Table.Briefing: Europe

EU-Katastrophenschutz + Kommissionsidee: Content-Maut + Wirtschaft wächst nur leicht

  • Waldbrände: EU fordert mehr Befugnisse beim Katastrophenschutz
  • Scharfe Kritik an Kommissionsidee für Content-Maut
  • EU-Kommissar Gentiloni zeigt Alternativen zur Mehrwertsteuer-Ausnahme auf
  • Litauen und Dänemark für europaweiten Stopp von Touristenvisa für Russen
  • Wirtschaft im Euroraum im Frühjahr um 0,6 Prozent gewachsen
  • Energiesparplan senkt Stromverbrauch in Spanien um fast vier Prozent
  • Studie: Europa kann Bedarf an E-Auto-Batterien selbst decken
  • Presseschau
  • Hannah Neumann – Pragmatische Idealistin
Liebe Leserin, lieber Leser,

Tausende Hektar europäischer Wald fallen Jahr für Jahr dem Feuer zum Opfer, Tendenz steigend. Immer öfter muss der Katastrophenschutz der EU bei der Bekämpfung der Brände aushelfen, da die Mitgliedstaaten überfordert sind. Janez Lenarčič, EU-Kommissar für Krisenmanagement, hatte daher kürzlich weiterreichende Befugnisse für die Kommission gefordert. Deutschland sieht allerdings keinen Bedarf für eine Änderung. Timo Landenberger erklärt die Hintergründe.

Seit Wochen wird geraunt: Die EU-Kommission wolle Netflix, Google, Facebook und Co. dazu verpflichten, mehr für den Netzausbau in Europa zu zahlen – im Herbst solle dazu ein Vorschlag kommen. Doch nun warnen immer mehr Beteiligte: Diese Idee könnte nach hinten losgehen. Digitalminister Volker Wissing will einen Bereich auf gar keinen Fall angetastet sehen. Falk Steiner erläutert die komplizierte Debatte.

Eurostat hat gestern die Zahlen für das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone im Frühjahr veröffentlicht. Demnach ist die Wirtschaft nicht so stark gewachsen wie gedacht, wie Sie in den News lesen.

Pragmatismus geht selten Hand in Hand mit Idealismus. Bei Hannah Neumann liegen die Dinge etwas anders. Die 38-jährige Europaabgeordnete der Grünen/EFA würde an sich zwar die Ausgaben für das Militär lieber in den Klimaschutz stecken – aber die Lage sei nun mal, wie sie sei. Ella Joyner stellt die Friedens- und Konfliktforscherin im Portrait vor.

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Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

Waldbrände: EU fordert mehr Befugnisse beim Katastrophenschutz

Mehr als 2250 Waldbrände verzeichnet das Europäische Waldbrand-Informationssystem (European Forest Fire Information System, EFFIS) zwischen Januar und Mitte August 2022 in der EU. Beinahe doppelt so viele wie im gesamten vergangenen Jahr und eine Steigerung um rund 230 Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt aus der letzten Dekade. Rund 660.000 Hektar Land sind bereits verbrannt – ein neuer Höchstwert und das noch vor dem Ende der Waldbrandsaison.

Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar und Waldbrände sind längst kein Phänomen des Südens mehr. Auch in Mitteleuropa zerstören die Flammen viele Tausend Hektar Wald, gefährden die Umwelt und die Bevölkerung. Immer öfter sind die EU-Staaten mit den Ausmaßen überfordert und ersuchen Unterstützung über den Katastrophenschutz-Mechanismus der EU.

Acht Mal sei im laufenden Jahr auf diese Weise bereits Hilfe angefragt worden, teilte die EU-Kommission mit. Die Anfragen kamen aus Portugal, Slowenien, Tschechien, Albanien und zuletzt aus Frankreich. Im dortigen Waldbrandgebiet kämpfen Helfer aus Deutschland, Griechenland, Schweden, Polen, Österreich, Rumänien und Italien gegen die Flammen. Sechs Löschflugzeuge aus Schweden, Griechenland und Italien sind im Einsatz.

Längere Waldbrandsaison

“Die Waldbrände in Europa werden immer schlimmer. Durch den Klimawandel verlängert sich auch die Waldbrandsaison um mehrere Monate, was die Wahrscheinlichkeit weiterer Waldbrandkatastrophen in Zukunft erhöht“, sagt ein Kommissionssprecher. Gleichzeitig habe die Ausdehnung der Brandgebiete nach Norden für viele Mitgliedstaaten neue Gefahrenquellen geschaffen. Aus diesen Gründen müsse der EU-Katastrophenschutz weiter ausgebaut werden.

Janez Lenarčič, EU-Kommissar für Krisenmanagement, hatte zuletzt weiterreichende Befugnisse für die Kommission gefordert. Der bestehende Mechanismus gerate mit zunehmenden und teils parallelen Anfragen an seine Grenzen, sagte Lenarčič zu “Politico”. Eine Stärkung der Rolle Brüssels könne das Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Das reiche von der Möglichkeit, eigenständig über Zeitpunkt, Ort und Dauer der Einsätze zu entscheiden bis hin zu einer ständigen EU-Katastrophenschutztruppe inklusive eigener Flugzeuge und Besatzungen, wie bereits 2006 vom früheren Kommissar Michel Barnier gefordert.

Brüssel spielt eine wachsende, aber immer noch begrenzte Rolle bei der Katastrophenhilfe. Der Mechanismus funktioniert auf freiwilliger Basis, wobei das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen als Drehscheibe dient. Die EU-Staaten sowie sechs weitere Länder, die am Verfahren teilnehmen, benennen Fähigkeiten und Kapazitäten, die sie zur Verfügung stellen wollen. Bei einem Einsatz übernimmt die EU bis zu 75 Prozent der Kosten. Weltweit können Staaten bei unterschiedlichsten Notlagen den Mechanismus aktivieren, wobei Waldbrände nach Kommissionsangaben zwischen 2007 und 2021 rund 17 Prozent der Hilfsanfragen zugrunde lagen.  

Einsatzreserve mit Löschflotte

In den vergangenen Jahren wurde das Verfahren mehrmals gestärkt. So stehen der Kommission für die Jahre 2021 bis 2027 insgesamt 3,2 Milliarden Euro für den Katastrophenschutz zur Verfügung. Daneben wurde im Jahr 2019 die rescEU-Einsatzreserve ins Leben gerufen, die neben medizinischer Ausrüstung derzeit zwölf Löschflugzeuge und einen Helikopter umfasst. In den kommenden Jahren soll die Flotte weiter ausgebaut werden, finanziert von der EU, stationiert in Kroatien, Frankreich, Griechenland, Spanien, Italien und Schweden und kontrolliert von den jeweiligen nationalen Behörden.

Aus Sicht der Bundesregierung hat sich der EU-Katastrophenschutzmechanismus bewährt. Man sehe keinen Bedarf, das Verfahren erneut zu ändern, teilt das Innenministerium mit und erteilt den Forderungen aus Brüssel somit eine Absage. “Weitergehende Befugnisse für die EU-Kommission finden ihre Grenze zudem im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union”, so eine BMI-Sprecherin zu Europe.Table. “Dieser beschränkt die Zuständigkeiten der EU auf eine Förderung und Unterstützung des Katastrophenschutzes in den EU-Mitgliedstaaten und schließt insbesondere jegliche Harmonisierung der Rechtsvorschriften aus.”

Auch werde sich die Bundesregierung nicht an der Beschaffung von Löschflugzeugen beteiligen. Die Brandbekämpfung erfolge in Deutschland im Wesentlichen vom Boden durch ein flächendeckendes Netz von überwiegend freiwilligen Feuerwehren. Dies ermögliche eine zielgerichtete Brandbekämpfung durch ortskundige, geschulte Einsatzkräfte.

Freiwillige Feuerwehren überfordert

Alexander Held vom European Forest Institute (EFI) sieht das anders: “Den kommunalen freiwilligen Feuerwehren fehlt komplett die Erfahrung beim Kampf gegen einen 800 Hektar großen Waldbrand. Die ehrenamtlichen Einsatzkräfte haben eigentlich ganz andere Jobs und nach dem, was ich mitbekomme, sind die meisten enorm frustriert”, so der Waldbrandexperte. “Die Dorffeuerwehren wurden jahrzehntelang kaputtgespart und sind überhaupt nicht auf wochenlange Einsätze in ganz Europa ausgelegt. Meistens fahren die zu einem Verkehrsunfall und sind nach zwei Stunden wieder zu Hause.” Diese Strukturen gelte es zu verbessern, etwa durch die Einrichtung von Kompetenzzentren oder durch einen verstärkten internationalen Erfahrungsaustausch.

Das Hauptproblem besteht für Held jedoch an anderer Stelle. “Waldbrände sind ein Teil des Ökosystems, den wir das ganze Jahr über mitdenken müssen und nicht nur ein paar Wochen im Sommer, um dann hektisch zu reagieren.” Anstatt den Fokus auf Katastrophenschutz und Bekämpfung zu legen, müsse die EU die Waldbrand-Prävention stärker in den Blick nehmen und in den Regionen und in der Forstwirtschaft ein Verständnis dafür schaffen.

Dazu gehöre eine entsprechende Infrastruktur, um eine effektive Brandbekämpfung überhaupt erst zu ermöglichen, genauso wie das Einrichten von Schneisen sowie die Notwendigkeit des Waldumbaus hin zu resilienteren Landschaften. Auch hier müsse ein internationales Netzwerk für mehr und besseren Austausch geschaffen werden. Bestes Vorbild sei Portugal. “Nach den katastrophalen Bränden mit zahlreichen Toten im Jahr 2017 hat dort ein Umdenken stattgefunden”, sagt Held. “Der Schwerpunkt beim Waldbrand-Schutz liegt jetzt mehr auf Prävention.” Zwar wüten auch in Portugal heftige Waldbrände. “Aber ohne die neue Ausrichtung wären es doppelt so viele”, so Held.

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  • Umweltpolitik

Scharfe Kritik an Kommissionsidee für Content-Maut

Dass das Internet in rasanter Geschwindigkeit die Welt eroberte, liegt auch an seiner speziellen Funktionsweise: Das Netz der Netze ist in der Theorie ein technisch neutraler Mittler, an den sich Sender und Empfänger anschließen und die Datenverkehre fließen lassen. Beide Seiten bezahlen dabei für die jeweiligen Kosten bis in die Übergabepunkte, so die Theorie.

In der Praxis hat das Modell allerdings Tücken und Besonderheiten: Die Dienste einiger weniger Anbieter sind besonders populär und sind Grund für einen Großteil der Datenverkehre im Netz. Zugleich sorgen sie damit aber auch für die Attraktivität schneller Internetzugänge, die von den Telekommunikationsunternehmen Endnutzern angeboten werden – und die Inhalte bei diesen Anbietern anfordern.

Bereits seit über einem Jahrzehnt fordern einige Telekommunikationsunternehmen, die Kostenverteilung zu verändern: Inhalteanbieter sollten einen größeren Anteil an den Kosten tragen. In der letzten großen Debatte wollten die Telekommunikationsanbieter Diensteanbieter noch für eine priorisierte Beförderung bestimmter Inhaltearten zur Kasse bitten – was im Ergebnis automatisch Rückwirkungen auf die restlichen Datenbeförderungen gehabt hätte. Seitdem ist die sogenannte Netzneutralität festgeschrieben, die ungerechtfertigte und nicht von Endkunden bestellte Ungleichbehandlung von Daten in den Netzen untersagt.

Doch seitdem sind Jahre vergangen. Das nun von einigen befürwortete und auch von der EU-Kommission als Möglichkeit in die Welt geraunte Modell: Sending Party Pays, die Daten sendende Seite solle zahlen, zumindest mehr als bisher. Die Kapazitäten der Netze sind seitdem enorm gewachsen. Doch weitere Investitionen sollen geleistet werden, um schnellen Mobilfunk und Glasfaseranschlüsse europaweit zu realisieren.

20 Prozent der Datenverkehre kommt von Netflix

Insbesondere Anbieter, die fast ausschließlich oder viel Videostreaming anbieten, sind bei einem Großteil der Netzverkehre involviert. Jeder Aufruf eines Films bei einem Streaminganbieter in UHD-Qualität benötigt zwischen 10 und 25 Megabit pro Sekunde Bandbreite, in HD-Qualität sind dies immer noch um die 5 Megabit pro Sekunde, um ruckelfreie und saubere Bildqualitäten zu erreichen. Bei hunderten Millionen Nutzern in Europa kommen so riesige Datenmengen zusammen.

Laut Angaben des französischen Telekommunikationsregulierer ARCEP ist der Videostreamingdienst Netflix Spitzenreiter der Netzverkehre. Dem Anbieter wurden schon 2020 allein über 20 Prozent der Internetdatenverkehre zu Endnutzern zugerechnet. Auf Platz zwei folgt in Frankreich Alphabets Google, zu dem auch YouTube gerechnet wird, mit deutlich über zehn Prozent. Platz drei wird mit 9 Prozent von Akamai belegt – einem spezialisierten Dienstleister, der vor allem Streamingdienste für Dritte anbietet und dafür ein eigenes Inhalte-Verteilnetz (CDN) betreibt. Auf Platz vier der ARCEP-Statistik findet sich Facebook mit seinen Diensten wieder, gefolgt von Cloud-Anbietern wie Amazon.

Die Kosten für den Ausbau von Glasfaseranschlüssen und Mobilfunknetzen lägen derzeit zum allergrößten Teil bei den Netzbetreibern, sagt Frederic Ufer, zudem werde Steuergeld in erheblichem Umfang für die Förderung des Breitbandausbaus ausgegeben. Dass die EU-Kommission eine Diskussion über eine mögliche Beteiligung von Tech-Unternehmen an den Kosten der digitalen Infrastrukturen in Europa überhaupt eröffnet habe, wird vonseiten des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations– und Mehrwertdiensten grundsätzlich begrüßt.

“Aktuelle Studien belegen, dass der Internet-Protokoll-Verkehr weiterhin stetig steigt und gleichzeitig immer konzentrierter von etwa sechs sogenannten Over-The-Top-Anbietern verursacht wird, die Hälfte des gesamten IP-Verkehrs”, sagt VATM-Geschäftsführer Frederic Ufer. “80 Prozent des IP-Verkehrs kommen aus den drei Segmenten Video, soziale Medien und Spiele.”

Vestager und Breton noch unkonkret

Diese Realität zu sehen und Schlüsse aus ihr zu ziehen, ist Aufgabe der EU-Kommission und des gemeinsamen Ausschusses des Telekommunikationsregulierers in Europa (BEREC). Derzeit wird unter anderem die Evaluation der “Richtlinie über die Senkung der Breitbandkosten” (BRCD) beraten und in Fachkreisen wird intensiv über einen möglichen “Connectivity Infrastructure Act” debattiert – einen solchen Gesetzestitel will die Kommission derzeit jedoch nicht bestätigen. Ein Teil des derzeitigen Problems: Was genau die Kommission plant, ist öffentlich nicht verkündet und weiterhin unscharf. Immer wieder wird als Zieldatum der Herbst 2022 genannt – was die Kommission ebenfalls nicht bestätigen will. Zugleich mangelt es nicht an Reaktionen und Kritik.

Margrethe Vestager hatte die Debatte selbst eröffnet, als sie Anfang Mai bei einer Konferenz laut Reuters den Satz sagte: “Technologie-Giganten wie Google, Meta und Netflix könnten einen Teil der Kosten für Europas Telekommunikationsnetzwerke tragen müssen.” Doch konkret wurde seitdem weder Vestager noch der stets intensiv um kreative EU-Vorschläge bemühte Thierry Breton. Die Entgelte zwischen den Beteiligten zu vereinbaren, sei grundsätzlich Sache der Marktteilnehmer, heißt es aus der Kommission. “Zumindest einige Inhalteanbieter scheinen solchen Anbietern Beiträge anzubieten, deren Netzwerke sie nutzen, um deren Kunden zu erreichen.”

Das Thema sei in einem größeren Kontext zu betrachten, etwa den Zielen für Konnektivität, die für die Digitale Dekade bis 2030 festgelegt seien. Man wolle die Investitionen für modernere und resilientere Netzwerke in der EU erhöhen, heißt es aus der EU-Kommission. “In diesem Kontext ist das Thema eines fairen und verhältnismäßigen Beitrags zu den Kosten öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen Teil unserer Betrachtung”, teilt ein Sprecher mit, “und das unter voller Berücksichtigung der EU-Netzneutralitäts-Regeln.”

Wissing will Netzneutralität nicht angetastet sehen

Genau das bezweifeln viele Kritiker. “Die Netzneutralität ist ein hohes Gut der Digitalpolitik, das wir weiterhin schützen werden”, kündigt Digitalminister Volker Wissing (FDP) auf Anfrage von Europe.Table an: “Die Gleichbehandlung des Datenverkehrs im Netz muss gewahrt bleiben. Sie ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Internets und der vielfältigen Dienste, die über das Internet angeboten werden.” Wissing hatte für die Bundesregierung gemeinsam mit sechs weiteren EU-Regierungen Vestager und Breton zu einem ordentlichen Verfahren unter Beteiligung aller Seiten und der Mitgliedstaaten aufgefordert, um deren Ideen beraten zu können.

Allerdings ohne sich bereits festzulegen, ob er Veränderungen am Bezahlmodell vollständig ablehnt. Noch sei “nicht klar, welche Regelungen die EU-Kommission in diesem Zusammenhang im Hinblick auf eine mögliche Kostenbeteiligung am Netzausbau vorschlagen möchte”, erläutert eine Sprecherin. “Wichtig sind dabei ein transparenter Prozess und eine intensive Prüfung der Forderungen sowie der geäußerten Bedenken, auch mit Blick auf die Ausgestaltungsmöglichkeiten und die Folgen einer Umsetzung.”

Mit einem Brief hatten sich Anfang Juli 54 Europaabgeordnete an EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager und den Kommissar für den digitalen Binnenmarkt Thierry Breton gewandt. Darin fordern sie, sich von der Idee zu verabschieden: “Ein Modell anzunehmen, das Zugangsgebühren erlaubt oder erfordert, wäre die desaströse Rückkehr zum ökonomischen Modell der Telefonie, in dem Telekommunikationsunternehmen und Staaten ihre Zugangs-Monopole dazu nutzten, Kommunikation zu verteuern. Weil Telefon-Unternehmen ein Monopol über ihre Kunden hatten, konnten sie von jedem, der diese anrufen wollte, exorbitante Preise verlangen. Breitband-Zugangsanbieter haben dasselbe Monopol über ihre Kunden. Ihnen zu erlauben, Inhalteanbietern Kosten für Zugang aufzuerlegen, würde dem Internetwirtschaftsmodell signifikanten Schaden zufügen.”

Die Gruppe der Europa-Abgeordneten forderte die Kommission auf, Experten und Öffentlichkeit und das gemeinsame Gremium der TK-Regulierungsbehörden BEREC zu konsultieren. Es gebe sachlich keinen Grund zur Eile.

VATM und VZBV fordern Gründlichkeit vor Schnelligkeit

Soweit zu gehen, nun offensiv eine Beteiligung der Anbieterseite am Infrastrukturausbau zu fordern, davon sieht der VATM ab. Er befürchtet vielmehr etwas anderes: Dass mögliche Mehreinnahmen gar nicht zusätzlich dem Infrastrukturausbau zur Verfügung stehen könnten, sondern in den öffentlichen Kassen verbleiben. “Das ganze Thema ist viel zu sensibel, um es nun über das Knie zu brechen”, mahnt Ufer. “Die wie auch immer geartete Lösung darf keine Verzerrungen in einem wettbewerblich äußerst sensiblen Telekommunikationsmarkt riskieren.”

Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband, mit dem VATM nicht oft einer Meinung, bezieht in dieser Woche umfangreich Position. Die Verbraucherschützer sehen ein Sending-Party-Pays-Modell kritisch: “Die negativen Folgen für Wettbewerb, Netzneutralität und Verbraucherinteressen wiegen schwerer als die Gewinnabsichten der Telekommunikationsindustrie”, sagt Susanne Blohm, Referentin im Team Digitales und Medien. “Die inhaltliche Beteiligung am politischen und legislativen Prozess ist durch die intransparente Vorgehensweise der EU-Kommission erschwert”, spart der Verband in seinem Positionspapier nicht mit Kritik an Vestager und Breton.

Derzeit prüft das gemeinsame Gremium der TK-Regulierungsbehörden in der EU BEREC, ob eine Veränderung am etablierten Bezahlmodell erstrebenswert sein kann. BEREC kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass ein gesetzlich verordnetes Modell Sending-Party-Pays-Modell in Südkorea nicht den gewünschten Erfolg gehabt hätte. Darauf hatte auch ein Bericht der WIK GmbH im Auftrag der Bundesnetzagentur bereits hingewiesen. Nun soll ein geregelter Konsultationsprozess der BEREC bis Mitte 2023 Klarheit erbringen, ob und wenn ja, welche Veränderungen am bisherigen Modell denkbar und zielführend sein könnten – ob allerdings die Kommission so lange warten will, ist offen.

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News

EU-Kommissar Gentiloni zeigt Alternativen zur Mehrwertsteuer-Ausnahme auf

Die von der Bundesregierung gewünschte Ausnahme von der Mehrwertsteuer für die geplante Gasumlage ist endgültig vom Tisch. Der gegenwärtige rechtliche Rahmen lasse eine Ausnahme für die Gasumlage nicht zu, schrieb EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch in einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Es sei auch nicht möglich für die Kommission, in diesem Fall Abweichungen von der Mehrwertsteuer-Richtlinie vorzuschlagen. Dies sei nur bei verfahrenstechnischen Fragen möglich, nicht aber, wenn es um die Höhe der Steuer gehe, schrieb Gentiloni. Der Brief lag der Deutschen Presse-Agentur vor.

Eine Sprecherin der Kommission erklärte, dass alle Mitgliedstaaten mit einer Störung der Gasversorgung, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine verursacht werden, konfrontiert seien. Vor diesem Hintergrund teile die Kommission “uneingeschränkt den Wunsch Deutschlands, unbeabsichtigte Auswirkungen der Anwendung der Mehrwertsteuer auf die geplante Abgabe auf den Gaspreis, den die Verbraucher zahlen, zu vermeiden”. Die Kommissions-Dienststellen seien daher bereit, weiter mit dem Bundesministerium der Finanzen zusammenzuarbeiten, um die beste Lösung zu finden, so die Sprecherin.

Gentiloni wies in seinem Brief noch auf verschiedene andere Optionen hin, um Verbraucher weniger zu belasten. So könne die Bundesregierung die Mehrwertsteuer im Nachhinein an die Verbraucher zurückzahlen oder die Umlage senken. Es sei auch möglich, die Steuer den Gaskonzernen zugutekommen zu lassen. Alternativ könne man die geltende Mehrwertsteuer auf mindestens fünf Prozent reduzieren, schrieb der Wirtschaftskommissar. In Deutschland gilt in der Regel ein Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, der ermäßigte Satz liegt bei sieben Prozent. dpa/luk

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Litauen und Dänemark für europaweiten Stopp von Touristenvisa für Russen

In der Diskussion über einen Stopp von Touristenvisa für Russen hat sich Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis für eine europaweite Regelung ausgesprochen. “Am besten sollte es eine Entscheidung auf europäischer Ebene sein, mit der einfach die Gültigkeit dieser Visa aufgehoben wird und jeder damit aufhören würde, sie auszustellen”, sagte der Chefdiplomat des baltischen EU- und Nato-Landes am Mittwoch in Vilnius.

Auch Dänemark will eine EU-weite Einschränkung von Touristenvisa für russische Staatsbürger. “Wenn es nicht mit einer gemeinsamen Lösung klappt, werden wir von dänischer Seite die Möglichkeiten ausloten, Einschränkungen einzuführen, um die Zahl der russischen Touristenvisa zu reduzieren”, sagte der dänische Außenminister Jeppe Kofod am Mittwoch der Nachrichtenagentur Ritzau. “Ich finde es zutiefst beschämend, dass russische Touristen in Südeuropa sonnenbaden und in Saus und Braus leben können, während ukrainische Städte bis zur Unkenntlichkeit zerbombt werden.”

Litauen hat als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitestgehend ausgesetzt – ähnlich wie die beiden anderen Baltenstaaten Estland und Lettland und auch Finnland. Estland hat zudem beschlossen, dass russische Staatsbürger vom 18. August an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum einreisen dürfen.

Landsbergis bezweifelte allerdings die Wirksamkeit der Maßnahme der Regierung in Tallinn, da russische Bürger mit von anderen EU-Staaten ausgestellten Visa weiterhin einreisen dürfen. “Ein russischer Staatsbürger kann heute bei einem deutschen Konsulat in jeder russischen Stadt, in der es ein Konsulat gibt, ein Visum bekommen und über Finnland, Estland, Lettland, Litauen oder Polen dorthin reisen, wo er Urlaub machen möchte”, sagte er nach Angaben der Agentur BNS. Genau aus diesem Grund sei eine europaweite Lösung nötig.

Tschechien, das gegenwärtig den Vorsitz der EU-Staaten hat, will die Frage bei einem Treffen der EU-Außenminister Ende August zur Sprache bringen. Deutschland und auch die EU-Kommission in Brüssel lehnen einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa ab. dpa

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Wirtschaft im Euroraum im Frühjahr um 0,6 Prozent gewachsen

Die Wirtschaft der Euro-Zone ist im Frühjahr nicht ganz so stark gewachsen wie zunächst gedacht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte zwischen April und Juni zum Vorquartal um 0,6 Prozent zu, wie das Europäische Statistikamt Eurostat am Mittwoch mitteilte. In einer ersten Schätzung war noch von 0,7 Prozent die Rede gewesen.

Anfang des Jahres war lediglich ein Plus beim BIP von 0,5 Prozent herausgesprungen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Wirtschaftsleistung im Frühjahr revidiert um 3,9 Prozent. Zunächst war ein Wert von 4,0 Prozent genannt worden. Auf der Wirtschaft im Euroraum lastet die durch die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Krieges befeuerte hohe Inflation. Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr nur noch einen Zuwachs beim BIP von 2,6 Prozent. Die Verbraucher im Euroraum rechnen einer Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge auf Zwölfmonatssicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft und einer anhaltend hohen Inflation.

Im Juli ist die Wirtschaft laut einer Umfrage des Finanzdienstleisters S&P Global bereits leicht geschrumpft. Galoppierende Inflation, steigende Zinssätze und Liefersorgen – vor allem im Energiebereich – zogen demnach die stärksten Rückgänge bei Produktion und Auftragseingang seit fast einem Jahrzehnt nach sich – übertroffen nur von den Monaten während der Corona-Lockdowns. rtr

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Energiesparplan senkt Stromverbrauch in Spanien um fast vier Prozent

In der ersten Woche nach Inkrafttreten eines strikten Energiesparplans ist der Stromverbrauch in Spanien um 3,7 Prozent gesunken. Diese Zahl nannte die spanische Ministerin für Ökologischen Wandel, Teresa Ribera, am Mittwoch vor Journalisten auf Menorca. “Die Reaktion der Bürger war außerordentlich positiv”, sagte sie. Ribera betonte, der Erfolg sei angesichts der Kritik der konservativen Opposition umso bemerkenswerter.

Mit dem Sparpaket und mit weiteren Beschlüssen, die erst nach der Sommerpause gefasst werden sollen, will Spanien die im Rahmen des EU-Notfallplans eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Madrid hatte sich, wie auch andere Regierungen, dem Vorhaben zunächst widersetzt, es nach Zugeständnissen aber am Ende gebilligt. Demnach soll Spanien seinen Gaskonsum um sieben bis acht Prozent senken, während die meisten anderen EU-Länder 15 Prozent einsparen sollen.

Seit Mittwoch voriger Woche dürfen in Spanien alle öffentlichen Einrichtungen sowie Kaufhäuser, Kinos, Büros, Geschäfte, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre Räumlichkeiten auf nicht weniger als 27 Grad abkühlen. Läden mit Mitarbeitern, die körperlich besonders gefordert werden, wie Bars und Restaurants, können die Klimaanlagen jedoch auf bis zu 25 Grad einstellen. Im kommenden Winter wird man die Innenräume derweil auf höchstens 19 Grad beheizen dürfen.

Die sogenannten “dringenden Maßnahmen” des königlichen Dekrets der linken Regierung sollen bis zum 1. November 2023 in Kraft bleiben. Neben anderen Maßnahmen müssen Läden und Betriebe mit automatischen Systemen ihre Türen geschlossen halten, um je nach Jahreszeit das Entweichen von Wärme oder kühler Luft zu vermeiden. Die Beleuchtung nicht genutzter Büros, von Schaufenstern und einiger Denkmäler muss nach 22 Uhr ausgeschaltet werden. Mehrere Regionalregierungen klagten, dies werde zu weniger Konsum und mehr Unsicherheit führen. Die konservative Regierungschefin der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, will beim Verfassungsgericht gegen den Sparplan klagen. dpa

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Studie: Europa kann Bedarf an E-Auto-Batterien selbst decken

Bis 2030 müssen weltweit 290 Milliarden Euro investiert werden, um den Bedarf an Batterien für E-Autos zu decken. Dies geht aus einer Studie der Unternehmensberatung PWC hervor. 15 Prozent von den benötigten Investitionen für den Markthochlauf seien bereits getätigt. In China, wo bis 2030 Batterien mit einer Kapazität von gut 1600 Gigawattstunden gebaut werden müssten, sei bereits ein Viertel der bis 2030 fälligen Investitionen getätigt worden.

Europa, wo 940 Gigawattstunden gebraucht würden, hinke deutlich hinterher. Hier seien erst fünf Prozent der benötigten Summen geflossen. In den USA, wo 520 Gigawattstunden benötigt werden, seien neun Prozent der benötigten Gelder bereits investiert. Im Rest der Welt würden 510 Gigawattstunden gebraucht, acht Prozent der fälligen Investitionen seien bereits geflossen.

Bedarf an Batterien steigt um 34 Prozent jährlich

Im Schnitt werde der Bedarf an Batterien für E-Autos bis 2030 jährlich um 34 Prozent ansteigen. Wegen der hohen Nachfrage hätten Unternehmen, die die Batteriefabriken aufbauen, gute Bedingungen für Investitionen. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass 2025 in der EU 32 Prozent der Neuwagen batterieelektrisch unterwegs sind, 2030 65 Prozent. In den USA liege der Anteil von E-Autos 2025 bei 14 Prozent und 2030 bei 26 Prozent. In China seien 2025 30 Prozent der Neuwagen batterieelektrisch unterwegs und 2030 56 Prozent.

Für das Jahr 2030 geht die Studie davon aus, dass es 19 Millionen neu zugelassene E-Autos in China gibt. China werde damit Marktführer. Für Europa rechnet man für 2030 mit zwölf Millionen Neuzulassungen von E-Autos. Die USA würden der drittgrößte Markt für E-Autos, Amerika werde aber beim Markthochlauf fünf Jahre hinter China und Europa zurück sein.

Europa: Batterie ab 2030 gedeckt

Der Studie zufolge wird Europa den Batteriebedarf im Jahr 2030 aus eigener Produktion decken können. Im Jahr 2025 werde sogar ein Überschuss an Batterien für E-Autos in Europa produziert. Der US-Markt werde aber sowohl in 2025 und noch in 2030 den Bedarf nicht aus eigener Produktion decken können. Derzeit dominiere China massiv die Lieferkette von Batterien. 80 Prozent der Batteriezellen und anderer Bestandteile der Batterien stammten aus China.

Europäische Fabriken hätten 2021 ein Viertel aller in dem Jahr weltweit produzierten E-Autos hergestellt. Dagegen sei weniger als ein Zehntel der Weltproduktion bei Batteriezellen aus Europa gekommen, und der Anteil der europäischen Produktion von den Batteriebestandteilen wie Kathoden und Anoden sowie bei Rohstoffen für die Zellproduktion sei wesentlich geringer gewesen. mgr

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Presseschau

EU macht Deutschland vier Entlastungsvorschläge für Gaskunden WELT
Verfassungsschutz erwartet mehr russische Propaganda und Spionage ZEIT
Wie die “Strompreisbremse” in Österreich funktionieren soll FAZ
Tschechien kündigt Obergrenze für Miet- und Heizkosten an DERSTANDARD
Norwegen muss alte Öl- und Gasfelder auf Ökostrom umstellen oder stilllegen EURACTIV
Die toten Fische machen Polens Regierung zu schaffen FAZ

Heads

Hannah Neumann – Pragmatische Idealistin

Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen/EFA. 
Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen/EFA. 

AfD und Pegida sind mit ein Grund dafür, dass Hannah Neumann heute im EU-Parlament sitzt. Die promovierte Friedens- und Konfliktforscherin war 2016 so schockiert über den Aufstieg der Rechtsextremen in Deutschland, über den Brexit und die Wahl von Donald Trump, dass sie beschloss, sich politisch zu engagieren. Sie begann als Kreisvorsitzende für die Grünen in Berlin-Lichtenberg.

“Als jemand, der viel in Kriegsgebieten unterwegs war, habe ich gesehen, wie schnell aus Hass Gewalt wird, die eskaliert und eine Gesellschaft zerreißt”, sagt die 38-jährige Rheinland-Pfälzerin. Sie wollte wenigstens sagen können, dass sie etwas dagegen getan hatte, wenn es in Europa wirklich schiefgehen sollte. Bevor sie in die Politik ging, hatte Hannah Neumann als Konflikt- und Friedensforscherin an der FU Berlin untersucht, wie Friedensabkommen auf lokaler Ebene implementiert werden. Dafür war sie vor allem auf den Philippinen und in Liberia unterwegs.

Der Weg in die Politik erwies sich als der richtige. 2019 luden die Grünen sie ein, für das EU-Parlament zu kandidieren. “Und das hat erstaunlich gut geklappt.”

Waffenlieferungen in die Ukraine sind grüne Politik

In Brüssel und Straßburg bleibt sie an der Außenpolitik interessiert. Sie ist Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zur Arabischen Halbinsel und sitzt in mehreren Unterausschüssen wie Menschenrechte oder Sicherheit und Verteidigung. Allein in diesem Jahr reiste sie für das Europäische Parlament in den Irak, nach Katar, Afghanistan, Kuwait, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Kolumbien.

Doch auch in Europa gibt es angesichts des russischen Krieges in der Ukraine schon genug für eine außenpolitisch orientierte Abgeordnete zu tun. Wie viele linksorientierte Politiker hat sie in den letzten Monaten Positionen angenommen, die normalerweise als unvertretbar gelten. Neumann hingegen ist pragmatisch. “Bei den Waffenlieferungen in die Ukraine war mir von Anfang an klar, dass es in dieser Situation ehrlich gesagt ziemlich ‘grün’ ist, Waffen zu liefern.” Nur wenn das Völkerrecht respektiert werde, könne man über Abrüstung sprechen.

Die Erhöhung der Militärausgaben in den Staatshaushalten muss für eine Grüne schmerzhaft sein, oder? “Ich glaube, jeder würde das Geld lieber für den Klimaschutz ausgeben als für das Militär”, seufzt sie. Leider sei die Situation so, wie sie ist.

Engagement für Frauen in der Außenpolitik

Wiederum pragmatisch setzt sich Neumann jetzt für eine gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern in Europa ein. Man müsse aber darauf achten, dass die Rüstungskonzerne davon nicht unnötig profitieren. “Wir müssen sicherstellen, dass wir für das Geld auch viele Waffen bekommen”, sagt sie. Das Thema wird in den kommenden Monaten eine Priorität sein.

“Das sind schwierige politische Fragen, aber ich bin auf jeden Fall nicht in die Politik gegangen, um heilige grüne Positionen zu vertreten.” Es gehe darum, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.

Die Pragmatikerin nimmt sich auch Zeit für ihre Ideale. Sie spricht oft über die Unterrepräsentation von Frauen in der von Männern dominierten Welt der Außenpolitik. In Brüssel, sagt Neumann, habe es eine Weile gedauert, bis man ihr zugehört habe. Deswegen macht sie bei “SHEcurity” mit. Der Index zeigt geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf und sammelt Daten zu Politik, Diplomatie, Militär, Polizei, zivilen und militärischen Missionen sowie zur Wirtschaft. Das Ziel ist einfach: “Mehr Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik.” Ella Joyner

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Seit Wochen wird geraunt: Die EU-Kommission wolle Netflix, Google, Facebook und Co. dazu verpflichten, mehr für den Netzausbau in Europa zu zahlen – im Herbst solle dazu ein Vorschlag kommen. Doch nun warnen immer mehr Beteiligte: Diese Idee könnte nach hinten losgehen. Digitalminister Volker Wissing will einen Bereich auf gar keinen Fall angetastet sehen. Falk Steiner erläutert die komplizierte Debatte.

    Eurostat hat gestern die Zahlen für das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone im Frühjahr veröffentlicht. Demnach ist die Wirtschaft nicht so stark gewachsen wie gedacht, wie Sie in den News lesen.

    Pragmatismus geht selten Hand in Hand mit Idealismus. Bei Hannah Neumann liegen die Dinge etwas anders. Die 38-jährige Europaabgeordnete der Grünen/EFA würde an sich zwar die Ausgaben für das Militär lieber in den Klimaschutz stecken – aber die Lage sei nun mal, wie sie sei. Ella Joyner stellt die Friedens- und Konfliktforscherin im Portrait vor.

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    Analyse

    Waldbrände: EU fordert mehr Befugnisse beim Katastrophenschutz

    Mehr als 2250 Waldbrände verzeichnet das Europäische Waldbrand-Informationssystem (European Forest Fire Information System, EFFIS) zwischen Januar und Mitte August 2022 in der EU. Beinahe doppelt so viele wie im gesamten vergangenen Jahr und eine Steigerung um rund 230 Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt aus der letzten Dekade. Rund 660.000 Hektar Land sind bereits verbrannt – ein neuer Höchstwert und das noch vor dem Ende der Waldbrandsaison.

    Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer deutlicher spürbar und Waldbrände sind längst kein Phänomen des Südens mehr. Auch in Mitteleuropa zerstören die Flammen viele Tausend Hektar Wald, gefährden die Umwelt und die Bevölkerung. Immer öfter sind die EU-Staaten mit den Ausmaßen überfordert und ersuchen Unterstützung über den Katastrophenschutz-Mechanismus der EU.

    Acht Mal sei im laufenden Jahr auf diese Weise bereits Hilfe angefragt worden, teilte die EU-Kommission mit. Die Anfragen kamen aus Portugal, Slowenien, Tschechien, Albanien und zuletzt aus Frankreich. Im dortigen Waldbrandgebiet kämpfen Helfer aus Deutschland, Griechenland, Schweden, Polen, Österreich, Rumänien und Italien gegen die Flammen. Sechs Löschflugzeuge aus Schweden, Griechenland und Italien sind im Einsatz.

    Längere Waldbrandsaison

    “Die Waldbrände in Europa werden immer schlimmer. Durch den Klimawandel verlängert sich auch die Waldbrandsaison um mehrere Monate, was die Wahrscheinlichkeit weiterer Waldbrandkatastrophen in Zukunft erhöht“, sagt ein Kommissionssprecher. Gleichzeitig habe die Ausdehnung der Brandgebiete nach Norden für viele Mitgliedstaaten neue Gefahrenquellen geschaffen. Aus diesen Gründen müsse der EU-Katastrophenschutz weiter ausgebaut werden.

    Janez Lenarčič, EU-Kommissar für Krisenmanagement, hatte zuletzt weiterreichende Befugnisse für die Kommission gefordert. Der bestehende Mechanismus gerate mit zunehmenden und teils parallelen Anfragen an seine Grenzen, sagte Lenarčič zu “Politico”. Eine Stärkung der Rolle Brüssels könne das Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Das reiche von der Möglichkeit, eigenständig über Zeitpunkt, Ort und Dauer der Einsätze zu entscheiden bis hin zu einer ständigen EU-Katastrophenschutztruppe inklusive eigener Flugzeuge und Besatzungen, wie bereits 2006 vom früheren Kommissar Michel Barnier gefordert.

    Brüssel spielt eine wachsende, aber immer noch begrenzte Rolle bei der Katastrophenhilfe. Der Mechanismus funktioniert auf freiwilliger Basis, wobei das Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen als Drehscheibe dient. Die EU-Staaten sowie sechs weitere Länder, die am Verfahren teilnehmen, benennen Fähigkeiten und Kapazitäten, die sie zur Verfügung stellen wollen. Bei einem Einsatz übernimmt die EU bis zu 75 Prozent der Kosten. Weltweit können Staaten bei unterschiedlichsten Notlagen den Mechanismus aktivieren, wobei Waldbrände nach Kommissionsangaben zwischen 2007 und 2021 rund 17 Prozent der Hilfsanfragen zugrunde lagen.  

    Einsatzreserve mit Löschflotte

    In den vergangenen Jahren wurde das Verfahren mehrmals gestärkt. So stehen der Kommission für die Jahre 2021 bis 2027 insgesamt 3,2 Milliarden Euro für den Katastrophenschutz zur Verfügung. Daneben wurde im Jahr 2019 die rescEU-Einsatzreserve ins Leben gerufen, die neben medizinischer Ausrüstung derzeit zwölf Löschflugzeuge und einen Helikopter umfasst. In den kommenden Jahren soll die Flotte weiter ausgebaut werden, finanziert von der EU, stationiert in Kroatien, Frankreich, Griechenland, Spanien, Italien und Schweden und kontrolliert von den jeweiligen nationalen Behörden.

    Aus Sicht der Bundesregierung hat sich der EU-Katastrophenschutzmechanismus bewährt. Man sehe keinen Bedarf, das Verfahren erneut zu ändern, teilt das Innenministerium mit und erteilt den Forderungen aus Brüssel somit eine Absage. “Weitergehende Befugnisse für die EU-Kommission finden ihre Grenze zudem im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union”, so eine BMI-Sprecherin zu Europe.Table. “Dieser beschränkt die Zuständigkeiten der EU auf eine Förderung und Unterstützung des Katastrophenschutzes in den EU-Mitgliedstaaten und schließt insbesondere jegliche Harmonisierung der Rechtsvorschriften aus.”

    Auch werde sich die Bundesregierung nicht an der Beschaffung von Löschflugzeugen beteiligen. Die Brandbekämpfung erfolge in Deutschland im Wesentlichen vom Boden durch ein flächendeckendes Netz von überwiegend freiwilligen Feuerwehren. Dies ermögliche eine zielgerichtete Brandbekämpfung durch ortskundige, geschulte Einsatzkräfte.

    Freiwillige Feuerwehren überfordert

    Alexander Held vom European Forest Institute (EFI) sieht das anders: “Den kommunalen freiwilligen Feuerwehren fehlt komplett die Erfahrung beim Kampf gegen einen 800 Hektar großen Waldbrand. Die ehrenamtlichen Einsatzkräfte haben eigentlich ganz andere Jobs und nach dem, was ich mitbekomme, sind die meisten enorm frustriert”, so der Waldbrandexperte. “Die Dorffeuerwehren wurden jahrzehntelang kaputtgespart und sind überhaupt nicht auf wochenlange Einsätze in ganz Europa ausgelegt. Meistens fahren die zu einem Verkehrsunfall und sind nach zwei Stunden wieder zu Hause.” Diese Strukturen gelte es zu verbessern, etwa durch die Einrichtung von Kompetenzzentren oder durch einen verstärkten internationalen Erfahrungsaustausch.

    Das Hauptproblem besteht für Held jedoch an anderer Stelle. “Waldbrände sind ein Teil des Ökosystems, den wir das ganze Jahr über mitdenken müssen und nicht nur ein paar Wochen im Sommer, um dann hektisch zu reagieren.” Anstatt den Fokus auf Katastrophenschutz und Bekämpfung zu legen, müsse die EU die Waldbrand-Prävention stärker in den Blick nehmen und in den Regionen und in der Forstwirtschaft ein Verständnis dafür schaffen.

    Dazu gehöre eine entsprechende Infrastruktur, um eine effektive Brandbekämpfung überhaupt erst zu ermöglichen, genauso wie das Einrichten von Schneisen sowie die Notwendigkeit des Waldumbaus hin zu resilienteren Landschaften. Auch hier müsse ein internationales Netzwerk für mehr und besseren Austausch geschaffen werden. Bestes Vorbild sei Portugal. “Nach den katastrophalen Bränden mit zahlreichen Toten im Jahr 2017 hat dort ein Umdenken stattgefunden”, sagt Held. “Der Schwerpunkt beim Waldbrand-Schutz liegt jetzt mehr auf Prävention.” Zwar wüten auch in Portugal heftige Waldbrände. “Aber ohne die neue Ausrichtung wären es doppelt so viele”, so Held.

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    Scharfe Kritik an Kommissionsidee für Content-Maut

    Dass das Internet in rasanter Geschwindigkeit die Welt eroberte, liegt auch an seiner speziellen Funktionsweise: Das Netz der Netze ist in der Theorie ein technisch neutraler Mittler, an den sich Sender und Empfänger anschließen und die Datenverkehre fließen lassen. Beide Seiten bezahlen dabei für die jeweiligen Kosten bis in die Übergabepunkte, so die Theorie.

    In der Praxis hat das Modell allerdings Tücken und Besonderheiten: Die Dienste einiger weniger Anbieter sind besonders populär und sind Grund für einen Großteil der Datenverkehre im Netz. Zugleich sorgen sie damit aber auch für die Attraktivität schneller Internetzugänge, die von den Telekommunikationsunternehmen Endnutzern angeboten werden – und die Inhalte bei diesen Anbietern anfordern.

    Bereits seit über einem Jahrzehnt fordern einige Telekommunikationsunternehmen, die Kostenverteilung zu verändern: Inhalteanbieter sollten einen größeren Anteil an den Kosten tragen. In der letzten großen Debatte wollten die Telekommunikationsanbieter Diensteanbieter noch für eine priorisierte Beförderung bestimmter Inhaltearten zur Kasse bitten – was im Ergebnis automatisch Rückwirkungen auf die restlichen Datenbeförderungen gehabt hätte. Seitdem ist die sogenannte Netzneutralität festgeschrieben, die ungerechtfertigte und nicht von Endkunden bestellte Ungleichbehandlung von Daten in den Netzen untersagt.

    Doch seitdem sind Jahre vergangen. Das nun von einigen befürwortete und auch von der EU-Kommission als Möglichkeit in die Welt geraunte Modell: Sending Party Pays, die Daten sendende Seite solle zahlen, zumindest mehr als bisher. Die Kapazitäten der Netze sind seitdem enorm gewachsen. Doch weitere Investitionen sollen geleistet werden, um schnellen Mobilfunk und Glasfaseranschlüsse europaweit zu realisieren.

    20 Prozent der Datenverkehre kommt von Netflix

    Insbesondere Anbieter, die fast ausschließlich oder viel Videostreaming anbieten, sind bei einem Großteil der Netzverkehre involviert. Jeder Aufruf eines Films bei einem Streaminganbieter in UHD-Qualität benötigt zwischen 10 und 25 Megabit pro Sekunde Bandbreite, in HD-Qualität sind dies immer noch um die 5 Megabit pro Sekunde, um ruckelfreie und saubere Bildqualitäten zu erreichen. Bei hunderten Millionen Nutzern in Europa kommen so riesige Datenmengen zusammen.

    Laut Angaben des französischen Telekommunikationsregulierer ARCEP ist der Videostreamingdienst Netflix Spitzenreiter der Netzverkehre. Dem Anbieter wurden schon 2020 allein über 20 Prozent der Internetdatenverkehre zu Endnutzern zugerechnet. Auf Platz zwei folgt in Frankreich Alphabets Google, zu dem auch YouTube gerechnet wird, mit deutlich über zehn Prozent. Platz drei wird mit 9 Prozent von Akamai belegt – einem spezialisierten Dienstleister, der vor allem Streamingdienste für Dritte anbietet und dafür ein eigenes Inhalte-Verteilnetz (CDN) betreibt. Auf Platz vier der ARCEP-Statistik findet sich Facebook mit seinen Diensten wieder, gefolgt von Cloud-Anbietern wie Amazon.

    Die Kosten für den Ausbau von Glasfaseranschlüssen und Mobilfunknetzen lägen derzeit zum allergrößten Teil bei den Netzbetreibern, sagt Frederic Ufer, zudem werde Steuergeld in erheblichem Umfang für die Förderung des Breitbandausbaus ausgegeben. Dass die EU-Kommission eine Diskussion über eine mögliche Beteiligung von Tech-Unternehmen an den Kosten der digitalen Infrastrukturen in Europa überhaupt eröffnet habe, wird vonseiten des Verbandes der Anbieter von Telekommunikations– und Mehrwertdiensten grundsätzlich begrüßt.

    “Aktuelle Studien belegen, dass der Internet-Protokoll-Verkehr weiterhin stetig steigt und gleichzeitig immer konzentrierter von etwa sechs sogenannten Over-The-Top-Anbietern verursacht wird, die Hälfte des gesamten IP-Verkehrs”, sagt VATM-Geschäftsführer Frederic Ufer. “80 Prozent des IP-Verkehrs kommen aus den drei Segmenten Video, soziale Medien und Spiele.”

    Vestager und Breton noch unkonkret

    Diese Realität zu sehen und Schlüsse aus ihr zu ziehen, ist Aufgabe der EU-Kommission und des gemeinsamen Ausschusses des Telekommunikationsregulierers in Europa (BEREC). Derzeit wird unter anderem die Evaluation der “Richtlinie über die Senkung der Breitbandkosten” (BRCD) beraten und in Fachkreisen wird intensiv über einen möglichen “Connectivity Infrastructure Act” debattiert – einen solchen Gesetzestitel will die Kommission derzeit jedoch nicht bestätigen. Ein Teil des derzeitigen Problems: Was genau die Kommission plant, ist öffentlich nicht verkündet und weiterhin unscharf. Immer wieder wird als Zieldatum der Herbst 2022 genannt – was die Kommission ebenfalls nicht bestätigen will. Zugleich mangelt es nicht an Reaktionen und Kritik.

    Margrethe Vestager hatte die Debatte selbst eröffnet, als sie Anfang Mai bei einer Konferenz laut Reuters den Satz sagte: “Technologie-Giganten wie Google, Meta und Netflix könnten einen Teil der Kosten für Europas Telekommunikationsnetzwerke tragen müssen.” Doch konkret wurde seitdem weder Vestager noch der stets intensiv um kreative EU-Vorschläge bemühte Thierry Breton. Die Entgelte zwischen den Beteiligten zu vereinbaren, sei grundsätzlich Sache der Marktteilnehmer, heißt es aus der Kommission. “Zumindest einige Inhalteanbieter scheinen solchen Anbietern Beiträge anzubieten, deren Netzwerke sie nutzen, um deren Kunden zu erreichen.”

    Das Thema sei in einem größeren Kontext zu betrachten, etwa den Zielen für Konnektivität, die für die Digitale Dekade bis 2030 festgelegt seien. Man wolle die Investitionen für modernere und resilientere Netzwerke in der EU erhöhen, heißt es aus der EU-Kommission. “In diesem Kontext ist das Thema eines fairen und verhältnismäßigen Beitrags zu den Kosten öffentlicher Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen Teil unserer Betrachtung”, teilt ein Sprecher mit, “und das unter voller Berücksichtigung der EU-Netzneutralitäts-Regeln.”

    Wissing will Netzneutralität nicht angetastet sehen

    Genau das bezweifeln viele Kritiker. “Die Netzneutralität ist ein hohes Gut der Digitalpolitik, das wir weiterhin schützen werden”, kündigt Digitalminister Volker Wissing (FDP) auf Anfrage von Europe.Table an: “Die Gleichbehandlung des Datenverkehrs im Netz muss gewahrt bleiben. Sie ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Internets und der vielfältigen Dienste, die über das Internet angeboten werden.” Wissing hatte für die Bundesregierung gemeinsam mit sechs weiteren EU-Regierungen Vestager und Breton zu einem ordentlichen Verfahren unter Beteiligung aller Seiten und der Mitgliedstaaten aufgefordert, um deren Ideen beraten zu können.

    Allerdings ohne sich bereits festzulegen, ob er Veränderungen am Bezahlmodell vollständig ablehnt. Noch sei “nicht klar, welche Regelungen die EU-Kommission in diesem Zusammenhang im Hinblick auf eine mögliche Kostenbeteiligung am Netzausbau vorschlagen möchte”, erläutert eine Sprecherin. “Wichtig sind dabei ein transparenter Prozess und eine intensive Prüfung der Forderungen sowie der geäußerten Bedenken, auch mit Blick auf die Ausgestaltungsmöglichkeiten und die Folgen einer Umsetzung.”

    Mit einem Brief hatten sich Anfang Juli 54 Europaabgeordnete an EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager und den Kommissar für den digitalen Binnenmarkt Thierry Breton gewandt. Darin fordern sie, sich von der Idee zu verabschieden: “Ein Modell anzunehmen, das Zugangsgebühren erlaubt oder erfordert, wäre die desaströse Rückkehr zum ökonomischen Modell der Telefonie, in dem Telekommunikationsunternehmen und Staaten ihre Zugangs-Monopole dazu nutzten, Kommunikation zu verteuern. Weil Telefon-Unternehmen ein Monopol über ihre Kunden hatten, konnten sie von jedem, der diese anrufen wollte, exorbitante Preise verlangen. Breitband-Zugangsanbieter haben dasselbe Monopol über ihre Kunden. Ihnen zu erlauben, Inhalteanbietern Kosten für Zugang aufzuerlegen, würde dem Internetwirtschaftsmodell signifikanten Schaden zufügen.”

    Die Gruppe der Europa-Abgeordneten forderte die Kommission auf, Experten und Öffentlichkeit und das gemeinsame Gremium der TK-Regulierungsbehörden BEREC zu konsultieren. Es gebe sachlich keinen Grund zur Eile.

    VATM und VZBV fordern Gründlichkeit vor Schnelligkeit

    Soweit zu gehen, nun offensiv eine Beteiligung der Anbieterseite am Infrastrukturausbau zu fordern, davon sieht der VATM ab. Er befürchtet vielmehr etwas anderes: Dass mögliche Mehreinnahmen gar nicht zusätzlich dem Infrastrukturausbau zur Verfügung stehen könnten, sondern in den öffentlichen Kassen verbleiben. “Das ganze Thema ist viel zu sensibel, um es nun über das Knie zu brechen”, mahnt Ufer. “Die wie auch immer geartete Lösung darf keine Verzerrungen in einem wettbewerblich äußerst sensiblen Telekommunikationsmarkt riskieren.”

    Auch der Verbraucherzentrale Bundesverband, mit dem VATM nicht oft einer Meinung, bezieht in dieser Woche umfangreich Position. Die Verbraucherschützer sehen ein Sending-Party-Pays-Modell kritisch: “Die negativen Folgen für Wettbewerb, Netzneutralität und Verbraucherinteressen wiegen schwerer als die Gewinnabsichten der Telekommunikationsindustrie”, sagt Susanne Blohm, Referentin im Team Digitales und Medien. “Die inhaltliche Beteiligung am politischen und legislativen Prozess ist durch die intransparente Vorgehensweise der EU-Kommission erschwert”, spart der Verband in seinem Positionspapier nicht mit Kritik an Vestager und Breton.

    Derzeit prüft das gemeinsame Gremium der TK-Regulierungsbehörden in der EU BEREC, ob eine Veränderung am etablierten Bezahlmodell erstrebenswert sein kann. BEREC kommt zu dem vorläufigen Schluss, dass ein gesetzlich verordnetes Modell Sending-Party-Pays-Modell in Südkorea nicht den gewünschten Erfolg gehabt hätte. Darauf hatte auch ein Bericht der WIK GmbH im Auftrag der Bundesnetzagentur bereits hingewiesen. Nun soll ein geregelter Konsultationsprozess der BEREC bis Mitte 2023 Klarheit erbringen, ob und wenn ja, welche Veränderungen am bisherigen Modell denkbar und zielführend sein könnten – ob allerdings die Kommission so lange warten will, ist offen.

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    EU-Kommissar Gentiloni zeigt Alternativen zur Mehrwertsteuer-Ausnahme auf

    Die von der Bundesregierung gewünschte Ausnahme von der Mehrwertsteuer für die geplante Gasumlage ist endgültig vom Tisch. Der gegenwärtige rechtliche Rahmen lasse eine Ausnahme für die Gasumlage nicht zu, schrieb EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch in einem Brief an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Es sei auch nicht möglich für die Kommission, in diesem Fall Abweichungen von der Mehrwertsteuer-Richtlinie vorzuschlagen. Dies sei nur bei verfahrenstechnischen Fragen möglich, nicht aber, wenn es um die Höhe der Steuer gehe, schrieb Gentiloni. Der Brief lag der Deutschen Presse-Agentur vor.

    Eine Sprecherin der Kommission erklärte, dass alle Mitgliedstaaten mit einer Störung der Gasversorgung, die durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine verursacht werden, konfrontiert seien. Vor diesem Hintergrund teile die Kommission “uneingeschränkt den Wunsch Deutschlands, unbeabsichtigte Auswirkungen der Anwendung der Mehrwertsteuer auf die geplante Abgabe auf den Gaspreis, den die Verbraucher zahlen, zu vermeiden”. Die Kommissions-Dienststellen seien daher bereit, weiter mit dem Bundesministerium der Finanzen zusammenzuarbeiten, um die beste Lösung zu finden, so die Sprecherin.

    Gentiloni wies in seinem Brief noch auf verschiedene andere Optionen hin, um Verbraucher weniger zu belasten. So könne die Bundesregierung die Mehrwertsteuer im Nachhinein an die Verbraucher zurückzahlen oder die Umlage senken. Es sei auch möglich, die Steuer den Gaskonzernen zugutekommen zu lassen. Alternativ könne man die geltende Mehrwertsteuer auf mindestens fünf Prozent reduzieren, schrieb der Wirtschaftskommissar. In Deutschland gilt in der Regel ein Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, der ermäßigte Satz liegt bei sieben Prozent. dpa/luk

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    Litauen und Dänemark für europaweiten Stopp von Touristenvisa für Russen

    In der Diskussion über einen Stopp von Touristenvisa für Russen hat sich Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis für eine europaweite Regelung ausgesprochen. “Am besten sollte es eine Entscheidung auf europäischer Ebene sein, mit der einfach die Gültigkeit dieser Visa aufgehoben wird und jeder damit aufhören würde, sie auszustellen”, sagte der Chefdiplomat des baltischen EU- und Nato-Landes am Mittwoch in Vilnius.

    Auch Dänemark will eine EU-weite Einschränkung von Touristenvisa für russische Staatsbürger. “Wenn es nicht mit einer gemeinsamen Lösung klappt, werden wir von dänischer Seite die Möglichkeiten ausloten, Einschränkungen einzuführen, um die Zahl der russischen Touristenvisa zu reduzieren”, sagte der dänische Außenminister Jeppe Kofod am Mittwoch der Nachrichtenagentur Ritzau. “Ich finde es zutiefst beschämend, dass russische Touristen in Südeuropa sonnenbaden und in Saus und Braus leben können, während ukrainische Städte bis zur Unkenntlichkeit zerbombt werden.”

    Litauen hat als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitestgehend ausgesetzt – ähnlich wie die beiden anderen Baltenstaaten Estland und Lettland und auch Finnland. Estland hat zudem beschlossen, dass russische Staatsbürger vom 18. August an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum einreisen dürfen.

    Landsbergis bezweifelte allerdings die Wirksamkeit der Maßnahme der Regierung in Tallinn, da russische Bürger mit von anderen EU-Staaten ausgestellten Visa weiterhin einreisen dürfen. “Ein russischer Staatsbürger kann heute bei einem deutschen Konsulat in jeder russischen Stadt, in der es ein Konsulat gibt, ein Visum bekommen und über Finnland, Estland, Lettland, Litauen oder Polen dorthin reisen, wo er Urlaub machen möchte”, sagte er nach Angaben der Agentur BNS. Genau aus diesem Grund sei eine europaweite Lösung nötig.

    Tschechien, das gegenwärtig den Vorsitz der EU-Staaten hat, will die Frage bei einem Treffen der EU-Außenminister Ende August zur Sprache bringen. Deutschland und auch die EU-Kommission in Brüssel lehnen einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa ab. dpa

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    Wirtschaft im Euroraum im Frühjahr um 0,6 Prozent gewachsen

    Die Wirtschaft der Euro-Zone ist im Frühjahr nicht ganz so stark gewachsen wie zunächst gedacht. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) legte zwischen April und Juni zum Vorquartal um 0,6 Prozent zu, wie das Europäische Statistikamt Eurostat am Mittwoch mitteilte. In einer ersten Schätzung war noch von 0,7 Prozent die Rede gewesen.

    Anfang des Jahres war lediglich ein Plus beim BIP von 0,5 Prozent herausgesprungen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg die Wirtschaftsleistung im Frühjahr revidiert um 3,9 Prozent. Zunächst war ein Wert von 4,0 Prozent genannt worden. Auf der Wirtschaft im Euroraum lastet die durch die Energiekrise im Zuge des Ukraine-Krieges befeuerte hohe Inflation. Die EU-Kommission erwartet für dieses Jahr nur noch einen Zuwachs beim BIP von 2,6 Prozent. Die Verbraucher im Euroraum rechnen einer Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge auf Zwölfmonatssicht mit einer schrumpfenden Wirtschaft und einer anhaltend hohen Inflation.

    Im Juli ist die Wirtschaft laut einer Umfrage des Finanzdienstleisters S&P Global bereits leicht geschrumpft. Galoppierende Inflation, steigende Zinssätze und Liefersorgen – vor allem im Energiebereich – zogen demnach die stärksten Rückgänge bei Produktion und Auftragseingang seit fast einem Jahrzehnt nach sich – übertroffen nur von den Monaten während der Corona-Lockdowns. rtr

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    Energiesparplan senkt Stromverbrauch in Spanien um fast vier Prozent

    In der ersten Woche nach Inkrafttreten eines strikten Energiesparplans ist der Stromverbrauch in Spanien um 3,7 Prozent gesunken. Diese Zahl nannte die spanische Ministerin für Ökologischen Wandel, Teresa Ribera, am Mittwoch vor Journalisten auf Menorca. “Die Reaktion der Bürger war außerordentlich positiv”, sagte sie. Ribera betonte, der Erfolg sei angesichts der Kritik der konservativen Opposition umso bemerkenswerter.

    Mit dem Sparpaket und mit weiteren Beschlüssen, die erst nach der Sommerpause gefasst werden sollen, will Spanien die im Rahmen des EU-Notfallplans eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Madrid hatte sich, wie auch andere Regierungen, dem Vorhaben zunächst widersetzt, es nach Zugeständnissen aber am Ende gebilligt. Demnach soll Spanien seinen Gaskonsum um sieben bis acht Prozent senken, während die meisten anderen EU-Länder 15 Prozent einsparen sollen.

    Seit Mittwoch voriger Woche dürfen in Spanien alle öffentlichen Einrichtungen sowie Kaufhäuser, Kinos, Büros, Geschäfte, Hotels, Bahnhöfe und Flughäfen ihre Räumlichkeiten auf nicht weniger als 27 Grad abkühlen. Läden mit Mitarbeitern, die körperlich besonders gefordert werden, wie Bars und Restaurants, können die Klimaanlagen jedoch auf bis zu 25 Grad einstellen. Im kommenden Winter wird man die Innenräume derweil auf höchstens 19 Grad beheizen dürfen.

    Die sogenannten “dringenden Maßnahmen” des königlichen Dekrets der linken Regierung sollen bis zum 1. November 2023 in Kraft bleiben. Neben anderen Maßnahmen müssen Läden und Betriebe mit automatischen Systemen ihre Türen geschlossen halten, um je nach Jahreszeit das Entweichen von Wärme oder kühler Luft zu vermeiden. Die Beleuchtung nicht genutzter Büros, von Schaufenstern und einiger Denkmäler muss nach 22 Uhr ausgeschaltet werden. Mehrere Regionalregierungen klagten, dies werde zu weniger Konsum und mehr Unsicherheit führen. Die konservative Regierungschefin der Region Madrid, Isabel Díaz Ayuso, will beim Verfassungsgericht gegen den Sparplan klagen. dpa

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    Studie: Europa kann Bedarf an E-Auto-Batterien selbst decken

    Bis 2030 müssen weltweit 290 Milliarden Euro investiert werden, um den Bedarf an Batterien für E-Autos zu decken. Dies geht aus einer Studie der Unternehmensberatung PWC hervor. 15 Prozent von den benötigten Investitionen für den Markthochlauf seien bereits getätigt. In China, wo bis 2030 Batterien mit einer Kapazität von gut 1600 Gigawattstunden gebaut werden müssten, sei bereits ein Viertel der bis 2030 fälligen Investitionen getätigt worden.

    Europa, wo 940 Gigawattstunden gebraucht würden, hinke deutlich hinterher. Hier seien erst fünf Prozent der benötigten Summen geflossen. In den USA, wo 520 Gigawattstunden benötigt werden, seien neun Prozent der benötigten Gelder bereits investiert. Im Rest der Welt würden 510 Gigawattstunden gebraucht, acht Prozent der fälligen Investitionen seien bereits geflossen.

    Bedarf an Batterien steigt um 34 Prozent jährlich

    Im Schnitt werde der Bedarf an Batterien für E-Autos bis 2030 jährlich um 34 Prozent ansteigen. Wegen der hohen Nachfrage hätten Unternehmen, die die Batteriefabriken aufbauen, gute Bedingungen für Investitionen. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass 2025 in der EU 32 Prozent der Neuwagen batterieelektrisch unterwegs sind, 2030 65 Prozent. In den USA liege der Anteil von E-Autos 2025 bei 14 Prozent und 2030 bei 26 Prozent. In China seien 2025 30 Prozent der Neuwagen batterieelektrisch unterwegs und 2030 56 Prozent.

    Für das Jahr 2030 geht die Studie davon aus, dass es 19 Millionen neu zugelassene E-Autos in China gibt. China werde damit Marktführer. Für Europa rechnet man für 2030 mit zwölf Millionen Neuzulassungen von E-Autos. Die USA würden der drittgrößte Markt für E-Autos, Amerika werde aber beim Markthochlauf fünf Jahre hinter China und Europa zurück sein.

    Europa: Batterie ab 2030 gedeckt

    Der Studie zufolge wird Europa den Batteriebedarf im Jahr 2030 aus eigener Produktion decken können. Im Jahr 2025 werde sogar ein Überschuss an Batterien für E-Autos in Europa produziert. Der US-Markt werde aber sowohl in 2025 und noch in 2030 den Bedarf nicht aus eigener Produktion decken können. Derzeit dominiere China massiv die Lieferkette von Batterien. 80 Prozent der Batteriezellen und anderer Bestandteile der Batterien stammten aus China.

    Europäische Fabriken hätten 2021 ein Viertel aller in dem Jahr weltweit produzierten E-Autos hergestellt. Dagegen sei weniger als ein Zehntel der Weltproduktion bei Batteriezellen aus Europa gekommen, und der Anteil der europäischen Produktion von den Batteriebestandteilen wie Kathoden und Anoden sowie bei Rohstoffen für die Zellproduktion sei wesentlich geringer gewesen. mgr

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    EU macht Deutschland vier Entlastungsvorschläge für Gaskunden WELT
    Verfassungsschutz erwartet mehr russische Propaganda und Spionage ZEIT
    Wie die “Strompreisbremse” in Österreich funktionieren soll FAZ
    Tschechien kündigt Obergrenze für Miet- und Heizkosten an DERSTANDARD
    Norwegen muss alte Öl- und Gasfelder auf Ökostrom umstellen oder stilllegen EURACTIV
    Die toten Fische machen Polens Regierung zu schaffen FAZ

    Heads

    Hannah Neumann – Pragmatische Idealistin

    Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen/EFA. 
    Hannah Neumann ist Mitglied des Europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen/EFA. 

    AfD und Pegida sind mit ein Grund dafür, dass Hannah Neumann heute im EU-Parlament sitzt. Die promovierte Friedens- und Konfliktforscherin war 2016 so schockiert über den Aufstieg der Rechtsextremen in Deutschland, über den Brexit und die Wahl von Donald Trump, dass sie beschloss, sich politisch zu engagieren. Sie begann als Kreisvorsitzende für die Grünen in Berlin-Lichtenberg.

    “Als jemand, der viel in Kriegsgebieten unterwegs war, habe ich gesehen, wie schnell aus Hass Gewalt wird, die eskaliert und eine Gesellschaft zerreißt”, sagt die 38-jährige Rheinland-Pfälzerin. Sie wollte wenigstens sagen können, dass sie etwas dagegen getan hatte, wenn es in Europa wirklich schiefgehen sollte. Bevor sie in die Politik ging, hatte Hannah Neumann als Konflikt- und Friedensforscherin an der FU Berlin untersucht, wie Friedensabkommen auf lokaler Ebene implementiert werden. Dafür war sie vor allem auf den Philippinen und in Liberia unterwegs.

    Der Weg in die Politik erwies sich als der richtige. 2019 luden die Grünen sie ein, für das EU-Parlament zu kandidieren. “Und das hat erstaunlich gut geklappt.”

    Waffenlieferungen in die Ukraine sind grüne Politik

    In Brüssel und Straßburg bleibt sie an der Außenpolitik interessiert. Sie ist Vorsitzende der Delegation für die Beziehungen zur Arabischen Halbinsel und sitzt in mehreren Unterausschüssen wie Menschenrechte oder Sicherheit und Verteidigung. Allein in diesem Jahr reiste sie für das Europäische Parlament in den Irak, nach Katar, Afghanistan, Kuwait, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Kolumbien.

    Doch auch in Europa gibt es angesichts des russischen Krieges in der Ukraine schon genug für eine außenpolitisch orientierte Abgeordnete zu tun. Wie viele linksorientierte Politiker hat sie in den letzten Monaten Positionen angenommen, die normalerweise als unvertretbar gelten. Neumann hingegen ist pragmatisch. “Bei den Waffenlieferungen in die Ukraine war mir von Anfang an klar, dass es in dieser Situation ehrlich gesagt ziemlich ‘grün’ ist, Waffen zu liefern.” Nur wenn das Völkerrecht respektiert werde, könne man über Abrüstung sprechen.

    Die Erhöhung der Militärausgaben in den Staatshaushalten muss für eine Grüne schmerzhaft sein, oder? “Ich glaube, jeder würde das Geld lieber für den Klimaschutz ausgeben als für das Militär”, seufzt sie. Leider sei die Situation so, wie sie ist.

    Engagement für Frauen in der Außenpolitik

    Wiederum pragmatisch setzt sich Neumann jetzt für eine gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern in Europa ein. Man müsse aber darauf achten, dass die Rüstungskonzerne davon nicht unnötig profitieren. “Wir müssen sicherstellen, dass wir für das Geld auch viele Waffen bekommen”, sagt sie. Das Thema wird in den kommenden Monaten eine Priorität sein.

    “Das sind schwierige politische Fragen, aber ich bin auf jeden Fall nicht in die Politik gegangen, um heilige grüne Positionen zu vertreten.” Es gehe darum, die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.

    Die Pragmatikerin nimmt sich auch Zeit für ihre Ideale. Sie spricht oft über die Unterrepräsentation von Frauen in der von Männern dominierten Welt der Außenpolitik. In Brüssel, sagt Neumann, habe es eine Weile gedauert, bis man ihr zugehört habe. Deswegen macht sie bei “SHEcurity” mit. Der Index zeigt geschlechtsspezifische Ungleichheiten auf und sammelt Daten zu Politik, Diplomatie, Militär, Polizei, zivilen und militärischen Missionen sowie zur Wirtschaft. Das Ziel ist einfach: “Mehr Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik.” Ella Joyner

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    Europe.Table Redaktion

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