nach einem langen und erbitterten Streit hat sich die EU-Kommission mit der polnischen Regierung auf einen Plan für die Auszahlung milliardenschwerer Corona-Hilfen verständigt. Heute wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Warschau erwartet, wo sie die Details der Einigung vorstellen wird.
Die Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, reagiert verhalten auf die Entscheidung der EU-Kommission, die Mittel aus dem Aufbaufonds für Polen freizugeben. Es müsse noch gründlich geprüft werden, ob die Fortschritte im Bereich Rechtsstaatlichkeit in Polen ausreichten, sagte die Grünen-Politikerin im Interview mit Table.Media. “Klar ist: Es gibt keine Rabatte auf die Rechtsstaatlichkeit – sie ist das Fundament der EU.”
Im Interview fordert Lührmann außerdem eine “ernsthafte Debatte” über das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU. “Wir sind zu langsam”, sagt sie über Europas Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund von Ungarns Blockade beim Öl-Embargo.
Diese Blockade dauerte auch gestern noch an: Eigentlich sollte das Beschlussverfahren für das sechste Sanktionspaket endlich auf den Weg gebracht werden. Doch nun verlangt Ungarn weitere Änderungen. Diesmal geht es um Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Mehr lesen Sie in den News.
Reformbedarf in der EU sieht auch Hennig Vöpel, Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep). Europa erlebe einen historischen Moment, schreibt er im Standpunkt. Die aktuellen Ereignisse erforderten “nicht mehr und nicht weniger als eine neue europäische Verfassung“.
Viel Wind und Sonne und eine “konsequente Industrialisierungspolitik”, die bei ausländischen Unternehmen und Regierungen Vertrauen schafft – Ägypten gilt als guter Partner bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Künftig wollen die EU und Kairo in diesem Bereich eng zusammenarbeiten. Doch bei großen Projekten zögere die ägyptische Regierung bisweilen, schreibt Katja Scherer. Denn bislang fehle eine nationale Wasserstoffstrategie. Davon hänge ab, welchen Anteil seines Wind- und Solarkraftpotenzials das Land überhaupt für den Export freigeben will.
Frau Staatsministerin, insbesondere Ungarn hat das Öl-Embargo gegen Russland wochenlang aufgehalten. Wie handlungsfähig ist die EU in dem Konflikt noch?
Der Fall zeigt, dass die EU trotz divergierender Interessen der Mitgliedstaaten in der Lage ist, Kompromisse zu finden. Aber wir sind zu langsam und Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sind selten optimal. Der Fall zeigt daher vor allem, dass uns die Einstimmigkeit in der EU hemmt und schnelles Handeln verzögert. Ich wünsche mir, dass wir hierzu nun eine ernsthafte Debatte führen. Die Bürgerinnen und Bürger haben im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas klar gesagt, dass die Europäische Union außenpolitisch handlungsfähiger werden und mit einer Stimme sprechen muss (Europe.Table berichtete). Es ist höchste Zeit, dass wir diese Frage angehen.
Viele Regierungen waren bislang aber nicht bereit, ihr Vetorecht in der Außen- und Sicherheitspolitik aufzugeben.
Ich sehe bei vielen Mitgliedstaaten hier eine größere Offenheit als zuvor, auch in Mittel- und Osteuropa. Ich bin daher verhalten optimistisch, dass es vorangehen könnte.
Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Die Krux ist natürlich, dass man Einstimmigkeit braucht, um die Einstimmigkeit abzuschaffen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine besteht aber eine gewisse Dynamik in diese Richtung. Es gibt zum einen die Passerelle-Klausel, die im Lissabonner Vertrag schon angelegt ist. Vorstellbar wären auch Zwischenschritte, etwa dass nicht nur ein Land eine Entscheidung verhindern kann.
Könnte das Thema schon den EU-Gipfel Ende Juni beschäftigen?
Der kommende Gipfel wird sich mit drei zusammenhängenden Themen beschäftigen: mit der EU-Beitrittsperspektive der Ukraine, Moldaus und Georgiens sowie der überfälligen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien; mit der Diskussion über Wider Europe, also der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, von Ratspräsident Charles Michel und anderen aufgeworfenen Frage (Europe.Table berichtete), ob es neue Formen der institutionellen Anbindung unserer Nachbarschaft an die EU braucht; und mit den Ergebnissen der Zukunftskonferenz und der institutionellen Reform der EU. Ich hoffe sehr, dass in den Schlussfolgerungen dann festgehalten wird, wie wir mit den institutionellen Reformen verfahren wollen.
Macrons Vorschlag für eine Politische Gemeinschaft für beitrittswillige Länder wurde von Kanzler Olaf Scholz wenig begeistert aufgenommen. Die Bundesregierung unterstützt die Idee also nicht?
Darüber wird gerade intensiv diskutiert, in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten. Ein ähnlicher Impuls kam aus Italien, Präsident Macron hat ihn aufgegriffen, Österreich hat sich jüngst recht positiv dazu positioniert. Für uns ist zentral, dass wir unser Versprechen gegenüber den Ländern des westlichen Balkans einlösen und im Juni mit den Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beginnen.
Macron fordert auch, dass integrationswillige Mitgliedstaaten in einer Art Kerneuropa innerhalb der EU voranschreiten können. Angela Merkel hat dies stets abgelehnt. Wie steht die neue Bundesregierung dazu?
Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass man in bestimmten Bereichen gemeinsam voranschreiten kann – solange dies allen Mitgliedstaaten offensteht. Ich stelle in meinen Gesprächen mit anderen Regierungen, aber auch im Bundestag fest, dass sich viele mit diesen Fragen beschäftigen. Es bleibt ein Balanceakt, der Behutsamkeit und Fingerspitzengefühl erfordert. Gleichwohl sollten integrationswillige Mitgliedstaaten voranschreiten können – so wie in den aktuellen Verträgen bereits angelegt.
Die inneren Fliehkräfte in der EU haben in den vergangenen Jahren zugenommen, Stichwort: Rechtsstaatlichkeit. Erfordert die Bedrohung durch Russland nun Nachsicht mit den Regierungen in Polen und Ungarn?
Klar ist: Es gibt keine Rabatte auf die Rechtsstaatlichkeit – sie ist das Fundament der EU. Das Thema hat für uns daher höchste Priorität. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf unser europäisches Wertefundament, weil wir für ein anderes, auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basierendes Gesellschaftsmodell stehen. Deshalb müssen wir als EU nicht nur nach außen, sondern auch nach innen ganz klar sein.
Die EU-Kommission hat sich mit der polnischen Regierung auf einen Plan für die Auszahlung der Corona-Hilfen geeinigt, die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts soll abgeschafft werden. Sind Sie mit der Einigung einverstanden?
Ich freue mich, wenn es Fortschritte im Bereich Rechtsstaatlichkeit gibt. Ob die ausreichen, muss nun gründlich geprüft werden. Das Gesetz liegt noch nicht in seiner endgültigen Fassung vor, auch die angekündigten weiteren Maßnahmen nicht. Wichtig ist, dass die Richterinnen und Richter, die damals EU-rechtskonform ernannt worden sind, tatsächlich weiterarbeiten können.
Das Öl-Embargo hat die Geschlossenheit der EU gegenüber Russland auf eine harte Probe gestellt. Der nächste Härtetest steht an – Gazprom dreht einem Staat nach dem anderen das Gas ab. Hält die Solidarität hier?
Es wurden einige Vorkehrungen getroffen, etwa über gemeinsame Gaseinkäufe. Die Solidarität innerhalb der EU ist sehr stark, und sie wird es auch weiter sein. Dies ist ein Moment, in dem wir durch Solidarität stärker zusammenwachsen. Deshalb ist es absolut zentral, dass wir sie bewahren.
Die Bundesregierung ist selbst scharf kritisiert worden, etwa wegen schleppender Waffenlieferungen an die Ukraine. Wird Deutschland seiner Führungsrolle nicht gerecht?
Wir tun mehr als uns nachgesagt wird, von Waffenlieferungen bis zu humanitärer Unterstützung für die Ukraine. Wir arbeiten weiter mit unseren Partnern daran, auch im Bereich der Waffenlieferungen mehr möglich zu machen. Das wird von unseren internationalen Partnern und Freunden auch anerkannt. Die EU kann nur funktionieren, wenn das Verständnis herrscht, dass wir gemeinsam vorankommen.
Ein halbes Jahr dauert es noch, bis Ägypten voll im Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit steht. Das Land richtet im November die UN-Klimakonferenz COP27 aus. Und schon jetzt laufen die Vorbereitungen dafür. Die ägyptische Regierung stellt ihren Energiesektor neu auf – in Richtung Nachhaltigkeit. Und die EU präsentiert sich als wichtiger Partner dafür.
Die EU und Ägypten wollen künftig vor allem bei der Produktion von grünem Wasserstoff enger zusammenarbeiten. Das verabredeten EU-Klimakommissar Frans Timmermanns und Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry bei einem Treffen im April. “In Anbetracht des bedeutenden Potenzials Ägyptens, einen gerechten und integrativen grünen Übergang [der Wirtschaft] voranzutreiben” wolle man “eine weitere Zusammenarbeit durch Investitionen, den Austausch von Fachwissen und Technologie” prüfen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Genau wie die deutsche Bundesregierung hofft die EU, durch den Import von grünem Wasserstoff ihre Klimaziele zu erreichen. Und Ägypten soll und will diesen grünen Wasserstoff liefern.
Als guter Partner gilt Ägypten dabei nicht nur, weil es dort viel Wind und Sonne gibt – also gute geografische Voraussetzungen für die Wasserstoffproduktion. Die ägyptische Regierung sei in den vergangenen Jahren auch durch eine konsequente Industrialisierungspolitik aufgefallen, sagt Stefan Liebing, der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. “Das hat bei ausländischen Unternehmen und Regierungen Vertrauen geschaffen.”
Die ägyptische Regierung hat zum Beispiel zwischen den Jahren 2015 und 2018 drei neue Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken vom deutschen Siemens-Konzern bauen lassen. Und der Benban-Solarpark in der ägyptischen Wüste – ein weiteres Vorzeigeprojekt des Landes – gilt als einer der größten weltweit.
Ägypten ist also strukturell in der Lage, Großprojekte im Energiebereich umzusetzen. Für die EU ist das eine wichtige Voraussetzung dafür, um mit dem Land Wasserstoffprojekte zu planen und durchzuführen. Vielversprechend ist aus Sicht von Brüssel zudem, dass Ägypten ambitionierte Ziele im Energiesektor verfolgt. Das Land ist wegen seiner Gasvorkommen schon jetzt Energieexporteur. Und es will künftig seine Stellung als “regionaler Hub für Energie” weiter ausbauen, schreibt die deutsche Außenwirtschaftsförderung GTAI. Mit Blick auf die eigene Versorgung plant die Regierung bis zum Jahr 2035 42 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. Bis Ende des Jahres sollen es immerhin schon 20 Prozent sein.
Dass das nicht nur leere Versprechungen sind, zeigen Taten. Nach Angaben der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer hat die ägyptische Regierung gut 7600 Quadratkilometer als potenzielle Flächen für erneuerbare Energieprojekte ausgewiesen. Erste Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff in Ägypten laufen bereits. Ein Firmenkonsortium um das norwegische Unternehmen Scatec ASA will ein Wasserstoffwerk am Suezkanal bei Ain Sokhna errichten. Der deutsche Konzern Thyssenkrupp sowie die belgische DEME Group haben ebenfalls an einer Produktion vor Ort Interesse angemeldet.
Noch zögert die ägyptische Regierung, solche Projekte in großem Umfang freizugeben, sagt Jan Noether, der Leiter der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. Der Grund: “Ägypten fehlt noch eine nationale Wasserstoffstrategie, die in die nationale Energiestrategie eingebettet ist.” Das heißt im Klartext: Die ägyptische Regierung hat zwar großes Interesse daran, sich als Wasserstoff-Exporteur und Partner der EU zu etablieren. Zunächst muss sie aber für sich selbst klären: Welchen Anteil ihres Wind- und Solarkraftpotenzials will sie nutzen, um die eigene Wirtschaft grüner aufzustellen? Und wie viel will sie für den Export freigeben?
Aktuell erstellt die Europäische Entwicklungsbank eine Wasserstoff-Marktstudie für das Land. Diese soll bis zur UN-Klimakonferenz COP27 vorliegen und als Basis für die nationale Wasserstoffstrategie dienen. Mit Blick auf Deutschland gilt es zudem weitere Hürden aus dem Weg zu räumen. So existiert zwar seit dem Jahr 2018 eine Energiepartnerschaft zwischen Ägypten und der EU. Europäische Unternehmen, die vor Ort Energieprojekte umsetzen, haben also Anspruch auf staatliche Förderung. Für deutsche Unternehmen gilt das aber noch nicht, weil die Energiepartnerschaft erst noch auf nationaler Ebene besiegelt werden muss. Das soll im Juli passieren, wenn Ägyptens Präsident Al-Sisi nach Deutschland kommt.
Jenseits der politischen Rahmenbedingungen bleibt abzuwarten, welche Pläne Unternehmen für die Wasserstoffproduktion in Ägypten vorlegen. Grundsätzlich biete das Land zwar gute Voraussetzungen für ausländische Direktinvestitionen, sagt Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. “Großprojekte in Ägypten bekommen Unternehmen in der Regel von den Banken finanziert, da das Ausfallrisiko für Kredite als vergleichsweise gering gilt.” Unternehmen müssten aber zunächst prüfen, welche Wasserstoffprojekte überhaupt rentabel seien.
Liebing führt neben seiner Arbeit beim Afrika-Verein das Hamburger Beratungsunternehmen Conjuncta GmbH, das derzeit Wasserstoffprojekte in Angola und Südafrika umsetzt. Er sagt: Gute Standorte für grünen Wasserstoff sind nicht so leicht zu finden. Unternehmen brauchen vor Ort sowohl gute Solar- als auch gute Windkraftverhältnisse. Nur dann können sie Wasserstoff rund um die Uhr erzeugen und ihre teuren Anlagen optimal auslasten. Anders sei grüner Wasserstoff bisher preislich nicht konkurrenzfähig. Außerdem müssen die Anlagen gut mit Wasser versorgt sein, zum Beispiel durch eine Entsalzungsanlage an der Küste. Und sie brauchen eine gute logistische Anbindung, damit der Wasserstoff abtransportiert werden kann.
Die Anforderungen an gute Standorte sind also hoch – und es bleibt abzuwarten, wie viele Unternehmen sich für eine Produktion vor Ort entscheiden. Grundsätzlich bietet eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Ägypten aber für beide Seiten Vorteile. Eines der wichtigsten Ziele der ägyptischen Regierung sei es, mehr Jobs zu schaffen, sagt Jan Noether von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. Das Land habe eine gut ausgebildete, junge Bevölkerung auf der Suche nach wirtschaftlichen Perspektiven. “Und die Produktion von grünem Wasserstoff bringt genau solche gut bezahlten, zukunftsgerichteten Arbeitsplätze.”
Für die EU wiederum ist Ägypten insbesondere mit Blick auf die COP27 ein wichtiger Verbündeter. Kairo könne zum Vorreiter werden sowohl bei der eigenen Energiewende als auch beim Export grüner Energie, sagt der Unternehmensberater Stefan Liebing. Das schaffe ein Exempel für ganz Afrika: “Wenn Ägypten beweist, dass man Wirtschaftswachstum und Klimaschutz kombinieren kann, werden andere afrikanische Länder nachziehen.” Aus Sicht der EU wäre das wünschenswert – es bedeutet aber, dass man mit einem diktatorischen Regime gemeinsame Sache machen muss. Katja Scherer, WirtschaftinAfrika.de
03.06.2022 – 10:00-12:00 Uhr, online
BMBF & BDI, Conference High Energy Meets Low Carb – Boosting Innovative Low-Carbon Technologies for Europe’s Energy-Intensive Industries
Experts invited by the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and the Federation of German Industries (BDI) will discuss further steps to implement the European Research Area (ERA) roadmap for low-carbon technologies in energy-intensive industries. INFOS & REGISTRATION
03.06.2022 – 14:00-15:30 Uhr, online
FSR, Seminar An Overview of Recent Energy Case Law from the CJEU
The event, hosted by the Florence School of Regulation (FSR), will provide an overview of key energy cases, including ACER, since December 2021. INFOS & REGISTRATION
07.06.-08.06.2022, Klaipėda (Litauen)
Conference Baltic LNG & Gas Forum
At the forum on LNG and gas uptake in the Baltics, topics to be discussed include ensuring energy security in the Baltic region, infrastructure challenges, regulation and policy perspectives. INFOS & TICKETS
22.06.2022 – 10:00-16:00 Uhr, Jülich/online
DLR, Conference Digital Technologies for Concentrated Solar Power
The speakers of the German Aerospace Center (DLR) will discuss market trends and developments in the field of digital technologies for concentrated solar power. REGISTRATION UNTIL 06.06.2022
Die EU-Kommission hat sich nach monatelangem Streit mit der Regierung in Polen auf einen Plan für die Auszahlung milliardenschwerer Corona-Hilfen verständigt. Das teilte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch mit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werde an diesem Donnerstag in Warschau sein und Details der Einigung vorstellen.
Vorangegangen war ein erbitterter Streit über die polnischen Justizreformen, die nach Ansicht von Kritikern die Unabhängigkeit polnischer Richter beschneidet. Von der Leyen hatte stets gefordert, dass entscheidende Reformen zurückgenommen werden. Bis Polen tatsächlich Geld aus dem 800 Milliarden Euro schweren Corona-Fonds erhält, wird es allerdings noch dauern. Zunächst muss das Land in dem Aufbauplan vereinbarte Zwischenziele erreichen.
Polen hatte seinen Corona-Aufbauplan bereits im Mai 2021 eingereicht. Um Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen Mitgliedstaaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt werden sollte. Die Genehmigung des polnischen Plans wurde allerdings verschoben. Der EU-Kommission zufolge kann Polen 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen sowie zusätzlichen 11,5 Milliarden Euro an Krediten erhalten. Nun muss noch der Rat der 27 EU-Staaten den polnischen Plan billigen.
Der Streit um die polnische Justizreform zwischen Brüssel und Warschau stand dem jedoch im Weg und wurde teils erbittert geführt. Noch im Oktober kam es im Straßburger Europaparlament zur persönlichen Konfrontation zwischen von der Leyen und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. dpa
Ungarn hat am Mittwoch eine Verabschiedung des sechsten Sanktionspakets im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AstV) mit neuen Forderungen blockiert. Es sei sehr viel technische Vorarbeit geleistet worden, um die Einigung der Staats- und Regierungschefs zum Öl-Embargo in einen Rechtstext zu bringen, so ein EU-Diplomat. Dies sei beim Treffen der EU-Botschafter gewürdigt worden.
Ungarn habe aber gefordert, den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill von der Liste der Sanktionen zu nehmen. Andere Mitgliedstaaten hätten sich dagegen gestellt. Der Patriarch soll als enger Vertrauter von Wladimir Putin und als expliziter Unterstützer von dessen Kriegskurs in der Ukraine auf die Sanktionsliste. Kirill soll sehr wohlhabend sein und mehrere Luxusimmobilien in der EU besitzen.
Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat sich schon länger dagegen ausgesprochen, den Kirchenführer auf die Liste zu setzen. Dies sei eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo. Der französische Ratsvorsitz versucht in Konsultationen mit den Mitgliedstaaten einen Ausweg zu finden. Die EU-Botschafter wollen heute in Luxemburg am Rande eines Ministertreffens einen neuen Anlauf nehmen.
Ungarn hat bereits eine temporäre Ausnahme vom Öl-Embargo durchgesetzt und soll vorerst unbefristet russisches Öl über die Druschba-Pipeline beziehen können. sti
Kroatien erfüllt nach einer abschließenden Bewertung der EU-Kommission die Voraussetzungen für die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro. Wie die Brüsseler Behörde am Mittwoch mitteilte, könnten damit die noch ausstehenden EU-Beschlüsse zur Umstellung getroffen werden. Kroatien will seine Landeswährung Kuna ab dem kommenden Jahr durch den Euro ersetzen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: “Weniger als ein Jahrzehnt nach seinem EU-Beitritt ist Kroatien nun bereit, dem Euro-Währungsgebiet am 1. Januar beizutreten.” Dies werde die kroatische Wirtschaft stärken und den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt Vorteile bringen. Durch die Einführung des Euro in Kroatien werde auch der Euro gestärkt.
Kroatien bemüht sich seit Jahren, die Kriterien für eine Aufnahme in den Euro-Club zu erfüllen. Als bislang letztes Land war zum 1. Januar 2015 Litauen als 19. Mitglied in den Kreis der Länder mit der Gemeinschaftswährung aufgenommen worden. Nach den EU-Verträgen sind alle Mitgliedsstaaten bis auf Dänemark zum Beitritt zur Gemeinschaftswährung verpflichtet, sobald sie die Voraussetzungen erfüllen. Mehrere Staaten verfolgen dies aber nicht mit Nachdruck – zu ihnen zählen zum Beispiel Schweden und Ungarn.
Den förmlichen Beschluss über die Euro-Einführung in Kroatien soll der Rat der 27 EU-Mitgliedsstaaten in der ersten Juli-Hälfte fassen. Schwierigkeiten werden nach der eindeutigen Bewertung der EU-Kommission allerdings nicht erwartet. dpa
Vor der Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments zu einem Großteil des Fit-for-55-Pakets kommende Woche haben Verhandler:innen der verschiedenen Fraktionen neue Kompromisse gefunden. Sowohl zum Ambitionsniveau des bestehenden EU-Emissionshandelssystems (ETS) als auch zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) gibt es neue Vorschläge. Allerdings sind diese in beiden Fällen bislang nicht mehrheitsfähig im Parlament, da jeweils die Unterstützung einer weiteren großen Fraktion fehlt.
Beim CBAM haben Renew und S&D sich darauf geeinigt, dass der Mechanismus bereits Ende 2032 die freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten für die Industrie ersetzen soll. Im ENVI-Ausschuss kam noch vor zwei Wochen mit Unterstützung der Grünen (Europe.Table berichtete), aber ohne die EVP, eine Mehrheit für das Jahr 2030 zustande.
Außerdem sieht der neue Kompromiss der Liberalen und Sozialdemokraten vor, für nachhaltig produzierte und zum Export vorgesehene Produkte europäischer Produzenten der CBAM-Sektoren weiterhin kostenlose Zertifikate auszugeben. Dies soll dafür sorgen, dass europäische Export-Unternehmen aufgrund der CO2-Bepreisung im ETS am internationalen Markt keinen Nachteil (Europe.Table berichtete) und dennoch Schutz vor Carbon Leakage haben. Die fehlende Regelung für Exporte ist ein entscheidender Kritikpunkt am CBAM, den auch die Bundesregierung stets angeführt hat (Europe.Table berichtete).
Den zweiten neuen Kompromiss vor der finalen Abstimmung schlossen Renew und die EVP ohne Grüne und S&D. Er sieht vor, 2024 nur 70 Millionen CO2-Zertifikate vom Markt zu nehmen, statt der von der Kommission vorgeschlagenen rund 110 Millionen. Um die Ambitionen des Klimapakets dennoch nicht zu senken, sollen 2026 noch einmal 50 Millionen CO2-Zertifikate gelöscht werden. Das Argument hier: Man schocke den Markt nicht auf einen Schlag und “überkompensiert” die zuvor gesenkten Ambitionen zu einem späteren Zeitpunkt, erklärte Berichterstatter Peter Liese am Mittwoch.
Der ENVI-Kompromiss hatte sogar eine Löschung von 205 Millionen Zertifikaten vorgesehen – mit Renew-Unterstützung. Aus Parlamentskreisen ist zu hören, dass Grüne und S&D derzeit an einem weiteren Vorschlag arbeiten, der die Löschung von 110 Millionen Zertifikaten (also die Rückkehr zum Kommissionsvorschlag) vorsieht. Damit soll die Renew-Fraktion zurück an Bord geholt werden. Auch ein Mindestpreis von 60 Euro pro Tonne CO2 wird laut Grünen-Schattenberichterstatter Michael Bloss derzeit noch diskutiert.
Die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments ist für kommende Woche Dienstag (7. Juni) vorgesehen. luk
Im seit Jahren andauernden Streit zwischen Deutschland und der EU-Kommission um die Umsetzung der Nitratrichtlinie sind die Parteien einer Einigung nähergekommen. So hat die Brüsseler Behörde offenbar einem Vorschlag des Landwirtschaftsministeriums (BMEL) zugestimmt, wonach die sogenannten Roten Gebiete erheblich ausgeweitet werden sollen, wie das BMEL mitteilt. Gemeint sind landwirtschaftliche Nutzflächen, in denen die Nitratbelastung im Grundwasser besonders hoch ist und in denen deshalb 20 Prozent weniger Dünger ausgebracht werden darf.
Dem neuen Vorschlag zufolge soll der Umfang dieser Gebiete von derzeit zwei auf knapp drei Millionen Hektar anwachsen. Nach intensiven Gesprächen habe die Kommission dem Entwurf zugestimmt und eine zügige Verabschiedung angemahnt, heißt es in der Mitteilung des BMEL. Ziel sei es nun, dass die geplante Gebietsausweitung noch vor der Sommerpause im Bundesrat beschlossen wird.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) appelliert an seine Länderkolleg:innen, den Vorschlag zu unterstützen. Man wolle den Geduldfaden der Kommission “auf den letzten Metern nicht überstrapazieren”. Auch müsse der Landwirtschaft, die “zu lange Leidtragende einer unseligen Hinhaltetaktik” gewesen sei, endlich ein verlässlicher Rahmen gegeben werden.
Die EU-Kommission hatte die unzureichende Umsetzung der Nitratrichtlinie in Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder angeprangert und bereits mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht bekommen. Sollte die Richtlinie weiterhin nicht eingehalten werden und es zu einem weiteren Verfahren kommen, dann drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe.
Zu einer erhöhten Nitratbelastung kommt es insbesondere durch den übermäßigen Einsatz von Stickstoffdünger. Ohne diesen wären Erträge in der heutigen Größenordnung allerdings undenkbar. Landwirte befürchten deshalb Ernteeinbußen und klagen über zusätzliche Bürokratie und notwendige Investitionen durch den neuen Vorschlag. Die EU-Nitratrichtlinie dient dem Gesundheits- und Naturschutz und stammt bereits aus dem Jahr 1991. Neben Deutschland verstoßen nur Belgien und Italien nach wie vor gegen die Grenzwerte. til
Es gibt im Leben wie in der Geschichte Momente, in denen Entscheidungen gleichsam Weichenstellungen sind. Entscheidungen, durch die sich Richtungen und Prozesse maßgeblich verändern. Solche Momente definieren zumeist ein Zeitfenster der bewussten Gestaltung – oder des irreversiblen Zauderns und Unterlassens. Wenn es sich schließt, lässt es sich womöglich für viele Jahre nicht wieder öffnen.
Europa erlebt derzeit einen solchen Moment. Die noch immer nicht vollständig überwundene Pandemie und vor allem der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erfordern kurzfristig Antworten, die nicht wie sonst jahrelang vorbereitet werden können. Langwierige Abstimmungsprozesse verdichten sich zu einem Moment, in dem es gilt, mit Mut, Vision und Klugheit rasch den richtigen Kurs einzuschlagen und Hindernisse zu überwinden. In der Geschichte Europas waren es fast immer Momente wie diese, in denen eine Emulsion aus historischer Möglichkeit und politischer Vision Europa auf die nächste Stufe hob.
Es liegt in der Natur solcher Momente, dass sie ebenso große Chancen wie Risiken beinhalten. Eine gleichsam mutige und kluge Entscheidung setzt daher voraus, sich klar darüber zu werden, welche Antworten die Gegenwart erfordert und welche Wege in die Zukunft sich dadurch manifestieren.
Die gegenwärtigen Ereignisse, die in ihrer Gesamtheit und in ihrem historischen Kontext einen “Europäischen Moment” definieren, erzwingen gewissermaßen eine Anpassung des bisherigen Integrationsprozesses und damit nicht mehr und nicht weniger als eine neue europäische Verfassung. Die Tragweite darf daher weder politisch noch institutionell unterschätzt werden.
Es besteht in solchen Momenten nicht nur, wie oben beschrieben, die Gefahr, ein historisches Zeitfenster zu verpassen, sondern zugleich die Gefahr von Kipppunkten, also von Dynamiken, die ab einem bestimmten Punkt irreversibel werden. Politisch notwendige und vielleicht auch opportune Antworten in der Gegenwart können zu institutionell problematischen Entwicklungen in der Zukunft führen.
Drei Beispiele illustrieren die Dilemmata der EU:
Politisch gibt es wohl keine Alternative dazu, der Ukraine den Weg in die EU zu ebnen. Anders lässt sich die europäische Einflusssphäre gegenüber der russischen oder chinesischen nicht behaupten. Eine Vollmitgliedschaft zu einem verfrühten Zeitpunkt aber würde die ohnehin schon hohe Heterogenität der EU weiter erhöhen, denn so richtig es ist, die Ukraine enger an die EU zu binden, so unstrittig ist auch, dass die Ukraine von der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft heute noch weit entfernt ist.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat als “Lösung” die Idee einer politischen Gemeinschaft eingeführt, die so etwas Ähnliches beschreibt wie eine europäische Einflusssphäre bzw. eine erneuerte politische Idee des früheren “Westens”, die damals ein zwar vages, aber doch attraktives Narrativ für die osteuropäischen Länder bot, sich Richtung Westen zu orientieren.
Das gerade beschlossene (Teil-)Öl-Embargo der EU gegen Russland stand vor dem Problem, dass es nur dann Wirkung entfaltet, wenn es von allen EU-Ländern mitgetragen wird. Alles andere wäre eine Niederlage für die EU und hätte Wladimir Putin nur gestärkt in der Absicht, die EU über diese Frage zu spalten. Wenn nun aber die energiepolitischen Abhängigkeiten und Interessen unter den EU-Mitgliedstaaten sehr heterogen sind, lässt sich Einstimmigkeit nur durch einen “Ausgleich” herstellen. Oder aber man definiert eine gemeinsame europäische Energiepolitik, was jedoch eine weitere Zentralisierung bedeuten würde. Mehr noch: In der Auseinandersetzung mit Putin müsste die EU zu immer schärferen Eskalationsstufen fähig sein.
Tatsächlich aber wird mit jedem weiteren Schritt eine Einigung immer teurer oder die Wirkung immer geringer. Umgekehrt steigt durch diese institutionelle Dysfunktion die Verhandlungsmacht einzelner Mitgliedstaaten in der Durchsetzung nationaler Interessen, wie etwa das Beispiel Ungarn zeigt, das die Einstimmigkeitsregel der EU nutzt, um Entscheidungen zu blockieren und eigene Vorteile zu erpressen.
Die Pandemie hat politisch eine große europäische Solidarität zur Überwindung ihrer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen erfordert. In diesem Zuge wurde der EU eingeräumt, sich zur Finanzierung des Konjunkturpakets NextGenerationEU über 750 Milliarden Euro gemeinschaftlich zu verschulden. Auch hier könnte eine historisch erzwungene politische Entscheidung die institutionelle Entwicklung der EU maßgeblich verändern, nämlich dann, wenn sich dieses temporäre Finanzierungsinstrument als dauerhafte Fazilität etablieren sollte.
Die Krisen und Ereignisse der vergangenen Monate haben dazu geführt, dass die EU nach Innen um mehr Stabilität und nach Außen um mehr Souveränität ringt. Das Dilemma besteht darin, dass die EU schneller handeln müsste, um nach Außen souveräner zu sein, und zugleich geschlossener, um nach Innen stabiler zu sein. Das Spannungsverhältnis zwischen Souveränität und Stabilität wird dabei wesentlich durch die institutionelle Balance folgender Trade-offs bestimmt:
Das Modell unterschiedlicher Geschwindigkeiten ist nicht neu. Und so plausibel es im Ergebnis politisch scheint, so schwierig ist es im Verfahren institutionell umsetzbar. Denn es muss den Kern der EU als einen “Club der Willigen” stärken und schneller machen, gleichzeitig die Peripherie mit Staaten wie die Ukraine, Nordmazedonien oder Bosnien-Herzegowina enger an die EU binden.
Europa muss jetzt, da es historisch gefordert ist, weitsichtige Antworten geben. Dazu gibt es keine Alternative in einer Zeit, in der es nicht vorrangig um eine Harmonisierung kleinteiliger Politik zur Vollendung der Union geht, sondern im beginnenden geopolitischen Systemwettbewerb um die Stärkung einer gemeinsamen Idee von Europa.
nach einem langen und erbitterten Streit hat sich die EU-Kommission mit der polnischen Regierung auf einen Plan für die Auszahlung milliardenschwerer Corona-Hilfen verständigt. Heute wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Warschau erwartet, wo sie die Details der Einigung vorstellen wird.
Die Staatsministerin für Europa im Auswärtigen Amt, Anna Lührmann, reagiert verhalten auf die Entscheidung der EU-Kommission, die Mittel aus dem Aufbaufonds für Polen freizugeben. Es müsse noch gründlich geprüft werden, ob die Fortschritte im Bereich Rechtsstaatlichkeit in Polen ausreichten, sagte die Grünen-Politikerin im Interview mit Table.Media. “Klar ist: Es gibt keine Rabatte auf die Rechtsstaatlichkeit – sie ist das Fundament der EU.”
Im Interview fordert Lührmann außerdem eine “ernsthafte Debatte” über das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU. “Wir sind zu langsam”, sagt sie über Europas Handlungsfähigkeit vor dem Hintergrund von Ungarns Blockade beim Öl-Embargo.
Diese Blockade dauerte auch gestern noch an: Eigentlich sollte das Beschlussverfahren für das sechste Sanktionspaket endlich auf den Weg gebracht werden. Doch nun verlangt Ungarn weitere Änderungen. Diesmal geht es um Sanktionen gegen das russisch-orthodoxe Kirchenoberhaupt Patriarch Kirill. Mehr lesen Sie in den News.
Reformbedarf in der EU sieht auch Hennig Vöpel, Direktor des Centrums für Europäische Politik (cep). Europa erlebe einen historischen Moment, schreibt er im Standpunkt. Die aktuellen Ereignisse erforderten “nicht mehr und nicht weniger als eine neue europäische Verfassung“.
Viel Wind und Sonne und eine “konsequente Industrialisierungspolitik”, die bei ausländischen Unternehmen und Regierungen Vertrauen schafft – Ägypten gilt als guter Partner bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Künftig wollen die EU und Kairo in diesem Bereich eng zusammenarbeiten. Doch bei großen Projekten zögere die ägyptische Regierung bisweilen, schreibt Katja Scherer. Denn bislang fehle eine nationale Wasserstoffstrategie. Davon hänge ab, welchen Anteil seines Wind- und Solarkraftpotenzials das Land überhaupt für den Export freigeben will.
Frau Staatsministerin, insbesondere Ungarn hat das Öl-Embargo gegen Russland wochenlang aufgehalten. Wie handlungsfähig ist die EU in dem Konflikt noch?
Der Fall zeigt, dass die EU trotz divergierender Interessen der Mitgliedstaaten in der Lage ist, Kompromisse zu finden. Aber wir sind zu langsam und Einigungen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner sind selten optimal. Der Fall zeigt daher vor allem, dass uns die Einstimmigkeit in der EU hemmt und schnelles Handeln verzögert. Ich wünsche mir, dass wir hierzu nun eine ernsthafte Debatte führen. Die Bürgerinnen und Bürger haben im Rahmen der Konferenz zur Zukunft Europas klar gesagt, dass die Europäische Union außenpolitisch handlungsfähiger werden und mit einer Stimme sprechen muss (Europe.Table berichtete). Es ist höchste Zeit, dass wir diese Frage angehen.
Viele Regierungen waren bislang aber nicht bereit, ihr Vetorecht in der Außen- und Sicherheitspolitik aufzugeben.
Ich sehe bei vielen Mitgliedstaaten hier eine größere Offenheit als zuvor, auch in Mittel- und Osteuropa. Ich bin daher verhalten optimistisch, dass es vorangehen könnte.
Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Die Krux ist natürlich, dass man Einstimmigkeit braucht, um die Einstimmigkeit abzuschaffen. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine besteht aber eine gewisse Dynamik in diese Richtung. Es gibt zum einen die Passerelle-Klausel, die im Lissabonner Vertrag schon angelegt ist. Vorstellbar wären auch Zwischenschritte, etwa dass nicht nur ein Land eine Entscheidung verhindern kann.
Könnte das Thema schon den EU-Gipfel Ende Juni beschäftigen?
Der kommende Gipfel wird sich mit drei zusammenhängenden Themen beschäftigen: mit der EU-Beitrittsperspektive der Ukraine, Moldaus und Georgiens sowie der überfälligen Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien; mit der Diskussion über Wider Europe, also der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, von Ratspräsident Charles Michel und anderen aufgeworfenen Frage (Europe.Table berichtete), ob es neue Formen der institutionellen Anbindung unserer Nachbarschaft an die EU braucht; und mit den Ergebnissen der Zukunftskonferenz und der institutionellen Reform der EU. Ich hoffe sehr, dass in den Schlussfolgerungen dann festgehalten wird, wie wir mit den institutionellen Reformen verfahren wollen.
Macrons Vorschlag für eine Politische Gemeinschaft für beitrittswillige Länder wurde von Kanzler Olaf Scholz wenig begeistert aufgenommen. Die Bundesregierung unterstützt die Idee also nicht?
Darüber wird gerade intensiv diskutiert, in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten. Ein ähnlicher Impuls kam aus Italien, Präsident Macron hat ihn aufgegriffen, Österreich hat sich jüngst recht positiv dazu positioniert. Für uns ist zentral, dass wir unser Versprechen gegenüber den Ländern des westlichen Balkans einlösen und im Juni mit den Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beginnen.
Macron fordert auch, dass integrationswillige Mitgliedstaaten in einer Art Kerneuropa innerhalb der EU voranschreiten können. Angela Merkel hat dies stets abgelehnt. Wie steht die neue Bundesregierung dazu?
Wir haben im Koalitionsvertrag festgehalten, dass man in bestimmten Bereichen gemeinsam voranschreiten kann – solange dies allen Mitgliedstaaten offensteht. Ich stelle in meinen Gesprächen mit anderen Regierungen, aber auch im Bundestag fest, dass sich viele mit diesen Fragen beschäftigen. Es bleibt ein Balanceakt, der Behutsamkeit und Fingerspitzengefühl erfordert. Gleichwohl sollten integrationswillige Mitgliedstaaten voranschreiten können – so wie in den aktuellen Verträgen bereits angelegt.
Die inneren Fliehkräfte in der EU haben in den vergangenen Jahren zugenommen, Stichwort: Rechtsstaatlichkeit. Erfordert die Bedrohung durch Russland nun Nachsicht mit den Regierungen in Polen und Ungarn?
Klar ist: Es gibt keine Rabatte auf die Rechtsstaatlichkeit – sie ist das Fundament der EU. Das Thema hat für uns daher höchste Priorität. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf unser europäisches Wertefundament, weil wir für ein anderes, auf Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basierendes Gesellschaftsmodell stehen. Deshalb müssen wir als EU nicht nur nach außen, sondern auch nach innen ganz klar sein.
Die EU-Kommission hat sich mit der polnischen Regierung auf einen Plan für die Auszahlung der Corona-Hilfen geeinigt, die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts soll abgeschafft werden. Sind Sie mit der Einigung einverstanden?
Ich freue mich, wenn es Fortschritte im Bereich Rechtsstaatlichkeit gibt. Ob die ausreichen, muss nun gründlich geprüft werden. Das Gesetz liegt noch nicht in seiner endgültigen Fassung vor, auch die angekündigten weiteren Maßnahmen nicht. Wichtig ist, dass die Richterinnen und Richter, die damals EU-rechtskonform ernannt worden sind, tatsächlich weiterarbeiten können.
Das Öl-Embargo hat die Geschlossenheit der EU gegenüber Russland auf eine harte Probe gestellt. Der nächste Härtetest steht an – Gazprom dreht einem Staat nach dem anderen das Gas ab. Hält die Solidarität hier?
Es wurden einige Vorkehrungen getroffen, etwa über gemeinsame Gaseinkäufe. Die Solidarität innerhalb der EU ist sehr stark, und sie wird es auch weiter sein. Dies ist ein Moment, in dem wir durch Solidarität stärker zusammenwachsen. Deshalb ist es absolut zentral, dass wir sie bewahren.
Die Bundesregierung ist selbst scharf kritisiert worden, etwa wegen schleppender Waffenlieferungen an die Ukraine. Wird Deutschland seiner Führungsrolle nicht gerecht?
Wir tun mehr als uns nachgesagt wird, von Waffenlieferungen bis zu humanitärer Unterstützung für die Ukraine. Wir arbeiten weiter mit unseren Partnern daran, auch im Bereich der Waffenlieferungen mehr möglich zu machen. Das wird von unseren internationalen Partnern und Freunden auch anerkannt. Die EU kann nur funktionieren, wenn das Verständnis herrscht, dass wir gemeinsam vorankommen.
Ein halbes Jahr dauert es noch, bis Ägypten voll im Mittelpunkt der globalen Aufmerksamkeit steht. Das Land richtet im November die UN-Klimakonferenz COP27 aus. Und schon jetzt laufen die Vorbereitungen dafür. Die ägyptische Regierung stellt ihren Energiesektor neu auf – in Richtung Nachhaltigkeit. Und die EU präsentiert sich als wichtiger Partner dafür.
Die EU und Ägypten wollen künftig vor allem bei der Produktion von grünem Wasserstoff enger zusammenarbeiten. Das verabredeten EU-Klimakommissar Frans Timmermanns und Ägyptens Außenminister Sameh Shoukry bei einem Treffen im April. “In Anbetracht des bedeutenden Potenzials Ägyptens, einen gerechten und integrativen grünen Übergang [der Wirtschaft] voranzutreiben” wolle man “eine weitere Zusammenarbeit durch Investitionen, den Austausch von Fachwissen und Technologie” prüfen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.
Genau wie die deutsche Bundesregierung hofft die EU, durch den Import von grünem Wasserstoff ihre Klimaziele zu erreichen. Und Ägypten soll und will diesen grünen Wasserstoff liefern.
Als guter Partner gilt Ägypten dabei nicht nur, weil es dort viel Wind und Sonne gibt – also gute geografische Voraussetzungen für die Wasserstoffproduktion. Die ägyptische Regierung sei in den vergangenen Jahren auch durch eine konsequente Industrialisierungspolitik aufgefallen, sagt Stefan Liebing, der Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. “Das hat bei ausländischen Unternehmen und Regierungen Vertrauen geschaffen.”
Die ägyptische Regierung hat zum Beispiel zwischen den Jahren 2015 und 2018 drei neue Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerken vom deutschen Siemens-Konzern bauen lassen. Und der Benban-Solarpark in der ägyptischen Wüste – ein weiteres Vorzeigeprojekt des Landes – gilt als einer der größten weltweit.
Ägypten ist also strukturell in der Lage, Großprojekte im Energiebereich umzusetzen. Für die EU ist das eine wichtige Voraussetzung dafür, um mit dem Land Wasserstoffprojekte zu planen und durchzuführen. Vielversprechend ist aus Sicht von Brüssel zudem, dass Ägypten ambitionierte Ziele im Energiesektor verfolgt. Das Land ist wegen seiner Gasvorkommen schon jetzt Energieexporteur. Und es will künftig seine Stellung als “regionaler Hub für Energie” weiter ausbauen, schreibt die deutsche Außenwirtschaftsförderung GTAI. Mit Blick auf die eigene Versorgung plant die Regierung bis zum Jahr 2035 42 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. Bis Ende des Jahres sollen es immerhin schon 20 Prozent sein.
Dass das nicht nur leere Versprechungen sind, zeigen Taten. Nach Angaben der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer hat die ägyptische Regierung gut 7600 Quadratkilometer als potenzielle Flächen für erneuerbare Energieprojekte ausgewiesen. Erste Projekte für die Produktion von grünem Wasserstoff in Ägypten laufen bereits. Ein Firmenkonsortium um das norwegische Unternehmen Scatec ASA will ein Wasserstoffwerk am Suezkanal bei Ain Sokhna errichten. Der deutsche Konzern Thyssenkrupp sowie die belgische DEME Group haben ebenfalls an einer Produktion vor Ort Interesse angemeldet.
Noch zögert die ägyptische Regierung, solche Projekte in großem Umfang freizugeben, sagt Jan Noether, der Leiter der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. Der Grund: “Ägypten fehlt noch eine nationale Wasserstoffstrategie, die in die nationale Energiestrategie eingebettet ist.” Das heißt im Klartext: Die ägyptische Regierung hat zwar großes Interesse daran, sich als Wasserstoff-Exporteur und Partner der EU zu etablieren. Zunächst muss sie aber für sich selbst klären: Welchen Anteil ihres Wind- und Solarkraftpotenzials will sie nutzen, um die eigene Wirtschaft grüner aufzustellen? Und wie viel will sie für den Export freigeben?
Aktuell erstellt die Europäische Entwicklungsbank eine Wasserstoff-Marktstudie für das Land. Diese soll bis zur UN-Klimakonferenz COP27 vorliegen und als Basis für die nationale Wasserstoffstrategie dienen. Mit Blick auf Deutschland gilt es zudem weitere Hürden aus dem Weg zu räumen. So existiert zwar seit dem Jahr 2018 eine Energiepartnerschaft zwischen Ägypten und der EU. Europäische Unternehmen, die vor Ort Energieprojekte umsetzen, haben also Anspruch auf staatliche Förderung. Für deutsche Unternehmen gilt das aber noch nicht, weil die Energiepartnerschaft erst noch auf nationaler Ebene besiegelt werden muss. Das soll im Juli passieren, wenn Ägyptens Präsident Al-Sisi nach Deutschland kommt.
Jenseits der politischen Rahmenbedingungen bleibt abzuwarten, welche Pläne Unternehmen für die Wasserstoffproduktion in Ägypten vorlegen. Grundsätzlich biete das Land zwar gute Voraussetzungen für ausländische Direktinvestitionen, sagt Stefan Liebing vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft. “Großprojekte in Ägypten bekommen Unternehmen in der Regel von den Banken finanziert, da das Ausfallrisiko für Kredite als vergleichsweise gering gilt.” Unternehmen müssten aber zunächst prüfen, welche Wasserstoffprojekte überhaupt rentabel seien.
Liebing führt neben seiner Arbeit beim Afrika-Verein das Hamburger Beratungsunternehmen Conjuncta GmbH, das derzeit Wasserstoffprojekte in Angola und Südafrika umsetzt. Er sagt: Gute Standorte für grünen Wasserstoff sind nicht so leicht zu finden. Unternehmen brauchen vor Ort sowohl gute Solar- als auch gute Windkraftverhältnisse. Nur dann können sie Wasserstoff rund um die Uhr erzeugen und ihre teuren Anlagen optimal auslasten. Anders sei grüner Wasserstoff bisher preislich nicht konkurrenzfähig. Außerdem müssen die Anlagen gut mit Wasser versorgt sein, zum Beispiel durch eine Entsalzungsanlage an der Küste. Und sie brauchen eine gute logistische Anbindung, damit der Wasserstoff abtransportiert werden kann.
Die Anforderungen an gute Standorte sind also hoch – und es bleibt abzuwarten, wie viele Unternehmen sich für eine Produktion vor Ort entscheiden. Grundsätzlich bietet eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Ägypten aber für beide Seiten Vorteile. Eines der wichtigsten Ziele der ägyptischen Regierung sei es, mehr Jobs zu schaffen, sagt Jan Noether von der Deutsch-Arabischen Industrie- und Handelskammer. Das Land habe eine gut ausgebildete, junge Bevölkerung auf der Suche nach wirtschaftlichen Perspektiven. “Und die Produktion von grünem Wasserstoff bringt genau solche gut bezahlten, zukunftsgerichteten Arbeitsplätze.”
Für die EU wiederum ist Ägypten insbesondere mit Blick auf die COP27 ein wichtiger Verbündeter. Kairo könne zum Vorreiter werden sowohl bei der eigenen Energiewende als auch beim Export grüner Energie, sagt der Unternehmensberater Stefan Liebing. Das schaffe ein Exempel für ganz Afrika: “Wenn Ägypten beweist, dass man Wirtschaftswachstum und Klimaschutz kombinieren kann, werden andere afrikanische Länder nachziehen.” Aus Sicht der EU wäre das wünschenswert – es bedeutet aber, dass man mit einem diktatorischen Regime gemeinsame Sache machen muss. Katja Scherer, WirtschaftinAfrika.de
03.06.2022 – 10:00-12:00 Uhr, online
BMBF & BDI, Conference High Energy Meets Low Carb – Boosting Innovative Low-Carbon Technologies for Europe’s Energy-Intensive Industries
Experts invited by the German Federal Ministry of Education and Research (BMBF) and the Federation of German Industries (BDI) will discuss further steps to implement the European Research Area (ERA) roadmap for low-carbon technologies in energy-intensive industries. INFOS & REGISTRATION
03.06.2022 – 14:00-15:30 Uhr, online
FSR, Seminar An Overview of Recent Energy Case Law from the CJEU
The event, hosted by the Florence School of Regulation (FSR), will provide an overview of key energy cases, including ACER, since December 2021. INFOS & REGISTRATION
07.06.-08.06.2022, Klaipėda (Litauen)
Conference Baltic LNG & Gas Forum
At the forum on LNG and gas uptake in the Baltics, topics to be discussed include ensuring energy security in the Baltic region, infrastructure challenges, regulation and policy perspectives. INFOS & TICKETS
22.06.2022 – 10:00-16:00 Uhr, Jülich/online
DLR, Conference Digital Technologies for Concentrated Solar Power
The speakers of the German Aerospace Center (DLR) will discuss market trends and developments in the field of digital technologies for concentrated solar power. REGISTRATION UNTIL 06.06.2022
Die EU-Kommission hat sich nach monatelangem Streit mit der Regierung in Polen auf einen Plan für die Auszahlung milliardenschwerer Corona-Hilfen verständigt. Das teilte EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni am Mittwoch mit. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werde an diesem Donnerstag in Warschau sein und Details der Einigung vorstellen.
Vorangegangen war ein erbitterter Streit über die polnischen Justizreformen, die nach Ansicht von Kritikern die Unabhängigkeit polnischer Richter beschneidet. Von der Leyen hatte stets gefordert, dass entscheidende Reformen zurückgenommen werden. Bis Polen tatsächlich Geld aus dem 800 Milliarden Euro schweren Corona-Fonds erhält, wird es allerdings noch dauern. Zunächst muss das Land in dem Aufbauplan vereinbarte Zwischenziele erreichen.
Polen hatte seinen Corona-Aufbauplan bereits im Mai 2021 eingereicht. Um Geld aus der sogenannten Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) der EU zu erhalten, müssen Mitgliedstaaten einen Plan mit Investitions- und Reformvorhaben vorlegen, der eigentlich innerhalb von zwei Monaten von der Kommission beurteilt werden sollte. Die Genehmigung des polnischen Plans wurde allerdings verschoben. Der EU-Kommission zufolge kann Polen 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen sowie zusätzlichen 11,5 Milliarden Euro an Krediten erhalten. Nun muss noch der Rat der 27 EU-Staaten den polnischen Plan billigen.
Der Streit um die polnische Justizreform zwischen Brüssel und Warschau stand dem jedoch im Weg und wurde teils erbittert geführt. Noch im Oktober kam es im Straßburger Europaparlament zur persönlichen Konfrontation zwischen von der Leyen und dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. dpa
Ungarn hat am Mittwoch eine Verabschiedung des sechsten Sanktionspakets im Ausschuss der Ständigen Vertreter (AstV) mit neuen Forderungen blockiert. Es sei sehr viel technische Vorarbeit geleistet worden, um die Einigung der Staats- und Regierungschefs zum Öl-Embargo in einen Rechtstext zu bringen, so ein EU-Diplomat. Dies sei beim Treffen der EU-Botschafter gewürdigt worden.
Ungarn habe aber gefordert, den russisch-orthodoxen Patriarchen Kirill von der Liste der Sanktionen zu nehmen. Andere Mitgliedstaaten hätten sich dagegen gestellt. Der Patriarch soll als enger Vertrauter von Wladimir Putin und als expliziter Unterstützer von dessen Kriegskurs in der Ukraine auf die Sanktionsliste. Kirill soll sehr wohlhabend sein und mehrere Luxusimmobilien in der EU besitzen.
Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat sich schon länger dagegen ausgesprochen, den Kirchenführer auf die Liste zu setzen. Dies sei eine noch wichtigere Angelegenheit als das Öl-Embargo. Der französische Ratsvorsitz versucht in Konsultationen mit den Mitgliedstaaten einen Ausweg zu finden. Die EU-Botschafter wollen heute in Luxemburg am Rande eines Ministertreffens einen neuen Anlauf nehmen.
Ungarn hat bereits eine temporäre Ausnahme vom Öl-Embargo durchgesetzt und soll vorerst unbefristet russisches Öl über die Druschba-Pipeline beziehen können. sti
Kroatien erfüllt nach einer abschließenden Bewertung der EU-Kommission die Voraussetzungen für die Einführung der Gemeinschaftswährung Euro. Wie die Brüsseler Behörde am Mittwoch mitteilte, könnten damit die noch ausstehenden EU-Beschlüsse zur Umstellung getroffen werden. Kroatien will seine Landeswährung Kuna ab dem kommenden Jahr durch den Euro ersetzen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: “Weniger als ein Jahrzehnt nach seinem EU-Beitritt ist Kroatien nun bereit, dem Euro-Währungsgebiet am 1. Januar beizutreten.” Dies werde die kroatische Wirtschaft stärken und den Bürgerinnen und Bürgern, den Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt Vorteile bringen. Durch die Einführung des Euro in Kroatien werde auch der Euro gestärkt.
Kroatien bemüht sich seit Jahren, die Kriterien für eine Aufnahme in den Euro-Club zu erfüllen. Als bislang letztes Land war zum 1. Januar 2015 Litauen als 19. Mitglied in den Kreis der Länder mit der Gemeinschaftswährung aufgenommen worden. Nach den EU-Verträgen sind alle Mitgliedsstaaten bis auf Dänemark zum Beitritt zur Gemeinschaftswährung verpflichtet, sobald sie die Voraussetzungen erfüllen. Mehrere Staaten verfolgen dies aber nicht mit Nachdruck – zu ihnen zählen zum Beispiel Schweden und Ungarn.
Den förmlichen Beschluss über die Euro-Einführung in Kroatien soll der Rat der 27 EU-Mitgliedsstaaten in der ersten Juli-Hälfte fassen. Schwierigkeiten werden nach der eindeutigen Bewertung der EU-Kommission allerdings nicht erwartet. dpa
Vor der Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments zu einem Großteil des Fit-for-55-Pakets kommende Woche haben Verhandler:innen der verschiedenen Fraktionen neue Kompromisse gefunden. Sowohl zum Ambitionsniveau des bestehenden EU-Emissionshandelssystems (ETS) als auch zur Einführung eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) gibt es neue Vorschläge. Allerdings sind diese in beiden Fällen bislang nicht mehrheitsfähig im Parlament, da jeweils die Unterstützung einer weiteren großen Fraktion fehlt.
Beim CBAM haben Renew und S&D sich darauf geeinigt, dass der Mechanismus bereits Ende 2032 die freie Zuteilung von CO2-Zertifikaten für die Industrie ersetzen soll. Im ENVI-Ausschuss kam noch vor zwei Wochen mit Unterstützung der Grünen (Europe.Table berichtete), aber ohne die EVP, eine Mehrheit für das Jahr 2030 zustande.
Außerdem sieht der neue Kompromiss der Liberalen und Sozialdemokraten vor, für nachhaltig produzierte und zum Export vorgesehene Produkte europäischer Produzenten der CBAM-Sektoren weiterhin kostenlose Zertifikate auszugeben. Dies soll dafür sorgen, dass europäische Export-Unternehmen aufgrund der CO2-Bepreisung im ETS am internationalen Markt keinen Nachteil (Europe.Table berichtete) und dennoch Schutz vor Carbon Leakage haben. Die fehlende Regelung für Exporte ist ein entscheidender Kritikpunkt am CBAM, den auch die Bundesregierung stets angeführt hat (Europe.Table berichtete).
Den zweiten neuen Kompromiss vor der finalen Abstimmung schlossen Renew und die EVP ohne Grüne und S&D. Er sieht vor, 2024 nur 70 Millionen CO2-Zertifikate vom Markt zu nehmen, statt der von der Kommission vorgeschlagenen rund 110 Millionen. Um die Ambitionen des Klimapakets dennoch nicht zu senken, sollen 2026 noch einmal 50 Millionen CO2-Zertifikate gelöscht werden. Das Argument hier: Man schocke den Markt nicht auf einen Schlag und “überkompensiert” die zuvor gesenkten Ambitionen zu einem späteren Zeitpunkt, erklärte Berichterstatter Peter Liese am Mittwoch.
Der ENVI-Kompromiss hatte sogar eine Löschung von 205 Millionen Zertifikaten vorgesehen – mit Renew-Unterstützung. Aus Parlamentskreisen ist zu hören, dass Grüne und S&D derzeit an einem weiteren Vorschlag arbeiten, der die Löschung von 110 Millionen Zertifikaten (also die Rückkehr zum Kommissionsvorschlag) vorsieht. Damit soll die Renew-Fraktion zurück an Bord geholt werden. Auch ein Mindestpreis von 60 Euro pro Tonne CO2 wird laut Grünen-Schattenberichterstatter Michael Bloss derzeit noch diskutiert.
Die Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments ist für kommende Woche Dienstag (7. Juni) vorgesehen. luk
Im seit Jahren andauernden Streit zwischen Deutschland und der EU-Kommission um die Umsetzung der Nitratrichtlinie sind die Parteien einer Einigung nähergekommen. So hat die Brüsseler Behörde offenbar einem Vorschlag des Landwirtschaftsministeriums (BMEL) zugestimmt, wonach die sogenannten Roten Gebiete erheblich ausgeweitet werden sollen, wie das BMEL mitteilt. Gemeint sind landwirtschaftliche Nutzflächen, in denen die Nitratbelastung im Grundwasser besonders hoch ist und in denen deshalb 20 Prozent weniger Dünger ausgebracht werden darf.
Dem neuen Vorschlag zufolge soll der Umfang dieser Gebiete von derzeit zwei auf knapp drei Millionen Hektar anwachsen. Nach intensiven Gesprächen habe die Kommission dem Entwurf zugestimmt und eine zügige Verabschiedung angemahnt, heißt es in der Mitteilung des BMEL. Ziel sei es nun, dass die geplante Gebietsausweitung noch vor der Sommerpause im Bundesrat beschlossen wird.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) appelliert an seine Länderkolleg:innen, den Vorschlag zu unterstützen. Man wolle den Geduldfaden der Kommission “auf den letzten Metern nicht überstrapazieren”. Auch müsse der Landwirtschaft, die “zu lange Leidtragende einer unseligen Hinhaltetaktik” gewesen sei, endlich ein verlässlicher Rahmen gegeben werden.
Die EU-Kommission hatte die unzureichende Umsetzung der Nitratrichtlinie in Deutschland in den vergangenen Jahren immer wieder angeprangert und bereits mehrfach vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht bekommen. Sollte die Richtlinie weiterhin nicht eingehalten werden und es zu einem weiteren Verfahren kommen, dann drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe.
Zu einer erhöhten Nitratbelastung kommt es insbesondere durch den übermäßigen Einsatz von Stickstoffdünger. Ohne diesen wären Erträge in der heutigen Größenordnung allerdings undenkbar. Landwirte befürchten deshalb Ernteeinbußen und klagen über zusätzliche Bürokratie und notwendige Investitionen durch den neuen Vorschlag. Die EU-Nitratrichtlinie dient dem Gesundheits- und Naturschutz und stammt bereits aus dem Jahr 1991. Neben Deutschland verstoßen nur Belgien und Italien nach wie vor gegen die Grenzwerte. til
Es gibt im Leben wie in der Geschichte Momente, in denen Entscheidungen gleichsam Weichenstellungen sind. Entscheidungen, durch die sich Richtungen und Prozesse maßgeblich verändern. Solche Momente definieren zumeist ein Zeitfenster der bewussten Gestaltung – oder des irreversiblen Zauderns und Unterlassens. Wenn es sich schließt, lässt es sich womöglich für viele Jahre nicht wieder öffnen.
Europa erlebt derzeit einen solchen Moment. Die noch immer nicht vollständig überwundene Pandemie und vor allem der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine erfordern kurzfristig Antworten, die nicht wie sonst jahrelang vorbereitet werden können. Langwierige Abstimmungsprozesse verdichten sich zu einem Moment, in dem es gilt, mit Mut, Vision und Klugheit rasch den richtigen Kurs einzuschlagen und Hindernisse zu überwinden. In der Geschichte Europas waren es fast immer Momente wie diese, in denen eine Emulsion aus historischer Möglichkeit und politischer Vision Europa auf die nächste Stufe hob.
Es liegt in der Natur solcher Momente, dass sie ebenso große Chancen wie Risiken beinhalten. Eine gleichsam mutige und kluge Entscheidung setzt daher voraus, sich klar darüber zu werden, welche Antworten die Gegenwart erfordert und welche Wege in die Zukunft sich dadurch manifestieren.
Die gegenwärtigen Ereignisse, die in ihrer Gesamtheit und in ihrem historischen Kontext einen “Europäischen Moment” definieren, erzwingen gewissermaßen eine Anpassung des bisherigen Integrationsprozesses und damit nicht mehr und nicht weniger als eine neue europäische Verfassung. Die Tragweite darf daher weder politisch noch institutionell unterschätzt werden.
Es besteht in solchen Momenten nicht nur, wie oben beschrieben, die Gefahr, ein historisches Zeitfenster zu verpassen, sondern zugleich die Gefahr von Kipppunkten, also von Dynamiken, die ab einem bestimmten Punkt irreversibel werden. Politisch notwendige und vielleicht auch opportune Antworten in der Gegenwart können zu institutionell problematischen Entwicklungen in der Zukunft führen.
Drei Beispiele illustrieren die Dilemmata der EU:
Politisch gibt es wohl keine Alternative dazu, der Ukraine den Weg in die EU zu ebnen. Anders lässt sich die europäische Einflusssphäre gegenüber der russischen oder chinesischen nicht behaupten. Eine Vollmitgliedschaft zu einem verfrühten Zeitpunkt aber würde die ohnehin schon hohe Heterogenität der EU weiter erhöhen, denn so richtig es ist, die Ukraine enger an die EU zu binden, so unstrittig ist auch, dass die Ukraine von der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft heute noch weit entfernt ist.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat als “Lösung” die Idee einer politischen Gemeinschaft eingeführt, die so etwas Ähnliches beschreibt wie eine europäische Einflusssphäre bzw. eine erneuerte politische Idee des früheren “Westens”, die damals ein zwar vages, aber doch attraktives Narrativ für die osteuropäischen Länder bot, sich Richtung Westen zu orientieren.
Das gerade beschlossene (Teil-)Öl-Embargo der EU gegen Russland stand vor dem Problem, dass es nur dann Wirkung entfaltet, wenn es von allen EU-Ländern mitgetragen wird. Alles andere wäre eine Niederlage für die EU und hätte Wladimir Putin nur gestärkt in der Absicht, die EU über diese Frage zu spalten. Wenn nun aber die energiepolitischen Abhängigkeiten und Interessen unter den EU-Mitgliedstaaten sehr heterogen sind, lässt sich Einstimmigkeit nur durch einen “Ausgleich” herstellen. Oder aber man definiert eine gemeinsame europäische Energiepolitik, was jedoch eine weitere Zentralisierung bedeuten würde. Mehr noch: In der Auseinandersetzung mit Putin müsste die EU zu immer schärferen Eskalationsstufen fähig sein.
Tatsächlich aber wird mit jedem weiteren Schritt eine Einigung immer teurer oder die Wirkung immer geringer. Umgekehrt steigt durch diese institutionelle Dysfunktion die Verhandlungsmacht einzelner Mitgliedstaaten in der Durchsetzung nationaler Interessen, wie etwa das Beispiel Ungarn zeigt, das die Einstimmigkeitsregel der EU nutzt, um Entscheidungen zu blockieren und eigene Vorteile zu erpressen.
Die Pandemie hat politisch eine große europäische Solidarität zur Überwindung ihrer gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen erfordert. In diesem Zuge wurde der EU eingeräumt, sich zur Finanzierung des Konjunkturpakets NextGenerationEU über 750 Milliarden Euro gemeinschaftlich zu verschulden. Auch hier könnte eine historisch erzwungene politische Entscheidung die institutionelle Entwicklung der EU maßgeblich verändern, nämlich dann, wenn sich dieses temporäre Finanzierungsinstrument als dauerhafte Fazilität etablieren sollte.
Die Krisen und Ereignisse der vergangenen Monate haben dazu geführt, dass die EU nach Innen um mehr Stabilität und nach Außen um mehr Souveränität ringt. Das Dilemma besteht darin, dass die EU schneller handeln müsste, um nach Außen souveräner zu sein, und zugleich geschlossener, um nach Innen stabiler zu sein. Das Spannungsverhältnis zwischen Souveränität und Stabilität wird dabei wesentlich durch die institutionelle Balance folgender Trade-offs bestimmt:
Das Modell unterschiedlicher Geschwindigkeiten ist nicht neu. Und so plausibel es im Ergebnis politisch scheint, so schwierig ist es im Verfahren institutionell umsetzbar. Denn es muss den Kern der EU als einen “Club der Willigen” stärken und schneller machen, gleichzeitig die Peripherie mit Staaten wie die Ukraine, Nordmazedonien oder Bosnien-Herzegowina enger an die EU binden.
Europa muss jetzt, da es historisch gefordert ist, weitsichtige Antworten geben. Dazu gibt es keine Alternative in einer Zeit, in der es nicht vorrangig um eine Harmonisierung kleinteiliger Politik zur Vollendung der Union geht, sondern im beginnenden geopolitischen Systemwettbewerb um die Stärkung einer gemeinsamen Idee von Europa.