Table.Briefing: China

Lebensmittel-Reserven + Tencent im Metaverse

  • Volle Getreidespeicher schützen vor Inflation
  • Tencent will im Metaverse den Ton angeben
  • Sinolytics Radar: Handelskrieg hält unter Biden an
  • Waffen-Deal mit Taiwan
  • Peking verschärft erneut Corona-Maßnahmen
  • Salomonen verweigern Schiffen das Anlegen
  • Liefert China bald Gas an Europa?
  • Standpunkt: Stephen S. Roach über Chinas Wachstumsopfer
Liebe Leserin, lieber Leser,

Chinas riesige Lebensmittelreserven erweisen sich als Geheimwaffe der Kommunistischen Partei gegen Inflation. Sie wurden angelegt, um bei Ernteausfällen die Nahrungsversorgung zu garantieren, und genau diese Funktion erfüllen sie derzeit nach der Rekord-Dürre. Indem die staatlichen Planer in Krisenzeiten das Angebot hoch halten, dämpfen sie auch die Preisschwankungen, analysiert Ning Wang. China besitzt die weltweit größten Vorräte an Agrarprodukten wie Weizen oder Schweinefleisch.

Wenn nun allerdings weltweit Jahr auf Jahr mit trockenem Wetter folgt, dann nützen irgendwann auch die hohen Reserven nichts mehr. Staatschef Xi Jinping hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie bereits eine Lösung vorgeschlagen: Chinas Bürger sollen sparsamer essen. Wer verschwenderisch mit Lebensmitteln umgeht, muss Strafen zahlen. Im Zweifelsfall wird China allerdings wieder auf dem Weltmarkt zukaufen – und treibt damit die Preise in anderen Regionen in die Höhe.

Eine schöne neue Welt der anderen Art entwerfen derweil die Visionäre des sogenannten Metaverse. Der Begriff beschreibt eine virtuelle Realität, in der wir Menschen als Avatare ein Zweitleben im digitalen Raum führen. Wenn es einmal fertig programmiert ist, wird das Metaverse vor allem ein neuer Wirtschaftsraum sein. Firmen und Individuen können hier investieren, kaufen, verkaufen und für Dienstleistungen bezahlt werden.

Dass China auch hier einen Alleingang anstreben wird, ist wahrscheinlich. Das Know-how, um eine eigene Online-Parallelwelt schaffen, bringt vor allem der Gaming-und Social-Media-Gigant Tencent mit. Das Unternehmen aus Shenzhen dürfte hier früh Standards setzen, berichtet Frank Sieren. Neu entstehende Monopole wird Peking, anders als in der Vergangenheit, jedoch früh auszuhebeln wissen. Dem digitalen Raum von Morgen werden in China schon heute eng gesteckte Grenzen gesetzt.

Ihr
Fabian Peltsch
Bild von Fabian  Peltsch

Analyse

Gefüllte Kornkammern sichern Versorgung trotz Dürre

Seit Wochen plagen Hitzewellen weite Teile Chinas. Die Thermometer kletterten gleich an mehreren Tagen auf 44 Grad Celsius (China.Table berichtete). Während die Hitze in manchen Regionen Ende August langsam nachlassen sollen, herrscht unter Landwirten in vielen Provinzen Verzweiflung. Die Dürre lässt die Sorge um Missernten oder gar Ausfällen von ganzen Ernten wachsen. “Die Ernten im Herbst machen drei Viertel der landwirtschaftlichen Produktion Chinas aus”, sagte Vize-Premier Hu Chunhua und reiht sich in die Kette von offiziellen Stimmen ein, die offen über die drohenden Folgen des Klimas warnen: Wie kann eine Lebensmittelknappheit verhindert werden?

Mitte August erst warnte Liu Weiping, Chinas Vizeminister für Wasserressourcen: “Reis und andere Herbstfrüchte befinden sich in einer kritischen Phase, wenn es um die Bewässerung geht”. Die Tiefstände des Jangtse-Flusses (China.Table berichtete) hätten laut Liu im Jangtse-Becken über 800.000 Hektar Ackerland beschädigt. Über 800.000 Menschen in der Region haben Probleme, an sauberes Wasser zu gelangen.

“Ernteschäden und Wasserknappheit könnten sich “auf andere Lebensmittelsektoren ausbreiten und im schlimmsten Fall zu einem erheblichen Preisanstieg oder einer Lebensmittelkrise führen”, sagte Ende August Lin Zhong, Professor an der City University of Hong Kong, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in China untersucht. Experten rechnen damit, dass China noch mehr Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt aufkaufen wird, um seine Vorräte aufzustocken und seine von der politischen Führung gesetzten Versorgungsziele zu erreichen.

Das Trauma der Hungersnöte klingt nach

Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich mit dem Thema Selbstversorgung in einer Grundsatzrede auseinandergesetzt: “In Zukunft wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weiter steigen und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage immer enger werden”, heißt es in einer Rede von ihm, die Ende März in der Parteizeitschrift Qiushi erschien. Hu Chunhua, Xi Jinping und Liu Weiping sind Jahrgänge 1963 und 1953 und damit durchaus in der Nähe der Hungernot in den 1950er-Jahren geboren. Mao Zedongs Kampagne “Der große Sprung nach vorn” sollte die Stahl- und Landwirtschaftsproduktion ankurbeln. Sie führte zu den größten Missernten der jüngeren Geschichte. So ein Trauma wirkt lange nach.

Der “Große Sprung nach vorn” war auch der Beginn für Chinas Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland. Laut Scott Rozelle, Entwicklungsökonom an der Stanford-Universität, liegt Chinas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten bei etwa zehn Prozent. Das ist im Vergleich zu der hohen Importabhängigkeit des Nachbarlands Japan zwar ein eher geringer Wert. Doch: Die USA und die EU, aber auch Kanada oder Australien haben Überschüsse und sehen ihre Versorgungssicherheit auch durch Krisen vorerst nicht wirklich gefährdet.

Die Investmentbank Goldman Sachs wies Anleger zuletzt in einer Notiz darauf hin, dass sechs Provinzen im vergangenen Jahr die Hälfte der Reisproduktion im Land ausmachten. Alle sechs sind nun besonders von der Dürre betroffen. Es handelt sich um Sichuan, Chongqing, Hubei, Henan, Jiangxi und Anhui.

Zuletzt wurde im Frühjahr aufgrund eines Ausfalls die Winterweizenernte knapp (China.Table berichtete). 2021 regnete es soviel in den betroffenen Gebieten, dass es zu Überschwemmungen kam und die Aussaat verschoben werden musste. Die Engpässe im Land wurden daraufhin durch Beschaffung auf dem Weltmarkt ausgeglichen. Das wiederum trägt zu den Preissteigerungen bei, die jetzt in den reichen Ländern die Inflation anheizen und arme Länder in Existenznot bringen.

Über die Hälfte des globalen Weizens lagert in China

Chinas Regierung hamstert jedoch in gewaltigem Maßstab eine ganze Reihe von Grundnahrungsmitteln. Bei Weizen lagert die Volksrepublik inzwischen etwa 50 Prozent der globalen Bestände, bei Mais sind es sogar 70 Prozent (China.Table berichtete). Erst Mitte August wurde die China Enterprise United Grain Reserve Ltd. Company 中企联合粮食储备有限公司 aus einer Fusion von Sinograin und COFCO, eine der größten staatlichen Holdinggesellschaften für Lebensmittelverarbeitung, gegründet, “um Chinas nationale Getreidereserve zu verwalten”, heißt es in einem aktuellen Bericht des Deutsch-Chinesischen Agrarzentrums mit Sitz in Peking.

Die Details der staatlichen Reserven sind wohl eines der best gehüteten Geheimnisse der Kommunistischen Partei. Über sie ist in der Regel nicht einmal der Standort bekannt, wohl auch, um sie vor Plünderungen zu schützen. Michaela Böhme, Agrar- und Lebensmittelexpertin und China-Analystin beim Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum in Peking, hat in einem Papier die wenigen Informationen zusammengetragen.

China betreibt Böhmes Bericht zufolge mehrere Nahrungsreservesysteme. Die Provinzen sind verpflichtet, Mindestmengen folgender Rohstoffe vorzuhalten:

  • Weizen,
  • Reis,
  • Baumwolle,
  • Zucker
  • und andere strategische landwirtschaftliche Produkte wie Soja als Futtermittel.

Die Provinzen sollen die Waren auf den Markt werfen, wenn die Preise steigen und damit für die Verbraucher für einen Ausgleich der Schwankungen sorgen. “Diese Reserven werden über ein Auktionssystem freigegeben, wenn die Verfügbarkeit von Getreide und Ölsaaten auf dem heimischen Markt nach der Ernte abnimmt”, erklärt Böhme die Strukturen der Nationalen Lebensmittelreserven in ihrem Bericht.

Auch strategische Schweinefleischreserven werden vorgehalten um die Abhängigkeit von Importen aufzuwiegen. Seit 2007 bestehen sowohl Reserven für lebende Schweine als auch für tiefgefrorenes Schweinefleisch. Als 2019 die Afrikanische Schweinepest (ASP) drohte, stiegen die Preise für Schweinefleisch um teils über 110 Prozent, da die Volksrepublik bis zu 40 Prozent ihres Schweinebestandes keulen musste. Das entsprach damals etwa einem Fünftel der weltweiten Schweinepopulation.

Kampagne für mehr “saubere Teller”

Chinas wachsende Vorräte an Lebensmitteln rufen Kritik aus anderen Ländern hervor. Schließlich verschärfen sie die globale Knappheit dieser Waren. China selbst bleibt derweil von der Inflation weitgehend verschont. Ein Grund dafür sind auch die staatlichen Lebensmittelreserven. Durch die Öffnung seiner Reserven kontrolliert Peking auch die Preise am Markt und dämpft damit den Preisauftrieb (China.Table berichtete).

Doch es gibt erste Anzeichen, dass das angesichts der Missernten nicht mehr ausreicht. Mitten in der Pandemie rief Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sommer 2020 die Bürger dazu auf, ihren Konsum von Lebensmitteln zu mäßigen (China.Table berichtete). “Fördern Sie ein soziales Umfeld, in dem Verschwendung beschämend und Sparsamkeit lobenswert ist”, lautete das Motto der von Xi höchstpersönlich ausgerufenen Kampagne.

Doch Sorge vor Hunger müssen sich die Menschen in China auf absehbare Zeit nicht machen. Es ist ein Kernziel der Partei, die Debakel der Mao-Zeit nie mehr auch nur ansatzweise zu wiederholen. Die Reserven sind hoch, und die Finanzkraft des Landes ist gigantisch. Es könnte den Weltmarkt auch zu einem Vielfachen der derzeit geforderten Preise anzapfen, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Dennoch muss eine Umstellung auf die neuen Verhältnisse des Klimawandels rasch erfolgen, um die Versorgung weiterhin zu sichern.

  • Gesellschaft
  • Gesundheit
  • Klima
  • Lebensmittel
  • Umwelt
  • Unwetter

Tencent: Zentraler Spieler im Metaverse

Im Oktober 2021 machte Facebook-Chef Mark Zuckerberg das Konzept des Metaverse schlagartig bekannt, indem er sein Unternehmen in Meta umbenannte. In einem anderthalbstündigen Video führte er damals seine Vision eines “Nachfolgers des mobilen Internets” aus. In Zuckerbergs Metaversum wird nicht mehr über Bildschirme und Tastaturen agiert und konsumiert, sondern in Form eines Avatars, der in einer digitalen Parallelwelt ein zweites Zuhause hat und in dessen Haut man virtuell schlüpfen kann. Klar ist: Reale und virtuelle Welt werden immer stärker miteinander verschmelzen. Ansonsten ist allerdings noch viel offen.

China hat die westliche Idee eines Metaverse sofort aufgenommen. Innerhalb von drei Monaten nach Zuckerbergs Ankündigung verdreifachte sich die Zahl der Patente in China, die mit dem Metaverse in Beziehung stehen, auf 8.500. In Bezug auf die Bevölkerungsgröße ist China zweifellos ein attraktiver Markt für den Aufbau eines Metaversums.

Inzwischen ist China dem Westen beim Zugriff auf Big Data, Tech-Talent-Pools und gut entwickelten Lieferketten bei der Hardware bereits einen guten Schritt ins Metaverse voraus. Und die digitalen Bezahlsysteme von Super-Apps wie Wechat und Alipay verzahnen bereits jetzt die digitale und physische Welt. Als Schnittstelle für das Metaverse sind sie essenziell.

Tencent hat alles, was man braucht

Kein Unternehmen weltweit ist jedoch so gut aufgestellt für das Metaverse wie Tencent, das noch vor Meta zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt gehört. Denn kein anderes Unternehmen verfügt sowohl über die Erfahrungen und die Daten einer Super-App wie Wechat mit gut 1,2 Milliarden regelmäßigen Usern als auch über das Know-How bei der Entwicklung der erfolgreichsten Computerspiele der Welt. Das hält auch der US-amerikanische Finanzservice-Konzern Morningstar fest: “Tencent ist am besten positioniert, um ein First Mover im Metaverse Raum zu werden, angesichts der Tatsache, dass es extrem stark in der Entwicklung von Content ist, Zugang zu alten und neuen Usern hat, Spiele entwickelt und der zweitgrößte Cloudbesitzer in China ist.”

Tencent-Chef Pony Ma hatte wenige Monate vor Zuckerbergs Metaverse-Vorstellung eine Vision für den Aufbau eines sogenannten “Quan Zhen”-Internets öffentlich gemacht, was so viel wie “umfassend reales” Internet bedeutet und dem Metaverse-Konzept von Zuckerberg ähnelt. Mit Roblox und Fortnite hat Tencent bereits Spieleplattformen im Repertoire, die es den Nutzern ermöglichen, sich in virtuellen Welten zu bewegen. Außerdem steht Tencent hinter dem Spielehersteller Epic Games und dem Instant-Messaging-Dienst Discord, der eine der größten Tech-affinen Communities im Gaming-Bereich versammelt. Tim Sweeney, der Gründer des Fortnite-Studios Epic Games, arbeitet bereits an einem Metaverse. Die Investition: eine Milliarde US-Dollar. Tencent hält einen 48-Prozent-Anteil an Epic. 

Bereits Anfang 2022 führte Tencent eine neue Funktion namens Super QQ Show auf seiner QQ-Messaging-Plattform ein. Es handelt sich dabei um einen interaktiven 3D-Raum, in dem die User Kontakte knüpfen, Shows ansehen und gemeinsam Spiele spielen können. Im März meldete das Unternehmen außerdem Patente für virtuelle Konzerte bei der chinesischen Behörde für geistiges Eigentum an. Ende 2021 hatte Tencent bereits Chinas erstes virtuelles Musikfestival veranstaltet, das Berichten zufolge in der Spitze 100.000 Nutzer gleichzeitig erreichte.

Gaming ist das Sprungbrett ins Metaverse

Je interaktiver die Spiele, umso besser eignen sie sich als Grundlage für Metaverse-Infrastrukturen. Laut Niko Partners ist Tencent mit einem Marktanteil von 43 Prozent im Jahr 2020 Marktführer auf dem chinesischen Spielemarkt.

Im Juli kündigte Tencent zudem die Einrichtung einer neuen Abteilung für erweiterte Realität (“extended reality” – XR) an, die sich mit Fragen des Metaversums befassen soll. Bislang hatte sich Tencent vor allem auf Software konzentriert. Es wird spannend, mit welcher Hardware das Unternehmen seine Spiele-Welt und seine Social-Media-Anwendungen wie Wechat erweitern könnte. So fehlen Tencent die smarten Brillen für die Metaverse-Welt noch. Doch auch hier investiert das Unternehmen: Zu Beginn dieses Jahres kaufte Tencent das von Xiaomi unterstützte Black Shark Gaming für rund 470 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen wird nun Virtual-Reality-Headsets für seinen neuen Eigentümer entwickeln und herstellen.

Zwei Insider erklärten, dass Tencents neue XR-Abteilung mehr als 300 Mitarbeiter haben wird –  eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen nach dem Tech-Crackdown der Regierung seine laufenden Kosten gesenkt und massiv Mitarbeiter entlassen hat. 5.500 Mitarbeiter mussten allein zwischen März und Ende Juni gehen. Das XR Team soll die Software Firma nun stärker in Richtung Hardware führen.

Peking wird die Zügel dieses Mal enger halten

All diese Apps, Games, Geräte und Technologien könnte in einem Metaversum aufgehen, das eindeutig den Stempel Tencents trägt. Allerdings nicht mehr als Quasimonopolist. Beim Metaverse wird der Staat die Zügel von Anfang an enger halten. Das neue Kartellgesetz sorgt für mehr Wettbewerb im Markt. Das dürfte die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht bremsen, sondern eher fördern.

Denn Chinas Politik sieht anders als in Europa die Chancen der Metaverse-Technologie, wenn es darum geht, die 1,4 Milliarden Menschen enger und realer zu vernetzen, ohne dass sie zueinander reisen müssen. Und auch die Kader der Kommunistischen Partei hoffen auf die Metawelt, weil sie damit den zuweilen schnöden Parteialltag attraktiver machen kann. Wie das KP-Metaverse aussehen könnte, zeigt das Virtual-Reality-Unternehmen Mengke VR. In seinem Metaversum treffen sich patriotische User, um “die chinesische kommunistische Partei aufzubauen”.

Die 3D-Avatare wandern hier durch Ausstellungen, die die Errungenschaften der Kommunistischen Partei beleuchten. Sie tragen Titel wie “Hundert Jahre voller Geschichten – Mikro-Klassenzimmer der Parteigeschichte” oder “Die große neue Ära – Die wichtigsten Errungenschaften der Partei und des Landes seit dem 18. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas”. Doch auch das wird bei der jungen Gaming-begeisterten Generation kaum eine Massenbewegung in Richtung KP auslösen. Politikverdrossenheit grassiert nicht nur im Westen.

  • Games
  • Gesellschaft
  • Kultur
  • Technologie
  • Tencent

Sinolytics.Radar

Biden-Regierung hält an Handelskrieg fest

Dieser Inhalt ist Lizenznehmern unserer Vollversion vorbehalten.
  • Da die USA und China um die technologische Führungsrolle ringen, erwarten sowohl Analysten in China als auch in den USA eine beschleunigte Entkopplung zwischen den beiden Großmächten.
  • Die politischen Grabenkämpfe zwischen den beiden Ländern sind seit dem Handelskrieg, den der ehemalige Präsident Trump gegen China entfacht hat, offen sichtbar geworden. Die Biden-Regierung ist bisher nicht vom Konfrontationskurs der vorherigen Regierung abgerückt.
  • Tatsächlich hat Biden die US-Exportkontrollen für chinesische Unternehmen ausgeweitet. So hat die Biden-Regierung beispielsweise mehrere Dutzend chinesische Unternehmen auf die US-Entity-Liste gesetzt. Gleichzeitig drängt Biden die Partnerländer der USA, ihre Ausfuhrkontrollen gegenüber China ebenfalls zu verschärfen. Berichten zufolge haben die USA etwa Druck auf die niederländische Regierung ausgeübt, damit diese die Exporte von wichtigen Halbleitermaschinen der Firma ASML an SMIC weiter einschränkt.
  • Wie aus den Daten des Bureau of Industry and Security (BIS) des US-Handelsministeriums hervorgeht, hat Washington die Ausfuhrkontrollen für Technologiegüter weiter verschärft. Die Grafik zeigt den Prozentsatz der erteilten und verweigerten Ausfuhrgenehmigungen für regulierte Güter nach China. Im Jahr 2021 wurden neun Prozent der Lizenzanträge vom BIS abgelehnt, gegenüber zwei Prozent im Jahr 2018.
  • Auch wenn der Prozentsatz der genehmigten Exporte (67 Prozent im Jahr 2021) immer noch relativ hoch erscheint, beantragen die meisten Unternehmen nur dann eine Ausfuhrgenehmigung, wenn sie mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass sie auch erteilt wird. Dies verzerrt die Datenlage, wie William Reinsch vom Thinktank CSIS feststellte.
  • Die Zunahme von Ausfuhrverweigerungen durch das BIS spiegelt sich auch im Rückgang von amerikanischen Hightech-Gütern (ATP) wider. Während das Exportvolumen von ATPs im Jahr 2018 bei fast 40 Milliarden USD lag, wurden 2020 lediglich Waren im Wert von rund 30 Milliarden USD nach China exportiert.

Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

  • Handel
  • Technologie
  • USA

News

Insider: Washington plant großen Waffendeal mit Taiwan

Die US-Regierung plant einem Bericht von Politico zufolge, Waffen im Wert von etwa 1,1 Milliarden Dollar an Taiwan zu liefern. Das Paket umfasst 60 Anti-Schiffsraketen und 100 Luft-Luft-Raketen. Der Deal müsse nur noch vom Kongress gebilligt werden, schreibt Politico in Berufung auf mit dem Vorgang vertraute Personen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums habe sich zu dem Bericht nicht äußern wollen.

Das Rüstungspaket habe dem Bericht zufolge das Ziel, Taiwans Verteidigungsfähigkeit zu erhalten, nicht aber eine Erweiterung der militärischen Kapazitäten der Insel. So oder so dürfte der Verkauf, wenn er zustande kommt, für weitere Spannungen zwischen, China und den USA führen. fpe

  • Geopolitik
  • Militär
  • Taiwan
  • USA

Mehrere Städte verschärfen Corona-Maßnahmen

Es sind noch 47 Tage bis zum Parteitag in Peking, doch die politische Führung möchte kein Risiko eingehen und hat die Corona-Maßnahmen im Land noch einmal verschärft. In der Provinz Hebei, angrenzend zur 22-Millionen-Metropole Peking, müssen rund vier Millionen Menschen seit Dienstagabend bis zum Ende der Woche zu Hause in Quarantäne bleiben.

In der Hafenstadt Tianjin mussten über 13 Millionen Menschen zum PCR-Test anrücken. Dort waren zuvor 80 Fälle mit dem Coronavirus gemeldet worden. Auch in der Hafenstadt Dalian, im Nordosten, wurden laut Reuters die wichtigsten Bezirke für circa drei Millionen Einwohner abgeriegelt und bis Sonntag unter Quarantäne gestellt. In der Tech-Metropole Shenzhen mussten einige Läden auf Anweisung der Behörden am Dienstagabend lokaler Zeit schließen. Zuletzt wurden aus mehr als 20 Provinzen neue Infektionen gemeldet. Regierungsberater gehen davon aus, dass die Zahl der Infektionen in dieser Woche noch auf 10.000 pro Tag steigen könnte.

In Dalian werden Importgüter wie Sojabohnen und Eisenerz umgeschlagen. Die verschärften Corona-Maßnahmnen in einigen Städten könnten das Handelsgeschäft beeinflussen.
In Dalian werden Importgüter wie Sojabohnen und Eisenerz umgeschlagen.

Experten warnen vor den Folgen für die weltweiten Lieferketten: Dem Kiel Institut für Wirtschaftsforschung (IfW) zufolge verschärfen schon kommunale Lockdowns die Engpässe in den globalen Lieferketten. Die derzeitigen Maßnahmen in Shenzhen und weiteren Städten seien allerdings noch nicht vergleichbar mit dem einschneidenden Lockdown in Shanghai im Frühjahr. “Sollten die Covid-19-Fälle aber weiter steigen, könnte ein harter Lockdown gerade in und um Shenzhen Lieferketten und das Weihnachtsgeschäft belasten“, warnte IfW-Handelsexperte Vincent Stamer. “Denn die Provinz Guangdong um die Metropolen Guangzhou und Shenzhen am Perlflussdelta ist die exportstärkste Provinz Chinas. Auch viele Konsumgüter für den deutschen Markt werden dort produziert.” niw/rtr

  • Coronavirus
  • Gesellschaft
  • Gesundheit
  • Guangdong
  • Handel
  • KP Chinas

Salomonen untersagen US-Schiffen das Anlegen

Rund drei Monate nach dem Abschluss des umstrittenen Sicherheitsabkommens mit China zeigen sich die Salomonen zunehmend abweisend gegenüber US-Marineschiffen. Nachdem einem Schiff der US-Küstenwache das Einlaufen in der vergangenen Woche verweigert wurde, verhängten die Behörden des pazifischen Inselstaates nun einen völligen Stopp von Marinebesuchen. “Wir haben unsere Partner gebeten, uns Zeit zu geben, um neue Prozesse zu überprüfen und einzuführen, bevor wir weiteren Anträgen für die Einreise von Militärschiffen stattgeben”, ließ Premierminister Manasseh Sogavare mitteilen.

Die Regeln gelten demnach für Marineschiffe aller Länder, so der Premier. Auf Vorwürfe aus den USA, dass der Anlaufstopp auf chinesischen Einfluss zurückzuführen sei, ging er nicht ein. Im April hatten die Salomonen ein umstrittenes Sicherheitsabkommen mit China unterzeichnet (China.Table berichtete). Demnach kann China die Salomonen bei “Fragen der sozialen Ordnung und Sicherheit” unterstützen. Australien, die USA und andere westlichen Staaten hatten daraufhin Sorge geäußert, dass China dort eine dauerhafte Militärpräsenz aufbauen könnte (China.Table berichtete). Eine Militärbasis auf den strategisch günstig gelegenen Inseln wäre für Peking ein wichtiger Schritt, um die eigene Machtposition im Pazifik zu stärken. Sogavare hatte zuletzt Australiens Premier zugesichert, dass es keine dauerhafte chinesische Präsenz geben wird. niw

  • Geopolitik
  • Indopazifik
  • Militär
  • USA

Neue Diskussion über LNG-Lieferungen aus China

LNG-Lieferungen aus China werden nicht die Energiekrise der EU lösen.

Ein Beitrag auf dem Nachrichtenportal Spiegel Online weckt Hoffnung auf Lieferungen von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus China. Die Meldung basiert allerdings allein auf einem Artikel in der britischen Zeitung Financial Times (FT), der sich seinerseits auf einen Bericht in der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei stützt, zu deren Verlagsgruppe auch die FT gehört. Und auch dem Nikkei-Bericht liegen nur wenig neue Informationen zugrunde.

China könne demnach aus den eigenen, gut gefüllten Beständen im Laufe des Winters LNG-Bestände nach Europa verschiffen, so die Argumentation. Die Nikkei zitiert als wichtigsten Beleg eine anonyme Quelle bei dem chinesische Rohstoff-Handelshaus Jovo Group aus Guangzhou. Diese berichtet davon, bereits “eine Ladung” an einen EU-Abnehmer veräußert zu haben. Der Öl- und Gasförderer Sinopec berichtete zudem ganz offiziell davon, überschüssige LNG-Bestände “auf den Weltmarkt” abzugeben.

Der mögliche Weiterverkauf von russischem Gas und Öl durch China war jedoch von Anfang des Krieges an ein Diskussionsthema (China.Table berichtete), ohne dass sich entsprechende Ideen bisher konkretisiert haben. Russland setzt einen guten Teil dessen, was nicht mehr nach Europa geht, mit Rabatt an China, Indien und andere treue Käufer ab. Einem Weiterverkauf steht zwar theoretisch nichts im Wege: Russland kann China nicht vorschreiben, was es mit dem LNG macht. Es gibt jedoch in der Praxis erhebliche Engstellen:

  • Die Weitergabe des von Russland erhaltenen LNG in großem Stil an die EU wäre für China keine geschäftliche Entscheidung, sondern eine politische – alle anderen Annahmen wären naiv. Da sich Peking nach der Ukraine-Invasion an die Seite Moskaus gestellt hat, ist formale Hilfe für die Europäer aber eher unwahrscheinlich. Dazu kommen die China-kritischen Töne aus Berlin und Brüssel, die so eine Einigung nochmals erschweren.
  • Deutschland hat noch gar keinen Entladehafen für LNG. Die ersten improvisierten LNG-Terminals sollen Ende des Jahres in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen. Sie werden vermutlich ab dem ersten Tag voll ausgelastet sein. Bisher trifft das meiste LNG über Frankreich und die Niederlande in Deutschland ein. Auch diese Terminals sind an der Kapazitätsgrenze. Außerdem ist die Zahl der weltweit verfügbaren LNG-Tanker begrenzt.
  • China hat selbst einen enormen Energiehunger und will derzeit das Wachstum mit einem großen Konjunkturpaket anfachen. Da stellt sich die Frage, ob es nicht doch einen großen Teil des günstigen russischen Gases für seine eigenen Reserven behalten will.

Chinesische LNG-Lieferungen für Europa sind daher zwar hochwillkommen und werden auch stattfinden, aber sie werden – anders als der Spiegel es suggeriert – vermutlich kein entscheidender Faktor für die Überwindung der akuten Energiekrise in Deutschland sein. fin

  • Energie
  • Erdgas
  • EU
  • LNG
  • Russland

Presseschau

Standpunkt

Chinas Wachstumsopfer haben erst begonnen

Stephen S. Roach
Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
Stephen S. Roach, Yale-Ökonom und ehemals langjähriger Chairman bei Morgan Stanley Asia.

Seit den Tagen von Deng Xiaoping ist hohes Wirtschaftswachstum der chinesischen Führung wichtiger als alles andere. Das jährliche Hyperwachstum von zehn Prozent zwischen 1980 und 2010 wurde weithin als Mittel zur Bekämpfung der relativen Stasis der Mao-Ära betrachtet, als die Wirtschaft nur um etwa sechs Prozent wuchs. Doch unter Präsident Xi Jinping schlug das Pendel um: Das durchschnittliche Wachstum der Jahre 2013 bis 2021 von 6,6 Prozent lag sehr viel näher an der Entwicklung unter Mao als an der unter Deng.

Zu einem gewissen Grad war diese Verlangsamung unvermeidlich und spiegelte teilweise das Gesetz der großen Zahlen wider: Kleine Volkswirtschaften sind eher in der Lage, hohe Wachstumsraten aufrechtzuerhalten. Angesichts des Wachstums der chinesischen Wirtschaft – von zwei Prozent am globalen BIP zu Beginn des Wachstumsschubs unter Deng 1980 auf 15 Prozent bei der Machtübernahme durch Xi im Jahr 2012 – war eine arithmetische Verlangsamung nur eine Frage der Zeit. Die Überraschung ist vielmehr, dass es so lange dauerte, bis sie eintrat.

Die durch diese Verlangsamung bedingte Verringerung der chinesischen Wirtschaftsleitung lässt sich quantifizieren. Hätte sich der jährliche reale BIP-Anstieg um zehn Prozent unter Xi fortgesetzt statt sich seit 2012 um fast 3,5 Prozentpunkte zu verlangsamen, wäre die chinesische Volkswirtschaft heute gut 40 Prozent größer.

Strukturwandel durch Verschiebung der ideologischen Fundamente?

Doch ist der chinesische Konjunkturabschwung viel mehr als ein arithmetisches Ereignis. Es kommen dabei zugleich drei machtvolle Kräfte zum Tragen – ein wirtschaftlicher Strukturwandel, der Ausgleich vergangener Exzesse und eine profunde Verschiebung der ideologischen Fundamente chinesischer Regierungsführung.

Die strukturelle Erklärung verleiht dem Abschwung einen optimistischen Anstrich, indem sie ihn als Beiprodukt einer auf Verbesserung der Qualität des Wirtschaftswachstums ausgerichteten Strategie fasst. Durch sein zu langes Festhalten am Kurs des Hyperwachstums litt China zunehmend unter den “vier Uns” des ehemaligen chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao: einer Wirtschaft, die immer unstabiler, unausgewogener, unkoordinierter und (letztlich) untragbar wurde. Sie in ein neues Gleichgewicht zu bringen war der einzige Ausweg – insbesondere, wenn dies zu einem umweltfreundlicheren, stärker verbraucherorientierten und dienstleistungsintensiveren Wachstum führte, das die beiden Ziele der Ausgewogenheit und der Nachhaltigkeit erfüllte. Wenn ein langsameres Wachstum der Preis hierfür sein sollte, so wäre dies die Sache wert.

Für eine Weile schien die strukturelle Wachstumsverlangsamung auf dem richtigen Weg zu sein. Das dienstleistungsbedingte Wachstum kurbelte die Schaffung von Arbeitsplätzen an, und die Urbanisierung verlieh den Realeinkommen einen machtvollen Schub. Obwohl der Konsum aufgrund eines schwachen sozialen Netzes, das zu überzogenen Vorsorgeansparungen führte, noch immer lahmte, gab es gute Gründe, an die Wahrscheinlichkeit eines Strukturwandels zu glauben. Doch hatte das Bemühen um eine strukturelle Wachstumsverlangsamung auch ihre Schattenseiten – insbesondere eine besorgniserregende Abschwächung der Verbesserung der chinesischen Gesamtfaktorproduktivität sowie einen durch die zwischen 1980 und 2015 in Kraft gewesene Ein-Kind-Politik bedingten starken demografischen Gegenwind.

Xis Amtsantritt ließ Hoffnung auf Reformen schwinden

Doch gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass Chinas Wirtschaftsabschwung zugleich eher ein unvermeidlicher Ausgleich für die Exzesse der Ära des Hyperwachstums ist. Tatsächlich wurde dieser Gedankengang 2016 in einem viel beachteten, auf der Titelseite des Zentralorgans der Kommunistischen Partei erschienenen Interview mit einer “maßgeblichen Person” zum Ausdruck gebracht, das vor der potenziellen Japanisierung einer zunehmend schuldenintensiven, durch Spekulationsblasen gestützten chinesischen Wirtschaft warnte. Zu diesem Drehbuch passen der überschuldete chinesische Immobiliensektor und auch das schuldenbeflügelte Wachstum der staatseigenen Unternehmen seit der globalen Finanzkrise von 2008-2009. Hieraus entwickelte sich eine Argumentation über die Notwendigkeit einer Entschuldung Chinas, deren kurzfristige Kosten sich durchaus lohnten, wenn sich dadurch die längerfristige Stagnation japanartiger verlorener Jahrzehnte vermeiden ließe.

Und schließlich ist auch eine wichtige Umkehrung der ideologischen Fundamente der Regierungsführung mit im Spiel. Als revolutionärer Gründer eines neuen chinesischen Staates gab Mao Zedong der Ideologie den Vorzug vor der Entwicklung. Bei Deng und seinen Nachfolgern war es umgekehrt: Die Verlagerung des Schwerpunkts weg von der Ideologie wurde für notwendig erachtet, um das Wirtschaftswachstum durch eine marktgestützte “Reform und Öffnung” anzukurbeln.

Dann kam Xi. Ursprünglich war die Hoffnung, dass seine sogenannten “Reformen der dritten Vollversammlung” von 2013 eine neue Ära kraftvoller wirtschaftlicher Entwicklung einläuten würden. Doch die neuen, unter der allgemeinen Rubrik des Gedankenguts Xi Jinpings durchgeführten ideologischen Kampagnen, darunter die harte Regulierung der einst dynamischen Internetplattform-Unternehmen und damit verknüpfte Online-Beschränkungen für Glücksspiel, Musik und Privatunterricht, sowie eine zu endlosen Lockdowns führende Null-Covid-Politik haben all diese Hoffnungen zunichte gemacht.

Gleichermaßen wichtig war Xis Fixierung auf eine nationale Erneuerung, ein Auswuchs seines sogenannten “chinesischen Traums”, der zu einer deutlich aggressiveren, im scharfen Gegensatz zu Dengs passiverer Haltung des “Versteckens und Abwartens” stehenden chinesischen Außenpolitik führte. Es ist kein Zufall, dass diese die Handels- und Technologiekriege mit den USA befeuert hat, Chinas “uneingeschränkte Partnerschaft” mit Russland hervorbrachte und Spannungen in Bezug auf Taiwan angeheizt hat. All dies deutet auf eine Rückabwicklung der Globalisierung hin, von der China lange mehr als jedes andere Land profitiert hat.

Wachstumsopfer beginnen erst

Mein Fehler war, es China zu sehr zugutezuhalten, dass es ein strukturelles Gegenmittel gegen Wens “vier Uns” entwickelt hatte. Dies hat mich dazu verleitet, zu viel Gewicht auf die positiven Aspekte der Neugewichtung als Begründung für ein Wirtschaftswachstum höherer Qualität zu legen. Ich habe mir große Sorgen über die Risiken einer Japanisierung, doch überwiegend als Symptome einer gescheiterten Neugewichtung gemacht. Das führte dazu, dass ich umso stärker für eine Neugewichtung eintrat; ich argumentierte, dass ein Strukturwandel Chinas einzige echte Option sei.

Mein größter Fehler bestand darin, die Folgen von Xi Jinpings Denken zu bagatellisieren. Xis Fokus auf die Ideologie deutet viel stärker auf eine Auferstehung von Maos Erbe hin als auf eine Kontinuität mit der Deng-Ära. In Chinas neuer Ära unter Xi geht es mehr um die Vorherrschaft der Partei, mit einer damit verknüpften Betonung von Macht, Kontrolle und ideologischen Beschränkungen für die Wirtschaft.

Anders als in Maos China, wo es nicht viel Wachstum gab, das man hätte opfern können, steht für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt heute viel mehr auf dem Spiel. Und angesichts der Tatsache, dass der anstehende 20. Parteikongress eine nie dagewesene dritte fünfjährige Amtszeit für Xi einläuten könnte, gibt es gute Gründe für die Annahme, dass Chinas Wachstumsopfer gerade erst begonnen haben.

Stephen S. Roach war Chairman von Morgan Stanley Asia und ist heute Professor an der Universität Yale. Er ist der Verfasser des in Kürze erscheinenden Buches Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Jan Doolan.

Copyright: Project Syndicate, 2022.
www.project-syndicate.org

  • Deng Xiaoping
  • Finanzen
  • Geopolitik
  • Industrie
  • KP Chinas
  • Mao Zedong
  • USA
  • Xi Jinping

Personalien

Eduardo Thamm hat bei BMW China die Rolle des Senior Managers R&D Driving Dynamics übernommen. Der China-erfahrene Manager ist seit 2010 für BMW in der Produktentwicklung tätig. Sein Spezialgebiet ist die Koordination multikultureller, funktionsübergreifender Teams. Für seinen neuen Posten wechselte Thamm von Shenyang nach Peking.

Björn Giner ist seit August Senior Engineer bei Schaeffler in Shanghai. Die Schaeffler-Gruppe ist ein börsennotierter deutscher Zulieferer der Automobil- und Maschinenbauindustrie. Zuvor war Giner drei Jahre als Projektmanager im Hauptsitz des Unternehmens in Herzogenaurach tätig.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Dessert

Auch dieser Herr erhält noch einmal eine ausdrückliche Warnung der Behörden: Für Chongqing sind sintflutartige Regenfälle und Blitzfluten vorhergesagt. Inzwischen wissen wir infolge des Klimawandels auch in Deutschland, wie gefährlich Überschwemmungen sein können. Zumal wenn man, wie dieser Bewohner der westchinesischen Metropole, nicht in einem richtig befestigten Haus wohnt. Seine Hütte hat er unter einer Hochautobahn errichtet. Hier bereitet er sich gerade sein Frühstück zu.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Volle Getreidespeicher schützen vor Inflation
    • Tencent will im Metaverse den Ton angeben
    • Sinolytics Radar: Handelskrieg hält unter Biden an
    • Waffen-Deal mit Taiwan
    • Peking verschärft erneut Corona-Maßnahmen
    • Salomonen verweigern Schiffen das Anlegen
    • Liefert China bald Gas an Europa?
    • Standpunkt: Stephen S. Roach über Chinas Wachstumsopfer
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Chinas riesige Lebensmittelreserven erweisen sich als Geheimwaffe der Kommunistischen Partei gegen Inflation. Sie wurden angelegt, um bei Ernteausfällen die Nahrungsversorgung zu garantieren, und genau diese Funktion erfüllen sie derzeit nach der Rekord-Dürre. Indem die staatlichen Planer in Krisenzeiten das Angebot hoch halten, dämpfen sie auch die Preisschwankungen, analysiert Ning Wang. China besitzt die weltweit größten Vorräte an Agrarprodukten wie Weizen oder Schweinefleisch.

    Wenn nun allerdings weltweit Jahr auf Jahr mit trockenem Wetter folgt, dann nützen irgendwann auch die hohen Reserven nichts mehr. Staatschef Xi Jinping hatte auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie bereits eine Lösung vorgeschlagen: Chinas Bürger sollen sparsamer essen. Wer verschwenderisch mit Lebensmitteln umgeht, muss Strafen zahlen. Im Zweifelsfall wird China allerdings wieder auf dem Weltmarkt zukaufen – und treibt damit die Preise in anderen Regionen in die Höhe.

    Eine schöne neue Welt der anderen Art entwerfen derweil die Visionäre des sogenannten Metaverse. Der Begriff beschreibt eine virtuelle Realität, in der wir Menschen als Avatare ein Zweitleben im digitalen Raum führen. Wenn es einmal fertig programmiert ist, wird das Metaverse vor allem ein neuer Wirtschaftsraum sein. Firmen und Individuen können hier investieren, kaufen, verkaufen und für Dienstleistungen bezahlt werden.

    Dass China auch hier einen Alleingang anstreben wird, ist wahrscheinlich. Das Know-how, um eine eigene Online-Parallelwelt schaffen, bringt vor allem der Gaming-und Social-Media-Gigant Tencent mit. Das Unternehmen aus Shenzhen dürfte hier früh Standards setzen, berichtet Frank Sieren. Neu entstehende Monopole wird Peking, anders als in der Vergangenheit, jedoch früh auszuhebeln wissen. Dem digitalen Raum von Morgen werden in China schon heute eng gesteckte Grenzen gesetzt.

    Ihr
    Fabian Peltsch
    Bild von Fabian  Peltsch

    Analyse

    Gefüllte Kornkammern sichern Versorgung trotz Dürre

    Seit Wochen plagen Hitzewellen weite Teile Chinas. Die Thermometer kletterten gleich an mehreren Tagen auf 44 Grad Celsius (China.Table berichtete). Während die Hitze in manchen Regionen Ende August langsam nachlassen sollen, herrscht unter Landwirten in vielen Provinzen Verzweiflung. Die Dürre lässt die Sorge um Missernten oder gar Ausfällen von ganzen Ernten wachsen. “Die Ernten im Herbst machen drei Viertel der landwirtschaftlichen Produktion Chinas aus”, sagte Vize-Premier Hu Chunhua und reiht sich in die Kette von offiziellen Stimmen ein, die offen über die drohenden Folgen des Klimas warnen: Wie kann eine Lebensmittelknappheit verhindert werden?

    Mitte August erst warnte Liu Weiping, Chinas Vizeminister für Wasserressourcen: “Reis und andere Herbstfrüchte befinden sich in einer kritischen Phase, wenn es um die Bewässerung geht”. Die Tiefstände des Jangtse-Flusses (China.Table berichtete) hätten laut Liu im Jangtse-Becken über 800.000 Hektar Ackerland beschädigt. Über 800.000 Menschen in der Region haben Probleme, an sauberes Wasser zu gelangen.

    “Ernteschäden und Wasserknappheit könnten sich “auf andere Lebensmittelsektoren ausbreiten und im schlimmsten Fall zu einem erheblichen Preisanstieg oder einer Lebensmittelkrise führen”, sagte Ende August Lin Zhong, Professor an der City University of Hong Kong, der die Auswirkungen des Klimawandels auf die Landwirtschaft in China untersucht. Experten rechnen damit, dass China noch mehr Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt aufkaufen wird, um seine Vorräte aufzustocken und seine von der politischen Führung gesetzten Versorgungsziele zu erreichen.

    Das Trauma der Hungersnöte klingt nach

    Staats- und Parteichef Xi Jinping hat sich mit dem Thema Selbstversorgung in einer Grundsatzrede auseinandergesetzt: “In Zukunft wird die Nachfrage nach Nahrungsmitteln weiter steigen und das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage immer enger werden”, heißt es in einer Rede von ihm, die Ende März in der Parteizeitschrift Qiushi erschien. Hu Chunhua, Xi Jinping und Liu Weiping sind Jahrgänge 1963 und 1953 und damit durchaus in der Nähe der Hungernot in den 1950er-Jahren geboren. Mao Zedongs Kampagne “Der große Sprung nach vorn” sollte die Stahl- und Landwirtschaftsproduktion ankurbeln. Sie führte zu den größten Missernten der jüngeren Geschichte. So ein Trauma wirkt lange nach.

    Der “Große Sprung nach vorn” war auch der Beginn für Chinas Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland. Laut Scott Rozelle, Entwicklungsökonom an der Stanford-Universität, liegt Chinas Abhängigkeit von Lebensmittelimporten bei etwa zehn Prozent. Das ist im Vergleich zu der hohen Importabhängigkeit des Nachbarlands Japan zwar ein eher geringer Wert. Doch: Die USA und die EU, aber auch Kanada oder Australien haben Überschüsse und sehen ihre Versorgungssicherheit auch durch Krisen vorerst nicht wirklich gefährdet.

    Die Investmentbank Goldman Sachs wies Anleger zuletzt in einer Notiz darauf hin, dass sechs Provinzen im vergangenen Jahr die Hälfte der Reisproduktion im Land ausmachten. Alle sechs sind nun besonders von der Dürre betroffen. Es handelt sich um Sichuan, Chongqing, Hubei, Henan, Jiangxi und Anhui.

    Zuletzt wurde im Frühjahr aufgrund eines Ausfalls die Winterweizenernte knapp (China.Table berichtete). 2021 regnete es soviel in den betroffenen Gebieten, dass es zu Überschwemmungen kam und die Aussaat verschoben werden musste. Die Engpässe im Land wurden daraufhin durch Beschaffung auf dem Weltmarkt ausgeglichen. Das wiederum trägt zu den Preissteigerungen bei, die jetzt in den reichen Ländern die Inflation anheizen und arme Länder in Existenznot bringen.

    Über die Hälfte des globalen Weizens lagert in China

    Chinas Regierung hamstert jedoch in gewaltigem Maßstab eine ganze Reihe von Grundnahrungsmitteln. Bei Weizen lagert die Volksrepublik inzwischen etwa 50 Prozent der globalen Bestände, bei Mais sind es sogar 70 Prozent (China.Table berichtete). Erst Mitte August wurde die China Enterprise United Grain Reserve Ltd. Company 中企联合粮食储备有限公司 aus einer Fusion von Sinograin und COFCO, eine der größten staatlichen Holdinggesellschaften für Lebensmittelverarbeitung, gegründet, “um Chinas nationale Getreidereserve zu verwalten”, heißt es in einem aktuellen Bericht des Deutsch-Chinesischen Agrarzentrums mit Sitz in Peking.

    Die Details der staatlichen Reserven sind wohl eines der best gehüteten Geheimnisse der Kommunistischen Partei. Über sie ist in der Regel nicht einmal der Standort bekannt, wohl auch, um sie vor Plünderungen zu schützen. Michaela Böhme, Agrar- und Lebensmittelexpertin und China-Analystin beim Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum in Peking, hat in einem Papier die wenigen Informationen zusammengetragen.

    China betreibt Böhmes Bericht zufolge mehrere Nahrungsreservesysteme. Die Provinzen sind verpflichtet, Mindestmengen folgender Rohstoffe vorzuhalten:

    • Weizen,
    • Reis,
    • Baumwolle,
    • Zucker
    • und andere strategische landwirtschaftliche Produkte wie Soja als Futtermittel.

    Die Provinzen sollen die Waren auf den Markt werfen, wenn die Preise steigen und damit für die Verbraucher für einen Ausgleich der Schwankungen sorgen. “Diese Reserven werden über ein Auktionssystem freigegeben, wenn die Verfügbarkeit von Getreide und Ölsaaten auf dem heimischen Markt nach der Ernte abnimmt”, erklärt Böhme die Strukturen der Nationalen Lebensmittelreserven in ihrem Bericht.

    Auch strategische Schweinefleischreserven werden vorgehalten um die Abhängigkeit von Importen aufzuwiegen. Seit 2007 bestehen sowohl Reserven für lebende Schweine als auch für tiefgefrorenes Schweinefleisch. Als 2019 die Afrikanische Schweinepest (ASP) drohte, stiegen die Preise für Schweinefleisch um teils über 110 Prozent, da die Volksrepublik bis zu 40 Prozent ihres Schweinebestandes keulen musste. Das entsprach damals etwa einem Fünftel der weltweiten Schweinepopulation.

    Kampagne für mehr “saubere Teller”

    Chinas wachsende Vorräte an Lebensmitteln rufen Kritik aus anderen Ländern hervor. Schließlich verschärfen sie die globale Knappheit dieser Waren. China selbst bleibt derweil von der Inflation weitgehend verschont. Ein Grund dafür sind auch die staatlichen Lebensmittelreserven. Durch die Öffnung seiner Reserven kontrolliert Peking auch die Preise am Markt und dämpft damit den Preisauftrieb (China.Table berichtete).

    Doch es gibt erste Anzeichen, dass das angesichts der Missernten nicht mehr ausreicht. Mitten in der Pandemie rief Staats- und Parteichef Xi Jinping im Sommer 2020 die Bürger dazu auf, ihren Konsum von Lebensmitteln zu mäßigen (China.Table berichtete). “Fördern Sie ein soziales Umfeld, in dem Verschwendung beschämend und Sparsamkeit lobenswert ist”, lautete das Motto der von Xi höchstpersönlich ausgerufenen Kampagne.

    Doch Sorge vor Hunger müssen sich die Menschen in China auf absehbare Zeit nicht machen. Es ist ein Kernziel der Partei, die Debakel der Mao-Zeit nie mehr auch nur ansatzweise zu wiederholen. Die Reserven sind hoch, und die Finanzkraft des Landes ist gigantisch. Es könnte den Weltmarkt auch zu einem Vielfachen der derzeit geforderten Preise anzapfen, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Dennoch muss eine Umstellung auf die neuen Verhältnisse des Klimawandels rasch erfolgen, um die Versorgung weiterhin zu sichern.

    • Gesellschaft
    • Gesundheit
    • Klima
    • Lebensmittel
    • Umwelt
    • Unwetter

    Tencent: Zentraler Spieler im Metaverse

    Im Oktober 2021 machte Facebook-Chef Mark Zuckerberg das Konzept des Metaverse schlagartig bekannt, indem er sein Unternehmen in Meta umbenannte. In einem anderthalbstündigen Video führte er damals seine Vision eines “Nachfolgers des mobilen Internets” aus. In Zuckerbergs Metaversum wird nicht mehr über Bildschirme und Tastaturen agiert und konsumiert, sondern in Form eines Avatars, der in einer digitalen Parallelwelt ein zweites Zuhause hat und in dessen Haut man virtuell schlüpfen kann. Klar ist: Reale und virtuelle Welt werden immer stärker miteinander verschmelzen. Ansonsten ist allerdings noch viel offen.

    China hat die westliche Idee eines Metaverse sofort aufgenommen. Innerhalb von drei Monaten nach Zuckerbergs Ankündigung verdreifachte sich die Zahl der Patente in China, die mit dem Metaverse in Beziehung stehen, auf 8.500. In Bezug auf die Bevölkerungsgröße ist China zweifellos ein attraktiver Markt für den Aufbau eines Metaversums.

    Inzwischen ist China dem Westen beim Zugriff auf Big Data, Tech-Talent-Pools und gut entwickelten Lieferketten bei der Hardware bereits einen guten Schritt ins Metaverse voraus. Und die digitalen Bezahlsysteme von Super-Apps wie Wechat und Alipay verzahnen bereits jetzt die digitale und physische Welt. Als Schnittstelle für das Metaverse sind sie essenziell.

    Tencent hat alles, was man braucht

    Kein Unternehmen weltweit ist jedoch so gut aufgestellt für das Metaverse wie Tencent, das noch vor Meta zu den zehn wertvollsten Unternehmen der Welt gehört. Denn kein anderes Unternehmen verfügt sowohl über die Erfahrungen und die Daten einer Super-App wie Wechat mit gut 1,2 Milliarden regelmäßigen Usern als auch über das Know-How bei der Entwicklung der erfolgreichsten Computerspiele der Welt. Das hält auch der US-amerikanische Finanzservice-Konzern Morningstar fest: “Tencent ist am besten positioniert, um ein First Mover im Metaverse Raum zu werden, angesichts der Tatsache, dass es extrem stark in der Entwicklung von Content ist, Zugang zu alten und neuen Usern hat, Spiele entwickelt und der zweitgrößte Cloudbesitzer in China ist.”

    Tencent-Chef Pony Ma hatte wenige Monate vor Zuckerbergs Metaverse-Vorstellung eine Vision für den Aufbau eines sogenannten “Quan Zhen”-Internets öffentlich gemacht, was so viel wie “umfassend reales” Internet bedeutet und dem Metaverse-Konzept von Zuckerberg ähnelt. Mit Roblox und Fortnite hat Tencent bereits Spieleplattformen im Repertoire, die es den Nutzern ermöglichen, sich in virtuellen Welten zu bewegen. Außerdem steht Tencent hinter dem Spielehersteller Epic Games und dem Instant-Messaging-Dienst Discord, der eine der größten Tech-affinen Communities im Gaming-Bereich versammelt. Tim Sweeney, der Gründer des Fortnite-Studios Epic Games, arbeitet bereits an einem Metaverse. Die Investition: eine Milliarde US-Dollar. Tencent hält einen 48-Prozent-Anteil an Epic. 

    Bereits Anfang 2022 führte Tencent eine neue Funktion namens Super QQ Show auf seiner QQ-Messaging-Plattform ein. Es handelt sich dabei um einen interaktiven 3D-Raum, in dem die User Kontakte knüpfen, Shows ansehen und gemeinsam Spiele spielen können. Im März meldete das Unternehmen außerdem Patente für virtuelle Konzerte bei der chinesischen Behörde für geistiges Eigentum an. Ende 2021 hatte Tencent bereits Chinas erstes virtuelles Musikfestival veranstaltet, das Berichten zufolge in der Spitze 100.000 Nutzer gleichzeitig erreichte.

    Gaming ist das Sprungbrett ins Metaverse

    Je interaktiver die Spiele, umso besser eignen sie sich als Grundlage für Metaverse-Infrastrukturen. Laut Niko Partners ist Tencent mit einem Marktanteil von 43 Prozent im Jahr 2020 Marktführer auf dem chinesischen Spielemarkt.

    Im Juli kündigte Tencent zudem die Einrichtung einer neuen Abteilung für erweiterte Realität (“extended reality” – XR) an, die sich mit Fragen des Metaversums befassen soll. Bislang hatte sich Tencent vor allem auf Software konzentriert. Es wird spannend, mit welcher Hardware das Unternehmen seine Spiele-Welt und seine Social-Media-Anwendungen wie Wechat erweitern könnte. So fehlen Tencent die smarten Brillen für die Metaverse-Welt noch. Doch auch hier investiert das Unternehmen: Zu Beginn dieses Jahres kaufte Tencent das von Xiaomi unterstützte Black Shark Gaming für rund 470 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen wird nun Virtual-Reality-Headsets für seinen neuen Eigentümer entwickeln und herstellen.

    Zwei Insider erklärten, dass Tencents neue XR-Abteilung mehr als 300 Mitarbeiter haben wird –  eine hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass das Unternehmen nach dem Tech-Crackdown der Regierung seine laufenden Kosten gesenkt und massiv Mitarbeiter entlassen hat. 5.500 Mitarbeiter mussten allein zwischen März und Ende Juni gehen. Das XR Team soll die Software Firma nun stärker in Richtung Hardware führen.

    Peking wird die Zügel dieses Mal enger halten

    All diese Apps, Games, Geräte und Technologien könnte in einem Metaversum aufgehen, das eindeutig den Stempel Tencents trägt. Allerdings nicht mehr als Quasimonopolist. Beim Metaverse wird der Staat die Zügel von Anfang an enger halten. Das neue Kartellgesetz sorgt für mehr Wettbewerb im Markt. Das dürfte die Entwicklungsgeschwindigkeit nicht bremsen, sondern eher fördern.

    Denn Chinas Politik sieht anders als in Europa die Chancen der Metaverse-Technologie, wenn es darum geht, die 1,4 Milliarden Menschen enger und realer zu vernetzen, ohne dass sie zueinander reisen müssen. Und auch die Kader der Kommunistischen Partei hoffen auf die Metawelt, weil sie damit den zuweilen schnöden Parteialltag attraktiver machen kann. Wie das KP-Metaverse aussehen könnte, zeigt das Virtual-Reality-Unternehmen Mengke VR. In seinem Metaversum treffen sich patriotische User, um “die chinesische kommunistische Partei aufzubauen”.

    Die 3D-Avatare wandern hier durch Ausstellungen, die die Errungenschaften der Kommunistischen Partei beleuchten. Sie tragen Titel wie “Hundert Jahre voller Geschichten – Mikro-Klassenzimmer der Parteigeschichte” oder “Die große neue Ära – Die wichtigsten Errungenschaften der Partei und des Landes seit dem 18. Nationalkongress der Kommunistischen Partei Chinas”. Doch auch das wird bei der jungen Gaming-begeisterten Generation kaum eine Massenbewegung in Richtung KP auslösen. Politikverdrossenheit grassiert nicht nur im Westen.

    • Games
    • Gesellschaft
    • Kultur
    • Technologie
    • Tencent

    Sinolytics.Radar

    Biden-Regierung hält an Handelskrieg fest

    Dieser Inhalt ist Lizenznehmern unserer Vollversion vorbehalten.
    • Da die USA und China um die technologische Führungsrolle ringen, erwarten sowohl Analysten in China als auch in den USA eine beschleunigte Entkopplung zwischen den beiden Großmächten.
    • Die politischen Grabenkämpfe zwischen den beiden Ländern sind seit dem Handelskrieg, den der ehemalige Präsident Trump gegen China entfacht hat, offen sichtbar geworden. Die Biden-Regierung ist bisher nicht vom Konfrontationskurs der vorherigen Regierung abgerückt.
    • Tatsächlich hat Biden die US-Exportkontrollen für chinesische Unternehmen ausgeweitet. So hat die Biden-Regierung beispielsweise mehrere Dutzend chinesische Unternehmen auf die US-Entity-Liste gesetzt. Gleichzeitig drängt Biden die Partnerländer der USA, ihre Ausfuhrkontrollen gegenüber China ebenfalls zu verschärfen. Berichten zufolge haben die USA etwa Druck auf die niederländische Regierung ausgeübt, damit diese die Exporte von wichtigen Halbleitermaschinen der Firma ASML an SMIC weiter einschränkt.
    • Wie aus den Daten des Bureau of Industry and Security (BIS) des US-Handelsministeriums hervorgeht, hat Washington die Ausfuhrkontrollen für Technologiegüter weiter verschärft. Die Grafik zeigt den Prozentsatz der erteilten und verweigerten Ausfuhrgenehmigungen für regulierte Güter nach China. Im Jahr 2021 wurden neun Prozent der Lizenzanträge vom BIS abgelehnt, gegenüber zwei Prozent im Jahr 2018.
    • Auch wenn der Prozentsatz der genehmigten Exporte (67 Prozent im Jahr 2021) immer noch relativ hoch erscheint, beantragen die meisten Unternehmen nur dann eine Ausfuhrgenehmigung, wenn sie mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass sie auch erteilt wird. Dies verzerrt die Datenlage, wie William Reinsch vom Thinktank CSIS feststellte.
    • Die Zunahme von Ausfuhrverweigerungen durch das BIS spiegelt sich auch im Rückgang von amerikanischen Hightech-Gütern (ATP) wider. Während das Exportvolumen von ATPs im Jahr 2018 bei fast 40 Milliarden USD lag, wurden 2020 lediglich Waren im Wert von rund 30 Milliarden USD nach China exportiert.

    Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

    • Handel
    • Technologie
    • USA

    News

    Insider: Washington plant großen Waffendeal mit Taiwan

    Die US-Regierung plant einem Bericht von Politico zufolge, Waffen im Wert von etwa 1,1 Milliarden Dollar an Taiwan zu liefern. Das Paket umfasst 60 Anti-Schiffsraketen und 100 Luft-Luft-Raketen. Der Deal müsse nur noch vom Kongress gebilligt werden, schreibt Politico in Berufung auf mit dem Vorgang vertraute Personen. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums habe sich zu dem Bericht nicht äußern wollen.

    Das Rüstungspaket habe dem Bericht zufolge das Ziel, Taiwans Verteidigungsfähigkeit zu erhalten, nicht aber eine Erweiterung der militärischen Kapazitäten der Insel. So oder so dürfte der Verkauf, wenn er zustande kommt, für weitere Spannungen zwischen, China und den USA führen. fpe

    • Geopolitik
    • Militär
    • Taiwan
    • USA

    Mehrere Städte verschärfen Corona-Maßnahmen

    Es sind noch 47 Tage bis zum Parteitag in Peking, doch die politische Führung möchte kein Risiko eingehen und hat die Corona-Maßnahmen im Land noch einmal verschärft. In der Provinz Hebei, angrenzend zur 22-Millionen-Metropole Peking, müssen rund vier Millionen Menschen seit Dienstagabend bis zum Ende der Woche zu Hause in Quarantäne bleiben.

    In der Hafenstadt Tianjin mussten über 13 Millionen Menschen zum PCR-Test anrücken. Dort waren zuvor 80 Fälle mit dem Coronavirus gemeldet worden. Auch in der Hafenstadt Dalian, im Nordosten, wurden laut Reuters die wichtigsten Bezirke für circa drei Millionen Einwohner abgeriegelt und bis Sonntag unter Quarantäne gestellt. In der Tech-Metropole Shenzhen mussten einige Läden auf Anweisung der Behörden am Dienstagabend lokaler Zeit schließen. Zuletzt wurden aus mehr als 20 Provinzen neue Infektionen gemeldet. Regierungsberater gehen davon aus, dass die Zahl der Infektionen in dieser Woche noch auf 10.000 pro Tag steigen könnte.

    In Dalian werden Importgüter wie Sojabohnen und Eisenerz umgeschlagen. Die verschärften Corona-Maßnahmnen in einigen Städten könnten das Handelsgeschäft beeinflussen.
    In Dalian werden Importgüter wie Sojabohnen und Eisenerz umgeschlagen.

    Experten warnen vor den Folgen für die weltweiten Lieferketten: Dem Kiel Institut für Wirtschaftsforschung (IfW) zufolge verschärfen schon kommunale Lockdowns die Engpässe in den globalen Lieferketten. Die derzeitigen Maßnahmen in Shenzhen und weiteren Städten seien allerdings noch nicht vergleichbar mit dem einschneidenden Lockdown in Shanghai im Frühjahr. “Sollten die Covid-19-Fälle aber weiter steigen, könnte ein harter Lockdown gerade in und um Shenzhen Lieferketten und das Weihnachtsgeschäft belasten“, warnte IfW-Handelsexperte Vincent Stamer. “Denn die Provinz Guangdong um die Metropolen Guangzhou und Shenzhen am Perlflussdelta ist die exportstärkste Provinz Chinas. Auch viele Konsumgüter für den deutschen Markt werden dort produziert.” niw/rtr

    • Coronavirus
    • Gesellschaft
    • Gesundheit
    • Guangdong
    • Handel
    • KP Chinas

    Salomonen untersagen US-Schiffen das Anlegen

    Rund drei Monate nach dem Abschluss des umstrittenen Sicherheitsabkommens mit China zeigen sich die Salomonen zunehmend abweisend gegenüber US-Marineschiffen. Nachdem einem Schiff der US-Küstenwache das Einlaufen in der vergangenen Woche verweigert wurde, verhängten die Behörden des pazifischen Inselstaates nun einen völligen Stopp von Marinebesuchen. “Wir haben unsere Partner gebeten, uns Zeit zu geben, um neue Prozesse zu überprüfen und einzuführen, bevor wir weiteren Anträgen für die Einreise von Militärschiffen stattgeben”, ließ Premierminister Manasseh Sogavare mitteilen.

    Die Regeln gelten demnach für Marineschiffe aller Länder, so der Premier. Auf Vorwürfe aus den USA, dass der Anlaufstopp auf chinesischen Einfluss zurückzuführen sei, ging er nicht ein. Im April hatten die Salomonen ein umstrittenes Sicherheitsabkommen mit China unterzeichnet (China.Table berichtete). Demnach kann China die Salomonen bei “Fragen der sozialen Ordnung und Sicherheit” unterstützen. Australien, die USA und andere westlichen Staaten hatten daraufhin Sorge geäußert, dass China dort eine dauerhafte Militärpräsenz aufbauen könnte (China.Table berichtete). Eine Militärbasis auf den strategisch günstig gelegenen Inseln wäre für Peking ein wichtiger Schritt, um die eigene Machtposition im Pazifik zu stärken. Sogavare hatte zuletzt Australiens Premier zugesichert, dass es keine dauerhafte chinesische Präsenz geben wird. niw

    • Geopolitik
    • Indopazifik
    • Militär
    • USA

    Neue Diskussion über LNG-Lieferungen aus China

    LNG-Lieferungen aus China werden nicht die Energiekrise der EU lösen.

    Ein Beitrag auf dem Nachrichtenportal Spiegel Online weckt Hoffnung auf Lieferungen von Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus China. Die Meldung basiert allerdings allein auf einem Artikel in der britischen Zeitung Financial Times (FT), der sich seinerseits auf einen Bericht in der japanischen Wirtschaftszeitung Nikkei stützt, zu deren Verlagsgruppe auch die FT gehört. Und auch dem Nikkei-Bericht liegen nur wenig neue Informationen zugrunde.

    China könne demnach aus den eigenen, gut gefüllten Beständen im Laufe des Winters LNG-Bestände nach Europa verschiffen, so die Argumentation. Die Nikkei zitiert als wichtigsten Beleg eine anonyme Quelle bei dem chinesische Rohstoff-Handelshaus Jovo Group aus Guangzhou. Diese berichtet davon, bereits “eine Ladung” an einen EU-Abnehmer veräußert zu haben. Der Öl- und Gasförderer Sinopec berichtete zudem ganz offiziell davon, überschüssige LNG-Bestände “auf den Weltmarkt” abzugeben.

    Der mögliche Weiterverkauf von russischem Gas und Öl durch China war jedoch von Anfang des Krieges an ein Diskussionsthema (China.Table berichtete), ohne dass sich entsprechende Ideen bisher konkretisiert haben. Russland setzt einen guten Teil dessen, was nicht mehr nach Europa geht, mit Rabatt an China, Indien und andere treue Käufer ab. Einem Weiterverkauf steht zwar theoretisch nichts im Wege: Russland kann China nicht vorschreiben, was es mit dem LNG macht. Es gibt jedoch in der Praxis erhebliche Engstellen:

    • Die Weitergabe des von Russland erhaltenen LNG in großem Stil an die EU wäre für China keine geschäftliche Entscheidung, sondern eine politische – alle anderen Annahmen wären naiv. Da sich Peking nach der Ukraine-Invasion an die Seite Moskaus gestellt hat, ist formale Hilfe für die Europäer aber eher unwahrscheinlich. Dazu kommen die China-kritischen Töne aus Berlin und Brüssel, die so eine Einigung nochmals erschweren.
    • Deutschland hat noch gar keinen Entladehafen für LNG. Die ersten improvisierten LNG-Terminals sollen Ende des Jahres in Wilhelmshaven und Brunsbüttel in Betrieb gehen. Sie werden vermutlich ab dem ersten Tag voll ausgelastet sein. Bisher trifft das meiste LNG über Frankreich und die Niederlande in Deutschland ein. Auch diese Terminals sind an der Kapazitätsgrenze. Außerdem ist die Zahl der weltweit verfügbaren LNG-Tanker begrenzt.
    • China hat selbst einen enormen Energiehunger und will derzeit das Wachstum mit einem großen Konjunkturpaket anfachen. Da stellt sich die Frage, ob es nicht doch einen großen Teil des günstigen russischen Gases für seine eigenen Reserven behalten will.

    Chinesische LNG-Lieferungen für Europa sind daher zwar hochwillkommen und werden auch stattfinden, aber sie werden – anders als der Spiegel es suggeriert – vermutlich kein entscheidender Faktor für die Überwindung der akuten Energiekrise in Deutschland sein. fin

    • Energie
    • Erdgas
    • EU
    • LNG
    • Russland

    Presseschau

    Standpunkt

    Chinas Wachstumsopfer haben erst begonnen

    Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
    Stephen S. Roach, Yale-Ökonom und ehemals langjähriger Chairman bei Morgan Stanley Asia.

    Seit den Tagen von Deng Xiaoping ist hohes Wirtschaftswachstum der chinesischen Führung wichtiger als alles andere. Das jährliche Hyperwachstum von zehn Prozent zwischen 1980 und 2010 wurde weithin als Mittel zur Bekämpfung der relativen Stasis der Mao-Ära betrachtet, als die Wirtschaft nur um etwa sechs Prozent wuchs. Doch unter Präsident Xi Jinping schlug das Pendel um: Das durchschnittliche Wachstum der Jahre 2013 bis 2021 von 6,6 Prozent lag sehr viel näher an der Entwicklung unter Mao als an der unter Deng.

    Zu einem gewissen Grad war diese Verlangsamung unvermeidlich und spiegelte teilweise das Gesetz der großen Zahlen wider: Kleine Volkswirtschaften sind eher in der Lage, hohe Wachstumsraten aufrechtzuerhalten. Angesichts des Wachstums der chinesischen Wirtschaft – von zwei Prozent am globalen BIP zu Beginn des Wachstumsschubs unter Deng 1980 auf 15 Prozent bei der Machtübernahme durch Xi im Jahr 2012 – war eine arithmetische Verlangsamung nur eine Frage der Zeit. Die Überraschung ist vielmehr, dass es so lange dauerte, bis sie eintrat.

    Die durch diese Verlangsamung bedingte Verringerung der chinesischen Wirtschaftsleitung lässt sich quantifizieren. Hätte sich der jährliche reale BIP-Anstieg um zehn Prozent unter Xi fortgesetzt statt sich seit 2012 um fast 3,5 Prozentpunkte zu verlangsamen, wäre die chinesische Volkswirtschaft heute gut 40 Prozent größer.

    Strukturwandel durch Verschiebung der ideologischen Fundamente?

    Doch ist der chinesische Konjunkturabschwung viel mehr als ein arithmetisches Ereignis. Es kommen dabei zugleich drei machtvolle Kräfte zum Tragen – ein wirtschaftlicher Strukturwandel, der Ausgleich vergangener Exzesse und eine profunde Verschiebung der ideologischen Fundamente chinesischer Regierungsführung.

    Die strukturelle Erklärung verleiht dem Abschwung einen optimistischen Anstrich, indem sie ihn als Beiprodukt einer auf Verbesserung der Qualität des Wirtschaftswachstums ausgerichteten Strategie fasst. Durch sein zu langes Festhalten am Kurs des Hyperwachstums litt China zunehmend unter den “vier Uns” des ehemaligen chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao: einer Wirtschaft, die immer unstabiler, unausgewogener, unkoordinierter und (letztlich) untragbar wurde. Sie in ein neues Gleichgewicht zu bringen war der einzige Ausweg – insbesondere, wenn dies zu einem umweltfreundlicheren, stärker verbraucherorientierten und dienstleistungsintensiveren Wachstum führte, das die beiden Ziele der Ausgewogenheit und der Nachhaltigkeit erfüllte. Wenn ein langsameres Wachstum der Preis hierfür sein sollte, so wäre dies die Sache wert.

    Für eine Weile schien die strukturelle Wachstumsverlangsamung auf dem richtigen Weg zu sein. Das dienstleistungsbedingte Wachstum kurbelte die Schaffung von Arbeitsplätzen an, und die Urbanisierung verlieh den Realeinkommen einen machtvollen Schub. Obwohl der Konsum aufgrund eines schwachen sozialen Netzes, das zu überzogenen Vorsorgeansparungen führte, noch immer lahmte, gab es gute Gründe, an die Wahrscheinlichkeit eines Strukturwandels zu glauben. Doch hatte das Bemühen um eine strukturelle Wachstumsverlangsamung auch ihre Schattenseiten – insbesondere eine besorgniserregende Abschwächung der Verbesserung der chinesischen Gesamtfaktorproduktivität sowie einen durch die zwischen 1980 und 2015 in Kraft gewesene Ein-Kind-Politik bedingten starken demografischen Gegenwind.

    Xis Amtsantritt ließ Hoffnung auf Reformen schwinden

    Doch gibt es gute Gründe zu der Annahme, dass Chinas Wirtschaftsabschwung zugleich eher ein unvermeidlicher Ausgleich für die Exzesse der Ära des Hyperwachstums ist. Tatsächlich wurde dieser Gedankengang 2016 in einem viel beachteten, auf der Titelseite des Zentralorgans der Kommunistischen Partei erschienenen Interview mit einer “maßgeblichen Person” zum Ausdruck gebracht, das vor der potenziellen Japanisierung einer zunehmend schuldenintensiven, durch Spekulationsblasen gestützten chinesischen Wirtschaft warnte. Zu diesem Drehbuch passen der überschuldete chinesische Immobiliensektor und auch das schuldenbeflügelte Wachstum der staatseigenen Unternehmen seit der globalen Finanzkrise von 2008-2009. Hieraus entwickelte sich eine Argumentation über die Notwendigkeit einer Entschuldung Chinas, deren kurzfristige Kosten sich durchaus lohnten, wenn sich dadurch die längerfristige Stagnation japanartiger verlorener Jahrzehnte vermeiden ließe.

    Und schließlich ist auch eine wichtige Umkehrung der ideologischen Fundamente der Regierungsführung mit im Spiel. Als revolutionärer Gründer eines neuen chinesischen Staates gab Mao Zedong der Ideologie den Vorzug vor der Entwicklung. Bei Deng und seinen Nachfolgern war es umgekehrt: Die Verlagerung des Schwerpunkts weg von der Ideologie wurde für notwendig erachtet, um das Wirtschaftswachstum durch eine marktgestützte “Reform und Öffnung” anzukurbeln.

    Dann kam Xi. Ursprünglich war die Hoffnung, dass seine sogenannten “Reformen der dritten Vollversammlung” von 2013 eine neue Ära kraftvoller wirtschaftlicher Entwicklung einläuten würden. Doch die neuen, unter der allgemeinen Rubrik des Gedankenguts Xi Jinpings durchgeführten ideologischen Kampagnen, darunter die harte Regulierung der einst dynamischen Internetplattform-Unternehmen und damit verknüpfte Online-Beschränkungen für Glücksspiel, Musik und Privatunterricht, sowie eine zu endlosen Lockdowns führende Null-Covid-Politik haben all diese Hoffnungen zunichte gemacht.

    Gleichermaßen wichtig war Xis Fixierung auf eine nationale Erneuerung, ein Auswuchs seines sogenannten “chinesischen Traums”, der zu einer deutlich aggressiveren, im scharfen Gegensatz zu Dengs passiverer Haltung des “Versteckens und Abwartens” stehenden chinesischen Außenpolitik führte. Es ist kein Zufall, dass diese die Handels- und Technologiekriege mit den USA befeuert hat, Chinas “uneingeschränkte Partnerschaft” mit Russland hervorbrachte und Spannungen in Bezug auf Taiwan angeheizt hat. All dies deutet auf eine Rückabwicklung der Globalisierung hin, von der China lange mehr als jedes andere Land profitiert hat.

    Wachstumsopfer beginnen erst

    Mein Fehler war, es China zu sehr zugutezuhalten, dass es ein strukturelles Gegenmittel gegen Wens “vier Uns” entwickelt hatte. Dies hat mich dazu verleitet, zu viel Gewicht auf die positiven Aspekte der Neugewichtung als Begründung für ein Wirtschaftswachstum höherer Qualität zu legen. Ich habe mir große Sorgen über die Risiken einer Japanisierung, doch überwiegend als Symptome einer gescheiterten Neugewichtung gemacht. Das führte dazu, dass ich umso stärker für eine Neugewichtung eintrat; ich argumentierte, dass ein Strukturwandel Chinas einzige echte Option sei.

    Mein größter Fehler bestand darin, die Folgen von Xi Jinpings Denken zu bagatellisieren. Xis Fokus auf die Ideologie deutet viel stärker auf eine Auferstehung von Maos Erbe hin als auf eine Kontinuität mit der Deng-Ära. In Chinas neuer Ära unter Xi geht es mehr um die Vorherrschaft der Partei, mit einer damit verknüpften Betonung von Macht, Kontrolle und ideologischen Beschränkungen für die Wirtschaft.

    Anders als in Maos China, wo es nicht viel Wachstum gab, das man hätte opfern können, steht für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt heute viel mehr auf dem Spiel. Und angesichts der Tatsache, dass der anstehende 20. Parteikongress eine nie dagewesene dritte fünfjährige Amtszeit für Xi einläuten könnte, gibt es gute Gründe für die Annahme, dass Chinas Wachstumsopfer gerade erst begonnen haben.

    Stephen S. Roach war Chairman von Morgan Stanley Asia und ist heute Professor an der Universität Yale. Er ist der Verfasser des in Kürze erscheinenden Buches Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Jan Doolan.

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
    www.project-syndicate.org

    • Deng Xiaoping
    • Finanzen
    • Geopolitik
    • Industrie
    • KP Chinas
    • Mao Zedong
    • USA
    • Xi Jinping

    Personalien

    Eduardo Thamm hat bei BMW China die Rolle des Senior Managers R&D Driving Dynamics übernommen. Der China-erfahrene Manager ist seit 2010 für BMW in der Produktentwicklung tätig. Sein Spezialgebiet ist die Koordination multikultureller, funktionsübergreifender Teams. Für seinen neuen Posten wechselte Thamm von Shenyang nach Peking.

    Björn Giner ist seit August Senior Engineer bei Schaeffler in Shanghai. Die Schaeffler-Gruppe ist ein börsennotierter deutscher Zulieferer der Automobil- und Maschinenbauindustrie. Zuvor war Giner drei Jahre als Projektmanager im Hauptsitz des Unternehmens in Herzogenaurach tätig.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

    Dessert

    Auch dieser Herr erhält noch einmal eine ausdrückliche Warnung der Behörden: Für Chongqing sind sintflutartige Regenfälle und Blitzfluten vorhergesagt. Inzwischen wissen wir infolge des Klimawandels auch in Deutschland, wie gefährlich Überschwemmungen sein können. Zumal wenn man, wie dieser Bewohner der westchinesischen Metropole, nicht in einem richtig befestigten Haus wohnt. Seine Hütte hat er unter einer Hochautobahn errichtet. Hier bereitet er sich gerade sein Frühstück zu.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen