sicherheit.
Als positiven Gegenentwurf nannte er den Flughafen in Wien, wo man auf Fremdvergabe verzichte und stattdessen “auf eigene Kräfte mit entsprechender Vergütungsstruktur” setze. Während Passagiere an deutschen und niederländischen Flughäfen sich in den vergangenen Wochen auf lange Wartezeiten und Flugausfälle einstellen mussten, lief der Betrieb in Wien vergleichsweise unauffällig.
Radtke fordert daher, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entsprechende Maßnahmen vorlegt, um zu verhindern, dass der Preiswettbewerb “auf dem Rücken der Beschäftigten entschieden wird”. Es gehe nicht um ein Verbot von Fremdvergaben, sondern um die Stärkung von Arbeitsrechten in der Branche. Darauf habe man zuletzt im Zuge der Liberalisierung des Flugverkehrs verzichtet. Nun müsse man sich fragen, ob bessere soziale Bedingungen nicht wichtiger seien als günstige Flugpreise.
Mit einer schriftlichen Anfrage will der sozialpolitische Sprecher der EVP die Kommission zwingen, sich zu der aktuellen Situation, ihrer eigenen Verantwortung und möglichen Maßnahmen zu äußern. Für die Beantwortung hat die Kommission drei Monate Zeit.
Eine kurzfristige Lösung für den Personalmangel an einigen europäischen Flughäfen und den damit zusammenhängen chaotischen Zuständen ist demnach nicht zu erwarten. Etwaige Maßnahmen der Kommission würden voraussichtlich nicht vor Ende der Urlaubszeit greifen. luk
Der Stuttgarter Technologiekonzern Bosch baut seine Chip-Fertigung aus. Bis 2026 will der Autozulieferer nochmals drei Milliarden Euro in die Sparte stecken, wie Konzernchef Stefan Hartung am Mittwoch in Dresden ankündigte. Sowohl dort, wo vor einem Jahr ein neues Werk für eine Milliarde Euro in Betrieb genommen wurde, als auch in Reutlingen bei Stuttgart will Bosch die Kapazitäten erweitern und Entwicklungszentren bauen.
Hartung hofft dafür auf weitere Zuschüsse im Rahmen des Förderprogramms IPCEI (Europe.Table berichtete), mit dem die EU die Halbleiter-Produktion in Europa kräftig ankurbeln will. Subventionen seien wichtig (Europe.Table berichtete), betonte Hartung: “Das Werk würde hier nicht so stehen, wenn es die Förderung nicht gegeben hätte.”
Bis zum Ende des Jahrzehnts soll nach dem Willen der EU ein Fünftel der Chips weltweit aus Europa kommen, doppelt so viel wie bisher. Das sei ein “super-ambitioniertes Ziel”, sagte Hartung. Denn auch in anderen Erdteilen werde die Produktion ausgebaut. Bisher dominieren die USA und Asien den Markt. Die weiten Wege hatten während der Corona-Pandemie die Lieferketten abreißen lassen.
Die Quote sei ohnehin nicht entscheidend, sagte Hartung. “Dass Europa damit autark würde, sollte man nicht erwarten.” Es gehe vielmehr darum, Chips speziell für den Bedarf der europäischen Industrie zu bauen, etwa für die E-Mobilität. In Elektroautos würden Chips für 800 Euro verbaut, viermal so viel wie in herkömmlichen Fahrzeugen.
Die ersten in der neuen Fabrik in Sachsen gefertigten Chips etwa seien in Bosch-Akkuschraubern verbaut worden. Wegen der Lieferengpässe habe der Konzern die Fabrik schneller hochgefahren als geplant. “Wir drücken aufs Tempo.” Im Endausbau, nach der Erweiterung der Reinräume für 250 Millionen Euro, sollen dort rund 700 Menschen arbeiten, 350 sind es zurzeit.
Kurzfristig gibt Hartung für die Chip-Nachfrage aber keine Entwarnung, auch wenn angesichts der abflauenden Konjunktur und der steigenden Inflation die Nachfrage etwa aus der Konsumgüter-Branche abebbt. Es gebe aber andere Bereiche, wo die Kapazitäten nicht so stark erweitert worden seien und auf eine anhaltend hohe Nachfrage träfen. Bei Bosch seien die Lieferketten immer noch sehr angespannt (Europe.Table berichtete), die Spielräume gering, sagte Hartung. “Das wird sicher noch für einige Monate so bleiben.” rtr
Von Europa aus sollen künftig Satelliten in den Weltraum gebracht werden. Das hat die Raumfahrtbeauftragte der Bundesregierung, Anna Christmann, gefordert. “Wir brauchen Startkapazitäten auch in Europa”, sagte sie in einem Interview mit Reuters. “Die Nordsee ist ein möglicher Standort neben Schottland, Norwegen, aber auch Schweden.”
Entscheidend sei nicht unbedingt, dass es Startmöglichkeiten für Raketen in Deutschland gebe, sagte die Grünen-Politikerin. Aber für die Nordsee gebe es bereits ein privates Konsortium, das dort die Möglichkeiten prüft. Bisher werden etwa die europäischen Ariane-Raketen für den Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana in Südamerika ins All geschickt.
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine verwies Christmann auf die strategische Bedeutung der Raumfahrt. “Der Krieg in Europa zeigt uns, dass die Raumfahrt immer mehr zur kritischen Infrastruktur wird. Wir brauchen die Informationen aus dem Orbit für die Lageeinschätzung, auch für eine militärische”, betonte sie.
Für Europas Souveränität sei es wichtig, dabei zu sein. “In der Raumfahrt wie bei der Energieversorgung gilt: Internationale Kooperation ist wichtig, Abhängigkeiten sind gefährlich“, sagte sie in Anspielung auf die bisherige Nutzung russischer Trägerraketen. Derzeit können zwei Satelliten des europäischen Navigationssystems Galileo nicht ins All geschossen werden, weil der geplante Start mit einer russischen Rakete wegen der Sanktionen nicht mehr möglich ist.
Die Koordinatorin für Luft- und Raumfahrt dringt deshalb auf die schnelle Fertigstellung der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6, die sich immer wieder verzögert hatte. Man werde auf dem ESA-Ministerrat im Herbst darüber reden müssen, wie die Mehrkosten verteilt werden. Aber Priorität habe der schnelle Einsatz.
Zugleich deutete sie an, dass man in Zukunft “alle Möglichkeiten” prüfen sollte, wenn es darum geht, die Satelliten ins All zu schießen. Hintergrund ist, dass bisher ein Start öffentlich geförderter Satelliten etwa mit kommerziellen amerikanischen Raketen nicht möglich ist. Chancen für Europa sieht Christmann gerade durch eine sich sehr schnell wandelnde Branche und vor allem den Trend zu kleinen Satelliten.
Denn Raumfahrt sei von zentraler Bedeutung für zukünftige Herausforderungen, vor allem mit Blick auf das Klima (Europe.Table berichtete). “Wir merken, wie entscheidend die Technik ist, wenn sie wie etwa bei der Steuerung von Windrädern einmal ausfällt.” Wie jetzt in Brandenburg würden Satelliten zur frühzeitigen Waldbrand-Entdeckung eingesetzt. “Sie können CO2-Quellen entdecken und sind für eine nachhaltige Landwirtschaft ganz wichtig.” In diesen Bereichen entstünden neue Geschäftsmodelle, bei denen die Nutzung öffentlicher Daten von Firmen mit dem Einsatz eigener Satelliten kombiniert werde. rtr
Thierry Breton ist viel unterwegs in diesen Tagen. In Berlin traf er vergangene Woche etwa Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, zuvor hatte er in Paris mit Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire gesprochen und Portugals Ministerpräsident António Costa in Lissabon besucht. “Ich will in allen Mitgliedstaaten sehr präsent sein in dieser schwierigen Periode”, sagt er.
Der EU-Binnenmarktkommissar ist als Krisenmanager unterwegs, wieder einmal. Den EU-Staaten steht angesichts der stockenden Gaslieferungen aus Russland ein harter Winter bevor, und Breton will verhindern, “dass wir erneut der Versuchung erliegen, alles für uns zu behalten”. So geschehen zu Beginn der Corona-Pandemie, als etwa die Bundesregierung Italien die dringend benötigten Schutzmasken und Beatmungsgeräte verweigerte. Breton intervenierte damals bei Gesundheitsminister Jens Spahn, Berlin lieferte nach einigem Zögern doch, aber der Flurschaden in Italien war angerichtet.
Der 67-Jährige predigt bei seinen Besuchen deshalb Solidarität. Sein Mantra: Nur gemeinsam könnten die Mitgliedstaaten die drohende Gaskrise überwinden, schließlich seien ihre Länder über Energielieferungen und ihre Industrien über grenzüberschreitende Lieferketten eng miteinander verflochten. Als die Regierungen im Frühjahr 2020 die Schengen-Grenzen schlossen, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, standen schnell die Maschinen still, weil Vorprodukte fehlten.
Solidarität üben, das heißt für Breton in diesem Fall: “Jedes Land muss so viel Energie produzieren, wie es kann – um die eigenen Bedürfnisse zu decken, aber auch die der europäischen Nachbarn.” Dazu gehöre, Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen wie in Deutschland, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern wie in Belgien, oder, wie im Falle Frankreichs, die Wartung der vom Netz genommenen Atommeiler zu beschleunigen. Als Befürworter der Technologie macht Breton keinen Hehl aus seiner Meinung, auch Deutschland solle die Stilllegung der verbliebenen AKW überdenken.
Bereits vor gut zwei Monaten suchte er das Gespräch mit den Industrieverbänden, dem BDI, dem französischen Medef, der italienischen Confindustria. Es gehe darum, eine gemeinsame Sicht zu entwickeln, Lösungen zu entwickeln, wie die betroffenen Sektoren das russische Gas in ihren Prozessen ersetzen können. So wolle man möglichst vermeiden, dass Unternehmen etwa in der Grundstoffindustrie wegen Gasmangels ihre Produktion herunterfahren müssten. “Wir wollen verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden.”
Inzwischen habe man einen guten Überblick, einen Plan, sagt Breton. Nächsten Mittwoch wird Kommissionsvize Frans Timmermans den Krisenplan für den Herbst und Winter vorstellen. Bei Breton klingt es so, als habe er diesen Plan weitgehend selbst erarbeitet – Bescheidenheit ist eher nicht seine Sache.
In der Kommission stößt das manchem auf. Auch seine internen Kritiker erkennen aber an, dass der ehemalige Unternehmenschef vieles angestoßen und durchgesetzt hat. Digital Markets Act, Digital Services Act, Data Act und Chips Act – all diese Legislativvorhaben fallen in seine Zuständigkeit, und weitere sind in Arbeit, etwa zu Rohstoffen und einem Notfallmechanismus für den Binnenmarkt (Europe.Table berichtete).
In der Industrie stößt der Aktionismus nicht nur auf Begeisterung. Vielen Wirtschaftsvertretern aus Deutschland und anderen eher marktwirtschaftlich gesonnenen Ländern agiert der Franzose zu interventionistisch: Neun Mitgliedstaaten warnten kürzlich in einem Brief, das geplante Kriseninstrument für den Binnenmarkt für weitgehende Eingriffe in die Industrien zu missbrauchen.
Auch beim Chips Act geht Breton vielen zu weit: Sein Instrumentarium für Lieferkrisen sieht etwa die Möglichkeit von Ausfuhrkontrollen und die gemeinsame Beschaffung von Halbleitern durch die Kommission vor. Das bei den Covid-Impfstoffen entwickelte Instrumentarium lasse sich nicht übertragen auf hochdifferenzierte Produkte wie Halbleiter, kritisieren etwa die Experten der Stiftung Neue Verantwortung.
An anderer Stelle vermissen die Unternehmen den Einsatz des Industriekommissars für ihre Interessen. Beim Sorgfaltspflichtengesetz etwa habe sich Breton den weitreichenden Plänen von Justizkommissar Didier Reynders nicht entschlossen genug widersetzt, heißt es in Industriekreisen. Der Vorschlag der Kommission gehe weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus (Europe.Table berichtete), trage die Handschrift der NGOs. Für Frankreichs Industrie sei das weniger problematisch als für die weltweit agierende deutsche Wirtschaft. Daher habe sich Breton hier wohl nicht verkämpft, sagt ein Industrievertreter.
In Brüssel ist Thierry Breton als ehemaliger “Patron” von Anfang etwas aus dem Rahmen gefallen. Unter Präsident Jacques Chirac machte er zwar ab 2005 auch für kurze zwei Jahre als Minister für Wirtschaft, Finanz und Industrie einen Ausflug in die Politik. Seinen Namen hat er sich in erster als Unternehmenssanierer und Geschäftsmann gemacht. Er war CEO bei Honeywell Bull, Thomson, France Telekom und Atos. Dass er ein Mann der Praxis ist, lässt er manchmal auch seine Kommissionskollegen spüren. Insbesondere Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Er der “Staatsinterventionist” und Verfechter “europäischer Souveränität”, sie die Marktliberale, Kämpferin gegen “Protektionismus” und Berufspolitikerin aus Dänemark.
Als es darum ging, das Prestigeprojekt DSA und DMA voranzubringen, konnten die beiden Kontrahenten die Rivalität nur schlecht verbergen. Thierry Breton, sonst immer der Chef, ist keiner, der sich gerne unterordnet. Die Ausgangslage war für den Franzosen nicht einfach, da Vestager als eine der Vizepräsidentinnen unter Ursula von der Leyen hierarchisch höher war. Am Ende haben sich beide arrangiert. Vergessen ist inzwischen, dass Thierry Breton als zweite Wahl nur zum Zug kam, weil Macrons Wunschkandidatin Sylvie Goulard im EU-Parlament wegen einer Affäre um Assistentengehälter scheiterte.
Am Anfang hatte Thierry Breton Mühe, in Brüssel Fuß zu fassen und unter Ursula von der Leyen seine Rolle zu finden. Das hat sich spätestens mit der Coronakrise geändert. Der Franzose spielte eine Schlüsselrolle dabei, die Impfbeschaffung nach dem schwierigen Start doch noch zu einem Erfolg zu führen. Unermüdlich klapperte er alle Produktionsstätten und Zulieferer in Europa ab: “Ich kenne jede Fabrik auf dem Kontinent und ich weiß, was dort vor sich geht”, rühmte er sich, als der Nachschub mit Impfdosen endlich gesichert war. Er scheut sich nicht, mit Unternehmensführern und Regierungschefs auf Augenhöhe zu verhandeln.
Thierry Breton war auch schon Professor in Harvard und hat unzählige Sachbücher über Informationstechnologie sowie als Co-Autor einen Roman über Cyberspace geschrieben. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Angeblich will er nach seinem Mandat in Brüssel weitere Bücher schreiben. Gut möglich, dass Thierry Breton sich dann zusammen mit seiner Frau nach Senegal zurückzieht. Ein Land, mit dem er sich verbunden fühlt, dessen Nationalität er angenommen hat und wo er ein Haus besitzt. Stephan Israel und Till Hoppe
in der Gaskrise blickt die EU-Gemeinschaft mit Spannung auf kommenden Mittwoch, wenn Kommissionvize Frans Timmermans den gemeinsamen Notfallplan für den Winter vorstellt. Manuel Berkel hat bereits jetzt einen Blick in den Entwurf des Papiers geworfen und berichtet, mit welcher Strategie die Kommission die Einschnitte in die Industrieproduktion möglichst gering halten will.
Gestern hat die EU-Kommission ihren Rule of Law Report vorgestellt, den jährlichen Bericht zum Rechtsstaat. Die größten Probleme sieht die Behörde – wenig überraschend – in Ungarn und Polen. Dem deutschen Rechtsstaat stellt die Kommission ein gutes Zeugnis aus, übt allerdings auch Kritik: Verbesserung gebe es beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft, die “Abkühlphase” sei bislang zu kurz. Doch gerade in dieser Sache werde Brüssel seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, analysiert Eric Bonse.
Thierry Breton ist mal wieder im Krisenmodus. Zurzeit ist er viel unterwegs, er wolle “in allen Mitgliedstaaten sehr präsent sein in dieser schwierigen Periode”. Schon während der Corona-Krise spielte Breton eine Schlüsselrolle. Und dann sind da noch die zahlreichen großen Gesetzesvorhaben, die in seine Zuständigkeit fallen. Dabei hatte Breton zu Beginn seiner Zeit in Brüssel Mühe, in der Kommission Fuß zu fassen, wie Stephan Israel und Till Hoppe im Porträt über den EU-Binnenmarktkommissar schreiben.
Mit einem Katalog an Empfehlungen, Best-Practice-Beispielen und gemeinsamen Kriterien für Abschaltungen von Industriebetrieben will Brüssel die Staatengemeinschaft auf einen möglichen Gasmangel im Winter vorbereiten. “Die Analyse der Kommission zeigt, dass es wesentlich kostengünstiger wäre, die Erdgasnachfrage über einen längeren Zeitraum moderat zu senken und früher damit zu beginnen, als die Nachfrage plötzlich und ohne angemessene Vorbereitung drastisch zu drosseln”, schreibt die EU-Behörde in einem Entwurf ihres Gas-Notfallplans, der Europe.Table vorliegt.
Es könnte noch deutliche Änderungen geben, die offizielle Version will Vizepräsident Frans Timmermans am 20. Juli vorstellen (Europe.Table berichtete). Doch eine politische Richtung scheint bereits klar durch: Mit dem Energiesparen soll es jetzt ernst werden.
Die Risiken benennt das Papier ganz deutlich: Sollte Russland die Gaslieferungen im Juli komplett einstellen, könnten die Speicher nur zu 65 bis 71 Prozent gefüllt werden. Im Winter drohe nach Simulationen des Verbands Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSOG) eine EU-weite Gaslücke von 20 Milliarden Kubikmetern (bcm) – etwa fünf Prozent des Jahresverbrauchs.
Wie ernst die Gefahr ist, zeigte gestern Nachmittag eine kryptische Mitteilung von Gazprom. Der russische Konzern stellte die Lieferung der Siemens-Turbine aus Kanada und damit die Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 1 infrage.
Im Notfallplan schreiben die EU-Beamten nun: “Jeder Bürger, jeder Haushalt kann Gas sparen.” Erst am Dienstag hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) betont, dass auch geschützte Kunden – also vor allem Haushalte – ihren Teil beitragen müssten. Einschnitte in der Industrie sollten so begrenzt werden, heißt es dazu im Kommissionsentwurf. Bei konkreten Maßnahmen ist das Papier aber noch unentschieden.
An einer Stelle heißt es lediglich, dass in der Alarmstufe in öffentlichen Gebäuden die Heiztemperatur auf 19 Grad abgesenkt werden solle. An anderer Stelle werden dagegen auch Temperaturgrenzen für Haushalte ins Spiel gebracht. Am 20. Juli wird sich zeigen, welche dieser Vorschläge bestehen bleiben.
Konkreter sind die Vorschläge für Gaskraftwerke. Eine erste Analyse des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) für die Kommission ergab, dass nur die Hälfte des Gasverbrauchs im Stromsektor für die Versorgungssicherheit unverzichtbar sei. Vier bis 40 bcm Gas könnten in Kraftwerken eingespart werden. Allerdings sind die rechtlichen Möglichkeiten der Kommission begrenzt.
Das Papier weist einmal mehr darauf hin, dass der Energiemix Sache der Mitgliedstaaten sei. Einen juristischen Hebel zum Brennstoffwechsel sieht die Kommission allenfalls über die Verordnung zur Risikovorsorge im Elektrizitätssektor.
Für die Industrie schlägt die Kommission die rasche Einführung von Ausschreibungen zum Gassparen vor. Deutschland arbeitet bereits an einem solchen System und will es bis Ende des Sommers einführen. Dabei verfolgt die Kommission die Strategie, nicht einzelne, besonders große industrielle Verbraucher für längere Zeit abzuschalten, sondern eine Vielzahl von gezielten, kurzen Abschaltungen anzureizen. Das Papier verweist auf Erfahrungen mit Energiemanagementsystemen im Stromsektor, wo wiederkehrende Abregelungen von nur einer Minute die Auswirkungen auf die Produktion minimieren.
Geringere Kosten verspricht sich die Kommission davon, wenn die Ausschreibungen für industrielle Abschaltungen grenzüberschreitend durchgeführt werden. Das Papier schlägt zudem Swap-Geschäfte zwischen Industriebetrieben vor, die ähnliche Güter produzieren. Würde in einer Region das Gas knapp, könnte der Vertragspartner aus einem anderen Staat in die Lieferverpflichtungen eintreten.
Schließlich regt die Kommission gemeinsame Kriterien an (Europe.Table berichtete), nach denen nicht geschützte Verbraucher in der Industrie bei einer Mangellage von den Behörden abgeschaltet werden, wenn marktliche Mittel erschöpft sind. Die vier Gruppen umfassen soziale Kriterien, grenzüberschreitende Lieferketten, Möglichkeiten zum Brennstoffwechsel und zur Verbrauchsreduktion und mögliche Schäden an Produktionsanlagen.
Bereits zum dritten Mal hat die EU-Kommission am Mittwoch in Luxemburg ihren jährlichen Bericht über die Rechtsstaatlichkeit vorgestellt. Vor dem Hintergrund der russischen Invasion in die Ukraine komme diesem Bericht eine ganz besondere Bedeutung zu, sagte Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová. Während der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine auch gegen Demokratie und Menschenrechte zu Felde ziehe, könne die EU “nur dann glaubwürdig sein, wenn in unserem eigenen Haus Ordnung herrscht”.
Um für mehr Ordnung zu sorgen, hat die Kommission ihre 27 Länderberichte, die sich um Justiz, Korruption, Medien und die Gewaltenteilung in den 27 EU-Staaten drehen, erstmals mit Handlungsempfehlungen versehen. Hinter einige Ratschläge, etwa zum Lobbying, fällt die Brüsseler Behörde allerdings selbst zurück. Zudem fehle es weiter an der Durchsetzung, heißt es im Europaparlament.
Als größte Problemfälle werden im “2022 Rule of Law Report” – wie schon im Vorjahr – Ungarn und Polen benannt. In Ungarn rügt die EU-Behörde “hochrangige Korruptionsfälle”, die nicht oder nur unzureichend verfolgt würden. Unabhängige Kontrollmechanismen reichten weiter nicht aus, um Korruption aufzudecken. Die Rede ist von “einem Umfeld, in dem die Risiken von Klientelismus, Günstlings- und Vetternwirtschaft in der hochrangigen öffentlichen Verwaltung nicht angegangen werden”.
Die Kommission hält deshalb die Auszahlung die Gelder aus dem Wiederaufbaufonds zurück (Europe.Table berichtete) und hat ein Verfahren nach dem Konditionalitätsmechanismus eingeleitet. Sollte Premier Viktor Orbán nicht gegen die Missstände vorgehen, könnte die Behörde Budapest auch Mittel aus dem regulären EU-Budget verweigern. Bislang habe die Regierung wenig Bereitschaft zum Einlenken gezeigt, heißt es in Brüssel.
In Polen prangert die Kommission erneut staatliche Eingriffe in die Justiz an. Die nationalkonservative Regierung in Warschau hat zwar einen Schritt auf Brüssel zugemacht und die umstrittene Disziplinarkammer für Richter aufgelöst. Doch die EU-Kommission sieht weiter “ernste Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz”. Die von Behördenchefin Ursula von der Leyen in Aussicht gestellten Gelder aus dem Aufbaufonds will die Kommission so lange zurückhalten, bis Polen nachbessert und aus Sicht Brüssels die vereinbarten Meilensteine erreicht (Europe.Table berichtete).
Widersprüchlich fällt das Urteil zu Deutschland aus. Einerseits stellt die Kommission dem deutschen Rechtsstaat ein gutes Zeugnis aus. Die Unabhängigkeit der Justiz werde als sehr hoch wahrgenommen, heißt es in dem Bericht. Andererseits rügt die Behörde, dass Richter nicht gut genug bezahlt würden. Dabei gehe es auch um die Attraktivität des Berufs. Verbesserungsbedarf sieht die Kommission zudem beim Wechsel von Politikern in die Wirtschaft. Die “Abkühlphase” müsse länger sein.
Diese Empfehlung ist pikant – denn Brüssel hat selbst ein Problem mit dem Lobbyismus. So wurde erst am Montag enthüllt, dass die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes (Europe.Table berichtete) kurz nach ihrem Ausscheiden aus der EU-Behörde für den amerikanischen Uber-Konzern tätig wurde. Zuvor waren zahlreiche Jobs des ehemaligen deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger bekannt geworden. Beschwerden aus dem Europaparlament hat von der Leyen ignoriert.
Entsprechend harsch fällt die Reaktion der Abgeordneten auf den Rechtsstaats-Bericht aus. “Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen muss endlich handeln. Wir werden das Rechtsstaatsproblem in der EU nicht lösen, wenn Ursula von der Leyen nur Berichte schreibt”, mahnt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der sich seit langem für mehr Transparenz und eine unabhängige Ethikbehörde einsetzt. Bei Verstößen müsse es Finanz-Sanktionen geben.
“Die Zeit ist mehr als reif für Konsequenzen”, meint auch Moritz Körner von der FDP. Der Kommissions-Bericht zu Ungarn sei vernichtend. “Ob Justizwesen, Korruption oder Medienfreiheit – der ungarische Rechtsstaat ist kaputt.” Die EU-Mittel an Ungarn müssten sofort zurückgehalten werden, um auf die systemische Korruption zu reagieren.
Ein positiveres Fazit zieht Katarina Barley von der SPD. Erfreulich sei, dass die Kommission auch Handlungsempfehlungen an die Mitgliedstaaten ausgesprochen habe, wie dies das Europaparlament gefordert hatte. Die EU-Behörde müsse nun “nachverfolgen, ob die Regierungen ihre Empfehlungen auch umsetzen und sie andernfalls durch finanziellen Druck oder Vertragsverletzungsverfahren durchsetzen”.
Die EU werde ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht, meint dagegen der Bürgerrechtler Patrick Breyer (Piraten). Die Union habe selbst ein Problem mit Rechtsstaatlichkeit, weil mit der Vorratsspeicherung von Standort- und Kommunikationsdaten die Urteile des EU-Gerichtshofs missachtet würden. “Die EU-Kommission muss nun endlich ihre Aufgabe erfüllen und damit beginnen, die Grundsatzurteile durchzusetzen, anstatt insgeheim die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung voranzutreiben”, fordert Breyer. Mit Till Hoppe
18.07.-20.07.2022, online
College of Europe, Seminar Competition Policy & Digital Markets
This seminar will focus on how antitrust law influences the EU digital single market and its recent developments, such as the Digital Markets Act, data-based mergers or algorithmic collusion. REGISTRATION
19.07.-20.07.2022, online
ESCAP, Conference 1st Asia-Pacific Regulatory Forum on Power System Connectivity
Key themes of the Economic and Social Commission for Asia and the Pacific (ESCAP) forum are the importance of regulatory collaboration in the power sector, the integration of electricity storage in power systems, the security implications of cross-border power system integration, and the role of low-carbon fuels in power generation and connectivity. INFOS & REGISTRATION
19.07.-22.07.2022, Aspen (USA)
Aspen Ideas, Conference Aspen Security Forum
This year’s Aspen Security Forum topics include the U.S. strategy in the Indo-Pacific region, food security, sanctions against Russia, national security, and artificial intelligence. INFOS & REGISTRATION
Der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) hat gestern die Berichte zur Erneuerbaren Energien- und zur Energieeffizienz-Richtlinie angenommen. Wie bereits berichtet, werden die Ziele für Primärenergie- und Endenergieeinsparungen bis 2030 auf 14,5 Prozent gegenüber dem erwarteten Niveau angehoben. Ausgedrückt werden die Ziele aber wieder im Vergleich zu 2007 und nicht 2020. Damit sollten bereits erreichte Erfolge der Mitgliedstaaten bei Energieeinsparungen stärker berücksichtigt werden, sagte Berichterstatter Niels Fuglsang (S&D).
Die Ausschussmitglieder unterstützten auch das Ziel, bis 2030 45 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen (Europe.Table berichtete). Mit einem Unterschied von zwei Stimmen wurde allerdings der Vorstoß des Berichterstatters Markus Pieper (EVP) abgeblockt, die Kriterien für grünen Wasserstoff in der Erneuerbaren-Richtlinie und nicht im delegierten Rechtsakt der Kommission festzulegen (Europe.Table berichtete). Pieper kündigte gestern allerdings an, bei der Abstimmung im Plenum weiter für seine Initiative zu kämpfen. Es brauche pragmatische Kriterien, damit auch bereits geförderte Erneuerbaren-Anlagen Wasserstoff produzieren könnten, nannte Pieper ein Beispiel.
Das Plenum soll in der zweiten Septemberwoche über die RED III und die EED abstimmen. Erleichterte Genehmigungsverfahren für erneuerbare Energien will die Kommission dagegen erst mit einer weiteren Novelle der Erneuerbaren-Richtlinie regeln (RED IV). Den entsprechenden ITRE-Bericht kündigte Pieper für den 26. September an. Sein Ziel sei es, RED III und RED IV gemeinsam im Trilog zu verhandeln. ber
Litauen hat die Präzisierung der Leitlinien zum Transitverkehr zwischen Russland und dessen Ostsee-Exklave Kaliningrad durch die EU-Kommission begrüßt, sich aber auch kritisch geäußert. Das Außenministerium in Vilnius bewertete in einer Mitteilung am Mittwoch positiv, dass durch die Klarstellung keine besonderen Ausnahmen und keine unterschiedliche Behandlung der Hoheitsgebiete der EU-Mitgliedstaaten geschaffen werde. Allerdings könnte die neue Regelung nach Ansicht Litauens möglicherweise den falschen Eindruck erwecken, dass die transatlantische Gemeinschaft ihre Position und Sanktionspolitik gegenüber Russland aufweiche.
Die EU-Kommission hatte zuvor nach Protesten und Drohungen aus Moskau neue Leitlinien erstellt, die den Transitverkehr zwischen Russland und seiner Ostsee-Exklave Kaliningrad betreffen. Dies wurde notwendig, weil der Transit durch Litauen und damit durch EU-Territorium verläuft.
Russland darf demnach auf der Sanktionsliste stehende zivile Güter per Bahn ohne große Einschränkungen durch Litauen bringen. Der EU-Staat hatte zuletzt keine mit Sanktionen belegte Waren mehr durchgelassen (Europe.Table berichtete). Betroffen davon waren etwa Luxusgüter und Stahlerzeugnisse. Untersagt sind nach dem am Mittwoch veröffentlichten Dokument allerdings weiterhin Straßentransporte von russischen Speditionen durch EU-Territorium. Zudem dürfen auch per Bahn keine Güter transportiert werden, die auch militärisch genutzt werden können.
Zu dem Transport von zivilen Gütern per Bahn hält die EU-Kommission in ihren Leitlinien nach dpa-Informationen fest, dass diese nur in den bislang üblichen Mengen befördert werden dürfen. Dazu soll es auch weiterhin zielgerichtete und effektive Kontrollen geben. Wenn auffällt, dass größere Mengen an Waren als üblich transportiert werden, müssen diese den Leitlinien zufolge aufgehalten werden. Damit soll verhindert werden, dass Russland auf Sanktionslisten stehende Güter über Kaliningrad in andere Länder transportiert und so Strafmaßnahmen umgeht.
“Litauen wird die Anwendung der Sanktionen effektiv sicherstellen, indem es genau überwacht, prinzipiell und effektiv überprüft, ob Russland versucht, seine Transitmöglichkeiten zu missbrauchen“, hieß es in der Mitteilung des Außenamts. Sollte so etwas entdeckt werden, behalte Litauen sich das Recht vor, derartige Versuche einseitig zu verhindern. Gleiches gelte bei nationalen Sicherheitsinteressen.
Mit der neuen Leitlinie macht die EU-Kommission deutlich, dass sie das Transitrecht Russlands über die rechtliche Sicht stellt, nach der Russland der Transport von Gütern über Litauen vor dem Hintergrund der Sanktionsverordnungen untersagt werden sollte.
Wann Litauen wieder mit Sanktionen belegte Waren aus und nach Kaliningrad passieren lassen wird, blieb zunächst unklar. “Wir warten vorerst auf eine Klärung durch die zuständigen Institutionen”, sagte eine Sprecherin der litauischen Bahn dem Rundfunk. dpa
Fünf mitteleuropäische EU-Mitgliedsstaaten haben die Europäische Union dazu aufgefordert, dem Westbalkan-Land Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus zu verleihen. “Es geht um ein Signal unserer Regierungen, dass der Westbalkan für die EU wichtig ist”, sagte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg am Mittwoch in Budapest. Bei ihrem Treffen in der ungarischen Hauptstadt forderten die Außenminister der sogenannten C5 (Österreich, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Slowenien), dass der nächste EU-Gipfel im Oktober das Thema auf die Tagesordnung setzt.
Beim EU-Gipfel im Juni hatten die von Russland angegriffene Ukraine sowie Moldau den EU-Kandidatenstatus erhalten (Europe.Table berichtete). Bosnien, das immer noch an den Folgen des Kriegs von 1992 bis 1995 leidet, war bei jenem Gipfel übergangen worden. Einige Westbalkan-Länder wie Serbien und Montenegro verhandeln bereits seit längerem über einen EU-Beitritt. Nur Bosnien und das Kosovo haben noch keinen Kandidatenstatus.
Die Ländergruppe der C5 war 2020 gegründet worden, um ursprünglich die regionale Zusammenarbeit in der Corona-Krise zu stärken. Das Treffen in Budapest war das erste seit Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine. In manchen Punkten seien sich die Teilnehmer nicht einig, räumte Schallenberg ein. Insbesondere Ungarn verfolgt Beobachtern zufolge eine eher russlandfreundliche Außen- und Energiepolitik (Europe.Table berichtete). dpa
Im Streit um Getreide-Exporte aus der Ukraine ist nach Angaben von UN-Generalsekretär António Guterres ein erster Durchbruch erzielt worden. Bei den Gesprächen zwischen Vertretern der Vereinten Nationen, der Ukraine, Russlands und der Türkei in Istanbul sei ein “entscheidender Schritt” in Richtung einer Lösung vorgenommen worden, sagte Guterres am Mittwoch vor Journalisten in New York. “Heute haben wir endlich ein bisschen Hoffnung.”
Details teilte Guterres zunächst nicht mit. Er sagte aber: “Es wird noch mehr technische Arbeit notwendig sein, damit sich der heutige Fortschritt materialisiert.”
Die internationale Gemeinschaft fordert von Russland seit Wochen, den Export von Getreide aus der Ukraine zu ermöglichen (Europe.Table berichtete). Die Ukraine beklagt, dass die russische Kriegsmarine ihre Häfen im Schwarzen Meer blockiere. Russland streitet ab, Weizenexporte zu verhindern. Die beiden Länder gehören zu den größten Weizenexporteuren und spielen eine wichtige Rolle für die Nahrungssicherheit in der Welt. Die Vereinten Nationen warnten zuletzt schon vor der größten Hungersnot seit Jahrzehnten. dpa
Deutschland und die anderen EU-Staaten fordern vom EU-Parlament, auf die geplante Einstellung von knapp 170 neuen Mitarbeitern zu verzichten. Vor dem Hintergrund der hohen Inflationsraten sei derzeit bei Ausgaben Zurückhaltung notwendig, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme von Regierungsvertretern zu den bevorstehenden EU-Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2023.
Das EU-Parlament habe bereits im vergangenen Jahr Mittel für 142 interne und 180 externe Mitarbeiter herausgehandelt. Dieses Jahr wird nach Angaben der Mitgliedstaaten Geld für 52 neue Planstellen und für 116 zusätzliche akkreditierte parlamentarische Assistenten gefordert.
Nach eigenen Angaben hatte das Parlament an seinen unterschiedlichen Standorten wie Brüssel, Straßburg und Luxemburg zuletzt 8132 Mitarbeiter. Rund 1100 davon waren für die Fraktionen tätig. dpa
Angesichts der chaotischen Zustände an einigen europäischen Flughäfen fordert der Europaabgeordnete Dennis Radtke (CDU) ein Eingreifen der EU-Kommission sowie der nationalen Regierungen. Es fehle an Personal für die Abfertigung, die Sicherheitskontrollen und die Gepäckverladung. Dies sei der Hauptgrund dafür, dass viele Passagiere ihre Flüge verpassen und teilweise stundenlange Wartezeiten auf sich nehmen müssten. Der Personalmangel ist die Folge zahlreicher Entlassungen während der Coronapandemie.
Insbesondere die Sicherheitskontrollen seien jedoch eine hoheitliche Aufgabe und damit auch die Verantwortung der Regulierungsbehörden, sagte der Sozialpolitiker am Mittwoch. Um kurzfristig Abhilfe zu schaffen, schlägt er vor, dass die Bundespolizei sicherheitsrelevante Aufgaben an Flughäfen übernimmt.
Radtke hält den “desaströsen Preiswettbewerb, der von einigen Airlines und Flughäfen betrieben wird”, für einen wesentlichen Auslöser der aktuellen Lage. Brüssel sei für die Regulierung des europäischen Flugverkehrs zuständig und lasse “ein gnadenloses Preisdumping von Flughäfen und Airlines zu”.
Selbstständige Piloten ohne Arbeitsverträge, die Fremdvergabe von sicherheitsrelevanten Arbeiten an externe Dienstleister und “Blacklists” für Piloten, die zu viel Treibstoff für ihre Flüge einkalkulieren, seien die Folge eines Preiswettbewerbs nach unten, so Dennis Radtke. Dieser sei nicht nur arbeitsrechtlich problematisch, sondern auch ein Aspekt der Sicherheit.
Als positiven Gegenentwurf nannte er den Flughafen in Wien, wo man auf Fremdvergabe verzichte und stattdessen “auf eigene Kräfte mit entsprechender Vergütungsstruktur” setze. Während Passagiere an deutschen und niederländischen Flughäfen sich in den vergangenen Wochen auf lange Wartezeiten und Flugausfälle einstellen mussten, lief der Betrieb in Wien vergleichsweise unauffällig.
Radtke fordert daher, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen entsprechende Maßnahmen vorlegt, um zu verhindern, dass der Preiswettbewerb “auf dem Rücken der Beschäftigten entschieden wird”. Es gehe nicht um ein Verbot von Fremdvergaben, sondern um die Stärkung von Arbeitsrechten in der Branche. Darauf habe man zuletzt im Zuge der Liberalisierung des Flugverkehrs verzichtet. Nun müsse man sich fragen, ob bessere soziale Bedingungen nicht wichtiger seien als günstige Flugpreise.
Mit einer schriftlichen Anfrage will der sozialpolitische Sprecher der EVP die Kommission zwingen, sich zu der aktuellen Situation, ihrer eigenen Verantwortung und möglichen Maßnahmen zu äußern. Für die Beantwortung hat die Kommission drei Monate Zeit.
Eine kurzfristige Lösung für den Personalmangel an einigen europäischen Flughäfen und den damit zusammenhängen chaotischen Zuständen ist demnach nicht zu erwarten. Etwaige Maßnahmen der Kommission würden voraussichtlich nicht vor Ende der Urlaubszeit greifen. luk
Der Stuttgarter Technologiekonzern Bosch baut seine Chip-Fertigung aus. Bis 2026 will der Autozulieferer nochmals drei Milliarden Euro in die Sparte stecken, wie Konzernchef Stefan Hartung am Mittwoch in Dresden ankündigte. Sowohl dort, wo vor einem Jahr ein neues Werk für eine Milliarde Euro in Betrieb genommen wurde, als auch in Reutlingen bei Stuttgart will Bosch die Kapazitäten erweitern und Entwicklungszentren bauen.
Hartung hofft dafür auf weitere Zuschüsse im Rahmen des Förderprogramms IPCEI (Europe.Table berichtete), mit dem die EU die Halbleiter-Produktion in Europa kräftig ankurbeln will. Subventionen seien wichtig (Europe.Table berichtete), betonte Hartung: “Das Werk würde hier nicht so stehen, wenn es die Förderung nicht gegeben hätte.”
Bis zum Ende des Jahrzehnts soll nach dem Willen der EU ein Fünftel der Chips weltweit aus Europa kommen, doppelt so viel wie bisher. Das sei ein “super-ambitioniertes Ziel”, sagte Hartung. Denn auch in anderen Erdteilen werde die Produktion ausgebaut. Bisher dominieren die USA und Asien den Markt. Die weiten Wege hatten während der Corona-Pandemie die Lieferketten abreißen lassen.
Die Quote sei ohnehin nicht entscheidend, sagte Hartung. “Dass Europa damit autark würde, sollte man nicht erwarten.” Es gehe vielmehr darum, Chips speziell für den Bedarf der europäischen Industrie zu bauen, etwa für die E-Mobilität. In Elektroautos würden Chips für 800 Euro verbaut, viermal so viel wie in herkömmlichen Fahrzeugen.
Die ersten in der neuen Fabrik in Sachsen gefertigten Chips etwa seien in Bosch-Akkuschraubern verbaut worden. Wegen der Lieferengpässe habe der Konzern die Fabrik schneller hochgefahren als geplant. “Wir drücken aufs Tempo.” Im Endausbau, nach der Erweiterung der Reinräume für 250 Millionen Euro, sollen dort rund 700 Menschen arbeiten, 350 sind es zurzeit.
Kurzfristig gibt Hartung für die Chip-Nachfrage aber keine Entwarnung, auch wenn angesichts der abflauenden Konjunktur und der steigenden Inflation die Nachfrage etwa aus der Konsumgüter-Branche abebbt. Es gebe aber andere Bereiche, wo die Kapazitäten nicht so stark erweitert worden seien und auf eine anhaltend hohe Nachfrage träfen. Bei Bosch seien die Lieferketten immer noch sehr angespannt (Europe.Table berichtete), die Spielräume gering, sagte Hartung. “Das wird sicher noch für einige Monate so bleiben.” rtr
Von Europa aus sollen künftig Satelliten in den Weltraum gebracht werden. Das hat die Raumfahrtbeauftragte der Bundesregierung, Anna Christmann, gefordert. “Wir brauchen Startkapazitäten auch in Europa”, sagte sie in einem Interview mit Reuters. “Die Nordsee ist ein möglicher Standort neben Schottland, Norwegen, aber auch Schweden.”
Entscheidend sei nicht unbedingt, dass es Startmöglichkeiten für Raketen in Deutschland gebe, sagte die Grünen-Politikerin. Aber für die Nordsee gebe es bereits ein privates Konsortium, das dort die Möglichkeiten prüft. Bisher werden etwa die europäischen Ariane-Raketen für den Weltraumbahnhof in Französisch-Guayana in Südamerika ins All geschickt.
Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine verwies Christmann auf die strategische Bedeutung der Raumfahrt. “Der Krieg in Europa zeigt uns, dass die Raumfahrt immer mehr zur kritischen Infrastruktur wird. Wir brauchen die Informationen aus dem Orbit für die Lageeinschätzung, auch für eine militärische”, betonte sie.
Für Europas Souveränität sei es wichtig, dabei zu sein. “In der Raumfahrt wie bei der Energieversorgung gilt: Internationale Kooperation ist wichtig, Abhängigkeiten sind gefährlich“, sagte sie in Anspielung auf die bisherige Nutzung russischer Trägerraketen. Derzeit können zwei Satelliten des europäischen Navigationssystems Galileo nicht ins All geschossen werden, weil der geplante Start mit einer russischen Rakete wegen der Sanktionen nicht mehr möglich ist.
Die Koordinatorin für Luft- und Raumfahrt dringt deshalb auf die schnelle Fertigstellung der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6, die sich immer wieder verzögert hatte. Man werde auf dem ESA-Ministerrat im Herbst darüber reden müssen, wie die Mehrkosten verteilt werden. Aber Priorität habe der schnelle Einsatz.
Zugleich deutete sie an, dass man in Zukunft “alle Möglichkeiten” prüfen sollte, wenn es darum geht, die Satelliten ins All zu schießen. Hintergrund ist, dass bisher ein Start öffentlich geförderter Satelliten etwa mit kommerziellen amerikanischen Raketen nicht möglich ist. Chancen für Europa sieht Christmann gerade durch eine sich sehr schnell wandelnde Branche und vor allem den Trend zu kleinen Satelliten.
Denn Raumfahrt sei von zentraler Bedeutung für zukünftige Herausforderungen, vor allem mit Blick auf das Klima (Europe.Table berichtete). “Wir merken, wie entscheidend die Technik ist, wenn sie wie etwa bei der Steuerung von Windrädern einmal ausfällt.” Wie jetzt in Brandenburg würden Satelliten zur frühzeitigen Waldbrand-Entdeckung eingesetzt. “Sie können CO2-Quellen entdecken und sind für eine nachhaltige Landwirtschaft ganz wichtig.” In diesen Bereichen entstünden neue Geschäftsmodelle, bei denen die Nutzung öffentlicher Daten von Firmen mit dem Einsatz eigener Satelliten kombiniert werde. rtr
Thierry Breton ist viel unterwegs in diesen Tagen. In Berlin traf er vergangene Woche etwa Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, zuvor hatte er in Paris mit Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire gesprochen und Portugals Ministerpräsident António Costa in Lissabon besucht. “Ich will in allen Mitgliedstaaten sehr präsent sein in dieser schwierigen Periode”, sagt er.
Der EU-Binnenmarktkommissar ist als Krisenmanager unterwegs, wieder einmal. Den EU-Staaten steht angesichts der stockenden Gaslieferungen aus Russland ein harter Winter bevor, und Breton will verhindern, “dass wir erneut der Versuchung erliegen, alles für uns zu behalten”. So geschehen zu Beginn der Corona-Pandemie, als etwa die Bundesregierung Italien die dringend benötigten Schutzmasken und Beatmungsgeräte verweigerte. Breton intervenierte damals bei Gesundheitsminister Jens Spahn, Berlin lieferte nach einigem Zögern doch, aber der Flurschaden in Italien war angerichtet.
Der 67-Jährige predigt bei seinen Besuchen deshalb Solidarität. Sein Mantra: Nur gemeinsam könnten die Mitgliedstaaten die drohende Gaskrise überwinden, schließlich seien ihre Länder über Energielieferungen und ihre Industrien über grenzüberschreitende Lieferketten eng miteinander verflochten. Als die Regierungen im Frühjahr 2020 die Schengen-Grenzen schlossen, um die Ausbreitung des Virus zu bremsen, standen schnell die Maschinen still, weil Vorprodukte fehlten.
Solidarität üben, das heißt für Breton in diesem Fall: “Jedes Land muss so viel Energie produzieren, wie es kann – um die eigenen Bedürfnisse zu decken, aber auch die der europäischen Nachbarn.” Dazu gehöre, Kohlekraftwerke wieder ans Netz zu nehmen wie in Deutschland, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern wie in Belgien, oder, wie im Falle Frankreichs, die Wartung der vom Netz genommenen Atommeiler zu beschleunigen. Als Befürworter der Technologie macht Breton keinen Hehl aus seiner Meinung, auch Deutschland solle die Stilllegung der verbliebenen AKW überdenken.
Bereits vor gut zwei Monaten suchte er das Gespräch mit den Industrieverbänden, dem BDI, dem französischen Medef, der italienischen Confindustria. Es gehe darum, eine gemeinsame Sicht zu entwickeln, Lösungen zu entwickeln, wie die betroffenen Sektoren das russische Gas in ihren Prozessen ersetzen können. So wolle man möglichst vermeiden, dass Unternehmen etwa in der Grundstoffindustrie wegen Gasmangels ihre Produktion herunterfahren müssten. “Wir wollen verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden.”
Inzwischen habe man einen guten Überblick, einen Plan, sagt Breton. Nächsten Mittwoch wird Kommissionsvize Frans Timmermans den Krisenplan für den Herbst und Winter vorstellen. Bei Breton klingt es so, als habe er diesen Plan weitgehend selbst erarbeitet – Bescheidenheit ist eher nicht seine Sache.
In der Kommission stößt das manchem auf. Auch seine internen Kritiker erkennen aber an, dass der ehemalige Unternehmenschef vieles angestoßen und durchgesetzt hat. Digital Markets Act, Digital Services Act, Data Act und Chips Act – all diese Legislativvorhaben fallen in seine Zuständigkeit, und weitere sind in Arbeit, etwa zu Rohstoffen und einem Notfallmechanismus für den Binnenmarkt (Europe.Table berichtete).
In der Industrie stößt der Aktionismus nicht nur auf Begeisterung. Vielen Wirtschaftsvertretern aus Deutschland und anderen eher marktwirtschaftlich gesonnenen Ländern agiert der Franzose zu interventionistisch: Neun Mitgliedstaaten warnten kürzlich in einem Brief, das geplante Kriseninstrument für den Binnenmarkt für weitgehende Eingriffe in die Industrien zu missbrauchen.
Auch beim Chips Act geht Breton vielen zu weit: Sein Instrumentarium für Lieferkrisen sieht etwa die Möglichkeit von Ausfuhrkontrollen und die gemeinsame Beschaffung von Halbleitern durch die Kommission vor. Das bei den Covid-Impfstoffen entwickelte Instrumentarium lasse sich nicht übertragen auf hochdifferenzierte Produkte wie Halbleiter, kritisieren etwa die Experten der Stiftung Neue Verantwortung.
An anderer Stelle vermissen die Unternehmen den Einsatz des Industriekommissars für ihre Interessen. Beim Sorgfaltspflichtengesetz etwa habe sich Breton den weitreichenden Plänen von Justizkommissar Didier Reynders nicht entschlossen genug widersetzt, heißt es in Industriekreisen. Der Vorschlag der Kommission gehe weit über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus (Europe.Table berichtete), trage die Handschrift der NGOs. Für Frankreichs Industrie sei das weniger problematisch als für die weltweit agierende deutsche Wirtschaft. Daher habe sich Breton hier wohl nicht verkämpft, sagt ein Industrievertreter.
In Brüssel ist Thierry Breton als ehemaliger “Patron” von Anfang etwas aus dem Rahmen gefallen. Unter Präsident Jacques Chirac machte er zwar ab 2005 auch für kurze zwei Jahre als Minister für Wirtschaft, Finanz und Industrie einen Ausflug in die Politik. Seinen Namen hat er sich in erster als Unternehmenssanierer und Geschäftsmann gemacht. Er war CEO bei Honeywell Bull, Thomson, France Telekom und Atos. Dass er ein Mann der Praxis ist, lässt er manchmal auch seine Kommissionskollegen spüren. Insbesondere Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Er der “Staatsinterventionist” und Verfechter “europäischer Souveränität”, sie die Marktliberale, Kämpferin gegen “Protektionismus” und Berufspolitikerin aus Dänemark.
Als es darum ging, das Prestigeprojekt DSA und DMA voranzubringen, konnten die beiden Kontrahenten die Rivalität nur schlecht verbergen. Thierry Breton, sonst immer der Chef, ist keiner, der sich gerne unterordnet. Die Ausgangslage war für den Franzosen nicht einfach, da Vestager als eine der Vizepräsidentinnen unter Ursula von der Leyen hierarchisch höher war. Am Ende haben sich beide arrangiert. Vergessen ist inzwischen, dass Thierry Breton als zweite Wahl nur zum Zug kam, weil Macrons Wunschkandidatin Sylvie Goulard im EU-Parlament wegen einer Affäre um Assistentengehälter scheiterte.
Am Anfang hatte Thierry Breton Mühe, in Brüssel Fuß zu fassen und unter Ursula von der Leyen seine Rolle zu finden. Das hat sich spätestens mit der Coronakrise geändert. Der Franzose spielte eine Schlüsselrolle dabei, die Impfbeschaffung nach dem schwierigen Start doch noch zu einem Erfolg zu führen. Unermüdlich klapperte er alle Produktionsstätten und Zulieferer in Europa ab: “Ich kenne jede Fabrik auf dem Kontinent und ich weiß, was dort vor sich geht”, rühmte er sich, als der Nachschub mit Impfdosen endlich gesichert war. Er scheut sich nicht, mit Unternehmensführern und Regierungschefs auf Augenhöhe zu verhandeln.
Thierry Breton war auch schon Professor in Harvard und hat unzählige Sachbücher über Informationstechnologie sowie als Co-Autor einen Roman über Cyberspace geschrieben. Er ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Angeblich will er nach seinem Mandat in Brüssel weitere Bücher schreiben. Gut möglich, dass Thierry Breton sich dann zusammen mit seiner Frau nach Senegal zurückzieht. Ein Land, mit dem er sich verbunden fühlt, dessen Nationalität er angenommen hat und wo er ein Haus besitzt. Stephan Israel und Till Hoppe