den chinesischen Staatszeitungen wie der Global Times war der Rückzieher des KI-Unternehmens Sensetime von einem Börsendebüt keine Nachricht wert. Das mag an dem Bezug zu heiklen Menschenrechtsfragen liegen: Die amerikanische Regierung hatte das Unternehmen unmissverständlich mit der Totalüberwachung des Volks der Uiguren in Verbindung gebracht. Finn Mayer-Kuckuk analysiert die Hintergründe der Verstrickung von Geopolitik, Finanzen und KI. Das einstige Star-Unternehmen hat nicht nur seinen Glanz verloren, sondern auch seine Unschuld.
Die strengen Kapitalverkehrskontrollen Pekings haben in den vergangenen Jahren Betreiber von Casinos in der Sonderwirtschaftszone Macau dazu getrieben, nach immer neuen Schlupflöchern zu suchen. Bürger der Volksrepublik können jährlich nur 50.000 Dollar legal ins Ausland überweisen. Die Casinos in Macau haben daher Vermögende mit Vergnügungsreisen in ihre Stadt gelockt und ihnen die Gewinne in US-Dollar oder Euro ausgezahlt. Die Einsätze mussten dafür hoch genug sein – sonst gibt es keinen Zugang zu den VIP-Räumen. Mit der Verhaftung des Glücksspiel-Barons Alvin Chau sendet Peking ein Warnsignal an die gesamte Branche. Staatschef Xi Jinping will eben nicht nur die Unterhaltungsindustrie und die Technologiebranche auf Linie bringen, sondern auch die Finanz- und Glücksspielindustrie, wie unsere Autoren aus Peking analysieren.
Einen guten Start in den Tag wünscht
Sensetime ist eine der KI-Firmen, die ihre Anwendungen bereits in der Praxis einsetzt. Die Software des Unternehmens leistet Personenerkennung mit vorher unbekannter Genauigkeit. Doch trotz Interesse der Investoren hat das Unternehmen einen geplanten Börsengang in Hongkong vorläufig verschoben. Grund ist eine Entscheidung der US-Regierung. Diese hat neue Sanktionen gegen Sensetime verhängt (China.Table berichtete), die auch die künftige Finanzposition der Firma betreffen. Grund für die Sanktionen ist der großflächige Einsatz der Sensetime-Produkte zur Überwachung der Minderheit der Uiguren.
Sensetime ist damit ein weiteres prominentes Unternehmen, das Teil der politischen Gemengelage geworden ist. Es gibt jedoch Unterschiede zu anderen Firmen, die von US-Sanktionen betroffen sind. Der Telekom-Ausrüster Huawei, der Halbleiterhersteller SMIC oder der Mobilfunker China Mobile weisen darauf hin, nur oberflächliche Beziehungen zu Chinas Sicherheitsbehörden zu haben. Sensetime dagegen liefert Kernkomponenten für den totalen digitalen Überwachungsstaat.
Der vergangene Freitag war der verhängnisvolle Tag für die Börsenpläne von Sensetime. Der 10. Dezember ist einerseits der Tag der Menschenrechte. Für US-Präsident Joe Biden ging zudem ein nur mäßig produktiver Demokratiegipfel zu Ende, zu dem China ausdrücklich nicht eingeladen war. Die US-Regierung hat dann anlässlich von Menschenrechtstag und Demokratiegipfel noch mit Sanktionen nachgelegt. Sensetime als berüchtigter Hersteller von Überwachungssoftware war ein logisches Ziel. Anders als bei früheren US-Sanktionen ging es diesmal ausdrücklich um eine Reaktion auf die Unterdrückung der Uiguren. Ebenfalls betroffen waren an diesem Tag Myanmar und Nordkorea. Rechtliche Grundlage war die Einstufung von Sensetime als Teil des “militärischen-industriellen Komplexes der Volksrepublik China”.
Am Donnerstag kamen dann bereits Gerüchte auf, dass Sensetime auf die Schwarze Liste kommen könnte (China.Table berichtete). Am Freitag wollte Sensetime eigentlich Details zum Börsengang bekannt geben. Stattdessen nahm das Management mit der Börse Hongkong Kontakt auf und verständigte sich darauf, die Börsenpläne vorerst auf Eis zu legen.
Die Art der US-Sanktionen betreffen durchaus die künftige finanzielle Lage des Unternehmens und sind damit börsenrelevant. Die Unternehmen auf der betreffenden Liste können sich in den USA nicht mehr mit Kapital versorgen. Dazu kommt der entsprechende Imageschaden. Am Samstag wehrte sich Sensetime gegen die Begründung des US-Finanzministeriums für die Sanktionen. Die Anschuldigungen “entbehren jeder Grundlage”, teilte das Unternehmen mit. “Wir halten uns in jedem Markt, auf dem wir tätig sind, an die geltenden Gesetze der dortigen Jurisdiktion.”
Das ist vermutlich richtig. In China ist es der Einparteienstaat, der auf Basis selbstgemachter Gesetze ein Kontrollregime durchsetzt. Vermutlich könnte China es Sensetime eher umgekehrt als Gesetzesverstoß auslegen, wenn es sich der Teilnahme an staatlichen Operationen verweigerte. Letztlich kann sich kein Unternehmen den Wünschen des Staates verweigern. Aus internationaler Sicht – und zumal aus der Warte einer wertegeleiteten Außenpolitik, wie sie derzeit wieder mehr im Gespräch ist – ist die Rolle des Technikunternehmens aus Shenzhen aber zumindest vielschichtig zu sehen.
Im Laufe der Jahre 2018 und 2019 wurde nach und nach bekannt, wie engmaschig die Überwachung der Wohnbevölkerung von Xinjiang und insbesondere der Uiguren geworden ist. Die New York Times veröffentlichte damals eine Reihe von einflussreichen Artikeln mit Details zum Einsatz moderner Technik in der Region. Die Software kann demnach anhand des Aussehens zwischen Uiguren und Han-Chinesen unterscheiden. Die Polizei verwendet diese Funktion möglicherweise auch außerhalb Xinjiangs. So soll sie auch in den Küstenstädten die Bewegungen und Handlungen von Uiguren mit Softwarehilfe gezielt und lückenlos verfolgen. “Minderheitenidentifikation” heißt das Ausstattungsmerkmal der Software den Berichten zufolge.
Sensetime gehörte damit fast sicher zu den Firmen, die technische Infrastruktur für die Errichtung eines digitalen Polizeistaats in der Region Xinjiang geliefert haben. Zusammen mit anderen Unternehmen wurde Sensetime damit in der westlichen Öffentlichkeit zum Synonym für lückenlose Überwachung. Mitte Oktober gab das Unternehmen dann bekannt, einen Börsengang in Hongkong anzustreben. Sofort nach Ankündigung war jedoch die Verstrickung in den Aufbau des Überwachungsstaates wieder ein Thema (China.Table berichtete).
Der größte Vorteil von Sensetime ist auf der internationalen Bühne also auch sein größtes Problem: Der chinesische Staat ist der weltweit größtmögliche Kunde für Überwachungstechnik. In anderen Ländern gibt es ebenfalls kompetente Anbieter von Software zur Erkennung biometrischer Merkmale, auch wenn viele von ihnen nicht in der gleichen Liga wie Sensetime spielen. So sitzt in Dresden die Firma Cognitec, deren Gesichtserkennung ebenfalls präzise funktioniert. Sie arbeitet auch durchaus mit dem Bundeskriminalamt zusammen. Doch das auffälligste Projekt, an dem Cognitec mitgewirkt hat, war lediglich ein Testlauf für Gesichtserkennung im öffentlichen Raum am Berliner Bahnhof Südkreuz.
Die einzelne Kamera über einer Rolltreppe hat jedoch bereits eine landesweite Debatte über die Gefahren der Gesichtserkennung ausgelöst. Es sind in Deutschland in absehbarer Zeit also keine Aufträge für großflächige Personenerkennung im öffentlichen Raum zu erwarten. Eine Initiative zur Überwachung von 100 Knotenpunkten von Ex-Innenminister Horst Seehofer ist krachend gescheitert. Die Software von Cognitec kommt beim BKA also nur intern zur “Lichtbildrecherche” in Datenbanken zum Einsatz.
Die chinesischen Anbieter wie Sensetime und Megvii können ihre Anwendungen dagegen im Masseneinsatz weiterentwickeln. Die Staatsaufträge spülen ihnen Geld in die Kasse, das wiederum in die Produkte fließt. Der Börsengang in Hongkong hätte für Sensetime einen weiteren Geldsegen gebracht: 680 Millionen Euro wollte das Unternehmen durch die Ausgabe der Anteilsscheine einnehmen.
Das ursprüngliche Interesse der Investoren hatte nicht nur mit dem chinesischen Staat als Hauptkunden zu tun, sondern auch mit dem erreichten technischen Niveau. Wie viele KI-Anbieter verwendet Sensetime neuronale Netze für die Mustererkennung im Kern des Systems. Es verwendet dabei eine ähnliche Struktur wie ein Nervensystem und lernt die entscheidenden Fähigkeiten anhand von Beispielen. Sensetime bettet die reine Musterkennung aber auch besonders geschickt in einen Rahmen aus konventioneller Software ein.
Die Software verfolgt Personen in der realen Welt von Kamera zu Kamera durch die Stadt. Außerdem erkennt sie Personen nicht nur am Gesicht, sondern auch am Gang, der Armhaltung und anderen Eigenschaften. Um diese Muster aufzunehmen, müssen sie nur einmal zusammen mit dem Gesicht auf den Kamerabildern zu sehen gewesen sein. All das macht die Fähigkeiten der Software so wertvoll für die allgegenwärtige Überwachung beispielsweise in Xinjiang.
Im Jahr 2018 war Sensetime mit einer Bewertung von sechs Milliarden US-Dollar bereits das wertvollste KI-Startup der Welt. Da war das Unternehmen bereits profitabel. Sensetime arbeitet weltweit bereits mit Hunderten von Kunden zusammen, darunter der US-Chiphersteller Qualcomm oder der japanische Autohersteller Honda im Bereich des autonomen Fahrens. Hier erkennt und bewertet das System, was vor dem Auto auf der Straße passiert. Dennoch musste das Unternehmen seinen Börsengang wegen der Menschenrechtsdebatte bereits kleiner fahren als ursprünglich erhofft.
Sensetime wurde 2014 von Tang Xiao’ou gegründet, einem Informatiker von der Chinese University of Hongkong. Der Fokus lag von Anfang an darauf, eigene Algorithmen zu entwickeln. Viele Wettbewerber verwenden Techniken, die frei zur Verfügung stehen oder ganz einfach dem Stand dessen, was an den Unis gelehrt wird. In den ersten Jahren der Unternehmensgeschichte hat die besonders gut funktionierende Gesichtserkennung von Sensetime noch Begeisterung ausgelöst. Das Start-up galt als Beispiel dafür, wie fortschrittlich Chinas Technikfirmen sind.
Der Blick auf Sensetime hat sich durch die Ereignisse der vergangenen Jahre dann stark verändert. Die klare Sprache des US-Finanzministeriums, die das Unternehmen mit den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang in Verbindung bringt, verstärkt nun den Eindruck: Sensetime hat seine Unschuld als Technikunternehmen endgültig verloren. Das wichtige Segment ethischer oder nachhaltiger Investoren steht dem Unternehmen bei seinen Börsenplänen nicht mehr als Kapitalgeber zur Verfügung. Zugleich zeigt das Beispiel Sensetime, dass es in kritischen Sektoren fast unmöglich wird, sich einfach nur an die regionalen Gesetze zu halten und es damit allen recht zu machen.
Alvin Chau, einer der wichtigsten Spielhallen-Bosse Macaus, sitzt seit Ende November in Untersuchungshaft. Dem Chef des an der Hongkonger Börse notierten Unternehmens Suncity werden Geldwäsche und das Betreiben eines illegalen grenzüberschreitenden Glücksspiel-Rings vorgeworfen. Die überraschende Festnahme von Chau hat nicht nur die Aktien von Suncity abstürzen lassen, sondern die Papiere sämtlicher Casino-Betreiber in der Stadt auf Talfahrt geschickt.
Die Verunsicherung in der Branche ist groß, da der Fall Chau als Signal gesehen wird, dass Peking mit seinen seit langer Zeit gehegten Aufräum- und Umbauplänen in Macau endgültig Ernst machen will. Vergangene Woche gab die Firma Sun City Gaming Promotion Company bereits die Einstellung ihres Betriebs ein. Es handelt sich um eine Tochter von Suncity, die Pauschalreisen in die Welt der Casinos organisiert. Partnerschaften mit anderen Casinos seien gestoppt und Unternehmenssysteme aufgrund von Gerichtsverfahren ausgesetzt, berichtete Bloomberg. Diese Vergnügungsreisen machen etwa 75 Prozent der jährlichen Glücksspiel-Einnahmen Macaus aus.
Während Hongkong einst zu Großbritannien gehörte und 1997 an China zurückgegeben wurde, folgte Macau zwei Jahre später aus portugiesischer Herrschaft. Damals machte Peking Macau eine lukrative Zusage: Die Sonderverwaltungsregion wurde der einzige Ort in China, an dem Glücksspiel legal ist. Die weltbekannten Casinos sind Lebensader und wichtigste Einnahmequelle Macaus und machen nach einigen Schätzungen bis zu 80 Prozent der Steuereinnahmen aus.
Doch aus Sicht Pekings haben lange Zeit zu viele chinesische Kader und Geschäftsleute das Schlupfloch genutzt, um dort ihr Geld zu waschen und es gegen ausländische Devisen zu tauschen. Zudem sieht die Führung kritisch, dass das wirtschaftliche Wohl der Stadt zu sehr von einer einzigen Branche abhängt. Die Nachteile einer solchen Abhängigkeit zeigten sich tatsächlich während der Corona-Pandemie, die zu heftigen Umsatzeinbußen bei den Spielhallen und Casinos führte.
Macau geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von Xi Jinping vor acht Jahren in Pekings Visier. Nachdem Xi damals seine große Anti-Korruptionskampagne ausgerufen hatte, wurde Macau für einige Zeit zu einem beliebten Ort für Razzien. Viel weniger Kader reisten vom Festland nach Macau, um ihr Geld in Spielhallen zu waschen. Zwar hat sich die Spiel-Industrie, die gleichzeitig der wichtigste Arbeitgeber der Stadt ist, danach zunächst wieder stabilisiert. Nun, da Peking in seiner anderen Sonderverwaltungsregion Hongkong aufgeräumt hat, scheinen jedoch auch die Pläne für Macau wieder höher auf der Agenda zu stehen.
Wie Peking sich Macau in einigen Jahren vorstellt, wird im Entwurf für die Greater Bay Area dargelegt, die mehrere Großstädte in der Provinz Guangdong sowie Macau und Hongkong zu einem regionalen Kraftzentrum zusammenschließen soll. Hongkong soll demnach künftig nicht nur Finanz- und Handelszentrum sein, sondern sich zu einem “internationalen Innovations- und Technologiezentrum” weiterentwickeln, heißt es in den Plänen für die Bay Area. Macau wird dagegen nahegelegt, seine jahrzehntelange Identität als Casino-Mekka aufzugeben und sich stattdessen zu einem globalen Freizeit- und Tourismuszentrum weiterzuentwickeln.
Im Zentrum dieser Überlegungen steht wie so oft in China ein massives neues Infrastrukturprojekt. So kündigten die Behörden im Sommer Pläne für die Insel Hengqin an. Sie gehört bisher zur chinesischen Nachbarstadt Zhuhai. Diese soll künftig gemeinsam von Macau und der Provinz Guangdong verwaltet werden. Hengqin liegt direkt neben Macau. Macau betreibt dort bereits seit vielen Jahren eine Universität. Nun wird ein ganz neuer Stadtteil entstehen, der mit 700.000 Bewohnern etwa so viele Einwohner haben könnte wie heute Macau. Neben einer florierenden Tourismus-Industrie sollen in Hengqin auch neue Hightech-Firmen angesiedelt werden. Vieles scheint in Hengqin möglich, nur Casinos und Spielhallen sollen hier verboten sein.
Doch nicht alle Casino-Betreiber machen die neuen Pläne nervös. Einige sehen auch Chancen, dass zusätzliche Touristen im benachbarten Hengqin dem eigenen Geschäft im alten Macau wieder Auftrieb geben könnten. “Macau wird ein viel größerer Ort werden. Dann ist Glücksspiel nur noch ein Teil einer Stadt, in der es noch viel mehr zu sehen geben wird”, sagte Allan Zeman, Direktor der Casino-Kette Wynn Macau, kürzlich im Gespräch mit Bloomberg. Der Manager ist überzeugt, dass Glücksspiel weiterhin ein wichtiger Teil der einstigen portugiesischen Enklave bleiben wird. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Kaum eine Woche nach US-Präsident Joe Bidens Demokratiegipfel sucht die chinesische Regierung den demonstrativen Schulterschluss mit Russland. Der chinesische Staatschef Xi Jinping und sein russischer Kollege Wladimir Putin wollen am Mittwoch ein virtuelles Gipfeltreffen abhalten. “Die beiden Staatsoberhäupter werden einen umfassenden Überblick über die chinesisch-russischen Beziehungen und die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen in diesem Jahr geben”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag. Xi und Putin würden zudem “Pläne auf höchster Ebene für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen im nächsten Jahr” besprechen. Konkrete Themen nannte der Sprecher nicht. Einzelheiten gebe es erst nach dem Treffen.
Beide Länder waren nicht zum Demokratiegipfel in Washington eingeladen und sind von den USA mit Sanktionen belegt worden. Gegen die Volksrepublik wurden Strafen wegen Menschenrechtsverletzungen verhängt. Die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen sind derzeit ebenso stark belastet, unter anderem wegen der Lage an der russisch-ukrainischen Grenze. niw
Die EU sucht weiterhin nach einem gemeinsamen Ansatz bezüglich der Olympischen Winterspiele in Peking. Das Thema sollte eigentlich am Montag auf der Tagesordnung des EU-Außenministertreffens in Brüssel stehen. Letztendlich ging es jedoch nur am Rande um Olympia. “Wir versuchen, hier eine gemeinsame Linie zu finden“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach dem Treffen. Es gebe unterschiedliche Positionen. “Uns eint die große Leidenschaft für den Sport. Uns eint aber auch unser konsequentes Einstehen für Menschenrechte”, so Baerbock. Es sei wichtig, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen.
Deutschland hat einen diplomatischen Boykott zuletzt nicht ausgeschlossen. Die USA, Australien, Kanada und Großbritannien hatten öffentlich erklärt, keine diplomatischen Vertreter nach China zu schicken. Von den EU-Staaten hat sich bisher Litauen offen gegen die Spiele geäußert. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte vor dem Treffen, er werde “sicher” nicht nach Peking fahren. Das baltische Land befindet sich in einem bisher nicht dagewesenen Handelsstreit mit der Volksrepublik. Dieser wurde nicht beim Treffen der EU-Außenminister besprochen.
Landsbergis traf sich aber zumindest mit EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, um über die anhaltenden Probleme mit dem chinesischen Zoll zu sprechen. Laut Brüssel gab es bisher keine Verbesserung der Situation. Die EU-Vertretung in China bemühe sich weiterhin um eine Lösung. Landsbergis und Dombrovskis wollen dazu weiterhin in Kontakt bleiben. Litauen ist seit mehr als einer Woche für den chinesischen Zoll geblockt, Waren aus dem EU-Staat können nicht mehr eingeführt werden (China.Table berichtete). ari
Mehrere Hongkonger Demokratie-Aktivisten sind am Montag zu Haftstrafen von bis zu 14 Monaten verurteilt worden. Ihnen wird vorgeworfen, gegen die Corona-Auflagen verstoßen zu haben. Sie alle hatten im vergangenen Jahr eine verbotene Mahnwache für die Opfer der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste am Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 organisiert, daran teilgenommen oder zur Teilnahme aufgerufen.
Kritiker sagten, die Behörden hätten die Pandemiebeschränkungen als Vorwand benutzt, um die Mahnwache zu untersagen. Die Hongkonger-Richterin Amanda Woodcock sagte, die Angeklagten hätten “eine echte Krise der öffentlichen Gesundheit ignoriert und herabgesetzt” und “fälschlicherweise und arrogant geglaubt”, an den 4. Juni zu gedenken, anstatt die Gesundheit der Gemeinschaft zu schützen.
Der 74 Jahre alte Medienunternehmer Jimmy Lai, ehemaliger Herausgeber der eingestellten, prodemokratischen Tageszeitung Apple Daily, erhielt eine Haftstrafe von 13 Monaten. Lai sitzt bereit wegen Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz im Gefängnis (China.Table berichtete). Der Anwalt Chow Hang Tung, 36, wurde zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt. Die Aktivistin Gwyneth Ho, 31, wurde zu von sechs Monaten Haft verurteilt. Alle drei wurden bereits am vergangenen Donnerstag für schuldig befunden (China.Table berichtete). Lee Cheuk-yan, Anführer einer inzwischen aufgelösten Mahnwachen-Organisation, muss 14 Monaten ins Gefängnis. Insgesamt erhielten mit Lai, Chow, Lee und Ho acht Demokratie-Aktivisten Haftstrafen.
Lai verband die Verurteilung mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit. “Wenn es ein Verbrechen ist, derer zu gedenken, die wegen Ungerechtigkeit gestorben sind, dann füge mir dieses Verbrechen zu und lass mich die Strafe für dieses Verbrechen erleiden, damit ich die Last und den Ruhm dieser jungen Männer und Frauen teilen kann, die am 4. Juni ihr Blut vergossen haben, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Güte zu verkünden”, verlas Lais Anwalt einen handgeschriebenen Brief seines Mandanten vor der Verurteilung. niw/rtr
Chinesische Investoren besitzen einen größeren Teil der Daimler-Aktien als bisher bekannt. Daimlers chinesisches Partnerunternehmen BAIC hat rund zwei Jahre nach dem Erwerb die genaue Höhe seiner Beteiligung an dem Stuttgarter Autobauer offengelegt. BAIC besitze demnach einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent, wie am Montag im Zusammenhang mit dem Börsengang der Lastwagensparte von Daimler bekannt wurde. Bisher war von einem Anteil in der Größenordnung von fünf Prozent die Rede. Da auch der Geely-Gründer Li Shufu einen Anteil von gut neun Prozent hält, befinden sich knapp 20 Prozent des Premiumherstellers in chinesischer Hand.
Die Beziehung beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Daimler hält umgekehrt 9,55 Prozent an der in Hongkong notierten BAIC-Tochter BAIC Motor. Der Dax-Konzern erklärte, er begrüße das Bekenntnis des langjährigen Partners, mit dem Mercedes-Benz in einem Joint Venture Autos für den weltweit größten Markt baut und verkauft. “Die Beteiligung von BAIC an Daimler spiegelt das Bekenntnis zu unserer gemeinsamen erfolgreichen Allianz bei Produktion und Entwicklung im weltweit größten Pkw-Markt wider”, erklärte Daimler-Chef Ola Källenius. BAIC und Daimler seien übereingekommen, dass BAIC seinen Anteil an Daimler nicht weiter erhöhen wird, so das Unternehmen. rtr/fin
BMW strebt den Ausbau seines China-Engagements an. Der Autobauer bereitet nach eigenen Angaben die Fertigung des X5 in der Volksrepublik vor. Um die starke weltweite Nachfrage für das Modell zu bedienen, weite BMW die globale Produktion des X5 aus, teilt ein Sprecher mit. Eine lokale Produktion in China sei deshalb geplant. Ein Startdatum nannte der Autobauer zunächst nicht. Bislang wurde der Geländewagen ausschließlich im US-Werk Spartanburg gebaut und nach China exportiert. Zuvor hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet. rtr
Nur wenige Tage nach der Aufgabe der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan hat Nicaragua 200.000 Dosen Sinopharm-Impfstoff erhalten. Das nicaraguanische Volk schätze “diese Geste der Solidarität, Zusammenarbeit, Freundschaft und Brüderlichkeit”, schrieb Regierungsberater und Präsidenten-Sohn Laureano Ortega Murillo auf Twitter. Ein dazu veröffentlichtes Foto zeigte eine Air-China-Maschine auf einer Landebahn mit Vertretern beider Seiten. Insgesamt hat die Volksrepublik dem zentralamerikanischen Staat eine Million Einheiten des chinesischen Sinopharm-Impfstoffes zugesagt. Managua hatte vergangene Woche die diplomatischen Beziehungen zu Taipeh zugunsten Pekings aufgelöst (China.Table berichtete).
Peking nutzt die Impfstoff-Diplomatie, um auch weitere Staaten zur Abkehr von Taiwan zu bewegen, wie Guatemalas Präsident Alejandro Giammattei in einem Interview bestätigte. “Die Chinesen setzen uns sehr unter Druck, sie bieten uns viel an. Sie haben [Impfstoffe] angeboten, aber wir haben sie nicht angenommen”, sagte Giammattei der Financial Times. Die Loyalität Guatemalas gegenüber Taiwan sei eine “Prinzipienfrage”, fügte der Präsident hinzu. Taipeh sei der “einzig wahre Verbündete” seines Landes. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe das Land die erste Lieferung von Schutzkleidung und Schutzmasken aus Taiwan erhalten, so Giammattei.
Peking hat in Lateinamerika in den vergangenen Jahren massiv Lobbyarbeit betrieben. So ist es in den vergangenen Jahre gelungen, El Salvador, Panama und die Dominikanische Republik davon zu überzeugen, sich von Taiwan abzuwenden. Die designierte Präsidentin von Honduras, Xiomara Castro, versprach in ihrem Wahlprogramm, die Beziehungen zu Taipeh zugunsten einer Partnerschaft mit Peking aufzugeben. ari
Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) soll laut Medienberichten den Bau eines Werks in Deutschland erwägen. Erstmals hatte sich TSMC-Konzernchef Mark Liu im Juli bei einer Hauptversammlung in Taipeh offiziell dazu geäußert, dass TSMC über einen Produktionsstandort in Deutschland nachdenkt (China.Table berichtete).
Faktoren wie Subventionen, Kundennachfrage sowie das nötige Personal beeinflussen die endgültige Entscheidung für einen Standort in Deutschland, so Lora Ho, Senior Vice President of Europe und Asia Sales bei TSMC am Rande eines Technologieforums in Taipeh. TSMC befinde sich in frühen Gesprächen mit der deutschen Regierung über die mögliche Errichtung eines Werks in Deutschland, erfuhr die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der weltweit größte Auftragschiphersteller produziert bisher vor allem in Taiwan, hat aber im vergangenen Jahr erste Schritte unternommen, um im Ausland zu expandieren und dadurch seine Kapazitäten zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der weltweiten Lieferkettenprobleme und des damit verbundenen Mangels an Computerchips will TSMC damit die Nachfrage aus Ländern decken, die daran arbeiten, die heimische Halbleiterproduktion auszubauen.
So will die EU in der ersten Hälfte des kommenden Jahres schon ein europäisches Chipgesetz vorstellen. Das Papier soll auch eine Strategie umreißen, um die Halbleiterproduktion in der EU anzukurbeln. So ist eines der Ziele bis 2030, etwa 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion auszumachen. In den USA baut TSMC derzeit eine zwölf Milliarden US-Dollar teure Anlage in Arizona. In Japan will es sieben Milliarden US-Dollar investieren. niw
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sein können. Die Unterbrechungen der globalen Lieferketten haben in vielen Ländern Diskussionen über deren Abhängigkeit von Importgütern und ausländischen Anbietern ausgelöst. Einige Politiker*innen haben daher Unternehmen dazu aufgefordert, ihre Produktion zurückzuverlagern, um die Abhängigkeit von anderen (Konkurrenz-)Ländern zu reduzieren.
Auch China betrachtet die (potenzielle) Bedrohung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit als Problem. Dies liegt nicht nur daran, dass China selbst direkt von den Unterbrechungen der Lieferketten betroffen ist. Als Weltfabrik für fast alle global gehandelten Waren oder/und deren Komponenten ist China natürlich daran interessiert, die globalen Märkte hindernisfrei zu bedienen. Da viele Unternehmen in China immer noch stark auf importierte (Hightech-)Produkte angewiesen sind, ist China auch daran interessiert, die Versorgung von ausländischen Schlüsselkomponenten zu sichern.
Die indirekte (potenzielle) Bedrohung der chinesischen Wirtschaft durch die Pandemie spielt hier ebenfalls eine Rolle. Einerseits verstärken viele, vor allem westliche, Länder ihre eigenen industriellen Kapazitäten, um ihre technologische Souveränität und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dies kann die bereits bestehenden wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen China und westlichen Ländern wie der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) weiter anheizen. Auch die Schwierigkeiten chinesischer Unternehmen bei der Beschaffung von Schlüsselkomponenten aus dem Ausland können sich weiter verschärfen. Andererseits könnten multinationale Unternehmen (MNU), die von Unterbrechungen der Lieferketten betroffen sind, ihre Geschäftstätigkeit aus China heraus verlagern. Dies wäre für China mit einem Verlust von finanziellen Ressourcen, fortschrittlichem Wissen, Technologien und Arbeitsplätzen verbunden.
Diese direkten und indirekten Bedrohungen haben China auf die Risiken aufmerksam gemacht, die mit dem zunehmenden globalen Wettbewerb um (finanzielle) Ressourcen, Talente, Technologien und Märkte sowie der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit verbunden sind. In seinem 14. Fünfjahresplan (2021-2025) betont China daher die Absicht, erstens seine technologische Innovationsfähigkeit zu fördern, um seine Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu gewährleisten, und zweitens den inländischen Wirtschaftskreislauf als Kernelement der Entwicklungsstrategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs zu fördern, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherzustellen.
China will seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben deutlich erhöhen und die Rolle der (chinesischen) Unternehmen bei Innovationen stärken. Sowohl die Umsetzung als auch die Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse und Technologien sollen verstärkt werden. Technologisch führende ausländische Unternehmen und globale Talente sollen angezogen werden, um China in kritischen Technologiebereichen zu einer technologischen Spitzenposition zu verhelfen.
China will die inländische Nachfrage und das inländische Angebot steigern und fördern, dass Angebot und Nachfrage sowie vor- und nachgelagerte Produktionsstufen entlang der Lieferketten effizienter aufeinander abstimmen. Chinas eigene industrielle Basis soll weiter gestärkt und modernisiert werden. Der Vorteil seiner Marktgröße soll genutzt werden, um globale Ressourcen anzuziehen. Gleichzeitig soll das erhöhte inländische Angebot an innovativen und hochwertigen Produkten Chinas Rolle als führende Produktions- und Handelsmacht stärken.
Kurz gesagt, China setzt auf mehr inländische Innovation, inländische Produktion und inländische Nachfrage und wird bei der Förderung des internationalen Handels und der Investitionen in Zukunft noch “selektiver” vorgehen als bisher, um seine Entwicklungsziele zu erreichen. Seine Politik wird daher einen starken Einfluss auf die Umgestaltung der künftigen globalen Lieferketten haben. Für MNU, deren Investitionen in China oder Exporte nach China von der chinesischen Regierung als kritisch angesehen werden, wird es schwieriger werden, in China wie gewohnt Geschäfte zu machen. Und die Unterstützung für chinesische Direktinvestitionen im Ausland wird noch stärker darauf ausgerichtet werden, die technologischen Fähigkeiten der eigenen Wirtschaft zu stärken und somit langfristig die Position chinesischer Unternehmen in den globalen Lieferketten zu verbessern.
Chinas Politik wird daher für MNU, die in/mit China Geschäfte machen, sowie für ihre Zulieferer und Kunden eine Herausforderung darstellen. Dies wird die Neigung westlicher Länder weiter verstärken, ihrerseits ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und technologische Souveränität durch Entkopplung zu fördern.
In einer Zeit erheblicher wirtschaftlicher und politischer Spannungen zwischen China und den westlichen Ländern sowie zunehmender geopolitischer Konflikte und Unsicherheiten können solche Politiken Chinas, der EU und der USA das gegenseitige Vertrauen weiter schwächen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit verringern und letztlich zu einer kostspieligen wirtschaftlichen Entkopplung und einer weniger effizienten Re-Nationalisierung globaler Lieferketten führen.
Sicherlich sind die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und der EU/den USA kompliziert und durch zahlreiche Konflikte belastet. Eine weitgehende wirtschaftliche und technologische Entkopplung voneinander ist jedoch kaum der beste Weg, um mit diesen Konflikten umzugehen. Um die Vorteile der Globalisierung für den weltweiten Wohlstand und die Nachhaltigkeit zu nutzen, sind offene bilaterale und multilaterale Dialoge und Zusammenarbeit unerlässlich.
Für solche Dialoge ist es entscheidend, nicht nur die Interessen des eigenen Landes zu verstehen, sondern auch mehr über die Ansichten der anderen Seite zu erfahren. Dazu soll das Global China Conversation #5 “Reshaping Global Industrial Chains: Optionen for China” beitragen.
Wan-Hsin Liu ist eine Senior Researcherin in den Forschungszentren “Internationaler Handel und Investitionen” und “Innovation und internationaler Wettbewerb” am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Außerdem ist sie Koordinatorin am Kieler Zentrum für Globalisierung.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Qiyuan Xu, Vizedirektor am Institut für Weltwirtschaft und Politik an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS-IWEP) und Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident am Kiel Institut für Weltwirtschaft, im Rahmen dieses Formats über das Thema: “Reshaping Global Industrial Chains: Options for China”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Vanessa Chang ist die neue Direktorin des Shanghaier Studios von BMW Group Designworks. Chang arbeitet seit gut zehn Jahren für das Design-Beratungsunternehmen, das seit 1995 zu BMW gehört. Designworks berät neben BMW, Mini und Rolls-Royce auch Kunden aus anderen Branchen wie Starlux Airlines, Niu Technologies oder 3M.
Steven Hsu wird Partner der Anwaltskanzlei Sidley Austin in China. Hsu war zuvor für Freshfields Brockhaus Derginer tätig.
Kunstschnee für den Kicker: In der Sportstätte Shougang Big Air in Shijingshan haben die Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele begonnen. Dort werden ab Februar die Big-Air-Freestyle-Ski- und Snowboard-Wettbewerbe der Winterspiele 2022 ausgerichtet. Die Big-Air-Schanze befindet sich auf dem Gelände einer früheren Stahlhütte der Shougang Group.
den chinesischen Staatszeitungen wie der Global Times war der Rückzieher des KI-Unternehmens Sensetime von einem Börsendebüt keine Nachricht wert. Das mag an dem Bezug zu heiklen Menschenrechtsfragen liegen: Die amerikanische Regierung hatte das Unternehmen unmissverständlich mit der Totalüberwachung des Volks der Uiguren in Verbindung gebracht. Finn Mayer-Kuckuk analysiert die Hintergründe der Verstrickung von Geopolitik, Finanzen und KI. Das einstige Star-Unternehmen hat nicht nur seinen Glanz verloren, sondern auch seine Unschuld.
Die strengen Kapitalverkehrskontrollen Pekings haben in den vergangenen Jahren Betreiber von Casinos in der Sonderwirtschaftszone Macau dazu getrieben, nach immer neuen Schlupflöchern zu suchen. Bürger der Volksrepublik können jährlich nur 50.000 Dollar legal ins Ausland überweisen. Die Casinos in Macau haben daher Vermögende mit Vergnügungsreisen in ihre Stadt gelockt und ihnen die Gewinne in US-Dollar oder Euro ausgezahlt. Die Einsätze mussten dafür hoch genug sein – sonst gibt es keinen Zugang zu den VIP-Räumen. Mit der Verhaftung des Glücksspiel-Barons Alvin Chau sendet Peking ein Warnsignal an die gesamte Branche. Staatschef Xi Jinping will eben nicht nur die Unterhaltungsindustrie und die Technologiebranche auf Linie bringen, sondern auch die Finanz- und Glücksspielindustrie, wie unsere Autoren aus Peking analysieren.
Einen guten Start in den Tag wünscht
Sensetime ist eine der KI-Firmen, die ihre Anwendungen bereits in der Praxis einsetzt. Die Software des Unternehmens leistet Personenerkennung mit vorher unbekannter Genauigkeit. Doch trotz Interesse der Investoren hat das Unternehmen einen geplanten Börsengang in Hongkong vorläufig verschoben. Grund ist eine Entscheidung der US-Regierung. Diese hat neue Sanktionen gegen Sensetime verhängt (China.Table berichtete), die auch die künftige Finanzposition der Firma betreffen. Grund für die Sanktionen ist der großflächige Einsatz der Sensetime-Produkte zur Überwachung der Minderheit der Uiguren.
Sensetime ist damit ein weiteres prominentes Unternehmen, das Teil der politischen Gemengelage geworden ist. Es gibt jedoch Unterschiede zu anderen Firmen, die von US-Sanktionen betroffen sind. Der Telekom-Ausrüster Huawei, der Halbleiterhersteller SMIC oder der Mobilfunker China Mobile weisen darauf hin, nur oberflächliche Beziehungen zu Chinas Sicherheitsbehörden zu haben. Sensetime dagegen liefert Kernkomponenten für den totalen digitalen Überwachungsstaat.
Der vergangene Freitag war der verhängnisvolle Tag für die Börsenpläne von Sensetime. Der 10. Dezember ist einerseits der Tag der Menschenrechte. Für US-Präsident Joe Biden ging zudem ein nur mäßig produktiver Demokratiegipfel zu Ende, zu dem China ausdrücklich nicht eingeladen war. Die US-Regierung hat dann anlässlich von Menschenrechtstag und Demokratiegipfel noch mit Sanktionen nachgelegt. Sensetime als berüchtigter Hersteller von Überwachungssoftware war ein logisches Ziel. Anders als bei früheren US-Sanktionen ging es diesmal ausdrücklich um eine Reaktion auf die Unterdrückung der Uiguren. Ebenfalls betroffen waren an diesem Tag Myanmar und Nordkorea. Rechtliche Grundlage war die Einstufung von Sensetime als Teil des “militärischen-industriellen Komplexes der Volksrepublik China”.
Am Donnerstag kamen dann bereits Gerüchte auf, dass Sensetime auf die Schwarze Liste kommen könnte (China.Table berichtete). Am Freitag wollte Sensetime eigentlich Details zum Börsengang bekannt geben. Stattdessen nahm das Management mit der Börse Hongkong Kontakt auf und verständigte sich darauf, die Börsenpläne vorerst auf Eis zu legen.
Die Art der US-Sanktionen betreffen durchaus die künftige finanzielle Lage des Unternehmens und sind damit börsenrelevant. Die Unternehmen auf der betreffenden Liste können sich in den USA nicht mehr mit Kapital versorgen. Dazu kommt der entsprechende Imageschaden. Am Samstag wehrte sich Sensetime gegen die Begründung des US-Finanzministeriums für die Sanktionen. Die Anschuldigungen “entbehren jeder Grundlage”, teilte das Unternehmen mit. “Wir halten uns in jedem Markt, auf dem wir tätig sind, an die geltenden Gesetze der dortigen Jurisdiktion.”
Das ist vermutlich richtig. In China ist es der Einparteienstaat, der auf Basis selbstgemachter Gesetze ein Kontrollregime durchsetzt. Vermutlich könnte China es Sensetime eher umgekehrt als Gesetzesverstoß auslegen, wenn es sich der Teilnahme an staatlichen Operationen verweigerte. Letztlich kann sich kein Unternehmen den Wünschen des Staates verweigern. Aus internationaler Sicht – und zumal aus der Warte einer wertegeleiteten Außenpolitik, wie sie derzeit wieder mehr im Gespräch ist – ist die Rolle des Technikunternehmens aus Shenzhen aber zumindest vielschichtig zu sehen.
Im Laufe der Jahre 2018 und 2019 wurde nach und nach bekannt, wie engmaschig die Überwachung der Wohnbevölkerung von Xinjiang und insbesondere der Uiguren geworden ist. Die New York Times veröffentlichte damals eine Reihe von einflussreichen Artikeln mit Details zum Einsatz moderner Technik in der Region. Die Software kann demnach anhand des Aussehens zwischen Uiguren und Han-Chinesen unterscheiden. Die Polizei verwendet diese Funktion möglicherweise auch außerhalb Xinjiangs. So soll sie auch in den Küstenstädten die Bewegungen und Handlungen von Uiguren mit Softwarehilfe gezielt und lückenlos verfolgen. “Minderheitenidentifikation” heißt das Ausstattungsmerkmal der Software den Berichten zufolge.
Sensetime gehörte damit fast sicher zu den Firmen, die technische Infrastruktur für die Errichtung eines digitalen Polizeistaats in der Region Xinjiang geliefert haben. Zusammen mit anderen Unternehmen wurde Sensetime damit in der westlichen Öffentlichkeit zum Synonym für lückenlose Überwachung. Mitte Oktober gab das Unternehmen dann bekannt, einen Börsengang in Hongkong anzustreben. Sofort nach Ankündigung war jedoch die Verstrickung in den Aufbau des Überwachungsstaates wieder ein Thema (China.Table berichtete).
Der größte Vorteil von Sensetime ist auf der internationalen Bühne also auch sein größtes Problem: Der chinesische Staat ist der weltweit größtmögliche Kunde für Überwachungstechnik. In anderen Ländern gibt es ebenfalls kompetente Anbieter von Software zur Erkennung biometrischer Merkmale, auch wenn viele von ihnen nicht in der gleichen Liga wie Sensetime spielen. So sitzt in Dresden die Firma Cognitec, deren Gesichtserkennung ebenfalls präzise funktioniert. Sie arbeitet auch durchaus mit dem Bundeskriminalamt zusammen. Doch das auffälligste Projekt, an dem Cognitec mitgewirkt hat, war lediglich ein Testlauf für Gesichtserkennung im öffentlichen Raum am Berliner Bahnhof Südkreuz.
Die einzelne Kamera über einer Rolltreppe hat jedoch bereits eine landesweite Debatte über die Gefahren der Gesichtserkennung ausgelöst. Es sind in Deutschland in absehbarer Zeit also keine Aufträge für großflächige Personenerkennung im öffentlichen Raum zu erwarten. Eine Initiative zur Überwachung von 100 Knotenpunkten von Ex-Innenminister Horst Seehofer ist krachend gescheitert. Die Software von Cognitec kommt beim BKA also nur intern zur “Lichtbildrecherche” in Datenbanken zum Einsatz.
Die chinesischen Anbieter wie Sensetime und Megvii können ihre Anwendungen dagegen im Masseneinsatz weiterentwickeln. Die Staatsaufträge spülen ihnen Geld in die Kasse, das wiederum in die Produkte fließt. Der Börsengang in Hongkong hätte für Sensetime einen weiteren Geldsegen gebracht: 680 Millionen Euro wollte das Unternehmen durch die Ausgabe der Anteilsscheine einnehmen.
Das ursprüngliche Interesse der Investoren hatte nicht nur mit dem chinesischen Staat als Hauptkunden zu tun, sondern auch mit dem erreichten technischen Niveau. Wie viele KI-Anbieter verwendet Sensetime neuronale Netze für die Mustererkennung im Kern des Systems. Es verwendet dabei eine ähnliche Struktur wie ein Nervensystem und lernt die entscheidenden Fähigkeiten anhand von Beispielen. Sensetime bettet die reine Musterkennung aber auch besonders geschickt in einen Rahmen aus konventioneller Software ein.
Die Software verfolgt Personen in der realen Welt von Kamera zu Kamera durch die Stadt. Außerdem erkennt sie Personen nicht nur am Gesicht, sondern auch am Gang, der Armhaltung und anderen Eigenschaften. Um diese Muster aufzunehmen, müssen sie nur einmal zusammen mit dem Gesicht auf den Kamerabildern zu sehen gewesen sein. All das macht die Fähigkeiten der Software so wertvoll für die allgegenwärtige Überwachung beispielsweise in Xinjiang.
Im Jahr 2018 war Sensetime mit einer Bewertung von sechs Milliarden US-Dollar bereits das wertvollste KI-Startup der Welt. Da war das Unternehmen bereits profitabel. Sensetime arbeitet weltweit bereits mit Hunderten von Kunden zusammen, darunter der US-Chiphersteller Qualcomm oder der japanische Autohersteller Honda im Bereich des autonomen Fahrens. Hier erkennt und bewertet das System, was vor dem Auto auf der Straße passiert. Dennoch musste das Unternehmen seinen Börsengang wegen der Menschenrechtsdebatte bereits kleiner fahren als ursprünglich erhofft.
Sensetime wurde 2014 von Tang Xiao’ou gegründet, einem Informatiker von der Chinese University of Hongkong. Der Fokus lag von Anfang an darauf, eigene Algorithmen zu entwickeln. Viele Wettbewerber verwenden Techniken, die frei zur Verfügung stehen oder ganz einfach dem Stand dessen, was an den Unis gelehrt wird. In den ersten Jahren der Unternehmensgeschichte hat die besonders gut funktionierende Gesichtserkennung von Sensetime noch Begeisterung ausgelöst. Das Start-up galt als Beispiel dafür, wie fortschrittlich Chinas Technikfirmen sind.
Der Blick auf Sensetime hat sich durch die Ereignisse der vergangenen Jahre dann stark verändert. Die klare Sprache des US-Finanzministeriums, die das Unternehmen mit den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang in Verbindung bringt, verstärkt nun den Eindruck: Sensetime hat seine Unschuld als Technikunternehmen endgültig verloren. Das wichtige Segment ethischer oder nachhaltiger Investoren steht dem Unternehmen bei seinen Börsenplänen nicht mehr als Kapitalgeber zur Verfügung. Zugleich zeigt das Beispiel Sensetime, dass es in kritischen Sektoren fast unmöglich wird, sich einfach nur an die regionalen Gesetze zu halten und es damit allen recht zu machen.
Alvin Chau, einer der wichtigsten Spielhallen-Bosse Macaus, sitzt seit Ende November in Untersuchungshaft. Dem Chef des an der Hongkonger Börse notierten Unternehmens Suncity werden Geldwäsche und das Betreiben eines illegalen grenzüberschreitenden Glücksspiel-Rings vorgeworfen. Die überraschende Festnahme von Chau hat nicht nur die Aktien von Suncity abstürzen lassen, sondern die Papiere sämtlicher Casino-Betreiber in der Stadt auf Talfahrt geschickt.
Die Verunsicherung in der Branche ist groß, da der Fall Chau als Signal gesehen wird, dass Peking mit seinen seit langer Zeit gehegten Aufräum- und Umbauplänen in Macau endgültig Ernst machen will. Vergangene Woche gab die Firma Sun City Gaming Promotion Company bereits die Einstellung ihres Betriebs ein. Es handelt sich um eine Tochter von Suncity, die Pauschalreisen in die Welt der Casinos organisiert. Partnerschaften mit anderen Casinos seien gestoppt und Unternehmenssysteme aufgrund von Gerichtsverfahren ausgesetzt, berichtete Bloomberg. Diese Vergnügungsreisen machen etwa 75 Prozent der jährlichen Glücksspiel-Einnahmen Macaus aus.
Während Hongkong einst zu Großbritannien gehörte und 1997 an China zurückgegeben wurde, folgte Macau zwei Jahre später aus portugiesischer Herrschaft. Damals machte Peking Macau eine lukrative Zusage: Die Sonderverwaltungsregion wurde der einzige Ort in China, an dem Glücksspiel legal ist. Die weltbekannten Casinos sind Lebensader und wichtigste Einnahmequelle Macaus und machen nach einigen Schätzungen bis zu 80 Prozent der Steuereinnahmen aus.
Doch aus Sicht Pekings haben lange Zeit zu viele chinesische Kader und Geschäftsleute das Schlupfloch genutzt, um dort ihr Geld zu waschen und es gegen ausländische Devisen zu tauschen. Zudem sieht die Führung kritisch, dass das wirtschaftliche Wohl der Stadt zu sehr von einer einzigen Branche abhängt. Die Nachteile einer solchen Abhängigkeit zeigten sich tatsächlich während der Corona-Pandemie, die zu heftigen Umsatzeinbußen bei den Spielhallen und Casinos führte.
Macau geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von Xi Jinping vor acht Jahren in Pekings Visier. Nachdem Xi damals seine große Anti-Korruptionskampagne ausgerufen hatte, wurde Macau für einige Zeit zu einem beliebten Ort für Razzien. Viel weniger Kader reisten vom Festland nach Macau, um ihr Geld in Spielhallen zu waschen. Zwar hat sich die Spiel-Industrie, die gleichzeitig der wichtigste Arbeitgeber der Stadt ist, danach zunächst wieder stabilisiert. Nun, da Peking in seiner anderen Sonderverwaltungsregion Hongkong aufgeräumt hat, scheinen jedoch auch die Pläne für Macau wieder höher auf der Agenda zu stehen.
Wie Peking sich Macau in einigen Jahren vorstellt, wird im Entwurf für die Greater Bay Area dargelegt, die mehrere Großstädte in der Provinz Guangdong sowie Macau und Hongkong zu einem regionalen Kraftzentrum zusammenschließen soll. Hongkong soll demnach künftig nicht nur Finanz- und Handelszentrum sein, sondern sich zu einem “internationalen Innovations- und Technologiezentrum” weiterentwickeln, heißt es in den Plänen für die Bay Area. Macau wird dagegen nahegelegt, seine jahrzehntelange Identität als Casino-Mekka aufzugeben und sich stattdessen zu einem globalen Freizeit- und Tourismuszentrum weiterzuentwickeln.
Im Zentrum dieser Überlegungen steht wie so oft in China ein massives neues Infrastrukturprojekt. So kündigten die Behörden im Sommer Pläne für die Insel Hengqin an. Sie gehört bisher zur chinesischen Nachbarstadt Zhuhai. Diese soll künftig gemeinsam von Macau und der Provinz Guangdong verwaltet werden. Hengqin liegt direkt neben Macau. Macau betreibt dort bereits seit vielen Jahren eine Universität. Nun wird ein ganz neuer Stadtteil entstehen, der mit 700.000 Bewohnern etwa so viele Einwohner haben könnte wie heute Macau. Neben einer florierenden Tourismus-Industrie sollen in Hengqin auch neue Hightech-Firmen angesiedelt werden. Vieles scheint in Hengqin möglich, nur Casinos und Spielhallen sollen hier verboten sein.
Doch nicht alle Casino-Betreiber machen die neuen Pläne nervös. Einige sehen auch Chancen, dass zusätzliche Touristen im benachbarten Hengqin dem eigenen Geschäft im alten Macau wieder Auftrieb geben könnten. “Macau wird ein viel größerer Ort werden. Dann ist Glücksspiel nur noch ein Teil einer Stadt, in der es noch viel mehr zu sehen geben wird”, sagte Allan Zeman, Direktor der Casino-Kette Wynn Macau, kürzlich im Gespräch mit Bloomberg. Der Manager ist überzeugt, dass Glücksspiel weiterhin ein wichtiger Teil der einstigen portugiesischen Enklave bleiben wird. Jörn Petring/Gregor Koppenburg
Kaum eine Woche nach US-Präsident Joe Bidens Demokratiegipfel sucht die chinesische Regierung den demonstrativen Schulterschluss mit Russland. Der chinesische Staatschef Xi Jinping und sein russischer Kollege Wladimir Putin wollen am Mittwoch ein virtuelles Gipfeltreffen abhalten. “Die beiden Staatsoberhäupter werden einen umfassenden Überblick über die chinesisch-russischen Beziehungen und die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen in diesem Jahr geben”, sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Montag. Xi und Putin würden zudem “Pläne auf höchster Ebene für die Entwicklung der bilateralen Beziehungen im nächsten Jahr” besprechen. Konkrete Themen nannte der Sprecher nicht. Einzelheiten gebe es erst nach dem Treffen.
Beide Länder waren nicht zum Demokratiegipfel in Washington eingeladen und sind von den USA mit Sanktionen belegt worden. Gegen die Volksrepublik wurden Strafen wegen Menschenrechtsverletzungen verhängt. Die Beziehungen zwischen Moskau und dem Westen sind derzeit ebenso stark belastet, unter anderem wegen der Lage an der russisch-ukrainischen Grenze. niw
Die EU sucht weiterhin nach einem gemeinsamen Ansatz bezüglich der Olympischen Winterspiele in Peking. Das Thema sollte eigentlich am Montag auf der Tagesordnung des EU-Außenministertreffens in Brüssel stehen. Letztendlich ging es jedoch nur am Rande um Olympia. “Wir versuchen, hier eine gemeinsame Linie zu finden“, sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach dem Treffen. Es gebe unterschiedliche Positionen. “Uns eint die große Leidenschaft für den Sport. Uns eint aber auch unser konsequentes Einstehen für Menschenrechte”, so Baerbock. Es sei wichtig, zu einer gemeinsamen Linie zu kommen.
Deutschland hat einen diplomatischen Boykott zuletzt nicht ausgeschlossen. Die USA, Australien, Kanada und Großbritannien hatten öffentlich erklärt, keine diplomatischen Vertreter nach China zu schicken. Von den EU-Staaten hat sich bisher Litauen offen gegen die Spiele geäußert. Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis sagte vor dem Treffen, er werde “sicher” nicht nach Peking fahren. Das baltische Land befindet sich in einem bisher nicht dagewesenen Handelsstreit mit der Volksrepublik. Dieser wurde nicht beim Treffen der EU-Außenminister besprochen.
Landsbergis traf sich aber zumindest mit EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, um über die anhaltenden Probleme mit dem chinesischen Zoll zu sprechen. Laut Brüssel gab es bisher keine Verbesserung der Situation. Die EU-Vertretung in China bemühe sich weiterhin um eine Lösung. Landsbergis und Dombrovskis wollen dazu weiterhin in Kontakt bleiben. Litauen ist seit mehr als einer Woche für den chinesischen Zoll geblockt, Waren aus dem EU-Staat können nicht mehr eingeführt werden (China.Table berichtete). ari
Mehrere Hongkonger Demokratie-Aktivisten sind am Montag zu Haftstrafen von bis zu 14 Monaten verurteilt worden. Ihnen wird vorgeworfen, gegen die Corona-Auflagen verstoßen zu haben. Sie alle hatten im vergangenen Jahr eine verbotene Mahnwache für die Opfer der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste am Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 organisiert, daran teilgenommen oder zur Teilnahme aufgerufen.
Kritiker sagten, die Behörden hätten die Pandemiebeschränkungen als Vorwand benutzt, um die Mahnwache zu untersagen. Die Hongkonger-Richterin Amanda Woodcock sagte, die Angeklagten hätten “eine echte Krise der öffentlichen Gesundheit ignoriert und herabgesetzt” und “fälschlicherweise und arrogant geglaubt”, an den 4. Juni zu gedenken, anstatt die Gesundheit der Gemeinschaft zu schützen.
Der 74 Jahre alte Medienunternehmer Jimmy Lai, ehemaliger Herausgeber der eingestellten, prodemokratischen Tageszeitung Apple Daily, erhielt eine Haftstrafe von 13 Monaten. Lai sitzt bereit wegen Verstöße gegen das Nationale Sicherheitsgesetz im Gefängnis (China.Table berichtete). Der Anwalt Chow Hang Tung, 36, wurde zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt. Die Aktivistin Gwyneth Ho, 31, wurde zu von sechs Monaten Haft verurteilt. Alle drei wurden bereits am vergangenen Donnerstag für schuldig befunden (China.Table berichtete). Lee Cheuk-yan, Anführer einer inzwischen aufgelösten Mahnwachen-Organisation, muss 14 Monaten ins Gefängnis. Insgesamt erhielten mit Lai, Chow, Lee und Ho acht Demokratie-Aktivisten Haftstrafen.
Lai verband die Verurteilung mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit. “Wenn es ein Verbrechen ist, derer zu gedenken, die wegen Ungerechtigkeit gestorben sind, dann füge mir dieses Verbrechen zu und lass mich die Strafe für dieses Verbrechen erleiden, damit ich die Last und den Ruhm dieser jungen Männer und Frauen teilen kann, die am 4. Juni ihr Blut vergossen haben, um Wahrheit, Gerechtigkeit und Güte zu verkünden”, verlas Lais Anwalt einen handgeschriebenen Brief seines Mandanten vor der Verurteilung. niw/rtr
Chinesische Investoren besitzen einen größeren Teil der Daimler-Aktien als bisher bekannt. Daimlers chinesisches Partnerunternehmen BAIC hat rund zwei Jahre nach dem Erwerb die genaue Höhe seiner Beteiligung an dem Stuttgarter Autobauer offengelegt. BAIC besitze demnach einen Stimmrechtsanteil von 9,98 Prozent, wie am Montag im Zusammenhang mit dem Börsengang der Lastwagensparte von Daimler bekannt wurde. Bisher war von einem Anteil in der Größenordnung von fünf Prozent die Rede. Da auch der Geely-Gründer Li Shufu einen Anteil von gut neun Prozent hält, befinden sich knapp 20 Prozent des Premiumherstellers in chinesischer Hand.
Die Beziehung beruht durchaus auf Gegenseitigkeit. Daimler hält umgekehrt 9,55 Prozent an der in Hongkong notierten BAIC-Tochter BAIC Motor. Der Dax-Konzern erklärte, er begrüße das Bekenntnis des langjährigen Partners, mit dem Mercedes-Benz in einem Joint Venture Autos für den weltweit größten Markt baut und verkauft. “Die Beteiligung von BAIC an Daimler spiegelt das Bekenntnis zu unserer gemeinsamen erfolgreichen Allianz bei Produktion und Entwicklung im weltweit größten Pkw-Markt wider”, erklärte Daimler-Chef Ola Källenius. BAIC und Daimler seien übereingekommen, dass BAIC seinen Anteil an Daimler nicht weiter erhöhen wird, so das Unternehmen. rtr/fin
BMW strebt den Ausbau seines China-Engagements an. Der Autobauer bereitet nach eigenen Angaben die Fertigung des X5 in der Volksrepublik vor. Um die starke weltweite Nachfrage für das Modell zu bedienen, weite BMW die globale Produktion des X5 aus, teilt ein Sprecher mit. Eine lokale Produktion in China sei deshalb geplant. Ein Startdatum nannte der Autobauer zunächst nicht. Bislang wurde der Geländewagen ausschließlich im US-Werk Spartanburg gebaut und nach China exportiert. Zuvor hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet. rtr
Nur wenige Tage nach der Aufgabe der diplomatischen Beziehungen zu Taiwan hat Nicaragua 200.000 Dosen Sinopharm-Impfstoff erhalten. Das nicaraguanische Volk schätze “diese Geste der Solidarität, Zusammenarbeit, Freundschaft und Brüderlichkeit”, schrieb Regierungsberater und Präsidenten-Sohn Laureano Ortega Murillo auf Twitter. Ein dazu veröffentlichtes Foto zeigte eine Air-China-Maschine auf einer Landebahn mit Vertretern beider Seiten. Insgesamt hat die Volksrepublik dem zentralamerikanischen Staat eine Million Einheiten des chinesischen Sinopharm-Impfstoffes zugesagt. Managua hatte vergangene Woche die diplomatischen Beziehungen zu Taipeh zugunsten Pekings aufgelöst (China.Table berichtete).
Peking nutzt die Impfstoff-Diplomatie, um auch weitere Staaten zur Abkehr von Taiwan zu bewegen, wie Guatemalas Präsident Alejandro Giammattei in einem Interview bestätigte. “Die Chinesen setzen uns sehr unter Druck, sie bieten uns viel an. Sie haben [Impfstoffe] angeboten, aber wir haben sie nicht angenommen”, sagte Giammattei der Financial Times. Die Loyalität Guatemalas gegenüber Taiwan sei eine “Prinzipienfrage”, fügte der Präsident hinzu. Taipeh sei der “einzig wahre Verbündete” seines Landes. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe das Land die erste Lieferung von Schutzkleidung und Schutzmasken aus Taiwan erhalten, so Giammattei.
Peking hat in Lateinamerika in den vergangenen Jahren massiv Lobbyarbeit betrieben. So ist es in den vergangenen Jahre gelungen, El Salvador, Panama und die Dominikanische Republik davon zu überzeugen, sich von Taiwan abzuwenden. Die designierte Präsidentin von Honduras, Xiomara Castro, versprach in ihrem Wahlprogramm, die Beziehungen zu Taipeh zugunsten einer Partnerschaft mit Peking aufzugeben. ari
Der weltweit führende Chiphersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing (TSMC) soll laut Medienberichten den Bau eines Werks in Deutschland erwägen. Erstmals hatte sich TSMC-Konzernchef Mark Liu im Juli bei einer Hauptversammlung in Taipeh offiziell dazu geäußert, dass TSMC über einen Produktionsstandort in Deutschland nachdenkt (China.Table berichtete).
Faktoren wie Subventionen, Kundennachfrage sowie das nötige Personal beeinflussen die endgültige Entscheidung für einen Standort in Deutschland, so Lora Ho, Senior Vice President of Europe und Asia Sales bei TSMC am Rande eines Technologieforums in Taipeh. TSMC befinde sich in frühen Gesprächen mit der deutschen Regierung über die mögliche Errichtung eines Werks in Deutschland, erfuhr die Nachrichtenagentur Bloomberg. Der weltweit größte Auftragschiphersteller produziert bisher vor allem in Taiwan, hat aber im vergangenen Jahr erste Schritte unternommen, um im Ausland zu expandieren und dadurch seine Kapazitäten zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der weltweiten Lieferkettenprobleme und des damit verbundenen Mangels an Computerchips will TSMC damit die Nachfrage aus Ländern decken, die daran arbeiten, die heimische Halbleiterproduktion auszubauen.
So will die EU in der ersten Hälfte des kommenden Jahres schon ein europäisches Chipgesetz vorstellen. Das Papier soll auch eine Strategie umreißen, um die Halbleiterproduktion in der EU anzukurbeln. So ist eines der Ziele bis 2030, etwa 20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion auszumachen. In den USA baut TSMC derzeit eine zwölf Milliarden US-Dollar teure Anlage in Arizona. In Japan will es sieben Milliarden US-Dollar investieren. niw
Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig globale Lieferketten sein können. Die Unterbrechungen der globalen Lieferketten haben in vielen Ländern Diskussionen über deren Abhängigkeit von Importgütern und ausländischen Anbietern ausgelöst. Einige Politiker*innen haben daher Unternehmen dazu aufgefordert, ihre Produktion zurückzuverlagern, um die Abhängigkeit von anderen (Konkurrenz-)Ländern zu reduzieren.
Auch China betrachtet die (potenzielle) Bedrohung seiner wirtschaftlichen Unabhängigkeit als Problem. Dies liegt nicht nur daran, dass China selbst direkt von den Unterbrechungen der Lieferketten betroffen ist. Als Weltfabrik für fast alle global gehandelten Waren oder/und deren Komponenten ist China natürlich daran interessiert, die globalen Märkte hindernisfrei zu bedienen. Da viele Unternehmen in China immer noch stark auf importierte (Hightech-)Produkte angewiesen sind, ist China auch daran interessiert, die Versorgung von ausländischen Schlüsselkomponenten zu sichern.
Die indirekte (potenzielle) Bedrohung der chinesischen Wirtschaft durch die Pandemie spielt hier ebenfalls eine Rolle. Einerseits verstärken viele, vor allem westliche, Länder ihre eigenen industriellen Kapazitäten, um ihre technologische Souveränität und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten. Dies kann die bereits bestehenden wirtschaftlichen und politischen Spannungen zwischen China und westlichen Ländern wie der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten (USA) weiter anheizen. Auch die Schwierigkeiten chinesischer Unternehmen bei der Beschaffung von Schlüsselkomponenten aus dem Ausland können sich weiter verschärfen. Andererseits könnten multinationale Unternehmen (MNU), die von Unterbrechungen der Lieferketten betroffen sind, ihre Geschäftstätigkeit aus China heraus verlagern. Dies wäre für China mit einem Verlust von finanziellen Ressourcen, fortschrittlichem Wissen, Technologien und Arbeitsplätzen verbunden.
Diese direkten und indirekten Bedrohungen haben China auf die Risiken aufmerksam gemacht, die mit dem zunehmenden globalen Wettbewerb um (finanzielle) Ressourcen, Talente, Technologien und Märkte sowie der zunehmenden wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit verbunden sind. In seinem 14. Fünfjahresplan (2021-2025) betont China daher die Absicht, erstens seine technologische Innovationsfähigkeit zu fördern, um seine Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu gewährleisten, und zweitens den inländischen Wirtschaftskreislauf als Kernelement der Entwicklungsstrategie des doppelten Wirtschaftskreislaufs zu fördern, um die wirtschaftliche Unabhängigkeit sicherzustellen.
China will seine Forschungs- und Entwicklungsausgaben deutlich erhöhen und die Rolle der (chinesischen) Unternehmen bei Innovationen stärken. Sowohl die Umsetzung als auch die Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse und Technologien sollen verstärkt werden. Technologisch führende ausländische Unternehmen und globale Talente sollen angezogen werden, um China in kritischen Technologiebereichen zu einer technologischen Spitzenposition zu verhelfen.
China will die inländische Nachfrage und das inländische Angebot steigern und fördern, dass Angebot und Nachfrage sowie vor- und nachgelagerte Produktionsstufen entlang der Lieferketten effizienter aufeinander abstimmen. Chinas eigene industrielle Basis soll weiter gestärkt und modernisiert werden. Der Vorteil seiner Marktgröße soll genutzt werden, um globale Ressourcen anzuziehen. Gleichzeitig soll das erhöhte inländische Angebot an innovativen und hochwertigen Produkten Chinas Rolle als führende Produktions- und Handelsmacht stärken.
Kurz gesagt, China setzt auf mehr inländische Innovation, inländische Produktion und inländische Nachfrage und wird bei der Förderung des internationalen Handels und der Investitionen in Zukunft noch “selektiver” vorgehen als bisher, um seine Entwicklungsziele zu erreichen. Seine Politik wird daher einen starken Einfluss auf die Umgestaltung der künftigen globalen Lieferketten haben. Für MNU, deren Investitionen in China oder Exporte nach China von der chinesischen Regierung als kritisch angesehen werden, wird es schwieriger werden, in China wie gewohnt Geschäfte zu machen. Und die Unterstützung für chinesische Direktinvestitionen im Ausland wird noch stärker darauf ausgerichtet werden, die technologischen Fähigkeiten der eigenen Wirtschaft zu stärken und somit langfristig die Position chinesischer Unternehmen in den globalen Lieferketten zu verbessern.
Chinas Politik wird daher für MNU, die in/mit China Geschäfte machen, sowie für ihre Zulieferer und Kunden eine Herausforderung darstellen. Dies wird die Neigung westlicher Länder weiter verstärken, ihrerseits ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und technologische Souveränität durch Entkopplung zu fördern.
In einer Zeit erheblicher wirtschaftlicher und politischer Spannungen zwischen China und den westlichen Ländern sowie zunehmender geopolitischer Konflikte und Unsicherheiten können solche Politiken Chinas, der EU und der USA das gegenseitige Vertrauen weiter schwächen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit verringern und letztlich zu einer kostspieligen wirtschaftlichen Entkopplung und einer weniger effizienten Re-Nationalisierung globaler Lieferketten führen.
Sicherlich sind die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen China und der EU/den USA kompliziert und durch zahlreiche Konflikte belastet. Eine weitgehende wirtschaftliche und technologische Entkopplung voneinander ist jedoch kaum der beste Weg, um mit diesen Konflikten umzugehen. Um die Vorteile der Globalisierung für den weltweiten Wohlstand und die Nachhaltigkeit zu nutzen, sind offene bilaterale und multilaterale Dialoge und Zusammenarbeit unerlässlich.
Für solche Dialoge ist es entscheidend, nicht nur die Interessen des eigenen Landes zu verstehen, sondern auch mehr über die Ansichten der anderen Seite zu erfahren. Dazu soll das Global China Conversation #5 “Reshaping Global Industrial Chains: Optionen for China” beitragen.
Wan-Hsin Liu ist eine Senior Researcherin in den Forschungszentren “Internationaler Handel und Investitionen” und “Innovation und internationaler Wettbewerb” am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Außerdem ist sie Koordinatorin am Kieler Zentrum für Globalisierung.
Dieser Beitrag gehört in den Kontext der “Global China Conversations” des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag diskutieren Qiyuan Xu, Vizedirektor am Institut für Weltwirtschaft und Politik an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften (CASS-IWEP) und Rolf J. Langhammer, ehemaliger Vizepräsident am Kiel Institut für Weltwirtschaft, im Rahmen dieses Formats über das Thema: “Reshaping Global Industrial Chains: Options for China”. China.Table ist Medienpartner der Veranstaltungsreihe.
Vanessa Chang ist die neue Direktorin des Shanghaier Studios von BMW Group Designworks. Chang arbeitet seit gut zehn Jahren für das Design-Beratungsunternehmen, das seit 1995 zu BMW gehört. Designworks berät neben BMW, Mini und Rolls-Royce auch Kunden aus anderen Branchen wie Starlux Airlines, Niu Technologies oder 3M.
Steven Hsu wird Partner der Anwaltskanzlei Sidley Austin in China. Hsu war zuvor für Freshfields Brockhaus Derginer tätig.
Kunstschnee für den Kicker: In der Sportstätte Shougang Big Air in Shijingshan haben die Vorbereitungen für die Olympischen Winterspiele begonnen. Dort werden ab Februar die Big-Air-Freestyle-Ski- und Snowboard-Wettbewerbe der Winterspiele 2022 ausgerichtet. Die Big-Air-Schanze befindet sich auf dem Gelände einer früheren Stahlhütte der Shougang Group.