Table.Briefing: Europe

US-Datentransfer-Vereinbarung: Biden liefert + Mitgliedstaaten streiten über Gaspreisbremse

  • US-Datentransfer-Vereinbarung: Substanzielle Verbesserung oder nur Kosmetik?
  • Mitgliedstaaten heillos zerstritten bei Bremse für Energiepreise
  • JURI-Ausschuss legt Stellungnahme zum Chips Act vor
  • BSI-Präsident wackelt wegen fehlender Distanz zu Russland
  • Krisen-Beihilferegeln sollen bis Ende 2023 gelten
  • Additionality: Wasserstoff-Verband stellt Forderungen an EU-Politik
  • EU-Staaten wollen 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden
  • Michael Hager: Der wichtigste deutsche Beamte in der EU-Kommission
Liebe Leserin, lieber Leser,

US-Präsident Joe Biden hat sich lange Zeit gelassen. Jetzt endlich hat er die präsidentiellen Verfügungen unterschrieben, auf deren Basis nun ein neuer Anlauf für eine Anerkennungsentscheidung der EU unternommen werden kann, um Daten aus der EU in die USA transferieren zu dürfen. EU-Kommission und US-Regierung sind optimistisch, dass die neue Regelung auch nach einer Überprüfung durch den EuGH noch Bestand hätte. Datenschützer dagegen sind skeptisch, sie glauben, dass es sich am Ende um alten Wein in neuen Schläuchen handeln könnte. Mein Kollege Falk Steiner kennt die Details.

Treffen der Staats- und Regierungschefs können zäh, die Bewegung Richtung Konsens häufig kaum messbar sein. Beim informellen Gipfel jetzt in Prag kamen die 27 aber noch nicht einmal in Trippelschritten einer Lösung nahe, die die drastischen Preisanstiege bei Gas und Strom für Verbraucher und Unternehmen bekämpfen würde. Deutlich fiel dagegen auch am zweiten Tag in Prag die Kritik der Nachbarstaaten am deutschen Alleingang aus. Meine Kollegin Ella Joyner hat vor Ort beobachtet, was Olaf Scholz für Erfahrungen mit seinem “Doppel-Wumms” gemacht hat.

Die Kommissare der 27 Mitgliedstaaten stehen in der ersten Reihe der operativen EU-Politik. Knapp dahinter, aber eher im Hintergrund wirken deren Kabinettschefs. Sie sind die Manager der Politik, Unterhändler und gefragte Ansprechpartner für Lobbyisten und sonstige Interessenvertreter. Der vielleicht wichtigste deutsche Beamte ist Michael Hager, Kabinettschef von Vize-Kommissionspräsident Dombrovskis. Ich habe ihn porträtiert.

Einen guten Start in die Woche wünscht

Ihr
Markus Grabitz
Bild von Markus  Grabitz

Analyse

US-Datentransfer-Vereinbarung: Substanzielle Verbesserung oder nur Kosmetik?

“Ein wichtiger Schritt vorwärts für besseren Datenschutz für Bürger und mehr Rechtssicherheit für Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks”, freut sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen demonstrativ. Sie hatte vor über einem halben Jahr mit US-Präsident Joe Biden die Neuregelung politisch vereinbart. Seitdem war das Weiße Haus damit beschäftigt, die Executive Orders auszuarbeiten, mit denen personenbezogenen EU-Daten in den USA ein dem EU-Rahmen vergleichbares Schutzniveau garantiert werden soll. 

US-Dienste sollen datensparsam schnüffeln

Wesentliche Punkte der Präsidialverfügungen betreffen dabei die Vorschriften zur Signalaufklärung (SIGINT), wie die nachrichtendienstliche Datensammlung etwa über Satelliten, Kabel oder andere Wege genannt wird. Künftig sollen US-Behörden schon bei der Erhebung von Daten auch gegenüber Nicht-US-Bürgern enger an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden sein. Dabei sollen sie auch das Recht auf Privatsphäre stärker achten, auch sollen sie hierbei besser kontrolliert werden. Auch das in Europa manifeste Prinzip der Datensparsamkeit bei einmal gespeicherten Daten soll gestärkt werden.

Damit unternähme die US-Seite Schritte in Richtung des Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die skeptischen Richter in Luxemburg haben bereits zwei Versuche für unzureichend befunden. Binnen eines Jahres müssen die Chefs der jeweiligen US-Dienste nun ihre internen Vorschriften an die neuen Präsidialvorgaben anpassen. Allerdings ist offen, ob mit diesen Annäherungen im Wording tatsächlich gemeint ist, was auf EU-Seite, insbesondere von den Richtern in Luxemburg, darunter verstanden wird.

US-Handelsministerin Gina Raimondo jedenfalls ist zuversichtlich, dass es nun eine “dauerhafte und verlässliche Rechtsgrundlage für den transatlantischen Datenverkehr” geben würde. Doch nicht nur notorische Kritiker halten genau das für fraglich. Zwar werden die Präsidialverfügungen begrüßt, um endlich bei dem Dauerthema voranzukommen. “Nach der Executive Order gilt es, den politischen Willen für eine Lösung rasch in eine belastbare rechtliche Regelung zu überführen, die auch einer künftigen gerichtlichen Überprüfung standhält”, fordert etwa Susanne Dehmel vom Bitkom.

Zweikammer-System soll Überprüfung ermöglichen

Das US-Justizministerium (DoJ) ist den ersten Schritt in diese Richtung bereits gegangen. Bidens Präsidialverfügungen schreiben unter anderem vor, dass sich eine gerichtsartige Institution um Datenschutz-Beschwerden ausländischer Bürger gegen die US-Nachrichtendienste kümmern soll. Das DoJ hat die Einrichtung eines entsprechenden “Data Protection Review Courts” als zweite Kammer des Beschwerdemechanismus bereits eingeleitet. Eine erste Kammer wurde beim Nationalen Direktor für die Nachrichtendienste (ODNI) im Zuge der Privacy Shield-Vereinbarung 2015 eingerichtet. Diese soll nun angepasst ihren Aufgaben nachkommen. Fehlende, wirksame Rechtsbehelfe waren ein weiterer, wesentlicher Grund des EuGH, die Vorgängervereinbarungen unzureichend zu befinden.

Viele Kritiker halten den jetzt gewählten Weg dennoch für nicht ausreichend: Statt das materielle US-Nachrichtendienstrecht so zu ändern, dass Nicht-US-Bürger von vornherein besser geschützt werden, seien mit den Executive Orders des Präsidenten zwar viele rechtliche Besserstellungen erfolgt. Doch es handele sich dabei um Ausnahmen von der Regel. Diese seien jederzeit von diesem oder künftigen Präsidenten abzuändern. Der Hauptgrund für den gewählten Weg: So konnte ohne den politisch heiklen Prozess echter Gesetzesänderungen und relativ schnell agiert werden.

Aus TADPF wird EUUSDPF

Künftig soll die Vereinbarung nicht mehr Transatlantic Data Privacy Framework heißen, wie im Frühjahr angekündigt, sondern EU-US-Data-Privacy-Framework. Dabei geht es um viel: Daten seien wesentlich für ein Handels- und Investitionsvolumen von einer Billion US-Dollar, umreißt US-Handelsministerin Gina Raimondo die Größenordnung. Das Weiße Haus spricht von einem Volumen in Höhe von 7,1 Billionen US-Dollar in den transatlantischen Beziehungen.

Denn auch wenn vordergründig vor allem Google, Microsoft, Amazon, Meta, Apple und andere Techkonzerne im Fokus stehen, geht die Bedeutung noch weit darüber hinaus. Jedes Unternehmen, das personenbezogene Daten aus der EU in den USA verarbeiten lassen will, benötigt dafür eine Rechtsgrundlage.

Kommission muss Anerkennung in Wege leiten

Im weiteren Prozess muss die EU-Kommission nun eine eigene Beurteilung der US-Vorschläge vornehmen: die sogenannte Adäquanzentscheidung, mit der geprüft wird, ob die Zusicherungen den Anforderungen des Schrems II-Urteils genügen und die USA damit ein vergleichbares Datenschutzniveau erreichen. Anschließend befassen sich Datenschutzaufsichtsbehörden, Parlament und Mitgliedstaaten mit dem Vorschlag der Kommission. Sollte der im weiteren Verlauf der Debatte nicht gestoppt werden, könnte er in Kraft treten. Wie schnell dieser Weg abgeschlossen sein wird, ist unklar, in Kommissionkreisen wird von mehreren Wochen gesprochen, bis die Angemessenheitsentscheidung vorgelegt werden könne.

Wirtschaft fordert von Datenschützern Zurückhaltung

Der Internetwirtschaftsverband Eco fordert von den Aufsichtsbehörden bis zum Erreichen des Angemessenheitsbeschlusses Zurückhaltung: “Bis dahin sollten sich die Datenschutzbehörden klar positionieren, die vorliegende Lösung anerkennen und bis zur Inkraftsetzung unbedingt auf Bußgeldverfahren oder etwaige Übertragungsverbote bei den Unternehmen verzichten”, sagt Eco-Vorstand Oliver Süme.

Doch das ist kaum zu erwarten: Damit würden die Datenschutzaufsichtsbehörden geltendes Recht ignorieren.

Kritiker sehen zudem wesentliche Fragen weiterhin ungeklärt: “Ohne Details zur Umsetzung der Präsidialverfügung bedeutet sie etwa so viel wie ‘Wir nehmen Deine Privatsphäre ernst’ auf einer Firmen-Website”, kritisiert etwa Calli Schroeder von der US-Organisation EPIC, Co-Vorsitzende der Digitalabteilung des transatlantischen Verbraucherdialogs TACD.

In ‘t Veld: Präsidialverfügung ist “Schwein mit Lippenstift”

“Dieses Mal muss es halten”, sagt Eva Maydell, EVP-Abgeordnete aus Bulgarien. Deutlich verstimmt ist Sophie in ‘t Veld. Die niederländische Liberale rechnet damit, dass der Europäische Gerichtshof relativ schnell über “Schrems III” entscheiden müsse: “USA und EU-Kommission haben offenbar nicht gelernt, dass auf dem Privacy-Shield-Schwein aufgetragener Lippenstift den EuGH nicht hinters Licht führen wird”, machte die D66-Politikerin mit deutlichen Worten ihrem Ärger auf Twitter Luft.

Max Schrems prüft bereits, ob die US-Vorlage ihn dazu bewegt, nach Safe Harbor und Privacy Shield ein drittes Mal den Gang nach Luxemburg anzutreten. In einer ersten Reaktion kritisiert er: “Die EU und die USA sind sich über den Begriff ‘verhältnismäßig’ einig, jedoch scheinbar nicht über dessen Bedeutung”, sieht er bereits einen ersten, wichtigen Angriffspunkt für ein mögliches Gerichtsverfahren gegen eine EU-Adäquanzentscheidung. Seine Prognose: “Am Ende wird sich die Definition des EuGH durchsetzen – und damit das Abkommen wahrscheinlich wieder zunichtemachen.”

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Mitgliedstaaten heillos zerstritten bei Bremse für Energiepreise

Je kühler das Wetter wird, desto hitziger die Debatte über eine gemeinsame europäische Antwort auf die Energiepreiskrise. Spätestens bis zum regulären Europäischen Rat Mitte nächster Woche müssen die Mitgliedstaaten einen Weg finden, Verbraucher und Unternehmen vor stark überhöhten Energiekosten zu schützen. Ein informeller Gipfel wie am Freitag in Prag muss keine Beschlüsse in Textform liefern, aber einen Fingerzeig, in welche Richtung die EU gehen will – das wäre schon gut gewesen.

Die 27 Staaten haben schon bald die Gelegenheiten, ihren Streit beizulegen. Dienstag und Mittwoch kommen die Energieminister in Prag für ein informelles Treffen zusammen. Neun Tage später dann der reguläre Herbstgipfel in Brüssel. Es wird damit gerechnet, dass die Kommission im Vorfeld ihren Vorschlag präsentiert. Mit ausreichendem Vorlauf, damit er von den Experten geprüft werden kann.

Debatte läuft seit Wochen

Die Beamten in Brüssel haben bereits die Chance gehabt, die unterschiedlichen Meinungen der Hauptstädte zu hören. Die Debatte läuft schon seit Wochen. Der Ton ist aber rauer geworden. Die Verantwortung dafür hat auch die Bundesregierung. Kanzler Olaf Scholz hatte mit seinem in Europa nicht abgestimmten Doppel-Wumms genau das Gegenteil von dem gemacht, was er in der Ukraine-Krise bei anderen Mitgliedstaaten immer angemahnt hatte: ein gemeinsames Vorgehen.

Polen, Lettland und Luxemburg übten am lautesten Kritik am deutschen Alleingang. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: Der “deutsche Egoismus” müsse endlich in die Schublade. Man sei entschieden gegen die Zerstörung des europäischen Binnenmarkts. “Das reichste und wirtschaftlich stärkste Land der Europäischen Union versucht, diese Krise zu nutzen, um seinen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen im Binnenmarkt zu verschaffen. Das ist nicht fair.” Viele Länder hätten beim Gipfel darauf hingewiesen, dass dies der falsche Weg sei. Schon am Vortag hatte Morawiecki vor einem “Diktat Deutschlands” in der europäischen Energiepolitik gewarnt.

Die Kritik ist heftig: Berlin subventioniere das Gas, heize damit den Konsum an und verschaffe seinen Unternehmen einen ungerechten Vorteil. Auf der anderen Seite blockiere Deutschland alle Versuche der anderen, einen EU-weiten Preisdeckel aufzulegen.

Scholz steht zu Doppel-Wumms

Scholz verteidigte den “Doppel-Wumms”. Alle Staaten müssten ihren Bürgern durch die Krise helfen. Andere Mitgliedstaaten machten es ähnlich. Rückendeckung bekam er von Mark Rutte aus den Niederlanden, der ebenfalls den EU-weiten Gaspreisdeckel ablehnt.

Ohne Berlin zu nennen, warnte aber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Gipfel auch vor einer “Fragmentation und Verzerrung” des Binnenmarkts. Den gemeinsamen Markt zu schützen sei von größter Bedeutung.

Die Debatte über eine Preisobergrenze wird nicht einfacher dadurch, dass es so konträre Auffassungen gibt. Die weniger radikale Option wäre Subventionierung aus EU-Mitteln. Das wäre allerdings enorm teuer. Die radikale Option wäre, den Preis für in die EU importiertes Erdgas zu deckeln. Das wäre allerdings gefährlich: Anbieter könnten dann künftig einen Bogen um die EU machen. Berlin ist daher nicht überzeugt.

Die Kommission ist auch skeptisch und knüpft die Einführung eines Gaspreisdeckels an konkrete Bedingungen: höhere, verpflichtende Gaseinsparungen und verpflichtende Solidaritätsabkommen.

Mit vielen Versuchsballons wird gerechnet

Die Kommission verfolgt drei Stränge: sondieren, wie die Preise auf dem Gasmarkt gedämpft werden können, mit zuverlässigen Lieferanten einen Korridor für angemessene Preise aushandeln. Und: versuchen, den Einfluss des Gaspreises auf die Preisbildung beim Strom zu begrenzen.

Vier Mitgliedstaaten (Italien, Polen, Griechenland und Belgien) sollen ein Papier mit Vorschlägen für ein dreistufiges Verfahren vorgelegt haben, mit dem sie die Bedenken der Kommission ausräumen wollen.

So unbefriedigend die Lage nach dem Treffen in Prag ist, eine Prognose ist möglich: In den nächsten Tagen wird es eine ganze Reihe von Vorstößen aus Mitgliedstaaten geben, einen Kompromiss zu schmieden. Im Brüsseler Jargon werden diese Versuchsballons auch “Non-Papers” genannt. Es steht viel auf dem Spiel: Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, Energienot zu vermeiden. Heiße Fragen müssen in Brüssel beantwortet werden jetzt, wo es in Brüssel schon deutlich kühler geworden ist.

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News

JURI-Ausschuss legt Stellungnahme zum Chips Act vor

Mit dem Chips Act will die EU ein starkes europäisches Halbleiter-Ökosystem schaffen und Europas technologische Souveränität in der Zukunft sichern. In seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss schlägt JURI-Berichterstatter Tiemo Wölken (S&D) dafür einen neuen technologischen Weg vor: Europa soll Open-Source fördern, um ein Fundament zu schaffen, auf dem die Wirtschaft dann aufbauen könne. Dabei wird das bekannte Open-Source-Konzept für Software auf Hardware übertragen. Das geht aus der JURI-Stellungnahme hervor, die Europe.Table vorliegt und in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll. Die meisten Änderungsvorschläge beziehen sich auf Artikel 4 des Kommissionsvorschlags.

Zwei Ziele haben die Änderungsanträge des JURI-Ausschusses:

  • die Rolle von Open-Source bei geistigem Eigentum (IP) im Halbleiterbereich stärken. Dabei soll die Förderung dieser grundlegenden Technologie dazu führen, dass Schlüsselindustrien sie übernehmen und weiterentwickeln.
  • Rechtsklarheit über die Behandlung von vertraulichen Informationen und geistigem Eigentum schaffen – vor allem gegenüber nicht vertrauenswürdigen Drittländern. Gleichzeitig soll die Tür für vertrauenswürdige Partner ausdrücklich offenbleiben.

Open-Source statt proprietärer Technologien

Aktuell bezahlen europäische Unternehmen für proprietäre Halbleitertechnologien und -werkzeuge hohe Lizenzgebühren, was vor allem für KMU eine Markteintrittsbarriere darstellt. Wölken ist überzeugt, dass Open-Source-IP diese Hürden senkt und zugleich Europas Abhängigkeit von proprietärem geistigem Eigentum von außerhalb der EU verringert.

Außerdem befürchtet der JURI-Ausschuss, dass der Vorschlag der Kommission zu Rechtsunsicherheit führt, da er keinen ausreichenden Schutz vertraulicher Informationen und geistigen Eigentums enthalte. Diebstahl geistigen Eigentums, Industriespionage oder die Verletzung von Vertraulichkeitsvereinbarungen seien dabei nicht nur ein wirtschaftliches Problem für die betroffenen Unternehmen. Diese Praktiken könnten auch die europäischen Verteidigungsinteressen und die nationale Sicherheit beeinträchtigen.

Open-Source-Chip-Ökosystem

Zum Aufbau eines Open-Source-Chip-Ökosystems schlägt Wölken vor:

  • quelloffene Referenzdesigns (wie RISC-V) und Standards vorrangig finanzieren
  • quelloffene Entwicklungswerkzeuge (einschließlich EDA und CAD) entwickeln und bereitstellen
  • den Einsatz von Open-Source-IP in vertikalen Sektoren wie Automobilbau, Fertigung und Gesundheitswesen fördern.

Berichterstatter Dan Nica (S&D, Rumänien) im federführenden ITRE-Ausschuss hatte seinen Draft Report zum Chips Act bereits im September vorgelegt. Damit wird sich der ITRE-Ausschuss in seiner Sitzung am 13. Oktober befassen. Die Stellungnahme von Wölken steht im JURI-Ausschuss am 26. Oktober zur Diskussion. vis

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  • Technologie

BSI-Präsident wackelt wegen fehlender Distanz zu Russland

Es würden “alle Optionen geprüft”, bestätigte der Sprecher von Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) am späten Sonntagabend auf Anfrage noch einmal: Arne Schönbohm, Chef der größten Cybersicherheitsbehörde in Europa, muss nach einem ZDF-Bericht fürchten, abberufen zu werden. Ihm wird fehlende Distanz zu russischen Nachrichtendienstkreisen vorgeworfen.

Die Angelegenheit wird auch in anderen europäischen Ländern interessiert verfolgt: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist die am besten ausgestattete zivile Cybersicherheitsbehörde in der EU – und durch ihre strukturelle Trennung von Geheimdiensten auch in anderen Staaten gern als Partner gesehen. Zudem ist das BSI Teil der europäischen IT-Sicherheitsstruktur und für die Durchsetzung weiter Teile der NIS-Richtlinie praktisch zuständig.

Schönbohm war nach einem Bericht des ZDF Magazin Royal in die Kritik geraten: Vor seiner Tätigkeit als BSI-Präsident hatte Schönbohm 2012 den Verein Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. mitgegründet und war als dessen Präsident tätig. In diesem ist neben bekannten Wirtschaftsunternehmen, dem Bundesgesundheitsministerium und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt auch eine Firma Mitglied, die heute Protelion heißt und Cybersicherheitsprodukte anbietet. Tatsächlich ist es jedoch die deutsche Tochter der aus russischen Geheimdienstkreisen gegründeten Infotecs (ИнфоТеКС).

Schönbohm hielt bis zuletzt enge Kontakte zum sogenannten Cyber-Sicherheitsrat und hielt dort die Festrede um zehnjährigen Geburtstag des von ihm mitgegründeten Vereins – und das laut Business Insider mit Genehmigung des ebenfalls unter Unionsinnenministern installierten Staatssekretärs Markus Richter. Dabei muss sich Schönbohm der Problematik bewusst gewesen sein. Sein Nachfolger als Vereinsvorsitzender, Hans-Wilhelm Dünn, war wegen fehlender Distanz zu Russland bereits 2019 Gegenstand kritischer Berichterstattung geworden, in deren Kontext Schönbohm seinen eigenen Mitarbeitern den Kontakt mit dem Verein bis zur Aufklärung der Vorwürfe untersagte.

Schönbohm war noch unter CDU-Innenminister Thomas de Maizière 2016 ins Amt gekommen, trotz lauter Kritik aus Zivilgesellschaft und damaliger Opposition. De Maizière hatte den Sohn des früheren brandenburgischen CDU-Innenministers Jörg Schönbohm für tauglich befunden, die Cybersicherheits-Behörde zu leiten, deren eigene Ursprünge in der Chiffrierabteilung des BND liegen. fst

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Krisen-Beihilferegeln sollen bis Ende 2023 gelten

Die Kommission will die Krisen-Beihilferegeln um ein Jahr verlängern. Das geht aus dem Vorschlag vor, den die Kommission in der vergangenen Woche an die Mitgliedstaaten verschickt hat und aus denen der französische Fachinformationsdienst Contexte zitiert. Die Ausnahmeregelungen für staatliche Beihilfen sollen um ein Jahr verlängert werden. Sie ermöglichen es Mitgliedstaaten, Unternehmen bei den stark gestiegenen Energie-Preisen in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu unterstützen.

Demnach sollen sie nun befristet bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Wie Contexte weiter berichtet, soll sich an den Höchstbeträgen nichts ändern, bis zu denen die Mitgliedstaaten die Unternehmen bei den Gas- und Strompreisen entlasten können. Allerdings sollen die Grenzen künftig für das Kalenderjahr berechnet werden. Einzelne Industrieunternehmen können vom Staat eine Unterstützung von bis zu zwei Millionen Euro im Jahr bekommen.

Besonders energieintensive Unternehmen sollen sogar bis zu 50 Millionen Euro im Jahr bekommen können. Auch die Rechnungen für Heizung und Kühlung können künftig zur Ermittlung des höheren Aufwandes eingerechnet werden. Die Kommission will zudem Beihilfen zulassen, die das Stromsparen fördern. Die Mitgliedstaaten haben jetzt einige Tage Zeit, um Änderungen zu beantragen. Danach wird der Vorschlag veröffentlicht.   mgr

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Additionality: Wasserstoff-Dachverband stellt Forderungen an EU-Politik

Der Wasserstoff-Dachverband Hydrogen Europe hat Kriterien formuliert, den der Delegierte Rechtsakt zur Additionality (Zusätzlichkeit) im Zusammenhang mit grünem Wasserstoff aus seiner Sicht erfüllen muss. In dem Schreiben von Hydrogen Europe an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und RED-3-Berichterstatter Markus Pieper (CDU), das Europe Table vorliegt, wird gefordert:

  • Übergangsphase bis 2028 beim Einphasen in die Additionalität. Nur so könne man den langen Genehmigungsverfahren Rechnung tragen
  • zehn Jahre Bestandsschutz für frühe Investoren im Anschluss an die Übergangsphase. First-Mover müssten dann erst in der zweiten Hälfte ihres Produktionszyklus die Regeln der Additionality einhalten
  • monatliche Korrelation für alle Marktteilnehmer. Monatliche Korrelation soll auch möglich sein für Projekte, die nicht öffentliche Gelder bekommen. Eine Erfassung auf Tage- und Stundenbasis sollte erst später erfolgen
  • Geografische Korrelation: Mitgliedstaaten sollen Flexibilität bei den Gebotszonen bekommen. Elektrolyseure müssen also nicht in der Gebotszone stehen, wo der grüne Strom generiert wird, sie sollen auch in einer benachbarten Gebotszone stehen dürfen   

Gegenstand des EU-Rechtstextes zur Additionality ist, zu definieren, unter welchen Bedingungen der Energieträger Wasserstoff als “erneuerbar” eingestuft werden kann. Mit dem Schreiben mahnt Hydrogen Europe die EU, das Tempo der Gesetzgebung deutlich zu erhöhen. Es sei von übergeordneter Bedeutung, umgehend die politische Unsicherheit im Hinblick auf erneuerbaren Wasserstoff zu beseitigen. Andernfalls drohe Europa, seine führende Rolle in der Welt beim Aufbau einer Wasserstoff-Industrie zu verlieren. “Wir können es uns nicht leisten, noch einmal drei Monate zu warten, bis wir wissen, nach welchen Regeln produziert werden kann”, heißt es in dem Brief. Ein Flickenteppich von unterschiedlichen Regeln, wie die Mitgliedstaaten die RED 3 umsetzen, würde den Handel im Binnenmarkt erschweren und Investitionen lähmen, warnen die Autoren.  mgr

  • Energie
  • Europäische Kommission
  • Wasserstoff

EU-Staaten wollen 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden

Die EU-Staaten wollen rund 15 000 ukrainische Soldaten ausbilden. Es gebe eine entsprechende Einigung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), hieß es in EU-Kreisen. Im PSK kommen die Botschafter der EU-Staaten unter dem Vorsitz des Auswärtigen Dienstes der EU zusammen. Die Entscheidung muss noch formell von den EU-Ländern bestätigt werden.

Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala hatte nach einem informellen EU-Gipfel am Freitag bereits gesagt, er begrüße eine Einigung über eine Trainingsmission für ukrainische Truppen, ohne jedoch eine konkrete Zahl zu nennen. Wie «Welt am Sonntag» und «Spiegel» berichten, sollen unter anderem Deutschland und Polen die ukrainischen Soldaten ausbilden. Auch in anderen EU-Ländern seien Lehrgänge geplant. dpa

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  • Geopolitik
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Presseschau

Energiekrise: EU-Staaten weiter uneins bei europäischem Gaspreisdeckel FINANZEN
EU-Länder in der Energiekrise: Menschen in Polen verbrennen in ihrer Not Müll, und Rumänien begrenzt die Preise für Brennholz BUSINESSINSIDER
EU-Staaten wollen tausende ukrainische Soldaten ausbilden DEUTSCHLANDFUNK
EU-Politikerin Róża Thun: “Das Europa, das der Westen kannte, ist vorbei” DEUTSCHLANDFUNK
Szijjártó: Behinderung der EU-Integration des westlichen Balkans ist ein Sicherheitsrisiko BALATON-ZEITUNG
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EU Transport Commissioner in Cyprus for maritime conference CYPRUS-MAIL
Crypto Rules In EU Lean Toward Investor Protection, Away From Privacy FORBES
Biden Order Promises EU Citizens Better Data Privacy USNEWS
Nach EU-Intervention: Shopify will illegale Handelspraktiken ausmerzen HEISE
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Heads

Michael Hager: Der wichtigste deutsche Beamte in der EU-Kommission

Michael Hager leitet das Kabinett des Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis.
Michael Hager leitet das Kabinett des Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis.

Wenn es in der EU-Bubble ein Ranking für den wichtigsten deutschen Beamten gäbe: Michael Hager würde ganz weit vorn landen. Keiner kennt die Gesetze besser, nach denen der Beamtenapparat in der Kommission funktioniert. Keiner bringt mehr Erfahrung mit aus dem innersten Zirkel der Macht, dem Kollegium der 27 Kommissare. Von allen Kabinettchefs im Berlaymont ist er am längsten im Amt.  

Der jünger wirkende 55-Jährige leitet seit 2019 das Kabinett des leitenden Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis. Davor hatte er seit 2013 die gleiche Funktion im Kabinett des deutschen Kommissars, Günther H. Oettinger, inne. Hager, dessen Töchter anfangs noch klein waren, war der engste Mitarbeiter Oettingers. Das muss besonders anstrengend gewesen sein.

Oettingers Durchhaltevermögen zu später Stunde weit nach dem gewöhnlichen Dienstschluss von EU-Spitzenbeamten ist berüchtigt. Als Chefunterhändler von Oettinger bekam Hager tiefen Einblick in die vielen Themen, für die Oettinger zuständig war: Energie, Digitales. Zuletzt musste er sich um das Personal der Kommission kümmern und den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFF) mitverhandeln.

Ansprechpartner für die deutsche Wirtschaft  

Schon bei Oettinger war Hager ein gefragter Gesprächspartner für deutsche Interessen auf EU-Parkett. Oettinger war als Ministerpräsident wie auch als Kommissar immer für Wirtschaftsleute ansprechbar. Seit dem neuen Mandat ist Hagers Bedeutung noch einmal gewachsen. Normalerweise ist der Kabinettschef des deutschen Kommissars der wichtigste Gesprächspartner für Unternehmens- und Verbändevertreter aus Deutschland.

In der Kommission, die 2019 angetreten ist, wäre dies eigentlich Aufgabe von Björn Seibert, der das Kabinett von Ursula von der Leyen leitet. Da aber von der Leyen als Kommissionspräsidentin nicht in der Rolle eines deutschen Kommissars gesehen werden will, sondern gesamteuropäisch auftritt, fällt Seibert aus. Hager muss das mit abdecken.

Hager geht jeden Sonntag ins Berlaymont und bereitet dort das wöchentliche “Hebdo”-Treffen vor, die Runde der Kabinettschefs am Montag, bei der die Pflöcke für die Kommissionssitzung eingeschlagen werden. Hager hat ein Monster-Repertoire. Sein Chef, der Lette Dombrovskis, ist zuständig für alle wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen vom Euro bis zum Wiederaufbaufonds.

Zuständig für Wirtschaft, Währung und Handel

Seitdem der irische Handelskommissar Phil Hogan wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln zurücktreten musste, ist Dombrovskis und damit Hager auch noch für die Handelspolitik der EU zuständig. Er macht all das überaus gelassen, mit Humor und ohne, den Gesprächspartner seine eigene Wichtigkeit jemals spüren zu lassen.

Im Laufe der Jahre ist Hager, der im bayerischen Teil Schwabens geboren ist, zu einem EU-Beamten geworden, der perfekt auf Französisch und Englisch seine Dossiers verhandelt. Von seinem Studium her ist diese EU-Karriere durchaus eine Überraschung: Er hat in Tübingen Politik und Sinologie studiert und einen längeren Aufenthalt in Asien hinter sich gebracht.

Im EU-Betrieb neigen Deutsche gelegentlich dazu, ihr Deutschsein schamhaft zu verstecken. Hager verleugnet seine deutsche Herkunft nicht. Er taucht abends bei Veranstaltungen vornehmlich in den Vertretungen der Bundesländer auf, die von der Union mitregiert werden. Hager ist aktiv im Vorstand der CDU Brüssel, dem einzigen Ortsverein der Partei im Ausland. Da schließt sich der Kreis. Die leitenden Vize-Präsidentenposten der Kommission gingen jeweils an einen Vertreter der europäischen Parteienfamilien. Hagers Chef Dombrovskis gehört der christdemokratischen EVP an.

Strippenzieher auf dem Personalkarussell

Hager ist Mitglied in zwei informellen unionsnahen Netzwerken in Brüssel. Das ist zum einen die “Genval”-Runde, benannt nach einem See vor den Toren Brüssels. Zwei- bis dreimal im Jahr treffen sich dort höchst vertraulich hochrangige unionsnahe Beamte aus Brüssel und Berlin. Außerdem ist er Mitglied in einem Netzwerk, das in den 70er Jahren gegründet wurde, als die Union im Bund die Macht verlor und vom Fluss wichtiger Nachrichten aus der EU abgeschnitten war: der Aktionsgemeinschaft der CDU/CSU-nahen Beamten in Brüssel. Geleitet wird sie von Markus Schulte, ebenfalls ein ehemaliges Kabinettsmitglied von Oettinger.

Der Club versteht sich eher als Dienstleister. Wenn Beamte aus Deutschland nach Brüssel kommen, finden sie hier Expertise.  Karrieristen seien hier fehl am Platze, sagt einer, der lange mit dabei war. Auch FDP und Sozialdemokraten haben eigene Netzwerke in den Institutionen. Keines aber ist so erfolgreich wie das der Union. Als nach der Europa-Wahl die Kabinette der Kommissare besetzt wurden, landeten auffällig viele Deutsche mit Unionshintergrund auf den guten Posten. Vertreter von SPD und FDP jedenfalls finden sich eher im Maschinenraum der Kommission. Ob Hager heute noch mitmischt, wenn in Brüssel Jobs an Deutsche vergeben werden? Vermutlich hat er dafür nicht mehr die Zeit bei dem Arbeitspensum im Kabinett Dombrovskis. Markus Grabitz

  • Europäische Kommission
  • Europapolitik
  • Valdis Dombrovskis

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    US-Präsident Joe Biden hat sich lange Zeit gelassen. Jetzt endlich hat er die präsidentiellen Verfügungen unterschrieben, auf deren Basis nun ein neuer Anlauf für eine Anerkennungsentscheidung der EU unternommen werden kann, um Daten aus der EU in die USA transferieren zu dürfen. EU-Kommission und US-Regierung sind optimistisch, dass die neue Regelung auch nach einer Überprüfung durch den EuGH noch Bestand hätte. Datenschützer dagegen sind skeptisch, sie glauben, dass es sich am Ende um alten Wein in neuen Schläuchen handeln könnte. Mein Kollege Falk Steiner kennt die Details.

    Treffen der Staats- und Regierungschefs können zäh, die Bewegung Richtung Konsens häufig kaum messbar sein. Beim informellen Gipfel jetzt in Prag kamen die 27 aber noch nicht einmal in Trippelschritten einer Lösung nahe, die die drastischen Preisanstiege bei Gas und Strom für Verbraucher und Unternehmen bekämpfen würde. Deutlich fiel dagegen auch am zweiten Tag in Prag die Kritik der Nachbarstaaten am deutschen Alleingang aus. Meine Kollegin Ella Joyner hat vor Ort beobachtet, was Olaf Scholz für Erfahrungen mit seinem “Doppel-Wumms” gemacht hat.

    Die Kommissare der 27 Mitgliedstaaten stehen in der ersten Reihe der operativen EU-Politik. Knapp dahinter, aber eher im Hintergrund wirken deren Kabinettschefs. Sie sind die Manager der Politik, Unterhändler und gefragte Ansprechpartner für Lobbyisten und sonstige Interessenvertreter. Der vielleicht wichtigste deutsche Beamte ist Michael Hager, Kabinettschef von Vize-Kommissionspräsident Dombrovskis. Ich habe ihn porträtiert.

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    Markus Grabitz
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    “Ein wichtiger Schritt vorwärts für besseren Datenschutz für Bürger und mehr Rechtssicherheit für Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks”, freut sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen demonstrativ. Sie hatte vor über einem halben Jahr mit US-Präsident Joe Biden die Neuregelung politisch vereinbart. Seitdem war das Weiße Haus damit beschäftigt, die Executive Orders auszuarbeiten, mit denen personenbezogenen EU-Daten in den USA ein dem EU-Rahmen vergleichbares Schutzniveau garantiert werden soll. 

    US-Dienste sollen datensparsam schnüffeln

    Wesentliche Punkte der Präsidialverfügungen betreffen dabei die Vorschriften zur Signalaufklärung (SIGINT), wie die nachrichtendienstliche Datensammlung etwa über Satelliten, Kabel oder andere Wege genannt wird. Künftig sollen US-Behörden schon bei der Erhebung von Daten auch gegenüber Nicht-US-Bürgern enger an das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebunden sein. Dabei sollen sie auch das Recht auf Privatsphäre stärker achten, auch sollen sie hierbei besser kontrolliert werden. Auch das in Europa manifeste Prinzip der Datensparsamkeit bei einmal gespeicherten Daten soll gestärkt werden.

    Damit unternähme die US-Seite Schritte in Richtung des Europäischen Gerichtshof (EuGH). Die skeptischen Richter in Luxemburg haben bereits zwei Versuche für unzureichend befunden. Binnen eines Jahres müssen die Chefs der jeweiligen US-Dienste nun ihre internen Vorschriften an die neuen Präsidialvorgaben anpassen. Allerdings ist offen, ob mit diesen Annäherungen im Wording tatsächlich gemeint ist, was auf EU-Seite, insbesondere von den Richtern in Luxemburg, darunter verstanden wird.

    US-Handelsministerin Gina Raimondo jedenfalls ist zuversichtlich, dass es nun eine “dauerhafte und verlässliche Rechtsgrundlage für den transatlantischen Datenverkehr” geben würde. Doch nicht nur notorische Kritiker halten genau das für fraglich. Zwar werden die Präsidialverfügungen begrüßt, um endlich bei dem Dauerthema voranzukommen. “Nach der Executive Order gilt es, den politischen Willen für eine Lösung rasch in eine belastbare rechtliche Regelung zu überführen, die auch einer künftigen gerichtlichen Überprüfung standhält”, fordert etwa Susanne Dehmel vom Bitkom.

    Zweikammer-System soll Überprüfung ermöglichen

    Das US-Justizministerium (DoJ) ist den ersten Schritt in diese Richtung bereits gegangen. Bidens Präsidialverfügungen schreiben unter anderem vor, dass sich eine gerichtsartige Institution um Datenschutz-Beschwerden ausländischer Bürger gegen die US-Nachrichtendienste kümmern soll. Das DoJ hat die Einrichtung eines entsprechenden “Data Protection Review Courts” als zweite Kammer des Beschwerdemechanismus bereits eingeleitet. Eine erste Kammer wurde beim Nationalen Direktor für die Nachrichtendienste (ODNI) im Zuge der Privacy Shield-Vereinbarung 2015 eingerichtet. Diese soll nun angepasst ihren Aufgaben nachkommen. Fehlende, wirksame Rechtsbehelfe waren ein weiterer, wesentlicher Grund des EuGH, die Vorgängervereinbarungen unzureichend zu befinden.

    Viele Kritiker halten den jetzt gewählten Weg dennoch für nicht ausreichend: Statt das materielle US-Nachrichtendienstrecht so zu ändern, dass Nicht-US-Bürger von vornherein besser geschützt werden, seien mit den Executive Orders des Präsidenten zwar viele rechtliche Besserstellungen erfolgt. Doch es handele sich dabei um Ausnahmen von der Regel. Diese seien jederzeit von diesem oder künftigen Präsidenten abzuändern. Der Hauptgrund für den gewählten Weg: So konnte ohne den politisch heiklen Prozess echter Gesetzesänderungen und relativ schnell agiert werden.

    Aus TADPF wird EUUSDPF

    Künftig soll die Vereinbarung nicht mehr Transatlantic Data Privacy Framework heißen, wie im Frühjahr angekündigt, sondern EU-US-Data-Privacy-Framework. Dabei geht es um viel: Daten seien wesentlich für ein Handels- und Investitionsvolumen von einer Billion US-Dollar, umreißt US-Handelsministerin Gina Raimondo die Größenordnung. Das Weiße Haus spricht von einem Volumen in Höhe von 7,1 Billionen US-Dollar in den transatlantischen Beziehungen.

    Denn auch wenn vordergründig vor allem Google, Microsoft, Amazon, Meta, Apple und andere Techkonzerne im Fokus stehen, geht die Bedeutung noch weit darüber hinaus. Jedes Unternehmen, das personenbezogene Daten aus der EU in den USA verarbeiten lassen will, benötigt dafür eine Rechtsgrundlage.

    Kommission muss Anerkennung in Wege leiten

    Im weiteren Prozess muss die EU-Kommission nun eine eigene Beurteilung der US-Vorschläge vornehmen: die sogenannte Adäquanzentscheidung, mit der geprüft wird, ob die Zusicherungen den Anforderungen des Schrems II-Urteils genügen und die USA damit ein vergleichbares Datenschutzniveau erreichen. Anschließend befassen sich Datenschutzaufsichtsbehörden, Parlament und Mitgliedstaaten mit dem Vorschlag der Kommission. Sollte der im weiteren Verlauf der Debatte nicht gestoppt werden, könnte er in Kraft treten. Wie schnell dieser Weg abgeschlossen sein wird, ist unklar, in Kommissionkreisen wird von mehreren Wochen gesprochen, bis die Angemessenheitsentscheidung vorgelegt werden könne.

    Wirtschaft fordert von Datenschützern Zurückhaltung

    Der Internetwirtschaftsverband Eco fordert von den Aufsichtsbehörden bis zum Erreichen des Angemessenheitsbeschlusses Zurückhaltung: “Bis dahin sollten sich die Datenschutzbehörden klar positionieren, die vorliegende Lösung anerkennen und bis zur Inkraftsetzung unbedingt auf Bußgeldverfahren oder etwaige Übertragungsverbote bei den Unternehmen verzichten”, sagt Eco-Vorstand Oliver Süme.

    Doch das ist kaum zu erwarten: Damit würden die Datenschutzaufsichtsbehörden geltendes Recht ignorieren.

    Kritiker sehen zudem wesentliche Fragen weiterhin ungeklärt: “Ohne Details zur Umsetzung der Präsidialverfügung bedeutet sie etwa so viel wie ‘Wir nehmen Deine Privatsphäre ernst’ auf einer Firmen-Website”, kritisiert etwa Calli Schroeder von der US-Organisation EPIC, Co-Vorsitzende der Digitalabteilung des transatlantischen Verbraucherdialogs TACD.

    In ‘t Veld: Präsidialverfügung ist “Schwein mit Lippenstift”

    “Dieses Mal muss es halten”, sagt Eva Maydell, EVP-Abgeordnete aus Bulgarien. Deutlich verstimmt ist Sophie in ‘t Veld. Die niederländische Liberale rechnet damit, dass der Europäische Gerichtshof relativ schnell über “Schrems III” entscheiden müsse: “USA und EU-Kommission haben offenbar nicht gelernt, dass auf dem Privacy-Shield-Schwein aufgetragener Lippenstift den EuGH nicht hinters Licht führen wird”, machte die D66-Politikerin mit deutlichen Worten ihrem Ärger auf Twitter Luft.

    Max Schrems prüft bereits, ob die US-Vorlage ihn dazu bewegt, nach Safe Harbor und Privacy Shield ein drittes Mal den Gang nach Luxemburg anzutreten. In einer ersten Reaktion kritisiert er: “Die EU und die USA sind sich über den Begriff ‘verhältnismäßig’ einig, jedoch scheinbar nicht über dessen Bedeutung”, sieht er bereits einen ersten, wichtigen Angriffspunkt für ein mögliches Gerichtsverfahren gegen eine EU-Adäquanzentscheidung. Seine Prognose: “Am Ende wird sich die Definition des EuGH durchsetzen – und damit das Abkommen wahrscheinlich wieder zunichtemachen.”

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    Mitgliedstaaten heillos zerstritten bei Bremse für Energiepreise

    Je kühler das Wetter wird, desto hitziger die Debatte über eine gemeinsame europäische Antwort auf die Energiepreiskrise. Spätestens bis zum regulären Europäischen Rat Mitte nächster Woche müssen die Mitgliedstaaten einen Weg finden, Verbraucher und Unternehmen vor stark überhöhten Energiekosten zu schützen. Ein informeller Gipfel wie am Freitag in Prag muss keine Beschlüsse in Textform liefern, aber einen Fingerzeig, in welche Richtung die EU gehen will – das wäre schon gut gewesen.

    Die 27 Staaten haben schon bald die Gelegenheiten, ihren Streit beizulegen. Dienstag und Mittwoch kommen die Energieminister in Prag für ein informelles Treffen zusammen. Neun Tage später dann der reguläre Herbstgipfel in Brüssel. Es wird damit gerechnet, dass die Kommission im Vorfeld ihren Vorschlag präsentiert. Mit ausreichendem Vorlauf, damit er von den Experten geprüft werden kann.

    Debatte läuft seit Wochen

    Die Beamten in Brüssel haben bereits die Chance gehabt, die unterschiedlichen Meinungen der Hauptstädte zu hören. Die Debatte läuft schon seit Wochen. Der Ton ist aber rauer geworden. Die Verantwortung dafür hat auch die Bundesregierung. Kanzler Olaf Scholz hatte mit seinem in Europa nicht abgestimmten Doppel-Wumms genau das Gegenteil von dem gemacht, was er in der Ukraine-Krise bei anderen Mitgliedstaaten immer angemahnt hatte: ein gemeinsames Vorgehen.

    Polen, Lettland und Luxemburg übten am lautesten Kritik am deutschen Alleingang. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: Der “deutsche Egoismus” müsse endlich in die Schublade. Man sei entschieden gegen die Zerstörung des europäischen Binnenmarkts. “Das reichste und wirtschaftlich stärkste Land der Europäischen Union versucht, diese Krise zu nutzen, um seinen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Unternehmen im Binnenmarkt zu verschaffen. Das ist nicht fair.” Viele Länder hätten beim Gipfel darauf hingewiesen, dass dies der falsche Weg sei. Schon am Vortag hatte Morawiecki vor einem “Diktat Deutschlands” in der europäischen Energiepolitik gewarnt.

    Die Kritik ist heftig: Berlin subventioniere das Gas, heize damit den Konsum an und verschaffe seinen Unternehmen einen ungerechten Vorteil. Auf der anderen Seite blockiere Deutschland alle Versuche der anderen, einen EU-weiten Preisdeckel aufzulegen.

    Scholz steht zu Doppel-Wumms

    Scholz verteidigte den “Doppel-Wumms”. Alle Staaten müssten ihren Bürgern durch die Krise helfen. Andere Mitgliedstaaten machten es ähnlich. Rückendeckung bekam er von Mark Rutte aus den Niederlanden, der ebenfalls den EU-weiten Gaspreisdeckel ablehnt.

    Ohne Berlin zu nennen, warnte aber Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beim Gipfel auch vor einer “Fragmentation und Verzerrung” des Binnenmarkts. Den gemeinsamen Markt zu schützen sei von größter Bedeutung.

    Die Debatte über eine Preisobergrenze wird nicht einfacher dadurch, dass es so konträre Auffassungen gibt. Die weniger radikale Option wäre Subventionierung aus EU-Mitteln. Das wäre allerdings enorm teuer. Die radikale Option wäre, den Preis für in die EU importiertes Erdgas zu deckeln. Das wäre allerdings gefährlich: Anbieter könnten dann künftig einen Bogen um die EU machen. Berlin ist daher nicht überzeugt.

    Die Kommission ist auch skeptisch und knüpft die Einführung eines Gaspreisdeckels an konkrete Bedingungen: höhere, verpflichtende Gaseinsparungen und verpflichtende Solidaritätsabkommen.

    Mit vielen Versuchsballons wird gerechnet

    Die Kommission verfolgt drei Stränge: sondieren, wie die Preise auf dem Gasmarkt gedämpft werden können, mit zuverlässigen Lieferanten einen Korridor für angemessene Preise aushandeln. Und: versuchen, den Einfluss des Gaspreises auf die Preisbildung beim Strom zu begrenzen.

    Vier Mitgliedstaaten (Italien, Polen, Griechenland und Belgien) sollen ein Papier mit Vorschlägen für ein dreistufiges Verfahren vorgelegt haben, mit dem sie die Bedenken der Kommission ausräumen wollen.

    So unbefriedigend die Lage nach dem Treffen in Prag ist, eine Prognose ist möglich: In den nächsten Tagen wird es eine ganze Reihe von Vorstößen aus Mitgliedstaaten geben, einen Kompromiss zu schmieden. Im Brüsseler Jargon werden diese Versuchsballons auch “Non-Papers” genannt. Es steht viel auf dem Spiel: Die Maßnahmen sollen dazu beitragen, Energienot zu vermeiden. Heiße Fragen müssen in Brüssel beantwortet werden jetzt, wo es in Brüssel schon deutlich kühler geworden ist.

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    JURI-Ausschuss legt Stellungnahme zum Chips Act vor

    Mit dem Chips Act will die EU ein starkes europäisches Halbleiter-Ökosystem schaffen und Europas technologische Souveränität in der Zukunft sichern. In seiner Stellungnahme für den Rechtsausschuss schlägt JURI-Berichterstatter Tiemo Wölken (S&D) dafür einen neuen technologischen Weg vor: Europa soll Open-Source fördern, um ein Fundament zu schaffen, auf dem die Wirtschaft dann aufbauen könne. Dabei wird das bekannte Open-Source-Konzept für Software auf Hardware übertragen. Das geht aus der JURI-Stellungnahme hervor, die Europe.Table vorliegt und in den kommenden Tagen veröffentlicht werden soll. Die meisten Änderungsvorschläge beziehen sich auf Artikel 4 des Kommissionsvorschlags.

    Zwei Ziele haben die Änderungsanträge des JURI-Ausschusses:

    • die Rolle von Open-Source bei geistigem Eigentum (IP) im Halbleiterbereich stärken. Dabei soll die Förderung dieser grundlegenden Technologie dazu führen, dass Schlüsselindustrien sie übernehmen und weiterentwickeln.
    • Rechtsklarheit über die Behandlung von vertraulichen Informationen und geistigem Eigentum schaffen – vor allem gegenüber nicht vertrauenswürdigen Drittländern. Gleichzeitig soll die Tür für vertrauenswürdige Partner ausdrücklich offenbleiben.

    Open-Source statt proprietärer Technologien

    Aktuell bezahlen europäische Unternehmen für proprietäre Halbleitertechnologien und -werkzeuge hohe Lizenzgebühren, was vor allem für KMU eine Markteintrittsbarriere darstellt. Wölken ist überzeugt, dass Open-Source-IP diese Hürden senkt und zugleich Europas Abhängigkeit von proprietärem geistigem Eigentum von außerhalb der EU verringert.

    Außerdem befürchtet der JURI-Ausschuss, dass der Vorschlag der Kommission zu Rechtsunsicherheit führt, da er keinen ausreichenden Schutz vertraulicher Informationen und geistigen Eigentums enthalte. Diebstahl geistigen Eigentums, Industriespionage oder die Verletzung von Vertraulichkeitsvereinbarungen seien dabei nicht nur ein wirtschaftliches Problem für die betroffenen Unternehmen. Diese Praktiken könnten auch die europäischen Verteidigungsinteressen und die nationale Sicherheit beeinträchtigen.

    Open-Source-Chip-Ökosystem

    Zum Aufbau eines Open-Source-Chip-Ökosystems schlägt Wölken vor:

    • quelloffene Referenzdesigns (wie RISC-V) und Standards vorrangig finanzieren
    • quelloffene Entwicklungswerkzeuge (einschließlich EDA und CAD) entwickeln und bereitstellen
    • den Einsatz von Open-Source-IP in vertikalen Sektoren wie Automobilbau, Fertigung und Gesundheitswesen fördern.

    Berichterstatter Dan Nica (S&D, Rumänien) im federführenden ITRE-Ausschuss hatte seinen Draft Report zum Chips Act bereits im September vorgelegt. Damit wird sich der ITRE-Ausschuss in seiner Sitzung am 13. Oktober befassen. Die Stellungnahme von Wölken steht im JURI-Ausschuss am 26. Oktober zur Diskussion. vis

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    BSI-Präsident wackelt wegen fehlender Distanz zu Russland

    Es würden “alle Optionen geprüft”, bestätigte der Sprecher von Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) am späten Sonntagabend auf Anfrage noch einmal: Arne Schönbohm, Chef der größten Cybersicherheitsbehörde in Europa, muss nach einem ZDF-Bericht fürchten, abberufen zu werden. Ihm wird fehlende Distanz zu russischen Nachrichtendienstkreisen vorgeworfen.

    Die Angelegenheit wird auch in anderen europäischen Ländern interessiert verfolgt: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ist die am besten ausgestattete zivile Cybersicherheitsbehörde in der EU – und durch ihre strukturelle Trennung von Geheimdiensten auch in anderen Staaten gern als Partner gesehen. Zudem ist das BSI Teil der europäischen IT-Sicherheitsstruktur und für die Durchsetzung weiter Teile der NIS-Richtlinie praktisch zuständig.

    Schönbohm war nach einem Bericht des ZDF Magazin Royal in die Kritik geraten: Vor seiner Tätigkeit als BSI-Präsident hatte Schönbohm 2012 den Verein Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e. V. mitgegründet und war als dessen Präsident tätig. In diesem ist neben bekannten Wirtschaftsunternehmen, dem Bundesgesundheitsministerium und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt auch eine Firma Mitglied, die heute Protelion heißt und Cybersicherheitsprodukte anbietet. Tatsächlich ist es jedoch die deutsche Tochter der aus russischen Geheimdienstkreisen gegründeten Infotecs (ИнфоТеКС).

    Schönbohm hielt bis zuletzt enge Kontakte zum sogenannten Cyber-Sicherheitsrat und hielt dort die Festrede um zehnjährigen Geburtstag des von ihm mitgegründeten Vereins – und das laut Business Insider mit Genehmigung des ebenfalls unter Unionsinnenministern installierten Staatssekretärs Markus Richter. Dabei muss sich Schönbohm der Problematik bewusst gewesen sein. Sein Nachfolger als Vereinsvorsitzender, Hans-Wilhelm Dünn, war wegen fehlender Distanz zu Russland bereits 2019 Gegenstand kritischer Berichterstattung geworden, in deren Kontext Schönbohm seinen eigenen Mitarbeitern den Kontakt mit dem Verein bis zur Aufklärung der Vorwürfe untersagte.

    Schönbohm war noch unter CDU-Innenminister Thomas de Maizière 2016 ins Amt gekommen, trotz lauter Kritik aus Zivilgesellschaft und damaliger Opposition. De Maizière hatte den Sohn des früheren brandenburgischen CDU-Innenministers Jörg Schönbohm für tauglich befunden, die Cybersicherheits-Behörde zu leiten, deren eigene Ursprünge in der Chiffrierabteilung des BND liegen. fst

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    Krisen-Beihilferegeln sollen bis Ende 2023 gelten

    Die Kommission will die Krisen-Beihilferegeln um ein Jahr verlängern. Das geht aus dem Vorschlag vor, den die Kommission in der vergangenen Woche an die Mitgliedstaaten verschickt hat und aus denen der französische Fachinformationsdienst Contexte zitiert. Die Ausnahmeregelungen für staatliche Beihilfen sollen um ein Jahr verlängert werden. Sie ermöglichen es Mitgliedstaaten, Unternehmen bei den stark gestiegenen Energie-Preisen in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zu unterstützen.

    Demnach sollen sie nun befristet bis zum 31. Dezember 2023 gelten. Wie Contexte weiter berichtet, soll sich an den Höchstbeträgen nichts ändern, bis zu denen die Mitgliedstaaten die Unternehmen bei den Gas- und Strompreisen entlasten können. Allerdings sollen die Grenzen künftig für das Kalenderjahr berechnet werden. Einzelne Industrieunternehmen können vom Staat eine Unterstützung von bis zu zwei Millionen Euro im Jahr bekommen.

    Besonders energieintensive Unternehmen sollen sogar bis zu 50 Millionen Euro im Jahr bekommen können. Auch die Rechnungen für Heizung und Kühlung können künftig zur Ermittlung des höheren Aufwandes eingerechnet werden. Die Kommission will zudem Beihilfen zulassen, die das Stromsparen fördern. Die Mitgliedstaaten haben jetzt einige Tage Zeit, um Änderungen zu beantragen. Danach wird der Vorschlag veröffentlicht.   mgr

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    Additionality: Wasserstoff-Dachverband stellt Forderungen an EU-Politik

    Der Wasserstoff-Dachverband Hydrogen Europe hat Kriterien formuliert, den der Delegierte Rechtsakt zur Additionality (Zusätzlichkeit) im Zusammenhang mit grünem Wasserstoff aus seiner Sicht erfüllen muss. In dem Schreiben von Hydrogen Europe an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und RED-3-Berichterstatter Markus Pieper (CDU), das Europe Table vorliegt, wird gefordert:

    • Übergangsphase bis 2028 beim Einphasen in die Additionalität. Nur so könne man den langen Genehmigungsverfahren Rechnung tragen
    • zehn Jahre Bestandsschutz für frühe Investoren im Anschluss an die Übergangsphase. First-Mover müssten dann erst in der zweiten Hälfte ihres Produktionszyklus die Regeln der Additionality einhalten
    • monatliche Korrelation für alle Marktteilnehmer. Monatliche Korrelation soll auch möglich sein für Projekte, die nicht öffentliche Gelder bekommen. Eine Erfassung auf Tage- und Stundenbasis sollte erst später erfolgen
    • Geografische Korrelation: Mitgliedstaaten sollen Flexibilität bei den Gebotszonen bekommen. Elektrolyseure müssen also nicht in der Gebotszone stehen, wo der grüne Strom generiert wird, sie sollen auch in einer benachbarten Gebotszone stehen dürfen   

    Gegenstand des EU-Rechtstextes zur Additionality ist, zu definieren, unter welchen Bedingungen der Energieträger Wasserstoff als “erneuerbar” eingestuft werden kann. Mit dem Schreiben mahnt Hydrogen Europe die EU, das Tempo der Gesetzgebung deutlich zu erhöhen. Es sei von übergeordneter Bedeutung, umgehend die politische Unsicherheit im Hinblick auf erneuerbaren Wasserstoff zu beseitigen. Andernfalls drohe Europa, seine führende Rolle in der Welt beim Aufbau einer Wasserstoff-Industrie zu verlieren. “Wir können es uns nicht leisten, noch einmal drei Monate zu warten, bis wir wissen, nach welchen Regeln produziert werden kann”, heißt es in dem Brief. Ein Flickenteppich von unterschiedlichen Regeln, wie die Mitgliedstaaten die RED 3 umsetzen, würde den Handel im Binnenmarkt erschweren und Investitionen lähmen, warnen die Autoren.  mgr

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    EU-Staaten wollen 15.000 ukrainische Soldaten ausbilden

    Die EU-Staaten wollen rund 15 000 ukrainische Soldaten ausbilden. Es gebe eine entsprechende Einigung des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), hieß es in EU-Kreisen. Im PSK kommen die Botschafter der EU-Staaten unter dem Vorsitz des Auswärtigen Dienstes der EU zusammen. Die Entscheidung muss noch formell von den EU-Ländern bestätigt werden.

    Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala hatte nach einem informellen EU-Gipfel am Freitag bereits gesagt, er begrüße eine Einigung über eine Trainingsmission für ukrainische Truppen, ohne jedoch eine konkrete Zahl zu nennen. Wie «Welt am Sonntag» und «Spiegel» berichten, sollen unter anderem Deutschland und Polen die ukrainischen Soldaten ausbilden. Auch in anderen EU-Ländern seien Lehrgänge geplant. dpa

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    EU-Länder in der Energiekrise: Menschen in Polen verbrennen in ihrer Not Müll, und Rumänien begrenzt die Preise für Brennholz BUSINESSINSIDER
    EU-Staaten wollen tausende ukrainische Soldaten ausbilden DEUTSCHLANDFUNK
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    Michael Hager: Der wichtigste deutsche Beamte in der EU-Kommission

    Michael Hager leitet das Kabinett des Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis.
    Michael Hager leitet das Kabinett des Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis.

    Wenn es in der EU-Bubble ein Ranking für den wichtigsten deutschen Beamten gäbe: Michael Hager würde ganz weit vorn landen. Keiner kennt die Gesetze besser, nach denen der Beamtenapparat in der Kommission funktioniert. Keiner bringt mehr Erfahrung mit aus dem innersten Zirkel der Macht, dem Kollegium der 27 Kommissare. Von allen Kabinettchefs im Berlaymont ist er am längsten im Amt.  

    Der jünger wirkende 55-Jährige leitet seit 2019 das Kabinett des leitenden Vize-Präsidenten der Kommission, Valdis Dombrovskis. Davor hatte er seit 2013 die gleiche Funktion im Kabinett des deutschen Kommissars, Günther H. Oettinger, inne. Hager, dessen Töchter anfangs noch klein waren, war der engste Mitarbeiter Oettingers. Das muss besonders anstrengend gewesen sein.

    Oettingers Durchhaltevermögen zu später Stunde weit nach dem gewöhnlichen Dienstschluss von EU-Spitzenbeamten ist berüchtigt. Als Chefunterhändler von Oettinger bekam Hager tiefen Einblick in die vielen Themen, für die Oettinger zuständig war: Energie, Digitales. Zuletzt musste er sich um das Personal der Kommission kümmern und den mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFF) mitverhandeln.

    Ansprechpartner für die deutsche Wirtschaft  

    Schon bei Oettinger war Hager ein gefragter Gesprächspartner für deutsche Interessen auf EU-Parkett. Oettinger war als Ministerpräsident wie auch als Kommissar immer für Wirtschaftsleute ansprechbar. Seit dem neuen Mandat ist Hagers Bedeutung noch einmal gewachsen. Normalerweise ist der Kabinettschef des deutschen Kommissars der wichtigste Gesprächspartner für Unternehmens- und Verbändevertreter aus Deutschland.

    In der Kommission, die 2019 angetreten ist, wäre dies eigentlich Aufgabe von Björn Seibert, der das Kabinett von Ursula von der Leyen leitet. Da aber von der Leyen als Kommissionspräsidentin nicht in der Rolle eines deutschen Kommissars gesehen werden will, sondern gesamteuropäisch auftritt, fällt Seibert aus. Hager muss das mit abdecken.

    Hager geht jeden Sonntag ins Berlaymont und bereitet dort das wöchentliche “Hebdo”-Treffen vor, die Runde der Kabinettschefs am Montag, bei der die Pflöcke für die Kommissionssitzung eingeschlagen werden. Hager hat ein Monster-Repertoire. Sein Chef, der Lette Dombrovskis, ist zuständig für alle wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen vom Euro bis zum Wiederaufbaufonds.

    Zuständig für Wirtschaft, Währung und Handel

    Seitdem der irische Handelskommissar Phil Hogan wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln zurücktreten musste, ist Dombrovskis und damit Hager auch noch für die Handelspolitik der EU zuständig. Er macht all das überaus gelassen, mit Humor und ohne, den Gesprächspartner seine eigene Wichtigkeit jemals spüren zu lassen.

    Im Laufe der Jahre ist Hager, der im bayerischen Teil Schwabens geboren ist, zu einem EU-Beamten geworden, der perfekt auf Französisch und Englisch seine Dossiers verhandelt. Von seinem Studium her ist diese EU-Karriere durchaus eine Überraschung: Er hat in Tübingen Politik und Sinologie studiert und einen längeren Aufenthalt in Asien hinter sich gebracht.

    Im EU-Betrieb neigen Deutsche gelegentlich dazu, ihr Deutschsein schamhaft zu verstecken. Hager verleugnet seine deutsche Herkunft nicht. Er taucht abends bei Veranstaltungen vornehmlich in den Vertretungen der Bundesländer auf, die von der Union mitregiert werden. Hager ist aktiv im Vorstand der CDU Brüssel, dem einzigen Ortsverein der Partei im Ausland. Da schließt sich der Kreis. Die leitenden Vize-Präsidentenposten der Kommission gingen jeweils an einen Vertreter der europäischen Parteienfamilien. Hagers Chef Dombrovskis gehört der christdemokratischen EVP an.

    Strippenzieher auf dem Personalkarussell

    Hager ist Mitglied in zwei informellen unionsnahen Netzwerken in Brüssel. Das ist zum einen die “Genval”-Runde, benannt nach einem See vor den Toren Brüssels. Zwei- bis dreimal im Jahr treffen sich dort höchst vertraulich hochrangige unionsnahe Beamte aus Brüssel und Berlin. Außerdem ist er Mitglied in einem Netzwerk, das in den 70er Jahren gegründet wurde, als die Union im Bund die Macht verlor und vom Fluss wichtiger Nachrichten aus der EU abgeschnitten war: der Aktionsgemeinschaft der CDU/CSU-nahen Beamten in Brüssel. Geleitet wird sie von Markus Schulte, ebenfalls ein ehemaliges Kabinettsmitglied von Oettinger.

    Der Club versteht sich eher als Dienstleister. Wenn Beamte aus Deutschland nach Brüssel kommen, finden sie hier Expertise.  Karrieristen seien hier fehl am Platze, sagt einer, der lange mit dabei war. Auch FDP und Sozialdemokraten haben eigene Netzwerke in den Institutionen. Keines aber ist so erfolgreich wie das der Union. Als nach der Europa-Wahl die Kabinette der Kommissare besetzt wurden, landeten auffällig viele Deutsche mit Unionshintergrund auf den guten Posten. Vertreter von SPD und FDP jedenfalls finden sich eher im Maschinenraum der Kommission. Ob Hager heute noch mitmischt, wenn in Brüssel Jobs an Deutsche vergeben werden? Vermutlich hat er dafür nicht mehr die Zeit bei dem Arbeitspensum im Kabinett Dombrovskis. Markus Grabitz

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    Europe.Table Redaktion

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