gut klingende Ziele reichen beim Klimaschutz nicht. Sie müssen nicht nur rechtlich bindend, sondern schlussendlich auch einklagbar sein. Doch das ist in vielen EU-Ländern kaum möglich und betrifft vor allem die Reduktionsziele, die nicht vom europäischen Emissionshandel abgedeckt sind, die also von allen Mitgliedsländern individuell erreicht werden müssen. Wie das EU-Parlament gegensteuern will, erklärt mein Kollege Lukas Scheid.
Lukas Scheid können Sie am Freitag, 14. Oktober, 11 Uhr, übrigens live erleben. Er wird mit dem ETS-Berichterstatter des EU-Parlaments, Peter Liese (CDU), Juliette De Grandpré (WWF), Ökonom Florian Rothenberg (ICIS) und Henry Borrmann (Die Familienunternehmer) über die ambitionierte Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) und den damit einhergehenden steigenden CO2-Preis diskutieren. Hier kostenfrei anmelden!
Über die Balkan-Route kommen wieder verstärkt Flüchtlinge nach Europa. Am Freitag beraten die EU-Innenminister in Luxemburg darüber, wie Beitrittskandidaten wie Serbien ihre Visumspflicht anpassen müssen, um die illegale Einwanderung zu begrenzen. Hans-Peter Siebenhaar und Stephan Israel haben die Details.
Diversifizierung statt vollständiger Entkopplung vom chinesischen Markt – diese Marschroute hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem gestrigen Maschinenbaugipfel des Branchenverbands VDMA in Berlin bekräftigt. Aus der EU-Kommission und dem Auswärtigen Amt kommen ähnliche Töne. Scholz’ Stippvisite in Peking im November wird trotzdem nicht unter dem Stern neuer Diplomatieversuche stehen. Fraglich ist, warum er überhaupt alleine zu Xi Jinping fährt, schreiben Amelie Richter und Till Hoppe in ihrer Analyse.
Scholz unterstützte gestern auch erstmals öffentlich eine Beschleunigung der Ratifizierung ausgehandelter Freihandelsabkommen, wie es die EU-Kommission und das EU-Parlament vorschlagen. Statt einer Ratifizierung durch alle Länder sollte man darüber nachdenken, ob “EU only für solche Handelsverträge nicht doch besser ist”, sagte er.
Artikel 4 der Effort Sharing Regulation (ESR) legt fest, dass alle EU-Länder ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um einen individuell festgelegten Prozentsatz reduzieren müssen. Mit dem Fit-for-55-Paket hat die EU-Kommission vorgeschlagen, diese Reduktionsziele noch einmal anzuheben. Beispielsweise waren für Deutschland zuvor Minus 38 Prozent im Vergleich zu 2005 veranschlagt, nun soll das Reduktionsziel auf 50 Prozent erhöht werden. Insgesamt sollen die EU-Staaten gemeinsam ihre Emissionen in den ESR-Sektoren bis 2030 um 40 Prozent senken.
Zwar sind die Reduktionsziele für die Mitgliedstaaten EU-rechtlich verbindlich, doch nicht EU-weit durch die Zivilgesellschaft einklagbar. In Deutschland ist das weniger akut. Hierzulande können Umweltverbände die Umsetzung geltenden Umweltrechts vor nationalen Gerichten einklagen und die Bundesregierung müsste bei einer Verurteilung auch handeln.
Allerdings sei das nicht überall in der EU der Fall, schreibt das European Environmental Bureau (EEB) in einer Stellungnahme. “In vielen nationalen Rechtssystemen gibt es keine oder nur unzureichende Bestimmungen, die es der Öffentlichkeit ermöglichen, vor Gericht gegen Umweltentscheidungen vorzugehen.” In der Praxis sei es für NGOs und Bürger daher oft schwierig, vor Gericht zu bestehen, so das EEB.
Das EU-Parlament möchte deshalb eine entsprechende Formulierung in die ESR-Verordnung aufnehmen: “Die Mitgliedstaaten stellen im Einklang mit ihrer nationalen Rechtsordnung sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, […] Organisationen oder Gruppen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben.” Ein solcher Zusatz in der ESR sei laut EEB “ein Schutz davor, dass rechtliche Verpflichtungen zu leeren Versprechungen werden“.
Allerdings sehen weder der Kommissionsvorschlag noch die allgemeine Ausrichtung des Rates einen solchen Zusatz zum Zugang zu Gerichten vor. In den Trilogverhandlungen, die am Dienstag nach der Sommerpause fortgesetzt wurden, wird dies ein ganz wesentlicher Knackpunkt werden. Ob sich das Parlament mit so einer Compliance-Regelung durchsetzen kann, sei völlig offen, schätzt Nils Meyer-Ohlendorf, Senior Fellow für European Governance beim Ecologic Institute.
Das liege vor allem daran, dass Mitgliedsstaaten keine Klima-Klagen wollten. “Das ist eigentlich widersprüchlich, denn es geht nur um die Absicherung bestehender Rechtspflichten und starken Rechtsschutz”, sagt Meyer-Ohlendorf. Außerdem gebe es bereits im Umweltrecht Präzedenzfälle, in denen das EU-Recht Umweltverbänden vergleichbare Klagerechte einräumt.
Meyer-Ohlendorf meint die Richtlinien zu Industrieemissionen von 2010 und zur Umweltverträglichkeitsprüfung von 2011. Hier haben Kommission und Mitgliedsländer einem Klagerecht vor nationalen Gerichten zugestimmt. Womöglich deshalb griff das Parlament in seinem Vorschlag zur Überarbeitung der ESR auf eine nahezu identische Formulierung zurück, wie in den beiden vorangegangenen Verordnungen. Das Parlament erhofft sich dadurch bessere Chancen, dass der Artikel den Trilog überlebt.
Ohne ihn sind die Möglichkeiten, die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der ESR-Ziele zu bewegen, deutlich begrenzter. Zwar gibt es in der ESR bereits Compliance-Regelungen: Mitgliedstaaten müssen bei Überschreitung der erlaubten Emissionen im folgenden Jahr eine entsprechend höhere Menge reduzieren und ihnen kann vorübergehend untersagt werden, Teile seiner Emissionszuweisung an einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen. Doch darüber hinaus gibt es nur das unbeliebte Vertragsverletzungsverfahren.
Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institute hält den Zugang zu nationalen Gerichten in der ESR daher für umso wichtiger. “Es könnte die Dinge grundlegend ändern, da es neben der Kommission einen weiteren zivilgesellschaftlichen Kläger gibt.” Dies würde den Druck auf nationale Regierungen deutlich erhöhen. Dass sich die Gerichte in so einem Fall auch der Klage durch Umweltverbände anschließen, hält er deshalb für durchaus möglich.
Die Westbalkan-Route von Griechenland über Nordmazedonien und Serbien nach Ungarn und Österreich ist erstmals seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wieder in den Schlagzeilen. Das Thema ist diesen Freitag auf der Agenda der EU-Innenminister in Luxemburg. “In Österreich kommen wir wahrscheinlich in diesem Jahr auf illegale Grenzübertritte wie im Jahr 2015″, prognostiziert Michael Spindelegger, Generaldirektor des Internationalen Centre for Migration Policy Development (ICMPD) in Wien.
“Im vergangenen Jahr gibt es ein massives Ansteigen von Flüchtlingen auf der Westbalkan-Route von Nordmazedonien über Serbien und Ungarn nach Österreich und Deutschland. Auf der Westbalkan-Route haben wir in diesem Jahr einen Anstieg von 190 Prozent im Vergleich zu 2021 festgestellt. Das ist ein Alarmsignal”, resümiert der frühere österreichische Vizekanzler und Außenminister.
Der internationalen Organisation ICMPD mit 500 Mitarbeitern und weltweit 30 Büros gehören 19 Staaten an, darunter auch Österreich und Deutschland. Spindelegger verweist bei seinem Alarmruf auf die jüngsten Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Mit 86.581 illegalen Grenzübertritten auf der Westbalkan-Route im Zeitraum Januar bis August dieses Jahres gab es fast eine Verdoppelung.
Die meisten Flüchtlinge kamen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Indien und Ägypten. Das Migrationsproblem wächst mit dem Rückgang der Pandemie auch für die gesamte EU. Insgesamt gab es zwischen Januar und August 188.200 illegale Grenzübertritte in den Schengenraum. Das entspricht einer Steigerung um 75 Prozent.
Die Migrationsexperten des ICMPD befürworten einen verstärkten Grenzschutz und eine schnelle Zurückweisung von Asylbewerbern, die keine Chance auf Anerkennung ihrer Fluchtgründe haben. Damit gibt der 62-jährige Spindelegger seinem Parteifreund Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Flankenschutz. Dieser hat die wachsende illegale Immigration als politisches Thema für sich entdeckt. “Österreich ist derzeit massiv von illegaler Migration belastet. Der solidarische Beitrag, den wir in Europa leisten, ist überproportional hoch”, sagt der Regierungschef.
Nehammer nähert sich der Linie von Ungarns Premier Viktor Orbán an. Der rechtspopulistische Ministerpräsident lud vor kurzem Nehammer und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zum Asyl-Gipfel nach Budapest. Das Trio sah dringenden Handlungsbedarf angesichts stark steigender Zahlen von irregulären Flüchtlingen auf der Balkan-Route.
“Solange der Kampf gegen illegale Migration & Schlepperei sowie Rückführungen auf EU-Ebene nicht funktionieren, müssen wir alles tun, um gemeinsam die Grenzen zu schützen”, twitterte Nehammer nach dem Treffen. “Solange die EU nicht mit effizienten Maßnahmen eingreift, müssen wir uns selbst helfen. Daher tut Österreich alles, um sich zu schützen.”
So wird Serbien dazu gedrängt, seine Visumspolitik zu ändern, damit Migranten nicht legal in das Balkanland einreisen und dann illegal weiter nach Österreich und Deutschland reisen. “Die Anpassung an EU-Regeln in Serbien wäre ein großer Schritt. Wenn Serbien mit den Nachbarländern Ungarn und Österreich kooperiert, ist das eine gute Initiative”, sagte Spindelegger im Interview mit Europe.Table.
Hier wollen auch die EU-Innenminister am Freitag in Luxemburg ansetzen. Als Beitrittskandidaten seien alle Staaten des Westbalkans verpflichtet, ihre Visumspolitik jener der EU anzupassen, sagen Diplomaten in Brüssel. Immerhin habe Serbien beim Dreiergipfel mit Ungarn und Österreich in Budapest eine Anpassung in Aussicht gestellt. Aus Ländern wie Indien, Indonesien, Ägypten oder Burundi kann man derzeit noch ohne Visum nach Belgrad fliegen. Alle sechs Staaten des westlichen Balkans seien jedoch bei der Visumspolitik im Verzug, betonen EU-Diplomaten.
Seit September sind Inder nach Angaben des Migrationszentrums die größte Gruppe der illegalen Migranten. Die genauen Gründe seien unbekannt. Dabei gehen ihre Chancen auf Anerkennung “gegen null”, wie Spindelegger feststellt.
Die Visumspolitik der Balkanländer ist aber nicht die einzige Ursache für steigende Zahlen auf der Migrationsroute. So erhöht die türkische Führung mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr den Druck auf Flüchtlinge im Land, in ihre Heimat zurückzukehren. Viele Syrer und auch Afghanen machen sich deshalb auf den Weg Richtung Europa.
Spindelegger fordert von der EU und den Mitgliedsländern, mehr legale Einwanderung zu ermöglichen und illegale Immigration zu verhindern. “Vor Migration müssen wir uns nicht fürchten, wenn wir sie gut organisieren und in die geeigneten Bahnen führen”, sage er. “Wir müssen legale Angebote schaffen, um beispielsweise den Mangel an Arbeitskräften zu beheben.”
Auch Deutschland hat angesichts wieder zunehmender Flüchtlingszahlen über die Balkan-Route die Grenzkontrollen zu Österreich über den November hinaus für ein weiteres halbes Jahr verlängert. Es sei wichtig, für eine Begrenzung zu sorgen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach einem Treffen mit Vertretern von Ländern und Kommunen am Dienstag in Berlin. Zugleich sei die Schleierfahndung im deutsch-tschechischen Grenzgebiet verstärkt worden, Österreich und Tschechien hätten zudem zugesagt, Grenzkontrollen zur Slowakei einzuführen. mit Stephan Israel
Nach etwas mehr als drei Jahren Corona-Pause reist ein deutsches Regierungsoberhaupt wieder nach China. Auf der Stippvisite von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang November in Peking liegen durchaus Erwartungen, scheint es doch wie der offizielle Startschuss für eine Wiederaufnahme der persönlichen Diplomatie zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik – und damit eigentlich auch für eine Chance der Neukalibrierung der Beziehungen.
Große Änderungen im Auftreten gegenüber China wird es beim ersten Scholz-Besuch aber wahrscheinlich nicht geben. Die Reisedauer ist zu kurz, das Timing nach dem Parteitag schwierig. Und das größte Problem: Weder Berlin noch Brüssel treten derzeit mit einer gemeinsamen Stimme auf.
Beim Maschinenbaugipfel des Branchenverbands VDMA sprach sich der Bundeskanzler am Dienstag denn auch deutlich gegen eine Entkopplung von der Volksrepublik aus: “Die Globalisierung war ein Erfolg, sie hat Wohlstand für viele Länder ermöglicht. Wir müssen sie verteidigen. Decoupling ist die falsche Antwort”, so Scholz. Eine Politikwende, wie sie die Koalitionspartner zum Teil fordern, klingt anders.
Die richtige Antwort sei Diversifizierung, so Scholz. “Wir müssen uns nicht abkoppeln von einigen Ländern, ich sage ausdrücklich auch Geschäfte mit China weiter machen, aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir auch mit der übrigen Welt Handel treiben. Das übrige Asien in den Blick nehmen, Afrika in den Blick nehmen, den Süden Amerikas.” EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis plädierte am Dienstag ebenfalls gegen den Rückzug europäischer Firmen vom chinesischen Markt. “Eine Abkopplung von China ist für unsere Unternehmen keine Option: China ist ein wichtiger Wachstumsmarkt und ein wichtiger Lieferant für bezahlbare Vorprodukte.”
Ähnliche Töne kommen auch aus dem Auswärtigen Amt, wo derzeit die erste China-Strategie der Bundesregierung entsteht. “Wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren heißt nicht, dass wir uns komplett von China entkoppeln wollen“, erklärt Petra Sigmund, Leiterin der Asienabteilung, laut Handelsblatt. “Es geht um Risikomanagement, nicht um Entkopplung.” Sigmund betont demnach, dass Deutschland weiter mit China zusammenarbeiten wolle. “Aber wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass es kein einfaches ‘Weiter so’ geben wird.” So weit, so einig.
Bei anderen Themen, beispielsweise dem Umgang mit Taiwan, driften innerhalb der Ampelregierung allerdings die Vorstellungen auseinander: Während Grüne und FDP rhetorisch gegen China aufrüsten, blockiert das Kanzleramt einen nennenswerten Kurswechsel. Wie sich das in der China-Strategie widerspiegeln wird, ist offen. Das Papier wird frühestens für das Frühjahr 2023 erwartet. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag stellte dazu am Dienstag eine kleine Anfrage, um über den aktuellen Stand informiert zu werden.
Die vorerst letzte deutsche Delegation war im September 2019 mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Wuhan zu Gast. Während der Pandemie gab es aus der EU keine alleinstehenden bilateralen Treffen in China. Polens Präsident Andrzej Duda reiste im Februar dieses Jahres als einziger EU-Staats- oder Regierungschef zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele an. Aus Europa waren neben Duda noch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und der Großherzog von Luxemburg, Henri, angereist. Der EU-China-Gipfel per Videokonferenz im April verlief ergebnislos. Persönliche Reisen von ranghohen Brüsseler Vertretern in die Volksrepublik seien vorerst nicht vorgesehen, heißt es aus EU-Kreisen.
Denn auch in Brüssel scheiden sich an der China-Strategie des Blocks derzeit die Geister. Während sich Wirtschaftskommissar Dombrovskis gegen Decoupling ausspricht, hält EU-Außenpolitikchef Josep Borrell eine für EU-Verhältnisse geradezu flammende und ungewöhnlich direkte Rede über eine Welt, in der von einer Zusammenarbeit mit China nichts mehr zu erwarten sei. Die EU habe sich zu sehr auf billige Energie aus Russland und den riesigen Markt in der Volksrepublik verlassen, so der Spanier.
“Die Menschen sind sich dessen nicht bewusst, aber die Tatsache, dass Russland und China nicht mehr diejenigen sind, die sie für unsere wirtschaftliche Entwicklung waren, wird eine starke Umstrukturierung unserer Wirtschaft erfordern”, sagte Borrell vor den versammelten EU-Botschaftern am Montag. “Sie – China und Russland – haben unseren Wohlstand begründet. Das ist eine Welt, die es nicht mehr gibt.” Borrell warnte zudem vor einem generellen Trend zu Autokratien in der Welt. Europa könne sich dabei auch nicht mehr auf den Schutz der USA verlassen.
Ob sich die bemerkenswerte Rede Borrells auch in der Praxis niederschlagen wird, zeigt sich in der kommenden Woche: Die EU-Außenminister werden sich am kommenden Montag treffen, auf der Agenda steht dabei auch China – passend zum Start des Parteitags am Sonntag in Peking. Erwartet wird, dass die Minister auch einen Blick auf die China-Strategie der EU werfen. Am Donnerstag und Freitag werden dann die EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen “Asien” auf der Tagesordnung stehen haben. Für eine tiefergehende Debatte zu China habe die Vorbereitungszeit gefehlt, hieß es in EU-Kreisen.
Dass Scholz alleine Peking besuche und nicht gemeinsam mit EU-Vertretern und dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, um mehr Schulterschluss zu zeigen, sei generell keine gute Entscheidung gewesen, meint Alicia García-Herrero, China-Expertin bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel im Gespräch mit Table Media. Der Auftritt und das Timing für den Besuch seien nicht ausgegoren – direkt nach dem Parteitag wirke Scholz’ Besuch wie eine Hofierung Xi Jinpings. “Natürlich wird er ihn zur Bestätigung im Amt beglückwünschen müssen”, sagt García-Herrero. “Warum hat er ihn nicht einfach am Rande des G20-Gipfels in Bali getroffen, wie zum Beispiel US-Präsident Biden es macht?”
Inhaltlich hat die Analystin keine großen Erwartungen an das bilaterale Treffen. Scholz reist voraussichtlich ohne größere Delegation. “Die Frage ist, was Scholz dort auf den Tisch legen wird. Wird er warnen, dass China die europäischen Unternehmen verliert?” Das setze jedoch voraus, dass Scholz nach Peking eingeladen wurde, um “zu sprechen und nicht nur zuzuhören”, so García-Herrero. Der Bundeskanzler werde auf einen chinesischen Präsidenten treffen, der derzeit eigentlich niemandem zuhören müsse. Nach dem Parteitag werde sich Xi auf dem Gipfel der Macht befinden.
Die Einladung an Scholz für November hatte Xi Medienberichten zufolge bereits im Juli ausgesprochen. Die Reaktionen darauf waren eher verhalten, da Xi theoretisch erst im Oktober im Amt bestätigt werden sollte. Peking habe den Besuch unbedingt gewollt, sagt EU-Handelskammerchef Jörg Wuttke. So sollte gezeigt werden, dass China wieder mitspiele “im Konzert der Großen”.
“Der Scholz-Besuch vor dem G20-Treffen zeigt, dass die Welt wieder nach China kommt”, so Wuttke. Er verweist auch auf die persönlichen Kosten, die die Vertreter Chinas für die Ein-Tages-Stippvisite des Bundeskanzlers zahlen: “Was man natürlich nicht erwähnt ist, dass man damit chinesischen Würdenträgern eine siebentägige Quarantäne aufbürdet.” mit Till Hoppe
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, Freihandelsabkommen allein durch Europaparlament und Rat zu ratifizieren. “Wir müssen über die Frage nachdenken, ob EU only für solche Handelsverträge nicht doch besser ist”, sagte er beim Maschinenbaugipfel in Berlin. Es sei eine “etwas komplizierte Idee”, dass die EU die Kompetenz für die Handelspolitik habe, aber die Parlamente in den Mitgliedstaaten und manchmal sogar Regionalregierungen zustimmen müssten, um ein Handelsabkommen zu ratifizieren.
Der Kanzler unterstützt damit erstmals öffentlich die Bestrebungen in EU-Kommission und Europaparlament, die Ratifizierung ausgehandelter Verträge zu beschleunigen. Bislang müssen diese in allen Mitgliedstaaten abgesegnet werden, in Belgien auch auf regionaler Ebene. Die Folge: Das CETA-Abkommen mit Kanada ist fünf Jahre nach dem vorläufigen Inkrafttreten in vielen Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert.
Der Europäische Gerichtshof hatte in einem Gutachten 2017 am Fall des Abkommens mit Singapur aufgezeigt, welche Bestandteile eines Handelsabkommens unter reine EU-Kompetenz fallen und welche die Zustimmung in allen EU-Staaten erfordern. Der überwiegende Teil ist demnach EU only. Die Bestimmungen zu Nachhaltigkeit, bestimmten Investitionen und Investor-Staat-Streitbeilegung fallen laut EuGH aber in die gemischte Kompetenz.
Die EU-Kommission will dazu übergehen, diese Teile auszugliedern. “Das würde uns eine effizientere Entscheidungsfindung ermöglichen“, sagte Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Dienstag. Auch in der Industrie erntet Scholz Lob: Der Kanzler habe eine “ganz wichtige Aussage getätigt”, sagte der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Karl Haeusgen.
Scholz kritisierte zugleich deutlich die US-Regierung für den jüngst verabschiedeten Inflation Reduction Act. Es könne nicht sein, dass Politiker in ihren Ländern im Namen des Klimaschutzes ihre Industrie vor Wettbewerb schützen. Sonst drohe am Ende ein Zollkrieg. “Deshalb werden wir den Inflation Reduction Act unserer amerikanischen Freunde noch einmal vertieft diskutieren”, sagte er. Es sei sinnvoller, hier in einem Klimaclub zusammenzuarbeiten. Zuvor hatte bereits die EU-Kommission Kritik an Bestimmungen in dem Gesetzespaket geäußert, weil dieses etwa die heimischen Batteriehersteller bevorzuge. tho
EU-Kommission, Rat und Parlament haben gestern Fortschritte in den Verhandlungen über die EU-Batterieverordnung erzielt. Beim dritten formellen Trilog diskutierten die Institutionen über Nachhaltigkeit, Sicherheitsanforderungen, Sorgfaltspflichtenbestimmungen und die Behandlung von Altbatterien.
Nach Informationen von Europe.Table wird mindestens ein weiterer Trilog erforderlich sein. Ein Termin für diesen steht noch nicht fest; er wird von den Fortschritten abhängen, die nun auf technischer Ebene in den vorbereitenden Sitzungen erzielt werden. Die tschechische Ratspräsidentschaft strebt an, die Trilog-Verhandlungen vor Jahresende abzuschließen.
Den Entwurf der Verordnung, mit der die bisherige Richtlinie über Batterien und Akkus aus dem Jahr 2006 ersetzt werden soll, hatte die Kommission bereits im Dezember 2020 veröffentlicht. Im April begannen die Trilog-Verhandlungen. Das Ziel ist, dass alle in Europa verkauften und importierten Batterien nachhaltig hergestellt und recycelt werden.
Eine Gruppe 35 europäischer NGOs, darunter Amnesty International, Transport & Environment und das European Environmental Bureau, hatten kurz vor dem Trilog-Treffen ein Schreiben an die verantwortlichen EU-Institutionen veröffentlicht. Sie fordern darin, die Sorgfaltspflichten für alle Arten von Batterien und für alle Unternehmen, einschließlich kleiner und mittelständischer Unternehmen, geltend zu machen und auch zukünftig im Bedarf wachsende Batterierohstoffe wie Kupfer, Eisen und Bauxit in die Verordnung aufzunehmen. “Diese Verordnung soll zum Vorbild für andere produktspezifische Gesetzesinitiativen werden sowie für andere Regionen, die ihr folgen werden”, heißt es in dem Brief. leo
Die globalen Stabilitätswächter haben nach den jüngsten Verwerfungen am Markt für Kryptowährungen weltweite Regeln für Cyberdevisen vorgeschlagen. Insgesamt stellte der Finanzstabilitätsrat (FSB) neun Empfehlungen auf, wie er am Dienstag mitteilte.
Dazu gehört unter anderem, dass Kryptowährungs-Unternehmen wie Banken Kapital vorhalten sollen, wenn sie ähnliche Geschäfte wie Finanzinstitute betreiben. Der Finanzstabilitätsrat koordiniert die Ausarbeitung von internationalen Standards und Finanzregeln innerhalb der G20, der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
In vielen Ländern sind Kryptowährungen weitgehend unreguliert. Anfang Juli hatte sich die Europäische Union als erste große Wirtschaftsregion auf Vorschriften für Kryptowährungen verständigt. Der Wert von Cyberdevisen war im Zuge der Marktturbulenzen der vergangenen Monate weltweit von etwa drei Billionen Dollar im November 2021 auf inzwischen nur noch rund 935 Milliarden Dollar gesunken.
Die Zinserhöhungen in den USA und die Aussicht auf schärfere Vorschriften hatten zu Kursstürzen geführt. Einige Krypto-Unternehmen wie etwa Voyager Digital mussten sogar Insolvenz anmelden.
Der niederländische Notenbankchef, Klaas Knot, Vorsitzender des Finanzstabilitätsrats, erklärte zu den Vorschlägen, die Börsenturbulenzen hätten das Führungsgremium in seiner Auffassung bestärkt, dass strukturelle Verwundbarkeiten bestünden. “Diese Turbulenzen haben einmal mehr die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes für eine Regulierung von Krypto-Assets unterstrichen”, erklärte er in einem Brief an die Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten.
Der FSB schlägt vor, einen aufsichtlichen Rahmen für die Überwachung und das Management von Risiken und Daten von Kryptofirmen einzurichten sowie Pläne für die reibungslose Abwicklung von Krypto-Unternehmen in Schieflage zu erstellen. Wenn solche Firmen Geschäfte wie bei Banken betrieben, sollte diese auch wie Banken reguliert werden.
Das zugrundelegende Prinzip sei, dass gleiche Aktivitäten auch gleich reguliert werden sollten, unabhängig davon, ob es sich um ein Kryptoasset-Unternehmen, eine Bank oder um einen Zahlungsanbieter handelt. Kryptofirmen müssten zudem möglicherweise einige ihrer Geschäfte klarer aufstellen, um dies sicherzustellen. Die Vorschläge streben eine international einheitliche Regulierung von Kryptowährungen hinweg an.
Die öffentlichen Konsultationen zu den Vorschlägen laufen noch bis zum 15. Dezember. Bis Mitte 2023 sollen sie finalisiert werden. Dann sollen die FSB-Mitgliedstaaten sie zügig umsetzen. rtr
Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) hat in einem am Dienstag veröffentlichten Papier erklärt, dass sie die Idee, große Technologie-Unternehmen wie Google und Netflix für die Telekommunikationsinfrastruktur zahlen zu lassen, nicht unterstützen.
Die Ergebnisse des Papieres kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Europäische Kommission darüber debattiert, ob die Internet-Plattformen verpflichtet werden sollten, digitale Infrastrukturen wie 5G-Telekommunikationsnetze zu finanzieren, da sie diese stark nutzen.
“Das GEREK hat keine Belege dafür gefunden, dass eine solche (direkte) Ausgleichsmethode angesichts der aktuellen Marktlage gerechtfertigt ist”, heißt es in den Schlussfolgerungen des GEREK. rtr
Nach dem Rückzug von Ska Keller soll heute ein “Generationswechsel” an der Spitze der Grünen-Fraktion im Europaparlament vollzogen werden. Dabei gehören die beiden, um die es geht, eher einer Generation an und auch noch einer vergleichsweise jungen: Die 40-jährige Keller aus Brandenburg hört auf, die 35-jährige Terry (Teresa) Reintke aus dem Ruhrgebiet kommt. Sie tritt als einzige Kandidatin bei der Wahl in der 72 Köpfe zählenden Fraktion an.
Sie dürfte ein gutes Ergebnis bekommen, es gibt keinen anderen Kandidaten. Sicher ist, dass Reintke nicht die Stimme von Keller bekommen wird. Keller befindet sich auf einer Delegationsreise in Mexiko und wird den Jubel von Reintke nicht mitbekommen.
Reintke wird, wie bei den Grünen üblich, die Fraktion zusammen mit einem Mann führen: Der Belgier Philippe Lamberts hat aber bereits seinen Rückzug für 2024 angekündigt. Wer auf ihn folgen könnte, lässt sich noch nicht absehen. Fest steht nur, dass er nicht aus Deutschland kommen soll.
Reintke verkörpert einen Politiker-Typus, der bei den Grünen besonders beliebt ist. Reintke hat ihr professionelles Profil fast ausschließlich auf ein Thema zugeschnitten. Ihr Thema ist eng mit ihrer Identität als Person verknüpft. Sie ist Feministin, sie kämpft vor allem für die Rechte von Frauen.
Sie hat hier schon einiges bewegt. So kann sie beanspruchen, dass sie die Me-Too-Bewegung aus den USA nach Europa geholt hat. Sie hat sie mitten ins Europaparlament gebracht. In einem sehr persönlichen Auftritt im Plenum hat sie 2017 beschrieben, wie sie selbst Opfer von sexueller Gewalt wurde. Sie prangerte auch die Belästigung auf den Fluren des Hohen Hauses an und ermunterte Frauen, die Opfer werden, nicht zu schweigen, sondern sich dagegen zu wehren. Sie thematisierte auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von parlamentarischen Assistenten, die etwa von Abgeordneten-Kollegen ausgenutzt werden, um sexuelle Beziehungen zu starten.
Sie setzte auch Veränderungen durch. So wurden im EU-Parlament Beschwerdestellen eingerichtet. Es gibt jetzt Seminare, bei denen neue Abgeordnete geschult und sensibilisiert werden. Sie würden auch rege von frisch gewählten Volksvertretern angenommen, nur das Interesse bei den Christdemokraten lasse noch zu wünschen übrig, hört man.
Sie fordert gleiche Rechte für alle ein, deren sexuelle Identität queer ist. Sie trennt nicht scharf zwischen ihrem Leben als Politikerin und ihrem Privatleben. So twittert sie etwa, wenn sie in der Beziehung mit ihrer Partnerin ein Jubiläum feiert. Und viele aus der Partei lassen dann das Paar hochleben.
Ihre Partnerin ist die hochrangige Grünen-Politikerin Mélanie Vogel aus Frankreich. Vogel ist Mitglied im Senat, dem Oberhaus der Nationalversammlung von Frankreich. Die beiden haben sich im Europaparlament kennengelernt. Es bleibt abzuwarten, ob in der Partei Anstoß genommen wird über die Ansammlung von so viel grüner Macht in nur einem Haushalt.
Reintke ist 2014 mit 27 Jahren ins Europaparlament eingezogen. In der innerparteilichen Dynamik bei den Grünen gehört sie zum linken Flügel der Partei. Sie hat in Schottland einen Teil ihres Politikstudiums absolviert und war früh in der Nachwuchsorganisation der Grünen Jugend auch auf europäischer Ebene tätig. Dort knüpfte sie die Netzwerke, auf die sie nicht zuletzt jetzt, da sie sich im Europaparlament zur Wahl stellt, aufbauen kann. Es wird damit gerechnet, dass sie auch auf europäischer Ebene Keller beerben und 2024 bei der Europa-Wahl auf Platz eins in Europa als Spitzenkandidatin antreten will.
Keine andere Partei als die Grünen hat so viele Politiker in ihren Reihen, bei denen die Grenzen zwischen Aktivist und Parlamentarier so fließend sind. Den Ton dafür hat Attack-Gründer Sven Giegold gesetzt, der bis 2021 die deutschen Grünen-Abgeordneten im Europaparlament angeführt hat. Zu seinem Arbeitsstil gehört, neben der klassischen Abgeordnetentätigkeit in den Ausschüssen, auch Kampagnen in enger Zusammenarbeit mit NGOs zu führen. Daran orientiert haben sich jüngere Abgeordnete wie Reintke. Ähnlich arbeiten auch der Stuttgarter Michael Bloss, der eine enge Beziehung mit der Klimaschutzbewegung pflegt, sowie Daniel Freund, dessen Thema Antikorruptionsbekämpfung ist.
Künftig wird Reintke ihr Spektrum erweitern müssen. Demnächst sitzt sie im Parlament in der ersten Reihe und darf als erste Abgeordnete ihrer Fraktion antworten, etwa wenn ein Staats- und Regierungschef in Straßburg seine Rede gehalten hat. Sie wird auch Arbeitsbeziehungen aufbauen müssen zum Führungspersonal der anderen Fraktionen.
Zur Politik gehört Inszenierung. Hier verfügt Reintke über beachtliches Talent. Ihre Auftritte in den sozialen Medien sind professionell inszeniert. Sie hat viel Energie investiert, die Briten zum Verbleiben in der EU zu bewegen. Aus dem Europaparlament heraus hat sie die Remainer-Bewegung unterstützt. Und als der Austritt des Vereinigten Königreichs endgültig war und im Plenum das Scheidungsdokument, der Austrittsvertrag der Briten, am 29. Januar 2020 beschlossen wurde, stimmte sie zum Abschied das alte schottische Lied “Auld Lang Syn” an. Es war ein bewegender Moment im Parlament, bei dem viele mitsangen und manchen die Tränen der Rührung kamen. Markus Grabitz
gut klingende Ziele reichen beim Klimaschutz nicht. Sie müssen nicht nur rechtlich bindend, sondern schlussendlich auch einklagbar sein. Doch das ist in vielen EU-Ländern kaum möglich und betrifft vor allem die Reduktionsziele, die nicht vom europäischen Emissionshandel abgedeckt sind, die also von allen Mitgliedsländern individuell erreicht werden müssen. Wie das EU-Parlament gegensteuern will, erklärt mein Kollege Lukas Scheid.
Lukas Scheid können Sie am Freitag, 14. Oktober, 11 Uhr, übrigens live erleben. Er wird mit dem ETS-Berichterstatter des EU-Parlaments, Peter Liese (CDU), Juliette De Grandpré (WWF), Ökonom Florian Rothenberg (ICIS) und Henry Borrmann (Die Familienunternehmer) über die ambitionierte Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) und den damit einhergehenden steigenden CO2-Preis diskutieren. Hier kostenfrei anmelden!
Über die Balkan-Route kommen wieder verstärkt Flüchtlinge nach Europa. Am Freitag beraten die EU-Innenminister in Luxemburg darüber, wie Beitrittskandidaten wie Serbien ihre Visumspflicht anpassen müssen, um die illegale Einwanderung zu begrenzen. Hans-Peter Siebenhaar und Stephan Israel haben die Details.
Diversifizierung statt vollständiger Entkopplung vom chinesischen Markt – diese Marschroute hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem gestrigen Maschinenbaugipfel des Branchenverbands VDMA in Berlin bekräftigt. Aus der EU-Kommission und dem Auswärtigen Amt kommen ähnliche Töne. Scholz’ Stippvisite in Peking im November wird trotzdem nicht unter dem Stern neuer Diplomatieversuche stehen. Fraglich ist, warum er überhaupt alleine zu Xi Jinping fährt, schreiben Amelie Richter und Till Hoppe in ihrer Analyse.
Scholz unterstützte gestern auch erstmals öffentlich eine Beschleunigung der Ratifizierung ausgehandelter Freihandelsabkommen, wie es die EU-Kommission und das EU-Parlament vorschlagen. Statt einer Ratifizierung durch alle Länder sollte man darüber nachdenken, ob “EU only für solche Handelsverträge nicht doch besser ist”, sagte er.
Artikel 4 der Effort Sharing Regulation (ESR) legt fest, dass alle EU-Länder ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um einen individuell festgelegten Prozentsatz reduzieren müssen. Mit dem Fit-for-55-Paket hat die EU-Kommission vorgeschlagen, diese Reduktionsziele noch einmal anzuheben. Beispielsweise waren für Deutschland zuvor Minus 38 Prozent im Vergleich zu 2005 veranschlagt, nun soll das Reduktionsziel auf 50 Prozent erhöht werden. Insgesamt sollen die EU-Staaten gemeinsam ihre Emissionen in den ESR-Sektoren bis 2030 um 40 Prozent senken.
Zwar sind die Reduktionsziele für die Mitgliedstaaten EU-rechtlich verbindlich, doch nicht EU-weit durch die Zivilgesellschaft einklagbar. In Deutschland ist das weniger akut. Hierzulande können Umweltverbände die Umsetzung geltenden Umweltrechts vor nationalen Gerichten einklagen und die Bundesregierung müsste bei einer Verurteilung auch handeln.
Allerdings sei das nicht überall in der EU der Fall, schreibt das European Environmental Bureau (EEB) in einer Stellungnahme. “In vielen nationalen Rechtssystemen gibt es keine oder nur unzureichende Bestimmungen, die es der Öffentlichkeit ermöglichen, vor Gericht gegen Umweltentscheidungen vorzugehen.” In der Praxis sei es für NGOs und Bürger daher oft schwierig, vor Gericht zu bestehen, so das EEB.
Das EU-Parlament möchte deshalb eine entsprechende Formulierung in die ESR-Verordnung aufnehmen: “Die Mitgliedstaaten stellen im Einklang mit ihrer nationalen Rechtsordnung sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, […] Organisationen oder Gruppen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht haben.” Ein solcher Zusatz in der ESR sei laut EEB “ein Schutz davor, dass rechtliche Verpflichtungen zu leeren Versprechungen werden“.
Allerdings sehen weder der Kommissionsvorschlag noch die allgemeine Ausrichtung des Rates einen solchen Zusatz zum Zugang zu Gerichten vor. In den Trilogverhandlungen, die am Dienstag nach der Sommerpause fortgesetzt wurden, wird dies ein ganz wesentlicher Knackpunkt werden. Ob sich das Parlament mit so einer Compliance-Regelung durchsetzen kann, sei völlig offen, schätzt Nils Meyer-Ohlendorf, Senior Fellow für European Governance beim Ecologic Institute.
Das liege vor allem daran, dass Mitgliedsstaaten keine Klima-Klagen wollten. “Das ist eigentlich widersprüchlich, denn es geht nur um die Absicherung bestehender Rechtspflichten und starken Rechtsschutz”, sagt Meyer-Ohlendorf. Außerdem gebe es bereits im Umweltrecht Präzedenzfälle, in denen das EU-Recht Umweltverbänden vergleichbare Klagerechte einräumt.
Meyer-Ohlendorf meint die Richtlinien zu Industrieemissionen von 2010 und zur Umweltverträglichkeitsprüfung von 2011. Hier haben Kommission und Mitgliedsländer einem Klagerecht vor nationalen Gerichten zugestimmt. Womöglich deshalb griff das Parlament in seinem Vorschlag zur Überarbeitung der ESR auf eine nahezu identische Formulierung zurück, wie in den beiden vorangegangenen Verordnungen. Das Parlament erhofft sich dadurch bessere Chancen, dass der Artikel den Trilog überlebt.
Ohne ihn sind die Möglichkeiten, die Mitgliedstaaten zur Einhaltung der ESR-Ziele zu bewegen, deutlich begrenzter. Zwar gibt es in der ESR bereits Compliance-Regelungen: Mitgliedstaaten müssen bei Überschreitung der erlaubten Emissionen im folgenden Jahr eine entsprechend höhere Menge reduzieren und ihnen kann vorübergehend untersagt werden, Teile seiner Emissionszuweisung an einen anderen Mitgliedstaat zu übertragen. Doch darüber hinaus gibt es nur das unbeliebte Vertragsverletzungsverfahren.
Meyer-Ohlendorf vom Ecologic Institute hält den Zugang zu nationalen Gerichten in der ESR daher für umso wichtiger. “Es könnte die Dinge grundlegend ändern, da es neben der Kommission einen weiteren zivilgesellschaftlichen Kläger gibt.” Dies würde den Druck auf nationale Regierungen deutlich erhöhen. Dass sich die Gerichte in so einem Fall auch der Klage durch Umweltverbände anschließen, hält er deshalb für durchaus möglich.
Die Westbalkan-Route von Griechenland über Nordmazedonien und Serbien nach Ungarn und Österreich ist erstmals seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wieder in den Schlagzeilen. Das Thema ist diesen Freitag auf der Agenda der EU-Innenminister in Luxemburg. “In Österreich kommen wir wahrscheinlich in diesem Jahr auf illegale Grenzübertritte wie im Jahr 2015″, prognostiziert Michael Spindelegger, Generaldirektor des Internationalen Centre for Migration Policy Development (ICMPD) in Wien.
“Im vergangenen Jahr gibt es ein massives Ansteigen von Flüchtlingen auf der Westbalkan-Route von Nordmazedonien über Serbien und Ungarn nach Österreich und Deutschland. Auf der Westbalkan-Route haben wir in diesem Jahr einen Anstieg von 190 Prozent im Vergleich zu 2021 festgestellt. Das ist ein Alarmsignal”, resümiert der frühere österreichische Vizekanzler und Außenminister.
Der internationalen Organisation ICMPD mit 500 Mitarbeitern und weltweit 30 Büros gehören 19 Staaten an, darunter auch Österreich und Deutschland. Spindelegger verweist bei seinem Alarmruf auf die jüngsten Zahlen der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Mit 86.581 illegalen Grenzübertritten auf der Westbalkan-Route im Zeitraum Januar bis August dieses Jahres gab es fast eine Verdoppelung.
Die meisten Flüchtlinge kamen aus Syrien, Afghanistan, Türkei, Indien und Ägypten. Das Migrationsproblem wächst mit dem Rückgang der Pandemie auch für die gesamte EU. Insgesamt gab es zwischen Januar und August 188.200 illegale Grenzübertritte in den Schengenraum. Das entspricht einer Steigerung um 75 Prozent.
Die Migrationsexperten des ICMPD befürworten einen verstärkten Grenzschutz und eine schnelle Zurückweisung von Asylbewerbern, die keine Chance auf Anerkennung ihrer Fluchtgründe haben. Damit gibt der 62-jährige Spindelegger seinem Parteifreund Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Flankenschutz. Dieser hat die wachsende illegale Immigration als politisches Thema für sich entdeckt. “Österreich ist derzeit massiv von illegaler Migration belastet. Der solidarische Beitrag, den wir in Europa leisten, ist überproportional hoch”, sagt der Regierungschef.
Nehammer nähert sich der Linie von Ungarns Premier Viktor Orbán an. Der rechtspopulistische Ministerpräsident lud vor kurzem Nehammer und den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić zum Asyl-Gipfel nach Budapest. Das Trio sah dringenden Handlungsbedarf angesichts stark steigender Zahlen von irregulären Flüchtlingen auf der Balkan-Route.
“Solange der Kampf gegen illegale Migration & Schlepperei sowie Rückführungen auf EU-Ebene nicht funktionieren, müssen wir alles tun, um gemeinsam die Grenzen zu schützen”, twitterte Nehammer nach dem Treffen. “Solange die EU nicht mit effizienten Maßnahmen eingreift, müssen wir uns selbst helfen. Daher tut Österreich alles, um sich zu schützen.”
So wird Serbien dazu gedrängt, seine Visumspolitik zu ändern, damit Migranten nicht legal in das Balkanland einreisen und dann illegal weiter nach Österreich und Deutschland reisen. “Die Anpassung an EU-Regeln in Serbien wäre ein großer Schritt. Wenn Serbien mit den Nachbarländern Ungarn und Österreich kooperiert, ist das eine gute Initiative”, sagte Spindelegger im Interview mit Europe.Table.
Hier wollen auch die EU-Innenminister am Freitag in Luxemburg ansetzen. Als Beitrittskandidaten seien alle Staaten des Westbalkans verpflichtet, ihre Visumspolitik jener der EU anzupassen, sagen Diplomaten in Brüssel. Immerhin habe Serbien beim Dreiergipfel mit Ungarn und Österreich in Budapest eine Anpassung in Aussicht gestellt. Aus Ländern wie Indien, Indonesien, Ägypten oder Burundi kann man derzeit noch ohne Visum nach Belgrad fliegen. Alle sechs Staaten des westlichen Balkans seien jedoch bei der Visumspolitik im Verzug, betonen EU-Diplomaten.
Seit September sind Inder nach Angaben des Migrationszentrums die größte Gruppe der illegalen Migranten. Die genauen Gründe seien unbekannt. Dabei gehen ihre Chancen auf Anerkennung “gegen null”, wie Spindelegger feststellt.
Die Visumspolitik der Balkanländer ist aber nicht die einzige Ursache für steigende Zahlen auf der Migrationsroute. So erhöht die türkische Führung mit Blick auf die Wahlen im nächsten Jahr den Druck auf Flüchtlinge im Land, in ihre Heimat zurückzukehren. Viele Syrer und auch Afghanen machen sich deshalb auf den Weg Richtung Europa.
Spindelegger fordert von der EU und den Mitgliedsländern, mehr legale Einwanderung zu ermöglichen und illegale Immigration zu verhindern. “Vor Migration müssen wir uns nicht fürchten, wenn wir sie gut organisieren und in die geeigneten Bahnen führen”, sage er. “Wir müssen legale Angebote schaffen, um beispielsweise den Mangel an Arbeitskräften zu beheben.”
Auch Deutschland hat angesichts wieder zunehmender Flüchtlingszahlen über die Balkan-Route die Grenzkontrollen zu Österreich über den November hinaus für ein weiteres halbes Jahr verlängert. Es sei wichtig, für eine Begrenzung zu sorgen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach einem Treffen mit Vertretern von Ländern und Kommunen am Dienstag in Berlin. Zugleich sei die Schleierfahndung im deutsch-tschechischen Grenzgebiet verstärkt worden, Österreich und Tschechien hätten zudem zugesagt, Grenzkontrollen zur Slowakei einzuführen. mit Stephan Israel
Nach etwas mehr als drei Jahren Corona-Pause reist ein deutsches Regierungsoberhaupt wieder nach China. Auf der Stippvisite von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang November in Peking liegen durchaus Erwartungen, scheint es doch wie der offizielle Startschuss für eine Wiederaufnahme der persönlichen Diplomatie zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik – und damit eigentlich auch für eine Chance der Neukalibrierung der Beziehungen.
Große Änderungen im Auftreten gegenüber China wird es beim ersten Scholz-Besuch aber wahrscheinlich nicht geben. Die Reisedauer ist zu kurz, das Timing nach dem Parteitag schwierig. Und das größte Problem: Weder Berlin noch Brüssel treten derzeit mit einer gemeinsamen Stimme auf.
Beim Maschinenbaugipfel des Branchenverbands VDMA sprach sich der Bundeskanzler am Dienstag denn auch deutlich gegen eine Entkopplung von der Volksrepublik aus: “Die Globalisierung war ein Erfolg, sie hat Wohlstand für viele Länder ermöglicht. Wir müssen sie verteidigen. Decoupling ist die falsche Antwort”, so Scholz. Eine Politikwende, wie sie die Koalitionspartner zum Teil fordern, klingt anders.
Die richtige Antwort sei Diversifizierung, so Scholz. “Wir müssen uns nicht abkoppeln von einigen Ländern, ich sage ausdrücklich auch Geschäfte mit China weiter machen, aber wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir auch mit der übrigen Welt Handel treiben. Das übrige Asien in den Blick nehmen, Afrika in den Blick nehmen, den Süden Amerikas.” EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis plädierte am Dienstag ebenfalls gegen den Rückzug europäischer Firmen vom chinesischen Markt. “Eine Abkopplung von China ist für unsere Unternehmen keine Option: China ist ein wichtiger Wachstumsmarkt und ein wichtiger Lieferant für bezahlbare Vorprodukte.”
Ähnliche Töne kommen auch aus dem Auswärtigen Amt, wo derzeit die erste China-Strategie der Bundesregierung entsteht. “Wirtschaftliche Abhängigkeiten zu reduzieren heißt nicht, dass wir uns komplett von China entkoppeln wollen“, erklärt Petra Sigmund, Leiterin der Asienabteilung, laut Handelsblatt. “Es geht um Risikomanagement, nicht um Entkopplung.” Sigmund betont demnach, dass Deutschland weiter mit China zusammenarbeiten wolle. “Aber wir sind uns in der Bundesregierung einig, dass es kein einfaches ‘Weiter so’ geben wird.” So weit, so einig.
Bei anderen Themen, beispielsweise dem Umgang mit Taiwan, driften innerhalb der Ampelregierung allerdings die Vorstellungen auseinander: Während Grüne und FDP rhetorisch gegen China aufrüsten, blockiert das Kanzleramt einen nennenswerten Kurswechsel. Wie sich das in der China-Strategie widerspiegeln wird, ist offen. Das Papier wird frühestens für das Frühjahr 2023 erwartet. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag stellte dazu am Dienstag eine kleine Anfrage, um über den aktuellen Stand informiert zu werden.
Die vorerst letzte deutsche Delegation war im September 2019 mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Wuhan zu Gast. Während der Pandemie gab es aus der EU keine alleinstehenden bilateralen Treffen in China. Polens Präsident Andrzej Duda reiste im Februar dieses Jahres als einziger EU-Staats- oder Regierungschef zur Eröffnung der Olympischen Winterspiele an. Aus Europa waren neben Duda noch Serbiens Präsident Aleksandar Vučić und der Großherzog von Luxemburg, Henri, angereist. Der EU-China-Gipfel per Videokonferenz im April verlief ergebnislos. Persönliche Reisen von ranghohen Brüsseler Vertretern in die Volksrepublik seien vorerst nicht vorgesehen, heißt es aus EU-Kreisen.
Denn auch in Brüssel scheiden sich an der China-Strategie des Blocks derzeit die Geister. Während sich Wirtschaftskommissar Dombrovskis gegen Decoupling ausspricht, hält EU-Außenpolitikchef Josep Borrell eine für EU-Verhältnisse geradezu flammende und ungewöhnlich direkte Rede über eine Welt, in der von einer Zusammenarbeit mit China nichts mehr zu erwarten sei. Die EU habe sich zu sehr auf billige Energie aus Russland und den riesigen Markt in der Volksrepublik verlassen, so der Spanier.
“Die Menschen sind sich dessen nicht bewusst, aber die Tatsache, dass Russland und China nicht mehr diejenigen sind, die sie für unsere wirtschaftliche Entwicklung waren, wird eine starke Umstrukturierung unserer Wirtschaft erfordern”, sagte Borrell vor den versammelten EU-Botschaftern am Montag. “Sie – China und Russland – haben unseren Wohlstand begründet. Das ist eine Welt, die es nicht mehr gibt.” Borrell warnte zudem vor einem generellen Trend zu Autokratien in der Welt. Europa könne sich dabei auch nicht mehr auf den Schutz der USA verlassen.
Ob sich die bemerkenswerte Rede Borrells auch in der Praxis niederschlagen wird, zeigt sich in der kommenden Woche: Die EU-Außenminister werden sich am kommenden Montag treffen, auf der Agenda steht dabei auch China – passend zum Start des Parteitags am Sonntag in Peking. Erwartet wird, dass die Minister auch einen Blick auf die China-Strategie der EU werfen. Am Donnerstag und Freitag werden dann die EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfeltreffen “Asien” auf der Tagesordnung stehen haben. Für eine tiefergehende Debatte zu China habe die Vorbereitungszeit gefehlt, hieß es in EU-Kreisen.
Dass Scholz alleine Peking besuche und nicht gemeinsam mit EU-Vertretern und dem französischen Staatschef Emmanuel Macron, um mehr Schulterschluss zu zeigen, sei generell keine gute Entscheidung gewesen, meint Alicia García-Herrero, China-Expertin bei der Brüsseler Denkfabrik Bruegel im Gespräch mit Table Media. Der Auftritt und das Timing für den Besuch seien nicht ausgegoren – direkt nach dem Parteitag wirke Scholz’ Besuch wie eine Hofierung Xi Jinpings. “Natürlich wird er ihn zur Bestätigung im Amt beglückwünschen müssen”, sagt García-Herrero. “Warum hat er ihn nicht einfach am Rande des G20-Gipfels in Bali getroffen, wie zum Beispiel US-Präsident Biden es macht?”
Inhaltlich hat die Analystin keine großen Erwartungen an das bilaterale Treffen. Scholz reist voraussichtlich ohne größere Delegation. “Die Frage ist, was Scholz dort auf den Tisch legen wird. Wird er warnen, dass China die europäischen Unternehmen verliert?” Das setze jedoch voraus, dass Scholz nach Peking eingeladen wurde, um “zu sprechen und nicht nur zuzuhören”, so García-Herrero. Der Bundeskanzler werde auf einen chinesischen Präsidenten treffen, der derzeit eigentlich niemandem zuhören müsse. Nach dem Parteitag werde sich Xi auf dem Gipfel der Macht befinden.
Die Einladung an Scholz für November hatte Xi Medienberichten zufolge bereits im Juli ausgesprochen. Die Reaktionen darauf waren eher verhalten, da Xi theoretisch erst im Oktober im Amt bestätigt werden sollte. Peking habe den Besuch unbedingt gewollt, sagt EU-Handelskammerchef Jörg Wuttke. So sollte gezeigt werden, dass China wieder mitspiele “im Konzert der Großen”.
“Der Scholz-Besuch vor dem G20-Treffen zeigt, dass die Welt wieder nach China kommt”, so Wuttke. Er verweist auch auf die persönlichen Kosten, die die Vertreter Chinas für die Ein-Tages-Stippvisite des Bundeskanzlers zahlen: “Was man natürlich nicht erwähnt ist, dass man damit chinesischen Würdenträgern eine siebentägige Quarantäne aufbürdet.” mit Till Hoppe
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich dafür ausgesprochen, Freihandelsabkommen allein durch Europaparlament und Rat zu ratifizieren. “Wir müssen über die Frage nachdenken, ob EU only für solche Handelsverträge nicht doch besser ist”, sagte er beim Maschinenbaugipfel in Berlin. Es sei eine “etwas komplizierte Idee”, dass die EU die Kompetenz für die Handelspolitik habe, aber die Parlamente in den Mitgliedstaaten und manchmal sogar Regionalregierungen zustimmen müssten, um ein Handelsabkommen zu ratifizieren.
Der Kanzler unterstützt damit erstmals öffentlich die Bestrebungen in EU-Kommission und Europaparlament, die Ratifizierung ausgehandelter Verträge zu beschleunigen. Bislang müssen diese in allen Mitgliedstaaten abgesegnet werden, in Belgien auch auf regionaler Ebene. Die Folge: Das CETA-Abkommen mit Kanada ist fünf Jahre nach dem vorläufigen Inkrafttreten in vielen Mitgliedstaaten noch nicht ratifiziert.
Der Europäische Gerichtshof hatte in einem Gutachten 2017 am Fall des Abkommens mit Singapur aufgezeigt, welche Bestandteile eines Handelsabkommens unter reine EU-Kompetenz fallen und welche die Zustimmung in allen EU-Staaten erfordern. Der überwiegende Teil ist demnach EU only. Die Bestimmungen zu Nachhaltigkeit, bestimmten Investitionen und Investor-Staat-Streitbeilegung fallen laut EuGH aber in die gemischte Kompetenz.
Die EU-Kommission will dazu übergehen, diese Teile auszugliedern. “Das würde uns eine effizientere Entscheidungsfindung ermöglichen“, sagte Handelskommissar Valdis Dombrovskis am Dienstag. Auch in der Industrie erntet Scholz Lob: Der Kanzler habe eine “ganz wichtige Aussage getätigt”, sagte der Präsident des Maschinenbauverbandes VDMA, Karl Haeusgen.
Scholz kritisierte zugleich deutlich die US-Regierung für den jüngst verabschiedeten Inflation Reduction Act. Es könne nicht sein, dass Politiker in ihren Ländern im Namen des Klimaschutzes ihre Industrie vor Wettbewerb schützen. Sonst drohe am Ende ein Zollkrieg. “Deshalb werden wir den Inflation Reduction Act unserer amerikanischen Freunde noch einmal vertieft diskutieren”, sagte er. Es sei sinnvoller, hier in einem Klimaclub zusammenzuarbeiten. Zuvor hatte bereits die EU-Kommission Kritik an Bestimmungen in dem Gesetzespaket geäußert, weil dieses etwa die heimischen Batteriehersteller bevorzuge. tho
EU-Kommission, Rat und Parlament haben gestern Fortschritte in den Verhandlungen über die EU-Batterieverordnung erzielt. Beim dritten formellen Trilog diskutierten die Institutionen über Nachhaltigkeit, Sicherheitsanforderungen, Sorgfaltspflichtenbestimmungen und die Behandlung von Altbatterien.
Nach Informationen von Europe.Table wird mindestens ein weiterer Trilog erforderlich sein. Ein Termin für diesen steht noch nicht fest; er wird von den Fortschritten abhängen, die nun auf technischer Ebene in den vorbereitenden Sitzungen erzielt werden. Die tschechische Ratspräsidentschaft strebt an, die Trilog-Verhandlungen vor Jahresende abzuschließen.
Den Entwurf der Verordnung, mit der die bisherige Richtlinie über Batterien und Akkus aus dem Jahr 2006 ersetzt werden soll, hatte die Kommission bereits im Dezember 2020 veröffentlicht. Im April begannen die Trilog-Verhandlungen. Das Ziel ist, dass alle in Europa verkauften und importierten Batterien nachhaltig hergestellt und recycelt werden.
Eine Gruppe 35 europäischer NGOs, darunter Amnesty International, Transport & Environment und das European Environmental Bureau, hatten kurz vor dem Trilog-Treffen ein Schreiben an die verantwortlichen EU-Institutionen veröffentlicht. Sie fordern darin, die Sorgfaltspflichten für alle Arten von Batterien und für alle Unternehmen, einschließlich kleiner und mittelständischer Unternehmen, geltend zu machen und auch zukünftig im Bedarf wachsende Batterierohstoffe wie Kupfer, Eisen und Bauxit in die Verordnung aufzunehmen. “Diese Verordnung soll zum Vorbild für andere produktspezifische Gesetzesinitiativen werden sowie für andere Regionen, die ihr folgen werden”, heißt es in dem Brief. leo
Die globalen Stabilitätswächter haben nach den jüngsten Verwerfungen am Markt für Kryptowährungen weltweite Regeln für Cyberdevisen vorgeschlagen. Insgesamt stellte der Finanzstabilitätsrat (FSB) neun Empfehlungen auf, wie er am Dienstag mitteilte.
Dazu gehört unter anderem, dass Kryptowährungs-Unternehmen wie Banken Kapital vorhalten sollen, wenn sie ähnliche Geschäfte wie Finanzinstitute betreiben. Der Finanzstabilitätsrat koordiniert die Ausarbeitung von internationalen Standards und Finanzregeln innerhalb der G20, der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
In vielen Ländern sind Kryptowährungen weitgehend unreguliert. Anfang Juli hatte sich die Europäische Union als erste große Wirtschaftsregion auf Vorschriften für Kryptowährungen verständigt. Der Wert von Cyberdevisen war im Zuge der Marktturbulenzen der vergangenen Monate weltweit von etwa drei Billionen Dollar im November 2021 auf inzwischen nur noch rund 935 Milliarden Dollar gesunken.
Die Zinserhöhungen in den USA und die Aussicht auf schärfere Vorschriften hatten zu Kursstürzen geführt. Einige Krypto-Unternehmen wie etwa Voyager Digital mussten sogar Insolvenz anmelden.
Der niederländische Notenbankchef, Klaas Knot, Vorsitzender des Finanzstabilitätsrats, erklärte zu den Vorschlägen, die Börsenturbulenzen hätten das Führungsgremium in seiner Auffassung bestärkt, dass strukturelle Verwundbarkeiten bestünden. “Diese Turbulenzen haben einmal mehr die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes für eine Regulierung von Krypto-Assets unterstrichen”, erklärte er in einem Brief an die Finanzminister und Notenbankchefs der G20-Staaten.
Der FSB schlägt vor, einen aufsichtlichen Rahmen für die Überwachung und das Management von Risiken und Daten von Kryptofirmen einzurichten sowie Pläne für die reibungslose Abwicklung von Krypto-Unternehmen in Schieflage zu erstellen. Wenn solche Firmen Geschäfte wie bei Banken betrieben, sollte diese auch wie Banken reguliert werden.
Das zugrundelegende Prinzip sei, dass gleiche Aktivitäten auch gleich reguliert werden sollten, unabhängig davon, ob es sich um ein Kryptoasset-Unternehmen, eine Bank oder um einen Zahlungsanbieter handelt. Kryptofirmen müssten zudem möglicherweise einige ihrer Geschäfte klarer aufstellen, um dies sicherzustellen. Die Vorschläge streben eine international einheitliche Regulierung von Kryptowährungen hinweg an.
Die öffentlichen Konsultationen zu den Vorschlägen laufen noch bis zum 15. Dezember. Bis Mitte 2023 sollen sie finalisiert werden. Dann sollen die FSB-Mitgliedstaaten sie zügig umsetzen. rtr
Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) hat in einem am Dienstag veröffentlichten Papier erklärt, dass sie die Idee, große Technologie-Unternehmen wie Google und Netflix für die Telekommunikationsinfrastruktur zahlen zu lassen, nicht unterstützen.
Die Ergebnisse des Papieres kommen zu einem Zeitpunkt, an dem die Europäische Kommission darüber debattiert, ob die Internet-Plattformen verpflichtet werden sollten, digitale Infrastrukturen wie 5G-Telekommunikationsnetze zu finanzieren, da sie diese stark nutzen.
“Das GEREK hat keine Belege dafür gefunden, dass eine solche (direkte) Ausgleichsmethode angesichts der aktuellen Marktlage gerechtfertigt ist”, heißt es in den Schlussfolgerungen des GEREK. rtr
Nach dem Rückzug von Ska Keller soll heute ein “Generationswechsel” an der Spitze der Grünen-Fraktion im Europaparlament vollzogen werden. Dabei gehören die beiden, um die es geht, eher einer Generation an und auch noch einer vergleichsweise jungen: Die 40-jährige Keller aus Brandenburg hört auf, die 35-jährige Terry (Teresa) Reintke aus dem Ruhrgebiet kommt. Sie tritt als einzige Kandidatin bei der Wahl in der 72 Köpfe zählenden Fraktion an.
Sie dürfte ein gutes Ergebnis bekommen, es gibt keinen anderen Kandidaten. Sicher ist, dass Reintke nicht die Stimme von Keller bekommen wird. Keller befindet sich auf einer Delegationsreise in Mexiko und wird den Jubel von Reintke nicht mitbekommen.
Reintke wird, wie bei den Grünen üblich, die Fraktion zusammen mit einem Mann führen: Der Belgier Philippe Lamberts hat aber bereits seinen Rückzug für 2024 angekündigt. Wer auf ihn folgen könnte, lässt sich noch nicht absehen. Fest steht nur, dass er nicht aus Deutschland kommen soll.
Reintke verkörpert einen Politiker-Typus, der bei den Grünen besonders beliebt ist. Reintke hat ihr professionelles Profil fast ausschließlich auf ein Thema zugeschnitten. Ihr Thema ist eng mit ihrer Identität als Person verknüpft. Sie ist Feministin, sie kämpft vor allem für die Rechte von Frauen.
Sie hat hier schon einiges bewegt. So kann sie beanspruchen, dass sie die Me-Too-Bewegung aus den USA nach Europa geholt hat. Sie hat sie mitten ins Europaparlament gebracht. In einem sehr persönlichen Auftritt im Plenum hat sie 2017 beschrieben, wie sie selbst Opfer von sexueller Gewalt wurde. Sie prangerte auch die Belästigung auf den Fluren des Hohen Hauses an und ermunterte Frauen, die Opfer werden, nicht zu schweigen, sondern sich dagegen zu wehren. Sie thematisierte auch die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von parlamentarischen Assistenten, die etwa von Abgeordneten-Kollegen ausgenutzt werden, um sexuelle Beziehungen zu starten.
Sie setzte auch Veränderungen durch. So wurden im EU-Parlament Beschwerdestellen eingerichtet. Es gibt jetzt Seminare, bei denen neue Abgeordnete geschult und sensibilisiert werden. Sie würden auch rege von frisch gewählten Volksvertretern angenommen, nur das Interesse bei den Christdemokraten lasse noch zu wünschen übrig, hört man.
Sie fordert gleiche Rechte für alle ein, deren sexuelle Identität queer ist. Sie trennt nicht scharf zwischen ihrem Leben als Politikerin und ihrem Privatleben. So twittert sie etwa, wenn sie in der Beziehung mit ihrer Partnerin ein Jubiläum feiert. Und viele aus der Partei lassen dann das Paar hochleben.
Ihre Partnerin ist die hochrangige Grünen-Politikerin Mélanie Vogel aus Frankreich. Vogel ist Mitglied im Senat, dem Oberhaus der Nationalversammlung von Frankreich. Die beiden haben sich im Europaparlament kennengelernt. Es bleibt abzuwarten, ob in der Partei Anstoß genommen wird über die Ansammlung von so viel grüner Macht in nur einem Haushalt.
Reintke ist 2014 mit 27 Jahren ins Europaparlament eingezogen. In der innerparteilichen Dynamik bei den Grünen gehört sie zum linken Flügel der Partei. Sie hat in Schottland einen Teil ihres Politikstudiums absolviert und war früh in der Nachwuchsorganisation der Grünen Jugend auch auf europäischer Ebene tätig. Dort knüpfte sie die Netzwerke, auf die sie nicht zuletzt jetzt, da sie sich im Europaparlament zur Wahl stellt, aufbauen kann. Es wird damit gerechnet, dass sie auch auf europäischer Ebene Keller beerben und 2024 bei der Europa-Wahl auf Platz eins in Europa als Spitzenkandidatin antreten will.
Keine andere Partei als die Grünen hat so viele Politiker in ihren Reihen, bei denen die Grenzen zwischen Aktivist und Parlamentarier so fließend sind. Den Ton dafür hat Attack-Gründer Sven Giegold gesetzt, der bis 2021 die deutschen Grünen-Abgeordneten im Europaparlament angeführt hat. Zu seinem Arbeitsstil gehört, neben der klassischen Abgeordnetentätigkeit in den Ausschüssen, auch Kampagnen in enger Zusammenarbeit mit NGOs zu führen. Daran orientiert haben sich jüngere Abgeordnete wie Reintke. Ähnlich arbeiten auch der Stuttgarter Michael Bloss, der eine enge Beziehung mit der Klimaschutzbewegung pflegt, sowie Daniel Freund, dessen Thema Antikorruptionsbekämpfung ist.
Künftig wird Reintke ihr Spektrum erweitern müssen. Demnächst sitzt sie im Parlament in der ersten Reihe und darf als erste Abgeordnete ihrer Fraktion antworten, etwa wenn ein Staats- und Regierungschef in Straßburg seine Rede gehalten hat. Sie wird auch Arbeitsbeziehungen aufbauen müssen zum Führungspersonal der anderen Fraktionen.
Zur Politik gehört Inszenierung. Hier verfügt Reintke über beachtliches Talent. Ihre Auftritte in den sozialen Medien sind professionell inszeniert. Sie hat viel Energie investiert, die Briten zum Verbleiben in der EU zu bewegen. Aus dem Europaparlament heraus hat sie die Remainer-Bewegung unterstützt. Und als der Austritt des Vereinigten Königreichs endgültig war und im Plenum das Scheidungsdokument, der Austrittsvertrag der Briten, am 29. Januar 2020 beschlossen wurde, stimmte sie zum Abschied das alte schottische Lied “Auld Lang Syn” an. Es war ein bewegender Moment im Parlament, bei dem viele mitsangen und manchen die Tränen der Rührung kamen. Markus Grabitz