heute reist Annalena Baerbock nach Kiew, anschließend geht es weiter nach Moskau. Die Umstände des Besuchs könnten schwieriger kaum sein: Die Forderungen ihrer ukrainischen Gastgeber nach Waffenlieferungen und einem Stopp von Nord Stream 2 kann die Bundesaußenministerin kaum erfüllen – ersteres aus eigener Überzeugung, letzteres wegen der Hartleibigkeit des Koalitionspartners SPD. Die wachsende Kriegsangst lässt derweil die Energiepreise in Europa Achterbahn fahren, was der Ampel-Koalition eine Debatte über weitere Hilfen für belastete Haushalte beschert.
Die Verantwortung für diese Lage liegt in erster Linie in Moskau. Aber Berlin hat den Kreml gewähren lassen, wie eine Gruppe von Osteuropa- und Sicherheitsexperten zu Recht anprangert. Die Abhängigkeit von russischem Gas, die Interessen der deutschen Industrie und eine falsch verstandene Dialogbereitschaft verhindern, dass die Bundesregierung Russland über Verbalnoten hinaus Grenzen setzt. Die vergangenen Wochen haben bei vielen Nachbarstaaten den Eindruck verfestigt: Das schwache Glied in Europas Antwort auf Wladimir Putin ist nicht Budapest oder Wien, sondern Berlin.
Moskau lässt derweil seine Muskeln spielen. Neben Truppenaufmärschen zählen dazu bekanntlich auch verdeckte Cyberoperationen. Jedenfalls gehen die ukrainischen Behörden davon aus, dass die Spuren bei den jüngsten Hackerangriffen nach Russland führen. Mehr dazu finden Sie in den News.
In Brüssel arbeitet Thierry Breton unter Hochdruck daran, Europas strategische Abhängigkeiten in einem anderen Technologiefeld zu reduzieren: der Halbleiterindustrie. Der Binnenmarktkommissar will schon in wenigen Wochen den Chips Act vorlegen, nur wenige Monate nachdem seine Chefin Ursula von der Leyen das Vorhaben angekündigt hatte. Das für Brüsseler Verhältnisse halsbrecherische Tempo ruft Mahner innerhalb wie außerhalb der Kommission auf den Plan, die Eile dürfe nicht zulasten der Treffsicherheit der Konzepte und der zu verteilenden Fördermilliarden gehen. Mehr dazu lesen Sie in meiner Analyse.
In den meisten EU-Mitgliedstaaten ist das elektronische Rezept längst Realität in der Patientenversorgung. Die Liste reicht von Kroatien über Dänemark und Estland bis Spanien. In Deutschland hingegen ist das Vorhaben jüngst erneut abgeblasen worden. Dass ausgerechnet die Bundesrepublik an diesem nicht übermäßig komplexen Vorhaben scheitert, sagt viel aus über die verkrusteten Strukturen im hiesigen Gesundheitssystem aus, wie Eugenie Ankowitsch analysiert. Auf Karl Lauterbach wartet viel Arbeit, auch jenseits von Omikron.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.
Thierry Breton drückt aufs Tempo. Der Binnenmarktkommissar möchte den Vorschlag für einen European Chips Act bereits “in wenigen Wochen” vorlegen, wie es in seinem Umfeld heißt. Die verantwortlichen Mitarbeiter in seinem Kabinett und den beteiligten Generaldirektionen arbeiteten derzeit nahezu rund um die Uhr, heißt es in der Kommission, ihre Weihnachtspause sei “sehr kurz ausgefallen”.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Chips Act erst Mitte September in ihre Rede zur Lage der EU angekündigt – und damit auch viele im eigenen Haus überrascht. Der Vorschlag war zunächst für die zweite Jahreshälfte 2022 terminiert worden. Aus der Warte Bretons viel zu spät: Der frühere CEO sieht angesichts von akuter Lieferkrise und geopolitischer Bedeutung des Sektors großen Handlungsdruck. Derzeit steht das Vorhaben ohne konkretes Datum in der unverbindlichen Planung der Behörde.
Andere in der Kommission aber warnen, übertriebene Eile könne handwerkliche Fehler verursachen. Dazu zählt dem Vernehmen nach auch Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Die Skeptiker verweisen auf andere Beispiele wie den Data Act: Der interne Ausschuss zur Regulierungskontrolle hatte im November die ebenfalls unter hohem Zeitdruck erstellte Folgeabschätzung wegen Mängeln an die Dienststellen zurückverwiesen.
Auch Experten mahnen: “Die Halbleiterindustrie in Europa braucht eine langfristig wirksame Strategie mit den richtigen Rahmenbedingungen, die Kommission sollte deshalb nichts übers Knie brechen“, sagt Julia Hess, Forscherin bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV).
Die Eile, die Breton wohl im Einverständnis von der Leyens an den Tag legt, erklärt sich aus dem höchst ehrgeizigen Ziel: Bis 2030 soll der Anteil Europas an der Halbleiterproduktion weltweit von derzeit weniger als zehn auf 20 Prozent steigen. Wenn sich der Markt bis dahin wie erwartet verdoppeln sollte, müssten sich die Produktionskapazitäten in der EU in den verbliebenen acht Jahren in etwa verfünffachen.
Um das zu ermöglichen, sieht der European Chips Act drei Bausteine vor:
Der Schwerpunkt liegt auf dem zweiten Punkt, der Ansiedlung neuer Fabriken europäischer Hersteller und internationaler Konzerne wie Intel, Samsung oder TSMC aus Taiwan. Der Chips Act soll präzisieren, wie stark der beihilferechtliche Rahmen dafür gelockert wird (Europe.Table berichtete). Etliche Regierungen, allen voran Berlin und Paris (Europe.Table berichtete), buhlen bereits mit der Aussicht auf Milliardenförderung um die Unternehmen, der US-Anbieter Intel will in Kürze seine Standortentscheidung verkünden. Die Errichtung neuer Fertigungskapazitäten benötigt allerdings Jahre. Hohe Zuschüsse für die Firmen sind international üblich – ohne Förderung lassen sich in der kapitalintensiven Branche kaum ein Konzern zu einer Investition bewegen.
Hess aber warnt, ohne ein realistisches Bild vom tatsächlichen Bedarf in Europa bestehe “die Gefahr, dass Subventionen nicht wirklich effektiv sind”. Etliche Industrieverbände mahnten bereits, Breton dürfe die Förderung nicht einseitig auf “Leading Edge”-Halbleiter mit sehr kleinen Strukturgrößen legen. Europas Unternehmen fragten solche Chips bislang kaum nach, in wichtigen Abnehmerbranchen wie der Autoindustrie oder der Medizintechnik seien deutlich größere Strukturen gefragt. Europas Langzeitstrategie solle die Produktion von technologisch führenden Komponenten für die heimischen Schlüsselindustrien fördern, “ohne sich auf bestimmte Strukturgrößen oder Technologien zu beschränken”, forderte der Branchenverband Semi gerade in einer Stellungnahme.
Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Branchenverbandes ZVEI, mahnt: “Es ist essenziell, dass Europa Kompetenzen bei allen Halbleitertypen hat”. Der European Chips Act müsse ein günstiges Umfeld für Investitionen schaffen – angefangen bei der Förderung von Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten, Steueranreizen, über die Beschleunigung von Baugenehmigungen bis hin zur Stärkung der Nachwuchsförderung.
SNV-Expertin Hess fordert zudem darauf, den Fokus nicht zu stark auf die Chipfabriken zu legen. Andere Teil der Wertschöpfungskette, das vorgelagerte Chipdesign oder das nachgelagerte Verpacken der Halbleiter, seien ebenso wichtig. “Gerade Advanced Packaging wird immer wichtiger, um die Leistungsfähigkeit der Chips weiter zu verbessern”, sagt sie. Hier aber liege Europas Anteil derzeit nur bei fünf Prozent. Hess: “Auch hier müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, und zwar nicht notwendigerweise durch Subventionen”.
Es gibt eine Website, auf der für die Vorteile der digitalen Verordnung geworben wird. Auch eine App steht zum Download zur Verfügung und wurde bereits zehntausende Male heruntergeladen. Das E-Rezept sollte eine der ersten Pflichtanwendungen im digitalen Gesundheitssystem werden. Doch der verpflichtende Start des E-Rezepts in Deutschland scheiterte vor wenigen Wochen medienwirksam.
Wie die elektronische Verordnung funktionieren soll, lässt sich schnell zusammenfassen: Die Arztpraxen erstellen ein elektronisches Rezept und übermitteln es über die sogenannte Telematikinfrastruktur verschlüsselt an einen Server der Gematik, die nationale Agentur für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Patienten bekommen einen QR-Code, entweder als Ausdruck oder digital in der App. In der Apotheke der Wahl zeigt man den erhaltenen QR-Code vor. Damit kann der Apotheker das dazugehörende Rezept aufrufen und das Medikament ausgeben.
Nach Jahren der Vorarbeit und einer halbjährlichen Testphase sollte die elektronische Verordnung zum 1. Januar 2022 verpflichtend umgesetzt werden. Doch das ist krachend gescheitert. Nur rund eine Woche vor dem Stichtag zog der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Reißleine. Zuvor trugen die Beteiligten ihre Differenzen mehr oder minder öffentlich aus.
Bereits in der Testphase hatte die Gematik große Schwierigkeiten, Tester zu gewinnen. Am Anfang war lediglich ein Softwareanbieter bereit und in der Lage, “seine” Ärzte mit der entsprechenden Software auszustatten, wie die Agentur auf Nachfrage mitteilte. Der Hersteller deckt dabei lediglich drei Prozent des Marktes ab. Insgesamt tummeln sich auf dem extrem fragmentierten Markt für Arztpraxissoftware rund 160 Anbieter.
Auch bei den Krankenkassen war das Interesse überschaubar. Nur zwei Krankenkassen wollten am Anfang der Testphase dabei sein. Dann machte auch noch die Technik Probleme, was von der Ärzte- und Apothekerschaft heftig kritisiert wurde. Die regionale Testphase wurde deshalb bis Ende November verlängert. Die erhoffte Wende brachte das aber auch nicht.
In ungewohnter Einigkeit haben sich einige Gesellschafter der Gematik, darunter die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Bundesärztekammer (BÄK) und der deutsche Apothekerverband (DAV), im Dezember gegen die bundesweite Einführung des elektronischen Rezepts gestellt: “Die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser appellieren […] dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung des E-Rezeptes erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Die KBV ging noch weiter und sagte die verpflichtende Einführung des E-Rezepts in Eigenregie und ohne Absprache mit den Partnern quasi ab: “Sofern die Apotheken in räumlicher Nähe zur Praxis nicht in der Lage oder nicht dazu bereit sind E-Rezepte zu empfangen und einzulösen, kann die Vertragsarztpraxis dem Versicherten ein Papierrezept auf Muster 16 ausstellen”, lautete die Empfehlung, die die KBV an die Ärzte verschickte. Man gehe davon aus, dass die erforderlichen Prozesse und Komponenten für das E-Rezept “frühestens Mitte 2022 flächendeckend zur Verfügung stehen werden”.
Die Digitalisierungsbehörde sieht die von den Ärzten und Apothekern beklagten technischen Probleme nicht in ihrer Verantwortung. Man habe zum 1. Juli und damit termingerecht alle Voraussetzungen geschaffen, die in den Zuständigkeitsbereich der Gematik fielen, teilte man auf Nachfrage mit. Stand heute funktioniere das E-Rezept rein technisch fast überall in Deutschland.
Zwar waren die Krankenkassen bei der Allianz der Ärzte und Apotheker gegen das E-Rezept nicht dabei. Auf Twitter warf Gematik-Geschäftsführer Markus Leyck Dieken dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen dennoch vor, sich nicht ausreichend beteiligt zu haben. Die Kassen hätten ihren Versicherten etwa die für die Nutzung der E-Rezept-App notwendigen NFC-fähigen elektronischen Gesundheitskarten nicht zugeschickt.
Zuletzt wurde öffentlich, dass die Vorstandschefs von TK, Barmer, DAK-Gesundheit, AOK Bayern, IKK classic, Hanseatischer Krankenkasse und BIG direkt gesund sich Mitte Dezember in einem Schreiben an den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach gewandt haben und für das eigene E-Rezept-Projekt geworben haben.
Laut Medienberichten haben die Kassenchefs angeboten, “unser funktionierendes Projekt eRezept Deutschland unter Verwendung der Telematikinfrastruktur fortzusetzen und zu erweitern, damit in Deutschland weiterhin und zunehmend E-Rezepte ausgestellt werden können”. Voraussetzung soll allerdings sein, dass das E-Rezept künftig nicht nur über die App der Gematik läuft, sondern auch über Kassen-Apps.
Die Antwort des Gesundheitsministers, die derzeit laut BMG vorbereitet wird, dürfte die Kassenchefs enttäuschen. Nach der geltenden Rechtslage sei für die Weiternutzung der Kassen-App für die elektronische Verordnung kein Raum, teilte das BMG auf Anfrage mit. Nur eine App der Gematik dürfe genutzt werden.
Wie es in Deutschland mit dem E-Rezept weitergeht, wird laut Bundesgesundheitsministerium in den kommenden Wochen mit den Gesellschaftern abgestimmt. Die Gematik soll den Test- und Rollout-Prozess weiterhin eng begleiten. Außerdem hat das Gesundheitsministerium KBV, ABDA und DKG dazu verdonnert, ab diesem Monat laufend Updates zum Ausstattungsgrad der Apotheken, Praxen und Krankenhäuser zu geben. Die Gematik soll im Gegenzug ihre Gesellschafter und die Öffentlichkeit transparent zum aktuellen Stand der Einführung informieren.
Nach diesem öffentlichkeitswirksamen Scheitern bleibt Deutschland im internationalen Vergleich weiter eines der Schlusslichter, wenn es um die Einführung eines E-Rezepts geht. In den meisten EU-Mitgliedstaaten, darunter in Kroatien, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Norwegen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien und den Niederlanden, gehört dieses längst zum Versorgungsalltag, wenn auch nicht überall auf demselben Entwicklungsstand. In Österreich läuft derzeit die Testphase. Mitte 2022 soll das E-Rezept dort flächendeckend zur Verfügung stehen.
In Estland, Dänemark, Schweden, Finnland und Portugal werden die elektronischen Verordnungen in einer Datenbank gespeichert und sind für befugte Ärzte und Apotheker einsehbar. Im Digitalisierungsmusterland Estland ist das E-Rezept mit einer elektronischen Patientenakte (EPA) verknüpft. Die Praxissoftware lädt das Rezept automatisch in die Datenbank hoch. Um es anschließend einzulösen, müssen sich Patienten in einer Apotheke mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte identifizieren.
In Dänemark laufen sämtliche Verschreibungen über eine App und sind sowohl für den Arzt als auch Patienten dort einsehbar. Einer Bertelsmann-Studie zufolge ist es zudem möglich, die Rezepte elektronisch zu übermitteln, aufzuheben oder auch Folgerezepte anzufordern. Auch der Zugriff auf die nationale Gesundheitsplattform des Landes läuft über diese App.
In anderen Staaten wie Italien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden funktioniert der Austausch von Rezept- und Medikationsdaten dagegen nur regional oder partiell. Grund dafür sind “regional beschränkt funktionierende Systeme oder begrenzte technische Verfügbarkeit auf nationaler Ebene”, heißt es in der Bertelsmann-Analyse.
Außerdem ist in Estland, Finnland, Kroatien und Portugal möglich, elektronische Rezepte länderübergreifend einzulösen. Der Datenaustausch läuft über die eHealth-Diensteinfrastruktur (eHDSI) der EU, die die nationalen E-Health-Dienste verbindet. Grundlage für den Austausch der Gesundheitsdaten ist unter anderem die 2011 beschlossene EU-Richtlinie, die eine Behandlung europäischer Bürger über die Grenzen hinweg sicherstellen und den Mitgliedstaaten den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen soll.
Aber auch beim länderübergreifenden Austausch läuft es eher schleppend. Noch 2019 ging die Kommission davon aus, dass ab Ende 2021 bis zu 22 Mitgliedstaaten elektronische Verschreibungen und Patientenakten austauschen können. Die Realität ist ernüchternd: Seit 2019 sind zu den Vorreitern Finnland und Estland lediglich Kroatien und Portugal dazugekommen.
Angesichts des Konflikts mit Russland um die Ukraine hat die Regierung der USA laut Insidern mit Energiekonzernen Notfallpläne für Gas-Lieferungen nach Europa sondiert. Vertreter des Außenministeriums hätten mit den Unternehmen über Kapazitäten für höhere Liefermengen gesprochen, für den Fall, dass russische Gaslieferungen unterbrochen würden, hieß es in Branchen- und Regierungskreisen.
Dabei sei auch eine Verschiebung von Wartungsarbeiten erörtert worden, um die Gas-Produktion hochzuhalten. Die Unternehmen hätten erklärt, dass ein Ausfall großer Mengen aus Russland schwer zu ersetzen sei und dabei auf die weltweit knappen Gasvorräte verwiesen. Welche Konzerne angesprochen worden seien, wurde zunächst nicht bekannt. Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland, Deutschland sogar etwa die Hälfte. Sanktionen der USA gegen Russland aufgrund des Konflikts mit der Ukraine könnten die Lieferungen beeinträchtigen.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA wollte sich nicht zu den Gesprächen äußern. Er bestätigte aber, dass eine Notfallplanung im Gange sei. Eine Sondierung von Auswirkungen möglicher Maßnahmen sei gängige Praxis. Dies zeige die Entschlossenheit der USA, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen.
Russland hat an der Grenze zur Ukraine rund 100.000 Soldaten zusammengezogen. Der Westen befürchtet eine Invasion, die Regierung in Moskau streitet solche Pläne ab. Die britische Außenministerin Liz Truss warf Moskau eine Desinformationskampagne gegen die Ukraine vor. Damit solle das Land destabilisiert und eine Invasion gerechtfertigt werden, erklärte die Außenministerin.
Die ukrainischen Behörden hatten am Freitagmorgen bereits einen massiven Cyberangriff auf Websites der Regierung gemeldet. Betroffen gewesen seien etwa die Seiten des Außenministeriums, des Kabinetts und des Sicherheits- und Verteidigungsrates. Am Samstag berichtete zudem Microsoft, der Softwarekonzern habe in Netzwerken von zahlreichen Regierungsstellen und private Organisationen in der Ukraine eine Schadprogramm entdeckt. Dabei handele es sich wahrscheinlich um Ransomware, mit deren Hilfe die Angreifer die Rechner kapern und unbrauchbar machen können.
Die ukrainischen Sicherheitsbehörden vermuten die Urheber des Angriffs im Umfeld belarussischer Geheimdienste. Die von den Angreifern eingesetzte Schadsoftware ähnele zudem Programmen, die Hacker aus der Umgebung russischer Geheimdienste nutzten, erklärte der Vizesekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Serhij Demedjuk.
Die US-Regierung bot Kiew Unterstützung bei der Untersuchung des Hackerangriffs an, wollte sich aber nicht auf die Urheberschaft festlegen. Man könne den Angriff noch nicht zuordnen, sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Vorfall auf das Schärfste und erklärte, alliierte Experten würden der Ukraine in den kommenden Tagen eine Plattform für den Informationsaustausch bei der Cyberabwehr zur Verfügung stellen.
Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow hatte am Donnerstag nach mehreren Gesprächsrunden mit westlichen Staaten vor einer Sackgasse gewarnt. Die US-Regierung und deren Verbündete wollten den Forderungen nach Sicherheitsgarantien Russlands nicht nachkommen. Russland werde nun “andere Maßnahmen und Techniken” anwenden. Am Montag reist Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Gesprächen in die Ukraine und am Dienstag weiter nach Russland. rtr/tho
Nachdem die liberale Renew-Fraktion vergangene Woche einen Sonderausschuss zum Einsatz der umstrittenen Ausspähsoftware Pegasus des israelischen Herstellers NSO in EU-Mitgliedstaaten gefordert hat, ist hierfür derzeit noch keine Mehrheit im Europaparlament erkennbar. Ob ein solcher Ausschuss noch kommt, dürfte sich erst in den kommenden Wochen klären.
Die niederländische EP-Innenpolitikerin Sophie in ‘t Veld (D66/Renew) gehört zu den Befürwortern eines Sonderausschusses. Sie verweist dabei auch auf vergangene Sonderausschüsse: Bei Echelon und bei der NSA-Affäre, aber auch bei Dieselgate und der Aufarbeitung geheimer CIA-Gefängnisse in Europa hätten EP-Sonderausschüsse das Scheinwerferlicht auf wichtige Vorgänge lenken können. Ein EP-Ausschuss verfüge zwar nicht über Sonderrechte wie eine Vorladung. “Auch wenn die Befugnisse des Parlaments beschränkt sein mögen, sollten wir sie bis zum Maximum ausreizen”, so in ‘t Veld.
Die deutsche SPD-Abgeordnete Birgit Sippel befürwortet auf Anfrage von Europe.Table hingegen vorerst eine weitere Behandlung im Rahmen des EP-Innenausschusses. Dieser hatte im November eine erste Anhörung zum Thema durchgeführt, für Februar ist die nächste Anhörung geplant. Es müsse eine intensive Untersuchung stattfinden, so Sippel. Ob es dafür ein eigenes Gremium brauche, sei aber noch offen: “Die Frage, ob über diese eingehenden Untersuchungen hinaus auch ein Untersuchungsausschuss notwendig sein wird, müssen wir im Lichte der Erkenntnisse aus diesen Anhörungen entschieden”.
Auch die Unions-Innenpolitikerin Lena Düpont fordert “aufgrund der Schwere der Eingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen und des zweckentfremdeten Einsatzes der Software” eine ordentliche Aufarbeitung. “Illegale staatliche Eingriffe oder Überwachung von Journalisten, Anwälten und Oppositionellen sind und bleiben völlig inakzeptabel”, sagte sie Europe.Table. Es handele sich nicht nur um Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch gegen grundlegende Werte wie Medien- und Redefreiheit. Teil der EVP im Europaparlament ist auch die von Pegasus-Einsätzen betroffene polnische Bürgerplattform (PO).
Seitens der Fraktion der Grünen im Europaparlament war bis zum Wochenende keine Einschätzung zu erhalten. Pegasus soll sowohl in Polen und in Ungarn gegen Oppositionelle, Journalisten und Aktivisten eingesetzt worden sein, in Frankreich sollen Pegasus-Fälle auf den marokkanischen Geheimdienst zurückgehen. Düpont fordert, dass missbräuchliche Einsätze auch Konsequenzen nach sich ziehen: “Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die die Spionagesoftware Pegasus illegal einsetzen, müssen zur Verantwortung gezogen werden”.
Unterdessen soll in Polen bereits am kommenden Montag ein Sonderausschuss zur Untersuchung der dortigen Vorfälle seine Arbeit aufnehmen, berichten polnische Medien unter Berufung auf den Ausschussvorsitzenden, den Senator der Bürgerplattform (PO/EVP) Marcin Bosacki. Der Fernsehsender TVN24 berichtete am Freitag, dass das Justizministerium unter Zbigniew Ziobro im September 2017 insgesamt 25 Millionen Złoty (etwa 5,5 Millionen Euro) für die Beschaffung “spezieller technischer Mittel zur Aufdeckung und Verhütung von Straftaten” aus dem Justizfond zur Verfügung gestellt hatte.
Empfänger war laut dem Bericht das umstrittene Zentrale Antikorruptionsbüro (CAB), das die Software dann beim polnischen Dienstleister Matic SA bestellt haben soll. Freigegeben hat die Gelder laut TVN24 der stellvertretende Justizminister Michał Woś.
In der Bundesrepublik liegen zumindest dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nach Auskunft eines Sprechers weiterhin keine Erkenntnisse dazu vor, dass ein unrechtmäßiger Einsatz der Pegasus-Software stattgefunden hat. fst
Bundesinnenministerin Nancy Faeser und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson haben sich optimistisch gezeigt, mit neuer Regulierung spezifische Probleme im Netz adressieren zu können. Im Umgang mit außereuropäischen Anbietern wie Telegram brauche es ein gemeinsames europäisches Vorgehen, sagte Faeser bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.
Die seit Dezember im Amt befindliche Innenministerin hatte in der vergangenen Woche mit Äußerungen in einem Interview mit der “Zeit” für Irritationen gesorgt, in dem sie eine nicht näher spezifizierte “Abschaltung” des Anbieters in den Raum stellte. Auf Nachfrage konnte das Bundesinnenministerium bislang keine genauere Definition beibringen, was die Ministerin mit dem Wort Abschalten genau gemeint haben könnte und verwies darauf, dass diese nur die Ultima Ratio sein könnte. Derzeit prüfe das BMI alle rechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Faeser betonte erneut die Wichtigkeit des Digital Services Act (DSA), der nach der Abstimmung im Europäischen Parlament in dieser Woche in den kommenden Monaten final zwischen Rat, Europaparlament und Kommission beraten werden soll.
Telegram steht in Deutschland vor allem deswegen in der Kritik, da Rechtsextreme und andere Gruppen dort vom Anbieter ungestört offen miteinander kommunizieren. Faeser und ihr zuständiger Justiz-Kollege Marco Buschmann (FDP) sehen Telegram in Teilen nicht als Kommunikationsdienst (Europe.Table berichtete), sondern als Plattform an. Damit würden für den Betreiber Pflichten nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz entstehen, die Telegram jedoch nicht einhält. Telegram unterhält keine Niederlassungen innerhalb der EU, die Firma sitzt offiziell in Dubai und damit außerhalb des direkten Zugriffs europäischer Behörden.
EU-Innenkommissarin Johansson verwies darauf, dass bereits die Regelung zu terroristischen Inhalten im Netz von Anbietern einen rechtlichen Vertreter in Europa einfordern werde. Allerdings betrifft Artikel 17 der am 7. Juni 2022 in Kraft tretenden Verordnung zur Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte ausdrücklich nur die Hosting-Anbieter. In diese Kategorie hatte Telegram bislang noch keine Institution eingeordnet, erst der Digital Services Act der EU schafft für Plattformanbieter absehbar eine eigene Rechtskategorie.
Faeser kündigte auch Unterstützung für Johanssons Vorschlag eines Gesetzes an, das Anbieter verstärkt zum Vorgehen gegen Abbildungen sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSAM) im Netz verpflichten und in wenigen Wochen vorgestellt werden soll (Europe.Table berichtete). Er solle die Erkennung und Entfernung von CSAM verpflichtend machen, sagte Johansson in Berlin. Dies dürfte technisch nur mit einem flächendeckenden Einsatz automatisierter Erkennungssysteme für Inhalte auf Plattformen möglich sein, deren Einsatz umstritten ist. fst
Die Übernahme des Münchener Chip-Zulieferers Siltronic durch den größeren taiwanischen Rivalen Global Wafers könnte am Widerstand der Bundesregierung scheitern. Der Hersteller von Siliziumscheiben (Wafer) für die Halbleiter-Produktion signalisierte am Freitagabend, dass die Hoffnung auf eine Genehmigung der Transaktion durch das Bundeswirtschaftsministerium schwinde: Von dort kämen keine Signale, “ob und unter welchen Umständen eine außenwirtschaftsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung” erteilt werden könne, teilten Siltronic mit. Es gebe keine Fortschritte in den Gesprächen.
Die Zeit drängt: Bis zum 31. Januar muss das Ministerium von Robert Habeck (Grüne) grünes Licht geben, sonst ist der vor mehr als einem Jahr vereinbarte Verkauf geplatzt. Global Wafers will mit Siltronic zum japanischen Weltmarktführer Shin-Etsu aufschließen und hat sich 70 Prozent der Aktien gesichert. Das Unternehmen hat laut Insidern verlangte Zugeständnisse gemacht, etwa ein Rückkaufsrecht im Falle eines Weiterverkaufs von Siltronic. Doch die Zusagen reichten dem Ministerium offenbar nicht aus, räumte Siltronic ein. Dieses habe “auch keine konkreten Zusagen oder Auflagen genannt, unter denen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt werden könnte”, hieß es in der Mitteilung.
Der Verkauf der früheren Tochter von Wacker Chemie nach Asien ist für die Regierung angesichts der Diskussionen um die akuten Chip-Engpässe ein sensibles Thema. Asien ist in der Halbleiter-Produktion dominierend. Nun gibt es Bestrebungen, die Chipindustrie wieder in Europa heimisch werden zu lassen – auch mit milliardenschweren Subventionen. rtr
Eineinhalb Jahre nach dem Schrems II-Urteil sind USA und EU weiterhin auf der Suche nach einer dauerhaften Lösung für die transatlantische Übertragung personenbezogener Daten. Zwei Ideen, die derzeit diskutiert werden, sind ein Datenschutz-Bundesgesetz in den USA und eine neue Vereinbarung für ein verbessertes, “enhanced Privacy Shield” zwischen dem US-Wirtschaftsministerium und der EU-Kommission.
Ein US-Bundesgesetz zum Privatsphärenschutz könnte das Problem beheben, doch ist ein solches unwahrscheinlich, zumindest kurzfristig. Seit Jahrzehnten scheitern Fürsprecher mit ihrem Einsatz dafür. Ein verbessertes Privacy Shield ist hingegen zwar wahrscheinlich, ohne flankierende Reform des US-Überwachungsrechtsrahmens jedoch hoffnungslos.
Das Schrems II-Urteil besagt unmissverständlich, dass “die gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die Grundrechte den Umfang der Einschränkung der Ausübung des betreffenden Rechts selbst festlegen muss” (Rn. 175). Wortwörtlich erlegt dies dem Kongress die Pflicht zur Behebung jener Missstände auf, die der EuGH festgestellt hat und schließt ein alleinstehendes “enhanced Privacy Shield” aus.
Dennoch könnte eine eher kleine Reform der US-Überwachungspraktiken, die die Einwände des EuGH zusammen mit einem verbesserten Privacy Shield berücksichtigt, eine gangbare vorläufige Lösung sein, bis ein Datenschutzgesetz auf US-Bundesebene in den kommenden Jahren verabschiedet wird.
Diese Option eines Mittelweges sähe wie folgt aus: Verabschiedung eines Privacy Shield Enabling Act (PSEA), der die US-Auslandsüberwachungsgesetze um Schutzmaßnahmen und Rechtsmittel ergänzt. Durch solche Reformen könnte der Kongress eine “enhanced Privacy Shield” -Vereinbarung ermöglichen, die ein Verfahren vor dem EuGH übersteht und damit jene Organisationen unterstützt, die auf den transatlantischen Transfer personenbezogener Daten angewiesen sind.
Die wesentlichen Anforderungen, die der PSEA erfüllen muss, um den Einwänden des EuGH Rechnung zu tragen, fallen in zwei Kategorien:
Berücksichtigt man diese Vorschläge, könnte der PSEA den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) durch
Angenommen, der PSEA würde es ermöglichen, dass eine das Privacy Shield ersetzende Vereinbarung der Prüfung durch den EuGH standhielte, müsste es jedoch ebenfalls dem amerikanischen politischen Prozess und der Überprüfung US-amerikanischer Gerichte standhalten, wofür es keine Garantien gibt. FISA-Reformen waren immer wieder ein Ziel von Aktivisten für mehr Privacy, mit geringem Erfolg. Da inländischer Terrorismus zunehmend sichtbar wird, könnte eine FISA-Reform geringe Priorität haben. Ein weiteres Problem mit dem PSEA ist die Gewaltenteilung im US-Verfassungsrecht. Die präsidentielle Executive Order 12,333 ist unabhängig von FISA und wäre damit von den anderen Reformmaßnahmen nicht eingeschlossen, wenn der PSEA nicht einen siebten Bestandteil erhält:
Die Hinzunahme dieses siebten Vorschlags könnte den PSEA also insofern verfassungsrechtlich angreifbar machen, dass die Gewaltenteilung verletzt würde. Aber EO 12,333 auszunehmen und sich ausschließlich auf eine FISA-Reform zu konzentrieren wäre nicht genug für den PSEA, um das Ziel zu erreichen. Der Präsident könnte jederzeit einseitig die problematischen Elemente der EO 12,333 beenden und das Problem auf diese Art und Weise adressieren. Doch Regierungen kommen und gehen, und mit ihnen die politischen Mittel und Ziele. Ein künftiger Präsident, der bei der Nationalen Sicherheit kämpferischer ist, könnte einen anderen Kurs einschlagen und die problematischen Vorgehensweisen wieder anwenden, und damit auch das Problem neu entfachen.
Es gibt viele Stakeholder im Kontext der EU-US-Datentransfers, deren Interessen teils miteinander in Konkurrenz stehen. Eine wichtige Gruppe, die einbezogen werden muss, ist die US Intelligence Community. Deren Teilnahme ist zwingend nötig, damit ein umfassender PSEA entwickelt werden kann, der wirklich wirksame Sicherheitsmechanismen enthält. Diese Community könnte etwas zögerlich sein, sich zu beteiligen, da sie derzeit über einen umfassenden Zugang zu personenbezogenen Daten verfügt. Doch wenn diese Datenflüsse eine nutzbringende Informationsquelle sind, dann würde das Scheitern überschaubarer Reformen das Risiko bergen, den Zugang vollständig zu verlieren. Daher muss es auch im Interesse der Intelligence Community sein, dabei zu helfen, die obigen Vorschläge umzusetzen.
Eine gemeinsame Basis für die unterschiedlichen Akteure ist schwierig, aber nicht unmöglich. Die USA, die EU, die Weltwirtschaft, sie alle haben viel zu verlieren, wenn diese Datenflüsse versiegen. Der PSEA ist ein Rahmen, auf dem alle Stakeholder aufbauen können, um eine Lösung zu erreichen.
Dieser Standpunkt basiert auf einer Veröffentlichung des Autoren im Minnesota Law Review.
Der alten Bundesregierung galt die Konferenz zur Zukunft Europas als Spielwiese für Europaenthusiasten, von niemandem ernst genommen, außer (vielleicht) von Emmanuel Macron. Das ändert sich gerade mit der Ampel-Regierung.
Eineinhalb Stunden Zeit nahm sich Annalena Baerbock am Sonntagmittag, um sich die Vorschläge des Nationalen Bürgerkonvents anzuhören und zu kommentieren. Ebenfalls zugeschaltet im “Weltsaal” des Auswärtigen Amtes: ein halbes Dutzend von Spitzenbeamt:innen. Im Falle von Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner mit instabiler Internetverbindung aus Brandenburg, im Falle von Undine Ruge, der europapolitischen Beraterin von Olaf Scholz, aus dem Kanzleramt. Das hochrangige Empfangskomitee sollte signalisieren: Seht her, wir nehmen es ernst mit der Bürgerbeteiligung.
Viele der Vorschläge der 100 zufällig ausgewählten Delegierten sind auch durchaus anschlussfähig für die Berufspolitiker. Eine Arbeitsgruppe schlug vor, Anreize zur Produktion von Grundversorgungsgütern in der EU zu schaffen, um die Lieferketten klimafreundlicher und politisch weniger angreifbar zu gestalten. Das würde nicht nur Macron sofort unterschreiben. Eine andere Gruppe schlug vor, Herstellern Vorgaben zu machen, ihrer Produkte langlebiger und reparierbar zu konstruieren. An einem entsprechenden Vorschlag arbeitet gerade die EU-Kommission.
Nur: Was mit den Ideen der engagierten Bürger passiert, ist völlig unklar. Die sollen zunächst in die Sitzung des Plenums des Zukunftskongresses am nächsten Wochenende eingespeist werden, in dem auch Abgeordnete und Vertreter der nationalen Regierungen sitzen. Der weitere Weg liegt im Nebel.
Macron will Frankreichs Ratspräsidentschaft nutzen, um im Mai erste Schlussfolgerungen zu präsentieren (seine Wiederwahl im April vorausgesetzt). Die Ampel-Partner wiederum haben sich im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Zukunftskonferenz solle in einen verfassungsgebenden Konvent münden und “zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen”.
Andere Regierungen aber bekommen bei so viel integrativem Ehrgeiz Magenkribbeln. Sie hatten schon vor dem Start alles darangesetzt, die Konferenz so aufzusetzen, dass sie kaum greifbare Resultate erbringen konnte. Die Gefahr ist real, dass das partizipatorische Experiment ohne greifbare Ergebnisse endet. Dann aber könnte es sich noch als Fehler erweisen, dass Baerbock und Co den Zukunftskongress aus dem Schatten geholt haben. Till Hoppe
heute reist Annalena Baerbock nach Kiew, anschließend geht es weiter nach Moskau. Die Umstände des Besuchs könnten schwieriger kaum sein: Die Forderungen ihrer ukrainischen Gastgeber nach Waffenlieferungen und einem Stopp von Nord Stream 2 kann die Bundesaußenministerin kaum erfüllen – ersteres aus eigener Überzeugung, letzteres wegen der Hartleibigkeit des Koalitionspartners SPD. Die wachsende Kriegsangst lässt derweil die Energiepreise in Europa Achterbahn fahren, was der Ampel-Koalition eine Debatte über weitere Hilfen für belastete Haushalte beschert.
Die Verantwortung für diese Lage liegt in erster Linie in Moskau. Aber Berlin hat den Kreml gewähren lassen, wie eine Gruppe von Osteuropa- und Sicherheitsexperten zu Recht anprangert. Die Abhängigkeit von russischem Gas, die Interessen der deutschen Industrie und eine falsch verstandene Dialogbereitschaft verhindern, dass die Bundesregierung Russland über Verbalnoten hinaus Grenzen setzt. Die vergangenen Wochen haben bei vielen Nachbarstaaten den Eindruck verfestigt: Das schwache Glied in Europas Antwort auf Wladimir Putin ist nicht Budapest oder Wien, sondern Berlin.
Moskau lässt derweil seine Muskeln spielen. Neben Truppenaufmärschen zählen dazu bekanntlich auch verdeckte Cyberoperationen. Jedenfalls gehen die ukrainischen Behörden davon aus, dass die Spuren bei den jüngsten Hackerangriffen nach Russland führen. Mehr dazu finden Sie in den News.
In Brüssel arbeitet Thierry Breton unter Hochdruck daran, Europas strategische Abhängigkeiten in einem anderen Technologiefeld zu reduzieren: der Halbleiterindustrie. Der Binnenmarktkommissar will schon in wenigen Wochen den Chips Act vorlegen, nur wenige Monate nachdem seine Chefin Ursula von der Leyen das Vorhaben angekündigt hatte. Das für Brüsseler Verhältnisse halsbrecherische Tempo ruft Mahner innerhalb wie außerhalb der Kommission auf den Plan, die Eile dürfe nicht zulasten der Treffsicherheit der Konzepte und der zu verteilenden Fördermilliarden gehen. Mehr dazu lesen Sie in meiner Analyse.
In den meisten EU-Mitgliedstaaten ist das elektronische Rezept längst Realität in der Patientenversorgung. Die Liste reicht von Kroatien über Dänemark und Estland bis Spanien. In Deutschland hingegen ist das Vorhaben jüngst erneut abgeblasen worden. Dass ausgerechnet die Bundesrepublik an diesem nicht übermäßig komplexen Vorhaben scheitert, sagt viel aus über die verkrusteten Strukturen im hiesigen Gesundheitssystem aus, wie Eugenie Ankowitsch analysiert. Auf Karl Lauterbach wartet viel Arbeit, auch jenseits von Omikron.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die neue Woche.
Thierry Breton drückt aufs Tempo. Der Binnenmarktkommissar möchte den Vorschlag für einen European Chips Act bereits “in wenigen Wochen” vorlegen, wie es in seinem Umfeld heißt. Die verantwortlichen Mitarbeiter in seinem Kabinett und den beteiligten Generaldirektionen arbeiteten derzeit nahezu rund um die Uhr, heißt es in der Kommission, ihre Weihnachtspause sei “sehr kurz ausgefallen”.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den Chips Act erst Mitte September in ihre Rede zur Lage der EU angekündigt – und damit auch viele im eigenen Haus überrascht. Der Vorschlag war zunächst für die zweite Jahreshälfte 2022 terminiert worden. Aus der Warte Bretons viel zu spät: Der frühere CEO sieht angesichts von akuter Lieferkrise und geopolitischer Bedeutung des Sektors großen Handlungsdruck. Derzeit steht das Vorhaben ohne konkretes Datum in der unverbindlichen Planung der Behörde.
Andere in der Kommission aber warnen, übertriebene Eile könne handwerkliche Fehler verursachen. Dazu zählt dem Vernehmen nach auch Vizepräsidentin Margrethe Vestager. Die Skeptiker verweisen auf andere Beispiele wie den Data Act: Der interne Ausschuss zur Regulierungskontrolle hatte im November die ebenfalls unter hohem Zeitdruck erstellte Folgeabschätzung wegen Mängeln an die Dienststellen zurückverwiesen.
Auch Experten mahnen: “Die Halbleiterindustrie in Europa braucht eine langfristig wirksame Strategie mit den richtigen Rahmenbedingungen, die Kommission sollte deshalb nichts übers Knie brechen“, sagt Julia Hess, Forscherin bei der Stiftung Neue Verantwortung (SNV).
Die Eile, die Breton wohl im Einverständnis von der Leyens an den Tag legt, erklärt sich aus dem höchst ehrgeizigen Ziel: Bis 2030 soll der Anteil Europas an der Halbleiterproduktion weltweit von derzeit weniger als zehn auf 20 Prozent steigen. Wenn sich der Markt bis dahin wie erwartet verdoppeln sollte, müssten sich die Produktionskapazitäten in der EU in den verbliebenen acht Jahren in etwa verfünffachen.
Um das zu ermöglichen, sieht der European Chips Act drei Bausteine vor:
Der Schwerpunkt liegt auf dem zweiten Punkt, der Ansiedlung neuer Fabriken europäischer Hersteller und internationaler Konzerne wie Intel, Samsung oder TSMC aus Taiwan. Der Chips Act soll präzisieren, wie stark der beihilferechtliche Rahmen dafür gelockert wird (Europe.Table berichtete). Etliche Regierungen, allen voran Berlin und Paris (Europe.Table berichtete), buhlen bereits mit der Aussicht auf Milliardenförderung um die Unternehmen, der US-Anbieter Intel will in Kürze seine Standortentscheidung verkünden. Die Errichtung neuer Fertigungskapazitäten benötigt allerdings Jahre. Hohe Zuschüsse für die Firmen sind international üblich – ohne Förderung lassen sich in der kapitalintensiven Branche kaum ein Konzern zu einer Investition bewegen.
Hess aber warnt, ohne ein realistisches Bild vom tatsächlichen Bedarf in Europa bestehe “die Gefahr, dass Subventionen nicht wirklich effektiv sind”. Etliche Industrieverbände mahnten bereits, Breton dürfe die Förderung nicht einseitig auf “Leading Edge”-Halbleiter mit sehr kleinen Strukturgrößen legen. Europas Unternehmen fragten solche Chips bislang kaum nach, in wichtigen Abnehmerbranchen wie der Autoindustrie oder der Medizintechnik seien deutlich größere Strukturen gefragt. Europas Langzeitstrategie solle die Produktion von technologisch führenden Komponenten für die heimischen Schlüsselindustrien fördern, “ohne sich auf bestimmte Strukturgrößen oder Technologien zu beschränken”, forderte der Branchenverband Semi gerade in einer Stellungnahme.
Wolfgang Weber, Vorsitzender der Geschäftsführung des Branchenverbandes ZVEI, mahnt: “Es ist essenziell, dass Europa Kompetenzen bei allen Halbleitertypen hat”. Der European Chips Act müsse ein günstiges Umfeld für Investitionen schaffen – angefangen bei der Förderung von Auf- und Ausbau von Produktionskapazitäten, Steueranreizen, über die Beschleunigung von Baugenehmigungen bis hin zur Stärkung der Nachwuchsförderung.
SNV-Expertin Hess fordert zudem darauf, den Fokus nicht zu stark auf die Chipfabriken zu legen. Andere Teil der Wertschöpfungskette, das vorgelagerte Chipdesign oder das nachgelagerte Verpacken der Halbleiter, seien ebenso wichtig. “Gerade Advanced Packaging wird immer wichtiger, um die Leistungsfähigkeit der Chips weiter zu verbessern”, sagt sie. Hier aber liege Europas Anteil derzeit nur bei fünf Prozent. Hess: “Auch hier müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden, und zwar nicht notwendigerweise durch Subventionen”.
Es gibt eine Website, auf der für die Vorteile der digitalen Verordnung geworben wird. Auch eine App steht zum Download zur Verfügung und wurde bereits zehntausende Male heruntergeladen. Das E-Rezept sollte eine der ersten Pflichtanwendungen im digitalen Gesundheitssystem werden. Doch der verpflichtende Start des E-Rezepts in Deutschland scheiterte vor wenigen Wochen medienwirksam.
Wie die elektronische Verordnung funktionieren soll, lässt sich schnell zusammenfassen: Die Arztpraxen erstellen ein elektronisches Rezept und übermitteln es über die sogenannte Telematikinfrastruktur verschlüsselt an einen Server der Gematik, die nationale Agentur für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. Die Patienten bekommen einen QR-Code, entweder als Ausdruck oder digital in der App. In der Apotheke der Wahl zeigt man den erhaltenen QR-Code vor. Damit kann der Apotheker das dazugehörende Rezept aufrufen und das Medikament ausgeben.
Nach Jahren der Vorarbeit und einer halbjährlichen Testphase sollte die elektronische Verordnung zum 1. Januar 2022 verpflichtend umgesetzt werden. Doch das ist krachend gescheitert. Nur rund eine Woche vor dem Stichtag zog der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Reißleine. Zuvor trugen die Beteiligten ihre Differenzen mehr oder minder öffentlich aus.
Bereits in der Testphase hatte die Gematik große Schwierigkeiten, Tester zu gewinnen. Am Anfang war lediglich ein Softwareanbieter bereit und in der Lage, “seine” Ärzte mit der entsprechenden Software auszustatten, wie die Agentur auf Nachfrage mitteilte. Der Hersteller deckt dabei lediglich drei Prozent des Marktes ab. Insgesamt tummeln sich auf dem extrem fragmentierten Markt für Arztpraxissoftware rund 160 Anbieter.
Auch bei den Krankenkassen war das Interesse überschaubar. Nur zwei Krankenkassen wollten am Anfang der Testphase dabei sein. Dann machte auch noch die Technik Probleme, was von der Ärzte- und Apothekerschaft heftig kritisiert wurde. Die regionale Testphase wurde deshalb bis Ende November verlängert. Die erhoffte Wende brachte das aber auch nicht.
In ungewohnter Einigkeit haben sich einige Gesellschafter der Gematik, darunter die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die Bundesärztekammer (BÄK) und der deutsche Apothekerverband (DAV), im Dezember gegen die bundesweite Einführung des elektronischen Rezepts gestellt: “Die Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und Krankenhäuser appellieren […] dringend an den Gesetzgeber, die Anwendung des E-Rezeptes erst nach einer ausreichenden Testphase und erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in den Praxen vorzusehen”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Die KBV ging noch weiter und sagte die verpflichtende Einführung des E-Rezepts in Eigenregie und ohne Absprache mit den Partnern quasi ab: “Sofern die Apotheken in räumlicher Nähe zur Praxis nicht in der Lage oder nicht dazu bereit sind E-Rezepte zu empfangen und einzulösen, kann die Vertragsarztpraxis dem Versicherten ein Papierrezept auf Muster 16 ausstellen”, lautete die Empfehlung, die die KBV an die Ärzte verschickte. Man gehe davon aus, dass die erforderlichen Prozesse und Komponenten für das E-Rezept “frühestens Mitte 2022 flächendeckend zur Verfügung stehen werden”.
Die Digitalisierungsbehörde sieht die von den Ärzten und Apothekern beklagten technischen Probleme nicht in ihrer Verantwortung. Man habe zum 1. Juli und damit termingerecht alle Voraussetzungen geschaffen, die in den Zuständigkeitsbereich der Gematik fielen, teilte man auf Nachfrage mit. Stand heute funktioniere das E-Rezept rein technisch fast überall in Deutschland.
Zwar waren die Krankenkassen bei der Allianz der Ärzte und Apotheker gegen das E-Rezept nicht dabei. Auf Twitter warf Gematik-Geschäftsführer Markus Leyck Dieken dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen dennoch vor, sich nicht ausreichend beteiligt zu haben. Die Kassen hätten ihren Versicherten etwa die für die Nutzung der E-Rezept-App notwendigen NFC-fähigen elektronischen Gesundheitskarten nicht zugeschickt.
Zuletzt wurde öffentlich, dass die Vorstandschefs von TK, Barmer, DAK-Gesundheit, AOK Bayern, IKK classic, Hanseatischer Krankenkasse und BIG direkt gesund sich Mitte Dezember in einem Schreiben an den neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach gewandt haben und für das eigene E-Rezept-Projekt geworben haben.
Laut Medienberichten haben die Kassenchefs angeboten, “unser funktionierendes Projekt eRezept Deutschland unter Verwendung der Telematikinfrastruktur fortzusetzen und zu erweitern, damit in Deutschland weiterhin und zunehmend E-Rezepte ausgestellt werden können”. Voraussetzung soll allerdings sein, dass das E-Rezept künftig nicht nur über die App der Gematik läuft, sondern auch über Kassen-Apps.
Die Antwort des Gesundheitsministers, die derzeit laut BMG vorbereitet wird, dürfte die Kassenchefs enttäuschen. Nach der geltenden Rechtslage sei für die Weiternutzung der Kassen-App für die elektronische Verordnung kein Raum, teilte das BMG auf Anfrage mit. Nur eine App der Gematik dürfe genutzt werden.
Wie es in Deutschland mit dem E-Rezept weitergeht, wird laut Bundesgesundheitsministerium in den kommenden Wochen mit den Gesellschaftern abgestimmt. Die Gematik soll den Test- und Rollout-Prozess weiterhin eng begleiten. Außerdem hat das Gesundheitsministerium KBV, ABDA und DKG dazu verdonnert, ab diesem Monat laufend Updates zum Ausstattungsgrad der Apotheken, Praxen und Krankenhäuser zu geben. Die Gematik soll im Gegenzug ihre Gesellschafter und die Öffentlichkeit transparent zum aktuellen Stand der Einführung informieren.
Nach diesem öffentlichkeitswirksamen Scheitern bleibt Deutschland im internationalen Vergleich weiter eines der Schlusslichter, wenn es um die Einführung eines E-Rezepts geht. In den meisten EU-Mitgliedstaaten, darunter in Kroatien, Dänemark, Estland, Finnland, Lettland, Litauen, Norwegen, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien und den Niederlanden, gehört dieses längst zum Versorgungsalltag, wenn auch nicht überall auf demselben Entwicklungsstand. In Österreich läuft derzeit die Testphase. Mitte 2022 soll das E-Rezept dort flächendeckend zur Verfügung stehen.
In Estland, Dänemark, Schweden, Finnland und Portugal werden die elektronischen Verordnungen in einer Datenbank gespeichert und sind für befugte Ärzte und Apotheker einsehbar. Im Digitalisierungsmusterland Estland ist das E-Rezept mit einer elektronischen Patientenakte (EPA) verknüpft. Die Praxissoftware lädt das Rezept automatisch in die Datenbank hoch. Um es anschließend einzulösen, müssen sich Patienten in einer Apotheke mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte identifizieren.
In Dänemark laufen sämtliche Verschreibungen über eine App und sind sowohl für den Arzt als auch Patienten dort einsehbar. Einer Bertelsmann-Studie zufolge ist es zudem möglich, die Rezepte elektronisch zu übermitteln, aufzuheben oder auch Folgerezepte anzufordern. Auch der Zugriff auf die nationale Gesundheitsplattform des Landes läuft über diese App.
In anderen Staaten wie Italien, Spanien, Frankreich und den Niederlanden funktioniert der Austausch von Rezept- und Medikationsdaten dagegen nur regional oder partiell. Grund dafür sind “regional beschränkt funktionierende Systeme oder begrenzte technische Verfügbarkeit auf nationaler Ebene”, heißt es in der Bertelsmann-Analyse.
Außerdem ist in Estland, Finnland, Kroatien und Portugal möglich, elektronische Rezepte länderübergreifend einzulösen. Der Datenaustausch läuft über die eHealth-Diensteinfrastruktur (eHDSI) der EU, die die nationalen E-Health-Dienste verbindet. Grundlage für den Austausch der Gesundheitsdaten ist unter anderem die 2011 beschlossene EU-Richtlinie, die eine Behandlung europäischer Bürger über die Grenzen hinweg sicherstellen und den Mitgliedstaaten den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten ermöglichen soll.
Aber auch beim länderübergreifenden Austausch läuft es eher schleppend. Noch 2019 ging die Kommission davon aus, dass ab Ende 2021 bis zu 22 Mitgliedstaaten elektronische Verschreibungen und Patientenakten austauschen können. Die Realität ist ernüchternd: Seit 2019 sind zu den Vorreitern Finnland und Estland lediglich Kroatien und Portugal dazugekommen.
Angesichts des Konflikts mit Russland um die Ukraine hat die Regierung der USA laut Insidern mit Energiekonzernen Notfallpläne für Gas-Lieferungen nach Europa sondiert. Vertreter des Außenministeriums hätten mit den Unternehmen über Kapazitäten für höhere Liefermengen gesprochen, für den Fall, dass russische Gaslieferungen unterbrochen würden, hieß es in Branchen- und Regierungskreisen.
Dabei sei auch eine Verschiebung von Wartungsarbeiten erörtert worden, um die Gas-Produktion hochzuhalten. Die Unternehmen hätten erklärt, dass ein Ausfall großer Mengen aus Russland schwer zu ersetzen sei und dabei auf die weltweit knappen Gasvorräte verwiesen. Welche Konzerne angesprochen worden seien, wurde zunächst nicht bekannt. Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Russland, Deutschland sogar etwa die Hälfte. Sanktionen der USA gegen Russland aufgrund des Konflikts mit der Ukraine könnten die Lieferungen beeinträchtigen.
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA wollte sich nicht zu den Gesprächen äußern. Er bestätigte aber, dass eine Notfallplanung im Gange sei. Eine Sondierung von Auswirkungen möglicher Maßnahmen sei gängige Praxis. Dies zeige die Entschlossenheit der USA, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen.
Russland hat an der Grenze zur Ukraine rund 100.000 Soldaten zusammengezogen. Der Westen befürchtet eine Invasion, die Regierung in Moskau streitet solche Pläne ab. Die britische Außenministerin Liz Truss warf Moskau eine Desinformationskampagne gegen die Ukraine vor. Damit solle das Land destabilisiert und eine Invasion gerechtfertigt werden, erklärte die Außenministerin.
Die ukrainischen Behörden hatten am Freitagmorgen bereits einen massiven Cyberangriff auf Websites der Regierung gemeldet. Betroffen gewesen seien etwa die Seiten des Außenministeriums, des Kabinetts und des Sicherheits- und Verteidigungsrates. Am Samstag berichtete zudem Microsoft, der Softwarekonzern habe in Netzwerken von zahlreichen Regierungsstellen und private Organisationen in der Ukraine eine Schadprogramm entdeckt. Dabei handele es sich wahrscheinlich um Ransomware, mit deren Hilfe die Angreifer die Rechner kapern und unbrauchbar machen können.
Die ukrainischen Sicherheitsbehörden vermuten die Urheber des Angriffs im Umfeld belarussischer Geheimdienste. Die von den Angreifern eingesetzte Schadsoftware ähnele zudem Programmen, die Hacker aus der Umgebung russischer Geheimdienste nutzten, erklärte der Vizesekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Serhij Demedjuk.
Die US-Regierung bot Kiew Unterstützung bei der Untersuchung des Hackerangriffs an, wollte sich aber nicht auf die Urheberschaft festlegen. Man könne den Angriff noch nicht zuordnen, sagte ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den Vorfall auf das Schärfste und erklärte, alliierte Experten würden der Ukraine in den kommenden Tagen eine Plattform für den Informationsaustausch bei der Cyberabwehr zur Verfügung stellen.
Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow hatte am Donnerstag nach mehreren Gesprächsrunden mit westlichen Staaten vor einer Sackgasse gewarnt. Die US-Regierung und deren Verbündete wollten den Forderungen nach Sicherheitsgarantien Russlands nicht nachkommen. Russland werde nun “andere Maßnahmen und Techniken” anwenden. Am Montag reist Bundesaußenministerin Annalena Baerbock zu Gesprächen in die Ukraine und am Dienstag weiter nach Russland. rtr/tho
Nachdem die liberale Renew-Fraktion vergangene Woche einen Sonderausschuss zum Einsatz der umstrittenen Ausspähsoftware Pegasus des israelischen Herstellers NSO in EU-Mitgliedstaaten gefordert hat, ist hierfür derzeit noch keine Mehrheit im Europaparlament erkennbar. Ob ein solcher Ausschuss noch kommt, dürfte sich erst in den kommenden Wochen klären.
Die niederländische EP-Innenpolitikerin Sophie in ‘t Veld (D66/Renew) gehört zu den Befürwortern eines Sonderausschusses. Sie verweist dabei auch auf vergangene Sonderausschüsse: Bei Echelon und bei der NSA-Affäre, aber auch bei Dieselgate und der Aufarbeitung geheimer CIA-Gefängnisse in Europa hätten EP-Sonderausschüsse das Scheinwerferlicht auf wichtige Vorgänge lenken können. Ein EP-Ausschuss verfüge zwar nicht über Sonderrechte wie eine Vorladung. “Auch wenn die Befugnisse des Parlaments beschränkt sein mögen, sollten wir sie bis zum Maximum ausreizen”, so in ‘t Veld.
Die deutsche SPD-Abgeordnete Birgit Sippel befürwortet auf Anfrage von Europe.Table hingegen vorerst eine weitere Behandlung im Rahmen des EP-Innenausschusses. Dieser hatte im November eine erste Anhörung zum Thema durchgeführt, für Februar ist die nächste Anhörung geplant. Es müsse eine intensive Untersuchung stattfinden, so Sippel. Ob es dafür ein eigenes Gremium brauche, sei aber noch offen: “Die Frage, ob über diese eingehenden Untersuchungen hinaus auch ein Untersuchungsausschuss notwendig sein wird, müssen wir im Lichte der Erkenntnisse aus diesen Anhörungen entschieden”.
Auch die Unions-Innenpolitikerin Lena Düpont fordert “aufgrund der Schwere der Eingriffe in die Privatsphäre der Betroffenen und des zweckentfremdeten Einsatzes der Software” eine ordentliche Aufarbeitung. “Illegale staatliche Eingriffe oder Überwachung von Journalisten, Anwälten und Oppositionellen sind und bleiben völlig inakzeptabel”, sagte sie Europe.Table. Es handele sich nicht nur um Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch gegen grundlegende Werte wie Medien- und Redefreiheit. Teil der EVP im Europaparlament ist auch die von Pegasus-Einsätzen betroffene polnische Bürgerplattform (PO).
Seitens der Fraktion der Grünen im Europaparlament war bis zum Wochenende keine Einschätzung zu erhalten. Pegasus soll sowohl in Polen und in Ungarn gegen Oppositionelle, Journalisten und Aktivisten eingesetzt worden sein, in Frankreich sollen Pegasus-Fälle auf den marokkanischen Geheimdienst zurückgehen. Düpont fordert, dass missbräuchliche Einsätze auch Konsequenzen nach sich ziehen: “Die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten, die die Spionagesoftware Pegasus illegal einsetzen, müssen zur Verantwortung gezogen werden”.
Unterdessen soll in Polen bereits am kommenden Montag ein Sonderausschuss zur Untersuchung der dortigen Vorfälle seine Arbeit aufnehmen, berichten polnische Medien unter Berufung auf den Ausschussvorsitzenden, den Senator der Bürgerplattform (PO/EVP) Marcin Bosacki. Der Fernsehsender TVN24 berichtete am Freitag, dass das Justizministerium unter Zbigniew Ziobro im September 2017 insgesamt 25 Millionen Złoty (etwa 5,5 Millionen Euro) für die Beschaffung “spezieller technischer Mittel zur Aufdeckung und Verhütung von Straftaten” aus dem Justizfond zur Verfügung gestellt hatte.
Empfänger war laut dem Bericht das umstrittene Zentrale Antikorruptionsbüro (CAB), das die Software dann beim polnischen Dienstleister Matic SA bestellt haben soll. Freigegeben hat die Gelder laut TVN24 der stellvertretende Justizminister Michał Woś.
In der Bundesrepublik liegen zumindest dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik nach Auskunft eines Sprechers weiterhin keine Erkenntnisse dazu vor, dass ein unrechtmäßiger Einsatz der Pegasus-Software stattgefunden hat. fst
Bundesinnenministerin Nancy Faeser und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson haben sich optimistisch gezeigt, mit neuer Regulierung spezifische Probleme im Netz adressieren zu können. Im Umgang mit außereuropäischen Anbietern wie Telegram brauche es ein gemeinsames europäisches Vorgehen, sagte Faeser bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin.
Die seit Dezember im Amt befindliche Innenministerin hatte in der vergangenen Woche mit Äußerungen in einem Interview mit der “Zeit” für Irritationen gesorgt, in dem sie eine nicht näher spezifizierte “Abschaltung” des Anbieters in den Raum stellte. Auf Nachfrage konnte das Bundesinnenministerium bislang keine genauere Definition beibringen, was die Ministerin mit dem Wort Abschalten genau gemeint haben könnte und verwies darauf, dass diese nur die Ultima Ratio sein könnte. Derzeit prüfe das BMI alle rechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Faeser betonte erneut die Wichtigkeit des Digital Services Act (DSA), der nach der Abstimmung im Europäischen Parlament in dieser Woche in den kommenden Monaten final zwischen Rat, Europaparlament und Kommission beraten werden soll.
Telegram steht in Deutschland vor allem deswegen in der Kritik, da Rechtsextreme und andere Gruppen dort vom Anbieter ungestört offen miteinander kommunizieren. Faeser und ihr zuständiger Justiz-Kollege Marco Buschmann (FDP) sehen Telegram in Teilen nicht als Kommunikationsdienst (Europe.Table berichtete), sondern als Plattform an. Damit würden für den Betreiber Pflichten nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz entstehen, die Telegram jedoch nicht einhält. Telegram unterhält keine Niederlassungen innerhalb der EU, die Firma sitzt offiziell in Dubai und damit außerhalb des direkten Zugriffs europäischer Behörden.
EU-Innenkommissarin Johansson verwies darauf, dass bereits die Regelung zu terroristischen Inhalten im Netz von Anbietern einen rechtlichen Vertreter in Europa einfordern werde. Allerdings betrifft Artikel 17 der am 7. Juni 2022 in Kraft tretenden Verordnung zur Bekämpfung terroristischer Online-Inhalte ausdrücklich nur die Hosting-Anbieter. In diese Kategorie hatte Telegram bislang noch keine Institution eingeordnet, erst der Digital Services Act der EU schafft für Plattformanbieter absehbar eine eigene Rechtskategorie.
Faeser kündigte auch Unterstützung für Johanssons Vorschlag eines Gesetzes an, das Anbieter verstärkt zum Vorgehen gegen Abbildungen sexuellen Missbrauchs von Kindern (CSAM) im Netz verpflichten und in wenigen Wochen vorgestellt werden soll (Europe.Table berichtete). Er solle die Erkennung und Entfernung von CSAM verpflichtend machen, sagte Johansson in Berlin. Dies dürfte technisch nur mit einem flächendeckenden Einsatz automatisierter Erkennungssysteme für Inhalte auf Plattformen möglich sein, deren Einsatz umstritten ist. fst
Die Übernahme des Münchener Chip-Zulieferers Siltronic durch den größeren taiwanischen Rivalen Global Wafers könnte am Widerstand der Bundesregierung scheitern. Der Hersteller von Siliziumscheiben (Wafer) für die Halbleiter-Produktion signalisierte am Freitagabend, dass die Hoffnung auf eine Genehmigung der Transaktion durch das Bundeswirtschaftsministerium schwinde: Von dort kämen keine Signale, “ob und unter welchen Umständen eine außenwirtschaftsrechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung” erteilt werden könne, teilten Siltronic mit. Es gebe keine Fortschritte in den Gesprächen.
Die Zeit drängt: Bis zum 31. Januar muss das Ministerium von Robert Habeck (Grüne) grünes Licht geben, sonst ist der vor mehr als einem Jahr vereinbarte Verkauf geplatzt. Global Wafers will mit Siltronic zum japanischen Weltmarktführer Shin-Etsu aufschließen und hat sich 70 Prozent der Aktien gesichert. Das Unternehmen hat laut Insidern verlangte Zugeständnisse gemacht, etwa ein Rückkaufsrecht im Falle eines Weiterverkaufs von Siltronic. Doch die Zusagen reichten dem Ministerium offenbar nicht aus, räumte Siltronic ein. Dieses habe “auch keine konkreten Zusagen oder Auflagen genannt, unter denen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt werden könnte”, hieß es in der Mitteilung.
Der Verkauf der früheren Tochter von Wacker Chemie nach Asien ist für die Regierung angesichts der Diskussionen um die akuten Chip-Engpässe ein sensibles Thema. Asien ist in der Halbleiter-Produktion dominierend. Nun gibt es Bestrebungen, die Chipindustrie wieder in Europa heimisch werden zu lassen – auch mit milliardenschweren Subventionen. rtr
Eineinhalb Jahre nach dem Schrems II-Urteil sind USA und EU weiterhin auf der Suche nach einer dauerhaften Lösung für die transatlantische Übertragung personenbezogener Daten. Zwei Ideen, die derzeit diskutiert werden, sind ein Datenschutz-Bundesgesetz in den USA und eine neue Vereinbarung für ein verbessertes, “enhanced Privacy Shield” zwischen dem US-Wirtschaftsministerium und der EU-Kommission.
Ein US-Bundesgesetz zum Privatsphärenschutz könnte das Problem beheben, doch ist ein solches unwahrscheinlich, zumindest kurzfristig. Seit Jahrzehnten scheitern Fürsprecher mit ihrem Einsatz dafür. Ein verbessertes Privacy Shield ist hingegen zwar wahrscheinlich, ohne flankierende Reform des US-Überwachungsrechtsrahmens jedoch hoffnungslos.
Das Schrems II-Urteil besagt unmissverständlich, dass “die gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die Grundrechte den Umfang der Einschränkung der Ausübung des betreffenden Rechts selbst festlegen muss” (Rn. 175). Wortwörtlich erlegt dies dem Kongress die Pflicht zur Behebung jener Missstände auf, die der EuGH festgestellt hat und schließt ein alleinstehendes “enhanced Privacy Shield” aus.
Dennoch könnte eine eher kleine Reform der US-Überwachungspraktiken, die die Einwände des EuGH zusammen mit einem verbesserten Privacy Shield berücksichtigt, eine gangbare vorläufige Lösung sein, bis ein Datenschutzgesetz auf US-Bundesebene in den kommenden Jahren verabschiedet wird.
Diese Option eines Mittelweges sähe wie folgt aus: Verabschiedung eines Privacy Shield Enabling Act (PSEA), der die US-Auslandsüberwachungsgesetze um Schutzmaßnahmen und Rechtsmittel ergänzt. Durch solche Reformen könnte der Kongress eine “enhanced Privacy Shield” -Vereinbarung ermöglichen, die ein Verfahren vor dem EuGH übersteht und damit jene Organisationen unterstützt, die auf den transatlantischen Transfer personenbezogener Daten angewiesen sind.
Die wesentlichen Anforderungen, die der PSEA erfüllen muss, um den Einwänden des EuGH Rechnung zu tragen, fallen in zwei Kategorien:
Berücksichtigt man diese Vorschläge, könnte der PSEA den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA) durch
Angenommen, der PSEA würde es ermöglichen, dass eine das Privacy Shield ersetzende Vereinbarung der Prüfung durch den EuGH standhielte, müsste es jedoch ebenfalls dem amerikanischen politischen Prozess und der Überprüfung US-amerikanischer Gerichte standhalten, wofür es keine Garantien gibt. FISA-Reformen waren immer wieder ein Ziel von Aktivisten für mehr Privacy, mit geringem Erfolg. Da inländischer Terrorismus zunehmend sichtbar wird, könnte eine FISA-Reform geringe Priorität haben. Ein weiteres Problem mit dem PSEA ist die Gewaltenteilung im US-Verfassungsrecht. Die präsidentielle Executive Order 12,333 ist unabhängig von FISA und wäre damit von den anderen Reformmaßnahmen nicht eingeschlossen, wenn der PSEA nicht einen siebten Bestandteil erhält:
Die Hinzunahme dieses siebten Vorschlags könnte den PSEA also insofern verfassungsrechtlich angreifbar machen, dass die Gewaltenteilung verletzt würde. Aber EO 12,333 auszunehmen und sich ausschließlich auf eine FISA-Reform zu konzentrieren wäre nicht genug für den PSEA, um das Ziel zu erreichen. Der Präsident könnte jederzeit einseitig die problematischen Elemente der EO 12,333 beenden und das Problem auf diese Art und Weise adressieren. Doch Regierungen kommen und gehen, und mit ihnen die politischen Mittel und Ziele. Ein künftiger Präsident, der bei der Nationalen Sicherheit kämpferischer ist, könnte einen anderen Kurs einschlagen und die problematischen Vorgehensweisen wieder anwenden, und damit auch das Problem neu entfachen.
Es gibt viele Stakeholder im Kontext der EU-US-Datentransfers, deren Interessen teils miteinander in Konkurrenz stehen. Eine wichtige Gruppe, die einbezogen werden muss, ist die US Intelligence Community. Deren Teilnahme ist zwingend nötig, damit ein umfassender PSEA entwickelt werden kann, der wirklich wirksame Sicherheitsmechanismen enthält. Diese Community könnte etwas zögerlich sein, sich zu beteiligen, da sie derzeit über einen umfassenden Zugang zu personenbezogenen Daten verfügt. Doch wenn diese Datenflüsse eine nutzbringende Informationsquelle sind, dann würde das Scheitern überschaubarer Reformen das Risiko bergen, den Zugang vollständig zu verlieren. Daher muss es auch im Interesse der Intelligence Community sein, dabei zu helfen, die obigen Vorschläge umzusetzen.
Eine gemeinsame Basis für die unterschiedlichen Akteure ist schwierig, aber nicht unmöglich. Die USA, die EU, die Weltwirtschaft, sie alle haben viel zu verlieren, wenn diese Datenflüsse versiegen. Der PSEA ist ein Rahmen, auf dem alle Stakeholder aufbauen können, um eine Lösung zu erreichen.
Dieser Standpunkt basiert auf einer Veröffentlichung des Autoren im Minnesota Law Review.
Der alten Bundesregierung galt die Konferenz zur Zukunft Europas als Spielwiese für Europaenthusiasten, von niemandem ernst genommen, außer (vielleicht) von Emmanuel Macron. Das ändert sich gerade mit der Ampel-Regierung.
Eineinhalb Stunden Zeit nahm sich Annalena Baerbock am Sonntagmittag, um sich die Vorschläge des Nationalen Bürgerkonvents anzuhören und zu kommentieren. Ebenfalls zugeschaltet im “Weltsaal” des Auswärtigen Amtes: ein halbes Dutzend von Spitzenbeamt:innen. Im Falle von Wirtschaftsstaatssekretärin Franziska Brantner mit instabiler Internetverbindung aus Brandenburg, im Falle von Undine Ruge, der europapolitischen Beraterin von Olaf Scholz, aus dem Kanzleramt. Das hochrangige Empfangskomitee sollte signalisieren: Seht her, wir nehmen es ernst mit der Bürgerbeteiligung.
Viele der Vorschläge der 100 zufällig ausgewählten Delegierten sind auch durchaus anschlussfähig für die Berufspolitiker. Eine Arbeitsgruppe schlug vor, Anreize zur Produktion von Grundversorgungsgütern in der EU zu schaffen, um die Lieferketten klimafreundlicher und politisch weniger angreifbar zu gestalten. Das würde nicht nur Macron sofort unterschreiben. Eine andere Gruppe schlug vor, Herstellern Vorgaben zu machen, ihrer Produkte langlebiger und reparierbar zu konstruieren. An einem entsprechenden Vorschlag arbeitet gerade die EU-Kommission.
Nur: Was mit den Ideen der engagierten Bürger passiert, ist völlig unklar. Die sollen zunächst in die Sitzung des Plenums des Zukunftskongresses am nächsten Wochenende eingespeist werden, in dem auch Abgeordnete und Vertreter der nationalen Regierungen sitzen. Der weitere Weg liegt im Nebel.
Macron will Frankreichs Ratspräsidentschaft nutzen, um im Mai erste Schlussfolgerungen zu präsentieren (seine Wiederwahl im April vorausgesetzt). Die Ampel-Partner wiederum haben sich im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Zukunftskonferenz solle in einen verfassungsgebenden Konvent münden und “zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen”.
Andere Regierungen aber bekommen bei so viel integrativem Ehrgeiz Magenkribbeln. Sie hatten schon vor dem Start alles darangesetzt, die Konferenz so aufzusetzen, dass sie kaum greifbare Resultate erbringen konnte. Die Gefahr ist real, dass das partizipatorische Experiment ohne greifbare Ergebnisse endet. Dann aber könnte es sich noch als Fehler erweisen, dass Baerbock und Co den Zukunftskongress aus dem Schatten geholt haben. Till Hoppe