Table.Briefing: China

NVK: China setzt weiter auf Kohle + Ökostrom aus Zhangjiakou?

  • Kein Interesse an Abhängigkeit von russischem Gas
  • Olympische Spiele als Pilotprojekt für die Energiewende
  • Wachstum sorgt für CO2-Rekorde
  • Kohlebergbau ist große Methan-Quelle
  • Standpunkt: “Two Sessions” – Wachstum vor Klimaschutz
Liebe Leserin, lieber Leser,

der Ukraine-Krieg hat die Energiewende auf der politischen Agenda Europas wieder weit nach oben katapultiert. Deutschland will verstärkt in “Freiheitsenergien” (Bundesfinanzminister Christian Lindner über die Erneuerbaren) investieren. Die EU will insgesamt weg vom russischen Gas. Wird China in diese Lücke vorstoßen und nun zum Hauptabnehmer russischer Energie-Rohstoffe?

Es gibt zwar erste Gerüchte, chinesische Staatsunternehmen könnten sich jetzt in Gazprom und Co. einkaufen. Doch China kann kein Interesse an einer Abhängigkeit von russischem Gas haben. Die Volksrepublik strebt Energiesicherheit an und dazu gehört auch, bei Energie-Rohstoffen relativ unabhängig vom Ausland zu bleiben. Auf dem Nationalen Volkskongress ist die Energiesicherheit eines der großen Themen. Wahrscheinlicher als eine Gas-Abhängigkeit von Russland ist es, dass China weiterhin auf die einheimische Kohle setzt, um die Versorgung mit Energie sicherzustellen.

Doch die Volksrepublik unternimmt auch viel beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Christiane Kühl analysiert, wie die Olympischen und Paralympischen Winterspiele als Pilotprojekt für die Energiewende genutzt wurden. Am Austragungsort Zhangjiakou wurde ein Stromnetz gebaut, das auf erneuerbare Energien zugeschnitten ist. Ein Pumpspeicher-Kraftwerk wurde errichtet, um überschüssigen Wind- und Solarstrom speichern zu können. Zhangjiakou könnte nun als Blaupause dienen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Eventuell können sich europäische Staaten von diesem Pilotprojekt noch einiges für die eigene Energiewende abschauen?

Wir wünschen viele neue Erkenntnisse!

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Energie: China als Profiteur von Russlands Krieg?

Kohlekraft und erneuerbare Energien in China: Kohle wird weiterhin das Rückgrat der chinesischen Energieversorgung bleiben. Im Bild eine fast sechs Kilometer lange Kohlemine in Fushun.
Kohle wird weiterhin das Rückgrat der chinesischen Energieversorgung bleiben. Im Bild eine fast sechs Kilometer lange Kohlemine in Fushun.

In den ersten Tagen des Nationalen Volkskongresses (NVK) wurde einmal mehr deutlich: Die Energiesicherheit ist der politischen Führung derzeit wichtiger als die Klimaziele. Die Stromkrise des letzten Jahres und die infolge des Ukraine-Kriegs steigenden Preise für fossile Energierohstoffe sorgen die Verantwortlichen. Als zentrales Ziel der Energiepolitik steht deswegen die Sicherstellung der Versorgung im Mittelpunkt. Die Öl- und Gasförderung sowie der Kohlebergbau sollen ausgeweitet werden.

Xi Jinping betonte in einer Rede während des Volkskongresses erneut, dass Chinas Energiewende nicht über Nacht kommen werde. Man müsse erst das Neue aufbauen, bevor man das Alte abreiße, so Xi. Die Kohlekraft sichert noch gut 60 Prozent des Energiebedarfs der Volksrepublik. Solange erneuerbare Energien oder andere Energiequellen wie Gas- und Atomenergie die Kohle in China nicht ersetzen können, will Xi also kein Risiko eingehen und Kohlekraftwerke nicht beschleunigt abschalten. Doch was heißt das konkret? Droht der Kohleverbrauch in China weiter zu steigen, um die Energiesicherheit zu garantieren?

Revival der Kohlekraft?

Einiges deutet darauf hin, dass China kurzfristig mehr Kohle verbrauchen wird. Auf dem NVK stand das Wirtschaftswachstum im Mittelpunkt. China strebt ein Wachstum von “ungefähr 5,5 Prozent” an. Im Herbst steht die Wiederwahl Xi Jinpings an. Die Verantwortlichen werden also alle Hebel in Bewegung setzen, dass die Wachstumszahlen bis dahin den angestrebten Wert erreichen oder sogar übertreffen. Die Regierung hat deswegen für dieses Jahr auch überraschend keine Zielmarke für die Reduktion des Energieverbrauchs pro Einheit Wirtschaftswachstum festgelegt. Stattdessen will sich Peking eine “angemessene Flexibilität” bewahren.

Die Regierung will sich also Spielraum für Infrastruktur- und Bauvorhaben, sowie schnell zu erzielendes Wachstum durch die Schwerindustrie offenhalten. All diese Branchen verbrauchen allerdings viel Energie. Der Energieanalyst Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air schreibt deswegen: “Ich erwarte, dass der Kohleverbrauch und die CO2-Emissionen in diesem Jahr leicht zunehmen werden”. Darauf deuten auch Aussagen der Behörden hin, dass Kohlekraftwerke “ihr volles Potenzial ausschöpfen” und ihre “Leistung maximieren” sollen (China.Table berichtete).

China hat kein Interesse an Gas-Abhängigkeit von Russland

Russlands Angriff auf die Ukraine wurde auf dem Volkskongress kaum behandelt. Doch die Energiesicherheit ist eine Medaille mit mindestens zwei Seiten. Chinas politische Führer wollen den sicheren Zugang zu Energie und Strom für die Wirtschaft und Bürger sicherstellen. Doch gleichzeitig dürfen sie sich nicht zu abhängig machen von Importen von Energierohstoffen wie Kohle, Gas und Erdöl – denn in Krisen wäre die Energiesicherheit dann auch gefährdet. Xi Jinping hat erst im Oktober betont, “China muss seine Energieversorgung fest in den eigenen Händen halten”.

Welche Implikationen hat der russische Krieg in der Ukraine also für die Energiesicherheit Chinas? Anders als viele Länder Europas ist die Volksrepublik nicht von russischen Energielieferungen abhängig. Russland ist zwar Chinas größter Kohlelieferant. Doch die Importe aus dem Nachbarland machen nur mickrige 0,3 Prozent des Kohleverbrauchs der Volksrepublik aus. Den allergrößten Teil seines Bedarfs kann China aus heimischen Quellen decken. Beim Gas ist der russische Anteil höher. Allerdings ist China in vielen Bereichen noch nicht so Gas-abhängig wie Europa. Ein Wechsel zurück zur Kohle wäre leicht möglich, so die Analysten der Beratungsfirma Trivium China.

Peking befindet sich in einer äußerst vorteilhaften Position. China könnte in den nächsten Jahren russisches Gas aufkaufen, das Europa verschmäht. Sollte Russland den Krieg in der Ukraine so stark eskalieren lassen, dass es dauerhaft zum internationalen Paria wird, könnten Peking sogar Rabatte winken. Doch die politischen Führer werden schlau genug sein, sich nicht in eine Gas-Abhängigkeit von einem unberechenbaren Russland zu begeben. Das würde dem Ziel der Energiesicherheit widersprechen.

Allerdings könnte sich China in russische Energieunternehmen wie Gazprom einkaufen. Laut Bloomberg-Informationen befinden sich die verantwortlichen Politiker in Peking in Gesprächen mit Staatsunternehmen wie China National Petroleum über mögliche Investitionen in russische Unternehmen oder Vermögenswerte. Jeder Kauf würde dazu dienen, Chinas Energieimporte und -sicherheit zu steigern, gibt Bloomberg Personen wieder, die demnach mit den Gesprächen vertraut sind. Erklärtes Ziel sei es nicht, Russlands Invasion zu unterstützen. Allerdings befinden sich die Gespräche zwischen chinesischen und russischen Unternehmen demnach noch in einer frühen Phase.

Hinzu kommt: In vielen wirtschaftlichen Bereichen ist China noch abhängig von westlichen Exporten und Technologien. Ein zu großer Schwenk Richtung Russland, der westliche Geschäfts- und Handelspartner verschreckt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Analysten von Trivium schreiben dazu: “Wir vermuten, dass die Vorteile eines echten Bündnisses mit Putin gegen die Welt weit hinter den Kosten zurückbleiben würden.”

Auch erneuerbare Energien sollen Energiesicherheit in China garantieren

Auch wenn der Kohleverbrauch kurzfristig steigen dürfte, vernachlässigt China den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht. Laut dem Arbeitsbericht von Ministerpräsident Li Keqiang will China den Ausbau von großen Wind- und Solarkraftwerken vorantreiben. Zudem plant China, die Kapazität der Stromnetze zu erhöhen. Dadurch würden weniger erneuerbare Energien verloren gehen. Die Offshore-Windkraft soll besonders gefördert werden. Auch die Energiespeicher sollen ausgebaut werden (China.Table berichtete). Dazu befindet sich derzeit ein “Fünfjahresplan für Energiespeicher” im Konsultationsprozess. Das chinesische Finanzministerium kündigte zudem an, den Entwicklern erneuerbarer Energie-Projekte überfällige Subventionen endlich auszuzahlen. Hier kam es in den letzten Jahren zu großen Verzögerungen, sodass teilweise Mittel fehlten, um neue Projekte zu starten.

Doch der Ausbau erneuerbarer Energiequellen benötigt Zeit. Es wird noch einige Jahre dauern, bis Solar-, Wind- und Wasserkraft den Anteil fossiler Energien am Energiemix drastisch senken können – zumal wenn die Nachfrage nach Energie weiter steigt.

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Ökostrom für alle aus Zhangjiakou

Zhangjiakou als Modell für Ökostrom in China: Eine Fotovoltaikanlage im Winter, gelegen vor einem Bergrücken voller Windräder
Erbe der Winterspiele von Peking: Fotovoltaik und Windenergie aus Zhangjiakou

Grüne, klimaneutrale Spiele wollte Peking ausrichten. Das ist bei Winterspielen praktisch unmöglich, wenn Material und Energieverbrauch für die Bauten einbezogen werden. Ihre Klimabilanz müssen die Ausrichter nach dem Ende der Paralympics herausgeben. Doch für die Zukunft ist die bleibende Infrastruktur entscheidender als die Klimabilanz der Spiele. Und Zhangjiakou ist durch Olympia immerhin eine Pilotregion für Erzeugung, Netz-Einspeisung und Direktvermarktung von Wind- und Solarstrom geworden.

Olympische Spiele Peking 2022

Die für die Spiele neu errichtete Infrastruktur versorgt derzeit die 25 Sportstätten mit Ökostrom – und künftig Pekings Stadtgebiet. Wind und Sonne könnten in Zhangjiakou derzeit etwa 44 Terawattstunden (TWh) pro Jahr erzeugen, mehr als so manches Land der Welt, wie die Energieexperten Lauri Myllyvirta und Xing Zhang vom Centre for Research on Energy and Clean Air analysieren. Der Eigenverbrauch von Zhangjiakou und Umgebung liege – ohne Olympia – bei etwa 19 TWh.

Nach Abreise aller Athleten werden nach Angaben der Olympia-Planer also 25 TWh frei. Davon sollen voraussichtlich jedes Jahr etwa 14 TWh erneuerbarer Energie von Zhangjiakou nach Peking übertragen werden. Das entspricht etwa zehn Prozent des Strombedarfs der Hauptstadt. Weitere sieben TWh pro Jahr sollen demnach in die derzeit im Bau befindliche “Stadt der Zukunft” Xiong’an im Südosten Pekings übertragen werden, einem Lieblingsprojekt von Staatschef Xi Jinping.

Erbe von Peking 2022: ein neues Ökostrom-Netz und ein Markt für Erneuerbare in China

Auch ein eigenes Stromnetz ist für die Spiele entstanden. 12,5 Milliarden Yuan (knapp 1,8 Milliarden Euro) flossen in den Aufbau des “Zhangbei Renewable Energy Flexible DC Power Grid Demonstration Project” (DC steht für “direct current”, also Gleichstrom; Zhangbei 张北 bezieht sich auf den Norden Zhangjiakous). “Es ist das erste seiner Art, das Gleichstrom verwendet, eine Technologie, die viel besser für die Übertragung über sehr große Entfernungen geeignet ist als Wechselstrom”, schreiben Myllyvirta und Zhang. Die Übertragung nach Xiong’an werde über eine Ultra-Hochspannungsleitung erfolgen.

Hinzu kommt ein neues Pumpspeicherkraftwerk mit 3,6 Gigawatt Leistung in der Kleinstadt Fengning nördlich von Peking, das eine stabile Stromversorgung sicherstellt. Das Prinzip ist simpel: Erzeugen Wind und Sonne mehr Strom als nötig, wird Wasser mit der überschüssigen Energie von einem tiefer gelegenen in ein höher gelegenes Speicherbecken gepumpt und dort “geparkt”. Wenn mal weder die Sonne scheint noch der Wind bläst, wird dieses Wasser aus dem Oberbecken wieder ins Unterbecken abgelassen. Dabei durchfließt es zwei Turbinen und erzeugt Strom. “Im Vergleich zu Technologien wie Batterien ist im Versorgungsmaßstab die Nutzung von Wasserkraft zur Energiespeicherung weniger komplex und kostengünstiger”, urteilen Ivy Yin und Eric Yep von S&P Global in einer aktuellen Forschungsnotiz.

Doch Strom muss nicht nur erzeugt werden, sondern auch gezielt zu kaufen sein. Im September 2021 startete China ein Pilotprojekt zum Handel mit grünem Strom. Es ermöglicht Großverbrauchern, landesweit erzeugten erneuerbaren Strom zu kaufen. Zuvor hatte es nur regionale Mechanismen zum Direktankauf von Ökostrom gegeben, etwa unter Mitwirkung von BASF in Guangdong (China.Table berichtete). Den Sportstätten der Winterspiele wurde laut Myllyvirta und Zhang auf dieser neuen Handelsplattform Priorität eingeräumt, sodass die Veranstaltungsorte erneuerbaren Strom zu einem niedrigeren Preis kaufen können.

Zhangjiakou: Blaupause für die Zukunft?

Zhangjiakou könnte nun als Blaupause dienen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis 2030 soll Chinas Kapazität von Wind und Solar bei 1.200 Gigawatt liegen, knapp doppelt so viel wie heute. Die sogenannten 30/60-Ziele peilen die Emissionswende vor 2030 und Klimaneutralität ab 2060 vor. Ministerpräsident Li Keqiang hob am Freitag auf dem Plenum des Nationalen Volkskongresses für das Erreichen dieser Ziele vor allem Wind- und Sonnenenergie hervor – und sprach überraschend nicht von Wasserkraft und Atomenergie (China.Table berichtete).

Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC veröffentliche am Samstag ebenfalls ihre Zielsetzungen für 2022. Auch darin fiel die Erwähnung der Solarindustrie als Schlüssel für die weitere Entwicklung auf (China.Table berichtete).

Stromnetze in China: Öffnung für mehr Ökostrom

Doch die Übertragung des Ökostroms ist die Krux. “Eine seit langem bestehende Herausforderung bei Chinas Fernübertragungsleitungen ist ihr unflexibler Betrieb”, erklären Myllyvirta und Zhang. Ein Problem ist, dass Kohlestrom in den Regionen oft Vorrang in den Leitungen bekommt. Beim Zhangjiakou-Ökostromprojekt geht es daher nach Ansicht der beiden Experten auch darum, Pionierarbeit für ein neues institutionelles Set-up zu leisten. Dies sei mindestens so wichtig wie neue Anlagen zur Erzeugung des Ökostroms.

Auch die im Zhangbei-Pilotprojekt eingesetzte Pumpspeicherkraft soll bei der Ausweitung zum Einsatz kommen. China will diese bis 2025 auf 62 GW gegenüber heute verdoppeln, und bis 2030 auf 120 GW vervierfachen (China.Table berichtete). Einige der größten staatlichen Stromversorger Chinas wie die Huadian Group, die Huaneng Group, die Datang Group und Guohua Power haben laut Yin und Yep von S&P in Zhangjiakou Ökostromprojekte entwickelt. Diese Erfahrungen könnten sie nutzen.

Zhangjiakou: Klimafreundlicher Energiemix

Der Energiemix von Zhangjiakou ist dem Rest des Landes jedenfalls weit voraus. Myllyvirta und Zhang berechneten vorab, dass die Region im Januar und Februar 2022 insgesamt 60 Prozent ihres Stroms aus Wind und Solarkraft erzeugen würde. Zum Vergleich: Der Strom der Hauptstadt Peking wird fast ausschließlich aus Gas erzeugt. Die Provinz Hebei – in der Zhangjiakou liegt – verfeuert für die Stromgewinnung zu gleichen Teilen Kohle und Gas, die gemeinsam satte 90 Prozent der Elektrizität erzeugen.

Die Region will ihre Wind- und Solarkapazitäten nun bis 2030 mehr als verdoppeln, auf dann 50 Gigawatt. Bis 2030 plane Zhangjiakou einen Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent, schreiben Yin und Yep unter Berufung auf lokale Pläne. 2030 will es alle öffentlichen Verkehrsmittel und Wohngebäude mit erneuerbaren Energien versorgen. Alle Industriesektoren sollen dann klimaneutral wirtschaften. Wenn all das nachweisbar gelingt, könnte Zhangjiakou in den kargen Bergen von Hebei wirklich zu einer Modellregion werden.

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News

China verdirbt der Welt die Klimabilanz

China war im vergangenen Jahr für gut ein Drittel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das geht aus neuen Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Weltweit stiegen die Emissionen 2021 demnach auf einen Rekordwert. Nachdem die Emissionen im ersten Jahr der Corona-Pandemie gesunken waren, stiegen sie in deren zweiten Jahr umso stärker an. Obwohl die erneuerbaren Energien ihr größtes jährliches Wachstum verzeichneten, wurde mehr Kohle verbrannt als jemals zuvor. Auf den klimaschädlichen Energieträger entfielen über 40 Prozent des Gesamtwachstums der globalen CO2-Emissionen im Jahr 2021.

In China stiegen die CO2-Emissionen stärker an, als sie im Rest der Welt abnahmen. Die wirtschaftliche Erholung in der Volksrepublik infolge der Covid-Pandemie ist besonders energieintensiv. Die Stromnachfrage stieg um zehn Prozent und überstieg damit das Wirtschaftswachstum von 8,4 Prozent. Da die Nachfrage so stark wuchs, konnte der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mithalten. 56 Prozent des Anstiegs der Stromnachfrage wurde mit Kohle gedeckt. Auch für das laufende Jahr gehen Experten von einem Anstieg des Kohleverbrauchs und der CO2-Emissionen in China aus (China.Table berichtete).

Andere Länder konnten CO2-Emissionen aus China nicht ausgleichen

Die Volksrepublik war für fast den gesamten globalen Anstieg der Emissionen des Strom- und Wärmesektors zwischen 2019 und 2021 verantwortlich. Ein geringer Rückgang in den übrigen Ländern der Welt reichte nicht aus, um den Anstieg in China auszugleichen, sodass die Emissionen aus diesem Sektor anstiegen. Im Industriesektor hat die Volksrepublik allerdings weniger Kohle verbraucht, als im Vor-Corona-Jahr 2019.

Pro Kopf verursachte China im vergangenen Jahr CO2-Emissionen in Höhe von 8,4 Tonnen. In den USA liegt der Wert bei 14 Tonnen, in der EU bei sechs Tonnen. China weist unter den großen Volkswirtschaften die höchste Emissionsintensität des BIP auf. Um 1.000 US-Dollar zu erwirtschaften, stößt China also am meisten Treibhausgas aus. Zwar ist die Emissionsintensität des chinesischen Bruttoinlandsprodukts seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent gesunken. Durch das immense Wachstum der chinesischen Wirtschaft stiegen die absoluten Emissionen jedoch stark an. nib

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Förderung von Kohle setzt viel Methan frei

China ist die weltweit größte Quelle von Methan-Emissionen aus dem Energiesektor. Die Emissionen des Klimagases, die bei Chinas Kohleförderung austreten, hatten im letzten Jahr einen Treibhausgaseffekt vergleichbar mit dem des globalen Schiffsverkehrs. Das geht aus einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. China macht demnach gut ein Fünftel der weltweiten Methan-Emissionen aus dem Energiesektor aus. Laut IEA gibt es “beträchtliche Möglichkeiten”, den Methanausstoß bei der Kohleförderung zu minimieren. Das Treibhausgas habe zu 30 Prozent zum globalen Klimawandel beigetragen. Methan hat in der Atmosphäre zwar nur eine durchschnittliche Lebenszeit von 12,4 Jahren. Doch es ist 25-mal so schädlich wie Kohlendioxid.

China hat es bei der letzten Klimakonferenz abgelehnt, sich dem sogenannten “Global Methane Pledge” zur Reduzierung des Methan-Ausstoßes anzuschließen (China.Table berichtete). Allerdings kündigte das Land damals einen nationalen Methanplan an. nib

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Standpunkt

“Zwei Sitzungen”: Kurs halten im Sturm

Von Björn Conrad, Tiffany Wong und Ban Yin

Es scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein: Im Jahr des wichtigen 20. Parteitages ist es von entscheidender Bedeutung, dass die “Lianghui” (“Zwei Sitzungen”, parallele Sitzung des Nationalen Volkskongress und der zugehörigen Konsultativkonferenz) Ruhe und Stabilität vermitteln und dem Land die Gewissheit geben, dass China auf einen klaren Kurs in die Zukunft ist. Es könnte kaum einen schwierigeren Zeitpunkt hierfür geben. Im Inland steht Chinas Regierung vor den Herausforderungen ihrer No-Covid-Politik. Im Ausland versucht die chinesische Führung mit mäandernden Positionen ihre widersprüchlichen Interessen im Krieg in der Ukraine unter einen Hut zu bringen. Keine idealen Voraussetzungen, um Zuversicht und Klarheit zu vermitteln.

Doch der Nationale Volkskongresses (NVK) bietet eine Gelegenheit, um selbst in Zeiten extremer Unsicherheit Stabilität zu vermitteln. Der NVK mit seinen ritualisierten Abläufen ist nicht dazu gedacht, dringende Fragen kontrovers zu diskutieren oder schwierige Krisenentscheidungen zu treffen. Der NVK ist damit der ideale Rahmen, um aktuelle Turbulenzen in den Hintergrund zu rücken und stattdessen den langfristigen Zukunftsplan der chinesischen Führung zu bekräftigen.

Drei Prioritäten in China im Lichte der “Lianghui”

Auch wenn die “Lianghui” keine großen politischen Veränderungen mit sich bringen werden, bietet der NVK dennoch einen Einblick in die politischen Prioritäten der Führung in China. Hier sind die zentralen drei Fragen, die der diesjährige NVK aufwirft:

Wie können 5,5 Prozent Wachstum erreicht werden? Das jährliche Wachstumsziel, das traditionell bei der Vorstellung des Arbeitsberichts durch den Premierminister bekannt gegeben wird, ist die Zahl, die es immer in die internationale Presse schafft. In diesem Jahr lautet die Zahl “rund 5,5 Prozent”. Ein Rückgang gegenüber den “über 6 Prozent” des letzten Jahres. Aber immer noch ein ehrgeiziges Ziel in unsicheren Zeiten. Es sendet ein Signal: Trotz der ungünstigen Bedingungen ist Chinas Führung zuversichtlich, das Wachstum zu verteidigen, das China braucht.

Die chinesische Führung hat dabei einen klaren Blick für die Probleme, die auf Chinas Wirtschaft lasten. Die NDRC nennt sie in einer Ergänzung zum Arbeitsbericht des Premierministers: 1. schrumpfende Nachfrage bei Konsum und Investitionen; 2. Engpässe bei Produktionsmitteln (Kohle, Chips); 3. Inflation der Erzeugerpreise; 4. Risiken bei Immobilien, kleinen Banken und Schulden der Regionalregierungen; 5. geringes Vertrauen von Kleinunternehmen in die Marktaussichten.

Diese Herausforderungen machen das Wachstumsziel von 5,5 Prozent zwar eindrucksvoller, aber letztendlich auch weniger überzeugend. Es scheint wahrscheinlich, dass die Erreichung des Ziels Kompromisse in anderen Politikbereichen erfordert. Zwei der Bereiche, die wahrscheinlich als Sicherheitsventile fungieren und bei Bedarf kurzfristiges Wachstum schaffen sollen, sind Chinas Dekarbonisierung und der Immobiliensektor.

Auf der Central Economic Work Conference 2021 wurde bereits eine Änderung der Rhetorik in Bezug auf die Dekarbonisierung deutlich. Der neue Schwerpunkt lag auf der Abwägung zwischen Verringerung der CO2-Emissionen und der Sicherheit der Lieferketten und damit dem Wirtschaftswachstum. Konkret weist dies auf eine Verlangsamung des Kohleausstiegs und damit die Verzögerung des Übergangs zu erneuerbaren Energien hin.

Im Immobiliensektor haben die Regulierungsbehörden die strengen Restriktionen für Immobilienkredite aufgegeben und die Banken und Lokalregierungen aufgefordert, den Wohnungsbedarf der Verbraucher zu decken. Das viel diskutierte Konzept der Grundsteuer fehlt nun im Arbeitsbericht der Regierung. Das Ziel, die Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft vom Immobiliensektor zu verringern, muss offenbar hinter den kurzfristigen Wachstumszielen zurückstehen.

Schwieriger Spagat zwischen Regulierung und Marktinnovation

Wie baut man eine digitale Wirtschaft auf? Der Aufbau einer digitalen Wirtschaft und die Nutzung von Daten als Wachstumsmotor ist eines der zukunftsweisenden Themen der diesjährigen “Lianghui”. Im vergangenen Jahr kam es zu einem Showdown im chinesischen Technologiesektor, bei dem die Regulierungsbehörden das zuvor weitgehend unkontrollierte digitale und technologische Wachstum stärker in den Griff nahmen. Der Staat wird in Zukunft Chinas innovative Technologien noch gezielter einsetzen, um Industriesektoren in der Wertschöpfungskette nach oben zu bringen.

Die Blaupause für die Beschleunigung der Digitalisierung liefert der jüngste 14. Fünfjahresplan zur Informatisierung, der das ehrgeizige Ziel setzt, dass der Mehrwert der digitalen Wirtschaft Chinas bis 2025 10 Prozent des BIP erreichen soll.

Da sich Chinas Vision der digitalen Wirtschaft vom Konsum zur industriellen Digitalisierung verlagert, werden Daten zu einer wichtigen strategischen Ressource. Der Schutz einer solchen Ressource ist von entscheidender Bedeutung. Im Arbeitsbericht werden nationale Sicherheit und Cybersicherheit in einem Atemzug genannt. Es ist kein Zufall, dass im Jahr 2021 zwei bahnbrechende Gesetze zum Thema Cybersicherheit verabschiedet wurden: das Datensicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten. Zusammen mit dem Cybersicherheitsgesetz von 2017 bilden sie den Rahmen zum Schutz der für den Staat wichtigen Daten und dienen damit als Fundament für eine digitale Wirtschaft nach den Vorstellungen der chinesischen Führung.

In Zukunft wird China den schwierigen Spagat zwischen staatlicher Regulierung und Marktinnovation in der digitalen Wirtschaft schaffen müssen. Die Durchsetzung des Datenschutzes wird zunehmen, während der Staat die regulatorische Architektur für den aufkeimenden digitalen Markt weiter ausbaut. Die “Lianghui” unterstreichen: China schreibt derzeit das erste Kapitel eines neuen Regelbuchs für seine ganz eigene Version der digitalen Wirtschaft.

Soziale Stabilität unter erheblichem Druck

Wie kann die soziale Stabilität gesichert werden? In einer Zeit verlangsamten Wirtschaftswachstums und geopolitischer Unsicherheit steht auch die soziale Stabilität in China unter erheblichem Druck. Wie es in einem Artikel der Volkszeitung heißt: “people’s livelihood is the biggest politics”.

Stabilisierung der Beschäftigung ist die dringendste Herausforderung. Der Arbeitsbericht verspricht die Schaffung von mehr als elf Millionen Arbeitsplätzen in den Städten. Für die zehn Millionen Hochschulabsolventen im Jahr 2022 bedeutet dies erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten, eine gelockerte städtische Registrierungspolitik und mehr Anreize für Unternehmertum, insbesondere in High-Tech-Bereichen wie Big Data, Cloud Computing und Halbleiter. Der Bericht verspricht auch, eine Billion RMB (145 Milliarden Euro) in die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte für die “hochwertige Fertigung” zu investieren.

Ein weiterer Schwerpunkt ist der gleichberechtigte Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Vor einigen Monaten veröffentlichte die NDRC den 14. Jahresplan für öffentliche Dienstleistungen, in dem verbindliche Ziele für Altenpflege, Kinderbetreuung, Grundschulbildung, Gesundheitswesen und Wohnungsbau bis 2025 festgelegt wurden. Der Arbeitsbericht ergänzt, die öffentlichen Dienstleistungen auf Gemeindeebene durch eine besser koordinierte regionale Entwicklung auf die Landkreise und darunter auszuweiten. Obwohl die NDRC keine neuen Maßnahmen zum Thema “Common Prosperity” erwähnt, deutet sie in ihrem Bericht an, dass ein übergreifender Plan in Arbeit ist.

Da die Lockerung der Ein-Kind-Politik nicht zur erwünschten demografischen Wende führte, wird Chinas Rentensystem, das sich stark auf die staatliche und betriebliche Altersversorgung stützt, zunehmend unter Druck geraten. Der Arbeitsbericht hebt zwei Lösungen hervor: den Ausbau der dritten Säule – der individuellen Altersvorsorge – und eine effizientere Fondsverwaltung durch ein einheitliches nationales Rentensystem. Während die Lösungen klar sind, bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen mit der wachsenden finanziellen Belastung durch eine schnell alternde Gesellschaft Schritt halten können.

Alle vorgeschlagenen sozialpolitischen Initiativen haben einen gemeinsamen Nenner: massive Staatsausgaben. Und hier schließt sich der Kreis. Um die sozialen Versprechen einhalten zu können, braucht China das angestrebte Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent.

“Lianghui” 2022: China will den Kurs halten

Auch oder gerade weil momentan die Welt auf den Kopf gestellt wird, sind die “Lianghui” nicht der Ort für drastische Änderungen der politischen Strategie. Stattdessen sind die “Lianghui” im Jahr 2022 ein Lehrstück im “Kurs halten”, sich nicht von den Turbulenzen ringsum ablenken lassen und Chinas Zukunftsplan geradezu stoisch vorantreiben. Hinter verschlossenen Türen wird sich die chinesische Führungsspitze jedoch die Frage stellen, ob drastischere Kurskorrekturen erforderlich sind, um China durch die stürmischen Gewässer unserer Zeit zu steuern. Die Antwort wird bis zum 20. Parteitag warten müssen.

Björn Conrad ist CEO und Co-Gründer von Sinolytics und Experte für Chinas Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik. Tiffany Wong ist Project Leader dort und Expertin für Cyper-, Digitalpolitik. Bin Yan ist Project Leader bei Sinolytics und Experte für Chinas Wirtschaftspolitik und den Finanzsektor. Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    der Ukraine-Krieg hat die Energiewende auf der politischen Agenda Europas wieder weit nach oben katapultiert. Deutschland will verstärkt in “Freiheitsenergien” (Bundesfinanzminister Christian Lindner über die Erneuerbaren) investieren. Die EU will insgesamt weg vom russischen Gas. Wird China in diese Lücke vorstoßen und nun zum Hauptabnehmer russischer Energie-Rohstoffe?

    Es gibt zwar erste Gerüchte, chinesische Staatsunternehmen könnten sich jetzt in Gazprom und Co. einkaufen. Doch China kann kein Interesse an einer Abhängigkeit von russischem Gas haben. Die Volksrepublik strebt Energiesicherheit an und dazu gehört auch, bei Energie-Rohstoffen relativ unabhängig vom Ausland zu bleiben. Auf dem Nationalen Volkskongress ist die Energiesicherheit eines der großen Themen. Wahrscheinlicher als eine Gas-Abhängigkeit von Russland ist es, dass China weiterhin auf die einheimische Kohle setzt, um die Versorgung mit Energie sicherzustellen.

    Doch die Volksrepublik unternimmt auch viel beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Christiane Kühl analysiert, wie die Olympischen und Paralympischen Winterspiele als Pilotprojekt für die Energiewende genutzt wurden. Am Austragungsort Zhangjiakou wurde ein Stromnetz gebaut, das auf erneuerbare Energien zugeschnitten ist. Ein Pumpspeicher-Kraftwerk wurde errichtet, um überschüssigen Wind- und Solarstrom speichern zu können. Zhangjiakou könnte nun als Blaupause dienen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Eventuell können sich europäische Staaten von diesem Pilotprojekt noch einiges für die eigene Energiewende abschauen?

    Wir wünschen viele neue Erkenntnisse!

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    Nico Beckert
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    Analyse

    Energie: China als Profiteur von Russlands Krieg?

    Kohlekraft und erneuerbare Energien in China: Kohle wird weiterhin das Rückgrat der chinesischen Energieversorgung bleiben. Im Bild eine fast sechs Kilometer lange Kohlemine in Fushun.
    Kohle wird weiterhin das Rückgrat der chinesischen Energieversorgung bleiben. Im Bild eine fast sechs Kilometer lange Kohlemine in Fushun.

    In den ersten Tagen des Nationalen Volkskongresses (NVK) wurde einmal mehr deutlich: Die Energiesicherheit ist der politischen Führung derzeit wichtiger als die Klimaziele. Die Stromkrise des letzten Jahres und die infolge des Ukraine-Kriegs steigenden Preise für fossile Energierohstoffe sorgen die Verantwortlichen. Als zentrales Ziel der Energiepolitik steht deswegen die Sicherstellung der Versorgung im Mittelpunkt. Die Öl- und Gasförderung sowie der Kohlebergbau sollen ausgeweitet werden.

    Xi Jinping betonte in einer Rede während des Volkskongresses erneut, dass Chinas Energiewende nicht über Nacht kommen werde. Man müsse erst das Neue aufbauen, bevor man das Alte abreiße, so Xi. Die Kohlekraft sichert noch gut 60 Prozent des Energiebedarfs der Volksrepublik. Solange erneuerbare Energien oder andere Energiequellen wie Gas- und Atomenergie die Kohle in China nicht ersetzen können, will Xi also kein Risiko eingehen und Kohlekraftwerke nicht beschleunigt abschalten. Doch was heißt das konkret? Droht der Kohleverbrauch in China weiter zu steigen, um die Energiesicherheit zu garantieren?

    Revival der Kohlekraft?

    Einiges deutet darauf hin, dass China kurzfristig mehr Kohle verbrauchen wird. Auf dem NVK stand das Wirtschaftswachstum im Mittelpunkt. China strebt ein Wachstum von “ungefähr 5,5 Prozent” an. Im Herbst steht die Wiederwahl Xi Jinpings an. Die Verantwortlichen werden also alle Hebel in Bewegung setzen, dass die Wachstumszahlen bis dahin den angestrebten Wert erreichen oder sogar übertreffen. Die Regierung hat deswegen für dieses Jahr auch überraschend keine Zielmarke für die Reduktion des Energieverbrauchs pro Einheit Wirtschaftswachstum festgelegt. Stattdessen will sich Peking eine “angemessene Flexibilität” bewahren.

    Die Regierung will sich also Spielraum für Infrastruktur- und Bauvorhaben, sowie schnell zu erzielendes Wachstum durch die Schwerindustrie offenhalten. All diese Branchen verbrauchen allerdings viel Energie. Der Energieanalyst Lauri Myllyvirta vom Centre for Research on Energy and Clean Air schreibt deswegen: “Ich erwarte, dass der Kohleverbrauch und die CO2-Emissionen in diesem Jahr leicht zunehmen werden”. Darauf deuten auch Aussagen der Behörden hin, dass Kohlekraftwerke “ihr volles Potenzial ausschöpfen” und ihre “Leistung maximieren” sollen (China.Table berichtete).

    China hat kein Interesse an Gas-Abhängigkeit von Russland

    Russlands Angriff auf die Ukraine wurde auf dem Volkskongress kaum behandelt. Doch die Energiesicherheit ist eine Medaille mit mindestens zwei Seiten. Chinas politische Führer wollen den sicheren Zugang zu Energie und Strom für die Wirtschaft und Bürger sicherstellen. Doch gleichzeitig dürfen sie sich nicht zu abhängig machen von Importen von Energierohstoffen wie Kohle, Gas und Erdöl – denn in Krisen wäre die Energiesicherheit dann auch gefährdet. Xi Jinping hat erst im Oktober betont, “China muss seine Energieversorgung fest in den eigenen Händen halten”.

    Welche Implikationen hat der russische Krieg in der Ukraine also für die Energiesicherheit Chinas? Anders als viele Länder Europas ist die Volksrepublik nicht von russischen Energielieferungen abhängig. Russland ist zwar Chinas größter Kohlelieferant. Doch die Importe aus dem Nachbarland machen nur mickrige 0,3 Prozent des Kohleverbrauchs der Volksrepublik aus. Den allergrößten Teil seines Bedarfs kann China aus heimischen Quellen decken. Beim Gas ist der russische Anteil höher. Allerdings ist China in vielen Bereichen noch nicht so Gas-abhängig wie Europa. Ein Wechsel zurück zur Kohle wäre leicht möglich, so die Analysten der Beratungsfirma Trivium China.

    Peking befindet sich in einer äußerst vorteilhaften Position. China könnte in den nächsten Jahren russisches Gas aufkaufen, das Europa verschmäht. Sollte Russland den Krieg in der Ukraine so stark eskalieren lassen, dass es dauerhaft zum internationalen Paria wird, könnten Peking sogar Rabatte winken. Doch die politischen Führer werden schlau genug sein, sich nicht in eine Gas-Abhängigkeit von einem unberechenbaren Russland zu begeben. Das würde dem Ziel der Energiesicherheit widersprechen.

    Allerdings könnte sich China in russische Energieunternehmen wie Gazprom einkaufen. Laut Bloomberg-Informationen befinden sich die verantwortlichen Politiker in Peking in Gesprächen mit Staatsunternehmen wie China National Petroleum über mögliche Investitionen in russische Unternehmen oder Vermögenswerte. Jeder Kauf würde dazu dienen, Chinas Energieimporte und -sicherheit zu steigern, gibt Bloomberg Personen wieder, die demnach mit den Gesprächen vertraut sind. Erklärtes Ziel sei es nicht, Russlands Invasion zu unterstützen. Allerdings befinden sich die Gespräche zwischen chinesischen und russischen Unternehmen demnach noch in einer frühen Phase.

    Hinzu kommt: In vielen wirtschaftlichen Bereichen ist China noch abhängig von westlichen Exporten und Technologien. Ein zu großer Schwenk Richtung Russland, der westliche Geschäfts- und Handelspartner verschreckt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Die Analysten von Trivium schreiben dazu: “Wir vermuten, dass die Vorteile eines echten Bündnisses mit Putin gegen die Welt weit hinter den Kosten zurückbleiben würden.”

    Auch erneuerbare Energien sollen Energiesicherheit in China garantieren

    Auch wenn der Kohleverbrauch kurzfristig steigen dürfte, vernachlässigt China den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht. Laut dem Arbeitsbericht von Ministerpräsident Li Keqiang will China den Ausbau von großen Wind- und Solarkraftwerken vorantreiben. Zudem plant China, die Kapazität der Stromnetze zu erhöhen. Dadurch würden weniger erneuerbare Energien verloren gehen. Die Offshore-Windkraft soll besonders gefördert werden. Auch die Energiespeicher sollen ausgebaut werden (China.Table berichtete). Dazu befindet sich derzeit ein “Fünfjahresplan für Energiespeicher” im Konsultationsprozess. Das chinesische Finanzministerium kündigte zudem an, den Entwicklern erneuerbarer Energie-Projekte überfällige Subventionen endlich auszuzahlen. Hier kam es in den letzten Jahren zu großen Verzögerungen, sodass teilweise Mittel fehlten, um neue Projekte zu starten.

    Doch der Ausbau erneuerbarer Energiequellen benötigt Zeit. Es wird noch einige Jahre dauern, bis Solar-, Wind- und Wasserkraft den Anteil fossiler Energien am Energiemix drastisch senken können – zumal wenn die Nachfrage nach Energie weiter steigt.

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    Ökostrom für alle aus Zhangjiakou

    Zhangjiakou als Modell für Ökostrom in China: Eine Fotovoltaikanlage im Winter, gelegen vor einem Bergrücken voller Windräder
    Erbe der Winterspiele von Peking: Fotovoltaik und Windenergie aus Zhangjiakou

    Grüne, klimaneutrale Spiele wollte Peking ausrichten. Das ist bei Winterspielen praktisch unmöglich, wenn Material und Energieverbrauch für die Bauten einbezogen werden. Ihre Klimabilanz müssen die Ausrichter nach dem Ende der Paralympics herausgeben. Doch für die Zukunft ist die bleibende Infrastruktur entscheidender als die Klimabilanz der Spiele. Und Zhangjiakou ist durch Olympia immerhin eine Pilotregion für Erzeugung, Netz-Einspeisung und Direktvermarktung von Wind- und Solarstrom geworden.

    Olympische Spiele Peking 2022

    Die für die Spiele neu errichtete Infrastruktur versorgt derzeit die 25 Sportstätten mit Ökostrom – und künftig Pekings Stadtgebiet. Wind und Sonne könnten in Zhangjiakou derzeit etwa 44 Terawattstunden (TWh) pro Jahr erzeugen, mehr als so manches Land der Welt, wie die Energieexperten Lauri Myllyvirta und Xing Zhang vom Centre for Research on Energy and Clean Air analysieren. Der Eigenverbrauch von Zhangjiakou und Umgebung liege – ohne Olympia – bei etwa 19 TWh.

    Nach Abreise aller Athleten werden nach Angaben der Olympia-Planer also 25 TWh frei. Davon sollen voraussichtlich jedes Jahr etwa 14 TWh erneuerbarer Energie von Zhangjiakou nach Peking übertragen werden. Das entspricht etwa zehn Prozent des Strombedarfs der Hauptstadt. Weitere sieben TWh pro Jahr sollen demnach in die derzeit im Bau befindliche “Stadt der Zukunft” Xiong’an im Südosten Pekings übertragen werden, einem Lieblingsprojekt von Staatschef Xi Jinping.

    Erbe von Peking 2022: ein neues Ökostrom-Netz und ein Markt für Erneuerbare in China

    Auch ein eigenes Stromnetz ist für die Spiele entstanden. 12,5 Milliarden Yuan (knapp 1,8 Milliarden Euro) flossen in den Aufbau des “Zhangbei Renewable Energy Flexible DC Power Grid Demonstration Project” (DC steht für “direct current”, also Gleichstrom; Zhangbei 张北 bezieht sich auf den Norden Zhangjiakous). “Es ist das erste seiner Art, das Gleichstrom verwendet, eine Technologie, die viel besser für die Übertragung über sehr große Entfernungen geeignet ist als Wechselstrom”, schreiben Myllyvirta und Zhang. Die Übertragung nach Xiong’an werde über eine Ultra-Hochspannungsleitung erfolgen.

    Hinzu kommt ein neues Pumpspeicherkraftwerk mit 3,6 Gigawatt Leistung in der Kleinstadt Fengning nördlich von Peking, das eine stabile Stromversorgung sicherstellt. Das Prinzip ist simpel: Erzeugen Wind und Sonne mehr Strom als nötig, wird Wasser mit der überschüssigen Energie von einem tiefer gelegenen in ein höher gelegenes Speicherbecken gepumpt und dort “geparkt”. Wenn mal weder die Sonne scheint noch der Wind bläst, wird dieses Wasser aus dem Oberbecken wieder ins Unterbecken abgelassen. Dabei durchfließt es zwei Turbinen und erzeugt Strom. “Im Vergleich zu Technologien wie Batterien ist im Versorgungsmaßstab die Nutzung von Wasserkraft zur Energiespeicherung weniger komplex und kostengünstiger”, urteilen Ivy Yin und Eric Yep von S&P Global in einer aktuellen Forschungsnotiz.

    Doch Strom muss nicht nur erzeugt werden, sondern auch gezielt zu kaufen sein. Im September 2021 startete China ein Pilotprojekt zum Handel mit grünem Strom. Es ermöglicht Großverbrauchern, landesweit erzeugten erneuerbaren Strom zu kaufen. Zuvor hatte es nur regionale Mechanismen zum Direktankauf von Ökostrom gegeben, etwa unter Mitwirkung von BASF in Guangdong (China.Table berichtete). Den Sportstätten der Winterspiele wurde laut Myllyvirta und Zhang auf dieser neuen Handelsplattform Priorität eingeräumt, sodass die Veranstaltungsorte erneuerbaren Strom zu einem niedrigeren Preis kaufen können.

    Zhangjiakou: Blaupause für die Zukunft?

    Zhangjiakou könnte nun als Blaupause dienen für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien. Bis 2030 soll Chinas Kapazität von Wind und Solar bei 1.200 Gigawatt liegen, knapp doppelt so viel wie heute. Die sogenannten 30/60-Ziele peilen die Emissionswende vor 2030 und Klimaneutralität ab 2060 vor. Ministerpräsident Li Keqiang hob am Freitag auf dem Plenum des Nationalen Volkskongresses für das Erreichen dieser Ziele vor allem Wind- und Sonnenenergie hervor – und sprach überraschend nicht von Wasserkraft und Atomenergie (China.Table berichtete).

    Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission NDRC veröffentliche am Samstag ebenfalls ihre Zielsetzungen für 2022. Auch darin fiel die Erwähnung der Solarindustrie als Schlüssel für die weitere Entwicklung auf (China.Table berichtete).

    Stromnetze in China: Öffnung für mehr Ökostrom

    Doch die Übertragung des Ökostroms ist die Krux. “Eine seit langem bestehende Herausforderung bei Chinas Fernübertragungsleitungen ist ihr unflexibler Betrieb”, erklären Myllyvirta und Zhang. Ein Problem ist, dass Kohlestrom in den Regionen oft Vorrang in den Leitungen bekommt. Beim Zhangjiakou-Ökostromprojekt geht es daher nach Ansicht der beiden Experten auch darum, Pionierarbeit für ein neues institutionelles Set-up zu leisten. Dies sei mindestens so wichtig wie neue Anlagen zur Erzeugung des Ökostroms.

    Auch die im Zhangbei-Pilotprojekt eingesetzte Pumpspeicherkraft soll bei der Ausweitung zum Einsatz kommen. China will diese bis 2025 auf 62 GW gegenüber heute verdoppeln, und bis 2030 auf 120 GW vervierfachen (China.Table berichtete). Einige der größten staatlichen Stromversorger Chinas wie die Huadian Group, die Huaneng Group, die Datang Group und Guohua Power haben laut Yin und Yep von S&P in Zhangjiakou Ökostromprojekte entwickelt. Diese Erfahrungen könnten sie nutzen.

    Zhangjiakou: Klimafreundlicher Energiemix

    Der Energiemix von Zhangjiakou ist dem Rest des Landes jedenfalls weit voraus. Myllyvirta und Zhang berechneten vorab, dass die Region im Januar und Februar 2022 insgesamt 60 Prozent ihres Stroms aus Wind und Solarkraft erzeugen würde. Zum Vergleich: Der Strom der Hauptstadt Peking wird fast ausschließlich aus Gas erzeugt. Die Provinz Hebei – in der Zhangjiakou liegt – verfeuert für die Stromgewinnung zu gleichen Teilen Kohle und Gas, die gemeinsam satte 90 Prozent der Elektrizität erzeugen.

    Die Region will ihre Wind- und Solarkapazitäten nun bis 2030 mehr als verdoppeln, auf dann 50 Gigawatt. Bis 2030 plane Zhangjiakou einen Erneuerbaren-Anteil von 80 Prozent, schreiben Yin und Yep unter Berufung auf lokale Pläne. 2030 will es alle öffentlichen Verkehrsmittel und Wohngebäude mit erneuerbaren Energien versorgen. Alle Industriesektoren sollen dann klimaneutral wirtschaften. Wenn all das nachweisbar gelingt, könnte Zhangjiakou in den kargen Bergen von Hebei wirklich zu einer Modellregion werden.

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    China verdirbt der Welt die Klimabilanz

    China war im vergangenen Jahr für gut ein Drittel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Das geht aus neuen Zahlen der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. Weltweit stiegen die Emissionen 2021 demnach auf einen Rekordwert. Nachdem die Emissionen im ersten Jahr der Corona-Pandemie gesunken waren, stiegen sie in deren zweiten Jahr umso stärker an. Obwohl die erneuerbaren Energien ihr größtes jährliches Wachstum verzeichneten, wurde mehr Kohle verbrannt als jemals zuvor. Auf den klimaschädlichen Energieträger entfielen über 40 Prozent des Gesamtwachstums der globalen CO2-Emissionen im Jahr 2021.

    In China stiegen die CO2-Emissionen stärker an, als sie im Rest der Welt abnahmen. Die wirtschaftliche Erholung in der Volksrepublik infolge der Covid-Pandemie ist besonders energieintensiv. Die Stromnachfrage stieg um zehn Prozent und überstieg damit das Wirtschaftswachstum von 8,4 Prozent. Da die Nachfrage so stark wuchs, konnte der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht mithalten. 56 Prozent des Anstiegs der Stromnachfrage wurde mit Kohle gedeckt. Auch für das laufende Jahr gehen Experten von einem Anstieg des Kohleverbrauchs und der CO2-Emissionen in China aus (China.Table berichtete).

    Andere Länder konnten CO2-Emissionen aus China nicht ausgleichen

    Die Volksrepublik war für fast den gesamten globalen Anstieg der Emissionen des Strom- und Wärmesektors zwischen 2019 und 2021 verantwortlich. Ein geringer Rückgang in den übrigen Ländern der Welt reichte nicht aus, um den Anstieg in China auszugleichen, sodass die Emissionen aus diesem Sektor anstiegen. Im Industriesektor hat die Volksrepublik allerdings weniger Kohle verbraucht, als im Vor-Corona-Jahr 2019.

    Pro Kopf verursachte China im vergangenen Jahr CO2-Emissionen in Höhe von 8,4 Tonnen. In den USA liegt der Wert bei 14 Tonnen, in der EU bei sechs Tonnen. China weist unter den großen Volkswirtschaften die höchste Emissionsintensität des BIP auf. Um 1.000 US-Dollar zu erwirtschaften, stößt China also am meisten Treibhausgas aus. Zwar ist die Emissionsintensität des chinesischen Bruttoinlandsprodukts seit dem Jahr 2000 um 40 Prozent gesunken. Durch das immense Wachstum der chinesischen Wirtschaft stiegen die absoluten Emissionen jedoch stark an. nib

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    Förderung von Kohle setzt viel Methan frei

    China ist die weltweit größte Quelle von Methan-Emissionen aus dem Energiesektor. Die Emissionen des Klimagases, die bei Chinas Kohleförderung austreten, hatten im letzten Jahr einen Treibhausgaseffekt vergleichbar mit dem des globalen Schiffsverkehrs. Das geht aus einer Studie der Internationalen Energieagentur (IEA) hervor. China macht demnach gut ein Fünftel der weltweiten Methan-Emissionen aus dem Energiesektor aus. Laut IEA gibt es “beträchtliche Möglichkeiten”, den Methanausstoß bei der Kohleförderung zu minimieren. Das Treibhausgas habe zu 30 Prozent zum globalen Klimawandel beigetragen. Methan hat in der Atmosphäre zwar nur eine durchschnittliche Lebenszeit von 12,4 Jahren. Doch es ist 25-mal so schädlich wie Kohlendioxid.

    China hat es bei der letzten Klimakonferenz abgelehnt, sich dem sogenannten “Global Methane Pledge” zur Reduzierung des Methan-Ausstoßes anzuschließen (China.Table berichtete). Allerdings kündigte das Land damals einen nationalen Methanplan an. nib

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    Standpunkt

    “Zwei Sitzungen”: Kurs halten im Sturm

    Von Björn Conrad, Tiffany Wong und Ban Yin

    Es scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein: Im Jahr des wichtigen 20. Parteitages ist es von entscheidender Bedeutung, dass die “Lianghui” (“Zwei Sitzungen”, parallele Sitzung des Nationalen Volkskongress und der zugehörigen Konsultativkonferenz) Ruhe und Stabilität vermitteln und dem Land die Gewissheit geben, dass China auf einen klaren Kurs in die Zukunft ist. Es könnte kaum einen schwierigeren Zeitpunkt hierfür geben. Im Inland steht Chinas Regierung vor den Herausforderungen ihrer No-Covid-Politik. Im Ausland versucht die chinesische Führung mit mäandernden Positionen ihre widersprüchlichen Interessen im Krieg in der Ukraine unter einen Hut zu bringen. Keine idealen Voraussetzungen, um Zuversicht und Klarheit zu vermitteln.

    Doch der Nationale Volkskongresses (NVK) bietet eine Gelegenheit, um selbst in Zeiten extremer Unsicherheit Stabilität zu vermitteln. Der NVK mit seinen ritualisierten Abläufen ist nicht dazu gedacht, dringende Fragen kontrovers zu diskutieren oder schwierige Krisenentscheidungen zu treffen. Der NVK ist damit der ideale Rahmen, um aktuelle Turbulenzen in den Hintergrund zu rücken und stattdessen den langfristigen Zukunftsplan der chinesischen Führung zu bekräftigen.

    Drei Prioritäten in China im Lichte der “Lianghui”

    Auch wenn die “Lianghui” keine großen politischen Veränderungen mit sich bringen werden, bietet der NVK dennoch einen Einblick in die politischen Prioritäten der Führung in China. Hier sind die zentralen drei Fragen, die der diesjährige NVK aufwirft:

    Wie können 5,5 Prozent Wachstum erreicht werden? Das jährliche Wachstumsziel, das traditionell bei der Vorstellung des Arbeitsberichts durch den Premierminister bekannt gegeben wird, ist die Zahl, die es immer in die internationale Presse schafft. In diesem Jahr lautet die Zahl “rund 5,5 Prozent”. Ein Rückgang gegenüber den “über 6 Prozent” des letzten Jahres. Aber immer noch ein ehrgeiziges Ziel in unsicheren Zeiten. Es sendet ein Signal: Trotz der ungünstigen Bedingungen ist Chinas Führung zuversichtlich, das Wachstum zu verteidigen, das China braucht.

    Die chinesische Führung hat dabei einen klaren Blick für die Probleme, die auf Chinas Wirtschaft lasten. Die NDRC nennt sie in einer Ergänzung zum Arbeitsbericht des Premierministers: 1. schrumpfende Nachfrage bei Konsum und Investitionen; 2. Engpässe bei Produktionsmitteln (Kohle, Chips); 3. Inflation der Erzeugerpreise; 4. Risiken bei Immobilien, kleinen Banken und Schulden der Regionalregierungen; 5. geringes Vertrauen von Kleinunternehmen in die Marktaussichten.

    Diese Herausforderungen machen das Wachstumsziel von 5,5 Prozent zwar eindrucksvoller, aber letztendlich auch weniger überzeugend. Es scheint wahrscheinlich, dass die Erreichung des Ziels Kompromisse in anderen Politikbereichen erfordert. Zwei der Bereiche, die wahrscheinlich als Sicherheitsventile fungieren und bei Bedarf kurzfristiges Wachstum schaffen sollen, sind Chinas Dekarbonisierung und der Immobiliensektor.

    Auf der Central Economic Work Conference 2021 wurde bereits eine Änderung der Rhetorik in Bezug auf die Dekarbonisierung deutlich. Der neue Schwerpunkt lag auf der Abwägung zwischen Verringerung der CO2-Emissionen und der Sicherheit der Lieferketten und damit dem Wirtschaftswachstum. Konkret weist dies auf eine Verlangsamung des Kohleausstiegs und damit die Verzögerung des Übergangs zu erneuerbaren Energien hin.

    Im Immobiliensektor haben die Regulierungsbehörden die strengen Restriktionen für Immobilienkredite aufgegeben und die Banken und Lokalregierungen aufgefordert, den Wohnungsbedarf der Verbraucher zu decken. Das viel diskutierte Konzept der Grundsteuer fehlt nun im Arbeitsbericht der Regierung. Das Ziel, die Abhängigkeit der chinesischen Wirtschaft vom Immobiliensektor zu verringern, muss offenbar hinter den kurzfristigen Wachstumszielen zurückstehen.

    Schwieriger Spagat zwischen Regulierung und Marktinnovation

    Wie baut man eine digitale Wirtschaft auf? Der Aufbau einer digitalen Wirtschaft und die Nutzung von Daten als Wachstumsmotor ist eines der zukunftsweisenden Themen der diesjährigen “Lianghui”. Im vergangenen Jahr kam es zu einem Showdown im chinesischen Technologiesektor, bei dem die Regulierungsbehörden das zuvor weitgehend unkontrollierte digitale und technologische Wachstum stärker in den Griff nahmen. Der Staat wird in Zukunft Chinas innovative Technologien noch gezielter einsetzen, um Industriesektoren in der Wertschöpfungskette nach oben zu bringen.

    Die Blaupause für die Beschleunigung der Digitalisierung liefert der jüngste 14. Fünfjahresplan zur Informatisierung, der das ehrgeizige Ziel setzt, dass der Mehrwert der digitalen Wirtschaft Chinas bis 2025 10 Prozent des BIP erreichen soll.

    Da sich Chinas Vision der digitalen Wirtschaft vom Konsum zur industriellen Digitalisierung verlagert, werden Daten zu einer wichtigen strategischen Ressource. Der Schutz einer solchen Ressource ist von entscheidender Bedeutung. Im Arbeitsbericht werden nationale Sicherheit und Cybersicherheit in einem Atemzug genannt. Es ist kein Zufall, dass im Jahr 2021 zwei bahnbrechende Gesetze zum Thema Cybersicherheit verabschiedet wurden: das Datensicherheitsgesetz und das Gesetz zum Schutz persönlicher Daten. Zusammen mit dem Cybersicherheitsgesetz von 2017 bilden sie den Rahmen zum Schutz der für den Staat wichtigen Daten und dienen damit als Fundament für eine digitale Wirtschaft nach den Vorstellungen der chinesischen Führung.

    In Zukunft wird China den schwierigen Spagat zwischen staatlicher Regulierung und Marktinnovation in der digitalen Wirtschaft schaffen müssen. Die Durchsetzung des Datenschutzes wird zunehmen, während der Staat die regulatorische Architektur für den aufkeimenden digitalen Markt weiter ausbaut. Die “Lianghui” unterstreichen: China schreibt derzeit das erste Kapitel eines neuen Regelbuchs für seine ganz eigene Version der digitalen Wirtschaft.

    Soziale Stabilität unter erheblichem Druck

    Wie kann die soziale Stabilität gesichert werden? In einer Zeit verlangsamten Wirtschaftswachstums und geopolitischer Unsicherheit steht auch die soziale Stabilität in China unter erheblichem Druck. Wie es in einem Artikel der Volkszeitung heißt: “people’s livelihood is the biggest politics”.

    Stabilisierung der Beschäftigung ist die dringendste Herausforderung. Der Arbeitsbericht verspricht die Schaffung von mehr als elf Millionen Arbeitsplätzen in den Städten. Für die zehn Millionen Hochschulabsolventen im Jahr 2022 bedeutet dies erweiterte Beschäftigungsmöglichkeiten, eine gelockerte städtische Registrierungspolitik und mehr Anreize für Unternehmertum, insbesondere in High-Tech-Bereichen wie Big Data, Cloud Computing und Halbleiter. Der Bericht verspricht auch, eine Billion RMB (145 Milliarden Euro) in die Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte für die “hochwertige Fertigung” zu investieren.

    Ein weiterer Schwerpunkt ist der gleichberechtigte Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Vor einigen Monaten veröffentlichte die NDRC den 14. Jahresplan für öffentliche Dienstleistungen, in dem verbindliche Ziele für Altenpflege, Kinderbetreuung, Grundschulbildung, Gesundheitswesen und Wohnungsbau bis 2025 festgelegt wurden. Der Arbeitsbericht ergänzt, die öffentlichen Dienstleistungen auf Gemeindeebene durch eine besser koordinierte regionale Entwicklung auf die Landkreise und darunter auszuweiten. Obwohl die NDRC keine neuen Maßnahmen zum Thema “Common Prosperity” erwähnt, deutet sie in ihrem Bericht an, dass ein übergreifender Plan in Arbeit ist.

    Da die Lockerung der Ein-Kind-Politik nicht zur erwünschten demografischen Wende führte, wird Chinas Rentensystem, das sich stark auf die staatliche und betriebliche Altersversorgung stützt, zunehmend unter Druck geraten. Der Arbeitsbericht hebt zwei Lösungen hervor: den Ausbau der dritten Säule – der individuellen Altersvorsorge – und eine effizientere Fondsverwaltung durch ein einheitliches nationales Rentensystem. Während die Lösungen klar sind, bleibt abzuwarten, ob die Maßnahmen mit der wachsenden finanziellen Belastung durch eine schnell alternde Gesellschaft Schritt halten können.

    Alle vorgeschlagenen sozialpolitischen Initiativen haben einen gemeinsamen Nenner: massive Staatsausgaben. Und hier schließt sich der Kreis. Um die sozialen Versprechen einhalten zu können, braucht China das angestrebte Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent.

    “Lianghui” 2022: China will den Kurs halten

    Auch oder gerade weil momentan die Welt auf den Kopf gestellt wird, sind die “Lianghui” nicht der Ort für drastische Änderungen der politischen Strategie. Stattdessen sind die “Lianghui” im Jahr 2022 ein Lehrstück im “Kurs halten”, sich nicht von den Turbulenzen ringsum ablenken lassen und Chinas Zukunftsplan geradezu stoisch vorantreiben. Hinter verschlossenen Türen wird sich die chinesische Führungsspitze jedoch die Frage stellen, ob drastischere Kurskorrekturen erforderlich sind, um China durch die stürmischen Gewässer unserer Zeit zu steuern. Die Antwort wird bis zum 20. Parteitag warten müssen.

    Björn Conrad ist CEO und Co-Gründer von Sinolytics und Experte für Chinas Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik. Tiffany Wong ist Project Leader dort und Expertin für Cyper-, Digitalpolitik. Bin Yan ist Project Leader bei Sinolytics und Experte für Chinas Wirtschaftspolitik und den Finanzsektor. Sinolytics ist ein europäisches Beratungs- und Analyseunternehmen, das sich auf China spezialisiert hat. Es berät europäische Unternehmen bei der strategischen Ausrichtung und den konkreten Geschäftsaktivitäten in der Volksrepublik.

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    China.Table Redaktion

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