ohne Gründe zu nennen, hat die staatliche russische Eisenbahn am Donnerstag mitgeteilt, ab dem 10. April die Bahntransporte nach Polen einschränken zu wollen. Doch die Transporte in die EU dürften absehbar insgesamt weniger werden. Denn die 27 Mitgliedstaaten haben sich als Reaktion auf die Gräueltaten von Butscha gestern auf ein fünftes Sanktionspaket gegen Russland geeinigt.
Darin enthalten ist auch ein Anlegeverbot für Schiffe unter russischer Flagge sowie weitere Verschärfungen für den Bankensektor – unter anderem soll Russlands zweitgrößte Bank, die VTB-Bank (früher Vneschtorgbank), mit einem vollständigen Transaktionsverbot belegt werden. Auch der Import von Holz, Zement und Meeresfrüchten in die EU soll komplett verboten werden, zudem werden weitere Exportverbote nach Russland erlassen – unter anderem, so kündigte es die französische Ratspräsidentschaft an, ein Waffenexportverbot. Besonders im Fokus aber stehen wieder die Energiesanktionen – Manuel Berkel analysiert, wie diese sich in das Gesamtgefüge der europäischen Energie-Abnabelung von Russland einfügen und wo neue Probleme drohen.
Die EU-Agrarminister haben gestern über die von der Kommission vorgeschlagene Neufassung der LULUCF-Verordnung debattiert. Die Verordnung hat zum Ziel, natürliche CO2-Senken zu stärken, denn die alleinige Reduktion der Treibhausgase wird nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen. Timo Landenberger hat analysiert, welchen komplexen Herausforderungen das Regelwerk gerecht werden muss.
In Frankreich könnte es bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Sonntag eine Überraschung geben: Amtsinhaber und Favorit Emmanuel Macron verliert an Vorsprung, aber nicht nur an die rechtsextreme Marine Le Pen, sondern auch an den Linken Jean-Luc Mélenchon. Tanja Kuchenbecker schreibt, was die aktuellen Umfragewerte für die Wahl bedeuten.
Der EU-China-Gipfel ging vergangene Woche zu Ende – ohne großes Ergebnis. Die Gespräche seien schlecht vorbereitet gewesen und Brüssel sei mit falschen Erwartungen an Peking herangetreten, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.
Claire Stam schaut in ihrer Kolumne What’s cooking in Brussels wieder in die Kochtöpfe Brüssels. Unter Druck steht beim ersten Wahlgang in Frankreich Emmanuel Macron – und mit ihm das demokratische Miteinander in der EU.
Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Donnerstagabend die Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und weitere Güter sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Das teilte die französische EU-Ratspräsidentschaft auf Twitter mit.
Damit die Sanktionen in Kraft treten können, müssen die notwendigen Rechtsakte nun im schriftlichen Verfahren angenommen und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Diese Schritte gelten als Formalie und sollen heute abgeschlossen werden.
Einen früheren Abschluss der Verhandlungen verhinderte Polen. Nach Angaben von Diplomaten wollte das Land zunächst nicht akzeptieren, dass die Übergangsfrist für den Importstopp russischer Kohle auf Wunsch von Ländern wie Deutschland vier Monate betragen soll – und nicht drei Monate, wie von der Kommission geplant. Um neue Lieferverträge zu schließen, werde Deutschland diese 120 Tage wohl benötigen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend in Berlin. “Wenn’s schneller geht, ist’s gut.”
Die neuen Strafmaßnahmen sollen nun den Druck auf Russland erhöhen – vor allem, indem dem Land hohe wirtschaftliche Kosten auferlegt werden. So könnte allein das Kohleembargo nach Angaben der EU-Kommission Einnahmeausfälle in Höhe von rund vier Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.
Um die russische Wirtschaft zusätzlich zu schwächen, soll es weitere Beschränkungen für Exporte nach Russland mit einem Umfang von rund 10 Milliarden Euro geben. Dazu gehören nach Kommissionsangaben etwa Quantencomputer und Transportmittel. Produkte wie Holz und Zement im Wert von 5,5 Milliarden Euro sollen nicht mehr in die EU importiert werden. Russische Unternehmen werden außerdem nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen in den EU-Staaten teilnehmen dürfen.
Viel weitergehende Importbeschränkungen hatte zuvor das EU-Parlament in Straßburg gefordert. In einer Entschließung, die gestern mit 513 gegen 22 Stimmen und 19 Enthaltungen angenommen wurde, verlangen die Abgeordneten unter anderem ein sofortiges “vollständiges Embargo” gegen Einfuhren von Kohle, Öl, Kernbrennstoff und Gas aus Russland.
Mit der Entschließung gingen die Parlamentarier noch über den Entwurf hinaus (Europe.Table berichtete), der Mittwochabend bekannt geworden war. Darin hatten sich mehrere Fraktionen zunächst nur auf das Embargo von Öl und Kohle aus Russland geeinigt. Der Importstopp für Gas solle dagegen “so schnell wie möglich” erfolgen. Die Grünen hatten sich mit der Forderung nach einem sofortigen Gasembargo zunächst nicht durchsetzen können.
An Maßnahmen gegen Erdölimporte arbeitet die Kommission nach Angaben von Dienstag. Gegen ein Gasembargo gibt es aber vor allem Bedenken aus Deutschland. Eine vollständige Unabhängigkeit von russischem Gas hält die Bundesregierung erst ab Sommer 2024 für möglich.
Das Parlament unternahm gestern aber auch einen weiteren Schritt für eine höhere Sicherheit in der Gasversorgung. Wie erwartet, stimmte das Plenum für die Einführung von Mindestfüllständen von Gasspeichern (Europe.Table berichtete) und eine Zertifizierung der Betreiber. Seine Mitglieder stimmten in erster Lesung im Dringlichkeitsverfahren über den entsprechenden Entwurf der Kommission vom 23. März ab.
Bis November 2022 sollen laut Entwurf Gasspeicher in der EU einen Mindestfüllstand von 80 Prozent erreichen, in den folgenden Jahren soll dieser auf 90 Prozent ansteigen. Der Entwurf geht nun zurück an den Industrieausschuss, der die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Rat einleitet.
Mit den geplanten Zertifizierungen soll eine neue Möglichkeit geschaffen werden, unzuverlässige Speicherbetreiber aus dem Geschäft zu drängen. Bei der Veröffentlichung eines neuen Berichts äußerte sich die Regulierungsagentur ACER gestern erneut zur Rolle Gazproms im Zusammenhang mit den niedrigen Speicherständen, die einige Anlagen bereits am 1. Oktober vergangenen Jahres hatten: “Die gebuchte Speicherkapazität in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und der Slowakei lag deutlich über der tatsächlich genutzten Kapazität, da die von Gazprom genutzten oder kontrollierten Speicher nur gering gefüllt waren.”
Inmitten der aufgeheizten Diskussion um fossile Brennstoffe droht die grundlegende Transformation von Europas Energieversorgung dagegen offenbar so manchen zu weit an den Rand gedrängt zu werden. Jedenfalls wurde gestern ein Appell von elf Mitgliedstaaten verbreitet. Sein Titel: “Ambitioniertes Fit for 55 und EU-Energieunabhängigkeit – die smarte, notwendige und erstrebenswerte Antwort auf die Krise“. Darin schreiben die Unterzeichner, zu denen auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gehört: “Jetzt ist die Zeit, mutig zu sein und entschlossen fortzufahren mit der grünen Transformation. Jeder Aufschub und jedes Zögern werden unsere Energieabhängigkeit nur verlängern.”
Besonders wichtig sei deshalb ein schneller Hochlauf bei erneuerbaren Energien, erneuerbaren Gasen und Energieeffizienz. Nicht genannt wird die Atomenergie, die von Frankreich propagiert wird, das nicht zu den Unterzeichnern gehört. Die elf Staaten sehen Erneuerbare auch als einen Beitrag, um die Strompreise zu senken. Derzeit versuchen einige Mitgliedstaaten ihre Bürger vor allem durch kurzfristig wirksame staatliche Eingriffe in die Märkte zu schützen.
Die Elfergruppe pocht dagegen darauf, dass der gemeinsame Binnenmarkt Preisschocks minimiere. Auch der Emissionshandel diene letztlich dazu, die Transformation kosteneffizient zu erreichen. Initiiert hatte das Papier Dänemark, zu den Unterzeichnern gehören unter anderem auch Spanien, Österreich, Finnland und die Niederlande. Allein auf Erneuerbare setzen kann aber auch die Fit-for-55-Avantgarde nicht: Die niederländische Regierung verwies gestern darauf, ihre Erdgasförderung in der Nordsee steigern zu wollen.
“In einer idealen Welt würden wir keine neuen Gasfelder in der Nordsee erschließen. Aber die Situation macht dies notwendig”, sagte Energieminister Rob Jetten dem “Handelsblatt”. Leider habe man in dieser Frage noch keine Einigung mit den deutschen Partnern erzielt. Die Ampel-Koalition hat neue Explorationsvorhaben für Gas und Öl in der Nordsee bislang ausgeschlossen.
Die Regierung in Finnland teilte mit, bis zu 850 Millionen Euro zu investieren, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden. Helsinki kündigte gestern die Anschaffung eines LNG-Terminals an, das gemeinsam mit Estland genutzt werden solle. Mit Leonie Düngefeld, dpa, rtr
Durch die Reduktion der Treibhausgase allein wird das Ziel der Klimaneutralität in der EU im Jahr 2050 nicht zu erreichen sein. Verbleibende Restemissionen wird es neben Verkehr und Industrie auch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft geben. Zugleich weisen die sogenannten LULUCF-Sektoren (Land Use, Land Use Change and Foresty) aber auch großes Potenzial zur Abspaltung und Speicherung des klimaschädlichen Kohlenstoffs aus der Luft auf. Die Stärkung natürlicher Kohlenstoffsenken wie Wälder, Moore oder Grasland spielt eine wichtige Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele, weshalb die Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets auch eine Neufassung der LULUCF-Verordnung auf den Weg gebracht hat.
Welch komplexen Herausforderungen das Regelwerk jedoch gerecht werden muss, das wurde am Donnerstag beim Treffen der EU-Agrarminister in Luxemburg deutlich. So bezeichnete Spaniens Landwirtschaftsminister Luis Planas Puchades schon den Zielwert für die Senkleistung im LULUCF-Sektor als “nicht realistisch”. Der Kommissionsentwurf sieht einen Netto-Abbau von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bis 2030 vor. Dies sind rund 15 Prozent mehr als die derzeitige Vorgabe von 268 Millionen Tonnen pro Jahr, die noch bis 2025 gelten soll. Der neue Wert soll in Form verbindlicher Ziele ab 2026 auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden.
Deutschland soll demnach bis 2030 eine Treibhausgasreduktion von gut 30 Millionen Tonnen im Forst- und Landnutzungsbereich erreichen. Während der Deutsche Bauernverband das Ziel bereits als unerreichbar bezeichnet hatte und auf zunehmende Klimaschäden sowie Altersstruktureffekte der Wälder verwies, forderten etliche Umweltverbände in einem gemeinsamen Positionspapier im Februar eine deutliche Erhöhung der EU-weiten Zielmarke. Möglich sei beinahe eine Verdopplung. Allerdings ging die Senkleistung Europäischer Wälder und Böden in den Jahren 2013 bis 2018 laut Kommission tatsächlich um etwa 20 Prozent zurück.
Die Wiederherstellung und der Ausbau der Kohlenstoffsenken sei möglich, setze jedoch sofortiges entschlossenes Handeln voraus, so die EU-Kommission. Dazu gehört beispielsweise die Wiedervernässung von Mooren, Aufforstung, Ausweisung von Naturschutzgebieten oder auch die Stilllegung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Die Vorstellung eines entsprechenden Renaturierungsgesetzes hat die EU-Kommission infolge der aktuellen Debatte um Ernährungssicherheit jedoch verschoben.
Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben, den Klimaschutzbeitrag des LULUCF-Sektors zu erhöhen. Die starken Schwankungen in diesem Bereich zeigten jedoch, “dass die Formulierung von absoluten, jahresscharfen Zielwerten mit Schwierigkeiten behaftet ist”, sagte Deutschlands stellvertretende ständige Vertreterin Susanne Szech-Koundouros bei dem Ratstreffen am Donnerstag.
Natürliche Störungen wie etwa Schlechtwetter-Ereignisse, Dürren oder Schädlingsbefall können für eine deutliche Erhöhung der Emissionen bei gleichzeitiger Einschränkung der potenziellen Senkleistung sorgen. Dies sei im Vorschlag der Kommission zu wenig berücksichtigt, kritisierten auch etliche andere Staaten, darunter Portugal. Die Störungen seien nicht auf die Politik oder Bewirtschaftung zurückzuführen. Mitgliedstaaten sollten in diesen Fällen unterstützt und nicht bestraft werden, sagte die portugiesische Landwirtschaftsministerin Maria do Céu Antunes
Ebenfalls zu wenig berücksichtigt würden die unterschiedlichen geologischen und klimatischen Bedingungen in den verschiedenen Ländern. Der Kommissionentwurf sieht vielmehr eine Vereinfachung der Compliance-Vorschriften sowie eine Harmonisierung der Berichterstattung vor. Während manche Länder den Schritt hin zu mehr Vergleichbarkeit begrüßten, übten andere deutliche Kritik: “Die Kommission geht davon aus, dass die Aufnahmekapazität überall in Europa die gleiche ist. Aber gerade in Spanien ist die mögliche CO2-Absorbtion im Vergleich zu anderen Staaten klimabedingt stark eingeschränkt”, so Planas Puchades.
Ähnliche Bedenken äußerte Charlie McConalogue aus Irland. Ein Großteil der Emissionen in dem Land ist auf die Landwirtschaft zurückzuführen. “Aufgrund des hohen Anteils an Torf-Böden und der Altersstruktur unserer Wälder haben wir aber nur sehr begrenzte Möglichkeiten, unsere Jahresziele zu erfüllen”, so der irische Minister.
Ab 2031 will die Kommission sämtliche Bereiche der Land- und Forstnutzung sowie der Landwirtschaft inklusive Viehzucht in einer neuen Säule (Agriculture, Forestry and Other Land Use – AFOLU) zusammenfassen. Dann sollen alle Treibhausgasemissionen dieser Bereiche, darunter Methan, mit den Senkleistungen verrechnet werden. Deutschland kritisiert das Vorhaben und befürchtet eine Verwässerung der Reduktionsziele. Die Kommission sieht für den neuen AFOLU-Sektor Klimaneutralität bis 2035 vor, danach sollen Negativ-Emissionen erbracht werden.
Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
11.04.2022
Themen: Aussprachen zur russischen Aggression gegen die Ukraine und zur Global Gateway Strategie.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
12.04.2022
Themen: Jährlicher Dialog über Rechtsstaatlichkeit sowie Informationen des Vorsitzes zur Konferenz über die Zukunft Europas.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)
Der Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte Amtsinhaber Emmanuel Macron ein Umfragehoch beschert, doch dieser Effekt schwindet. Vor dem ersten Wahlgang in Frankreich am Sonntag erreicht Macron noch 25 bis 28 Prozent, die Rechtsextreme Marine Le Pen 21 bis 23 Prozent. Zwischenzeitlich hatte der Vorsprung 15 Punkte betragen.
Die beiden Kandidaten haben die besten Aussichten, in die Stichwahl am 24. April zu gehen. Doch auch ein Dritter hat noch realistische Chancen: Jean-Luc Mélenchon. Der 70-jährige Linkspolitiker erreichte zuletzt 16,5 Prozent, er legte in den Umfragen zuletzt stark zu. Die Tageszeitung “Le Monde” traut Mélenchon eine Überraschung zu. Die übrigen Bewerber liegen abgeschlagen, der Rechtsextreme Éric Zemmour und die Konservative Valérie Pécresse kommen auf rund zehn Prozent.
Zu Mélenchons Wahlkampfveranstaltung in Marseille kamen zuletzt 35.000 Anhänger. Seit einigen Tagen werden Befürchtungen laut, der Chef der Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) könne gar in eine Stichwahl gegen Le Pen einziehen, wenn die Mobilisierung der Macron-Wähler nicht gelinge. Macron wird von Links- und Rechtsaußen angegriffen.
Am Sonntag schließen die letzten Wahllokale um 20 Uhr, anschließend kommen die Hochrechnungen. Bei der Wahl geht es nicht nur um Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich, sondern auch um Europa: Sowohl Le Pen als auch Mélenchon wollen zwar keinen Ausstieg mehr aus der EU, aber sie sehen Brüssel skeptisch und sprechen von einem Europa der Nationen. Le Pen fühle sich dabei bestärkt durch die jüngsten Wahlsiege von Viktor Orbán in Ungarn (Europe.Table berichtete) und Aleksandar Vučić in Serbien, sagt Tara Varma vom European Council on Foreign Relations.
Mélenchon macht überdies Stimmung gegen Deutschland und gegen den Kapitalismus. In der Wirtschaftspolitik liegt er nahe bei Le Pen: Es geht bei ihm ebenfalls um Kaufkraft, er fordert staatliche Eingriffe in Energiepreise und einen höheren Mindestlohn. Das Rentenalter will er von 62 auf 60 Jahre senken, während Macron es auf 65 Jahre anheben will. Er plädiert auch für einen Ausstieg aus der Nato.
Mélenchon selbst bezeichnet sich als “scharfsinnige Schildkröte”, die langsam, aber sicher ins Ziel komme. Er wähnt sich dem Sieg in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlgang sehr nahe. Für ihn spricht, dass er der aussichtsreichste Kandidat im linken Lager ist. Viele Wähler könnten sich für ihn entscheiden, um ihre Stimme nicht bei den aussichtslosen Bewerbern von Grünen oder Sozialisten zu verschenken. Gerade bei jungen Wählern ist dieses Argument oft zu hören.
Mélenchon stammt aus Marokko und kam als Kind nach Frankreich. Er studierte Philosophie, war Lehrer und Journalist, schloss sich dann den Sozialisten an. 2000 bis 2002 war er Minister für berufliche Bildung, außerdem im Laufe seiner Karriere Europaabgeordneter sowie Abgeordneter des französischen Parlaments und Senator.
Seine erste Linksbewegung gründete er 2008. Mélenchon tritt bereits zum dritten Mal an. 2012 erreichte er bei der Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang elf Prozent, 2017 schon 19 Prozent. Er will eine neue Verfassung für Frankreich schaffen, eine sechste Republik. Die Machtkonzentration beim Staatspräsidenten hält er für zu gefährlich. Im Wahlkampf wurde er wie Le Pen und Zemmour für seine Russland-Nähe kritisiert. Er stritt das ab und verurteilte den russischen Angriff. Doch das Thema scheint kurz vor der Wahl schon wieder vergessen.
Sollte Mélenchon es nicht schaffen und wie erwartet Macron und Le Pen in die Stichwahl einziehen, könnte es für den amtierenden Präsidenten Frankreichs knapp werden. Le Pen kann in diesem Fall voraussichtlich auf den größten Teil der Zemmour-Wähler zurückgreifen, auch auf einen Teil der Wähler von Valérie Pécresse. Macrons zusätzliches Wählerpotenzial hingegen ist begrenzt, er kann auf Stimmen von Pécresse und den schwachen Sozialisten und Grünen hoffen.
Mélenchon könnte den Ausschlag geben und zur Wahl für Le Pen aufrufen, um eine Anti-Macron-Front zu bilden. Ohnehin wird erwartet, dass ein Teil seiner Wähler zu Le Pen überläuft. Laut Umfragen dürfte Le Pen im zweiten Wahlgang bis zu 47 Prozent der Stimmen erhalten, 13 Prozent mehr als 2017. Sie wirkt siegesbewusst und weniger erschöpft als 2017. Zwischen den beiden Wahlgängen ist eine TV-Debatte zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten geplant. Dabei hatte Le Pen vor fünf Jahren viel verspielt: Während Macron souverän und gut informiert herüberkam, wirkte sie aggressiv und wenig glaubwürdig.
Doch seitdem hat sie ihre Taktik geändert, vermeidet alles Extreme und setzt auf Bürgernähe. Macron wird dagegen kritisiert, weil er zu distanziert wirkt und vor dem ersten Wahlgang Debatten mit anderen Kandidaten ablehnte. Auch sein Vorschlag der Rente mit 65 Jahren sorgt bei vielen nicht gerade für Begeisterung. Zudem kam sein Meeting mit 35.000 Personen an der Défense bei Paris nicht gut an, dabei lobte er zweieinhalb Stunden lang seine eigene Politik der vergangenen fünf Jahre.
Sollte Macron jetzt wieder gegen Le Pen antreten, müsse er die Messer wetzen, heißt es in den französischen Medien. Schon jetzt hat er damit angefangen, ihr Wahlprogramm als unbezahlbar zu diskreditieren. Er müsse vor allem aber Le Pen diabolisieren, die vor Jahren eine Entteufelung ihrer Politik eingeleitet hat.
Bei seiner Wahlveranstaltung warnte Macron vor einer “extremistischen Gefahr”, die größer sei als noch vor einigen Jahren. Er kann nur hoffen, dass sich Zemmour für die Stichwahl zu Le Pen bekennt. Dann könnte er sie gemeinsam in die extrem rechte Ecke stellen.
Der EU-China-Gipfel hat in der vergangenen Woche ohne Erfolg geendet (China.Table berichtete). In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der Schwarze Peter meist Peking zugeschoben. Denn die chinesische Außenpolitik verweigert hartnäckig eine Teilnahme an den internationalen Strafen gegen Russland. Doch die Passivität Chinas im Angesicht des Ukraine-Kriegs hat durchaus Gründe, betonen zwei führende Expert:innen gestern in einer Veranstaltung von Table.Media. “Assessing the EU-China Summit Confirmation” fand in unserer Reihe “Table.Live-Briefing” statt.
Die Erwartung einer plötzlichen Abwendung von Russland sei von Anfang an unrealistisch gewesen, sagt Alicia García-Herrero. Sie ist China-Expertin bei der renommierten Brüsseler Denkfabrik Bruegel und Beraterin der Asian Development Bank (ADB). “Ich war von Anfang an erstaunt über den Versuch, China als Vermittler zu gewinnen.” Das Land sei noch nie in einem gravierenden internationalen Konflikt als Schlichter aufgetreten.
Außerdem müsse den Akteuren in Brüssel eigentlich klar gewesen sein, wie schwer China eine Abwendung von Russland fallen würde. “Das Problem liegt daher nicht so sehr in China als in einer Fehlwahrnehmung der chinesischen Position”, so García-Herrero. China arbeite auf die Schaffung einer neuen weltpolitischen Ordnung hin. García-Herrero fragt zugespitzt: “Wenn China Russland aufgibt, wer steht dann noch an der Seite Chinas? Wie kann China ohne Russland auf die angestrebte Änderung der internationalen Ordnung hinwirken?” Es ist einfach der Mangel an Verbündeten, der China keine Wahl lässt, als zu Russland zu halten. Die Erwartung, dass es sich an die Seite der USA und der EU stellt, sei von Anfang an blauäugig gewesen.
Die EU habe die chinesischen Befindlichkeiten jedoch nicht nur in der Sache schlecht eingeschätzt. Sie habe China auch gar keine echte Chance gegeben, den Europäern entgegenzukommen. “Der Gipfel war schlecht vorbereitet”, sagt Matthias Stepan, Leiter des Verbindungsbüros der Stiftung Mercator in Peking. Wenn die eigene Führungsspitze im Spiel ist, missbilligt China diplomatische Überraschungen. Doch die EU hatte die Invasion in der Ukraine erst spät zum Hauptthema des virtuellen EU-China-Gipfels gemacht. “Dies war ein Gipfel, bei dem es eigentlich um Wirtschaft gehen sollte”, bestätigt García-Herrero. Das Datum für den EU-China-Gipfel war vor Beginn des Ukraine-Kriegs festgelegt worden.
Stepan zufolge hat die abrupte Änderung der Themensetzung die Erfolgschancen bereits erheblich verringert. Sie hat den Diplomaten und anderen Beamten auf Arbeitsebene die Chance genommen, im Vorfeld einen Kompromiss einzufädeln. Für gewöhnlich verbringen große Stäbe von Fachleuten beider Seiten die Monate vor so einem Gipfel damit, ihre Entwürfe abzugleichen. Das habe diesmal nicht stattgefunden.
Tatsächlich hatte Handelskommissar Valdis Dombrovskis noch kürzlich die offenen Wirtschaftsfragen als Schwerpunkt genannt. “Das hätte Türöffner für die Wiederaufnahme eines Dialogs sein können”, so Stepan. Nachdem das Investitionsabkommen CAI schon seit einem Jahr auf Eis liegt (China.Table berichtete), bestehe eigentlich auch hier erheblicher Gesprächsbedarf. Umso enttäuschender sei es, dass auch diesmal keine Vereinbarungen zustande kamen.
García-Herrero und Stepan betonen zudem, wie wichtig die Fortsetzung der Zusammenarbeit der EU mit China ist. Die EU müsse trotz aller “Zeitenwende” eine funktionierende Beziehung zu China aufrechterhalten. Was bisher funktioniert habe, müsse jetzt nicht zwangsläufig enden, sagt Stepan. “Es sind zwei völlig unterschiedliche politische Systeme, und doch war Kooperation möglich.”
Die Grundlage für den letztlich erfolgreichen Dialog in der Vergangenheit lag im gegenseitigen Nutzen. Der Handel habe beiden Seiten mehr Wohlstand gebracht – und hier lag die gemeinsame Basis für Kompromisse. Daher ist es nach Ansicht der Politik-Expert:innen umso wichtiger, den Handel am Laufen zu halten. Die derzeit global immer stärkere Neigung zu Autarkie und Protektionismus sei da umso schädlicher und führe immer tiefer in die Entfremdung.
Zugleich müsse die chinesische Seite lernen, die EU besser zu verstehen. “China muss sich klarmachen, dass die EU ein außenpolitischer Spieler ist”, sagt Stepan. Peking hatte lange die Haltung, Brüssel nur pro forma als Gesprächspartner zu akzeptieren und für harte Sachfragen in Berlin oder Paris anzurufen. Doch die geopolitischen Entwicklungen machen aus der langsamen und umständlichen EU eben doch den entscheidenden Ansprechpartner in Europa.
Der Europäische Datenschutzausschuss (European Data Protection Board, EDPB) hat in einem gestern veröffentlichen Beschluss die politische Einigung für ein Trans-Atlantic Data Privacy Framework (TADPF) prinzipiell begrüßt. Die Neuregelung einer Rechtsgrundlage für die Übertragung personenbezogener und personenbeziehbarer Daten aus der EU in die USA war vor wenigen Tagen am Rande des Besuchs von Joe Biden in Brüssel grundsätzlich politisch beschlossen worden (Europe.Table berichtete).
Allerdings mangelt es bislang an wichtigen Detailangaben zu den angestrebten rechtlichen Regelungen. “Zum jetzigen Zeitpunkt bildet diese Ankündigung keine rechtliche Grundlage, auf die Datenexporteure ihren Datentransfer in die USA stützen könnten”, mahnt der Ausschuss, dem die Datenschutzaufsichtsbehörden der EU und der im Datenschutz der EU gleichgestellten Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehören. Bislang veröffentlichte Dokumente zum Trans-Atlantic Data Privacy Framework geben nur grobe Hinweise darauf, wie die Nachfolge des vom EuGH für unzureichend befundenen Privacy Shield geregelt werden soll.
Der Europäische Datenschutzausschuss werde sich dann eine genauere Meinung bilden, wenn weitere Dokumente seitens der EU-Kommission zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere die versprochenen Reformen bei der Begrenzung von Datenspeicherungen zu Zwecken der Nationalen Sicherheit, die Unabhängigkeit der Rechtsbehelfe für Betroffene sowie der tatsächliche Zugang der prüfenden Institutionen zu allen relevanten Informationen sowie deren Möglichkeit, den Nachrichtendiensten verbindliche Regeln aufzuerlegen, gehören zu den Knackpunkten, die die Datenschutzaufsichtsbehörden zum jetzigen Zeitpunkt identifiziert haben. fst
Die Handelspolitik der EU wird sich künftig auf die Diversifizierung der Energieversorgung und die Sicherung von Lieferketten konzentrieren. Dies sagte Bernd Lange (SPD/S&D), Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, in einer Debatte mit dem Industrieverband “Business Europe” in Brüssel. Auch der Welthandel erlebe wegen des Ukraine-Kriegs eine “Zeitenwende”.
“Die Lieferketten für Energie werden sich völlig verändern”, prophezeite Lange. Wenn Russland als Lieferant ausfalle, müsse sich die EU auf andere Länder konzentrieren und den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen forcieren. Als Beispiel nannte er Chile und Australien. Beide Länder hätten ein großes Potenzial für grünen Wasserstoff. Die EU sollte ihren Handel mit ihnen daher ausbauen.
Der Krieg werde den Trend zu bilateralen Handelsverträgen verstärken und die WTO schwächen, so Lange. Dennoch dürfe die EU den multilateralen Ansatz nicht aufgeben. Er wolle sich auch nicht mit einer bipolaren Welt abfinden und China abschreiben, sagte der deutsche Europapolitiker. Einem neuen TTIP-Abkommen mit den USA erteilte er eine Absage. Auch der Mercosur-Deal bleibe “im Kühlschrank”. ebo
Von Airline-Verbänden geforderte Änderungen an geplanten EU-Klimaschutzregeln für die Luftfahrt würden laut der Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) der Verringerung der CO2-Emissionen des Sektors schaden. Die Klimaschützer rechneten dies am Beispiel der geplanten Auflage vor, ab 2025 schrittweise mehr nachhaltige Kraftstoffe (SAF) zu tanken (Europe.Table berichtete).
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und der internationale Airline-Verband IATA träten dafür ein, die Beimischungsquote nur für innereuropäische Flüge gelten zu lassen, sodass internationale Verbindungen außen vor blieben. T&E warf dem BDL- und IATA-Mitglied Lufthansa vor, sich öffentlich zum Klimaschutz zu bekennen, hinter den Kulissen aber die Instrumente abschwächen zu wollen.
Der deutsche Branchenprimus argumentiert, Konkurrenten aus den Golf-Staaten oder aus der Türkei hätten einen unfairen Wettbewerbsvorteil, da die Tankquote nur in der EU gelten werde. Sie müssten weniger des noch viel teureren SAF kaufen, da sie mit genug Kerosin an Bord das Auftanken in der EU für kurze Zubringerflüge vermeiden könnten.
T&E erklärte, nach dem Kommissionsentwurf unterlägen 99 Prozent der Emissionen von Lufthansa-Flügen der SAF-Quote, mit dem Änderungsvorschlag der IATA hingegen nur 33 Prozent. Bei Air France wären es sogar nur 20 Prozent. Insgesamt verringerten die Wünsche der Airlines den Abbau der CO2-Emissionen des Sektors, der vor der Corona-Krise für 3,7 Prozent des Treibhausgasausstoßes Europas verantwortlich gewesen sei, bis 2030 um 38 Prozent.
Eine Lufthansa-Sprecherin erklärte, die Airline trete für eine passagierbezogene Abgabe auf Langstreckenflügen ein, mit der klimafreundlicher Treibstoff finanziert werden soll. Das Unternehmen macht sich damit die Position seiner Interessenvertreter nicht zu eigen. Die Vorschläge für die Ausgestaltung einer SAF-Quote würden den Klimaschutz stärken und nicht schwächen, ergänzte sie.
Die internationalen Airlines und ihre Verbände forderten wiederholt eine Gleichbehandlung bei den Klimaschutzregeln mit den außereuropäischen Konkurrenten. Diese müssten nach dem EU-Gesetzespaket weniger CO2-Emissionen reduzieren und hätten damit geringere Kosten. Die seit Vorlage der EU-Vorschläge im Sommer vorgetragenen Argumente schlugen sich nach Analyse von T&E in zahlreichen Änderungsanträgen von Europaparlamentariern nieder. Lufthansa und Fraport erklärten diese Woche, sie sähen die Bundesregierung auf ihrer Seite. rtr
Bei einer Debatte des EU-Agrarrats über Ernährungssicherung hat Bundes-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir davor gewarnt, das Ambitionsniveau der gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) hinsichtlich Biodiversität und Klimaschutz zu untergraben. “Lassen Sie uns vermeiden, komplexe politische Diskussionen mit dem Argument des Krieges einfach zu überspringen”, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Luxemburg. Vielmehr solle sich die EU stärker dafür einsetzen, dass Agrarerzeugnisse direkt als Lebensmittel und weniger als Bio-Kraftstoff oder Futtermittel genutzt würden. So könne ein wesentlicher Beitrag zur Ernährungssicherung geleistet werden.
Özdemir begrüßte die Ankündigung der EU-Kommission, ein 330 Millionen Euro umfassendes Soforthilfeprogramm für die Ukraine auf den Weg zu bringen. Dies sei ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Daneben teile die Bundesregierung die Einschätzung der EU-Kommission, dass eine Diversifizierung der Einfuhrquellen und Absatzmöglichkeiten die Widerstandsfähigkeit des EU-Agrarsektors erhöhe.
Die EU-Kommission hatte Ende März eine Mitteilung zur Ernährungssicherung vorgelegt. Derzufolge ist die Lebensmittelversorgung in Europa nicht gefährdet, da die EU bei wichtigen landwirtschaftlichen Produkten weitgehend autark sei. Allerdings bestehe die Gefahr eines weiteren Anstiegs der Lebensmittelpreise, heißt es in der Mitteilung, weshalb die Kommission sozialpolitische Maßnahmen ebenso vorsieht wie Optionen zur Ertragssteigerung. Darunter die Nutzung ökologischer Vorrangflächen. Eine Möglichkeit, die auch in Deutschland diskutiert und von der Bundesregierung grundsätzlich begrüßt wird. Eine Entscheidung wird beim heutigen Treffen der Landwirtschaftsminister der Länder erwartet. til
Im Allgemeinen bevorzugt die Europäische Union in der politischen Küche das schonende Garen. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sie sich für den Schnellkochtopf entschieden – der bekanntlich nur funktioniert, wenn man den Druck hochhält. Der anstehende Besuch der Kommissionspräsidentin in Kiew entspricht dieser Logik.
Mit kleinen Sätzen heizt Brüssel die Stimmung an. So twitterte Charles Michel, als das fünfte Sanktionspaket mit einem Verbot von Kohleimporten gerade auf dem Tisch lag, “dass früher oder später auch Maßnahmen in Bezug auf Öl und sogar Gas notwendig sein werden“. Chefdiplomat Josep Borrell wies darauf hin, dass die EU 35 Milliarden Euro an Russland für Energie bezahle und nur eine Milliarde Euro für die Unterstützung der Ukraine.
Noch weiter geht Ursula von der Leyen: heute reist sie nach Kiew, und das darf als Symbol von Hartnäckigkeit interpretiert werden. Die Kommissionspräsidentin folgt damit dem Beispiel der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, in der vergangenen Woche. Und: Die Europaabgeordneten forderten gerade mehrheitlich ein vollständiges Embargo gegen Russland.
Die EU-Spitzen machen Druck – auf die Mitgliedstaaten, und besonders auf Deutschland. Warum? Weil es der Hohe Vertreter und/oder die Kommission sind, die Sanktionen vorschlagen, aber der Rat, der entscheidet.
Dieses politische Gewicht der Mitgliedstaaten im europäischen Entscheidungsprozess erklärt auch, warum die nationalen Wahlen in Brüssel aufmerksam beobachtet werden. Die Aufmerksamkeit wird sich an diesem Sonntag auf Frankreich richten, das bis Juni dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die französischen Wähler gehen am Sonntag an die Urnen, um die beiden Kandidaten zu bestimmen, die am 24. April in die Stichwahl gehen werden.
Ist es wirklich nötig, daran zu erinnern, dass ein Sieg Le Pens auch ein Sieg für den Kreml wäre – insbesondere, nachdem Viktor Orbán am vergangenen Sonntag die Wahlen in Ungarn haushoch gewonnen hat? “Marine Le Pens Aufstieg findet in einem sehr nationalen Kontext statt: Sie hat es geschafft, ihre Verbindungen zu Putins Russland vergessen zu machen – im Gegensatz zu dem anderen rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour”, sagt Eric Maurice, Direktor der Schuman-Stiftung in Brüssel. Zemmour diene als Blitzableiter für Le Pen.
Großer Gewinner dieser ersten Runde könnte jedoch die Enthaltung sein. Einige in Frankreich erwarten, dass sie historisch hoch sein wird. Noch nie sei das Desinteresse an einem Präsidentschaftswahlkampf so groß wie in diesem Jahr, sagt Eric Maurice.
Statt den – unpopulären – Austritt aus dem Euro zu fordern, setze sie auf die soziale Karte und konzentriert sich auf Kaufkraft und Inflation. Zwei Themen, die besonders die Arbeiterklasse ansprechen, die den Wählersockel von Marine Le Pen bildet. “Man darf nicht vergessen, dass es vor der Pandemie die Gelbwesten gab. Und dieser Grad an Wut, dieses Gefühl des ‘Gegen alles’ ist bei weitem nicht verschwunden.”
Emmanuel Macron ist erst sehr spät in den Wahlkampf eingestiegen. “Außerdem zieht er eher Bilanz über seine fünfjährige Amtszeit, als Vorschläge zu machen”, betont Maurice. Schlimmer noch: Der Kandidat muss sich mit dem “McKinsey-Gate” auseinandersetzen, nachdem der Senat einen Bericht veröffentlicht hat, der das Ausmaß der Nutzung von Beratungsfirmen durch die derzeitige Regierung aufzeigt. “Wir befinden uns im Bereich der Warnsignale, am Limit”, warnt Eric Maurice. Und dann kann der Druckkochtopf sehr wohl explodieren.
ohne Gründe zu nennen, hat die staatliche russische Eisenbahn am Donnerstag mitgeteilt, ab dem 10. April die Bahntransporte nach Polen einschränken zu wollen. Doch die Transporte in die EU dürften absehbar insgesamt weniger werden. Denn die 27 Mitgliedstaaten haben sich als Reaktion auf die Gräueltaten von Butscha gestern auf ein fünftes Sanktionspaket gegen Russland geeinigt.
Darin enthalten ist auch ein Anlegeverbot für Schiffe unter russischer Flagge sowie weitere Verschärfungen für den Bankensektor – unter anderem soll Russlands zweitgrößte Bank, die VTB-Bank (früher Vneschtorgbank), mit einem vollständigen Transaktionsverbot belegt werden. Auch der Import von Holz, Zement und Meeresfrüchten in die EU soll komplett verboten werden, zudem werden weitere Exportverbote nach Russland erlassen – unter anderem, so kündigte es die französische Ratspräsidentschaft an, ein Waffenexportverbot. Besonders im Fokus aber stehen wieder die Energiesanktionen – Manuel Berkel analysiert, wie diese sich in das Gesamtgefüge der europäischen Energie-Abnabelung von Russland einfügen und wo neue Probleme drohen.
Die EU-Agrarminister haben gestern über die von der Kommission vorgeschlagene Neufassung der LULUCF-Verordnung debattiert. Die Verordnung hat zum Ziel, natürliche CO2-Senken zu stärken, denn die alleinige Reduktion der Treibhausgase wird nicht reichen, um die Klimaziele zu erreichen. Timo Landenberger hat analysiert, welchen komplexen Herausforderungen das Regelwerk gerecht werden muss.
In Frankreich könnte es bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am Sonntag eine Überraschung geben: Amtsinhaber und Favorit Emmanuel Macron verliert an Vorsprung, aber nicht nur an die rechtsextreme Marine Le Pen, sondern auch an den Linken Jean-Luc Mélenchon. Tanja Kuchenbecker schreibt, was die aktuellen Umfragewerte für die Wahl bedeuten.
Der EU-China-Gipfel ging vergangene Woche zu Ende – ohne großes Ergebnis. Die Gespräche seien schlecht vorbereitet gewesen und Brüssel sei mit falschen Erwartungen an Peking herangetreten, schreibt Finn Mayer-Kuckuk.
Claire Stam schaut in ihrer Kolumne What’s cooking in Brussels wieder in die Kochtöpfe Brüssels. Unter Druck steht beim ersten Wahlgang in Frankreich Emmanuel Macron – und mit ihm das demokratische Miteinander in der EU.
Die ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten billigten am Donnerstagabend die Vorschläge der EU-Kommission, die einen Importstopp für Kohle, Holz und weitere Güter sowie zahlreiche weitere Strafmaßnahmen vorsehen. Das teilte die französische EU-Ratspräsidentschaft auf Twitter mit.
Damit die Sanktionen in Kraft treten können, müssen die notwendigen Rechtsakte nun im schriftlichen Verfahren angenommen und im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden. Diese Schritte gelten als Formalie und sollen heute abgeschlossen werden.
Einen früheren Abschluss der Verhandlungen verhinderte Polen. Nach Angaben von Diplomaten wollte das Land zunächst nicht akzeptieren, dass die Übergangsfrist für den Importstopp russischer Kohle auf Wunsch von Ländern wie Deutschland vier Monate betragen soll – und nicht drei Monate, wie von der Kommission geplant. Um neue Lieferverträge zu schließen, werde Deutschland diese 120 Tage wohl benötigen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend in Berlin. “Wenn’s schneller geht, ist’s gut.”
Die neuen Strafmaßnahmen sollen nun den Druck auf Russland erhöhen – vor allem, indem dem Land hohe wirtschaftliche Kosten auferlegt werden. So könnte allein das Kohleembargo nach Angaben der EU-Kommission Einnahmeausfälle in Höhe von rund vier Milliarden Euro pro Jahr bedeuten.
Um die russische Wirtschaft zusätzlich zu schwächen, soll es weitere Beschränkungen für Exporte nach Russland mit einem Umfang von rund 10 Milliarden Euro geben. Dazu gehören nach Kommissionsangaben etwa Quantencomputer und Transportmittel. Produkte wie Holz und Zement im Wert von 5,5 Milliarden Euro sollen nicht mehr in die EU importiert werden. Russische Unternehmen werden außerdem nicht mehr an öffentlichen Ausschreibungen in den EU-Staaten teilnehmen dürfen.
Viel weitergehende Importbeschränkungen hatte zuvor das EU-Parlament in Straßburg gefordert. In einer Entschließung, die gestern mit 513 gegen 22 Stimmen und 19 Enthaltungen angenommen wurde, verlangen die Abgeordneten unter anderem ein sofortiges “vollständiges Embargo” gegen Einfuhren von Kohle, Öl, Kernbrennstoff und Gas aus Russland.
Mit der Entschließung gingen die Parlamentarier noch über den Entwurf hinaus (Europe.Table berichtete), der Mittwochabend bekannt geworden war. Darin hatten sich mehrere Fraktionen zunächst nur auf das Embargo von Öl und Kohle aus Russland geeinigt. Der Importstopp für Gas solle dagegen “so schnell wie möglich” erfolgen. Die Grünen hatten sich mit der Forderung nach einem sofortigen Gasembargo zunächst nicht durchsetzen können.
An Maßnahmen gegen Erdölimporte arbeitet die Kommission nach Angaben von Dienstag. Gegen ein Gasembargo gibt es aber vor allem Bedenken aus Deutschland. Eine vollständige Unabhängigkeit von russischem Gas hält die Bundesregierung erst ab Sommer 2024 für möglich.
Das Parlament unternahm gestern aber auch einen weiteren Schritt für eine höhere Sicherheit in der Gasversorgung. Wie erwartet, stimmte das Plenum für die Einführung von Mindestfüllständen von Gasspeichern (Europe.Table berichtete) und eine Zertifizierung der Betreiber. Seine Mitglieder stimmten in erster Lesung im Dringlichkeitsverfahren über den entsprechenden Entwurf der Kommission vom 23. März ab.
Bis November 2022 sollen laut Entwurf Gasspeicher in der EU einen Mindestfüllstand von 80 Prozent erreichen, in den folgenden Jahren soll dieser auf 90 Prozent ansteigen. Der Entwurf geht nun zurück an den Industrieausschuss, der die Trilog-Verhandlungen mit Kommission und Rat einleitet.
Mit den geplanten Zertifizierungen soll eine neue Möglichkeit geschaffen werden, unzuverlässige Speicherbetreiber aus dem Geschäft zu drängen. Bei der Veröffentlichung eines neuen Berichts äußerte sich die Regulierungsagentur ACER gestern erneut zur Rolle Gazproms im Zusammenhang mit den niedrigen Speicherständen, die einige Anlagen bereits am 1. Oktober vergangenen Jahres hatten: “Die gebuchte Speicherkapazität in Österreich, Deutschland, den Niederlanden und der Slowakei lag deutlich über der tatsächlich genutzten Kapazität, da die von Gazprom genutzten oder kontrollierten Speicher nur gering gefüllt waren.”
Inmitten der aufgeheizten Diskussion um fossile Brennstoffe droht die grundlegende Transformation von Europas Energieversorgung dagegen offenbar so manchen zu weit an den Rand gedrängt zu werden. Jedenfalls wurde gestern ein Appell von elf Mitgliedstaaten verbreitet. Sein Titel: “Ambitioniertes Fit for 55 und EU-Energieunabhängigkeit – die smarte, notwendige und erstrebenswerte Antwort auf die Krise“. Darin schreiben die Unterzeichner, zu denen auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck gehört: “Jetzt ist die Zeit, mutig zu sein und entschlossen fortzufahren mit der grünen Transformation. Jeder Aufschub und jedes Zögern werden unsere Energieabhängigkeit nur verlängern.”
Besonders wichtig sei deshalb ein schneller Hochlauf bei erneuerbaren Energien, erneuerbaren Gasen und Energieeffizienz. Nicht genannt wird die Atomenergie, die von Frankreich propagiert wird, das nicht zu den Unterzeichnern gehört. Die elf Staaten sehen Erneuerbare auch als einen Beitrag, um die Strompreise zu senken. Derzeit versuchen einige Mitgliedstaaten ihre Bürger vor allem durch kurzfristig wirksame staatliche Eingriffe in die Märkte zu schützen.
Die Elfergruppe pocht dagegen darauf, dass der gemeinsame Binnenmarkt Preisschocks minimiere. Auch der Emissionshandel diene letztlich dazu, die Transformation kosteneffizient zu erreichen. Initiiert hatte das Papier Dänemark, zu den Unterzeichnern gehören unter anderem auch Spanien, Österreich, Finnland und die Niederlande. Allein auf Erneuerbare setzen kann aber auch die Fit-for-55-Avantgarde nicht: Die niederländische Regierung verwies gestern darauf, ihre Erdgasförderung in der Nordsee steigern zu wollen.
“In einer idealen Welt würden wir keine neuen Gasfelder in der Nordsee erschließen. Aber die Situation macht dies notwendig”, sagte Energieminister Rob Jetten dem “Handelsblatt”. Leider habe man in dieser Frage noch keine Einigung mit den deutschen Partnern erzielt. Die Ampel-Koalition hat neue Explorationsvorhaben für Gas und Öl in der Nordsee bislang ausgeschlossen.
Die Regierung in Finnland teilte mit, bis zu 850 Millionen Euro zu investieren, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden. Helsinki kündigte gestern die Anschaffung eines LNG-Terminals an, das gemeinsam mit Estland genutzt werden solle. Mit Leonie Düngefeld, dpa, rtr
Durch die Reduktion der Treibhausgase allein wird das Ziel der Klimaneutralität in der EU im Jahr 2050 nicht zu erreichen sein. Verbleibende Restemissionen wird es neben Verkehr und Industrie auch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft geben. Zugleich weisen die sogenannten LULUCF-Sektoren (Land Use, Land Use Change and Foresty) aber auch großes Potenzial zur Abspaltung und Speicherung des klimaschädlichen Kohlenstoffs aus der Luft auf. Die Stärkung natürlicher Kohlenstoffsenken wie Wälder, Moore oder Grasland spielt eine wichtige Rolle beim Erreichen der EU-Klimaziele, weshalb die Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets auch eine Neufassung der LULUCF-Verordnung auf den Weg gebracht hat.
Welch komplexen Herausforderungen das Regelwerk jedoch gerecht werden muss, das wurde am Donnerstag beim Treffen der EU-Agrarminister in Luxemburg deutlich. So bezeichnete Spaniens Landwirtschaftsminister Luis Planas Puchades schon den Zielwert für die Senkleistung im LULUCF-Sektor als “nicht realistisch”. Der Kommissionsentwurf sieht einen Netto-Abbau von 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bis 2030 vor. Dies sind rund 15 Prozent mehr als die derzeitige Vorgabe von 268 Millionen Tonnen pro Jahr, die noch bis 2025 gelten soll. Der neue Wert soll in Form verbindlicher Ziele ab 2026 auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden.
Deutschland soll demnach bis 2030 eine Treibhausgasreduktion von gut 30 Millionen Tonnen im Forst- und Landnutzungsbereich erreichen. Während der Deutsche Bauernverband das Ziel bereits als unerreichbar bezeichnet hatte und auf zunehmende Klimaschäden sowie Altersstruktureffekte der Wälder verwies, forderten etliche Umweltverbände in einem gemeinsamen Positionspapier im Februar eine deutliche Erhöhung der EU-weiten Zielmarke. Möglich sei beinahe eine Verdopplung. Allerdings ging die Senkleistung Europäischer Wälder und Böden in den Jahren 2013 bis 2018 laut Kommission tatsächlich um etwa 20 Prozent zurück.
Die Wiederherstellung und der Ausbau der Kohlenstoffsenken sei möglich, setze jedoch sofortiges entschlossenes Handeln voraus, so die EU-Kommission. Dazu gehört beispielsweise die Wiedervernässung von Mooren, Aufforstung, Ausweisung von Naturschutzgebieten oder auch die Stilllegung landwirtschaftlicher Nutzflächen. Die Vorstellung eines entsprechenden Renaturierungsgesetzes hat die EU-Kommission infolge der aktuellen Debatte um Ernährungssicherheit jedoch verschoben.
Die Bundesregierung unterstützt das Vorhaben, den Klimaschutzbeitrag des LULUCF-Sektors zu erhöhen. Die starken Schwankungen in diesem Bereich zeigten jedoch, “dass die Formulierung von absoluten, jahresscharfen Zielwerten mit Schwierigkeiten behaftet ist”, sagte Deutschlands stellvertretende ständige Vertreterin Susanne Szech-Koundouros bei dem Ratstreffen am Donnerstag.
Natürliche Störungen wie etwa Schlechtwetter-Ereignisse, Dürren oder Schädlingsbefall können für eine deutliche Erhöhung der Emissionen bei gleichzeitiger Einschränkung der potenziellen Senkleistung sorgen. Dies sei im Vorschlag der Kommission zu wenig berücksichtigt, kritisierten auch etliche andere Staaten, darunter Portugal. Die Störungen seien nicht auf die Politik oder Bewirtschaftung zurückzuführen. Mitgliedstaaten sollten in diesen Fällen unterstützt und nicht bestraft werden, sagte die portugiesische Landwirtschaftsministerin Maria do Céu Antunes
Ebenfalls zu wenig berücksichtigt würden die unterschiedlichen geologischen und klimatischen Bedingungen in den verschiedenen Ländern. Der Kommissionentwurf sieht vielmehr eine Vereinfachung der Compliance-Vorschriften sowie eine Harmonisierung der Berichterstattung vor. Während manche Länder den Schritt hin zu mehr Vergleichbarkeit begrüßten, übten andere deutliche Kritik: “Die Kommission geht davon aus, dass die Aufnahmekapazität überall in Europa die gleiche ist. Aber gerade in Spanien ist die mögliche CO2-Absorbtion im Vergleich zu anderen Staaten klimabedingt stark eingeschränkt”, so Planas Puchades.
Ähnliche Bedenken äußerte Charlie McConalogue aus Irland. Ein Großteil der Emissionen in dem Land ist auf die Landwirtschaft zurückzuführen. “Aufgrund des hohen Anteils an Torf-Böden und der Altersstruktur unserer Wälder haben wir aber nur sehr begrenzte Möglichkeiten, unsere Jahresziele zu erfüllen”, so der irische Minister.
Ab 2031 will die Kommission sämtliche Bereiche der Land- und Forstnutzung sowie der Landwirtschaft inklusive Viehzucht in einer neuen Säule (Agriculture, Forestry and Other Land Use – AFOLU) zusammenfassen. Dann sollen alle Treibhausgasemissionen dieser Bereiche, darunter Methan, mit den Senkleistungen verrechnet werden. Deutschland kritisiert das Vorhaben und befürchtet eine Verwässerung der Reduktionsziele. Die Kommission sieht für den neuen AFOLU-Sektor Klimaneutralität bis 2035 vor, danach sollen Negativ-Emissionen erbracht werden.
Rat der EU: Auswärtige Angelegenheiten
11.04.2022
Themen: Aussprachen zur russischen Aggression gegen die Ukraine und zur Global Gateway Strategie.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
12.04.2022
Themen: Jährlicher Dialog über Rechtsstaatlichkeit sowie Informationen des Vorsitzes zur Konferenz über die Zukunft Europas.
Vorläufige Tagesordnung (Französisch)
Der Ausbruch des Ukraine-Krieges hatte Amtsinhaber Emmanuel Macron ein Umfragehoch beschert, doch dieser Effekt schwindet. Vor dem ersten Wahlgang in Frankreich am Sonntag erreicht Macron noch 25 bis 28 Prozent, die Rechtsextreme Marine Le Pen 21 bis 23 Prozent. Zwischenzeitlich hatte der Vorsprung 15 Punkte betragen.
Die beiden Kandidaten haben die besten Aussichten, in die Stichwahl am 24. April zu gehen. Doch auch ein Dritter hat noch realistische Chancen: Jean-Luc Mélenchon. Der 70-jährige Linkspolitiker erreichte zuletzt 16,5 Prozent, er legte in den Umfragen zuletzt stark zu. Die Tageszeitung “Le Monde” traut Mélenchon eine Überraschung zu. Die übrigen Bewerber liegen abgeschlagen, der Rechtsextreme Éric Zemmour und die Konservative Valérie Pécresse kommen auf rund zehn Prozent.
Zu Mélenchons Wahlkampfveranstaltung in Marseille kamen zuletzt 35.000 Anhänger. Seit einigen Tagen werden Befürchtungen laut, der Chef der Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) könne gar in eine Stichwahl gegen Le Pen einziehen, wenn die Mobilisierung der Macron-Wähler nicht gelinge. Macron wird von Links- und Rechtsaußen angegriffen.
Am Sonntag schließen die letzten Wahllokale um 20 Uhr, anschließend kommen die Hochrechnungen. Bei der Wahl geht es nicht nur um Wirtschaft und Gesellschaft in Frankreich, sondern auch um Europa: Sowohl Le Pen als auch Mélenchon wollen zwar keinen Ausstieg mehr aus der EU, aber sie sehen Brüssel skeptisch und sprechen von einem Europa der Nationen. Le Pen fühle sich dabei bestärkt durch die jüngsten Wahlsiege von Viktor Orbán in Ungarn (Europe.Table berichtete) und Aleksandar Vučić in Serbien, sagt Tara Varma vom European Council on Foreign Relations.
Mélenchon macht überdies Stimmung gegen Deutschland und gegen den Kapitalismus. In der Wirtschaftspolitik liegt er nahe bei Le Pen: Es geht bei ihm ebenfalls um Kaufkraft, er fordert staatliche Eingriffe in Energiepreise und einen höheren Mindestlohn. Das Rentenalter will er von 62 auf 60 Jahre senken, während Macron es auf 65 Jahre anheben will. Er plädiert auch für einen Ausstieg aus der Nato.
Mélenchon selbst bezeichnet sich als “scharfsinnige Schildkröte”, die langsam, aber sicher ins Ziel komme. Er wähnt sich dem Sieg in den letzten Tagen vor dem ersten Wahlgang sehr nahe. Für ihn spricht, dass er der aussichtsreichste Kandidat im linken Lager ist. Viele Wähler könnten sich für ihn entscheiden, um ihre Stimme nicht bei den aussichtslosen Bewerbern von Grünen oder Sozialisten zu verschenken. Gerade bei jungen Wählern ist dieses Argument oft zu hören.
Mélenchon stammt aus Marokko und kam als Kind nach Frankreich. Er studierte Philosophie, war Lehrer und Journalist, schloss sich dann den Sozialisten an. 2000 bis 2002 war er Minister für berufliche Bildung, außerdem im Laufe seiner Karriere Europaabgeordneter sowie Abgeordneter des französischen Parlaments und Senator.
Seine erste Linksbewegung gründete er 2008. Mélenchon tritt bereits zum dritten Mal an. 2012 erreichte er bei der Präsidentschaftswahl im ersten Wahlgang elf Prozent, 2017 schon 19 Prozent. Er will eine neue Verfassung für Frankreich schaffen, eine sechste Republik. Die Machtkonzentration beim Staatspräsidenten hält er für zu gefährlich. Im Wahlkampf wurde er wie Le Pen und Zemmour für seine Russland-Nähe kritisiert. Er stritt das ab und verurteilte den russischen Angriff. Doch das Thema scheint kurz vor der Wahl schon wieder vergessen.
Sollte Mélenchon es nicht schaffen und wie erwartet Macron und Le Pen in die Stichwahl einziehen, könnte es für den amtierenden Präsidenten Frankreichs knapp werden. Le Pen kann in diesem Fall voraussichtlich auf den größten Teil der Zemmour-Wähler zurückgreifen, auch auf einen Teil der Wähler von Valérie Pécresse. Macrons zusätzliches Wählerpotenzial hingegen ist begrenzt, er kann auf Stimmen von Pécresse und den schwachen Sozialisten und Grünen hoffen.
Mélenchon könnte den Ausschlag geben und zur Wahl für Le Pen aufrufen, um eine Anti-Macron-Front zu bilden. Ohnehin wird erwartet, dass ein Teil seiner Wähler zu Le Pen überläuft. Laut Umfragen dürfte Le Pen im zweiten Wahlgang bis zu 47 Prozent der Stimmen erhalten, 13 Prozent mehr als 2017. Sie wirkt siegesbewusst und weniger erschöpft als 2017. Zwischen den beiden Wahlgängen ist eine TV-Debatte zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten geplant. Dabei hatte Le Pen vor fünf Jahren viel verspielt: Während Macron souverän und gut informiert herüberkam, wirkte sie aggressiv und wenig glaubwürdig.
Doch seitdem hat sie ihre Taktik geändert, vermeidet alles Extreme und setzt auf Bürgernähe. Macron wird dagegen kritisiert, weil er zu distanziert wirkt und vor dem ersten Wahlgang Debatten mit anderen Kandidaten ablehnte. Auch sein Vorschlag der Rente mit 65 Jahren sorgt bei vielen nicht gerade für Begeisterung. Zudem kam sein Meeting mit 35.000 Personen an der Défense bei Paris nicht gut an, dabei lobte er zweieinhalb Stunden lang seine eigene Politik der vergangenen fünf Jahre.
Sollte Macron jetzt wieder gegen Le Pen antreten, müsse er die Messer wetzen, heißt es in den französischen Medien. Schon jetzt hat er damit angefangen, ihr Wahlprogramm als unbezahlbar zu diskreditieren. Er müsse vor allem aber Le Pen diabolisieren, die vor Jahren eine Entteufelung ihrer Politik eingeleitet hat.
Bei seiner Wahlveranstaltung warnte Macron vor einer “extremistischen Gefahr”, die größer sei als noch vor einigen Jahren. Er kann nur hoffen, dass sich Zemmour für die Stichwahl zu Le Pen bekennt. Dann könnte er sie gemeinsam in die extrem rechte Ecke stellen.
Der EU-China-Gipfel hat in der vergangenen Woche ohne Erfolg geendet (China.Table berichtete). In der öffentlichen Wahrnehmung wurde der Schwarze Peter meist Peking zugeschoben. Denn die chinesische Außenpolitik verweigert hartnäckig eine Teilnahme an den internationalen Strafen gegen Russland. Doch die Passivität Chinas im Angesicht des Ukraine-Kriegs hat durchaus Gründe, betonen zwei führende Expert:innen gestern in einer Veranstaltung von Table.Media. “Assessing the EU-China Summit Confirmation” fand in unserer Reihe “Table.Live-Briefing” statt.
Die Erwartung einer plötzlichen Abwendung von Russland sei von Anfang an unrealistisch gewesen, sagt Alicia García-Herrero. Sie ist China-Expertin bei der renommierten Brüsseler Denkfabrik Bruegel und Beraterin der Asian Development Bank (ADB). “Ich war von Anfang an erstaunt über den Versuch, China als Vermittler zu gewinnen.” Das Land sei noch nie in einem gravierenden internationalen Konflikt als Schlichter aufgetreten.
Außerdem müsse den Akteuren in Brüssel eigentlich klar gewesen sein, wie schwer China eine Abwendung von Russland fallen würde. “Das Problem liegt daher nicht so sehr in China als in einer Fehlwahrnehmung der chinesischen Position”, so García-Herrero. China arbeite auf die Schaffung einer neuen weltpolitischen Ordnung hin. García-Herrero fragt zugespitzt: “Wenn China Russland aufgibt, wer steht dann noch an der Seite Chinas? Wie kann China ohne Russland auf die angestrebte Änderung der internationalen Ordnung hinwirken?” Es ist einfach der Mangel an Verbündeten, der China keine Wahl lässt, als zu Russland zu halten. Die Erwartung, dass es sich an die Seite der USA und der EU stellt, sei von Anfang an blauäugig gewesen.
Die EU habe die chinesischen Befindlichkeiten jedoch nicht nur in der Sache schlecht eingeschätzt. Sie habe China auch gar keine echte Chance gegeben, den Europäern entgegenzukommen. “Der Gipfel war schlecht vorbereitet”, sagt Matthias Stepan, Leiter des Verbindungsbüros der Stiftung Mercator in Peking. Wenn die eigene Führungsspitze im Spiel ist, missbilligt China diplomatische Überraschungen. Doch die EU hatte die Invasion in der Ukraine erst spät zum Hauptthema des virtuellen EU-China-Gipfels gemacht. “Dies war ein Gipfel, bei dem es eigentlich um Wirtschaft gehen sollte”, bestätigt García-Herrero. Das Datum für den EU-China-Gipfel war vor Beginn des Ukraine-Kriegs festgelegt worden.
Stepan zufolge hat die abrupte Änderung der Themensetzung die Erfolgschancen bereits erheblich verringert. Sie hat den Diplomaten und anderen Beamten auf Arbeitsebene die Chance genommen, im Vorfeld einen Kompromiss einzufädeln. Für gewöhnlich verbringen große Stäbe von Fachleuten beider Seiten die Monate vor so einem Gipfel damit, ihre Entwürfe abzugleichen. Das habe diesmal nicht stattgefunden.
Tatsächlich hatte Handelskommissar Valdis Dombrovskis noch kürzlich die offenen Wirtschaftsfragen als Schwerpunkt genannt. “Das hätte Türöffner für die Wiederaufnahme eines Dialogs sein können”, so Stepan. Nachdem das Investitionsabkommen CAI schon seit einem Jahr auf Eis liegt (China.Table berichtete), bestehe eigentlich auch hier erheblicher Gesprächsbedarf. Umso enttäuschender sei es, dass auch diesmal keine Vereinbarungen zustande kamen.
García-Herrero und Stepan betonen zudem, wie wichtig die Fortsetzung der Zusammenarbeit der EU mit China ist. Die EU müsse trotz aller “Zeitenwende” eine funktionierende Beziehung zu China aufrechterhalten. Was bisher funktioniert habe, müsse jetzt nicht zwangsläufig enden, sagt Stepan. “Es sind zwei völlig unterschiedliche politische Systeme, und doch war Kooperation möglich.”
Die Grundlage für den letztlich erfolgreichen Dialog in der Vergangenheit lag im gegenseitigen Nutzen. Der Handel habe beiden Seiten mehr Wohlstand gebracht – und hier lag die gemeinsame Basis für Kompromisse. Daher ist es nach Ansicht der Politik-Expert:innen umso wichtiger, den Handel am Laufen zu halten. Die derzeit global immer stärkere Neigung zu Autarkie und Protektionismus sei da umso schädlicher und führe immer tiefer in die Entfremdung.
Zugleich müsse die chinesische Seite lernen, die EU besser zu verstehen. “China muss sich klarmachen, dass die EU ein außenpolitischer Spieler ist”, sagt Stepan. Peking hatte lange die Haltung, Brüssel nur pro forma als Gesprächspartner zu akzeptieren und für harte Sachfragen in Berlin oder Paris anzurufen. Doch die geopolitischen Entwicklungen machen aus der langsamen und umständlichen EU eben doch den entscheidenden Ansprechpartner in Europa.
Der Europäische Datenschutzausschuss (European Data Protection Board, EDPB) hat in einem gestern veröffentlichen Beschluss die politische Einigung für ein Trans-Atlantic Data Privacy Framework (TADPF) prinzipiell begrüßt. Die Neuregelung einer Rechtsgrundlage für die Übertragung personenbezogener und personenbeziehbarer Daten aus der EU in die USA war vor wenigen Tagen am Rande des Besuchs von Joe Biden in Brüssel grundsätzlich politisch beschlossen worden (Europe.Table berichtete).
Allerdings mangelt es bislang an wichtigen Detailangaben zu den angestrebten rechtlichen Regelungen. “Zum jetzigen Zeitpunkt bildet diese Ankündigung keine rechtliche Grundlage, auf die Datenexporteure ihren Datentransfer in die USA stützen könnten”, mahnt der Ausschuss, dem die Datenschutzaufsichtsbehörden der EU und der im Datenschutz der EU gleichgestellten Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft angehören. Bislang veröffentlichte Dokumente zum Trans-Atlantic Data Privacy Framework geben nur grobe Hinweise darauf, wie die Nachfolge des vom EuGH für unzureichend befundenen Privacy Shield geregelt werden soll.
Der Europäische Datenschutzausschuss werde sich dann eine genauere Meinung bilden, wenn weitere Dokumente seitens der EU-Kommission zur Verfügung gestellt werden. Insbesondere die versprochenen Reformen bei der Begrenzung von Datenspeicherungen zu Zwecken der Nationalen Sicherheit, die Unabhängigkeit der Rechtsbehelfe für Betroffene sowie der tatsächliche Zugang der prüfenden Institutionen zu allen relevanten Informationen sowie deren Möglichkeit, den Nachrichtendiensten verbindliche Regeln aufzuerlegen, gehören zu den Knackpunkten, die die Datenschutzaufsichtsbehörden zum jetzigen Zeitpunkt identifiziert haben. fst
Die Handelspolitik der EU wird sich künftig auf die Diversifizierung der Energieversorgung und die Sicherung von Lieferketten konzentrieren. Dies sagte Bernd Lange (SPD/S&D), Chef des Handelsausschusses im Europaparlament, in einer Debatte mit dem Industrieverband “Business Europe” in Brüssel. Auch der Welthandel erlebe wegen des Ukraine-Kriegs eine “Zeitenwende”.
“Die Lieferketten für Energie werden sich völlig verändern”, prophezeite Lange. Wenn Russland als Lieferant ausfalle, müsse sich die EU auf andere Länder konzentrieren und den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen forcieren. Als Beispiel nannte er Chile und Australien. Beide Länder hätten ein großes Potenzial für grünen Wasserstoff. Die EU sollte ihren Handel mit ihnen daher ausbauen.
Der Krieg werde den Trend zu bilateralen Handelsverträgen verstärken und die WTO schwächen, so Lange. Dennoch dürfe die EU den multilateralen Ansatz nicht aufgeben. Er wolle sich auch nicht mit einer bipolaren Welt abfinden und China abschreiben, sagte der deutsche Europapolitiker. Einem neuen TTIP-Abkommen mit den USA erteilte er eine Absage. Auch der Mercosur-Deal bleibe “im Kühlschrank”. ebo
Von Airline-Verbänden geforderte Änderungen an geplanten EU-Klimaschutzregeln für die Luftfahrt würden laut der Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) der Verringerung der CO2-Emissionen des Sektors schaden. Die Klimaschützer rechneten dies am Beispiel der geplanten Auflage vor, ab 2025 schrittweise mehr nachhaltige Kraftstoffe (SAF) zu tanken (Europe.Table berichtete).
Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und der internationale Airline-Verband IATA träten dafür ein, die Beimischungsquote nur für innereuropäische Flüge gelten zu lassen, sodass internationale Verbindungen außen vor blieben. T&E warf dem BDL- und IATA-Mitglied Lufthansa vor, sich öffentlich zum Klimaschutz zu bekennen, hinter den Kulissen aber die Instrumente abschwächen zu wollen.
Der deutsche Branchenprimus argumentiert, Konkurrenten aus den Golf-Staaten oder aus der Türkei hätten einen unfairen Wettbewerbsvorteil, da die Tankquote nur in der EU gelten werde. Sie müssten weniger des noch viel teureren SAF kaufen, da sie mit genug Kerosin an Bord das Auftanken in der EU für kurze Zubringerflüge vermeiden könnten.
T&E erklärte, nach dem Kommissionsentwurf unterlägen 99 Prozent der Emissionen von Lufthansa-Flügen der SAF-Quote, mit dem Änderungsvorschlag der IATA hingegen nur 33 Prozent. Bei Air France wären es sogar nur 20 Prozent. Insgesamt verringerten die Wünsche der Airlines den Abbau der CO2-Emissionen des Sektors, der vor der Corona-Krise für 3,7 Prozent des Treibhausgasausstoßes Europas verantwortlich gewesen sei, bis 2030 um 38 Prozent.
Eine Lufthansa-Sprecherin erklärte, die Airline trete für eine passagierbezogene Abgabe auf Langstreckenflügen ein, mit der klimafreundlicher Treibstoff finanziert werden soll. Das Unternehmen macht sich damit die Position seiner Interessenvertreter nicht zu eigen. Die Vorschläge für die Ausgestaltung einer SAF-Quote würden den Klimaschutz stärken und nicht schwächen, ergänzte sie.
Die internationalen Airlines und ihre Verbände forderten wiederholt eine Gleichbehandlung bei den Klimaschutzregeln mit den außereuropäischen Konkurrenten. Diese müssten nach dem EU-Gesetzespaket weniger CO2-Emissionen reduzieren und hätten damit geringere Kosten. Die seit Vorlage der EU-Vorschläge im Sommer vorgetragenen Argumente schlugen sich nach Analyse von T&E in zahlreichen Änderungsanträgen von Europaparlamentariern nieder. Lufthansa und Fraport erklärten diese Woche, sie sähen die Bundesregierung auf ihrer Seite. rtr
Bei einer Debatte des EU-Agrarrats über Ernährungssicherung hat Bundes-Landwirtschaftsminister Cem Özdemir davor gewarnt, das Ambitionsniveau der gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) hinsichtlich Biodiversität und Klimaschutz zu untergraben. “Lassen Sie uns vermeiden, komplexe politische Diskussionen mit dem Argument des Krieges einfach zu überspringen”, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Luxemburg. Vielmehr solle sich die EU stärker dafür einsetzen, dass Agrarerzeugnisse direkt als Lebensmittel und weniger als Bio-Kraftstoff oder Futtermittel genutzt würden. So könne ein wesentlicher Beitrag zur Ernährungssicherung geleistet werden.
Özdemir begrüßte die Ankündigung der EU-Kommission, ein 330 Millionen Euro umfassendes Soforthilfeprogramm für die Ukraine auf den Weg zu bringen. Dies sei ein wichtiges Zeichen der Solidarität. Daneben teile die Bundesregierung die Einschätzung der EU-Kommission, dass eine Diversifizierung der Einfuhrquellen und Absatzmöglichkeiten die Widerstandsfähigkeit des EU-Agrarsektors erhöhe.
Die EU-Kommission hatte Ende März eine Mitteilung zur Ernährungssicherung vorgelegt. Derzufolge ist die Lebensmittelversorgung in Europa nicht gefährdet, da die EU bei wichtigen landwirtschaftlichen Produkten weitgehend autark sei. Allerdings bestehe die Gefahr eines weiteren Anstiegs der Lebensmittelpreise, heißt es in der Mitteilung, weshalb die Kommission sozialpolitische Maßnahmen ebenso vorsieht wie Optionen zur Ertragssteigerung. Darunter die Nutzung ökologischer Vorrangflächen. Eine Möglichkeit, die auch in Deutschland diskutiert und von der Bundesregierung grundsätzlich begrüßt wird. Eine Entscheidung wird beim heutigen Treffen der Landwirtschaftsminister der Länder erwartet. til
Im Allgemeinen bevorzugt die Europäische Union in der politischen Küche das schonende Garen. Mit dem Krieg in der Ukraine hat sie sich für den Schnellkochtopf entschieden – der bekanntlich nur funktioniert, wenn man den Druck hochhält. Der anstehende Besuch der Kommissionspräsidentin in Kiew entspricht dieser Logik.
Mit kleinen Sätzen heizt Brüssel die Stimmung an. So twitterte Charles Michel, als das fünfte Sanktionspaket mit einem Verbot von Kohleimporten gerade auf dem Tisch lag, “dass früher oder später auch Maßnahmen in Bezug auf Öl und sogar Gas notwendig sein werden“. Chefdiplomat Josep Borrell wies darauf hin, dass die EU 35 Milliarden Euro an Russland für Energie bezahle und nur eine Milliarde Euro für die Unterstützung der Ukraine.
Noch weiter geht Ursula von der Leyen: heute reist sie nach Kiew, und das darf als Symbol von Hartnäckigkeit interpretiert werden. Die Kommissionspräsidentin folgt damit dem Beispiel der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, in der vergangenen Woche. Und: Die Europaabgeordneten forderten gerade mehrheitlich ein vollständiges Embargo gegen Russland.
Die EU-Spitzen machen Druck – auf die Mitgliedstaaten, und besonders auf Deutschland. Warum? Weil es der Hohe Vertreter und/oder die Kommission sind, die Sanktionen vorschlagen, aber der Rat, der entscheidet.
Dieses politische Gewicht der Mitgliedstaaten im europäischen Entscheidungsprozess erklärt auch, warum die nationalen Wahlen in Brüssel aufmerksam beobachtet werden. Die Aufmerksamkeit wird sich an diesem Sonntag auf Frankreich richten, das bis Juni dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die französischen Wähler gehen am Sonntag an die Urnen, um die beiden Kandidaten zu bestimmen, die am 24. April in die Stichwahl gehen werden.
Ist es wirklich nötig, daran zu erinnern, dass ein Sieg Le Pens auch ein Sieg für den Kreml wäre – insbesondere, nachdem Viktor Orbán am vergangenen Sonntag die Wahlen in Ungarn haushoch gewonnen hat? “Marine Le Pens Aufstieg findet in einem sehr nationalen Kontext statt: Sie hat es geschafft, ihre Verbindungen zu Putins Russland vergessen zu machen – im Gegensatz zu dem anderen rechtsextremen Kandidaten Éric Zemmour”, sagt Eric Maurice, Direktor der Schuman-Stiftung in Brüssel. Zemmour diene als Blitzableiter für Le Pen.
Großer Gewinner dieser ersten Runde könnte jedoch die Enthaltung sein. Einige in Frankreich erwarten, dass sie historisch hoch sein wird. Noch nie sei das Desinteresse an einem Präsidentschaftswahlkampf so groß wie in diesem Jahr, sagt Eric Maurice.
Statt den – unpopulären – Austritt aus dem Euro zu fordern, setze sie auf die soziale Karte und konzentriert sich auf Kaufkraft und Inflation. Zwei Themen, die besonders die Arbeiterklasse ansprechen, die den Wählersockel von Marine Le Pen bildet. “Man darf nicht vergessen, dass es vor der Pandemie die Gelbwesten gab. Und dieser Grad an Wut, dieses Gefühl des ‘Gegen alles’ ist bei weitem nicht verschwunden.”
Emmanuel Macron ist erst sehr spät in den Wahlkampf eingestiegen. “Außerdem zieht er eher Bilanz über seine fünfjährige Amtszeit, als Vorschläge zu machen”, betont Maurice. Schlimmer noch: Der Kandidat muss sich mit dem “McKinsey-Gate” auseinandersetzen, nachdem der Senat einen Bericht veröffentlicht hat, der das Ausmaß der Nutzung von Beratungsfirmen durch die derzeitige Regierung aufzeigt. “Wir befinden uns im Bereich der Warnsignale, am Limit”, warnt Eric Maurice. Und dann kann der Druckkochtopf sehr wohl explodieren.