Es war ein Versprechen, das jetzt nicht überall eingelöst wird. Eigentlich wollten die Bildungsminister der Länder dafür sorgen, dass Lehrerinnen aus der Ukraine hier in Deutschland schnell und unkompliziert arbeiten können. Es wäre, würde das überall funktionieren, eine Win-Win-Situation. Denn die Fluchtwelle aus der Ukraine trifft auf ein ausgezehrtes Schulsystem, in dem jeder kluge Kopf gebraucht wird. In den vergangenen Wochen hat ein Bildung.Table-Team mit ukrainischen Lehrerinnen in unterschiedlichen Bundesländern gesprochen. Ihre Geschichten offenbaren, dass es am Ende auch eine Frage des Glücks ist, wer unterrichten darf – und wer nicht (oder erst viel später).
Über Jahrzehnte war der gebundene und kostspielige Leder-Brockhaus ein Statussymbol des Bildungsbürgertums – eine Enzyklopädie voll mit gesammeltem Wissen, meist gut sichtbar im Wohnzimmer-Regal platziert. Doch in Zeiten von Wikipedia, SimpleClub & Co. muss sich der Brockhaus neu erfinden, weil Inhalte innerhalb von Minuten veralten können. Im Interview mit meinem Kollegen Christian Füller erklärt Thomas Littschwager, warum er dennoch an den Wert geprüfter Information glaubt und wie er Lehrer:innen für den Digital-Brockhaus begeistern will.
Weitere Themen diese Woche: Robert Saar schreibt über die Inklusions-Misere in Bayern. Währenddessen schlägt Human Rights Watch Alarm, dass EdTechs massenhaft Schüler:innen-Daten sammeln. Und in einer Studie beschweren sich Lehrkräfte, dass sie die Handschrift ihrer Schüler:innen nicht mehr lesen können – was, wenn man genau hinschaut, ein gravierendes Problem ist.
Viel Freude bei der Lektüre!
Zwei Monate lang musste Daryna Boyko* Däumchen drehen. Dann, zwei Wochen ist das her, stand sie zum ersten Mal vor einer Klasse in Deutschland. Boyko kommt aus dem stark zerstörten Charkiw, spricht perfekt Deutsch. Als sie Anfang März nach einer Odyssee in Sachsen-Anhalt ankam, sah alles so einfach aus. Die Schulminister hatten beschlossen, den geflüchteten ukrainischen Lehrerinnen schnell Arbeit zu geben. Aber dann fand sich Boyko in einem Labyrinth aus Zuständigkeiten wieder.
Sie ist kein Einzelfall. Überall in der Bundesrepublik setzten ukrainische Lehrerinnen Hoffnungen auf das Versprechen der Schulminister der Länder. Immerhin sind bereits 113.000 ukrainische Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen registriert. Und es herrscht dramatischer Lehrkräftemangel. Dennoch geht jedes Land anders mit den Lehrerinnen um.
Sachsen etwa stellte für rund 6.600 geflüchtete Schüler insgesamt 262 Lehrer ein, die meisten aus der Ukraine, schreibt das Kultusministerium. In Baden-Württemberg sind 17.000 Schüler registriert; dort arbeiten bisher 409 zusätzliche Lehrkräfte im Dienst des Landes, von denen nur 128 ukrainisch sind. Reichen wird das wohl nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass die Kultusminister zwischen 13.000 und 20.000 zusätzliche Lehrkräfte nur für die geflüchteten Schüler:innen brauchen werden.
Sachsen schlug, das zeigen Gespräche mit Lehrerinnen, einen erfolgreichen Weg ein. Exemplarisch dafür steht die Geschichte von Svitlana Shchehliuk. Sie kam bereits Ende Februar aus Lwiw in Sachsen an. Das Dresdner Kultusministerium hatte kurze Zeit nach Kriegsbeginn Stellen für Lehrkräfte aus der Ukraine geschaffen, eine davon ergatterte Svitlana Shchehliuk. Nun ist sie am Dresdener LEO-Gymnasium angestellt und unterrichtet die ukrainischen Kinder in ihrer Sprache, in Geografie und Literatur – nach ukrainischen Lehrplänen. “Alle sind freundlich zu mir und ich habe nicht das Gefühl, überprüft zu werden“, sagt sie über ihre Schule. Anfangs dachte sie, sie müsse nur einige Wochen in Deutschland bleiben. Doch allmählich realisiert sie: Ein Ende des Kriegs in ihrer Heimat ist nicht in Sicht. “Ich warte jeden Tag auf gute Nachrichten aus der Ukraine“, sagt sie.
Julia Sokolova hatte Pech beim Bundesland, profitiert aber von einem starken Netzwerk. In Nordrhein-Westfalen hat das Schulministerium bisher nur 61 ukrainische Lehrkräfte eingestellt, während schon mehr als 18.000 schulpflichtige Ukrainer:innen angekommen sind. NRW lässt sich bei der Aufnahme der Geflüchteten lieber von Lehramtsanwärtern unterstützen, die ihre Stunden freiwillig erhöhen.
“Bei uns ist schon seit acht Jahren Krieg“, sagt Julia Sokolova. Zusammen mit ihrer 15-jährigen Tochter wohnte sie in einem Vorort von Donezk, im Donbass. Über Rumänien und Österreich flüchteten die beiden im Frühjahr ins Münsterland. Am 5. April kamen sie dort an, tags drauf empfing sie schon die Schulleiterin des Gymnasiums in Telgte. Drei Diplome kann die 47-Jährige vorweisen: eins für deutsche und englische Literatur, eins für Dolmetschen und ein weiteres für Marketing. Zuletzt arbeitete sie in der Ukraine im PR-Bereich, auch für deutsche Firmen. Dieses Netzwerk half ihr. Einer ihrer Auftraggeber knüpfte den Kontakt zur Schulleiterin im Münsterland.
“Bei mir lief alles total freundlich und perfekt”, sagt Julia Sokolova. Sie bekam an der Schule schnell einen Honorarvertrag. Vier Stunden pro Woche hilft sie in der Willkommensklasse aus, die eine deutsch-russische Kollegin für sechs ukrainische Jugendliche anbietet. Eine richtige Anstellung würde Julia Sokolova sofort annehmen. Nun wartet wartet sie auf das Jobcenter, das für die meisten ukrainischen Geflüchteten ab dem heutigen 1. Juni zuständig ist. “Die können mir hoffentlich einen Vollzeitjob vermitteln”, sagt sie.
Auch Alina Belous*, die nach Baden-Württemberg floh, hat noch keine ordentliche Anstellung erhalten. Die Lehrerin spricht zwar fließend Englisch, aber kein Deutsch. Das Stuttgarter Ministerium stellt “grundsätzlich” nur Lehrkräfte ein, die Deutsch sprechen können – anders als Sachsen, das die Sprachanforderung auf das Niveau B2 absenkte. Dort können die Ukrainerinnen auch nach und nach Deutsch lernen.
Bei Belous hat es Wochen gedauert, bis sie auf Stundenbasis in einer Grundschule arbeiten konnte. Das Honorar, das sie erhält, reicht nicht zum Leben. Zum Glück unterstützte sie eine Initiative in dem kleinen Ort in der Region Stuttgart. Der Kegelverein bat die Englischlehrerin, mit geflüchteten Kindern dreimal in der Woche vormittags eine Übergangsschule zu organisieren. Bis zu 17 ukrainische Schüler:innen jeden Alters und aus jeder Provinz der Ukraine lernten mit ihr.
“Ohne Alina gäbe es hier keine Schule, bei ihr laufen alle Fäden zusammen”, sagt der Vorsitzende des Vereins zu Bildung.Table. Zusätzlich loggen sich die Kriegsflüchtlinge bei ihren ukrainischen Online-Schulen ein. Vom Kultusministerium haben sie dafür keine Unterstützung erhalten. Deswegen organisierte der Kegelverein alles selbst: Alina Belous bekam 300 Euro Unterstützung pro Monat. Um den Online-Unterricht zu ermöglichen, richtete der Verein Computerarbeitsplätze ein. Kosten: etwa 10.000 Euro.
Der Verein half Alina Belous auch, den Behördendschungel zu durchforsten. Wenn sie Glück hat, bekommt sie bald eine zweite Schule hinzu, an der sie auf Honorarbasis arbeiten kann. Freilich: Dieses Glück dann nur von kurzer Dauer sein. Baden-Württemberg hat angekündigt, dass die ukrainischen Lehrer:innen sich über die Sommerferien hinweg arbeitslos melden sollen. Viele deutsche Lehrkräfte im sparsamen Südwesten teilen das gleiche Schicksal.
Im März hatten die Kultusminister eine eigene Taskforce Ukraine “zur zentralen Koordinierung” gegründet. Die Geschichten aus den Ländern zeigen: So viel wurde nicht koordiniert und vereinheitlicht (Bildung.Table berichtete). Jedes Bundesland macht es so, wie es will. Und die ukrainischen Lehrerinnen müssen sich irgendwie zurechtfinden. Sie sind auf Glück angewiesen – und zufällige Kontakte.
Beides hatte Iryna Melnyk. Sie kam Anfang März in Dresden an. Heute unterrichtet sie an der Grundschule Siebenschwaben Erst- und Zweitklässler auf Ukrainisch. “Der Unterricht folgt dem Lehrplan des ukrainischen Bildungsministeriums”, sagt sie. Auch ihr Arbeitsvertrag ist befristet und endet am 22. Juli. Sollte der Krieg aufhören, will Iryna zurück in ihre Heimat gehen. Kommt es anders, wünscht sich die Lehrerin eine Perspektive in Deutschland, das heißt: einen langfristigen Arbeitsvertrag. Sachsen hat bereits angekündigt, die zusätzlichen Stellen im kommenden Schuljahr auf 400 zu verdoppeln.
“Ich bin dankbar und zufrieden, auch mit der Bürokratie“, sagt Iryna Melnyk. Viele Dokumente habe sie vorlegen müssen, doch sie habe den guten Willen des Staates gespürt. Svitlana Shchehliuk weiß die deutsche Bürokratie aber auch zu schätzen. Ihre Schüler hätten ihr letztens einen Schnellhefter gezeigt, der von hinten befüllt wird, damit die erste Seite immer die erste bleibt. “Das kannte ich vorher nicht”, erzählt sie. Robert Saar mit Christian Füller und Niklas Prenzel
*Die Namen der Lehrerinnen aus Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind Bildung.Table bekannt. Wir nennen sie hier bewusst nicht, um keine Nachteile für sie in der unsicheren Situation zu erzeugen.
“Der verlegerische Erfolg Friedrich Arnold Brockhaus’ beruhte unter anderem auf der zügigen Verbreitung von Wissen.” Das schreibt der Brockhaus über F.A. Brockhaus. Wie wollen Sie das heute schaffen, Herr Littschwager, wo Informationen überall in Echtzeit verfügbar sind?
Wir haben nicht den Anspruch, dass wir stets tagesaktuell sind. Wir wollen keine Newsredaktion sein. Die Redaktion prüft, ob eine Information langfristig Gültigkeit beanspruchen kann – erst dann pflegen wir sie in unsere Artikel ein.
In welchen Bundesländern sind Sie mit dem Online-Brockhaus bereits an Schulen?
Aktuell sind wir in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vertreten. In anderen Ländern nutzen einzelne Schulen unseren Service.
Wollte nicht auch Niedersachsen Brockhaus-Lizenzen kaufen?
Wir sind noch im Gespräch.
Wie viel Umsatz erzielen Sie mit Schullizenzen von Brockhaus-Online? In NRW sollen es 2,6 Millionen Euro sein – für drei Jahre.
Das war leider von Anfang an falsch berichtet. Nordrhein-Westfalen hat letztes Jahr 2,6 Millionen Euro für Unterrichtsinhalte ausgegeben. Wir sind nur ein Teil dieses Angebots.
Welcher Betrag ist korrekt?
Konkrete Zahlen kann ich nicht kommunizieren.
Warum sollten Schulen für eine geschlossene Lernwelt bezahlen, wenn sie – wie bei Ihnen – immer wieder hinaus in den Cyberspace geführt werden, etwa zu YouTube?
Unser Ansatz ist, Schüler:innen das beste Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. Wenn es draußen tolles Material gibt, warum sollten wir es nicht für ergänzende Infos verwenden?
Haben Sie eine Crowd, die von außerhalb bei Ihnen mitarbeitet?
Wir haben rund 100 externe Autor:innen, die aber im Unterschied zu Wikipedia für ihre Arbeit bezahlt werden. Die sind übrigens sehr genau ausgewählt. Eine Redaktion von derzeit sieben Leuten trifft die Auswahl, wer schreibt und was geschrieben wird.
Es waren mal 300 AutorInnen und Brockhaus-Redakteure. Sind von denen welche übrig?
Nein, in der Redaktion nicht. Mit dem alten Brockhaus-Verlag haben wir eigentlich nichts mehr zu tun. Wir besitzen die Marke und die Inhalte, die wir seit 2018 aktualisieren. Vor einem halben Jahr haben wir dabei die Schlagzahl wesentlich erhöht.
Wie will Brockhaus mit einer Echtzeit-Enzyklopädie mithalten? Wikipedia ist auch keine Newsredaktion. Trotzdem steht dort, wenige Minuten nachdem die Moskwa gesunken ist, alles über dieses russische Kriegsschiff.
Wir sind nicht in Echtzeit dabei, trotzdem sind wir so valide wie der alte Brockhaus – im Vergleich sind wir sogar viel valider. Der alte Brockhaus kam nur alle paar Jahre neu raus. Unser Ziel ist es, Informationen in der Enzyklopädie zur Verfügung zu stellen, die einer Überprüfung standhalten. Und wir schreiben die Texte zielgruppengerecht. Deswegen existieren drei Versionen der Enzyklopädie: eine für Erwachsene, eine für Jugendliche und eine für Kinder. Mag also sein, dass Wikipedia schneller ist als wir – aber deren Texte sind schwerer lesbar. Gerade für Schüler sind sie oft viel zu kompliziert geschrieben.
Auch im Schulbereich wartet scharfe Konkurrenz auf Sie. Mundo hat eine Spezialistenredaktion in München. “Wir lernen Online” (WLO) baut ein riesiges Crowd-Netzwerk auf. Haben Sie da keinen Bammel?
Wir haben Respekt vor allen Mitbewerbern. Unser Alleinstellungsmerkmal lautet: Was in unseren Nachschlagewerken und Lehrmaterialien steht, ist nach bestem Wissen und Gewissen nachweislich korrekt. Je größer die Redaktion wird, desto näher kommen wir diesem Ziel.
Mundo und WLO prüfen ebenfalls sorgfältig. Mundo macht es jetzt möglich, dass Lehrer aus dem Meer der 800.000 Lehrkräfte eigene Unterrichtsideen hochladen können. Gibt es das auch bei Ihnen?
Derzeit noch nicht.
Haben es eigentlich alle 30 Bände des Leder-Brockhaus in den digitalen geschafft?
Ja, das Wissen dieser Bände ist auf unserer Plattform – und zum Teil schon seit längerer Zeit digitalisiert.
Gilt der Transfer aus Buchdeckeln ins Netz schon als Digitalisierung?
Ich finde ja. Wir haben zwei digitale Geschäftsmodelle. Erstens verkaufen wir unsere Online-Enzyklopädie an Bibliotheken. Die zweite Linie ist, dass die Enzyklopädie, die Online-Kurse und unser Lernmaterial die Digitalisierung der Schulen voranbringt.
Digitalisierung heißt: Schnelligkeit, Kollaboration, Reziprozität. Kann ein Schüler Ihnen Feedback geben?
Natürlich haben wir eine Feedback-Funktion und zwar in verschiedenen Formen: von Chatbot bis E-Mail-Adresse. Das wollen wir auch weiter ausbauen, weil wir von unseren Kund:innen lernen wollen.
Feedbackkanäle sind aufwändig. Wer kuratiert Ihre Leserbriefe?
Vorsicht, Missverständnis! Wir haben keine offene Kommentarspalte. Das Feedback geht zunächst an eine Serviceabteilung, die die relevanten Sachen an die Redaktion weitergibt.
Was setzen Sie ausgefeilten Digitalangeboten wie Sofatutor oder Simpleclub entgegen? Dort spielen Profis hochwertige Lernvideos auf Millionen Smartphones?
Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu Simpleclub & Co. Die haben bisher eher einen Fokus auf den Nachmittag. Wir wollen in den Vormittag, in den richtigen Unterricht. Wir stellen von den Ministerien geprüfte Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die im Unterricht zugelassen sind – also vergleichbar zu einer modernen Version des klassischen Schulbuchs, wie es Cornelsen oder Klett oder Westermann produzieren.
Wie sieht Ihrer Ansicht nach das digitale Klassenzimmer der Zukunft aus?
In meinen Augen wäre das ein hybrides Klassenzimmer, in dem Lehrer:innen Wissen nicht mehr mit Kreide an der Tafel entwickeln, sondern unterstützt von einem intelligenten Board. Mit einem Wisch können Lehrer diese Inhalte auf die Tablets der Schüler spielen – sodass diese im digitalen Raum selbst aktiv werden können.
Und Papier gibt’s keins mehr?
Doch, Papier ist weiterhin notwendig. Das Setting, das ich beschreibe, heißt gerade nicht, dass Schüler:innen nie wieder etwas in einem Heft oder auf einem Notizblock aufschreiben. Sie verwenden das Medium, das am besten zur aktuellen Lernsituation passt.
Auf Ihrer Homepage heißt es: Lernende bräuchten “vor allem objektive Inhalte”, um Informationen bewerten zu können. Wie kommen Sie denn auf objektive Inhalte?
Unser Anspruch ist es auf jeden Fall. Es wird mehrfach überprüft, was in unserem Nachschlagewerk steht. Auch wenn es eine hundertprozentige Objektivität natürlich nicht geben kann. Ich sage nicht: “Vertraut blind unserem Nachschlagewerk!” Sondern: “Lernt, wie ihr Informationen am besten prüfen könnt!”
“Unter der Firmierung Brockhaus | NE GmbH vollzieht das Unternehmen eine Wandlung vom Wissens- zum Bildungsanbieter.” Was meinen Sie damit?
Wir sind gestartet mit dem reinen Wissensangebot des Nachschlagewerks. Nun entwickeln wir uns weiter, indem wir umfassende Lehrmaterialien, kompetenzorientierte Aufgaben und Übungen mit in das schulische Programm aufnehmen.
Wenn ich mir Ihr Portal anschaue, finden sich dort bislang nicht besonders viele kompetenzorientierte Aufgaben.
Ja, aber wir bauen jetzt mit Hochdruck Lerninhalte einzelner Fächer auf, die für bestimmte Jahrgangsstufen gelten.
Das können Portale, die mit Learning Analytics arbeiten, schon seit zehn Jahren.
Der wichtige Unterschied ist: Wir bieten das im Klassenzimmer an. Der Mehrwert für Lehrer:innen im Unterricht wird sein, dass diese Materialien sehr differenziert auf einzelne Schülergruppen bezogen sind. Das heißt eine Lehrkraft wird mit uns viel genauer auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen können – und das ganze von Ministerien abgesegnet.
Human Rights Watch schlägt nach einer Überprüfung von digitalen Bildungsunternehmen weltweit Alarm, weil EdTechs massenhaft Schülerdaten sammeln. “Von den 164 untersuchten EdTech-Produkten schienen 146 (89 Prozent) Datenpraktiken zu verwenden, die die Rechte der Kinder gefährdeten, zu ihrer Unterminierung beitrugen oder diese Rechte aktiv verletzten”, heißt es in dem neuen Bericht. Zu den untersuchten Apps und Plattformen zählen auch eine ganze Reihe in Deutschland verbreiteter Anwendungen wie MS Teams, Google Classroom, itslearning oder die beliebte digitale Pinnwand Padlet. Selbst bei Moodle entdeckten die Menschenrechtler Probleme. Ein Resümee der Untersuchung lautet. “Diese Produkte überwachten Kinder oder hatten die Möglichkeit, sie zu überwachen, in den meisten Fällen heimlich und ohne die Zustimmung der Kinder oder ihrer Eltern.”
Human Rights Watch (HRW) ließ nach mehreren Kategorien Apps und webbasierte Anwendungen untersuchen. Experten begutachteten etwa 73 EdTech-Apps genauer auf das Merkmal “Wer bist Du?”. HRW habe 41 Apps (56 Prozent) gefunden, die Werbe-IDs ihrer Nutzer sammelten – darunter Padlet, itslearning und Schoolfox. Sie erlaubten es laut HRW, “Kinder zu markieren und ihre Geräte zu identifizieren” – und zwar ausschließlich zu dem Zweck, sie mit Werbung anzusprechen. Die unter digital affinen Lehrern gern genutzte App Padlet taucht bei Lokalisierungen in dem Bericht mehrfach auf. Auch deutsche Datenschutzbeauftragte warnten bereits vor Padlet. Microsoft Teams wiederum muss sich vorhalten lassen, den Standort von Schülern auf fünf Meter bestimmen zu können. Überraschend tauchen auch Threema Work und Moodle in der Kategorie auf, die Lehrer üblicherweise als sichere Produkte handeln.
Anlass für die HRW-Untersuchung der EdTechs auf Schülerdaten war die Verbreitung digitaler Lerntechnologie während der Corona-Pandemie. “Der beispiellose, massenhafte Einsatz von Bildungstechnologien (EdTech) durch Schulen während der Pandemie ohne angemessenen Schutz der Privatsphäre hat das Recht der Kinder auf Privatsphäre drastisch reduziert.” So halten die HRW-Autoren fest.
Gleichzeitig seien die Einnahmen der Tech-Firmen dramatisch gestiegen. Google Classroom, die Google-Plattform für Lehrer und Schüler, habe die Zahl seiner Nutzer:innen fast vervierfacht – auf mehr als 150 Millionen. “Wir haben ein unglaubliches Wachstum erlebt“, zitiert der Bericht Javier Soltero, Vizepräsident von Google Workspace. Christian Füller
Die Inklusion an Deutschlands Schulen bleibt eine der großen bildungspolitischen Baustellen, viele Praktiker sind längst ernüchtert. In einer aktuellen nicht-repräsentativen Umfrage geben 97 Prozent der Lehrkräfte in Bayern an, dass sie das Versprechen der Inklusion nicht einlösen können – zu schlecht seien die Rahmenbedingungen, von der Ausstattung bis zum Fortbildungsangebot.
Die Kritik, das zeigt eine Umfrage des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), richtet sich nicht gegen die Idee der Inklusion. Es ist die Realität an den Schulen, die den rund 700 befragten Lehrkräften Unbehagen bereitet.
Da gibt es beispielsweise Fortbildungen, die auf die Arbeit mit Schüler:innen mit Behinderung vorbereiten sollen. Allerdings bewertet die Hälfte der befragten Lehrkräfte das Angebot als mangelhaft beziehungsweise ungenügend. Aus der Politik fehle die nötige Unterstützung. In Bayern halten nur 16 Prozent die Hilfen aus Schulamt, Regierung oder Kultusministerium für ausreichend.
“Inklusion ist das richtige Ziel, aber wir dürfen die Lehrkräfte damit nicht allein lassen”, resümierte Fritz Schäffer, Leiter der BLLV-Abteilung Schul- und Bildungspolitik. Inklusion sei kein Sparprogramm. Derzeit, so Schäffer, werde für Kinder, die eine Förderschule besuchen, doppelt so viel Geld aufgewendet wie für Kinder, die an einer Grund- oder Mittelschule inklusiv beschult werden. Und: Fortbildungen für Lehrkräfte an Regelschulen gebe es nur “in homöopathischen Dosen”.
Dazu kommt der Personalnotstand: Der Lehrermangel mache eine “erfolgreiche Inklusion unmöglich”, finden 99 Prozent der Befragten. Um Inklusion an den Schulen zu leben, bräuchten die Lehrer mehr Zeit für die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Doch trotz vollmundiger politischer Versprechen ändert sich an der Klassengröße in der Regel nichts.
Was kann besser werden? Der BLLV schlägt vor, und drei Viertel der befragten Lehrkräfte stimmen dem zu, ein eigenes Berufsbild “Sonderpädagogische Inklusionsassistenz” einzuführen, das direkt dem Kultusministerium zugeordnet ist. Aktuell sind es Schulbegleiter, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterstützen. Eine spezielle Ausbildung für diese Tätigkeit gibt es jedoch nicht. Robert Saar
Viele Schüler:innen schneiden beim Schreiben mit der Hand schlechter ab als vor der Pandemie. Das zeigt eine aktuelle Studie des Schreibmotorik Instituts und des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Etwa die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen habe Probleme so zu schreiben, dass der Lehrer die Handschrift ihrer Schüler:innen entziffern kann. Damit ist die Zahl der Schüler:innen mit Problemen bei der Handschrift im Vergleich zu den vergangenen Studien aus dem Jahr 2015 und 2019 nicht weiter gestiegen. Doch das Ausmaß habe sich verschlimmert.
Das Institut hat insgesamt rund 540 Lehrer:innen aus Grundschulen und weiterführenden Schulen, ausgenommen berufsbildende und Förderschulen, befragt. Vor allem die Lehrkräfte der weiterführenden Schule sind alarmiert: 51 Prozent sind mit der Entwicklung der Handschrift ihrer Schüler:innen unzufrieden. Sie sagen: Die Schüler:innen, die schon vor der Pandemie nicht flüssig, schnell und strukturiert schreiben konnten, können es nach der Pandemie noch weniger. Lehrkräfte erzählten, sagt Diaz Meyer, dass sie ihren Schüler:innen nach dem Homeoffice erst wieder beibringen mussten, von rechts nach links und nicht über den Rand hinaus zu schreiben.
“Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden,” sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. “Zudem fehlt zu Hause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten.” Mangelnde Bewegung im Alltag, zu wenig Sport, zu viel Zeit auf Social Media oder auf Streaming-Plattformen – die Pandemie zwang zu viele Kinder zu lange in ihre Kinderzimmer. Die Folgen, so die Studie, zeigen sich auch an der Qualität ihrer Handschrift.
“Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück”, sagt Dr. Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts. 47 Prozent der Schüler:innen könnten nicht länger als 30 Minuten am Stück schreiben, ohne dass ihre Hand schmerzt, verkrampft oder ermüdet.
Eine Mehrheit der Lehrer:innen spricht sich deshalb für gezielte Fördermaßnahmen über alle Jahrgangsstufen hinweg aus. Durch Basteln, Malen, Kochen und natürlich mehr Schreibübungen im Schulalltag könne die Feinmotorik der Kinder und Jugendlichen geschult werden. Knapp 80 Prozent der Lehrkräfte glauben, dass andere Fachkräfte, wie beispielsweise Ergotherapeut:innen, dabei unterstützen sollten. Sofie Czilwik
Schnelle Entscheidungen treffen, das hat Anita Stangl beim Schach gelernt – und es hilft ihr bis heute. Als Geschäftsführerin der Medien LB treibt die ausgebildete Grundschullehrerin die Digitalisierung in deutschen Schulen voran. Ihr Ansatz: interaktive digitale Arbeitsmittel und Filme für den Unterricht. Mittlerweile ist das ein hart umkämpfter Markt, viele Konkurrenten stehen an den Schulen Schlange.
“Ich glaube an den Film als Medium im Klassenzimmer”, sagt die promovierte Pädagogin, die nach Jahren als Geschäftsführerin des Länderinstituts FWU beschloss, die Produktion von Unterrichtsfilmen selbst in die Hand zu nehmen. 2006 gründete sie die Medien LB GmbH. Die Firma aus Starnberg erhielt mehrfach den Comenius-EduMedia-Award. Doch Stangl ist ist nicht nur Unternehmerin: Sie sitzt auch im Vorstand der internationalen Bildungsorganisation ICEM sowie dem Bündnis für Bildung. Was sie antreibt: Eine Begeisterung fürs Lernen, fürs Motivieren und für Medien.
Bereits im Referendariat nutzte sie Film und Ton, um den Schülern Biologie-Themen näherzubringen. “Schon da habe ich gesehen, mit wie viel Spaß Kinder lernen, wenn man sie auf unterschiedlichen Ebenen abholt”, sagt die 56-Jährige. “Filme bringen die Klasse dahin, wo sie nicht hin kann. Auf die Wiese, ins Labor, in eine Fabrik“, sagt die Geschäftsführerin der MedienLB, wobei das L für Lehrpläne und das B für Bildungsstandards stehen. “Eine gute Schulstunde lebt von der Interaktion, angereichert mit einem kurzen Erklärfilm, einer Animation oder einem digitalen Lernquiz”, erklärt Stangl.
Mit ihrem Team entwickelte sie das erste digitale Schulbuch, genannt DigiBook. 2018 reichte sie es zur Zulassung ein. Für Anita Stangl sind die Vorteile klar: Kein Zettelwust. Es ist interaktiv und jederzeit aktualisierbar. Der Weg dahin war jedoch beschwerlich
Drei Jahre hat die MedienLB am DigiBook gearbeitet. Pilotprojekt ist ein Biologiebuch für die fünfte Klasse. Die Herausforderung: Ein digitales Schulbuch für die unterschiedlichen Lehrpläne der 16 Bundesländer zu entwickeln, multimedial und interaktiv aufbereitet. “Mit unserem Schulbuch schreiben die Schüler:innen in ihr digitales Schulheft und die Lehrer:innen können das online korrigieren”, erklärt Stangl. Außerdem erhalten die Schüler:innen einen Zugang zum Unterrichtsstoff der letzten zwei Klassen und können selbstständig Einheiten wiederholen. Aktuell laufen in puncto DigiBook die Verhandlungen mit den Bildungsministerien – einige der Behörden sind beeindruckt, andere eher skeptisch. “Aktuell sind wir am Zug, weil es Korrekturwünsche gab”, so Stangl.
Indes fehlten an den Schulen oft die Ressourcen. Viele Lehrer hätten “schlicht keine Zeit, sich neue Dinge anzueignen oder sich um den Zugang zu kümmern”, berichtet Stangl, die vor allem die Kommunen in der Pflicht sieht. Sie seien für die finanzielle Ausstattung der rund 600 Medienzentren zuständig sind, die das Unterrichtsmaterial für ihr jeweiliges Bundesland einkaufen und kostenlos an Schulen verleihen. “Warum können wir nicht flächendeckend für alle die gleichen innovativen Lernmaterialien und Weiterbildungen in Medienkompetenz anbieten?”, fragt Stangl. Sie erlebt immer wieder, wie unterschiedlich die kommunalen Medienzentren ausgestattet sind – und damit die Schulen.
Auf ihrem Bildschirm öffnet Stangl die interaktive Lernplattform H5P. Die in Norwegen entwickelte Software bietet 44 verschiedene Lernvarianten, die ein Team der MedienLB nach und nach mit Aufgaben füllt. Mit einem Klick bringt Anita Stangl spanische Begriffe mit den passenden Bildern zusammen oder schiebt die einzelnen Teile eines Skeletts an die richtige Stelle, voller Spielfreude. Ob Wörter finden, interaktive Videos oder Bildpaarsuche – mehr als 250.000 Aufgaben hat das Unternehmen inzwischen entwickelt, auch auf Ukrainisch. “Diese Aufgaben machen einfach Spaß und motivieren und genau das ist doch der Schlüssel zum Lernerfolg“, sagt sie. Saskia Weneit
01. Juni 2022, 09:15 bis 14:00 Uhr
Auftaktveranstaltung des Fortbildungsprogramms “Medien & Kindheit”
Ziel der Fachtagung ist, die Rolle von digitalen Medien im Leben von Kindern zu betrachten. Mit Gästen aus Politik, Pädagogik und Wissenschaft werden Ziele und Chancen von Medienbildung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
01. Juni 2022, 19:00 Uhr
Werkstattgespräch: Bildung für nachhaltige Entwickung braucht Jugend!
Das pädagogische Team von proBiene bietet mit dem Werkstattgespräch ein Forum für die BNE-Community (Bildung für Nachhaltige Entwicklung). An Impulsvorträge von Jeanine Rühle von youpaN und Daniela Köck von beteiligung.st schließen Kreativ- und Austauschphasen an. INFOS & ANMELDUNG
02. Juni 2022 09:00 bis 16:00 Uhr
Werkstatt für erfolgreiche SV-Arbeit
Die Friedrich-Ebert-Stiftung spürt in dieser Veranstaltung Erfahrungen mit SV-Arbeit nach. Ziel ist neben Austausch vor allem das gemeinsame Entwickeln von Lösungsansätzen. Es werden Workshops zu Themen wie Projektarbeit, persönliche Rechte, Sitzungsgestaltung oder Öffentlichkeitsarbeit angeboten. Teilnehmen können Schulteams aus Schülervertreter:innen, Vertrauenslehrer:innen oder Sozialarbeiter:innen. INFOS & ANMELDUNG
02. Juni 2022, 16:30 bis 18:00 Uhr
Impulsveranstaltung: Unterricht für geflüchtete Schüler:innen – Modelle jenseits von Regel- und Willkommensklassen
Stefan Brömel und Raika Wiethe sind seit 2015 Projektleiter:innen der Pädagogischen Werkstatt “Willkommen, Ankommen, Weiterkommen”. In der von der Bertelsmann- und der Robert-Bosch-Stiftung organisierten Impulsveranstaltung geben die beiden Inputs und Antworten auf die Frage, wie die Integration von Geflüchteten in das deutsche Schul- und Bildungssystem gelingen INFOS & ANMELDUNG
07. bis 11. Juni 2022
Bildungsmesse: didacta 2022
Die didacta 2022 hat sich auf die Fahnen geschrieben, die verschiedenen Gesichtspunkte der Bildung dar- und vor allem auszustellen. Ein starker Fokus soll auf digitale Lernprozesse gelegt werden. INFOS & TICKETS
Es war ein Versprechen, das jetzt nicht überall eingelöst wird. Eigentlich wollten die Bildungsminister der Länder dafür sorgen, dass Lehrerinnen aus der Ukraine hier in Deutschland schnell und unkompliziert arbeiten können. Es wäre, würde das überall funktionieren, eine Win-Win-Situation. Denn die Fluchtwelle aus der Ukraine trifft auf ein ausgezehrtes Schulsystem, in dem jeder kluge Kopf gebraucht wird. In den vergangenen Wochen hat ein Bildung.Table-Team mit ukrainischen Lehrerinnen in unterschiedlichen Bundesländern gesprochen. Ihre Geschichten offenbaren, dass es am Ende auch eine Frage des Glücks ist, wer unterrichten darf – und wer nicht (oder erst viel später).
Über Jahrzehnte war der gebundene und kostspielige Leder-Brockhaus ein Statussymbol des Bildungsbürgertums – eine Enzyklopädie voll mit gesammeltem Wissen, meist gut sichtbar im Wohnzimmer-Regal platziert. Doch in Zeiten von Wikipedia, SimpleClub & Co. muss sich der Brockhaus neu erfinden, weil Inhalte innerhalb von Minuten veralten können. Im Interview mit meinem Kollegen Christian Füller erklärt Thomas Littschwager, warum er dennoch an den Wert geprüfter Information glaubt und wie er Lehrer:innen für den Digital-Brockhaus begeistern will.
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Viel Freude bei der Lektüre!
Zwei Monate lang musste Daryna Boyko* Däumchen drehen. Dann, zwei Wochen ist das her, stand sie zum ersten Mal vor einer Klasse in Deutschland. Boyko kommt aus dem stark zerstörten Charkiw, spricht perfekt Deutsch. Als sie Anfang März nach einer Odyssee in Sachsen-Anhalt ankam, sah alles so einfach aus. Die Schulminister hatten beschlossen, den geflüchteten ukrainischen Lehrerinnen schnell Arbeit zu geben. Aber dann fand sich Boyko in einem Labyrinth aus Zuständigkeiten wieder.
Sie ist kein Einzelfall. Überall in der Bundesrepublik setzten ukrainische Lehrerinnen Hoffnungen auf das Versprechen der Schulminister der Länder. Immerhin sind bereits 113.000 ukrainische Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen registriert. Und es herrscht dramatischer Lehrkräftemangel. Dennoch geht jedes Land anders mit den Lehrerinnen um.
Sachsen etwa stellte für rund 6.600 geflüchtete Schüler insgesamt 262 Lehrer ein, die meisten aus der Ukraine, schreibt das Kultusministerium. In Baden-Württemberg sind 17.000 Schüler registriert; dort arbeiten bisher 409 zusätzliche Lehrkräfte im Dienst des Landes, von denen nur 128 ukrainisch sind. Reichen wird das wohl nicht. Das Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass die Kultusminister zwischen 13.000 und 20.000 zusätzliche Lehrkräfte nur für die geflüchteten Schüler:innen brauchen werden.
Sachsen schlug, das zeigen Gespräche mit Lehrerinnen, einen erfolgreichen Weg ein. Exemplarisch dafür steht die Geschichte von Svitlana Shchehliuk. Sie kam bereits Ende Februar aus Lwiw in Sachsen an. Das Dresdner Kultusministerium hatte kurze Zeit nach Kriegsbeginn Stellen für Lehrkräfte aus der Ukraine geschaffen, eine davon ergatterte Svitlana Shchehliuk. Nun ist sie am Dresdener LEO-Gymnasium angestellt und unterrichtet die ukrainischen Kinder in ihrer Sprache, in Geografie und Literatur – nach ukrainischen Lehrplänen. “Alle sind freundlich zu mir und ich habe nicht das Gefühl, überprüft zu werden“, sagt sie über ihre Schule. Anfangs dachte sie, sie müsse nur einige Wochen in Deutschland bleiben. Doch allmählich realisiert sie: Ein Ende des Kriegs in ihrer Heimat ist nicht in Sicht. “Ich warte jeden Tag auf gute Nachrichten aus der Ukraine“, sagt sie.
Julia Sokolova hatte Pech beim Bundesland, profitiert aber von einem starken Netzwerk. In Nordrhein-Westfalen hat das Schulministerium bisher nur 61 ukrainische Lehrkräfte eingestellt, während schon mehr als 18.000 schulpflichtige Ukrainer:innen angekommen sind. NRW lässt sich bei der Aufnahme der Geflüchteten lieber von Lehramtsanwärtern unterstützen, die ihre Stunden freiwillig erhöhen.
“Bei uns ist schon seit acht Jahren Krieg“, sagt Julia Sokolova. Zusammen mit ihrer 15-jährigen Tochter wohnte sie in einem Vorort von Donezk, im Donbass. Über Rumänien und Österreich flüchteten die beiden im Frühjahr ins Münsterland. Am 5. April kamen sie dort an, tags drauf empfing sie schon die Schulleiterin des Gymnasiums in Telgte. Drei Diplome kann die 47-Jährige vorweisen: eins für deutsche und englische Literatur, eins für Dolmetschen und ein weiteres für Marketing. Zuletzt arbeitete sie in der Ukraine im PR-Bereich, auch für deutsche Firmen. Dieses Netzwerk half ihr. Einer ihrer Auftraggeber knüpfte den Kontakt zur Schulleiterin im Münsterland.
“Bei mir lief alles total freundlich und perfekt”, sagt Julia Sokolova. Sie bekam an der Schule schnell einen Honorarvertrag. Vier Stunden pro Woche hilft sie in der Willkommensklasse aus, die eine deutsch-russische Kollegin für sechs ukrainische Jugendliche anbietet. Eine richtige Anstellung würde Julia Sokolova sofort annehmen. Nun wartet wartet sie auf das Jobcenter, das für die meisten ukrainischen Geflüchteten ab dem heutigen 1. Juni zuständig ist. “Die können mir hoffentlich einen Vollzeitjob vermitteln”, sagt sie.
Auch Alina Belous*, die nach Baden-Württemberg floh, hat noch keine ordentliche Anstellung erhalten. Die Lehrerin spricht zwar fließend Englisch, aber kein Deutsch. Das Stuttgarter Ministerium stellt “grundsätzlich” nur Lehrkräfte ein, die Deutsch sprechen können – anders als Sachsen, das die Sprachanforderung auf das Niveau B2 absenkte. Dort können die Ukrainerinnen auch nach und nach Deutsch lernen.
Bei Belous hat es Wochen gedauert, bis sie auf Stundenbasis in einer Grundschule arbeiten konnte. Das Honorar, das sie erhält, reicht nicht zum Leben. Zum Glück unterstützte sie eine Initiative in dem kleinen Ort in der Region Stuttgart. Der Kegelverein bat die Englischlehrerin, mit geflüchteten Kindern dreimal in der Woche vormittags eine Übergangsschule zu organisieren. Bis zu 17 ukrainische Schüler:innen jeden Alters und aus jeder Provinz der Ukraine lernten mit ihr.
“Ohne Alina gäbe es hier keine Schule, bei ihr laufen alle Fäden zusammen”, sagt der Vorsitzende des Vereins zu Bildung.Table. Zusätzlich loggen sich die Kriegsflüchtlinge bei ihren ukrainischen Online-Schulen ein. Vom Kultusministerium haben sie dafür keine Unterstützung erhalten. Deswegen organisierte der Kegelverein alles selbst: Alina Belous bekam 300 Euro Unterstützung pro Monat. Um den Online-Unterricht zu ermöglichen, richtete der Verein Computerarbeitsplätze ein. Kosten: etwa 10.000 Euro.
Der Verein half Alina Belous auch, den Behördendschungel zu durchforsten. Wenn sie Glück hat, bekommt sie bald eine zweite Schule hinzu, an der sie auf Honorarbasis arbeiten kann. Freilich: Dieses Glück dann nur von kurzer Dauer sein. Baden-Württemberg hat angekündigt, dass die ukrainischen Lehrer:innen sich über die Sommerferien hinweg arbeitslos melden sollen. Viele deutsche Lehrkräfte im sparsamen Südwesten teilen das gleiche Schicksal.
Im März hatten die Kultusminister eine eigene Taskforce Ukraine “zur zentralen Koordinierung” gegründet. Die Geschichten aus den Ländern zeigen: So viel wurde nicht koordiniert und vereinheitlicht (Bildung.Table berichtete). Jedes Bundesland macht es so, wie es will. Und die ukrainischen Lehrerinnen müssen sich irgendwie zurechtfinden. Sie sind auf Glück angewiesen – und zufällige Kontakte.
Beides hatte Iryna Melnyk. Sie kam Anfang März in Dresden an. Heute unterrichtet sie an der Grundschule Siebenschwaben Erst- und Zweitklässler auf Ukrainisch. “Der Unterricht folgt dem Lehrplan des ukrainischen Bildungsministeriums”, sagt sie. Auch ihr Arbeitsvertrag ist befristet und endet am 22. Juli. Sollte der Krieg aufhören, will Iryna zurück in ihre Heimat gehen. Kommt es anders, wünscht sich die Lehrerin eine Perspektive in Deutschland, das heißt: einen langfristigen Arbeitsvertrag. Sachsen hat bereits angekündigt, die zusätzlichen Stellen im kommenden Schuljahr auf 400 zu verdoppeln.
“Ich bin dankbar und zufrieden, auch mit der Bürokratie“, sagt Iryna Melnyk. Viele Dokumente habe sie vorlegen müssen, doch sie habe den guten Willen des Staates gespürt. Svitlana Shchehliuk weiß die deutsche Bürokratie aber auch zu schätzen. Ihre Schüler hätten ihr letztens einen Schnellhefter gezeigt, der von hinten befüllt wird, damit die erste Seite immer die erste bleibt. “Das kannte ich vorher nicht”, erzählt sie. Robert Saar mit Christian Füller und Niklas Prenzel
*Die Namen der Lehrerinnen aus Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg sind Bildung.Table bekannt. Wir nennen sie hier bewusst nicht, um keine Nachteile für sie in der unsicheren Situation zu erzeugen.
“Der verlegerische Erfolg Friedrich Arnold Brockhaus’ beruhte unter anderem auf der zügigen Verbreitung von Wissen.” Das schreibt der Brockhaus über F.A. Brockhaus. Wie wollen Sie das heute schaffen, Herr Littschwager, wo Informationen überall in Echtzeit verfügbar sind?
Wir haben nicht den Anspruch, dass wir stets tagesaktuell sind. Wir wollen keine Newsredaktion sein. Die Redaktion prüft, ob eine Information langfristig Gültigkeit beanspruchen kann – erst dann pflegen wir sie in unsere Artikel ein.
In welchen Bundesländern sind Sie mit dem Online-Brockhaus bereits an Schulen?
Aktuell sind wir in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vertreten. In anderen Ländern nutzen einzelne Schulen unseren Service.
Wollte nicht auch Niedersachsen Brockhaus-Lizenzen kaufen?
Wir sind noch im Gespräch.
Wie viel Umsatz erzielen Sie mit Schullizenzen von Brockhaus-Online? In NRW sollen es 2,6 Millionen Euro sein – für drei Jahre.
Das war leider von Anfang an falsch berichtet. Nordrhein-Westfalen hat letztes Jahr 2,6 Millionen Euro für Unterrichtsinhalte ausgegeben. Wir sind nur ein Teil dieses Angebots.
Welcher Betrag ist korrekt?
Konkrete Zahlen kann ich nicht kommunizieren.
Warum sollten Schulen für eine geschlossene Lernwelt bezahlen, wenn sie – wie bei Ihnen – immer wieder hinaus in den Cyberspace geführt werden, etwa zu YouTube?
Unser Ansatz ist, Schüler:innen das beste Lernmaterial zur Verfügung zu stellen. Wenn es draußen tolles Material gibt, warum sollten wir es nicht für ergänzende Infos verwenden?
Haben Sie eine Crowd, die von außerhalb bei Ihnen mitarbeitet?
Wir haben rund 100 externe Autor:innen, die aber im Unterschied zu Wikipedia für ihre Arbeit bezahlt werden. Die sind übrigens sehr genau ausgewählt. Eine Redaktion von derzeit sieben Leuten trifft die Auswahl, wer schreibt und was geschrieben wird.
Es waren mal 300 AutorInnen und Brockhaus-Redakteure. Sind von denen welche übrig?
Nein, in der Redaktion nicht. Mit dem alten Brockhaus-Verlag haben wir eigentlich nichts mehr zu tun. Wir besitzen die Marke und die Inhalte, die wir seit 2018 aktualisieren. Vor einem halben Jahr haben wir dabei die Schlagzahl wesentlich erhöht.
Wie will Brockhaus mit einer Echtzeit-Enzyklopädie mithalten? Wikipedia ist auch keine Newsredaktion. Trotzdem steht dort, wenige Minuten nachdem die Moskwa gesunken ist, alles über dieses russische Kriegsschiff.
Wir sind nicht in Echtzeit dabei, trotzdem sind wir so valide wie der alte Brockhaus – im Vergleich sind wir sogar viel valider. Der alte Brockhaus kam nur alle paar Jahre neu raus. Unser Ziel ist es, Informationen in der Enzyklopädie zur Verfügung zu stellen, die einer Überprüfung standhalten. Und wir schreiben die Texte zielgruppengerecht. Deswegen existieren drei Versionen der Enzyklopädie: eine für Erwachsene, eine für Jugendliche und eine für Kinder. Mag also sein, dass Wikipedia schneller ist als wir – aber deren Texte sind schwerer lesbar. Gerade für Schüler sind sie oft viel zu kompliziert geschrieben.
Auch im Schulbereich wartet scharfe Konkurrenz auf Sie. Mundo hat eine Spezialistenredaktion in München. “Wir lernen Online” (WLO) baut ein riesiges Crowd-Netzwerk auf. Haben Sie da keinen Bammel?
Wir haben Respekt vor allen Mitbewerbern. Unser Alleinstellungsmerkmal lautet: Was in unseren Nachschlagewerken und Lehrmaterialien steht, ist nach bestem Wissen und Gewissen nachweislich korrekt. Je größer die Redaktion wird, desto näher kommen wir diesem Ziel.
Mundo und WLO prüfen ebenfalls sorgfältig. Mundo macht es jetzt möglich, dass Lehrer aus dem Meer der 800.000 Lehrkräfte eigene Unterrichtsideen hochladen können. Gibt es das auch bei Ihnen?
Derzeit noch nicht.
Haben es eigentlich alle 30 Bände des Leder-Brockhaus in den digitalen geschafft?
Ja, das Wissen dieser Bände ist auf unserer Plattform – und zum Teil schon seit längerer Zeit digitalisiert.
Gilt der Transfer aus Buchdeckeln ins Netz schon als Digitalisierung?
Ich finde ja. Wir haben zwei digitale Geschäftsmodelle. Erstens verkaufen wir unsere Online-Enzyklopädie an Bibliotheken. Die zweite Linie ist, dass die Enzyklopädie, die Online-Kurse und unser Lernmaterial die Digitalisierung der Schulen voranbringt.
Digitalisierung heißt: Schnelligkeit, Kollaboration, Reziprozität. Kann ein Schüler Ihnen Feedback geben?
Natürlich haben wir eine Feedback-Funktion und zwar in verschiedenen Formen: von Chatbot bis E-Mail-Adresse. Das wollen wir auch weiter ausbauen, weil wir von unseren Kund:innen lernen wollen.
Feedbackkanäle sind aufwändig. Wer kuratiert Ihre Leserbriefe?
Vorsicht, Missverständnis! Wir haben keine offene Kommentarspalte. Das Feedback geht zunächst an eine Serviceabteilung, die die relevanten Sachen an die Redaktion weitergibt.
Was setzen Sie ausgefeilten Digitalangeboten wie Sofatutor oder Simpleclub entgegen? Dort spielen Profis hochwertige Lernvideos auf Millionen Smartphones?
Wir sehen uns nicht als Konkurrenz zu Simpleclub & Co. Die haben bisher eher einen Fokus auf den Nachmittag. Wir wollen in den Vormittag, in den richtigen Unterricht. Wir stellen von den Ministerien geprüfte Unterrichtsmaterialien zur Verfügung, die im Unterricht zugelassen sind – also vergleichbar zu einer modernen Version des klassischen Schulbuchs, wie es Cornelsen oder Klett oder Westermann produzieren.
Wie sieht Ihrer Ansicht nach das digitale Klassenzimmer der Zukunft aus?
In meinen Augen wäre das ein hybrides Klassenzimmer, in dem Lehrer:innen Wissen nicht mehr mit Kreide an der Tafel entwickeln, sondern unterstützt von einem intelligenten Board. Mit einem Wisch können Lehrer diese Inhalte auf die Tablets der Schüler spielen – sodass diese im digitalen Raum selbst aktiv werden können.
Und Papier gibt’s keins mehr?
Doch, Papier ist weiterhin notwendig. Das Setting, das ich beschreibe, heißt gerade nicht, dass Schüler:innen nie wieder etwas in einem Heft oder auf einem Notizblock aufschreiben. Sie verwenden das Medium, das am besten zur aktuellen Lernsituation passt.
Auf Ihrer Homepage heißt es: Lernende bräuchten “vor allem objektive Inhalte”, um Informationen bewerten zu können. Wie kommen Sie denn auf objektive Inhalte?
Unser Anspruch ist es auf jeden Fall. Es wird mehrfach überprüft, was in unserem Nachschlagewerk steht. Auch wenn es eine hundertprozentige Objektivität natürlich nicht geben kann. Ich sage nicht: “Vertraut blind unserem Nachschlagewerk!” Sondern: “Lernt, wie ihr Informationen am besten prüfen könnt!”
“Unter der Firmierung Brockhaus | NE GmbH vollzieht das Unternehmen eine Wandlung vom Wissens- zum Bildungsanbieter.” Was meinen Sie damit?
Wir sind gestartet mit dem reinen Wissensangebot des Nachschlagewerks. Nun entwickeln wir uns weiter, indem wir umfassende Lehrmaterialien, kompetenzorientierte Aufgaben und Übungen mit in das schulische Programm aufnehmen.
Wenn ich mir Ihr Portal anschaue, finden sich dort bislang nicht besonders viele kompetenzorientierte Aufgaben.
Ja, aber wir bauen jetzt mit Hochdruck Lerninhalte einzelner Fächer auf, die für bestimmte Jahrgangsstufen gelten.
Das können Portale, die mit Learning Analytics arbeiten, schon seit zehn Jahren.
Der wichtige Unterschied ist: Wir bieten das im Klassenzimmer an. Der Mehrwert für Lehrer:innen im Unterricht wird sein, dass diese Materialien sehr differenziert auf einzelne Schülergruppen bezogen sind. Das heißt eine Lehrkraft wird mit uns viel genauer auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen können – und das ganze von Ministerien abgesegnet.
Human Rights Watch schlägt nach einer Überprüfung von digitalen Bildungsunternehmen weltweit Alarm, weil EdTechs massenhaft Schülerdaten sammeln. “Von den 164 untersuchten EdTech-Produkten schienen 146 (89 Prozent) Datenpraktiken zu verwenden, die die Rechte der Kinder gefährdeten, zu ihrer Unterminierung beitrugen oder diese Rechte aktiv verletzten”, heißt es in dem neuen Bericht. Zu den untersuchten Apps und Plattformen zählen auch eine ganze Reihe in Deutschland verbreiteter Anwendungen wie MS Teams, Google Classroom, itslearning oder die beliebte digitale Pinnwand Padlet. Selbst bei Moodle entdeckten die Menschenrechtler Probleme. Ein Resümee der Untersuchung lautet. “Diese Produkte überwachten Kinder oder hatten die Möglichkeit, sie zu überwachen, in den meisten Fällen heimlich und ohne die Zustimmung der Kinder oder ihrer Eltern.”
Human Rights Watch (HRW) ließ nach mehreren Kategorien Apps und webbasierte Anwendungen untersuchen. Experten begutachteten etwa 73 EdTech-Apps genauer auf das Merkmal “Wer bist Du?”. HRW habe 41 Apps (56 Prozent) gefunden, die Werbe-IDs ihrer Nutzer sammelten – darunter Padlet, itslearning und Schoolfox. Sie erlaubten es laut HRW, “Kinder zu markieren und ihre Geräte zu identifizieren” – und zwar ausschließlich zu dem Zweck, sie mit Werbung anzusprechen. Die unter digital affinen Lehrern gern genutzte App Padlet taucht bei Lokalisierungen in dem Bericht mehrfach auf. Auch deutsche Datenschutzbeauftragte warnten bereits vor Padlet. Microsoft Teams wiederum muss sich vorhalten lassen, den Standort von Schülern auf fünf Meter bestimmen zu können. Überraschend tauchen auch Threema Work und Moodle in der Kategorie auf, die Lehrer üblicherweise als sichere Produkte handeln.
Anlass für die HRW-Untersuchung der EdTechs auf Schülerdaten war die Verbreitung digitaler Lerntechnologie während der Corona-Pandemie. “Der beispiellose, massenhafte Einsatz von Bildungstechnologien (EdTech) durch Schulen während der Pandemie ohne angemessenen Schutz der Privatsphäre hat das Recht der Kinder auf Privatsphäre drastisch reduziert.” So halten die HRW-Autoren fest.
Gleichzeitig seien die Einnahmen der Tech-Firmen dramatisch gestiegen. Google Classroom, die Google-Plattform für Lehrer und Schüler, habe die Zahl seiner Nutzer:innen fast vervierfacht – auf mehr als 150 Millionen. “Wir haben ein unglaubliches Wachstum erlebt“, zitiert der Bericht Javier Soltero, Vizepräsident von Google Workspace. Christian Füller
Die Inklusion an Deutschlands Schulen bleibt eine der großen bildungspolitischen Baustellen, viele Praktiker sind längst ernüchtert. In einer aktuellen nicht-repräsentativen Umfrage geben 97 Prozent der Lehrkräfte in Bayern an, dass sie das Versprechen der Inklusion nicht einlösen können – zu schlecht seien die Rahmenbedingungen, von der Ausstattung bis zum Fortbildungsangebot.
Die Kritik, das zeigt eine Umfrage des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), richtet sich nicht gegen die Idee der Inklusion. Es ist die Realität an den Schulen, die den rund 700 befragten Lehrkräften Unbehagen bereitet.
Da gibt es beispielsweise Fortbildungen, die auf die Arbeit mit Schüler:innen mit Behinderung vorbereiten sollen. Allerdings bewertet die Hälfte der befragten Lehrkräfte das Angebot als mangelhaft beziehungsweise ungenügend. Aus der Politik fehle die nötige Unterstützung. In Bayern halten nur 16 Prozent die Hilfen aus Schulamt, Regierung oder Kultusministerium für ausreichend.
“Inklusion ist das richtige Ziel, aber wir dürfen die Lehrkräfte damit nicht allein lassen”, resümierte Fritz Schäffer, Leiter der BLLV-Abteilung Schul- und Bildungspolitik. Inklusion sei kein Sparprogramm. Derzeit, so Schäffer, werde für Kinder, die eine Förderschule besuchen, doppelt so viel Geld aufgewendet wie für Kinder, die an einer Grund- oder Mittelschule inklusiv beschult werden. Und: Fortbildungen für Lehrkräfte an Regelschulen gebe es nur “in homöopathischen Dosen”.
Dazu kommt der Personalnotstand: Der Lehrermangel mache eine “erfolgreiche Inklusion unmöglich”, finden 99 Prozent der Befragten. Um Inklusion an den Schulen zu leben, bräuchten die Lehrer mehr Zeit für die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Doch trotz vollmundiger politischer Versprechen ändert sich an der Klassengröße in der Regel nichts.
Was kann besser werden? Der BLLV schlägt vor, und drei Viertel der befragten Lehrkräfte stimmen dem zu, ein eigenes Berufsbild “Sonderpädagogische Inklusionsassistenz” einzuführen, das direkt dem Kultusministerium zugeordnet ist. Aktuell sind es Schulbegleiter, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterstützen. Eine spezielle Ausbildung für diese Tätigkeit gibt es jedoch nicht. Robert Saar
Viele Schüler:innen schneiden beim Schreiben mit der Hand schlechter ab als vor der Pandemie. Das zeigt eine aktuelle Studie des Schreibmotorik Instituts und des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). Etwa die Hälfte der Jungen und ein Drittel der Mädchen habe Probleme so zu schreiben, dass der Lehrer die Handschrift ihrer Schüler:innen entziffern kann. Damit ist die Zahl der Schüler:innen mit Problemen bei der Handschrift im Vergleich zu den vergangenen Studien aus dem Jahr 2015 und 2019 nicht weiter gestiegen. Doch das Ausmaß habe sich verschlimmert.
Das Institut hat insgesamt rund 540 Lehrer:innen aus Grundschulen und weiterführenden Schulen, ausgenommen berufsbildende und Förderschulen, befragt. Vor allem die Lehrkräfte der weiterführenden Schule sind alarmiert: 51 Prozent sind mit der Entwicklung der Handschrift ihrer Schüler:innen unzufrieden. Sie sagen: Die Schüler:innen, die schon vor der Pandemie nicht flüssig, schnell und strukturiert schreiben konnten, können es nach der Pandemie noch weniger. Lehrkräfte erzählten, sagt Diaz Meyer, dass sie ihren Schüler:innen nach dem Homeoffice erst wieder beibringen mussten, von rechts nach links und nicht über den Rand hinaus zu schreiben.
“Viele Aktivitäten, die die Motorik fördern, konnten in den vergangenen beiden Jahren nicht stattfinden,” sagt Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. “Zudem fehlt zu Hause oft der Platz, sich kreativ zu entfalten.” Mangelnde Bewegung im Alltag, zu wenig Sport, zu viel Zeit auf Social Media oder auf Streaming-Plattformen – die Pandemie zwang zu viele Kinder zu lange in ihre Kinderzimmer. Die Folgen, so die Studie, zeigen sich auch an der Qualität ihrer Handschrift.
“Wer nicht flüssig und in einer gewissen Geschwindigkeit schreiben kann, kann dem Unterricht oft nicht mehr richtig folgen und fällt in seinen Leistungen zurück”, sagt Dr. Marianela Diaz Meyer, Geschäftsführerin des Schreibmotorik Instituts. 47 Prozent der Schüler:innen könnten nicht länger als 30 Minuten am Stück schreiben, ohne dass ihre Hand schmerzt, verkrampft oder ermüdet.
Eine Mehrheit der Lehrer:innen spricht sich deshalb für gezielte Fördermaßnahmen über alle Jahrgangsstufen hinweg aus. Durch Basteln, Malen, Kochen und natürlich mehr Schreibübungen im Schulalltag könne die Feinmotorik der Kinder und Jugendlichen geschult werden. Knapp 80 Prozent der Lehrkräfte glauben, dass andere Fachkräfte, wie beispielsweise Ergotherapeut:innen, dabei unterstützen sollten. Sofie Czilwik
Schnelle Entscheidungen treffen, das hat Anita Stangl beim Schach gelernt – und es hilft ihr bis heute. Als Geschäftsführerin der Medien LB treibt die ausgebildete Grundschullehrerin die Digitalisierung in deutschen Schulen voran. Ihr Ansatz: interaktive digitale Arbeitsmittel und Filme für den Unterricht. Mittlerweile ist das ein hart umkämpfter Markt, viele Konkurrenten stehen an den Schulen Schlange.
“Ich glaube an den Film als Medium im Klassenzimmer”, sagt die promovierte Pädagogin, die nach Jahren als Geschäftsführerin des Länderinstituts FWU beschloss, die Produktion von Unterrichtsfilmen selbst in die Hand zu nehmen. 2006 gründete sie die Medien LB GmbH. Die Firma aus Starnberg erhielt mehrfach den Comenius-EduMedia-Award. Doch Stangl ist ist nicht nur Unternehmerin: Sie sitzt auch im Vorstand der internationalen Bildungsorganisation ICEM sowie dem Bündnis für Bildung. Was sie antreibt: Eine Begeisterung fürs Lernen, fürs Motivieren und für Medien.
Bereits im Referendariat nutzte sie Film und Ton, um den Schülern Biologie-Themen näherzubringen. “Schon da habe ich gesehen, mit wie viel Spaß Kinder lernen, wenn man sie auf unterschiedlichen Ebenen abholt”, sagt die 56-Jährige. “Filme bringen die Klasse dahin, wo sie nicht hin kann. Auf die Wiese, ins Labor, in eine Fabrik“, sagt die Geschäftsführerin der MedienLB, wobei das L für Lehrpläne und das B für Bildungsstandards stehen. “Eine gute Schulstunde lebt von der Interaktion, angereichert mit einem kurzen Erklärfilm, einer Animation oder einem digitalen Lernquiz”, erklärt Stangl.
Mit ihrem Team entwickelte sie das erste digitale Schulbuch, genannt DigiBook. 2018 reichte sie es zur Zulassung ein. Für Anita Stangl sind die Vorteile klar: Kein Zettelwust. Es ist interaktiv und jederzeit aktualisierbar. Der Weg dahin war jedoch beschwerlich
Drei Jahre hat die MedienLB am DigiBook gearbeitet. Pilotprojekt ist ein Biologiebuch für die fünfte Klasse. Die Herausforderung: Ein digitales Schulbuch für die unterschiedlichen Lehrpläne der 16 Bundesländer zu entwickeln, multimedial und interaktiv aufbereitet. “Mit unserem Schulbuch schreiben die Schüler:innen in ihr digitales Schulheft und die Lehrer:innen können das online korrigieren”, erklärt Stangl. Außerdem erhalten die Schüler:innen einen Zugang zum Unterrichtsstoff der letzten zwei Klassen und können selbstständig Einheiten wiederholen. Aktuell laufen in puncto DigiBook die Verhandlungen mit den Bildungsministerien – einige der Behörden sind beeindruckt, andere eher skeptisch. “Aktuell sind wir am Zug, weil es Korrekturwünsche gab”, so Stangl.
Indes fehlten an den Schulen oft die Ressourcen. Viele Lehrer hätten “schlicht keine Zeit, sich neue Dinge anzueignen oder sich um den Zugang zu kümmern”, berichtet Stangl, die vor allem die Kommunen in der Pflicht sieht. Sie seien für die finanzielle Ausstattung der rund 600 Medienzentren zuständig sind, die das Unterrichtsmaterial für ihr jeweiliges Bundesland einkaufen und kostenlos an Schulen verleihen. “Warum können wir nicht flächendeckend für alle die gleichen innovativen Lernmaterialien und Weiterbildungen in Medienkompetenz anbieten?”, fragt Stangl. Sie erlebt immer wieder, wie unterschiedlich die kommunalen Medienzentren ausgestattet sind – und damit die Schulen.
Auf ihrem Bildschirm öffnet Stangl die interaktive Lernplattform H5P. Die in Norwegen entwickelte Software bietet 44 verschiedene Lernvarianten, die ein Team der MedienLB nach und nach mit Aufgaben füllt. Mit einem Klick bringt Anita Stangl spanische Begriffe mit den passenden Bildern zusammen oder schiebt die einzelnen Teile eines Skeletts an die richtige Stelle, voller Spielfreude. Ob Wörter finden, interaktive Videos oder Bildpaarsuche – mehr als 250.000 Aufgaben hat das Unternehmen inzwischen entwickelt, auch auf Ukrainisch. “Diese Aufgaben machen einfach Spaß und motivieren und genau das ist doch der Schlüssel zum Lernerfolg“, sagt sie. Saskia Weneit
01. Juni 2022, 09:15 bis 14:00 Uhr
Auftaktveranstaltung des Fortbildungsprogramms “Medien & Kindheit”
Ziel der Fachtagung ist, die Rolle von digitalen Medien im Leben von Kindern zu betrachten. Mit Gästen aus Politik, Pädagogik und Wissenschaft werden Ziele und Chancen von Medienbildung diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
01. Juni 2022, 19:00 Uhr
Werkstattgespräch: Bildung für nachhaltige Entwickung braucht Jugend!
Das pädagogische Team von proBiene bietet mit dem Werkstattgespräch ein Forum für die BNE-Community (Bildung für Nachhaltige Entwicklung). An Impulsvorträge von Jeanine Rühle von youpaN und Daniela Köck von beteiligung.st schließen Kreativ- und Austauschphasen an. INFOS & ANMELDUNG
02. Juni 2022 09:00 bis 16:00 Uhr
Werkstatt für erfolgreiche SV-Arbeit
Die Friedrich-Ebert-Stiftung spürt in dieser Veranstaltung Erfahrungen mit SV-Arbeit nach. Ziel ist neben Austausch vor allem das gemeinsame Entwickeln von Lösungsansätzen. Es werden Workshops zu Themen wie Projektarbeit, persönliche Rechte, Sitzungsgestaltung oder Öffentlichkeitsarbeit angeboten. Teilnehmen können Schulteams aus Schülervertreter:innen, Vertrauenslehrer:innen oder Sozialarbeiter:innen. INFOS & ANMELDUNG
02. Juni 2022, 16:30 bis 18:00 Uhr
Impulsveranstaltung: Unterricht für geflüchtete Schüler:innen – Modelle jenseits von Regel- und Willkommensklassen
Stefan Brömel und Raika Wiethe sind seit 2015 Projektleiter:innen der Pädagogischen Werkstatt “Willkommen, Ankommen, Weiterkommen”. In der von der Bertelsmann- und der Robert-Bosch-Stiftung organisierten Impulsveranstaltung geben die beiden Inputs und Antworten auf die Frage, wie die Integration von Geflüchteten in das deutsche Schul- und Bildungssystem gelingen INFOS & ANMELDUNG
07. bis 11. Juni 2022
Bildungsmesse: didacta 2022
Die didacta 2022 hat sich auf die Fahnen geschrieben, die verschiedenen Gesichtspunkte der Bildung dar- und vor allem auszustellen. Ein starker Fokus soll auf digitale Lernprozesse gelegt werden. INFOS & TICKETS