
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat in Ihrer „State-of-the-Union“-Rede am 15. September eindrücklich über Europas sicherheitspolitische Herausforderungen gesprochen. Ihr Aufruf gipfelte in den Worten: „Was wir brauchen, ist die Europäische Verteidigungsunion„.
Zugleich forciert dieselbe EU-Kommission den Green Deal, der den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen soll. Wesentliche Transmissionsriemen bei der Umsteuerung der Realwirtschaft sollen Banken und Versicherungen sein. So sieht es die EU-Richtlinie über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor aus dem Jahr 2019 vor.
Als nachhaltig bezeichnet die Richtlinie eine wirtschaftliche Tätigkeit dann, wenn sie zur Erreichung eines Umweltziels oder eines sozialen Nachhaltigkeitsziels beiträgt. Über diese Ziele bestehen jedoch sehr unterschiedliche Sichtweisen. Einige Banken meinen zum Beispiel, dass Firmen, die EU-Streitkräfte mit Waffen ausrüsten, nicht nachhaltig handeln.
Bisher gibt es hierzu kaum eine verbindliche Regulatorik. Diese befindet sich auf der EU-Ebene erst in Arbeit, und zwar in Gestalt der „EU Taxonomy for Sustainable Activites“ (dt.: EU-Systematik für nachhaltige Aktivitäten). Diese Systematik wird anhand des Dreiklangs „ESG“ (Environmental/Umwelt, Soziales und Governance/Unternehmensführung) entwickelt.
Streitkräfte und Waffen wenig populär
Im Endeffekt ergibt sich unter jeder dieser drei Rubriken eine Dreiteilung von Aktivitäten: (1) solche, die als positive Beiträge zur Nachhaltigkeit angesehen werden, (2) solche, die als schädlich für Nachhaltigkeit betrachtet werden, und (3) solche, die dabei als neutral gelten.
Nur, wer dabei in die Rubrik der positiv zur Nachhaltigkeit beitragenden Aktivitäten fällt, kann davon ausgehen, dass ihn der private Finanzsektor positiv sieht. Wem hingegen das Schicksal zuteilwird, in die Liste der schädlichen Aktivitäten zu kommen, der kann mit dieser Hoffnung abschließen. Dasselbe Schicksal kann aber auch den „Neutralen“ blühen, wenn sie nämlich den privaten Finanzsektor nicht davon überzeugen können, dass sie sich zumindest durch erhöhte eigene Anstrengungen in die Kategorie der positiven Nachhaltigkeitsförderer heraufarbeiten können.
Genau hier liegt ein großes Problem: In der öffentlichen Meinung quer durch die EU geht man mit Bedrohungen unserer inneren, vor allem aber unserer äußeren Sicherheit – gemessen an der tatsächlichen Bedrohungslage – extrem entspannt um. Streitkräfte sind in einigen EU-Ländern wie Deutschland nur mäßig populär, Waffen zu ihrer Ausrüstung noch einmal deutlich weniger.
Dies bewirkt, dass Waffen für unsere Streitkräfte, aber auch für Organe der inneren Sicherheit, bestenfalls in den neutralen Bereich der Taxonomie kommen, wo ihnen die Banken durchweg die „rote Karte“ zeigen. In den meisten heute aufgelegten sogenannten Nachhaltigkeitsfonds werden Rüstung und Waffen pauschal ausgegrenzt – auch wenn sie dem Erhalt unserer eigenen Sicherheit dienen. Sogar die erste „grüne“ Bundesanleihe wurde im Jahr 2020 mit der Prämisse emittiert, dass ihre Mittel keinesfalls für „Rüstung, Verteidigung, Tabak, Alkohol und Glücksspiel“ verwendet werden.
Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit
Angesichts dieser Gemengelage muss eine Frage erlaubt sein: Wie denn der Kern von Nachhaltigkeit, nämlich die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen für künftige Generationen, gewährleistet werden soll, wenn es uns mangels gut ausgerüsteter Sicherheitskräfte nicht gelingt, in Europa Sicherheit und Frieden zu bewahren?
Die Antwort ist klar: Ohne Sicherheit kann es Nachhaltigkeit nicht geben. Warum aber wird Sicherheit dann in der Systematik der EU-Taxonomie komplett ausgeklammert? Schlimmer noch: Die Arbeiten zur Ausfüllung der Taxonomie scheinen darauf hinauszulaufen, auch dort den Begriff „Verteidigung“ als eine in sozialer Hinsicht schädliche Handlung darzustellen. Würde dies am Ende so in der Taxonomie verankert, so würde dies die Ausrüster von Streitkräften und Organen der inneren Sicherheit von jeder privatwirtschaftlichen Finanzierung abschneiden.
Als Leser werden Sie sich sagen, dass dies doch ein ziemlicher Widerspruch zu den Postulaten der EU-Kommissionspräsidentin ist. Umso verwunderlicher erscheint es, dass weder sie selbst noch der EU-Kommissar für die Industrie, Thierry Breton, oder nationale Regierungen einzelner Mitgliedsstaaten in diesen Prozess eingreifen.
Vielmehr haben sie schon über Monate unbeteiligt zugesehen, wie eine sehr kleine Schar von Beratern aus Nicht-Regierungsorganisationen die Taxonomie-Ausfüllung ins Werk setzt, ohne sich dabei um staatliche Strategievorgaben oder herrschende Regierungsmeinungen zu Sicherheitsfragen zu kümmern. Die EU-Kommission verlässt sich in vielen Fällen auf die Beratung von Nicht-Regierungsorganisationen, deren Input sie auch zu ihrer eigenen Legitimation nutzt. Hier aber kann dies zu einer Implosion der gesamten EU-Sicherheitspolitik führen.