fortschreitende Inflation, verlangsamtes Wachstum – beim Treffen der Eurogruppe gestern in Brüssel ging es vor allem um eine Frage: Ist die Eurozone auf dem Weg in die Rezession? Die EU-Kommission wird am Donnerstag die aktualisierte Wirtschaftsprognose vorstellen. Es stehen noch stürmische Zeiten bevor, fasst Eric Bonse das Treffen zusammen.
Wie geht es weiter mit der Visegrád-Gruppe, bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei? Letztere haben Anfang Juli den Vorsitz für ein Jahr übernommen und treten ein schweres Erbe an – vor allem, da in Zeiten des Krieges die Länder sehr unterschiedliche Interessen vertreten. Zerfällt der Viererblock?, fragt Hans-Peter Siebenhaar.
Gestern startete der erste Trilog unter tschechischer Ratspräsidentschaft. Verhandelt wurde über den Emissionshandel und den CO2-Grenzausgleichmechanismus. Die Details lesen Sie in den News.
Man könnte es fast eine kleine Obsession nennen, die Thomas Nowak mit Wärmepumpen hat. Fünf hat er zu Hause und bei seiner Arbeit als Generalsekretär des Europäischen Wärmepumpenverbandes EHPA dreht sich ebenfalls alles um die technische Alternative zu Ölheizung und Co.
Schlittert die Eurozone in die Rezession? Wie ein dunkler Schatten legte sich diese Frage über das Treffen der Eurogruppe am Montag in Brüssel. Neue Warnungen aus dem Internationalen Währungsfonds und frische Zahlen aus der EU-Kommission lassen nichts Gutes ahnen.
Die Brüsseler Behörde will am Donnerstag ihre aktualisierte Wirtschaftsprognose vorstellen. Sie dürfte noch schlechter ausfallen als im Mai, als die EU-Kommission ihre Zahlen schon einmal deutlich nach unten korrigieren musste.
Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis sagte, wegen der “vielen Unsicherheiten und Risiken” rechne er mit einem schnelleren Anstieg der Verbraucherpreise und einem schwächeren Wachstum. “Wir fahren durch stürmische Gewässer”, warnte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
In ihrer Mai-Prognose war die Kommission noch von einer Jahres-Inflation von 6,1 Prozent ausgegangen. Im Juni hatte die Inflation in der Eurozone mit 8,6 Prozent jedoch bereits einen neuen Höchststand erreicht. Eine Trendumkehr zeichnet sich bisher nicht ab.
Auch beim Wachstum sieht es nicht gut aus. Im Mai hatte die Kommission noch ein Konjunktur-Plus von 2,7 Prozent für die 19 Euro-Länder vorhergesagt. Jetzt ist nur noch von einem “sehr begrenzten, reduzierten und verlangsamten Wachstum” die Rede, wie Gentiloni sagte.
“Wir machen uns große Sorgen und bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor”, sagte die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag. “Unsere Priorität ist, die Inflation im Zaun zu halten”, erklärte die spanische Finanzministerin Nadia Calvino.
Die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel sind jedoch nicht einmal die größte Sorge der Eurogruppe. Die Finanzminister kämpfen mit zwei Problemen, die sie kaum beeinflussen können – und die alle Prognosen über den Haufen werfen könnten.
Das erste, akute Problem ist die Gaskrise (Europe.Table berichtete). Sie hat sich mit der Kürzung russischer Gaslieferungen zugespitzt. Wenn Gazprom den Gashahn nach den Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 dauerhaft zudreht, lässt sich eine Rezession kaum noch abwenden.
Bliebe das Gas aus, würde zwar nicht sofort der Notstand herrschen, doch eine weitere Befüllung der Gasspeicher für den Winter wäre schwierig und spätestens 2023 müsste das Erdgas dann rationiert werden. “Es käme damit erneut zu Lockdowns der Wirtschaft“, sagt Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank. “Die deutsche und die europäische Wirtschaft würden in eine tiefe Rezession abrutschen.”
Das zweite Problem ist die Inflation in der Eurozone – und die Zinswende, die die Europäische Zentralbank im Kampf gegen den Preisanstieg angekündigt hat. Höhere Zinsen bedeuten einen höheren Schuldendienst und größere Spreads. Das Risiko der Überschuldung steigt, Länder wie Italien oder Griechenland könnten in Schwierigkeiten geraten.
Die EU-Kommission rät vor diesem Hintergrund, die bisher expansive Fiskalpolitik zu beenden und auf Konsolidierungskurs zu gehen. Man dürfe das Geld nicht mehr mit der Gießkanne verteilen, wie in der Corona-Pandemie, sondern müsse zu gezielten Hilfen übergehen, so Dombrovskis.
Allerdings dürfen die Euro-Länder auch keine Vollbremsung vollziehen – denn dies würde die Rezessions-Gefahr erhöhen. “Wir müssen agiler reagieren und uns besser untereinander abstimmen“, sagte Gentiloni.
In ihrem Statement schließen sich die Euro-Finanzminister den Empfehlungen der Kommission an. Eine weitere Stützung der Nachfrage durch die Fiskalpolitik sei für 2023 nicht mehr angeraten, heißt es in der Erklärung der Eurogruppe. Die Euroländer müssten sich vielmehr darum bemühen, die Schuldentragfähigkeit zu erhalten. Finanzielle Hilfen sollten auf “vulnerable Gruppen” beschränkt werden.
Damit rückt die Eurogruppe von der in der Corona-Pandemie begonnenen expansiven Fiskalpolitik ab. Zugleich behalten sich die Finanzminister jedoch die Option offen, bei einer Verschärfung der Gaskrise mit gezielten Hilfen zu reagieren.
Erste Vorschläge kamen gestern von Kommissionsvize Margrethe Vestager. Die Mitgliedstaaten würden zu einer Anpassung des befristeten Krisenrahmens für Beihilfen infolge des russischen Angriffskrieges konsultiert, teilte Vestager mit. Unter anderem soll die Förderung von Energiesparmaßnahmen erleichtert werden, außerdem soll die Obergrenze für staatliche Beihilfen pro Unternehmen angehoben werden – nach Informationen von Reuters von 400.000 auf 500.000 Euro.
Bei dem Treffen ging es laut Reuters auch um einen potenziellen neuen Chef für den europäischen Rettungsfonds ESM. Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna und sein portugiesischer Ex-Kollege Joao Leao kommen infrage, ein Kompromiss wurde noch nicht gefunden. Einem Insider zufolge soll nun bei einem Treffen im September die Entscheidung fallen.
Für die Visegrád-Gruppe hat der Ukraine-Krieg alles verändert. Die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei haben sehr unterschiedliche Interessen aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer Geschichte und ihres Verhältnisses zum Angreifer Russland. Der ungarische Vorsitz in der Visegrád-Gruppe hatte zuletzt die Divergenzen deutlich zum Ausdruck gebracht.
Denn der rechtspopulistische ungarische Premier Viktor Orbán versucht seinen strategischen Partner Russland nicht zu verprellen und verweigerte Waffenlieferungen in die Ukraine. Solidarität in der entbehrungsreichen Auseinandersetzung mit dem bisherigen Gasversorger Russland ist von ihm nicht zu erwarten. Die Slowakei hat daher mit der Übernahme des Vorsitzes in der Visegrád-Gruppe für ein Jahr ein schweres Erbe angetreten.
Das Quartett hat den Zenit seiner europapolitischen Bedeutung mit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar überschritten. Noch vor zwei Jahren sah es so aus, als würde sogar Österreich – der selbsternannte Brückenbauer nach Osteuropa – als fünftes Mitglied zur Visegrád-Gruppe stoßen.
Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) reiste im Januar 2020 eigens nach Prag, um mit seinen damaligen populistischen Amtskollegen wie dem tschechischen Premier Andrej Babis über Flüchtlingspolitik und EU-Haushalt zu sprechen. Die Blockade einer verpflichtenden Verteilung von Kriegsflüchtlingen war damals die Klammer des Quartetts – zusammen mit Österreich. Tempi passati.
Seit dem Ukraine-Krieg ist das Visegrád-Schwergewicht Polen zu einem großzügigen und hilfsbereiten Aufnahmeland für Flüchtlinge aus dem osteuropäischen Nachbarland geworden. Die rechtskonservative Regierung in Warschau gewährt rund eineinhalb Millionen Ukrainern ein Aufenthaltsrecht, selbst wenn sie länger in dem EU-Land bleiben wollen.
Außer Polen grenzen auch die anderen beiden Visegrád-Staaten Ungarn und Slowakei direkt an die Ukraine. Die EU-freundliche Regierung in Bratislava hat sich mit der Übernahme des V4-Vorsitzes zum 1. Juli vor allem pragmatische Ziele wie die vertiefte Zusammenarbeit in Fragen der Mobilität, Energie, Nachhaltigkeit oder Digitales vorgenommen. Dass große außenpolitische Visionen im Programm fehlen, dokumentiert unfreiwillig den Bedeutungsverlust der V4 auf EU-Bühne.
Eine starke gemeinsame Rolle in der EU ist nicht vorgesehen. Das hat der slowakische Außenminister Ivan Korcok bereits deutlich gemacht. Das ist mit einem latent russlandfreundlichen Ungarn auch gar nicht möglich. Die Slowakei unterstützt das harte Vorgehen gegen den Aggressor.
Hätte jedes EU-Mitglied die Haltung Ungarns eingenommen, hätte die Slowakei an ihrer Ostgrenze längst einen anderen Nachbarn als die Ukraine, ätzte Korcok. Selten zuvor sind die außen- und sicherheitspolitischen Interessenskonflikte in der V4-Gruppe stärker zum Ausdruck gekommen als in diesen Zeiten.
Ungarn ist mit seiner Haltung im Ukraine-Krieg innerhalb des Quartetts isoliert. Polen, Tschechien und die Slowakei ziehen unterdessen mit ihrer klaren Unterstützung für die Ukraine an einem Strang. Das historisch und wirtschaftlich eng mit der Slowakei verbundene Tschechien hat ohnehin einen anderen Fokus im zweiten Halbjahr. Schließlich hat Prag erst zum zweiten Mal den EU-Ratsvorsitz inne (Europe.Table berichtete).
Dabei will die neue Regierung unter Premier Petr Fiala und seinen Europaminister Mikuláš Bek auf europäischer Bühne bella figura machen. Angesichts des enormen Arbeitspensums sind das Interesse und die Zeit für die Belange der Visegrád-Gruppe in Prag sehr beschränkt. Bek sprach offen von einer Pause für die V4.
Wenn Tschechien zum Jahresende den EU-Ratsvorsitz schließlich an Schweden übergeben wird, werden die tiefen Interessenskonflikte wohl bestehen bleiben. Denn in Sachen Rechtsstaatlichkeit haben Prag und Bratislava ein grundsätzlich anderes, EU-konformes Verständnis als die Partner in Budapest und Warschau.
Der Zerfall des Vierer-Blocks – ohnehin ein Unikum in der EU mit 27 Mitgliedstaaten – schreitet fort. Das muss aus europäischer Sicht keine schlechte Entwicklung in sehr schwieriger Zeit sein.
12.07.2022 – 12:00-14:00 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
EU Agenda, Seminar Green chemistry: the hidden climate hero
EU Agenda provides insights into how green chemistry can help decarbonise industries and put the EU firmly on track towards net zero GHG emissions. INFOS & REGISTRATION
13.07.-17.07.2022, New York (USA)/online
EU Agenda 22th Industrial Conference on Data Mining 2022
Experts from different fields will present their applications and the results obtained by applying data mining. INFOS & REGISTRATION
13.07.2022 – 14:00 Uhr, online
EBD, Vortrag Tschechische EU-Ratspräsidentschaft
Angesichts der Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft an Tschechien veranstaltet die Europäische Bewegung Deutschlands (EBD) gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland ein Briefing. INFOS & ANMELDUNG
13.07.2022 – 18:30-20:00 Uhr, online
Polis 180, Diskussion Klima & Energie Programmtreffen
Polis 180 lädt zum Programmtreffen ein und diskutiert über tagesaktuelle Themen (G7-Gipfel, Klimaclub, Energiekrise). INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 10:00-15:00 Uhr, online
VDE, Konferenz Best of Industrie 4.0 Day 2022
Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) beschäftigt sich mit den Themen Internet der Dinge (IoT) und digitale Transformation. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Alarmstufe Gas – Was kommt auf Stadtwerke zu?
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beleuchtet die Auswirkungen der Gaskrise auf kommunale Versorger: die Optionen zu Preisanpassungen nach dem Energiesicherungsgesetz, die Begrenzung der Gasverstromung und die Auswirkungen auf die Fernwärmeversorgung. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 15:00-16:00 Uhr, online
KAS, Seminar What’s new, NATO? The consequences of the Strategic Concept for Europe’s future security environment
The Konrad-Adenauer-Stiftung focusses on the novelties and evolutions in NATO’s Strategic Concept and also deal with the general results of the Madrid summit. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 18:00 Uhr, online
HSS, Seminar Putins Diktatur und der digitale Krieg
Die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) beschäftigt sich mit dem digitalen Krieg Russlands. INFOS & ANMELDUNG
Startschuss für den ersten Trilog unter tschechischer EU-Ratspräsidentschaft: Am Montag begannen offiziell die Verhandlungen über den Emissionshandel (ETS) und den CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM). Das Parlament wurde von Pascal Canfin (Renew), Peter Liese (EVP) und Mohammed Chahim (S&D) vertreten, die Kommission von Frans Timmermans und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni (Europe.Taböe berichtete).
“Die Unterhändler haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zur COP27 einen Kompromiss zu erreichen”, berichtet ein Parlamentssprecher. Die nächste UN-Klimaverhandlung findet vom 7. bis 18. November in Ägypten statt.
“Es ist zwar wichtig, dass wir uns im Grundsatz einig sind, aber in vielen wichtigen Punkten sind noch intensive Verhandlungen erforderlich”, schreibt Peter Liese in einer Mitteilung. “So schlägt der Rat beispielsweise vor, den Seeverkehr erst 2027 mit einer 100-prozentigen Versteigerung seiner Emissionen einzubeziehen, während das Parlament bereits 2024 mit dem vollen Umfang beginnen möchte”, präzisiert er (Europe.Table berichtete).
“Während der Rat allen Industrien, bei denen die Gefahr von Carbon Leakage besteht, kostenlose Zertifikate zugestehen will, möchte das Parlament gezielter vorgehen und fordert zusätzliche Anforderungen, zum Beispiel Pläne zur Kohlenstoffneutralität und die Anwendung eines Energiemanagement-/Auditsystems (Europe.Table berichtete), um kostenlose Zertifikate zu erhalten”, so Liese weiter.
“Der größte Unterschied besteht bei dem neuen ETS II für Wärme und Straßenverkehr”, führt er fort. Und erläutert: Im Gegensatz zur Kommission möchte das Parlament alle gewerblichen Emissionen einschließlich der Prozesswärme, zum Beispiel in kunststoffverarbeitenden Unternehmen und Gießereien, einbeziehen. Das Parlament möchte auch eine Preisobergrenze einführen und die Öl- und Gasproduzenten zur Deckung eines Teils der Kosten verpflichten.
Rat und Kommission sind sich dagegen im Wesentlichen über den Anwendungsbereich des Kommissionsvorschlags einig. Dieser umfasst keine gewerblichen Tätigkeiten außer der Beheizung von Gebäuden und dem Straßenverkehr, schließt also kleine Unternehmen aus, deckt aber die privaten Verbraucher von Beginn der Regelung an ab. Claire Stam
Bis zum Winter wollen Tschechien und Deutschland das noch ausstehende Solidaritätsabkommen zur gegenseitigen Gas-Versorgung abschließen (Europe.Table berichtete). Das teilten die Regierungen beider Länder gestern nach einem Treffen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und seinem Amtskollegen Jozef Síkela in Prag mit. Über das Abkommen verhandeln beide Staaten seit Monaten, es soll technische und finanzielle Fragen für gegenseitige Gaslieferungen in einer Mangellage klären.
“Es ist klar, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland, durch das fast das gesamte Gas zu uns fließt, für uns in dieser Richtung von wesentlicher Bedeutung sein wird”, teilte der Wirtschaftsminister Tschechiens Síkela mit. Die Beschaffung von Gas müsse zwar innerhalb der Union koordiniert werden, die von der Kommission initiierte Beschaffungsplattform (Europe.Table berichtete) bezeichneten beide Minister in der gemeinsamen Erklärung allerdings als freiwilliges Instrument.
Um Gas zu sparen und die Speicher zu füllen, treibt die Bundesregierung außerdem den Ersatz von Gas-Kraftwerken durch Steinkohlemeiler voran. Nachdem in der vergangenen Woche ein entsprechendes Gesetz das Parlament passiert hatte, haben sich Regierungskreisen zufolge die Ministerien gestern auf die noch nötige Verordnung verständigt. Damit kann die sogenannte Netzreserve abgerufen werden. Das betrifft zunächst Anlagen, die eigentlich in diesem und nächstem Jahr abgeschaltet werden sollen.
Aus einer Liste der Bundesnetzagentur geht hervor, dass es vor allem Steinkohlekraftwerke in Süddeutschland sind, etwa von EnBW oder Uniper. Ab Oktober könnten im Bedarfsfall mit einer weiteren Verordnung auch besonders klimaschädliche Braunkohlekraftwerke wieder angeworfen werden.
Bei den aktuellen Terminpreisen auf dem Strommarkt sei bisher mit einer hohen Auslastung von Gaskraftwerken auch im Winter zu rechnen, schrieb gestern Marco Wünsch von Prognos. “Neben der Aktivierung von anderen Kraftwerken, sollte Stromsparen noch aktiver angegangen werden.” rtr/ber
Anders als die Bundesregierung macht die finnische Regierung keine Hoffnung darauf, dass sich Unipers Mehrheitsaktionär Fortum an den Rettungsmaßnahmen für den strauchelnden deutschen Energiekonzern weiter beteiligt. Als Fortums Mehrheitseigner sehe die finnische Regierung es für den Konzern nicht als möglich an, mehr in Uniper zu investieren (Europe.Table berichtete), sagte Europaministerin Tytti Tuppurainen, die auch die finnischen Staatsbeteiligungen beaufsichtigt, der finnischen Nachrichtenagentur STT. Fortum habe sein Engagement bereits gezeigt.
Der finnische Staat hält gut 50 Prozent der Fortum-Aktien. Dem finnischen Konzern gehören wiederum rund 78 Prozent an Uniper. Fortum hat seinem deutschen Ableger bereits rund vier Milliarden Euro als Barmittel und nochmal genauso viel als Garantien zu Verfügung gestellt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Eigentümer hingegen in die Pflicht nehmen: “Es gehört ja jemandem, auch jemandem, der solvent ist und der stützen kann”, sagte der Grünen-Politiker am Wochenende dem Deutschlandfunk.
Uniper hatte bei der Bundesregierung am Freitag einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen gestellt (Europe.Table berichtete). Der Düsseldorfer Konzern muss wegen der reduzierten russischen Gaslieferungen Gas am Markt zukaufen. Die Kosten dafür kann der Konzern jedoch bislang nicht an seine Kunden weitergeben, was bei Uniper zu Liquiditätsproblemen führt. dpa
Die EU-Plattform für nachhaltiges Finanzwesen hat gestern einen Entwurf für soziale Mindestschutzmaßnahmen der grünen Taxonomie vorgestellt. Laut der seit Juni 2020 geltenden Taxonomie-Verordnung, die einen Rahmen für nachhaltige Investitionen bildet, sind Wirtschaftsaktivitäten nur dann ökologisch nachhaltig, wenn sie entsprechend internationaler Menschen- und Arbeitnehmerrechte ausgeführt werden. Artikel 18 der Verordnung sieht vor, dass Mindeststandards etabliert werden. Die Platform on Sustainable Finance, ein Beratungsgremium der EU-Kommission, hat dazu nun ein Gutachten mit Vorschlägen erstellt.
Die Vorschläge beziehen sich neben Menschenrechten auf Steuern, Korruption und Wettbewerb. Für jeden Bereich definiert die Plattform mehrere Ausschluss-Kriterien. Erfüllt ein Unternehmen eines der Kriterien, soll es laut Vorschlag als nicht taxonomiekonform gelten. So müssen Unternehmen beispielsweise “angemessene interne Kontrollen, Ethik- und Compliance-Programme oder Maßnahmen zur Verhinderung und Aufdeckung von Bestechung” entwickeln und dürfen nicht wegen Steuerhinterziehung verurteilt sein, um der Taxonomie zu entsprechen.
Die Standards basieren auf dem Sorgfaltspflicht-Leitfaden für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln der OECD. Die Plattform orientiert sich außerdem an der Internationalen Menschenrechtscharta und den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und den Arbeitsschutzvorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Zurzeit entstünden eine ganze Reihe an Regulierungen mit Blick auf ESG-Standards, sagte Antje Schneeweiß, Leiterin der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen. “Deshalb wollen wir es nicht komplizierter machen, sondern die Standards gut in das rechtliche Umfeld einpassen.” Neben den kürzlich neu verhandelten Unternehmensberichtspflichten (Corporate Sustainability Reporting Directive) und den unternehmerischen Sorgfaltspflichten, zu denen ein Kommissionsvorschlag vorliegt, will die Kommission auch eine soziale Taxonomie entwerfen (Europe.Table berichtete). Mit all diesen Vorgaben sollen die Sozialstandards der grünen Taxonomie im Einklang sein.
“Die Herausforderung ist, dass wir Mechanismen für einen Bewusstseinswandel schaffen”, sagte Signe Andreasen Lysgaard, Beraterin am Dänischen Institut für Menschenrechte und Mitglied der Plattform. “Nicht mehr nur die Risiken für das Unternehmen werden bewertet, sondern die Risiken für Menschen.”
Bis zum 22. August ist es möglich, auf der Website der Plattform Feedback zum Entwurf einzureichen. leo
Die Lage um die russische Exklave Kaliningrad hat sich am Montag weiter zugespitzt. Das EU-Land Litauen weitete die Beschränkungen für den Handel mit der russischen Ostsee-Exklave aus, nachdem die Sanktionen der Europäischen Union gegen Moskau wegen dessen Einmarsch in der Ukraine in Kraft getreten sind.
Zu den zusätzlichen Waren, die seit Montagmorgen im Transit zwischen Russland und Kaliningrad verboten sind, gehören Beton, Holz, Alkohol und Industriechemikalien auf Alkoholbasis, sagte ein Sprecher des litauischen Zolls. Russland hatte Litauen und die EU am Freitag gewarnt, dass es “harte Maßnahmen” ergreifen könnte (Europe.Table berichtete), wenn der Transit einiger Waren zwischen Russland und Kaliningrad nicht “in den nächsten Tagen” wieder aufgenommen würde.
Am Montag schlug der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets ein vollständiges Verbot des Gütertransports auf dem Landweg zwischen Russland und den drei baltischen EU-Mitgliedstaaten Litauen, Lettland und Estland vor, wodurch russische Güter von deren Häfen auf die Häfen im Kaliningrader Gebiet umgeleitet werden könnten.
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein weißrussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko, ein enger Verbündeter, sprachen in einem Telefonat nach eigenen Angaben über mögliche Reaktionen. Der Kreml sprach von “illegalen Beschränkungen”, die Litauen für den Warentransit in das Kaliningrader Gebiet verhängt habe.
Die EU-Kommission versucht seit Ende Juni einen Kompromiss (Europe.Table berichtete), um die Pattsituation zu lösen. Die Regierung der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen habe jedoch Sorge, etwas zu tun, was als Zugeständnis an den Kreml angesehen werden könnte, heißt es. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies am Montag auf Aussagen von Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, die beide betont hatten, dass Transitverbindungen nicht unter die EU-Sanktionen fielen. Man hoffe auf eine Einigung. EU-Diplomaten bezeichneten es als unglücklich, dass sich die Position Litauens verhärtet habe.
Das Kaliningrader Gebiet grenzt an die Nato- und EU-Mitgliedstaaten Litauen und Polen und ist für die meisten Güter auf den Transit-Schienen- und -Straßenverkehr durch Litauen angewiesen (Europe.Table berichtete). Seit dem 17. Juni stoppt Litauens Zoll aber die Lieferung der Güter, die auf der EU-Sanktionsliste gegen Russland stehen. Ausgenommen von den Sanktionen sind Waren wie etwa Lebensmittel. Der Personentransit ist nicht verboten und Kaliningrad kann weiter auf dem Luft- oder Seeweg erreicht werden. rtr
Der US-Chiphersteller GlobalFoundries und der europäische Anbieter STMicroelectronics bauen gemeinsam eine Halbleiterfabrik in Frankreich. Die Gesamtinvestitionen für den neuen Standort nahe der Grenze zu Italien und der Schweiz bezifferte der Élysée-Palast am Montag mit 5,7 Milliarden Euro. Die Regierung in Paris wird selbst einen “signifikanten” Beitrag dazu leisten, nannte aber zunächst keine Summe.
“Dies ist die größte industrielle Investition der letzten Jahrzehnte außerhalb des Nuklearsektors und ein großer Schritt für unsere industrielle Souveränität”, sagte Finanzminister Bruno Le Maire. Präsident Emmanuel Macron wird heute selbst das bestehende Werk von STM in Crolles bei Grenoble besuchen, wo auch die neue Fabrik entstehen soll.
Diese soll bis 2026 die volle Kapazität erreichen und rund 1000 neue Arbeitsplätze entstehen. Dort sollen jährlich Chips bis hinunter zu einer Strukturgröße von 18 Nanometern hergestellt werden. Dabei soll auch die neue FD-SOI-Technologie (Fully Depleted Silicon On Insulator) zum Einsatz kommen, die viel Leistung bei reduziertem Stromverbrauch ermöglicht.
“Wir werden mehr Kapazitäten haben, um unsere europäischen und globalen Kunden beim Übergang zur Digitalisierung und Dekarbonisierung zu unterstützen”, sagte STMicro-Chef Jean-Marc Chery. Die neue Fabrik werde STMicro dabei helfen, den Umsatz wie geplant auf über 20 Milliarden Dollar zu steigern. “Die partnerschaftliche Investition mit der französischen Regierung schafft zusammen mit unseren langfristigen Kundenverträgen das richtige wirtschaftliche Modell für die Investition von GF”, erklärte GF-Chef Thomas Caulfield.
EU-Kommission und Mitgliedstaaten wollen die heimische Industrie unabhängiger machen von der Chip-Fertigung in Asien und umwerben große Hersteller. Zuvor hatte bereits der US-Konzern Intel angekündigt, 17 Milliarden Euro am Standort Magdeburg zu investieren. Der European Chips Act soll es den Regierungen erleichtern, die Unternehmen mit Subventionen anzulocken und so den Anteil der EU an der globalen Wertschöpfung bis 2030 auf 20 Prozent mehr als zu verdoppeln (Europe.Table berichtete).
Experten weisen aber darauf hin, dass die geplante Fabrik in Frankreich nur bedingt in die Strategie von Binnenmarktkommissar Thierry Breton passe, Europa zum Standort für die neueste Halbleitertechnologie zu machen. Ein Großteil der geplanten Produktion von STM und Global Foundries nutze reifere Technologie, sagt Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung. Noch sei schwer zu sagen, ob diese die Definition von “first of a kind” im Chips Act erfülle (Europe.Table berichtete), die eine großzügige Subventionierung durch die Regierungen erlauben soll. Europa müsse aber auch solche Projekte fördern, “wenn es sein Ziel ernst nimmt, den Anteil auf 20 Prozent zu steigern”. rtr/tho
Die Gesundheitsbehörden der Europäischen Union empfehlen allen über 60-Jährigen eine zweite Corona-Auffrischungsimpfung. “Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle über 60-Jährigen und alle gefährdeten Personen so schnell wie möglich eine zweite Auffrischungsdosis erhalten”, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Montag.
Derzeit wird nach Angaben der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC nicht nur eine steigende Zahl von Covid-Fällen, sondern ein auch zunehmender Trend bei der Aufnahme in Krankenhäuser und Intensivstationen beobachtet, der hauptsächlich auf die Omikron-Untervariante BA.5 zurückzuführen ist. Eine zweite Auffrischungsimpfung bei über 60-Jährigen und gefährdeten Personen könne eine erhebliche Anzahl von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen verhindern.
Bisher hatten die ECDC und die Arzneimittelbehörde EMA einen zweiten Booster nur für Menschen über 80 Jahren empfohlen. Die zweite Auffrischungsimpfung sollte nach Angaben der Behörden mindestens vier Monate nach der letzten Impfung verabreicht werden, wobei der Schwerpunkt auf Personen liegen sollte, die ihren ersten Booster vor mehr als sechs Monaten erhielten.
Während die bestehenden Impfstoffe zwar weiterhin einen guten Schutz vor Krankenhausaufenthalten und Todesfällen bieten, hat ihre Wirksamkeit mit der Weiterentwicklung des Virus und neuen Varianten abgenommen. Die Hersteller haben deshalb an die hochansteckende Omikron-Variante angepasste Impfstoffe entwickelt und stehen mit diesen schon in den Startlöchern.
“Wir arbeiten auf eine mögliche Zulassung angepasster Impfstoffe im September hin”, sagte EMA-Chefin Emer Cooke (Europe.Table berichtete). “In der Zwischenzeit ist es wichtig, die Verwendung der derzeit zugelassenen Impfstoffe als zweite Auffrischungsimpfung bei besonders gefährdeten Personen in Betracht zu ziehen.” rtr
Wenn Thomas Nowak bei der Klimakonferenz in Glasgow sprechen soll, nimmt er keinen Direktflug von Düsseldorf. Der Generalsekretär der European Heat Pump Association (EHPA) fährt stattdessen mit dem Auto durch Großbritannien und besucht unterwegs Pilotprojekte mit Wärmepumpen. “Wussten Sie, dass sogar die Kathedrale in Bath mit einer Wärmepumpe geheizt wird?”, fragt Nowak.
Geboren wird Nowak 1970 im Sauerland. In seinem Ökonomiestudium in Paderborn und der Illinois State University beginnt er sich für erneuerbare Energien zu interessieren (Europe.Table berichtete). Als Student fährt er freiwillig jeden Mittwoch von Paderborn nach Münster, weil die Universität dort Vorlesungen zu Umweltmanagement und Umweltökonomie anbietet.
Als er über geothermische Wärmepumpen recherchiert, ist er begeistert von der Technologie. Nowaks Bericht habe damals kaum jemand gelesen, aber durch Glück landete er auf dem Schreibtisch des damaligen Generalsekretärs der EHPA.
Während sich Nowak seit Jahren mit Begeisterung für das Thema einsetzt, sind Wärmepumpen spätestens mit den hohen Gaspreisen zum Trendthema geworden. “Wir hatten noch nie eine derart große Nachfragesteigerung. Wir sehen einen Anstieg von 34 Prozent. Außer Smartphones oder E-Bikes kann damit kaum eine Industrie mithalten”, sagt er. Es könne noch bis zu 18 Monate dauern, bis sie der Nachfrage nachkommen könnten. Das liege auch daran, wie die Technologie politisch behandelt würde.
“Wärmepumpen sollten zur kritischen Infrastruktur erklärt und mit Vorrang behandelt werden”, fordert Nowak. “Wir brauchen keine weiteren Strategien, wir müssen aktiv werden und die Energiewende umsetzen.”
Die USA machen mit dem Defence Production Act vor, wie die Politik der steigenden Nachfrage begegnen kann. Die Gesetzgebung gibt Herstellern von Wärmepumpen bevorzugten Zugriff auf bestimmte Komponenten. Das fordert Thomas Nowak auch für Europa: “Eigentlich müsste sich Robert Habeck auf die Bühne stellen, die Ärmel hochkrempeln und sagen: Jetzt packen wir es an. Mit einer solchen Mentalität in der Politik könnten wir viel erreichen.”
Thomas Nowak ist überzeugt davon, dass Wärmepumpen die Zukunft sind. Sein Ziel: eine klimaneutrale Gesellschaft. “Mit Fotovoltaik auf den Dächern, thermischen und elektrischen Speichern im Keller und Wärmepumpen, die nach Bedarf heizen oder kühlen und so die Energie in einem Kreislauf halten. Ich glaube, dass das geht.”
Bei dieser Mission bekommt er inzwischen Zuspruch von der Konkurrenz. Erst kürzlich habe die EHPA eine Anfrage aus Opole in Polen bekommen, der Kohleregion schlechthin. “Die wollten sich mit uns treffen und wissen, wie sie ihre Produktion umwandeln können und wo ihre Arbeiter in einer Zukunftsindustrie Beschäftigungen finden können”, berichtet Nowak.
“Meine Arbeit gibt mir das gute Gefühl, auf ein Ziel hinzuarbeiten, dessen Erreichung ich wahrscheinlich noch erleben kann.” Seinen persönlichen Beitrag leistet er schon: In seinem eigenen Haus finden sich ganze fünf Wärmepumpen – neben der Heizung auch im Kühlschrank und im Wäschetrockner. “Meine Familie sagt schon manchmal, jetzt hör doch mal auf mit den Wärmepumpen – aber sie kennen sich auch schon aus.” Svenja Schlicht
fortschreitende Inflation, verlangsamtes Wachstum – beim Treffen der Eurogruppe gestern in Brüssel ging es vor allem um eine Frage: Ist die Eurozone auf dem Weg in die Rezession? Die EU-Kommission wird am Donnerstag die aktualisierte Wirtschaftsprognose vorstellen. Es stehen noch stürmische Zeiten bevor, fasst Eric Bonse das Treffen zusammen.
Wie geht es weiter mit der Visegrád-Gruppe, bestehend aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei? Letztere haben Anfang Juli den Vorsitz für ein Jahr übernommen und treten ein schweres Erbe an – vor allem, da in Zeiten des Krieges die Länder sehr unterschiedliche Interessen vertreten. Zerfällt der Viererblock?, fragt Hans-Peter Siebenhaar.
Gestern startete der erste Trilog unter tschechischer Ratspräsidentschaft. Verhandelt wurde über den Emissionshandel und den CO2-Grenzausgleichmechanismus. Die Details lesen Sie in den News.
Man könnte es fast eine kleine Obsession nennen, die Thomas Nowak mit Wärmepumpen hat. Fünf hat er zu Hause und bei seiner Arbeit als Generalsekretär des Europäischen Wärmepumpenverbandes EHPA dreht sich ebenfalls alles um die technische Alternative zu Ölheizung und Co.
Schlittert die Eurozone in die Rezession? Wie ein dunkler Schatten legte sich diese Frage über das Treffen der Eurogruppe am Montag in Brüssel. Neue Warnungen aus dem Internationalen Währungsfonds und frische Zahlen aus der EU-Kommission lassen nichts Gutes ahnen.
Die Brüsseler Behörde will am Donnerstag ihre aktualisierte Wirtschaftsprognose vorstellen. Sie dürfte noch schlechter ausfallen als im Mai, als die EU-Kommission ihre Zahlen schon einmal deutlich nach unten korrigieren musste.
Vizekommissionspräsident Valdis Dombrovskis sagte, wegen der “vielen Unsicherheiten und Risiken” rechne er mit einem schnelleren Anstieg der Verbraucherpreise und einem schwächeren Wachstum. “Wir fahren durch stürmische Gewässer”, warnte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni.
In ihrer Mai-Prognose war die Kommission noch von einer Jahres-Inflation von 6,1 Prozent ausgegangen. Im Juni hatte die Inflation in der Eurozone mit 8,6 Prozent jedoch bereits einen neuen Höchststand erreicht. Eine Trendumkehr zeichnet sich bisher nicht ab.
Auch beim Wachstum sieht es nicht gut aus. Im Mai hatte die Kommission noch ein Konjunktur-Plus von 2,7 Prozent für die 19 Euro-Länder vorhergesagt. Jetzt ist nur noch von einem “sehr begrenzten, reduzierten und verlangsamten Wachstum” die Rede, wie Gentiloni sagte.
“Wir machen uns große Sorgen und bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor”, sagte die niederländische Finanzministerin Sigrid Kaag. “Unsere Priorität ist, die Inflation im Zaun zu halten”, erklärte die spanische Finanzministerin Nadia Calvino.
Die dunklen Wolken am Konjunkturhimmel sind jedoch nicht einmal die größte Sorge der Eurogruppe. Die Finanzminister kämpfen mit zwei Problemen, die sie kaum beeinflussen können – und die alle Prognosen über den Haufen werfen könnten.
Das erste, akute Problem ist die Gaskrise (Europe.Table berichtete). Sie hat sich mit der Kürzung russischer Gaslieferungen zugespitzt. Wenn Gazprom den Gashahn nach den Wartungsarbeiten an der Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 dauerhaft zudreht, lässt sich eine Rezession kaum noch abwenden.
Bliebe das Gas aus, würde zwar nicht sofort der Notstand herrschen, doch eine weitere Befüllung der Gasspeicher für den Winter wäre schwierig und spätestens 2023 müsste das Erdgas dann rationiert werden. “Es käme damit erneut zu Lockdowns der Wirtschaft“, sagt Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank. “Die deutsche und die europäische Wirtschaft würden in eine tiefe Rezession abrutschen.”
Das zweite Problem ist die Inflation in der Eurozone – und die Zinswende, die die Europäische Zentralbank im Kampf gegen den Preisanstieg angekündigt hat. Höhere Zinsen bedeuten einen höheren Schuldendienst und größere Spreads. Das Risiko der Überschuldung steigt, Länder wie Italien oder Griechenland könnten in Schwierigkeiten geraten.
Die EU-Kommission rät vor diesem Hintergrund, die bisher expansive Fiskalpolitik zu beenden und auf Konsolidierungskurs zu gehen. Man dürfe das Geld nicht mehr mit der Gießkanne verteilen, wie in der Corona-Pandemie, sondern müsse zu gezielten Hilfen übergehen, so Dombrovskis.
Allerdings dürfen die Euro-Länder auch keine Vollbremsung vollziehen – denn dies würde die Rezessions-Gefahr erhöhen. “Wir müssen agiler reagieren und uns besser untereinander abstimmen“, sagte Gentiloni.
In ihrem Statement schließen sich die Euro-Finanzminister den Empfehlungen der Kommission an. Eine weitere Stützung der Nachfrage durch die Fiskalpolitik sei für 2023 nicht mehr angeraten, heißt es in der Erklärung der Eurogruppe. Die Euroländer müssten sich vielmehr darum bemühen, die Schuldentragfähigkeit zu erhalten. Finanzielle Hilfen sollten auf “vulnerable Gruppen” beschränkt werden.
Damit rückt die Eurogruppe von der in der Corona-Pandemie begonnenen expansiven Fiskalpolitik ab. Zugleich behalten sich die Finanzminister jedoch die Option offen, bei einer Verschärfung der Gaskrise mit gezielten Hilfen zu reagieren.
Erste Vorschläge kamen gestern von Kommissionsvize Margrethe Vestager. Die Mitgliedstaaten würden zu einer Anpassung des befristeten Krisenrahmens für Beihilfen infolge des russischen Angriffskrieges konsultiert, teilte Vestager mit. Unter anderem soll die Förderung von Energiesparmaßnahmen erleichtert werden, außerdem soll die Obergrenze für staatliche Beihilfen pro Unternehmen angehoben werden – nach Informationen von Reuters von 400.000 auf 500.000 Euro.
Bei dem Treffen ging es laut Reuters auch um einen potenziellen neuen Chef für den europäischen Rettungsfonds ESM. Der ehemalige luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna und sein portugiesischer Ex-Kollege Joao Leao kommen infrage, ein Kompromiss wurde noch nicht gefunden. Einem Insider zufolge soll nun bei einem Treffen im September die Entscheidung fallen.
Für die Visegrád-Gruppe hat der Ukraine-Krieg alles verändert. Die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei haben sehr unterschiedliche Interessen aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer Geschichte und ihres Verhältnisses zum Angreifer Russland. Der ungarische Vorsitz in der Visegrád-Gruppe hatte zuletzt die Divergenzen deutlich zum Ausdruck gebracht.
Denn der rechtspopulistische ungarische Premier Viktor Orbán versucht seinen strategischen Partner Russland nicht zu verprellen und verweigerte Waffenlieferungen in die Ukraine. Solidarität in der entbehrungsreichen Auseinandersetzung mit dem bisherigen Gasversorger Russland ist von ihm nicht zu erwarten. Die Slowakei hat daher mit der Übernahme des Vorsitzes in der Visegrád-Gruppe für ein Jahr ein schweres Erbe angetreten.
Das Quartett hat den Zenit seiner europapolitischen Bedeutung mit dem Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar überschritten. Noch vor zwei Jahren sah es so aus, als würde sogar Österreich – der selbsternannte Brückenbauer nach Osteuropa – als fünftes Mitglied zur Visegrád-Gruppe stoßen.
Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) reiste im Januar 2020 eigens nach Prag, um mit seinen damaligen populistischen Amtskollegen wie dem tschechischen Premier Andrej Babis über Flüchtlingspolitik und EU-Haushalt zu sprechen. Die Blockade einer verpflichtenden Verteilung von Kriegsflüchtlingen war damals die Klammer des Quartetts – zusammen mit Österreich. Tempi passati.
Seit dem Ukraine-Krieg ist das Visegrád-Schwergewicht Polen zu einem großzügigen und hilfsbereiten Aufnahmeland für Flüchtlinge aus dem osteuropäischen Nachbarland geworden. Die rechtskonservative Regierung in Warschau gewährt rund eineinhalb Millionen Ukrainern ein Aufenthaltsrecht, selbst wenn sie länger in dem EU-Land bleiben wollen.
Außer Polen grenzen auch die anderen beiden Visegrád-Staaten Ungarn und Slowakei direkt an die Ukraine. Die EU-freundliche Regierung in Bratislava hat sich mit der Übernahme des V4-Vorsitzes zum 1. Juli vor allem pragmatische Ziele wie die vertiefte Zusammenarbeit in Fragen der Mobilität, Energie, Nachhaltigkeit oder Digitales vorgenommen. Dass große außenpolitische Visionen im Programm fehlen, dokumentiert unfreiwillig den Bedeutungsverlust der V4 auf EU-Bühne.
Eine starke gemeinsame Rolle in der EU ist nicht vorgesehen. Das hat der slowakische Außenminister Ivan Korcok bereits deutlich gemacht. Das ist mit einem latent russlandfreundlichen Ungarn auch gar nicht möglich. Die Slowakei unterstützt das harte Vorgehen gegen den Aggressor.
Hätte jedes EU-Mitglied die Haltung Ungarns eingenommen, hätte die Slowakei an ihrer Ostgrenze längst einen anderen Nachbarn als die Ukraine, ätzte Korcok. Selten zuvor sind die außen- und sicherheitspolitischen Interessenskonflikte in der V4-Gruppe stärker zum Ausdruck gekommen als in diesen Zeiten.
Ungarn ist mit seiner Haltung im Ukraine-Krieg innerhalb des Quartetts isoliert. Polen, Tschechien und die Slowakei ziehen unterdessen mit ihrer klaren Unterstützung für die Ukraine an einem Strang. Das historisch und wirtschaftlich eng mit der Slowakei verbundene Tschechien hat ohnehin einen anderen Fokus im zweiten Halbjahr. Schließlich hat Prag erst zum zweiten Mal den EU-Ratsvorsitz inne (Europe.Table berichtete).
Dabei will die neue Regierung unter Premier Petr Fiala und seinen Europaminister Mikuláš Bek auf europäischer Bühne bella figura machen. Angesichts des enormen Arbeitspensums sind das Interesse und die Zeit für die Belange der Visegrád-Gruppe in Prag sehr beschränkt. Bek sprach offen von einer Pause für die V4.
Wenn Tschechien zum Jahresende den EU-Ratsvorsitz schließlich an Schweden übergeben wird, werden die tiefen Interessenskonflikte wohl bestehen bleiben. Denn in Sachen Rechtsstaatlichkeit haben Prag und Bratislava ein grundsätzlich anderes, EU-konformes Verständnis als die Partner in Budapest und Warschau.
Der Zerfall des Vierer-Blocks – ohnehin ein Unikum in der EU mit 27 Mitgliedstaaten – schreitet fort. Das muss aus europäischer Sicht keine schlechte Entwicklung in sehr schwieriger Zeit sein.
12.07.2022 – 12:00-14:00 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
EU Agenda, Seminar Green chemistry: the hidden climate hero
EU Agenda provides insights into how green chemistry can help decarbonise industries and put the EU firmly on track towards net zero GHG emissions. INFOS & REGISTRATION
13.07.-17.07.2022, New York (USA)/online
EU Agenda 22th Industrial Conference on Data Mining 2022
Experts from different fields will present their applications and the results obtained by applying data mining. INFOS & REGISTRATION
13.07.2022 – 14:00 Uhr, online
EBD, Vortrag Tschechische EU-Ratspräsidentschaft
Angesichts der Übergabe der EU-Ratspräsidentschaft an Tschechien veranstaltet die Europäische Bewegung Deutschlands (EBD) gemeinsam mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland ein Briefing. INFOS & ANMELDUNG
13.07.2022 – 18:30-20:00 Uhr, online
Polis 180, Diskussion Klima & Energie Programmtreffen
Polis 180 lädt zum Programmtreffen ein und diskutiert über tagesaktuelle Themen (G7-Gipfel, Klimaclub, Energiekrise). INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 10:00-15:00 Uhr, online
VDE, Konferenz Best of Industrie 4.0 Day 2022
Der Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) beschäftigt sich mit den Themen Internet der Dinge (IoT) und digitale Transformation. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Alarmstufe Gas – Was kommt auf Stadtwerke zu?
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) beleuchtet die Auswirkungen der Gaskrise auf kommunale Versorger: die Optionen zu Preisanpassungen nach dem Energiesicherungsgesetz, die Begrenzung der Gasverstromung und die Auswirkungen auf die Fernwärmeversorgung. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 15:00-16:00 Uhr, online
KAS, Seminar What’s new, NATO? The consequences of the Strategic Concept for Europe’s future security environment
The Konrad-Adenauer-Stiftung focusses on the novelties and evolutions in NATO’s Strategic Concept and also deal with the general results of the Madrid summit. INFOS & ANMELDUNG
14.07.2022 – 18:00 Uhr, online
HSS, Seminar Putins Diktatur und der digitale Krieg
Die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) beschäftigt sich mit dem digitalen Krieg Russlands. INFOS & ANMELDUNG
Startschuss für den ersten Trilog unter tschechischer EU-Ratspräsidentschaft: Am Montag begannen offiziell die Verhandlungen über den Emissionshandel (ETS) und den CO2-Grenzausgleichmechanismus (CBAM). Das Parlament wurde von Pascal Canfin (Renew), Peter Liese (EVP) und Mohammed Chahim (S&D) vertreten, die Kommission von Frans Timmermans und Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni (Europe.Taböe berichtete).
“Die Unterhändler haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zur COP27 einen Kompromiss zu erreichen”, berichtet ein Parlamentssprecher. Die nächste UN-Klimaverhandlung findet vom 7. bis 18. November in Ägypten statt.
“Es ist zwar wichtig, dass wir uns im Grundsatz einig sind, aber in vielen wichtigen Punkten sind noch intensive Verhandlungen erforderlich”, schreibt Peter Liese in einer Mitteilung. “So schlägt der Rat beispielsweise vor, den Seeverkehr erst 2027 mit einer 100-prozentigen Versteigerung seiner Emissionen einzubeziehen, während das Parlament bereits 2024 mit dem vollen Umfang beginnen möchte”, präzisiert er (Europe.Table berichtete).
“Während der Rat allen Industrien, bei denen die Gefahr von Carbon Leakage besteht, kostenlose Zertifikate zugestehen will, möchte das Parlament gezielter vorgehen und fordert zusätzliche Anforderungen, zum Beispiel Pläne zur Kohlenstoffneutralität und die Anwendung eines Energiemanagement-/Auditsystems (Europe.Table berichtete), um kostenlose Zertifikate zu erhalten”, so Liese weiter.
“Der größte Unterschied besteht bei dem neuen ETS II für Wärme und Straßenverkehr”, führt er fort. Und erläutert: Im Gegensatz zur Kommission möchte das Parlament alle gewerblichen Emissionen einschließlich der Prozesswärme, zum Beispiel in kunststoffverarbeitenden Unternehmen und Gießereien, einbeziehen. Das Parlament möchte auch eine Preisobergrenze einführen und die Öl- und Gasproduzenten zur Deckung eines Teils der Kosten verpflichten.
Rat und Kommission sind sich dagegen im Wesentlichen über den Anwendungsbereich des Kommissionsvorschlags einig. Dieser umfasst keine gewerblichen Tätigkeiten außer der Beheizung von Gebäuden und dem Straßenverkehr, schließt also kleine Unternehmen aus, deckt aber die privaten Verbraucher von Beginn der Regelung an ab. Claire Stam
Bis zum Winter wollen Tschechien und Deutschland das noch ausstehende Solidaritätsabkommen zur gegenseitigen Gas-Versorgung abschließen (Europe.Table berichtete). Das teilten die Regierungen beider Länder gestern nach einem Treffen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und seinem Amtskollegen Jozef Síkela in Prag mit. Über das Abkommen verhandeln beide Staaten seit Monaten, es soll technische und finanzielle Fragen für gegenseitige Gaslieferungen in einer Mangellage klären.
“Es ist klar, dass die Zusammenarbeit mit Deutschland, durch das fast das gesamte Gas zu uns fließt, für uns in dieser Richtung von wesentlicher Bedeutung sein wird”, teilte der Wirtschaftsminister Tschechiens Síkela mit. Die Beschaffung von Gas müsse zwar innerhalb der Union koordiniert werden, die von der Kommission initiierte Beschaffungsplattform (Europe.Table berichtete) bezeichneten beide Minister in der gemeinsamen Erklärung allerdings als freiwilliges Instrument.
Um Gas zu sparen und die Speicher zu füllen, treibt die Bundesregierung außerdem den Ersatz von Gas-Kraftwerken durch Steinkohlemeiler voran. Nachdem in der vergangenen Woche ein entsprechendes Gesetz das Parlament passiert hatte, haben sich Regierungskreisen zufolge die Ministerien gestern auf die noch nötige Verordnung verständigt. Damit kann die sogenannte Netzreserve abgerufen werden. Das betrifft zunächst Anlagen, die eigentlich in diesem und nächstem Jahr abgeschaltet werden sollen.
Aus einer Liste der Bundesnetzagentur geht hervor, dass es vor allem Steinkohlekraftwerke in Süddeutschland sind, etwa von EnBW oder Uniper. Ab Oktober könnten im Bedarfsfall mit einer weiteren Verordnung auch besonders klimaschädliche Braunkohlekraftwerke wieder angeworfen werden.
Bei den aktuellen Terminpreisen auf dem Strommarkt sei bisher mit einer hohen Auslastung von Gaskraftwerken auch im Winter zu rechnen, schrieb gestern Marco Wünsch von Prognos. “Neben der Aktivierung von anderen Kraftwerken, sollte Stromsparen noch aktiver angegangen werden.” rtr/ber
Anders als die Bundesregierung macht die finnische Regierung keine Hoffnung darauf, dass sich Unipers Mehrheitsaktionär Fortum an den Rettungsmaßnahmen für den strauchelnden deutschen Energiekonzern weiter beteiligt. Als Fortums Mehrheitseigner sehe die finnische Regierung es für den Konzern nicht als möglich an, mehr in Uniper zu investieren (Europe.Table berichtete), sagte Europaministerin Tytti Tuppurainen, die auch die finnischen Staatsbeteiligungen beaufsichtigt, der finnischen Nachrichtenagentur STT. Fortum habe sein Engagement bereits gezeigt.
Der finnische Staat hält gut 50 Prozent der Fortum-Aktien. Dem finnischen Konzern gehören wiederum rund 78 Prozent an Uniper. Fortum hat seinem deutschen Ableger bereits rund vier Milliarden Euro als Barmittel und nochmal genauso viel als Garantien zu Verfügung gestellt. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Eigentümer hingegen in die Pflicht nehmen: “Es gehört ja jemandem, auch jemandem, der solvent ist und der stützen kann”, sagte der Grünen-Politiker am Wochenende dem Deutschlandfunk.
Uniper hatte bei der Bundesregierung am Freitag einen Antrag auf Stabilisierungsmaßnahmen gestellt (Europe.Table berichtete). Der Düsseldorfer Konzern muss wegen der reduzierten russischen Gaslieferungen Gas am Markt zukaufen. Die Kosten dafür kann der Konzern jedoch bislang nicht an seine Kunden weitergeben, was bei Uniper zu Liquiditätsproblemen führt. dpa
Die EU-Plattform für nachhaltiges Finanzwesen hat gestern einen Entwurf für soziale Mindestschutzmaßnahmen der grünen Taxonomie vorgestellt. Laut der seit Juni 2020 geltenden Taxonomie-Verordnung, die einen Rahmen für nachhaltige Investitionen bildet, sind Wirtschaftsaktivitäten nur dann ökologisch nachhaltig, wenn sie entsprechend internationaler Menschen- und Arbeitnehmerrechte ausgeführt werden. Artikel 18 der Verordnung sieht vor, dass Mindeststandards etabliert werden. Die Platform on Sustainable Finance, ein Beratungsgremium der EU-Kommission, hat dazu nun ein Gutachten mit Vorschlägen erstellt.
Die Vorschläge beziehen sich neben Menschenrechten auf Steuern, Korruption und Wettbewerb. Für jeden Bereich definiert die Plattform mehrere Ausschluss-Kriterien. Erfüllt ein Unternehmen eines der Kriterien, soll es laut Vorschlag als nicht taxonomiekonform gelten. So müssen Unternehmen beispielsweise “angemessene interne Kontrollen, Ethik- und Compliance-Programme oder Maßnahmen zur Verhinderung und Aufdeckung von Bestechung” entwickeln und dürfen nicht wegen Steuerhinterziehung verurteilt sein, um der Taxonomie zu entsprechen.
Die Standards basieren auf dem Sorgfaltspflicht-Leitfaden für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln der OECD. Die Plattform orientiert sich außerdem an der Internationalen Menschenrechtscharta und den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und den Arbeitsschutzvorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).
Zurzeit entstünden eine ganze Reihe an Regulierungen mit Blick auf ESG-Standards, sagte Antje Schneeweiß, Leiterin der Plattform für nachhaltiges Finanzwesen. “Deshalb wollen wir es nicht komplizierter machen, sondern die Standards gut in das rechtliche Umfeld einpassen.” Neben den kürzlich neu verhandelten Unternehmensberichtspflichten (Corporate Sustainability Reporting Directive) und den unternehmerischen Sorgfaltspflichten, zu denen ein Kommissionsvorschlag vorliegt, will die Kommission auch eine soziale Taxonomie entwerfen (Europe.Table berichtete). Mit all diesen Vorgaben sollen die Sozialstandards der grünen Taxonomie im Einklang sein.
“Die Herausforderung ist, dass wir Mechanismen für einen Bewusstseinswandel schaffen”, sagte Signe Andreasen Lysgaard, Beraterin am Dänischen Institut für Menschenrechte und Mitglied der Plattform. “Nicht mehr nur die Risiken für das Unternehmen werden bewertet, sondern die Risiken für Menschen.”
Bis zum 22. August ist es möglich, auf der Website der Plattform Feedback zum Entwurf einzureichen. leo
Die Lage um die russische Exklave Kaliningrad hat sich am Montag weiter zugespitzt. Das EU-Land Litauen weitete die Beschränkungen für den Handel mit der russischen Ostsee-Exklave aus, nachdem die Sanktionen der Europäischen Union gegen Moskau wegen dessen Einmarsch in der Ukraine in Kraft getreten sind.
Zu den zusätzlichen Waren, die seit Montagmorgen im Transit zwischen Russland und Kaliningrad verboten sind, gehören Beton, Holz, Alkohol und Industriechemikalien auf Alkoholbasis, sagte ein Sprecher des litauischen Zolls. Russland hatte Litauen und die EU am Freitag gewarnt, dass es “harte Maßnahmen” ergreifen könnte (Europe.Table berichtete), wenn der Transit einiger Waren zwischen Russland und Kaliningrad nicht “in den nächsten Tagen” wieder aufgenommen würde.
Am Montag schlug der Gouverneur des Kaliningrader Gebiets ein vollständiges Verbot des Gütertransports auf dem Landweg zwischen Russland und den drei baltischen EU-Mitgliedstaaten Litauen, Lettland und Estland vor, wodurch russische Güter von deren Häfen auf die Häfen im Kaliningrader Gebiet umgeleitet werden könnten.
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein weißrussischer Amtskollege Alexander Lukaschenko, ein enger Verbündeter, sprachen in einem Telefonat nach eigenen Angaben über mögliche Reaktionen. Der Kreml sprach von “illegalen Beschränkungen”, die Litauen für den Warentransit in das Kaliningrader Gebiet verhängt habe.
Die EU-Kommission versucht seit Ende Juni einen Kompromiss (Europe.Table berichtete), um die Pattsituation zu lösen. Die Regierung der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen habe jedoch Sorge, etwas zu tun, was als Zugeständnis an den Kreml angesehen werden könnte, heißt es. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes verwies am Montag auf Aussagen von Kanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock, die beide betont hatten, dass Transitverbindungen nicht unter die EU-Sanktionen fielen. Man hoffe auf eine Einigung. EU-Diplomaten bezeichneten es als unglücklich, dass sich die Position Litauens verhärtet habe.
Das Kaliningrader Gebiet grenzt an die Nato- und EU-Mitgliedstaaten Litauen und Polen und ist für die meisten Güter auf den Transit-Schienen- und -Straßenverkehr durch Litauen angewiesen (Europe.Table berichtete). Seit dem 17. Juni stoppt Litauens Zoll aber die Lieferung der Güter, die auf der EU-Sanktionsliste gegen Russland stehen. Ausgenommen von den Sanktionen sind Waren wie etwa Lebensmittel. Der Personentransit ist nicht verboten und Kaliningrad kann weiter auf dem Luft- oder Seeweg erreicht werden. rtr
Der US-Chiphersteller GlobalFoundries und der europäische Anbieter STMicroelectronics bauen gemeinsam eine Halbleiterfabrik in Frankreich. Die Gesamtinvestitionen für den neuen Standort nahe der Grenze zu Italien und der Schweiz bezifferte der Élysée-Palast am Montag mit 5,7 Milliarden Euro. Die Regierung in Paris wird selbst einen “signifikanten” Beitrag dazu leisten, nannte aber zunächst keine Summe.
“Dies ist die größte industrielle Investition der letzten Jahrzehnte außerhalb des Nuklearsektors und ein großer Schritt für unsere industrielle Souveränität”, sagte Finanzminister Bruno Le Maire. Präsident Emmanuel Macron wird heute selbst das bestehende Werk von STM in Crolles bei Grenoble besuchen, wo auch die neue Fabrik entstehen soll.
Diese soll bis 2026 die volle Kapazität erreichen und rund 1000 neue Arbeitsplätze entstehen. Dort sollen jährlich Chips bis hinunter zu einer Strukturgröße von 18 Nanometern hergestellt werden. Dabei soll auch die neue FD-SOI-Technologie (Fully Depleted Silicon On Insulator) zum Einsatz kommen, die viel Leistung bei reduziertem Stromverbrauch ermöglicht.
“Wir werden mehr Kapazitäten haben, um unsere europäischen und globalen Kunden beim Übergang zur Digitalisierung und Dekarbonisierung zu unterstützen”, sagte STMicro-Chef Jean-Marc Chery. Die neue Fabrik werde STMicro dabei helfen, den Umsatz wie geplant auf über 20 Milliarden Dollar zu steigern. “Die partnerschaftliche Investition mit der französischen Regierung schafft zusammen mit unseren langfristigen Kundenverträgen das richtige wirtschaftliche Modell für die Investition von GF”, erklärte GF-Chef Thomas Caulfield.
EU-Kommission und Mitgliedstaaten wollen die heimische Industrie unabhängiger machen von der Chip-Fertigung in Asien und umwerben große Hersteller. Zuvor hatte bereits der US-Konzern Intel angekündigt, 17 Milliarden Euro am Standort Magdeburg zu investieren. Der European Chips Act soll es den Regierungen erleichtern, die Unternehmen mit Subventionen anzulocken und so den Anteil der EU an der globalen Wertschöpfung bis 2030 auf 20 Prozent mehr als zu verdoppeln (Europe.Table berichtete).
Experten weisen aber darauf hin, dass die geplante Fabrik in Frankreich nur bedingt in die Strategie von Binnenmarktkommissar Thierry Breton passe, Europa zum Standort für die neueste Halbleitertechnologie zu machen. Ein Großteil der geplanten Produktion von STM und Global Foundries nutze reifere Technologie, sagt Jan-Peter Kleinhans von der Stiftung Neue Verantwortung. Noch sei schwer zu sagen, ob diese die Definition von “first of a kind” im Chips Act erfülle (Europe.Table berichtete), die eine großzügige Subventionierung durch die Regierungen erlauben soll. Europa müsse aber auch solche Projekte fördern, “wenn es sein Ziel ernst nimmt, den Anteil auf 20 Prozent zu steigern”. rtr/tho
Die Gesundheitsbehörden der Europäischen Union empfehlen allen über 60-Jährigen eine zweite Corona-Auffrischungsimpfung. “Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle über 60-Jährigen und alle gefährdeten Personen so schnell wie möglich eine zweite Auffrischungsdosis erhalten”, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides am Montag.
Derzeit wird nach Angaben der europäischen Gesundheitsbehörde ECDC nicht nur eine steigende Zahl von Covid-Fällen, sondern ein auch zunehmender Trend bei der Aufnahme in Krankenhäuser und Intensivstationen beobachtet, der hauptsächlich auf die Omikron-Untervariante BA.5 zurückzuführen ist. Eine zweite Auffrischungsimpfung bei über 60-Jährigen und gefährdeten Personen könne eine erhebliche Anzahl von Krankenhausaufenthalten und Todesfällen verhindern.
Bisher hatten die ECDC und die Arzneimittelbehörde EMA einen zweiten Booster nur für Menschen über 80 Jahren empfohlen. Die zweite Auffrischungsimpfung sollte nach Angaben der Behörden mindestens vier Monate nach der letzten Impfung verabreicht werden, wobei der Schwerpunkt auf Personen liegen sollte, die ihren ersten Booster vor mehr als sechs Monaten erhielten.
Während die bestehenden Impfstoffe zwar weiterhin einen guten Schutz vor Krankenhausaufenthalten und Todesfällen bieten, hat ihre Wirksamkeit mit der Weiterentwicklung des Virus und neuen Varianten abgenommen. Die Hersteller haben deshalb an die hochansteckende Omikron-Variante angepasste Impfstoffe entwickelt und stehen mit diesen schon in den Startlöchern.
“Wir arbeiten auf eine mögliche Zulassung angepasster Impfstoffe im September hin”, sagte EMA-Chefin Emer Cooke (Europe.Table berichtete). “In der Zwischenzeit ist es wichtig, die Verwendung der derzeit zugelassenen Impfstoffe als zweite Auffrischungsimpfung bei besonders gefährdeten Personen in Betracht zu ziehen.” rtr
Wenn Thomas Nowak bei der Klimakonferenz in Glasgow sprechen soll, nimmt er keinen Direktflug von Düsseldorf. Der Generalsekretär der European Heat Pump Association (EHPA) fährt stattdessen mit dem Auto durch Großbritannien und besucht unterwegs Pilotprojekte mit Wärmepumpen. “Wussten Sie, dass sogar die Kathedrale in Bath mit einer Wärmepumpe geheizt wird?”, fragt Nowak.
Geboren wird Nowak 1970 im Sauerland. In seinem Ökonomiestudium in Paderborn und der Illinois State University beginnt er sich für erneuerbare Energien zu interessieren (Europe.Table berichtete). Als Student fährt er freiwillig jeden Mittwoch von Paderborn nach Münster, weil die Universität dort Vorlesungen zu Umweltmanagement und Umweltökonomie anbietet.
Als er über geothermische Wärmepumpen recherchiert, ist er begeistert von der Technologie. Nowaks Bericht habe damals kaum jemand gelesen, aber durch Glück landete er auf dem Schreibtisch des damaligen Generalsekretärs der EHPA.
Während sich Nowak seit Jahren mit Begeisterung für das Thema einsetzt, sind Wärmepumpen spätestens mit den hohen Gaspreisen zum Trendthema geworden. “Wir hatten noch nie eine derart große Nachfragesteigerung. Wir sehen einen Anstieg von 34 Prozent. Außer Smartphones oder E-Bikes kann damit kaum eine Industrie mithalten”, sagt er. Es könne noch bis zu 18 Monate dauern, bis sie der Nachfrage nachkommen könnten. Das liege auch daran, wie die Technologie politisch behandelt würde.
“Wärmepumpen sollten zur kritischen Infrastruktur erklärt und mit Vorrang behandelt werden”, fordert Nowak. “Wir brauchen keine weiteren Strategien, wir müssen aktiv werden und die Energiewende umsetzen.”
Die USA machen mit dem Defence Production Act vor, wie die Politik der steigenden Nachfrage begegnen kann. Die Gesetzgebung gibt Herstellern von Wärmepumpen bevorzugten Zugriff auf bestimmte Komponenten. Das fordert Thomas Nowak auch für Europa: “Eigentlich müsste sich Robert Habeck auf die Bühne stellen, die Ärmel hochkrempeln und sagen: Jetzt packen wir es an. Mit einer solchen Mentalität in der Politik könnten wir viel erreichen.”
Thomas Nowak ist überzeugt davon, dass Wärmepumpen die Zukunft sind. Sein Ziel: eine klimaneutrale Gesellschaft. “Mit Fotovoltaik auf den Dächern, thermischen und elektrischen Speichern im Keller und Wärmepumpen, die nach Bedarf heizen oder kühlen und so die Energie in einem Kreislauf halten. Ich glaube, dass das geht.”
Bei dieser Mission bekommt er inzwischen Zuspruch von der Konkurrenz. Erst kürzlich habe die EHPA eine Anfrage aus Opole in Polen bekommen, der Kohleregion schlechthin. “Die wollten sich mit uns treffen und wissen, wie sie ihre Produktion umwandeln können und wo ihre Arbeiter in einer Zukunftsindustrie Beschäftigungen finden können”, berichtet Nowak.
“Meine Arbeit gibt mir das gute Gefühl, auf ein Ziel hinzuarbeiten, dessen Erreichung ich wahrscheinlich noch erleben kann.” Seinen persönlichen Beitrag leistet er schon: In seinem eigenen Haus finden sich ganze fünf Wärmepumpen – neben der Heizung auch im Kühlschrank und im Wäschetrockner. “Meine Familie sagt schon manchmal, jetzt hör doch mal auf mit den Wärmepumpen – aber sie kennen sich auch schon aus.” Svenja Schlicht