am kommenden Donnerstag soll der Digital Services Act (DSA), nach dem Digital Markets Act (DMA) das zweite Großvorhaben unter französischer Ratspräsidentschaft, final im Trilog beraten werden. Vor allem zwei Themen beschäftigen die Verhandler noch – mit ungewissem Ausgang. Falk Steiner analysiert die beiden Stolpersteine.
Nach dem Streit um die Klima-Taxonomie bahnt sich nun ein Konflikt um die “soziale” Taxonomie an. Dabei geht es um die Frage, ob die EU-Kommission die Herstellung von Waffen als eine sozial nachhaltige Investition einstufen kann. Ella Joyner ist der Frage nachgegangen, was eine Einstufung als sozial schädlich konkret bedeuten würde.
Gestern haben die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten die Positionierung des Rates zur Schaffung grüner Staatsanleihen gebilligt. Mit sogenannten Green Bonds kann die EU nachhaltige Investitionen finanzieren.
Was derzeit für grundlegende regulatorische Weichen in der digitalen Welt gestellt werden, findet Oliver Süme “einfach Wahnsinn”. Süme beschäftigt sich als Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Internetwirtschaft ECO schon seit 1998 mit Rechtsfragen rund um das Internet, wie Sie im Portrait lesen können.
Wesentliche Knackpunkte vor dem EU-Trilog sind vor allem zwei noch nicht abschließend geklärte Themenkomplexe: Zum einen das Thema der Dark Patterns, bei denen die französische Ratspräsidentschaft im Zuge der Verhandlungen zum Digital Markets Act eine Lösung im Digital Services Act fest zugesagt hat. Und zum anderen der vom Parlament ausdrücklich gewünschte bessere Schutz von Minderjährigen vor verhaltensbasierter Werbung – dem sogenannten Tracking.
Beiden Sachverhalten liegt dabei das gleiche Problem zu eigen: Eigentlich gibt es bereits Regelwerke, die das Verhalten der Anbieter sanktionieren müssten. So ist die Datenverarbeitung Minderjähriger per Artikel 8 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und Artikel 6 bereits im Regelfall verboten, solange die Erziehungsberechtigten keine Einwilligung erteilen. Und auch die Dark Patterns genannte Methode, Nutzern über visuelles Nudging eine den Anbieterinteressen entsprechende Zustimmung abzuluchsen, ist als wahrscheinlich irreführende Praxis bereits Gegenstand der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der DSGVO.
Allerdings gibt es in beiden Bereichen ein massives Vollzugsdefizit: Bei den Dark Patterns ist das bisherige System der Unterlassungsaufforderung und des anschließenden Gerichtsweges zu langsam, um Anbieter zeitnah die Verwendung untersagen zu lassen. Hinzu kommt, dass leichte Änderungen der angegriffenen Variante dazu führen können, dass ein weiteres, neues, ebenfalls oft langwieriges Verfahren nötig wird.
Dies ließe sich über ein allgemeines Verbot im DSA absehbar deutlich entschärfen. Offen war zuletzt aber noch, wie weit ein Dark Pattern-Verbot gefasst sein soll: Welche Anbieter sollen unmittelbar von der DSA-Regelung betroffen sein? Entweder wird ein Pauschalverbot für alle vom Digital Services Act erfassten Dienste erlassen – oder eines, das sich auf bestimmte Bereiche, etwa die besonders großen Plattformen und Suchmaschinen (VLOPS und VLOSE) beschränkt, bei denen die Rechtsdurchsetzung regelmäßig der EU-Kommission obliegen soll.
Parallel stehen jedoch gerade Einwilligungsverwaltungen derzeit eh bereits auf tönernen Füßen (Europe.Table berichtete), auch wenn die Anbieter von Onlinewerbung sich derzeit noch Hoffnung machen, dem aus ihrer Sicht nicht gerechtfertigten Beschluss der belgischen Datenschutzaufsicht noch die Zähne zu ziehen.
Beim Schutz der Daten Minderjähriger wiederum wären für die Durchsetzung eigentlich die Datenschutzaufsichtsbehörden zuständig – doch die haben dem Thema bislang nicht Priorität eingeräumt und auch die Zahl der Beschwerden zum Thema sei sehr gering, berichtet der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Thomas Fuchs. Problematisch sei aus seiner Sicht vor allem die zweistufige “Nachweisobliegenheit der Verantwortlichen”, so Fuchs, wie sie sich aus Artikel 8 der DSGVO ergebe. Immer wieder wenden Anbietervertreter ein, dass die Identifikation von Minderjährigen bereits eine – womöglich unzulässige – Datenerhebung erfordern würde (Europe.Table berichtete). Denn wer vor dem Gerät sitzt, ließe sich nicht ohne Datenerhebung prüfen. Grundsätzlich stimmt der Hamburgische Datenschutzbeauftragte dem zu – und plädiert als Lösung für zertifizierte Verfahren zur Altersverifikation.
Ein “umständliches Verfahren” sei der Weg über die DSGVO, schimpft auch Claudio Teixeira vom europäischen Verbraucherorganisations-Dachverband BEUC. “Ein Verbot von Techniken, die personenbezogene Daten von Kindern für verhaltensbezogene Werbung verarbeiten, zur Verfügung stellen oder ableiten, würde das Problem für Minderjährige an der Quelle beseitigen.” Sprich: Das heutige Durchsetzungsdefizit würde mit einem rigideren und einfacher durchsetzbaren Verbot behoben.
Der letzte Vorschlag der französischen Ratspräsidentschaft für einen Kompromissvorschlag sieht vor, dass Anbieter dann keine verhaltensbezogenen Daten erheben dürfen, “wenn sie wahrnehmen, dass der Nutzer ein Minderjähriger ist.” Den Anbietern dürfte das gefallen, könnten sie so doch kurzerhand möglichst jede positive Kenntnis vermeiden – die Parlamentsposition würde dies jedoch vollkommen ad absurdum führen. Das die Bundesposition koordinierende Bundesministerium für Digitales und Verkehr erklärte auf Europe.Table-Anfrage, dass die Bundesregierung ein Verbot der Werbeverarbeitung von Daten Minderjähriger begrüße und sich in diesem Sinne im Rat positioniert habe. Ob diese Positionierung mit dem aktuellen französischen Vorschlag zusammenpasst, darf bezweifelt werden.
Unstrittig ist hingegen, dass Werbung bei speziell für Kinder gemachten Angeboten künftig nicht mehr trackingbasiert sein soll. Damit würde man etwa an die Regelungen der Richtlinie für Audiovisuelle Medien anknüpfen. Allerdings nutzen Minderjährige in vielen Fällen auch Angebote, die sich formal an Erwachsene richten – etwa YouTube, Google, Twitch, Discord, Instagram oder TikTok. Auch die Behörde des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten Thomas Fuchs ist bei Medienangeboten auf Probleme gestoßen: “Hierbei fällt auf, dass die Verantwortlichen nicht genügend danach differenzieren, ob sich ihre Angebote an Kinder oder Volljährige richten oder die Nutzung des Dienstes zumindest auch Kindern und Jugendlichen offen steht, sogenannte Dual Use Angebote.” Die aufgefallenen, direkt an Kinder gerichteten Online-Angebote will die Behörde nun datenschutzrechtlich überprüfen.
Doch das Problem geht über Angebote für Kinder und solche, die auch Inhalte für Kinder enthalten, hinaus: Verhaltensbasierte Werbung oder zumindest deren Tracking-Technologien sind in sehr vielen weiteren Angeboten eingebettet. Auch dieser Sachverhalt müsste, um Kinder tatsächlich wirksam vor Tracking zu schützen, von der Regulierung umfasst werden.
Das Problem der bereits nach DSGVO kaum zulässigen Praxis bleibt also weiterhin kaum auflösbar, ohne ganz neue Probleme zu schaffen. Der sauberste regulatorische Ausweg aus diesem Problem wäre also ein Komplettverbot bis zu einer wirksamen Einwilligung – damit wären Minderjährige geschützt, das politisch gesteckte Ziel wäre jedoch deutlich überschritten. Für BEUC wäre das jedoch eine erfreuliche Lösung, sagt Verbraucherschützer Claudio Teixeira: “Letztendlich sind wir der Meinung, dass die kommerzielle Überwachung gestoppt und ein vollständiges Verbot von verhaltensbezogener Werbung durchgesetzt werden sollte.” Applaus aus der Digitalwirtschaft dürfte in diesem Fall jedoch ausbleiben – doch andere Lösungen sind eine Woche vor dem letzten geplanten Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat weiterhin Mangelware.
Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
19.04-20.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika, Folgen der Ukraine-Krise für die globale Nahrungsmittelsicherheit, Berichtsentwurf zur künftigen europäischen Finanzarchitektur zur Förderung der Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
19.04-20.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds, Entwurf einer Stellungnahme zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems, Entwurf einer Stellungnahme zur künftigen europäischen Finanzarchitektur zur Förderung der Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
19.04-20.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, Berichtsentwurf zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr, Entwurf einer Stellungnahme zu harmonisierten Vorschriften für künstliche Intelligenz.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET)
20.04-21.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nach der Invasion der Ukraine durch Russland, Aussprache mit dem EAD zu den Beziehungen zwischen der EU und Russland.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Haushaltskontrolle (CONT)
20.04-21.04.2022
Themen: Umsetzungsbericht über die Aufbau- und Resilienzfazilität.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
20.04-21.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zum Politikprogramm für 2030 “Weg in die digitale Dekade”, Berichtsentwurf zu Maschinenbauerzeugnissen, Berichtsentwurf zu Verbraucherkrediten.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI)
20.04-21.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zu einer neue EU-Waldstrategie für 2030 (nachhaltige Waldbewirtschaftung in Europa).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für internationalen Handel (INTA)
20.04.2022 13:45-18:45 Uhr
Themen: Berichtsentwurf zur Zukunft der Auslandsinvestitionspolitik der EU sowie Bericht der Kommission über die Durchführung und die Anwendung des Abkommens über Handel, Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland 1. Januar bis 31. Dezember 2021
Vorläufige Tagesordnung
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und des Ausschusses für Kultur und Bildung (CULT)
20.04.2022 13:45-15:45 Uhr
Themen: Öffentliche Anhörung und Stellungnahme zum Thema “Neues Europäisches Bauhaus”.
Vorläufige Tagesordnung
Tagung zum Thema Datenverfügbarkeit
21.04.2022
Themen: Vertreter der Mitgliedstaaten, der europäischen Institutionen und der betroffenen Agenturen kommen zusammen, um juristische und operative Herausforderungen im Hinblick auf Digitalisierung und Verschlüsselung von Kommunikationsmitteln zu diskutieren.
Infos
Sitzung des Ausschusses für regionale Entwicklung (REGI)
21.04.2022 09:00-18:45 Uhr
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU, Entwurf einer Stellungnahme zum Neuen Europäischen Bauhaus, Entwurf einer Stellungnahme zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe.
Vorläufige Tagesordnung
DSA-Trilog
22.04.2022
Themen: Vertreter:innen von EU-Kommission, EU-Parlament und Rat der EU kommen zur 5. und voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde des Trilogs zum Digital Services Act (DSA) zusammen.
Hintergrund
Könnte die Kommission die Herstellung von Waffen unter Umständen als eine sozial nachhaltige Investition einstufen? Die politische Debatte und der Prozess um die soziale Taxonomie schreiten voran, auch wenn der Zeitpunkt für Entscheidungen noch etwas entfernt liegt.
Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, eine von der Kommission beauftragte Beratergruppe, erklärte im Februar, dass die Produktion von Rüstungsgütern – zumindest bestimmter Arten – höchstwahrscheinlich keine akzeptable Option für vermeintlich soziale Investoren ist. Sie sei ein Beispiel für “erheblich schädliche Aktivitäten …, die grundlegend und unter allen Umständen im Widerspruch zu sozialen Zielen stehen.” Die Grundlage dafür seien zahlreiche internationale Abkommen, die bestimmte Waffentypen ächten.
Es überrascht kaum, dass das auf Zustimmung bei Aktivisten stößt. Industrielobbyisten erachten eine pauschale Einstufung hingegen als schädlich und fehlgeleitet – vor allem in der jetzigen Lage. Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit, argumentiert etwa Hans Christoph Atzpodien (Europe.Table berichtete) vom Verband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV): “Wir müssen in unsere Sicherheit investieren, um unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.”
Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU/EVP) reagierte empört auf den Bericht des Beratungsgremiums: “In der aktuellen Situation ist es oberste Priorität, die Leistungsfähigkeit der europäischen Industrie zu stärken”, so Ferber. “Keinesfalls dürfen wir jetzt die Leistungsfähigkeit der europäischen Industrie durch falsch verstandenen Übereifer im Bereich der Nachhaltigkeit gefährden.”
Doch der Bericht lässt sich unterschiedlich interpretieren. Laut Jan Pie, Generalsekretär des Branchenverbands der europäischen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie ASD, könnte die Branche mit einer Einstufung für kontroverse Waffen leben, solange diese klar definiert seien.
Der Bericht sei anders ausgefallen, als der ASD erwartet hätte. “Die Verteidigungsindustrie als solche – als wesentliches Element, um militärische Fähigkeiten der Demokratien aufzubauen – wird durch den Bericht der Plattform nicht infrage gestellt”, sagte Pie. Er betont: Der Ball liege eigentlich bei der EU-Kommission. Sie ist bei der Klima-Taxonomie den Ratschlägen der Plattform nur teilweise gefolgt. Ihre Entscheidung wird nun in einer äußerst angespannten Sicherheitslage getroffen werden.
Die Plattform hat ihren Bericht wenige Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine veröffentlicht, zeitlich eine reine Koinzidenz. Innerhalb weniger Tage kündigten mehrere Mitgliedstaaten Pläne an, Hunderte Milliarden Euro mehr für die Verteidigung auszugeben. Überall in Europa werden die nationalen Haushalte angepasst, um die kostspieligen Investitionen zu ermöglichen.
Eine Möglichkeit, die Kosten für Panzer, Schiffe und Waffen für die Steuerzahler niedrig zu halten, besteht nach Ansicht der Rüstungsindustrie darin, einen günstigen Zugang zum Kapitalmarkt für Rüstungsunternehmen zu ermöglichen. Die Branche klagt oft über Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung, weil Finanzhäuser, die sogenannte ESG-Kriterien befolgen, ihr Geld nicht in die Rüstungsindustrie fließen lassen.
Die “falsche Wahrnehmung”, dass Rüstungsproduktion ethisch verwerflich sei, “könnte die Fähigkeit der Industrie, Finanzmittel zu sichern, ernsthaft untergraben und damit ihre Fähigkeit, die europäischen Streitkräfte mit modernster Ausrüstung zu unterstützen”, schrieb der ASD 2021 in einem Bericht.
Doch was würde eine Einstufung als sozial schädlich konkret bedeuten? Erstens wäre dies ein endgültiger Ausschuss aus der Klima-Taxonomie. Was nicht sozial verträglich ist, soll auch nicht als “grüne” Investition gelten. Die Kommission hat die Rüstungsproduktion aus der Klima-Taxonomie ausgeschlossen, weil sie sich auf die Aktivitäten mit dem größten ökologischen Fußabdruck konzentrieren wollte.
Daran wird sich auch trotz des Krieges in der Ukraine nichts ändern. Es gebe derzeit keine Pläne für eine Anpassung des Vorhabens, sagte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von Europe.Table: “Die Unternehmen der Verteidigungsindustrie werden weiterhin Zugang zu den Kapitalmärkten und Bankkrediten haben, wie alle Branchen, die noch nicht in der Taxonomie enthalten sind”.
Wichtiger für die Industrie wäre jedoch das Signal, das man für Investoren setzen würde. In der Branche ist ein Rüstungsausschluss aus Anlageportfolios eines der wichtigsten und gängigsten ESG-Kriterien. Laut Bloomberg haben einige große Akteure angekündigt, ihre Politik nach dem Krieg anzupassen, etwa die Commerzbank. Eine positivere Taxonomie-Einstufung könnte andere ermutigen, diesen Beispiel zu folgen.
Laut Jan Pie von ASD ist es schwierig, in Zahlen auszudrücken, was eine Einstufung als sozial schädlich für seine Industrie bedeuten könnte. Banken stünden sowieso unter Druck von Aktivisten, die ihre Anlagen unter der Lupe hätten.
Für die Aktivisten des Europäischen Netzwerks gegen Waffenhandel (ENAAT) ist bereits jetzt klar: Es wäre eine Schande, wenn Waffen nicht als schädlich eingestuft würden. “Unabhängig von den eigentlichen Konfliktursachen tragen Waffen zur Gewalt bei und verschärfen Konflikte, indem sie menschliche und finanzielle Ressourcen von friedlichen Lösungen ablenken.”
Die finnische Europaabgeordnete Alviina Alametsä (Grüne/EFA) sagt, sie verstehe, dass “wir in diesen schrecklichen Zeiten mehr in die Verteidigung investieren müssen.” Allerdings sei das nicht gleichbedeutend mit einer Aufnahme in die Taxonomie: “Ich finde es jedoch schwer zu rechtfertigen, dass die Rüstungsindustrie in der Taxonomie aufgeführt wird, da sie für soziale, grüne und ökologische Investitionen gedacht ist. Das unterstütze ich nicht”, sagte sie.
Die Soziale Taxonomie ist aber nicht der einzige Weg, um mehr Geld in die Branche fließen zu lassen. In ihrem neuen Strategischen Kompass haben sich die 27 Mitgliedstaaten zu höheren Verteidigungsausgaben und mehr Unterstützung für die Industrie verpflichtet (Europe.Table berichtete).
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ihr außenpolitischer Vize Josep Borrell und Binnenmarktkommissar Thierry Breton haben sich mehrfach für eine bevorzugte Behandlung der Rüstungsindustrie in Europa ausgesprochen. Dass in Europa die Industrie oftmals entlang nationaler Interessen und damit jeweils relativ klein dimensioniert ist, wird seit langem als Hindernis für die Entwicklung der Union zu einem kohärenten militärischen und außenpolitischen Akteur erachtet.
Polen hat eine Initiative für eine Sonderbehandlung von Verteidigungsausgaben im Rahmen der EU-Finanzregeln vorgeschlagen. Der Vorschlag Warschaus gehe “über” die Taxonomie hinaus, sagte ein polnischer Regierungsvertreter Europe.Table.
Die Frage ist nun, auf wen die Kommission hören wird. Zu den nächsten Schritten im internen Entscheidungsprozess will man sich dort derzeit nicht äußern. Noch gibt es nicht einmal einen möglichen Zeitplan. Die interne Debatte könnte hitzig werden, ähnlich hitzig wie es bereits bei der Klima-Taxonomie der Fall war. Ella Joyner
Die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten haben die Positionierung des Rates zur Schaffung grüner Staatsanleihen- auch Green Bonds genannt – gebilligt. Das teilte der Rat am Mittwoch mit. Green Bonds sind ein Instrument der EU, um Investitionen in nachhaltige Technologien im Energie-, Rohstoff-, Verkehrs- und Forschungssektor zu finanzieren.
Die Verordnung beinhalte einheitliche Anforderungen für Anleiheemittenten und schaffe ein Registrierungssystem und einen Aufsichtsrahmen für externe Bewerter der Green Bonds, heißt es in der Mitteilung. Das bedeutet, dass Anleihen nur unter mit dem sogenannten European Green Bonds Standard (EUGBS) als “grün” eingestuft werden können. Dafür müssen die Anleihen Taxonomie-konform sein, was eine externe Überprüfung bestätigen muss. Diese externen Überprüfer wiederum müssen bei der ESMA registriert sein.
Mit der Einigung im Rat beginnen zeitnah die Verhandlungen mit dem EU-Parlament. luk
Irland hat am Mittwoch neue Maßnahmen angekündigt, um die Belastung durch die steigenden Energie- und Benzinpreise zu verringern und eine Erhöhung der CO2-Steuer im nächsten Monat auszugleichen, die nach Ansicht einiger Oppositionsparteien verschoben werden sollte.
Die Regierung senkte den Mehrwertsteuersatz auf Strom– und Gasrechnungen für sechs Monate von 13,5 Prozent auf 9 Prozent, kündigte eine zusätzliche Zahlung von 100 Euro an ärmere Haushalte an und verlängerte eine Verbrauchssteuersenkung auf Benzin und Diesel um zwei Monate bis Ende Oktober. rtr
Die Ziele der Bundesregierung für Elektroautos auf deutschen Straßen sind einer DIW-Studie zufolge mit den aktuellen Verkaufszahlen nicht erreichbar. “Der Elektroautomarkt dürfte sich zwar in der Zukunft von sich aus dynamischer entwickeln, aber eine weitere Stärkung der klimapolitischen Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität ist nötig”, sagte Branchenexperte Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch.
Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat das Ziel ausgegeben, 2030 sollten auf deutschen Straßen mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw rollen. Dafür brauche es rechnerisch Monat für Monat im Schnitt 130.000 neue Elektroautos, so das DIW in seiner Studie. 2021 waren es pro Monat aber nur etwa 30.000 Stück.
Die Forscher empfehlen der Politik einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur, den Abbau umweltschädlicher Subventionen im Verkehrsbereich und langfristig Kaufanreize für E-Autos durch eine steigende CO2-Bepreisung.
Ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr müsse zudem den Kauf von Autos zumindest ein Stück weit obsolet machen. Das Steuer- und Abgabensystem sollte im Verkehrsbereich stärker auf Umwelt- und Klimaziele ausgerichtet werden. “Unsere Analyse zeigt, dass Kaufprämien für Elektro-Pkw Wirkung entfalten. Um die Ziele der schnelleren Marktdurchdringung zu erreichen, ist aber eine Vielzahl weiterer Maßnahmen nötig”, so das DIW. rtr
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Whistleblower besser schützen, damit Missstände in Unternehmen und Behörden leichter aufgedeckt werden. Der FDP-Politiker stellte dafür am Mittwoch einen Referentenentwurf vor, mit dem eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern umgesetzt werden soll. “Durch den Aufbau von internen Meldesystemen erhalten Hinweisgeber die Möglichkeit, ohne Angst vor Repressalien Verstöße dort zu melden, wo sie am schnellsten untersucht und abgestellt werden können”, sagte Buschmann.
Die geplante Gesetzesänderung solle für mehr Rechtsklarheit sorgen. Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern hätte Deutschland eigentlich schon bis Dezember 2021 umsetzen müssen. Die Große Koalition – als Vorgänger der jetzigen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP – hatte sich allerdings nicht auf Details einigen können. Länder und Verbände haben nun bis zum 11. Mai Zeit, zum vorliegenden Entwurf Stellung zu beziehen.
Whistleblower sollen künftig interne oder externe Meldesysteme nutzen können. Bestehende Systeme könnten weiterhin genutzt werden, um zu viel Bürokratie zu vermeiden, sagte Buschmann. Unternehmen und Behörden mit mindestens 50 Mitarbeitern werden zu einem entsprechenden Angebot verpflichtet. Bei bis zu 249 Beschäftigten können Unternehmen mit anderen Firmen eine gemeinsame Meldestelle betreiben. Eine externe Stelle wird es beim Bundesamt für Justiz geben, neben den bereits gegebenen Möglichkeiten bei der Finanzaufsicht BaFin und beim Bundeskartellamt.
Die Identität der Whistleblower oder einer Person, über die eine Beschwerde vorliegt, soll nur den Sachbearbeitern des Falls bekannt sein. Nur in Ausnahmefällen soll die Identität preisgegeben werden, etwa in Strafverfahren auf Verlangen der Ankläger. Vorgesehen in dem Referentenentwurf ist auch ein Verbot von Repressalien für Whistleblower, also etwa Kündigungen, Abmahnungen oder Mobbing. Dafür soll die Beweislast umgekehrt werden, damit Hinweisgeber es leichter haben. rtr
“Irre spannend” seien die Zeiten, sagt Oliver Süme. Seit 25 Jahren beschäftigt sich der 52-jährige Jurist und Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Internetwirtschaft ECO mit IT-Recht, dem Internet und Digitalisierung. Doch was derzeit in der digitalen Welt für grundlegende regulatorische Weichen gestellt werden, sei “der Wahnsinn”. Ob Digital Services Act, Digital Markets Act oder die KI-Verordnung: Die regulatorische Dichte auf EU-Ebene und die hohen rechtlichen Herausforderungen beschäftigen IT-Juristen wie ihn derzeit intensiv. “Wir versuchen jetzt, die Zusammenhänge der vielschichtigen Regulierungsentwürfe einzuordnen, um herauszufinden, wie der digitale Rechtsrahmen in Zukunft aussehen wird.”
Die EU habe nichts weniger vor, als damit einen weltweiten, digitalen Regulierungs-Standard zu setzen, der Konsequenzen haben dürfte für die Wirtschaft weltweit. Wenn das aber jeder Wirtschaftsraum für sich in Anspruch nehme, bekomme man ein Riesenproblem, sagt Süme: “Dann besteht die Gefahr, dass das Internet sich fragmentiert und sich Unternehmen in jedem Markt unterschiedlichen Regeln unterwerfen müssen.”
Die EU sei daher gut beraten, globaler zu denken und Mindeststandards zu setzen, die auf einen kleinsten, gemeinsamen Nenner kommen. Das sei ohnehin eine der großen Herausforderungen in der digitalen Wirtschaft: Dass der Rechtsrahmen effizient und innovationsfreundlich bleibe in einer Zeit, in der die Regulierungen im digitalen Raum exponentiell zunehmen.
Den Regulierungsdschungel im digitalen Raum zu lichten, gehört zu Sümes Kernaufgaben. Denn das Internet und die digitale Wirtschaft bieten weiterhin sehr viel rechtlichen Gestaltungsraum, sagt er: “Noch immer ist es so, dass technische Entwicklungen oder neue Geschäftsmodelle für Situationen sorgen, wo es auf rechtliche Fragen noch keine eindeutigen Urteile oder Gesetze gibt”, sagt er.
Genau diese rechtliche Uneindeutigkeit im Internet war es, die Süme dazu bewog, sich auf IT-Recht zu spezialisieren. Als Mitte der 90er-Jahre Unternehmen begannen, erste Websites ins Leben zu rufen, drängten sich erste Rechtsfragen auf, die Süme interessierten. Etwa: Wer hat die Rechte an einer Domain? Durch Freunde, die eine Web-Agentur gegründet hatten, wurde er auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht.
Und so machte sich Süme nach seinem Jura-Studium an der Universität Augsburg früh in seiner Heimatstadt Hamburg mit einer eigenen Kanzlei selbstständig: “Da entstand auf einmal etwas wirtschaftlich, technisch und rechtlich Neues”, sagt er, “das hat mich fasziniert”. Eines seiner Herzensthemen wurde dann später auch der Kampf für lokale Domain-Endungen wie “.hamburg”, den er mit der Gründung der Hamburg-Top-Level-Domain GmbH erfolgreich führte.
Im Jahr 1998 stieß er zum Verband der Internetwirtschaft Eco, seit 2017 ist er dessen Vorsitzender. In dieser Funktion wolle er vor allem dafür sorgen, dass die Politik optimale Rahmenbedingungen für die Digitalisierung schaffe. “Denn die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern birgt ein enormes Potenzial für ein besseres, einfacheres, klimafreundliches Leben.”
Die Digitalstrategie der neuen Bundesregierung stimme ihn dabei positiv. Es sehe so aus, sagt er, als ob sich endlich was bewege und die Versäumnisse der vergangenen Jahre beseitigt würden – insbesondere beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. “Da habe ich das Gefühl, dass Volker Wissing verstanden hat, dass das die Grundvoraussetzung für alles Weitere ist”, sagt Süme. Das propagiere man bei Eco ja seit Jahren. Eine weitere große Herausforderung sei die Digitalisierung der Verwaltung und des Bildungswesens. “Da sind wir in Deutschland erheblich hinterher.” Die Corona-Pandemie habe diese Defizite schonungslos offen gelegt. “Ich bin sehr froh, dass diese Erkenntnis mittlerweile überall angekommen zu sein scheint.” Adrian Meyer
am kommenden Donnerstag soll der Digital Services Act (DSA), nach dem Digital Markets Act (DMA) das zweite Großvorhaben unter französischer Ratspräsidentschaft, final im Trilog beraten werden. Vor allem zwei Themen beschäftigen die Verhandler noch – mit ungewissem Ausgang. Falk Steiner analysiert die beiden Stolpersteine.
Nach dem Streit um die Klima-Taxonomie bahnt sich nun ein Konflikt um die “soziale” Taxonomie an. Dabei geht es um die Frage, ob die EU-Kommission die Herstellung von Waffen als eine sozial nachhaltige Investition einstufen kann. Ella Joyner ist der Frage nachgegangen, was eine Einstufung als sozial schädlich konkret bedeuten würde.
Gestern haben die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten die Positionierung des Rates zur Schaffung grüner Staatsanleihen gebilligt. Mit sogenannten Green Bonds kann die EU nachhaltige Investitionen finanzieren.
Was derzeit für grundlegende regulatorische Weichen in der digitalen Welt gestellt werden, findet Oliver Süme “einfach Wahnsinn”. Süme beschäftigt sich als Vorstandsvorsitzender des Verbandes der Internetwirtschaft ECO schon seit 1998 mit Rechtsfragen rund um das Internet, wie Sie im Portrait lesen können.
Wesentliche Knackpunkte vor dem EU-Trilog sind vor allem zwei noch nicht abschließend geklärte Themenkomplexe: Zum einen das Thema der Dark Patterns, bei denen die französische Ratspräsidentschaft im Zuge der Verhandlungen zum Digital Markets Act eine Lösung im Digital Services Act fest zugesagt hat. Und zum anderen der vom Parlament ausdrücklich gewünschte bessere Schutz von Minderjährigen vor verhaltensbasierter Werbung – dem sogenannten Tracking.
Beiden Sachverhalten liegt dabei das gleiche Problem zu eigen: Eigentlich gibt es bereits Regelwerke, die das Verhalten der Anbieter sanktionieren müssten. So ist die Datenverarbeitung Minderjähriger per Artikel 8 der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und Artikel 6 bereits im Regelfall verboten, solange die Erziehungsberechtigten keine Einwilligung erteilen. Und auch die Dark Patterns genannte Methode, Nutzern über visuelles Nudging eine den Anbieterinteressen entsprechende Zustimmung abzuluchsen, ist als wahrscheinlich irreführende Praxis bereits Gegenstand der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der DSGVO.
Allerdings gibt es in beiden Bereichen ein massives Vollzugsdefizit: Bei den Dark Patterns ist das bisherige System der Unterlassungsaufforderung und des anschließenden Gerichtsweges zu langsam, um Anbieter zeitnah die Verwendung untersagen zu lassen. Hinzu kommt, dass leichte Änderungen der angegriffenen Variante dazu führen können, dass ein weiteres, neues, ebenfalls oft langwieriges Verfahren nötig wird.
Dies ließe sich über ein allgemeines Verbot im DSA absehbar deutlich entschärfen. Offen war zuletzt aber noch, wie weit ein Dark Pattern-Verbot gefasst sein soll: Welche Anbieter sollen unmittelbar von der DSA-Regelung betroffen sein? Entweder wird ein Pauschalverbot für alle vom Digital Services Act erfassten Dienste erlassen – oder eines, das sich auf bestimmte Bereiche, etwa die besonders großen Plattformen und Suchmaschinen (VLOPS und VLOSE) beschränkt, bei denen die Rechtsdurchsetzung regelmäßig der EU-Kommission obliegen soll.
Parallel stehen jedoch gerade Einwilligungsverwaltungen derzeit eh bereits auf tönernen Füßen (Europe.Table berichtete), auch wenn die Anbieter von Onlinewerbung sich derzeit noch Hoffnung machen, dem aus ihrer Sicht nicht gerechtfertigten Beschluss der belgischen Datenschutzaufsicht noch die Zähne zu ziehen.
Beim Schutz der Daten Minderjähriger wiederum wären für die Durchsetzung eigentlich die Datenschutzaufsichtsbehörden zuständig – doch die haben dem Thema bislang nicht Priorität eingeräumt und auch die Zahl der Beschwerden zum Thema sei sehr gering, berichtet der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Thomas Fuchs. Problematisch sei aus seiner Sicht vor allem die zweistufige “Nachweisobliegenheit der Verantwortlichen”, so Fuchs, wie sie sich aus Artikel 8 der DSGVO ergebe. Immer wieder wenden Anbietervertreter ein, dass die Identifikation von Minderjährigen bereits eine – womöglich unzulässige – Datenerhebung erfordern würde (Europe.Table berichtete). Denn wer vor dem Gerät sitzt, ließe sich nicht ohne Datenerhebung prüfen. Grundsätzlich stimmt der Hamburgische Datenschutzbeauftragte dem zu – und plädiert als Lösung für zertifizierte Verfahren zur Altersverifikation.
Ein “umständliches Verfahren” sei der Weg über die DSGVO, schimpft auch Claudio Teixeira vom europäischen Verbraucherorganisations-Dachverband BEUC. “Ein Verbot von Techniken, die personenbezogene Daten von Kindern für verhaltensbezogene Werbung verarbeiten, zur Verfügung stellen oder ableiten, würde das Problem für Minderjährige an der Quelle beseitigen.” Sprich: Das heutige Durchsetzungsdefizit würde mit einem rigideren und einfacher durchsetzbaren Verbot behoben.
Der letzte Vorschlag der französischen Ratspräsidentschaft für einen Kompromissvorschlag sieht vor, dass Anbieter dann keine verhaltensbezogenen Daten erheben dürfen, “wenn sie wahrnehmen, dass der Nutzer ein Minderjähriger ist.” Den Anbietern dürfte das gefallen, könnten sie so doch kurzerhand möglichst jede positive Kenntnis vermeiden – die Parlamentsposition würde dies jedoch vollkommen ad absurdum führen. Das die Bundesposition koordinierende Bundesministerium für Digitales und Verkehr erklärte auf Europe.Table-Anfrage, dass die Bundesregierung ein Verbot der Werbeverarbeitung von Daten Minderjähriger begrüße und sich in diesem Sinne im Rat positioniert habe. Ob diese Positionierung mit dem aktuellen französischen Vorschlag zusammenpasst, darf bezweifelt werden.
Unstrittig ist hingegen, dass Werbung bei speziell für Kinder gemachten Angeboten künftig nicht mehr trackingbasiert sein soll. Damit würde man etwa an die Regelungen der Richtlinie für Audiovisuelle Medien anknüpfen. Allerdings nutzen Minderjährige in vielen Fällen auch Angebote, die sich formal an Erwachsene richten – etwa YouTube, Google, Twitch, Discord, Instagram oder TikTok. Auch die Behörde des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten Thomas Fuchs ist bei Medienangeboten auf Probleme gestoßen: “Hierbei fällt auf, dass die Verantwortlichen nicht genügend danach differenzieren, ob sich ihre Angebote an Kinder oder Volljährige richten oder die Nutzung des Dienstes zumindest auch Kindern und Jugendlichen offen steht, sogenannte Dual Use Angebote.” Die aufgefallenen, direkt an Kinder gerichteten Online-Angebote will die Behörde nun datenschutzrechtlich überprüfen.
Doch das Problem geht über Angebote für Kinder und solche, die auch Inhalte für Kinder enthalten, hinaus: Verhaltensbasierte Werbung oder zumindest deren Tracking-Technologien sind in sehr vielen weiteren Angeboten eingebettet. Auch dieser Sachverhalt müsste, um Kinder tatsächlich wirksam vor Tracking zu schützen, von der Regulierung umfasst werden.
Das Problem der bereits nach DSGVO kaum zulässigen Praxis bleibt also weiterhin kaum auflösbar, ohne ganz neue Probleme zu schaffen. Der sauberste regulatorische Ausweg aus diesem Problem wäre also ein Komplettverbot bis zu einer wirksamen Einwilligung – damit wären Minderjährige geschützt, das politisch gesteckte Ziel wäre jedoch deutlich überschritten. Für BEUC wäre das jedoch eine erfreuliche Lösung, sagt Verbraucherschützer Claudio Teixeira: “Letztendlich sind wir der Meinung, dass die kommerzielle Überwachung gestoppt und ein vollständiges Verbot von verhaltensbezogener Werbung durchgesetzt werden sollte.” Applaus aus der Digitalwirtschaft dürfte in diesem Fall jedoch ausbleiben – doch andere Lösungen sind eine Woche vor dem letzten geplanten Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat weiterhin Mangelware.
Sitzung des Ausschusses für Entwicklung (DEVE)
19.04-20.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Zukunft der Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika, Folgen der Ukraine-Krise für die globale Nahrungsmittelsicherheit, Berichtsentwurf zur künftigen europäischen Finanzarchitektur zur Förderung der Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Haushaltsausschusses (BUDG)
19.04-20.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds, Entwurf einer Stellungnahme zur Schaffung eines CO2-Grenzausgleichssystems, Entwurf einer Stellungnahme zur künftigen europäischen Finanzarchitektur zur Förderung der Entwicklung.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN)
19.04-20.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe, Berichtsentwurf zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für einen nachhaltigen Luftverkehr, Entwurf einer Stellungnahme zu harmonisierten Vorschriften für künstliche Intelligenz.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten (AFET)
20.04-21.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU nach der Invasion der Ukraine durch Russland, Aussprache mit dem EAD zu den Beziehungen zwischen der EU und Russland.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Haushaltskontrolle (CONT)
20.04-21.04.2022
Themen: Umsetzungsbericht über die Aufbau- und Resilienzfazilität.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO)
20.04-21.04.2022
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zum Politikprogramm für 2030 “Weg in die digitale Dekade”, Berichtsentwurf zu Maschinenbauerzeugnissen, Berichtsentwurf zu Verbraucherkrediten.
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung (AGRI)
20.04-21.04.2022
Themen: Berichtsentwurf zu einer neue EU-Waldstrategie für 2030 (nachhaltige Waldbewirtschaftung in Europa).
Vorläufige Tagesordnung
Sitzung des Ausschusses für internationalen Handel (INTA)
20.04.2022 13:45-18:45 Uhr
Themen: Berichtsentwurf zur Zukunft der Auslandsinvestitionspolitik der EU sowie Bericht der Kommission über die Durchführung und die Anwendung des Abkommens über Handel, Zusammenarbeit zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland 1. Januar bis 31. Dezember 2021
Vorläufige Tagesordnung
Gemeinsame Sitzung des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und des Ausschusses für Kultur und Bildung (CULT)
20.04.2022 13:45-15:45 Uhr
Themen: Öffentliche Anhörung und Stellungnahme zum Thema “Neues Europäisches Bauhaus”.
Vorläufige Tagesordnung
Tagung zum Thema Datenverfügbarkeit
21.04.2022
Themen: Vertreter der Mitgliedstaaten, der europäischen Institutionen und der betroffenen Agenturen kommen zusammen, um juristische und operative Herausforderungen im Hinblick auf Digitalisierung und Verschlüsselung von Kommunikationsmitteln zu diskutieren.
Infos
Sitzung des Ausschusses für regionale Entwicklung (REGI)
21.04.2022 09:00-18:45 Uhr
Themen: Entwurf einer Stellungnahme zu einer langfristigen Vision für die ländlichen Gebiete der EU, Entwurf einer Stellungnahme zum Neuen Europäischen Bauhaus, Entwurf einer Stellungnahme zum Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe.
Vorläufige Tagesordnung
DSA-Trilog
22.04.2022
Themen: Vertreter:innen von EU-Kommission, EU-Parlament und Rat der EU kommen zur 5. und voraussichtlich letzten Verhandlungsrunde des Trilogs zum Digital Services Act (DSA) zusammen.
Hintergrund
Könnte die Kommission die Herstellung von Waffen unter Umständen als eine sozial nachhaltige Investition einstufen? Die politische Debatte und der Prozess um die soziale Taxonomie schreiten voran, auch wenn der Zeitpunkt für Entscheidungen noch etwas entfernt liegt.
Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, eine von der Kommission beauftragte Beratergruppe, erklärte im Februar, dass die Produktion von Rüstungsgütern – zumindest bestimmter Arten – höchstwahrscheinlich keine akzeptable Option für vermeintlich soziale Investoren ist. Sie sei ein Beispiel für “erheblich schädliche Aktivitäten …, die grundlegend und unter allen Umständen im Widerspruch zu sozialen Zielen stehen.” Die Grundlage dafür seien zahlreiche internationale Abkommen, die bestimmte Waffentypen ächten.
Es überrascht kaum, dass das auf Zustimmung bei Aktivisten stößt. Industrielobbyisten erachten eine pauschale Einstufung hingegen als schädlich und fehlgeleitet – vor allem in der jetzigen Lage. Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit, argumentiert etwa Hans Christoph Atzpodien (Europe.Table berichtete) vom Verband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV): “Wir müssen in unsere Sicherheit investieren, um unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen.”
Der Europaabgeordnete Markus Ferber (CSU/EVP) reagierte empört auf den Bericht des Beratungsgremiums: “In der aktuellen Situation ist es oberste Priorität, die Leistungsfähigkeit der europäischen Industrie zu stärken”, so Ferber. “Keinesfalls dürfen wir jetzt die Leistungsfähigkeit der europäischen Industrie durch falsch verstandenen Übereifer im Bereich der Nachhaltigkeit gefährden.”
Doch der Bericht lässt sich unterschiedlich interpretieren. Laut Jan Pie, Generalsekretär des Branchenverbands der europäischen Luftfahrt-, Raumfahrt- und Verteidigungsindustrie ASD, könnte die Branche mit einer Einstufung für kontroverse Waffen leben, solange diese klar definiert seien.
Der Bericht sei anders ausgefallen, als der ASD erwartet hätte. “Die Verteidigungsindustrie als solche – als wesentliches Element, um militärische Fähigkeiten der Demokratien aufzubauen – wird durch den Bericht der Plattform nicht infrage gestellt”, sagte Pie. Er betont: Der Ball liege eigentlich bei der EU-Kommission. Sie ist bei der Klima-Taxonomie den Ratschlägen der Plattform nur teilweise gefolgt. Ihre Entscheidung wird nun in einer äußerst angespannten Sicherheitslage getroffen werden.
Die Plattform hat ihren Bericht wenige Tage nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine veröffentlicht, zeitlich eine reine Koinzidenz. Innerhalb weniger Tage kündigten mehrere Mitgliedstaaten Pläne an, Hunderte Milliarden Euro mehr für die Verteidigung auszugeben. Überall in Europa werden die nationalen Haushalte angepasst, um die kostspieligen Investitionen zu ermöglichen.
Eine Möglichkeit, die Kosten für Panzer, Schiffe und Waffen für die Steuerzahler niedrig zu halten, besteht nach Ansicht der Rüstungsindustrie darin, einen günstigen Zugang zum Kapitalmarkt für Rüstungsunternehmen zu ermöglichen. Die Branche klagt oft über Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung, weil Finanzhäuser, die sogenannte ESG-Kriterien befolgen, ihr Geld nicht in die Rüstungsindustrie fließen lassen.
Die “falsche Wahrnehmung”, dass Rüstungsproduktion ethisch verwerflich sei, “könnte die Fähigkeit der Industrie, Finanzmittel zu sichern, ernsthaft untergraben und damit ihre Fähigkeit, die europäischen Streitkräfte mit modernster Ausrüstung zu unterstützen”, schrieb der ASD 2021 in einem Bericht.
Doch was würde eine Einstufung als sozial schädlich konkret bedeuten? Erstens wäre dies ein endgültiger Ausschuss aus der Klima-Taxonomie. Was nicht sozial verträglich ist, soll auch nicht als “grüne” Investition gelten. Die Kommission hat die Rüstungsproduktion aus der Klima-Taxonomie ausgeschlossen, weil sie sich auf die Aktivitäten mit dem größten ökologischen Fußabdruck konzentrieren wollte.
Daran wird sich auch trotz des Krieges in der Ukraine nichts ändern. Es gebe derzeit keine Pläne für eine Anpassung des Vorhabens, sagte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von Europe.Table: “Die Unternehmen der Verteidigungsindustrie werden weiterhin Zugang zu den Kapitalmärkten und Bankkrediten haben, wie alle Branchen, die noch nicht in der Taxonomie enthalten sind”.
Wichtiger für die Industrie wäre jedoch das Signal, das man für Investoren setzen würde. In der Branche ist ein Rüstungsausschluss aus Anlageportfolios eines der wichtigsten und gängigsten ESG-Kriterien. Laut Bloomberg haben einige große Akteure angekündigt, ihre Politik nach dem Krieg anzupassen, etwa die Commerzbank. Eine positivere Taxonomie-Einstufung könnte andere ermutigen, diesen Beispiel zu folgen.
Laut Jan Pie von ASD ist es schwierig, in Zahlen auszudrücken, was eine Einstufung als sozial schädlich für seine Industrie bedeuten könnte. Banken stünden sowieso unter Druck von Aktivisten, die ihre Anlagen unter der Lupe hätten.
Für die Aktivisten des Europäischen Netzwerks gegen Waffenhandel (ENAAT) ist bereits jetzt klar: Es wäre eine Schande, wenn Waffen nicht als schädlich eingestuft würden. “Unabhängig von den eigentlichen Konfliktursachen tragen Waffen zur Gewalt bei und verschärfen Konflikte, indem sie menschliche und finanzielle Ressourcen von friedlichen Lösungen ablenken.”
Die finnische Europaabgeordnete Alviina Alametsä (Grüne/EFA) sagt, sie verstehe, dass “wir in diesen schrecklichen Zeiten mehr in die Verteidigung investieren müssen.” Allerdings sei das nicht gleichbedeutend mit einer Aufnahme in die Taxonomie: “Ich finde es jedoch schwer zu rechtfertigen, dass die Rüstungsindustrie in der Taxonomie aufgeführt wird, da sie für soziale, grüne und ökologische Investitionen gedacht ist. Das unterstütze ich nicht”, sagte sie.
Die Soziale Taxonomie ist aber nicht der einzige Weg, um mehr Geld in die Branche fließen zu lassen. In ihrem neuen Strategischen Kompass haben sich die 27 Mitgliedstaaten zu höheren Verteidigungsausgaben und mehr Unterstützung für die Industrie verpflichtet (Europe.Table berichtete).
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, ihr außenpolitischer Vize Josep Borrell und Binnenmarktkommissar Thierry Breton haben sich mehrfach für eine bevorzugte Behandlung der Rüstungsindustrie in Europa ausgesprochen. Dass in Europa die Industrie oftmals entlang nationaler Interessen und damit jeweils relativ klein dimensioniert ist, wird seit langem als Hindernis für die Entwicklung der Union zu einem kohärenten militärischen und außenpolitischen Akteur erachtet.
Polen hat eine Initiative für eine Sonderbehandlung von Verteidigungsausgaben im Rahmen der EU-Finanzregeln vorgeschlagen. Der Vorschlag Warschaus gehe “über” die Taxonomie hinaus, sagte ein polnischer Regierungsvertreter Europe.Table.
Die Frage ist nun, auf wen die Kommission hören wird. Zu den nächsten Schritten im internen Entscheidungsprozess will man sich dort derzeit nicht äußern. Noch gibt es nicht einmal einen möglichen Zeitplan. Die interne Debatte könnte hitzig werden, ähnlich hitzig wie es bereits bei der Klima-Taxonomie der Fall war. Ella Joyner
Die Botschafter der EU-Mitgliedstaaten haben die Positionierung des Rates zur Schaffung grüner Staatsanleihen- auch Green Bonds genannt – gebilligt. Das teilte der Rat am Mittwoch mit. Green Bonds sind ein Instrument der EU, um Investitionen in nachhaltige Technologien im Energie-, Rohstoff-, Verkehrs- und Forschungssektor zu finanzieren.
Die Verordnung beinhalte einheitliche Anforderungen für Anleiheemittenten und schaffe ein Registrierungssystem und einen Aufsichtsrahmen für externe Bewerter der Green Bonds, heißt es in der Mitteilung. Das bedeutet, dass Anleihen nur unter mit dem sogenannten European Green Bonds Standard (EUGBS) als “grün” eingestuft werden können. Dafür müssen die Anleihen Taxonomie-konform sein, was eine externe Überprüfung bestätigen muss. Diese externen Überprüfer wiederum müssen bei der ESMA registriert sein.
Mit der Einigung im Rat beginnen zeitnah die Verhandlungen mit dem EU-Parlament. luk
Irland hat am Mittwoch neue Maßnahmen angekündigt, um die Belastung durch die steigenden Energie- und Benzinpreise zu verringern und eine Erhöhung der CO2-Steuer im nächsten Monat auszugleichen, die nach Ansicht einiger Oppositionsparteien verschoben werden sollte.
Die Regierung senkte den Mehrwertsteuersatz auf Strom– und Gasrechnungen für sechs Monate von 13,5 Prozent auf 9 Prozent, kündigte eine zusätzliche Zahlung von 100 Euro an ärmere Haushalte an und verlängerte eine Verbrauchssteuersenkung auf Benzin und Diesel um zwei Monate bis Ende Oktober. rtr
Die Ziele der Bundesregierung für Elektroautos auf deutschen Straßen sind einer DIW-Studie zufolge mit den aktuellen Verkaufszahlen nicht erreichbar. “Der Elektroautomarkt dürfte sich zwar in der Zukunft von sich aus dynamischer entwickeln, aber eine weitere Stärkung der klimapolitischen Maßnahmen zur Förderung der Elektromobilität ist nötig”, sagte Branchenexperte Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch.
Die Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP hat das Ziel ausgegeben, 2030 sollten auf deutschen Straßen mindestens 15 Millionen vollelektrische Pkw rollen. Dafür brauche es rechnerisch Monat für Monat im Schnitt 130.000 neue Elektroautos, so das DIW in seiner Studie. 2021 waren es pro Monat aber nur etwa 30.000 Stück.
Die Forscher empfehlen der Politik einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur, den Abbau umweltschädlicher Subventionen im Verkehrsbereich und langfristig Kaufanreize für E-Autos durch eine steigende CO2-Bepreisung.
Ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr müsse zudem den Kauf von Autos zumindest ein Stück weit obsolet machen. Das Steuer- und Abgabensystem sollte im Verkehrsbereich stärker auf Umwelt- und Klimaziele ausgerichtet werden. “Unsere Analyse zeigt, dass Kaufprämien für Elektro-Pkw Wirkung entfalten. Um die Ziele der schnelleren Marktdurchdringung zu erreichen, ist aber eine Vielzahl weiterer Maßnahmen nötig”, so das DIW. rtr
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Whistleblower besser schützen, damit Missstände in Unternehmen und Behörden leichter aufgedeckt werden. Der FDP-Politiker stellte dafür am Mittwoch einen Referentenentwurf vor, mit dem eine EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern umgesetzt werden soll. “Durch den Aufbau von internen Meldesystemen erhalten Hinweisgeber die Möglichkeit, ohne Angst vor Repressalien Verstöße dort zu melden, wo sie am schnellsten untersucht und abgestellt werden können”, sagte Buschmann.
Die geplante Gesetzesänderung solle für mehr Rechtsklarheit sorgen. Die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern hätte Deutschland eigentlich schon bis Dezember 2021 umsetzen müssen. Die Große Koalition – als Vorgänger der jetzigen Ampel-Regierung aus SPD, Grünen und FDP – hatte sich allerdings nicht auf Details einigen können. Länder und Verbände haben nun bis zum 11. Mai Zeit, zum vorliegenden Entwurf Stellung zu beziehen.
Whistleblower sollen künftig interne oder externe Meldesysteme nutzen können. Bestehende Systeme könnten weiterhin genutzt werden, um zu viel Bürokratie zu vermeiden, sagte Buschmann. Unternehmen und Behörden mit mindestens 50 Mitarbeitern werden zu einem entsprechenden Angebot verpflichtet. Bei bis zu 249 Beschäftigten können Unternehmen mit anderen Firmen eine gemeinsame Meldestelle betreiben. Eine externe Stelle wird es beim Bundesamt für Justiz geben, neben den bereits gegebenen Möglichkeiten bei der Finanzaufsicht BaFin und beim Bundeskartellamt.
Die Identität der Whistleblower oder einer Person, über die eine Beschwerde vorliegt, soll nur den Sachbearbeitern des Falls bekannt sein. Nur in Ausnahmefällen soll die Identität preisgegeben werden, etwa in Strafverfahren auf Verlangen der Ankläger. Vorgesehen in dem Referentenentwurf ist auch ein Verbot von Repressalien für Whistleblower, also etwa Kündigungen, Abmahnungen oder Mobbing. Dafür soll die Beweislast umgekehrt werden, damit Hinweisgeber es leichter haben. rtr
“Irre spannend” seien die Zeiten, sagt Oliver Süme. Seit 25 Jahren beschäftigt sich der 52-jährige Jurist und Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Internetwirtschaft ECO mit IT-Recht, dem Internet und Digitalisierung. Doch was derzeit in der digitalen Welt für grundlegende regulatorische Weichen gestellt werden, sei “der Wahnsinn”. Ob Digital Services Act, Digital Markets Act oder die KI-Verordnung: Die regulatorische Dichte auf EU-Ebene und die hohen rechtlichen Herausforderungen beschäftigen IT-Juristen wie ihn derzeit intensiv. “Wir versuchen jetzt, die Zusammenhänge der vielschichtigen Regulierungsentwürfe einzuordnen, um herauszufinden, wie der digitale Rechtsrahmen in Zukunft aussehen wird.”
Die EU habe nichts weniger vor, als damit einen weltweiten, digitalen Regulierungs-Standard zu setzen, der Konsequenzen haben dürfte für die Wirtschaft weltweit. Wenn das aber jeder Wirtschaftsraum für sich in Anspruch nehme, bekomme man ein Riesenproblem, sagt Süme: “Dann besteht die Gefahr, dass das Internet sich fragmentiert und sich Unternehmen in jedem Markt unterschiedlichen Regeln unterwerfen müssen.”
Die EU sei daher gut beraten, globaler zu denken und Mindeststandards zu setzen, die auf einen kleinsten, gemeinsamen Nenner kommen. Das sei ohnehin eine der großen Herausforderungen in der digitalen Wirtschaft: Dass der Rechtsrahmen effizient und innovationsfreundlich bleibe in einer Zeit, in der die Regulierungen im digitalen Raum exponentiell zunehmen.
Den Regulierungsdschungel im digitalen Raum zu lichten, gehört zu Sümes Kernaufgaben. Denn das Internet und die digitale Wirtschaft bieten weiterhin sehr viel rechtlichen Gestaltungsraum, sagt er: “Noch immer ist es so, dass technische Entwicklungen oder neue Geschäftsmodelle für Situationen sorgen, wo es auf rechtliche Fragen noch keine eindeutigen Urteile oder Gesetze gibt”, sagt er.
Genau diese rechtliche Uneindeutigkeit im Internet war es, die Süme dazu bewog, sich auf IT-Recht zu spezialisieren. Als Mitte der 90er-Jahre Unternehmen begannen, erste Websites ins Leben zu rufen, drängten sich erste Rechtsfragen auf, die Süme interessierten. Etwa: Wer hat die Rechte an einer Domain? Durch Freunde, die eine Web-Agentur gegründet hatten, wurde er auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht.
Und so machte sich Süme nach seinem Jura-Studium an der Universität Augsburg früh in seiner Heimatstadt Hamburg mit einer eigenen Kanzlei selbstständig: “Da entstand auf einmal etwas wirtschaftlich, technisch und rechtlich Neues”, sagt er, “das hat mich fasziniert”. Eines seiner Herzensthemen wurde dann später auch der Kampf für lokale Domain-Endungen wie “.hamburg”, den er mit der Gründung der Hamburg-Top-Level-Domain GmbH erfolgreich führte.
Im Jahr 1998 stieß er zum Verband der Internetwirtschaft Eco, seit 2017 ist er dessen Vorsitzender. In dieser Funktion wolle er vor allem dafür sorgen, dass die Politik optimale Rahmenbedingungen für die Digitalisierung schaffe. “Denn die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern birgt ein enormes Potenzial für ein besseres, einfacheres, klimafreundliches Leben.”
Die Digitalstrategie der neuen Bundesregierung stimme ihn dabei positiv. Es sehe so aus, sagt er, als ob sich endlich was bewege und die Versäumnisse der vergangenen Jahre beseitigt würden – insbesondere beim Ausbau der digitalen Infrastruktur. “Da habe ich das Gefühl, dass Volker Wissing verstanden hat, dass das die Grundvoraussetzung für alles Weitere ist”, sagt Süme. Das propagiere man bei Eco ja seit Jahren. Eine weitere große Herausforderung sei die Digitalisierung der Verwaltung und des Bildungswesens. “Da sind wir in Deutschland erheblich hinterher.” Die Corona-Pandemie habe diese Defizite schonungslos offen gelegt. “Ich bin sehr froh, dass diese Erkenntnis mittlerweile überall angekommen zu sein scheint.” Adrian Meyer