Table.Briefing: China

Interview Samuel Chu + Zinssenkung + Taumelnde Weltwirtschaft

  • Hongkonger Aktivist Samuel Chu: “Die Bewegung braucht Institutionen”
  • Zinssenkung soll Stimmung aufhellen
  • China käme stabiler durch eine Weltwirtschaftskrise
  • Baidu erhält Lizenz für vollautonome Taxis
  • Sanktionen gegen litauische Ministerin nach Taiwan-Besuch
  • Solarzellen stauen sich an US-Grenze
  • CATL investiert in Ungarn
  • Rückzug von New Yorker Börse
  • Exodus der Expats aus China
  • Standpunkt: US-Ökonom Stephen S. Roach zum China-Joker
Liebe Leserin, lieber Leser,

im Nachrichtengeschäft ist das zwar normal. Und doch ist es erschreckend, wie schnell die Anliegen der Hongkonger Demokratiebewegung angesichts von Ukraine-Krieg und der immer mehr sich zeigenden Klimakrise in der Weltöffentlichkeit in den Hintergrund gerückt sind. Dabei setzen sich Hongkonger Aktivistinnen und Aktivisten aus ihren Exilen in London, Taiwan, USA und Berlin weiter für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt ein. Einer, der sie tatkräftig unterstützt, ist Samuel Chu. 

Langfristige politische Erfolge brauchen politische Institutionen, die jetzt aufgebaut werden müssen, sagt der erfahrene Aktivist im Interview mit Fabian Peltsch. “Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend.” Nur so könne die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln – sie braucht einen langen Atem.

Derzeit lahmt ein guter Teil der chinesischen Wirtschaft: Der Bau schwächelt, der private Konsum kommt nicht voran und junge Leute finden keinen Job. Die Notenbank hat daher Kredite billiger gemacht. Die Analyse von Finn Mayer-Kuckuk zeigt: Der Schritt ist vor allem symbolisch gemeint. Eine Zinserhöhung signalisiert, dass Peking etwas für die Konjunktur tut. Die bessere Stimmung hat dann den größeren Effekt als die Kredite selbst.

Rund um Taiwan wird derweil wieder scharf geschossen. Weil erneut US-Abgeordnete dorthin reisten, macht China seine Drohung wahr und lässt die Marine ohne weitere Warnung um die Insel herum feuern. Ebenfalls beunruhigend: Peking hat erstmals Sanktionen gegen eine europäische Politikerin verhängt – ebenfalls wegen einer Reise nach Taiwan. Die aktuelle Krise geht also vorerst weiter.

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Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Interview

Hongkong-Aktivist Samuel Chu: “Ich habe die Bewegung ins Weiße Haus getragen”

Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.
Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.

Ende Mai besuchten Sie Oslo, wo während der Freedom Forum Conference eine Kopie der “Säule der Schande” auf einem Universitätsgelände errichtet wurde. Derzeit arbeiten Sie daran, dass eine Kopie des Kunstwerkes des dänischen Künstlers Jens Galshiøst auch in Berlin vorübergehend einen Platz findet. Welchen Symbolwert messen Sie dem Werk bei?

Zum einen sehe ich es als Zeichen der Solidarität mit den Menschen von Hongkong, die einen Großteil der Rechte, die ihnen unter dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” zugebilligt wurden, eingebüßt haben. Die Skulptur soll daran erinnern, wie schnell der Niedergang dieser Rechte in Hongkong vonstattenging und wie verlässlich Chinas Versprechungen tatsächlich sind. Zum anderen betrachte ich die “Säule der Schande” auch als eine Art Kanarienvogel in der Kohlemine: Wenn eine Kopie nach Berlin kommt, werden zahlreiche Gegner an die Öffentlichkeit kommen, chinesische Studenten werden dagegen protestieren, chinesische Agenten werden sichtbar werden. Und auch Menschen in der Politik. Das ist gut. So können wir entlarven, wie groß der Einfluss Chinas schon jetzt in Deutschland ist.

Wenn ich Politiker treffe, auch hier in Deutschland, spreche ich mit ihnen darüber, warum ein freies Hongkong in ihrem Interesse ist. Und das, was in Hongkong passiert, auch ein Auftakt sein kann für das, was an anderen Orten der Welt passieren könnte.

Sie verbinden mit dem Kunstwerk auch eine persönliche Geschichte.

Mein Vater war einer der ersten, der von Jens kontaktiert wurde, als es darum ging, das Kunstwerk nach Hongkong zu bringen. Mein Vater war damals, Mitte der 1990er-Jahre, einer der Führer der Hongkong Alliance, später die größte Organisation, die sich für Demokratie und Tiananmen-Erinnerungskultur in Hongkong einsetzte. Sie wollten die Statue unbedingt vor der Übergabe der britischen Kronkolonie in Hongkong errichten. Es sollte ein Test sein, inwieweit China tatsächlich die Rechte der Bürger von Hongkong nach 1997 wahren würde. 32 Jahre stand sie in der Stadt und geriet fast in Vergessenheit. Das große sichtbare internationale Symbol für den Niedergang des freien Hongkongs wurde sie erst 2021, als sie aufgrund von politischem Druck entfernt werden musste.

Ihr Vater, der Baptistenpastor und Occupy-Central-Mitbegründer Chu Yiu-ming, ist einer der bekanntesten Menschenrechtler Hongkongs. Welchen Einfluss hatte ihr Familienhintergrund auf Ihre politische Arbeit?

Mein Vater leitete 1989 die Operation “Yellow Bird”, die half, politische Flüchtlinge aus China über Hongkong ins Ausland zu bringen. Als Konsequenz verbrachte ich als junger Menschen viel Zeit mit politischen Flüchtlingen. Wir spielten Fußball und Karten, während sie auf ihre humanitären Visa für eine Weiterreise warteten. Das hat meine Perspektive auf die Diaspora und Dissidenten geprägt. Die chinesische Regierung war in ihrem Vorgehen gegen sie lange effektiv, denn sie wusste: Waren die Aktivisten erst einmal nach Übersee geflohen, würde man bald nichts mehr von ihnen hören. Politische Gruppen waren im Ausland isoliert, die Energie der Proteste versandete. Meine Arbeit besteht heute darin, das zu ändern.

Inwiefern?

Ich habe meine gesamte Karriere dem Aufbau politischer Bewegungen in der demokratischen Welt gewidmet, von Klimaschutz, über LGBTQ- bis hin zu Black-Lives-Matter-Gruppen. Bei allen geht es darum, von einer Protestbewegung in etwas Größeres, Beständigeres zu wachsen. Wir haben ja die Tendenz, Protestbewegungen zu romantisieren. Was ich dabei immer wieder predige, ist: Protestbewegungen verlassen sich sehr auf einzelne charismatische Personen. Langfristige politische Bemühungen müssen sich aber auf politische Institutionen verlassen. Und diese müssen jetzt aufgebaut werden. Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend. Aber nur so kann die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln.

Ein Journalist aus Hongkong, der nun in Deutschland lebt, berichtete mir, dass viele Hongkonger, die sich vor Ort für die Stadt aufopferten, als Diaspora im Ausland kaum Zusammenhalt finden. Haben Sie ähnliches beobachtet?

Man hat da Demonstranten, die auf Leben und Tod für ihre Rechte eingetreten sind. Viele stecken in diesem Protest-Mindset fest. Sie stehen jeden Morgen auf und wollen der Welt entgegenschreien: “Schaut, was in Hongkong passiert!” Man darf nicht vergessen, dass Hongkong nie eine Demokratie war. Die Menschen konnten im Prinzip nichts anderes tun als zu protestieren, um gehört zu werden. Die Diaspora ist so davon in Anspruch genommen, darauf zu reagieren was zu Hause in Hongkong passiert, dass sie sich nicht auf eine enge Beziehung zur lokalen politischen Community einlassen kann. Aber ein solcher Einfluss ist nötig, um langfristig etwas zu bewegen. Das heißt nicht, dass sie Hongkong aufgeben.

Einige Menschen aus Hongkong haben wohl noch immer die Hoffnung, dass sich die Ereignisse in ihrer Heimatstadt auf die ein- oder andere Weise umkehren lassen.

Es gibt keine magische Formel, mit der man Hongkong wieder zu dem machen kann, was es war. Der UN-Menschenrechtsrat hat die Regierung in Hongkong erst kürzlich zum Widerruf des Nationalen Sicherheitsgesetzes aufgerufen. Ich bin natürlich froh darüber, dass das so offiziell festgehalten wurde. Aber man kann nicht mehr ungeschehen machen, dass 10.000 Menschen aufgrund von friedlichen Protesten angezeigt und über 200 Aktivisten wie Jimmy Lai unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz verhaftet wurden.

Vor zwei Jahren wurde in Hongkong auch ein Haftbefehl gegen Sie ausgestellt. Und das, obwohl sie seit 30 Jahren in den USA leben und US-Bürger sind. Ein Präzedenzfall.

Ich habe zu einem gewissen Grad dabei geholfen, die Regeln und die Strategien umzuschreiben. Ich mache meine politische Arbeit hauptsächlich hinter den Kulissen. Als die Proteste 2019 einen Höhepunkt erreichten, bin ich nicht nach Hongkong geflogen, um in die Kameras zu sprechen. Ich entschied mich, mit dem Hong Kong Democracy Council eine Hilfsorganisation zu gründen, die in Übersee von US-Staatsbürgern geleitet wird. Es ist eine Organisation, die tatsächlich Gesetze beeinflussen kann und sich nicht nur auf Proteste und Gedenkveranstaltungen verlässt. So eine Art von Organisation ist mächtiger und eindrucksvoller, um sich gegen die chinesische Regierung durchzusetzen. Danach habe ich die “Kampagne für Hongkong” gegründet, die ich noch immer leite.

Und das macht Sie zum Staatsfeind?

Im Nationalen Sicherheitsgesetz gibt es einen Paragrafen, der sich direkt an mich, meine Organisation und unsere Art zu arbeiten zu richten scheint. Da steht, frei übersetzt: Egal wer du bist und woher du kommst, wir kriegen dich. Ich habe die Bewegung von der Straße in das Parlament getragen und von dort ins Weiße Haus. Das ist ein Shift, den Chinas Regierung nicht erwartet hat. Deshalb mussten sie ihr Playbook überarbeiten und auch ausländische Aktivisten ins Visier nehmen. In diesem Sinne bin ich vielleicht selbst ein bisschen wie der “Pillar Of Shame”. Wo ich auftauche, werden unsichtbare chinesische Kräfte sichtbar.

Samuel Chu, 44, ist Präsident der “Campaign for Hong Kong”, einer Organisation, die sich für eine Politik einsetzt, die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong fördert. Zuvor war er Gründer und Direktor des Hong Kong Democracy Council (HKDC) mit Sitz in Washington, D.C. In dieser Position spielte er eine führende Rolle bei der Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Unterstützung Hongkongs im US-Kongress. Im Juli 2020 erließen die Hongkonger Behörden einen Haftbefehl gegen Chu, womit er der erste ausländische Staatsbürger ist, der infolge des Nationalen Sicherheitsgesetzes ins Visier genommen wurde.

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Analyse

Ein Zinsschritt vor allem für die Stimmung

Die chinesische Notenbank flankiert das laufende Konjunkturprogramm der Regierung (China.Table berichtete) mit der Senkung einiger Zinssätze. Der Schritt kam überraschend: Noch vor wenigen Tagen erwarteten Experten vor allem eine Rückführung der Liquidität im Finanzsystem. Eine Zinssenkung hat grundsätzlich den umgekehrten Effekt. Sie macht Kredite günstiger und erleichterte es den Firmen, Geld aufzunehmen. Analysten zeigten sich daher am Montag erstaunt über die Entscheidung der People’s Bank of China (PBoC).

Der neue Konsens lautet nun: Die Zentralbank will im Auftrag der Regierung die Wirtschaftsstimmung insgesamt aufhellen. Zuletzt war eine Reihe von Indikatoren in den Gefahrenbereich gerutscht:

  • Junge Leute finden nur schwer Jobs, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 20 Prozent gestiegen,
  • Hauskäufer boykottieren die Rückzahlung ihrer Hypothekenkredite für unfertige Wohnungen, die nicht fertig werden – und das Neugeschäft stockt,
  • das Einzelhandelswachstum fiel im Juli auf 2,7 Prozent; erwartet waren knapp fünf Prozent,
  • und auch der Anstieg der Industrieproduktion blieb unter den Erwartungen.

Eine Zinssenkung signalisiert in so einer Situation, dass der Staat den Ernst der Lage verstanden hat und etwas unternimmt. Billigere Kredite bedeuten im Wachstumsland China im Allgemeinen mehr Bautätigkeit, Investitionen in neue Fabriken und dergleichen. Die Zinssenkungen könnte daher schon allein als Reflex für die zweite Jahreshälfte Optimismus verbreiten.

Lockdown-Schäden lassen sich mit Geld allein nicht reparieren

Experten bezweifeln indessen, ob sich am Finanzmarkt ein konkreter Effekt einstellt. “Unternehmen und Haushalte fahren die Kreditaufnahme zurück, weil sie sich Sorgen um die Wirtschaftsschwäche machen”, schreibt der Finanzwissenschaftler Michael Pettis von der Peking-Universität. Der Grund für die derzeit geringen Investitionen sei nicht Kapitalmangel. “Das Problem ist vielmehr eine Nachfrageschwäche im Inland.”

Solange sich die Immobilienbranche im Abschwung befindet, wird auch die schönste Zinssenkung nicht den Hausbau ankurbeln. Dafür geht es der Branche derzeit einfach zu schlecht. Die Covid-Maßnahmen bremsen derweil den Konsum aus. Insbesondere im großen Shanghaier Lockdown sind Jobs verloren gegangen, Firmen gescheitert, wurden Restaurants und Läden geschlossen. All das kommt nicht auf Befehl in der zweiten Jahreshälfte zurück, sondern muss erst nachwachsen.

Pettis ist überzeugt, dass die Zentralbank den Zinsschritt bekannt gegeben habe, “weil klar war, dass sie irgendetwas tun musste und ihr kein anderer Kurs einfiel.” Die Zinssenkung erfolgte dementsprechend moderat. Dennoch wird die PBoC sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Denn auch eine geringe Zinssenkung hat gerade in dem derzeit kippeligen Wirtschaftsumfeld erhebliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

Am auffälligsten war am Montag die Wirkung auf die Wechselkurse. Kapital fließt immer in Richtung höherer Zinsen, sodass eine Zinssenkung in einer Volkswirtschaft die dortige Währung tendenziell verbilligt. So geschah es auch mit dem Yuan, der gegenüber dem Dollar an Wert verlor. Niedrigere Währungskurse stützen so den Export. Sie machen chinesische Waren günstiger. Das wiederum könnte immerhin helfen, die weltweit ausbrechende Inflation zu dämpfen. Wenn denn die Teile da sind, um mehr Exportwaren zu bauen.

Abkehr vom solideren Finanzkurs?

Im chinesischen Inland schafft die Zinssenkung aber ein Paradox. Die Regierung versucht eigentlich, zu einer ausgewogeneren Wirtschaftsweise zu finden. In den Jahrzehnten des Aufbaus waren laufend hohe Kapitalinvestitionen sinnvoll. Doch inzwischen wurden mit dem vielen billigen Geld auch Projekte umgesetzt, die sich kaum lohnen. Ein Symptom davon ist die derzeitige Immobilienkrise. Hier fällt eine Blase in sich zusammen.

Für eine stürmische Wachstumswirtschaft sind solche heftigen Zyklen aus Boom und Korrektur grundsätzlich normal. Doch die Analysten hat nicht zufällig derzeit eher eine Rückführung der Geldmenge im System erwartet. Nach der vorigen Zinssenkung im Januar war wieder sehr viel Kapital unterwegs, das keine Anwendung fand. Auch deshalb investiert Peking für das aktuelle Konjunkturprogramm nicht in die üblichen Sektoren wie den Bau, sondern eher in Hightech-Branchen.

Jetzt steht die PBoC mit einem Fuß auf dem Gas und mit einem Fuß auf der Bremse. Während sie die Zinsen senkt, hat sie das Volumen der Kredite zurückgefahren, die sie zu genau diesem günstigeren Satz den Geschäftsbanken überlässt.

Konkret hat die Notenbank den Zins für einjährig-mittelfristige Darlehensfazilitäten (MLF) von 2,85 Prozent auf 2,75 Prozent zurückgenommen und es so für die Banken billiger gemacht, die Mittel in Anspruch zu nehmen. Zugleich stellt sie im MLF-Programm 200 Milliarden Yuan weniger bereit als zuvor. Auch das unterstreicht, dass die Zinssenkung eher einen symbolischen Effekt haben sollte. Die Zielgruppe für die Botschaft war die breite Öffentlichkeit, deren Stimmung steigen sollte.

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EU, China, USA – Wer kommt schneller durch die Krise?

Die Weltwirtschaft steht seit Monaten vor zahlreichen Problemen. Erst die Covid-Pandemie mit ständigen Lockdowns, jetzt der Ukraine-Krieg und Unruhe um Taiwan. Wie sind die großen Blöcke – die USA, die EU und China – aufgestellt? Ein Vergleich wichtiger gesamtwirtschaftlicher Faktoren gibt Aufschluss.

Bei dem Versuch, die derzeitige Lage zu erfassen, zeigt sich die starke internationale Verknüpfung zwischen den einzelnen Blöcken: Rutscht eine Wirtschaftsregion in eine schwere Krise, werden davon auch andere betroffen sein. Besonders bei der Inflation machen die USA und Europa keine gute Figur. Zugleich holt China bei Direktinvestitionen aus dem Ausland stark auf.

Des einen Überschuss ist des anderen Defizit

Handelsbilanz: Trotz des harten Lockdowns in Shanghai und der Sanktionen gegen Chinas Nachbarn Russland sind Chinas Exporte im ersten Halbjahr 2022 um 17 Prozent gewachsen. Die USA haben hingegen weiter ein gigantisches Handelsbilanzdefizit. Sie haben also mehr im Ausland eingekauft, als sie ins Ausland verkaufen konnten. Die EU verzeichnet einen knappen Überschuss. Ein Trend, der schon 2021 zu beobachten war: Während China ein Rekordplus von 28 Prozent hatte und einen Überschuss von 690 Milliarden US-Dollar erwirtschaftete, kam die EU nur auf einen Überschuss von 68 Milliarden Euro – der niedrigste Wert seit 2011. Die USA verzeichneten trotz umfangreicher Strafzölle gegen China noch immer ein Defizit von 861 Milliarden US-Dollar, das um über 18 Prozent zunahm – ein Negativrekord.

Das Defizit des einen Staates ist jedoch der Überschuss des anderen. Ohne ein amerikanisches Handelsdefizit wäre der chinesische Überschuss viel geringer. Sollte die amerikanische Wirtschaft in den kommenden Monaten noch stärker einbrechen, dürften davon auch die chinesischen Exporte betroffen sein. Beide Volkswirtschaften sind über den bilateralen Handel noch immer sehr stark verknüpft. Eine andauernde Wirtschaftskrise in den USA würde sich negativ auf die Handelsbilanz Chinas auswirken.

Hinzu kommt: Schon rein logisch können die großen Handelsblöcke nicht alle einen Überschuss erwirtschaften, da es sonst keine Region gäbe, die die Defizite macht: Lateinamerika, Afrika und Australien sind volkswirtschaftlich zu klein – und es liegt auch nicht in ihrem Interesse, dauerhaft Defizite zu machen.

Die Handelsbilanzen spiegeln sich in den Devisenreserven der Staaten wider. Da China viel an die Welt verkauft, nimmt Peking viele US-Dollar ein, die es international anlegt. China verfügt über drei Billionen US-Dollar an Reserven. Die Reserven der EU liegen bei 307 Milliarden. Die USA hingegen haben kaum Reserven, sondern vor allem Auslandsschulden. Viele Experten sagen, die USA können sich das leisten, da sie über den US-Dollar als globale Leitwährung verfügen und viele Investoren US-Staatsanleihen kaufen.

Andere beharren darauf, dass Schulden zu vermeiden seien und Reserven von Vorteil sind. Doch auch hier gilt: Die Schulden des einen sind die Reserven des anderen. Die USA und China sind hier besonders eng verknüpft. Die Volksrepublik ist nach Japan der zweitgrößte Gläubiger der USA. Die US-Amerikaner sind mit gut einer Billion US-Dollar bei China verschuldet. Wenn die USA keine Schulden mehr machten, verlöre China einen sicheren Hafen für seine Reserven. Andersherum stünden dann auch die USA vor Problemen: Schichtet China seine Devisenreserven in andere Währungen um – was kurzfristig kaum machbar ist – verlöre der Dollar an Bedeutung als globale Leitwährung. Auch hier zeigt sich die noch immer enge Verflechtung der beiden großen Wirtschaftsräume. Sie kommen aus ihrer Beziehung als Gläubiger und Schuldner nicht ohne Weiteres heraus.

Inflationsraten bereiten Sorge

Auch bei den Inflationsraten gibt es große Unterschiede zwischen den Blöcken. China hat die mit Abstand niedrigste Inflation. Sie liegt bei 2,7 Prozent. Damit erreichte die Rate den höchsten Wert seit Juli 2020. Im Juni waren die Verbraucherpreise nur um 2,5 Prozent im Jahresvergleich gestiegen. Analysten hatten im Schnitt mit einer etwas höheren Teuerungsrate gerechnet und waren für Juli von 2,9 Prozent ausgegangen. Der Anstieg der chinesischen Erzeugerpreise schwächte sich deutlich ab: Im Juli zogen die Erzeugerpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 4,2 Prozent an, wie das Statistikamt am Mittwoch mitteilte. Der Anstieg war der niedrigste seit Februar 2021.

Die Inflation der USA betrug im Juli 8,5 Prozent nach 9,1 Prozent im Vormonat. Die Inflation der EU liegt auf dem gleichen, hohen Niveau. Im Juli waren es 8,9 Prozent. Verantwortlich sind besonders hohe Energiekosten und Lieferkettenprobleme. China profitiert hier von günstigen Energie-Importen aus Russland, weil es die Sanktionen nicht mitträgt. Lieferkettenprobleme bestehen ebenso wenig, weil China mehr exportiert und von den Lockdowns in chinesischen Häfen somit weniger stark betroffen ist als die USA und die EU-Staaten.

In den USA wird aufgrund der hohen Inflationsraten darüber diskutiert, die Strafzölle gegen China wieder zu senken. Der soziale Frieden ist offenbar wichtiger als die wirtschaftspolitische Konfrontation mit China. Preiswerte Produkte aus China dämpfen die Inflation. Das bedeutet: China verdient noch mehr. Die USA geben noch mehr aus, als sie einnehmen. Auch Europa steht unter dem Druck, mehr in China einzukaufen.

Vielen Konsumenten oder Unternehmen bleibt dennoch nichts anderes übrig, als sich zu verschulden. Deshalb ist es wichtig, sich die faulen Kredite anzuschauen, Kredite, die nicht mehr bedient werden können. Nur gut 1,8 Prozent aller Kredite in China sind nach Weltbankberechnungen faul. In den USA sind es 1,3 Prozent. Hier ist die EU mit gut zwei Prozent Schlusslicht. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen sind letztlich aber gering.

China holt bei FDI auf

Beim Wachstum gibt es einen klaren Verlierer. Das sind die USA. Nach zwei Quartalen Negativwachstum (minus 1,6 und minus 0,9 Prozent) musste die amerikanische Regierung eine technische Rezession verkünden. Die EU steht, was das Wachstum betrifft, besser da: Gut 2,5 Wachstum sind möglich, allerdings eben auch mit Rekord-Inflation. China liegt beim Wachstum trotz Covid-Krise immer noch vorne, auch wenn das Wachstum deutlich niedriger ist als in normalen Zeiten.

Ein wichtiges Zeichen der Stabilität und Vertrauenswürdigkeit von Staaten sind die Summen, die ausländische Unternehmen in die Länder investieren. Die Auslandsinvestitionen (FDI) sind 2021 in den USA nach Ende der schwersten Corona-Auswirkungen um 114 Prozent auf 382 Milliarden US-Dollar gestiegen. Das ist gut, allerdings der niedrigste Wert seit 2014. China kam auf ein Allzeithoch von 334 Milliarden, dicht hinter den USA.

Die Auslandsinvestitionen in die EU sind im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent auf 138 Milliarden eingebrochen. 2019 lag der Wert noch bei 481 Milliarden US-Dollar. 2015 sogar bei 630 Milliarden. Die Werte aus dem ersten Halbjahr 2022 bestätigen den Trend: Die Investitionen nach China sind bis einschließlich Mai trotz Lockdown um 17 Prozent gewachsen. Die FDI in die EU brachen wegen des Ukraine-Krieges ein, besonders in Deutschland. Die Investitionen in den USA stagnierten im ersten Quartal 2022 auf etwas niedrigerem Niveau als 2021.

Zieht man nur die FDI-Zahlen als Beleg heran, bedeutet das: Das Vertrauen der weltweiten Investoren in China ist auf ein neues Allzeithoch gestiegen. In die USA stagniert es auf hohem Niveau. In die EU sinkt es etwas. Allerdings zeigen Umfragen unter Unternehmen ein anderes Bild: Immer mehr Unternehmen überlegen, Investitionen aus China abzuziehen.

Auch die Volksrepublik steht vor Herausforderungen

Die harten wirtschaftlichen Faktoren zeigen: China scheint im “Wettbewerb” der großen Volkswirtschaften eine hohe Krisenfestigkeit zu haben, auch wenn das Wachstum für chinesische Verhältnisse 2022 vergleichsweise niedrig ausfällt.

Bei den USA und Europa gibt es einige Indikatoren, die in die falsche Richtung zeigen. Besonders die Inflation bereitet den beiden großen westlichen Wirtschaftsräumen derzeit Sorgen. Für die EU prognostizieren einige Experten auch eine Krisengefahr wegen der hohen Überschuldung der südlichen Länder. Zudem hat Europa einen Krieg vor der Haustür, dessen Ende nicht abzusehen ist. Doch die Finanzkrise von 2007/08 und die Corona-Krise haben gezeigt: Kommt es hart auf hart, verfügen auch die USA und die EU über die notwendigen (Finanz-)Mittel, um einem Wirtschaftseinbruch etwas entgegenzusetzen.

Eine ernste Wirtschaftskrise in den USA oder Europa dürfte auch in China, trotz aller Rivalitäten, keine Freude auslösen. Denn sie würde sich auch auf den “Zulieferer” China auswirken, da dort die Nachfrage sinken würde. Die hohen Überschüsse Chinas stehen also auf tönernen Füßen. Hinzu kommen weitere Faktoren wie die demografische Lage: China droht zu überaltern, bevor es ausreichend Reichtum oder “gemeinsamen Wohlstand” für den Großteil der Menschen geschaffen hat.

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Robotaxis: Der mobilen Zukunft ein Stück näher

Das autonomfahrende Taxi Apollo kutschiert nun Passagiere.
Das selbstfahrende Taxi Apollo kutschiert nun Passagiere.

Im Stadtteil Nanshan in Shenzhen gehören autonome Taxis schon zum Straßenbild dazu. Viele Menschen schauen gar nicht mehr hin, wenn eines der weißen Autos mit Knubbel auf dem Dach an ihnen vorbeifährt. In dem Aufbau sind Kameras und Sensoren untergebracht, die es möglich machen, dass die Fahrzeuge ohne menschliche Steuerung durch die Stadt fahren.

An revolutionäre Mobilitätskonzepte des 21. Jahrhunderts in Form von autonomen Robotaxis hat man sich in Shenzhen gewöhnt. Seit mehr als anderthalb Jahren prüft der Internetkonzern Baidu dort schon seine Technologie auf ausgewählten Straßen im öffentlichen Stadtverkehr – stets mit einem Sicherheitsbegleiter auf dem Beifahrersitz.

Doch während in der US-Metropole San Francisco schon seit Juni Robotaxis des Anbieters Cruise ganz allein und gegen Gebühr kommerziell operieren, hat Shenzhen die nötige Lizenz zum Verzicht auf das Notfall-Personal noch nicht erteilt. Und somit übernehmen Wuhan und Chongqing jetzt die Pinoierrolle, als erste chinesische Städte, eine autonome Taxiflotte von Baidu zu erlauben, die voll und ganz der Technologie vertraut und dafür Geld nimmt.

Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen

Baidu teilte mit, dass in Wuhan täglich zwischen 9 und 17 Uhr und in Chongqing von 9:30 bis 16:30 Uhr jeweils fünf Fahrzeuge in ausgewählten Bezirken ihre Dienste anbieten. Die Areale umfassen 13 Quadratkilometer in der Wuhan Economic & Technological Development Zone und 30 Quadratkilometer im Bezirk Yongchuan in Chongqing. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere chinesische Städte grünes Licht geben. Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen bereits.

Für Baidu ist die Genehmigung ein wichtiger Meilenstein. Der Suchmaschinen-Gigant, der unter sinkenden Werbe-Umsätzen leidet, hat sein Zukunftsgeschäft auf künstliche Intelligenz und autonomes Fahren ausgerichtet. Baidu will die Preise für herkömmliche Taxi-Fahrten deutlich unterbieten. “Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi halb so viel wie eine normale Taxi-Fahrt kosten wird”, sagte Baidu-Gründer Robin Li anlässlich der Vorstellung des kommenden Robotaxis RT6, das ab 2023 auf chinesischen Straßen zu sehen sein wird.

Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln. Das Unternehmen plant, seinen Taxi-Dienst Apollo Go bis 2025 auf 65 chinesische Städte auszuweiten. Bis 2030 dann sogar auf 100 Städte. Dann sollen Zehntausende der autonomen Taxis im Einsatz sein. Der Apollo RT6 soll zu einem Preis von 250.000 Yuan (etwa 36.000 Euro) pro Fahrzeug in Massenproduktion gehen. Das ist laut Baidu nur noch die Hälfte der Kosten des Vorgängermodells. Erstmals soll das Lenkrad eingefahren werden können.

Ausländer von der Nutzung bislang ausgeschlossen

Für Baidu und andere Anbieter von Robotaxis ist es wichtig, die Produktionskosten für die Fahrzeuge so weit es geht zu senken, um ihre Fertigung durch den Einsatz auf Chinas Straßen zu refinanzieren. Zumal die Taxi-Fahrten in der Volksrepublik deutlich günstiger sind als etwa in Deutschland.

Nicht nur baut Baidu seine eigene autonome Taxi-Flotte auf. Es stellt sein Apollo-System auch Dutzenden Autoherstellern in China zur Verfügung, um eigene autonome Autos zu bauen. Baidu gilt in China als führend bei der Entwicklung von Technik, die autonomes Fahren ermöglicht. Nach eigenen Angaben verfügt der Konzern über einen Datenschatz, aus mehr als 20 Millionen Kilometern überwachtem autonomen Fahren. Die Daten nutzt Baidu ähnlich wie Tesla, um seine Algorithmen zu trainieren.

Für die Nutzer ändert sich im Vergleich zu Fahrdienstleistern wie Didi Chuxing wenig. Sie können eine App samt Bezahlservice herunterladen, Abholort und Ziel eingeben, Minuten später kommt das Robotaxi angerollt. Ausländer können jedoch noch nicht mitfahren, weil die App bisher nur die Registrierung mit einer chinesischen ID-Karte erlaubt. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

News

Nach Taiwan-Reise: Sanktionen gegen EU-Ministerin

Peking hat erstmals eine einzelne EU-Politikerin, die litauische Vize-Verkehrsministerin Agnė Vaiciukevičiūtė, mit Sanktionen belegt. Vaiciukevičiūtė habe das “Ein-China-Prinzip” mit einem Besuch in Taiwan mit Füßen getreten, sich in Chinas innere Angelegenheiten eingemischt und Chinas Souveränität sowie territoriale Integrität untergraben, erklärte das chinesische Außenministerium. Nähere Angaben zur Form der Sanktionen gab das Ministerium nicht bekannt.

Es würde zudem der Austausch mit dem litauischen Ministerium für Verkehr und Kommunikation ausgesetzt. Vaiciukevičiūtė war vergangene Woche zu einem mehrtägigen Besuch in Taiwan und besuchte dort mehrere Städte. Mit dem taiwanischen Verkehrsministerium wurde im Rahmen der Reise unter anderem eine Absichtserklärung für die Zusammenarbeit zwischen den E-Bus-Herstellern Dancerbus und Tangeng Advanced Vehicles unterzeichnet.

Vaiciukevičiūtė war nicht die erste litauische Politikerin, die Taiwan in diesem Jahr besucht hat: Vize-Wirtschaftsministerin Jovita Neliupšienė reiste im Juni an und gab die Eröffnung der litauischen Handelsvertretung in Taipeh für September bekannt. Auch Vize-Landwirtschaftsminister Egidijus Giedraitis hatte Taiwan in 2022 bereits besucht – worauf jeweils jedoch nicht mit Sanktionen reagiert wurde.

Vaiciukevičiūtė ist nun die erste EU-Politikerin und -Ministerin, gegen die einzeln Strafmaßnahmen verhängt wurde. China hatte zuletzt im März vergangenen Jahres Sanktionen gegen europäische Organisationen, Forscher und Abgeordnete des EU-Parlaments erlassen.

Die Reisetätigkeit westlicher Politiker und Chinas Gegenreaktionen reißen derweil nicht ab. Am Montag sind fünf Abgeordnete des US-Kongresses für einen zweitägigen Besuch in Taiwan eingetroffen. Sie sprachen mit Präsidentin Tsai Ing-wen und Außenminister Joseph Wu. China kündigte prompt neue Manöver der Marine um die Insel an, um gegen die “ausländische Einmischung” zu protestieren. Am Montag überquerten 15 Kampfjets die Mittellinie zwischen dem Festland und Taiwan. ari/fin

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Wegen Zwangsarbeits-Gesetz: Solar-Stau beim US-Zoll

Nach Einführung des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) stauen sich Solar-Produkte aus Xinjiang am US-Zoll. Module mit einer Kapazität von mehr als drei Gigawatt werden seit Ende Juni von der Behörde an den Grenzen festgehalten, weil die Importeure die notwendigen Dokumente noch nicht vorlegen können. Laut UFLPA sind die Importeure gezwungen, nachzuweisen, dass Produkte aus Xinjiang ohne Zwangsarbeit in der Wertschöpfungskette hergestellt worden sind.

Bis Ende des Jahres könnten sich Module mit einer Leistung von insgesamt neun bis zwölf Gigawatt ohne Einfuhr-Genehmigung an den Grenzen stauen, schätzen Analysten. Das neue Gesetz, das Ende Juni wirksam wurde, ist eine Reaktion der USA auf die Zwangsarbeits-Vorwürfe gegen chinesische Produzenten aus der autonomen Region im Nordwesten der Volksrepublik. Nachweislich werden dort uigurische Muslime und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten zu Arbeiten in der Solar-Industrie, aber auch in der Landwirtschaft und der Textilproduktion eingesetzt.

Importeure aller Produkte aus der Region müssen aufgrund des neuen Gesetzes beweisen, dass die Waren sauber sind. Chinas Regierung weist Vorwürfe gegen Zwangsarbeit kategorisch zurück. grz

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CATL baut große Fabrik für Batterien in Ungarn

Der Standort für die nächste Fabrik des Akku-Marktführers CATL in Europa steht fest. Das Unternehmen aus Ningde will 7,34 Milliarden Euro in der ungarischen Stadt Debrecen investieren. Dort sollen nicht nur die Batterien entstehen, sondern auch Batteriezellen. Das ist wichtig, weil ein Großteil der Zellen bisher aus Fernost geliefert wird, auch wenn in der EU immer mehr Batteriewerke entstehen. Die Batterien bestehen im Wesentlichen aus Zellen.

CATL arbeitet derzeit an einer groß angelegten Expansion im Ausland. In Thüringen entsteht derzeit das erste deutsche Werk des großen und fortschrittlichen Herstellers (China.Table berichtete). In Ungarn befindet sich der neue Standort nun in strategischer Nähe zu Werken der deutschen Autobauer Daimler, BMW und Volkswagen. Daimler Truck arbeitet bereits mit CATL zusammen (China.Table berichtete). Jetzt tritt die Pkw-Sparte von Daimler als Erstkunde für die Batterien aus der neuen Fabrik auf. Die Fertigung dort soll CO2-neutral erfolgen. fin

  • Autoindustrie

Staatskonzerne ziehen sich von New Yorker Börse zurück

Fünf chinesische Staatskonzerne haben ihren Rückzug von der New York Stock Exchange angekündigt. Der Lebensversicherer China Life, die Ölriesen Sinopec und PetroChina, der Alu-Konzern Chalco sowie der Chemiekonzern Sinopec Shanghai Petrochemical kündigten am Freitag Anträge für ein Delisting ihrer US-Hinterlegungsscheine (ADS) noch im August an. Sie gehören zu den knapp 270 chinesischen Unternehmen, denen die USA in einem Gesetz im Mai mit dem Ausschluss von der New York Stock Exchange gedroht haben, weil sie die Bilanzstandards der amerikanischen Wirtschaftsprüfer nicht erfüllten.

Die Regierungen in Peking und Washington verhandeln über eine Lösung in dem Streit. Die USA fordern einen vollständigen Einblick in die Bücher und die Prüfungsunterlagen chinesischer Unternehmen, die in New York börsennotiert sind, China verweigert das aber mit Verweis auf die nationale Sicherheit. PetroChina erklärte, ihr Kapitalbedarf ließe sich auch über die Börsen in Shanghai und Hongkong decken, die auch “die Interessen der Anleger besser schützen”.

Die chinesische Börsenaufsicht CSRC betonte, die Konzerne hätten sich immer genau an die Regeln und Anforderungen des US-Kapitalmarktes gehalten, seit sie in New York börsennotiert sind. Der Rückzug von der New Yorker Börse (Nyse) sei eine unternehmerische Entscheidung. “China sendet die Botschaft, dass seine Geduld in den Verhandlungen um die Prüfung der Bilanzen geringer wird”, sagte Kai Zhan von der chinesischen Anwaltskanzlei Yuanda, die unter anderem auf den US-Kapitalmarkt spezialisiert ist.

Von einem Delisting in New York bedroht sind auch die chinesischen Börsen-Riesen Alibaba, JD.com und Baidu. China Telecom, China Mobile und China Unicom hatten die US-Börse im vergangenen Jahr verlassen, weil die damalige US-Regierung von Donald Trump Investments in chinesische Technologiefirmen beschränkt hatte. rtr

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Exodus ausländischer Arbeiter

Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib

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Standpunkt

Der China-Joker der Deglobalisierung

von Stephen S. Roach
Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
Stephen S. Roach, Wirtschaftsprofessor an der Yale-Universität und ehemals Chairman bei Morgan Stanley Asia.

Die weithin gelobte Globalisierung der Zeit nach dem Kalten Krieg läuft jetzt rückwärts. Die anhaltende Verlangsamung des Welthandels wurde durch pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungsketten, den anhaltenden Druck durch den Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Bemühungen, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen mit geostrategischen Allianzen (“Friendshoring“) in Einklang zu bringen, noch verstärkt. Diese Entwicklungen ziehen die Schlinge um China enger – das Land, das wohl am meisten von der modernen Globalisierung profitiert hat.

Von den vielen Messgrößen der Globalisierung – einschließlich der Finanz-, Informations- und Arbeitsströme – ist der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen am engsten mit dem Wirtschaftswachstum verbunden. Vor allem aus diesem Grund deutet die Verlangsamung des Welthandels, die nach der globalen Finanzkrise 2008/09 einsetzte und sich in der Covid-19-Ära noch verstärkte, auf einen grundlegenden Wandel der Globalisierung hin. Während die weltweiten Exporte von 19 Prozent des weltweiten BIP im Jahr 1990 auf einen Spitzenwert von 31 Prozent im Jahr 2008 anstiegen, betrugen die weltweiten Exporte in den dreizehn Jahren danach (2009-21) durchschnittlich nur noch 28,7 Prozent des weltweiten BIP. Wären die weltweiten Exporte um 6,4 Prozent gewachsen – auf halbem Weg zwischen dem rasanten Tempo von 9,4 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2008 und der gedämpften Rate von 3,3 Prozent nach 2008 -, wäre der Exportanteil am globalen BIP bis 2021 auf 46 Prozent gestiegen, weit über den aktuellen Anteil von 29 Prozent.

Covid verstärkt einen Wandel der Globalisierung

Die Vorteile, die China aus der Globalisierung des Handels gezogen hat, sind außergewöhnlich. In den zehn Jahren vor Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 machten die chinesischen Exporte im Durchschnitt nur zwei Prozent der gesamten weltweiten Ausfuhren aus. Bis 2008 hatte sich dieser Anteil fast vervierfacht und betrug 7,5 Prozent. China hatte sein Beitrittsgesuch zur WTO genau zum richtigen Zeitpunkt eingereicht – nämlich genau dann, als sich der Welthandel in einem starken Aufschwung befand. Zwar forderte die Finanzkrise einen kurzen Tribut von der chinesischen Exportdynamik, doch war diese Unterbrechung nur von kurzer Dauer. Bis 2021 stiegen die chinesischen Exporte auf 12,7 Prozent der weltweiten Ausfuhren und lagen damit deutlich über dem Höchststand von vor 2008.

Es ist unwahrscheinlich, dass China diese Leistung beibehalten kann. Das Gesamtwachstum des Welthandels verlangsamt sich, und Chinas Anteil am Handelskuchen gerät zunehmend unter Druck.

Besonders problematisch ist der anhaltende Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Während der ersten Phase von Chinas exportorientiertem Wachstumsschub nach dem WTO-Beitritt waren die USA durchweg Chinas größte Quelle der Auslandsnachfrage. Vor allem wegen der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängten Zölle ist dies nun nicht mehr der Fall. Bis 2020 sind die US-Importe chinesischer Waren und Dienstleistungen um 19 Prozent unter den Höchststand von 2018 gefallen. Trotz der deutlichen Erholung der US-Wirtschaft nach der Pandemie blieben die US-Einfuhren aus China 2021 um 5 Prozent unter dem Höchststand von 2018. Eine teilweise Senkung der Zölle auf ausgewählte Konsumgüter – die die Regierung von Präsident Joe Biden offenbar als Mittel zur Inflationsbekämpfung in Erwägung zieht – wird den bilateralen Handel kaum ankurbeln.

US-Importe aus China sind eingebrochen

Gleichzeitig werden anhaltende pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungskette wahrscheinlich einen hohen Tribut in China und dem Rest der Welt fordern. In den sechs Monaten bis April lag der von Forschern der Federal Reserve Bank of New York erstellte “Global Supply Chain Pressures Index” bei durchschnittlich 3,6 und damit deutlich über dem Wert von 2,3 in den ersten 21 Monaten nach Beginn der pandemiebedingten Lieferstopps im Februar 2020 und deutlich über dem Wert von “Null”, der das Ausbleiben von Lieferkettenunterbrechungen markiert.

Für eine Welt, die durch Lieferketten verbunden ist, ist dies von großer Bedeutung. Globale Wertschöpfungsketten waren für mehr als 70 Prozent des kumulativen Wachstums des gesamten Welthandels von 1993 bis 2013 verantwortlich – und China hat einen übergroßen Anteil an dieser durch globale Wertschöpfungsketten ermöglichten Expansion gehabt. Da es weiterhin zu Unterbrechungen der Lieferketten kommt, die durch Chinas Null-Covid-Politik noch verschärft werden, wird der Druck auf die chinesische und globale Wirtschaftstätigkeit wahrscheinlich hoch bleiben.

Die zunehmenden geostrategischen Spannungen sind der Joker in der Deglobalisierung, insbesondere ihre Auswirkungen auf China. “Friendshoring” verwandelt das Ricardo’sche Effizienzkalkül des grenzüberschreitenden Handels faktisch in eine Bewertung von Sicherheitsvorteilen, die sich aus strategischen Allianzen mit gleichgesinnten Ländern ergeben. Chinas neue unbegrenzte Partnerschaft mit Russland ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Da China sich dem Schritt annähert, die russische Militäraktionen in der Ukraine zu unterstützen, haben die USA vor kurzem über ihre so genannte Entity List Sanktionen gegen fünf weitere chinesische Unternehmen verhängt.

Darüber hinaus sind die chinesischen Käufe russischer Energieerzeugnisse eine wichtige Stütze für die russische Wirtschaft und wirken so den Auswirkungen der beispiellosen westlichen Sanktionen entgegen. Das erhöht das Risiko, dass sich China durch Assoziation mitschuldig macht. Unterdessen sind auch Anzeichen für eine Deglobalisierung der Finanzmärkte erkennbar, da China seine Bestände an US-Staatsanleihen kontinuierlich auf ein Niveau reduziert, das es seit 2010 nicht mehr gegeben hat – eine wenig beruhigende Entwicklung für die sparschwache, defizitäre US-Wirtschaft.

Handel war der Klebstoff der Weltwirtschaft

Die USA sind bei diesem Ausbruch geostrategischer Spannungen kaum nur unschuldiger Zuschauer. Die immer wieder auftauchenden Gerüchte über eine bevorstehende Taiwan-Reise der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, spielen eindeutig mit Chinas Stolperdrähten in Bezug auf ein Land, das es als eines seiner Kerninteressen definiert hat. Das Gleiche gilt für die parteiübergreifende Unterstützung der Anti-China-Gesetze, die sich langsam ihren Weg durch den US-Kongress bahnen.

So wie der russische Präsident Wladimir Putin versucht hat, seine skrupellose Aggression in der Ukraine als Verteidigung gegen die NATO-Erweiterung zu rechtfertigen, spielen Chinas langjährige Ängste vor einer amerikanischen Eindämmung auf ähnliche Befürchtungen in chinesischen Führungskreisen an. Henry Kissinger, der Architekt der modernen US-China-Politik, warnte vor kurzem vor Amerikas Neigung zu einer “endlosen Konfrontation” mit China und rief zu einer “Nixon’schen Flexibilität” auf, um einen zunehmend gefährlichen Konflikt zu lösen. Doch wie ich in meinem demnächst erscheinenden Buch Accidental Conflict darlege, wird es weit mehr brauchen, um der Eskalation des chinesisch-amerikanischen Konflikts ein Ende zu setzen.

Globalisierung war immer ein griffiger Begriff auf der Suche nach einer Theorie. Ja, der Handel war der Klebstoff, der die Integration der Weltwirtschaft förderte. Aber es war kaum die steigende Flut, die wirklich alle Boote anhob. Angesichts des Klimawandels, der Pandemien und eines schockierenden neuen Krieges in Europa – ganz zu schweigen von der zunehmenden Ungleichheit und den damit verbundenen sozialen und politischen Spannungen – liegt die Verteidigung der Globalisierung in Trümmern. Und China hat vielleicht am meisten zu verlieren.

Stephen S. Roach, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, ist Fakultätsmitglied an der Yale University und Autor des in Kürze erscheinenden Buches “Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives” (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Andreas Hubig.

Copyright: Project Syndicate, 2022.
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Heads

Ryan Hass – Obamas Berater in China-Fragen

Ryan Hass war China-Experte des Weißen Hauses und ist heute Senior Fellow der Brookings Institution
Ryan Hass war China-Experte des Weißen Hauses und ist heute Senior Fellow der Brookings Institution

“Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, als mich das Weiße Haus anrief”, erinnert sich Ryan Hass im Gespräch mit China.Table. Hat er aber nicht. Denn Präsident Obama wollte Hass in sein China-Team holen. Die vielfältigen Erfahrungen dieser Jahre nützen ihm mittlerweile bei der Analyse der aktuellen Entwicklungen der Beziehungen zwischen China und den USA.

Schon früh zieht es Hass weit weg von zu Hause – zunächst geht er für das Studium von der Westküste der USA an die Ostküste in die Hauptstadt Washington. Aber Hass will im Ausland leben, und er will sich für die Außenbeziehungen seines Landes einsetzen. Im letzten College-Jahr nimmt er an der Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst teil. “Ich habe nicht wirklich erwartet, die Prüfung zu bestehen”, gibt Hass zu. Tatsächlich wird er mit 23 Jahren der jüngste Junior-Diplomat seines Jahrgangs.

Das Pentagon bildet Hass dann systematisch für eine Karriere in Asien und insbesondere China aus. “Doch das China, das ich dann kennengelernt habe, unterschied sich sehr von dem China, auf das ich vorbereitet wurde.” Denn Hass kommt 2009 an die US-Botschaft in Peking. Ein Jahr nach der Finanzkrise ist der Westen geschwächt und die Olympischen Spiele haben China neues Selbstbewusstsein verliehen. “Man konnte fühlen, wie sich die tektonischen Platten verschieben”, erinnert sich Hass.

Das Weiße Haus und die Weltordnung

Inmitten dieser Machtverschiebung wird Hass 2013 Direktor für China, Taiwan und die Mongolei im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses – daher der Anruf von Obama. “Es war eine unglaubliche Erfahrung und die Chance meines Lebens, für den Präsidenten zu arbeiten”, so Hass. Er begleitet Obama auf seinen China-Besuchen. Schon damals ist zu spüren, wie sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen verhärten.

China fordert die Vormachtstellung der USA heraus. Die globalen Machtzentren verschieben sich. Wenn Hass einen Blick in die Zukunft wagt, entwirft er jedoch ein differenziertes Bild: Zwar sei Chinas Aufstieg nicht linear, aber Chinas Position im Zentrum der Lieferketten und der Handelsarchitektur sei stark. “Die Welt wird somit multipolarer, aber in dieser Multipolarität ragen die USA und China heraus”. Für beide werde es dadurch immer schwieriger, die Angelegenheiten anderer Länder zu beeinflussen.

Eine Zeit des harten Wettbewerbs steht bevor

Wie sich die USA in der neuen Weltordnung positionieren sollten, analysiert Hass seit 2018 als Senior Fellow bei der renommierten Denkfabrik Brookings Institution. Hass ist sicher: Harter Wettbewerb werde die Beziehungen zwischen den USA und China auf Jahre prägen. Aber genauso die wechselseitige Abhängigkeit beider Länder. Die USA müssen daher versuchen, mit China mitzuhalten, statt es zu bremsen und sich damit selber zu schaden. So wird Innenpolitik zur Außenpolitik. Und der Wettbewerb mit China wird dann mit Investitionen in Schulen, Straßen und Start-ups geführt.

Dennoch gebe es rote Linien, betont Hass. Da wo die USA Chinas revisionistische Außenpolitik ermöglicht, müsse der Wettbewerb aufhören, fordert er und klingt hier wieder mehr wie ein Politiker. Das heißt konkret: Exportbeschränkungen zum Beispiel bei der Halbleiterproduktion. Im Idealfall funktioniere der Wettbewerb dann wie ein Marathon: Fair und mit so wenig Zusammenstößen wie möglich. Wer am Ende den längeren Atem hat, wird sich zeigen. Jonathan Lehrer

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China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Hongkonger Aktivist Samuel Chu: “Die Bewegung braucht Institutionen”
    • Zinssenkung soll Stimmung aufhellen
    • China käme stabiler durch eine Weltwirtschaftskrise
    • Baidu erhält Lizenz für vollautonome Taxis
    • Sanktionen gegen litauische Ministerin nach Taiwan-Besuch
    • Solarzellen stauen sich an US-Grenze
    • CATL investiert in Ungarn
    • Rückzug von New Yorker Börse
    • Exodus der Expats aus China
    • Standpunkt: US-Ökonom Stephen S. Roach zum China-Joker
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    im Nachrichtengeschäft ist das zwar normal. Und doch ist es erschreckend, wie schnell die Anliegen der Hongkonger Demokratiebewegung angesichts von Ukraine-Krieg und der immer mehr sich zeigenden Klimakrise in der Weltöffentlichkeit in den Hintergrund gerückt sind. Dabei setzen sich Hongkonger Aktivistinnen und Aktivisten aus ihren Exilen in London, Taiwan, USA und Berlin weiter für die Freiheitsrechte in ihrer Heimatstadt ein. Einer, der sie tatkräftig unterstützt, ist Samuel Chu. 

    Langfristige politische Erfolge brauchen politische Institutionen, die jetzt aufgebaut werden müssen, sagt der erfahrene Aktivist im Interview mit Fabian Peltsch. “Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend.” Nur so könne die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln – sie braucht einen langen Atem.

    Derzeit lahmt ein guter Teil der chinesischen Wirtschaft: Der Bau schwächelt, der private Konsum kommt nicht voran und junge Leute finden keinen Job. Die Notenbank hat daher Kredite billiger gemacht. Die Analyse von Finn Mayer-Kuckuk zeigt: Der Schritt ist vor allem symbolisch gemeint. Eine Zinserhöhung signalisiert, dass Peking etwas für die Konjunktur tut. Die bessere Stimmung hat dann den größeren Effekt als die Kredite selbst.

    Rund um Taiwan wird derweil wieder scharf geschossen. Weil erneut US-Abgeordnete dorthin reisten, macht China seine Drohung wahr und lässt die Marine ohne weitere Warnung um die Insel herum feuern. Ebenfalls beunruhigend: Peking hat erstmals Sanktionen gegen eine europäische Politikerin verhängt – ebenfalls wegen einer Reise nach Taiwan. Die aktuelle Krise geht also vorerst weiter.

    Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Interview

    Hongkong-Aktivist Samuel Chu: “Ich habe die Bewegung ins Weiße Haus getragen”

    Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.
    Möchte die Hongkonger Protestbewegung auf langfristige Ziele einschwören: Samuel Chu.

    Ende Mai besuchten Sie Oslo, wo während der Freedom Forum Conference eine Kopie der “Säule der Schande” auf einem Universitätsgelände errichtet wurde. Derzeit arbeiten Sie daran, dass eine Kopie des Kunstwerkes des dänischen Künstlers Jens Galshiøst auch in Berlin vorübergehend einen Platz findet. Welchen Symbolwert messen Sie dem Werk bei?

    Zum einen sehe ich es als Zeichen der Solidarität mit den Menschen von Hongkong, die einen Großteil der Rechte, die ihnen unter dem Prinzip “Ein Land, zwei Systeme” zugebilligt wurden, eingebüßt haben. Die Skulptur soll daran erinnern, wie schnell der Niedergang dieser Rechte in Hongkong vonstattenging und wie verlässlich Chinas Versprechungen tatsächlich sind. Zum anderen betrachte ich die “Säule der Schande” auch als eine Art Kanarienvogel in der Kohlemine: Wenn eine Kopie nach Berlin kommt, werden zahlreiche Gegner an die Öffentlichkeit kommen, chinesische Studenten werden dagegen protestieren, chinesische Agenten werden sichtbar werden. Und auch Menschen in der Politik. Das ist gut. So können wir entlarven, wie groß der Einfluss Chinas schon jetzt in Deutschland ist.

    Wenn ich Politiker treffe, auch hier in Deutschland, spreche ich mit ihnen darüber, warum ein freies Hongkong in ihrem Interesse ist. Und das, was in Hongkong passiert, auch ein Auftakt sein kann für das, was an anderen Orten der Welt passieren könnte.

    Sie verbinden mit dem Kunstwerk auch eine persönliche Geschichte.

    Mein Vater war einer der ersten, der von Jens kontaktiert wurde, als es darum ging, das Kunstwerk nach Hongkong zu bringen. Mein Vater war damals, Mitte der 1990er-Jahre, einer der Führer der Hongkong Alliance, später die größte Organisation, die sich für Demokratie und Tiananmen-Erinnerungskultur in Hongkong einsetzte. Sie wollten die Statue unbedingt vor der Übergabe der britischen Kronkolonie in Hongkong errichten. Es sollte ein Test sein, inwieweit China tatsächlich die Rechte der Bürger von Hongkong nach 1997 wahren würde. 32 Jahre stand sie in der Stadt und geriet fast in Vergessenheit. Das große sichtbare internationale Symbol für den Niedergang des freien Hongkongs wurde sie erst 2021, als sie aufgrund von politischem Druck entfernt werden musste.

    Ihr Vater, der Baptistenpastor und Occupy-Central-Mitbegründer Chu Yiu-ming, ist einer der bekanntesten Menschenrechtler Hongkongs. Welchen Einfluss hatte ihr Familienhintergrund auf Ihre politische Arbeit?

    Mein Vater leitete 1989 die Operation “Yellow Bird”, die half, politische Flüchtlinge aus China über Hongkong ins Ausland zu bringen. Als Konsequenz verbrachte ich als junger Menschen viel Zeit mit politischen Flüchtlingen. Wir spielten Fußball und Karten, während sie auf ihre humanitären Visa für eine Weiterreise warteten. Das hat meine Perspektive auf die Diaspora und Dissidenten geprägt. Die chinesische Regierung war in ihrem Vorgehen gegen sie lange effektiv, denn sie wusste: Waren die Aktivisten erst einmal nach Übersee geflohen, würde man bald nichts mehr von ihnen hören. Politische Gruppen waren im Ausland isoliert, die Energie der Proteste versandete. Meine Arbeit besteht heute darin, das zu ändern.

    Inwiefern?

    Ich habe meine gesamte Karriere dem Aufbau politischer Bewegungen in der demokratischen Welt gewidmet, von Klimaschutz, über LGBTQ- bis hin zu Black-Lives-Matter-Gruppen. Bei allen geht es darum, von einer Protestbewegung in etwas Größeres, Beständigeres zu wachsen. Wir haben ja die Tendenz, Protestbewegungen zu romantisieren. Was ich dabei immer wieder predige, ist: Protestbewegungen verlassen sich sehr auf einzelne charismatische Personen. Langfristige politische Bemühungen müssen sich aber auf politische Institutionen verlassen. Und diese müssen jetzt aufgebaut werden. Das ist hart, zäh, und manchmal frustrierend. Aber nur so kann die Bewegung wachsen und sich weiterentwickeln.

    Ein Journalist aus Hongkong, der nun in Deutschland lebt, berichtete mir, dass viele Hongkonger, die sich vor Ort für die Stadt aufopferten, als Diaspora im Ausland kaum Zusammenhalt finden. Haben Sie ähnliches beobachtet?

    Man hat da Demonstranten, die auf Leben und Tod für ihre Rechte eingetreten sind. Viele stecken in diesem Protest-Mindset fest. Sie stehen jeden Morgen auf und wollen der Welt entgegenschreien: “Schaut, was in Hongkong passiert!” Man darf nicht vergessen, dass Hongkong nie eine Demokratie war. Die Menschen konnten im Prinzip nichts anderes tun als zu protestieren, um gehört zu werden. Die Diaspora ist so davon in Anspruch genommen, darauf zu reagieren was zu Hause in Hongkong passiert, dass sie sich nicht auf eine enge Beziehung zur lokalen politischen Community einlassen kann. Aber ein solcher Einfluss ist nötig, um langfristig etwas zu bewegen. Das heißt nicht, dass sie Hongkong aufgeben.

    Einige Menschen aus Hongkong haben wohl noch immer die Hoffnung, dass sich die Ereignisse in ihrer Heimatstadt auf die ein- oder andere Weise umkehren lassen.

    Es gibt keine magische Formel, mit der man Hongkong wieder zu dem machen kann, was es war. Der UN-Menschenrechtsrat hat die Regierung in Hongkong erst kürzlich zum Widerruf des Nationalen Sicherheitsgesetzes aufgerufen. Ich bin natürlich froh darüber, dass das so offiziell festgehalten wurde. Aber man kann nicht mehr ungeschehen machen, dass 10.000 Menschen aufgrund von friedlichen Protesten angezeigt und über 200 Aktivisten wie Jimmy Lai unter dem Nationalen Sicherheitsgesetz verhaftet wurden.

    Vor zwei Jahren wurde in Hongkong auch ein Haftbefehl gegen Sie ausgestellt. Und das, obwohl sie seit 30 Jahren in den USA leben und US-Bürger sind. Ein Präzedenzfall.

    Ich habe zu einem gewissen Grad dabei geholfen, die Regeln und die Strategien umzuschreiben. Ich mache meine politische Arbeit hauptsächlich hinter den Kulissen. Als die Proteste 2019 einen Höhepunkt erreichten, bin ich nicht nach Hongkong geflogen, um in die Kameras zu sprechen. Ich entschied mich, mit dem Hong Kong Democracy Council eine Hilfsorganisation zu gründen, die in Übersee von US-Staatsbürgern geleitet wird. Es ist eine Organisation, die tatsächlich Gesetze beeinflussen kann und sich nicht nur auf Proteste und Gedenkveranstaltungen verlässt. So eine Art von Organisation ist mächtiger und eindrucksvoller, um sich gegen die chinesische Regierung durchzusetzen. Danach habe ich die “Kampagne für Hongkong” gegründet, die ich noch immer leite.

    Und das macht Sie zum Staatsfeind?

    Im Nationalen Sicherheitsgesetz gibt es einen Paragrafen, der sich direkt an mich, meine Organisation und unsere Art zu arbeiten zu richten scheint. Da steht, frei übersetzt: Egal wer du bist und woher du kommst, wir kriegen dich. Ich habe die Bewegung von der Straße in das Parlament getragen und von dort ins Weiße Haus. Das ist ein Shift, den Chinas Regierung nicht erwartet hat. Deshalb mussten sie ihr Playbook überarbeiten und auch ausländische Aktivisten ins Visier nehmen. In diesem Sinne bin ich vielleicht selbst ein bisschen wie der “Pillar Of Shame”. Wo ich auftauche, werden unsichtbare chinesische Kräfte sichtbar.

    Samuel Chu, 44, ist Präsident der “Campaign for Hong Kong”, einer Organisation, die sich für eine Politik einsetzt, die Menschenrechte und Demokratie in Hongkong fördert. Zuvor war er Gründer und Direktor des Hong Kong Democracy Council (HKDC) mit Sitz in Washington, D.C. In dieser Position spielte er eine führende Rolle bei der Verabschiedung mehrerer Gesetze zur Unterstützung Hongkongs im US-Kongress. Im Juli 2020 erließen die Hongkonger Behörden einen Haftbefehl gegen Chu, womit er der erste ausländische Staatsbürger ist, der infolge des Nationalen Sicherheitsgesetzes ins Visier genommen wurde.

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    Analyse

    Ein Zinsschritt vor allem für die Stimmung

    Die chinesische Notenbank flankiert das laufende Konjunkturprogramm der Regierung (China.Table berichtete) mit der Senkung einiger Zinssätze. Der Schritt kam überraschend: Noch vor wenigen Tagen erwarteten Experten vor allem eine Rückführung der Liquidität im Finanzsystem. Eine Zinssenkung hat grundsätzlich den umgekehrten Effekt. Sie macht Kredite günstiger und erleichterte es den Firmen, Geld aufzunehmen. Analysten zeigten sich daher am Montag erstaunt über die Entscheidung der People’s Bank of China (PBoC).

    Der neue Konsens lautet nun: Die Zentralbank will im Auftrag der Regierung die Wirtschaftsstimmung insgesamt aufhellen. Zuletzt war eine Reihe von Indikatoren in den Gefahrenbereich gerutscht:

    • Junge Leute finden nur schwer Jobs, die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 20 Prozent gestiegen,
    • Hauskäufer boykottieren die Rückzahlung ihrer Hypothekenkredite für unfertige Wohnungen, die nicht fertig werden – und das Neugeschäft stockt,
    • das Einzelhandelswachstum fiel im Juli auf 2,7 Prozent; erwartet waren knapp fünf Prozent,
    • und auch der Anstieg der Industrieproduktion blieb unter den Erwartungen.

    Eine Zinssenkung signalisiert in so einer Situation, dass der Staat den Ernst der Lage verstanden hat und etwas unternimmt. Billigere Kredite bedeuten im Wachstumsland China im Allgemeinen mehr Bautätigkeit, Investitionen in neue Fabriken und dergleichen. Die Zinssenkungen könnte daher schon allein als Reflex für die zweite Jahreshälfte Optimismus verbreiten.

    Lockdown-Schäden lassen sich mit Geld allein nicht reparieren

    Experten bezweifeln indessen, ob sich am Finanzmarkt ein konkreter Effekt einstellt. “Unternehmen und Haushalte fahren die Kreditaufnahme zurück, weil sie sich Sorgen um die Wirtschaftsschwäche machen”, schreibt der Finanzwissenschaftler Michael Pettis von der Peking-Universität. Der Grund für die derzeit geringen Investitionen sei nicht Kapitalmangel. “Das Problem ist vielmehr eine Nachfrageschwäche im Inland.”

    Solange sich die Immobilienbranche im Abschwung befindet, wird auch die schönste Zinssenkung nicht den Hausbau ankurbeln. Dafür geht es der Branche derzeit einfach zu schlecht. Die Covid-Maßnahmen bremsen derweil den Konsum aus. Insbesondere im großen Shanghaier Lockdown sind Jobs verloren gegangen, Firmen gescheitert, wurden Restaurants und Läden geschlossen. All das kommt nicht auf Befehl in der zweiten Jahreshälfte zurück, sondern muss erst nachwachsen.

    Pettis ist überzeugt, dass die Zentralbank den Zinsschritt bekannt gegeben habe, “weil klar war, dass sie irgendetwas tun musste und ihr kein anderer Kurs einfiel.” Die Zinssenkung erfolgte dementsprechend moderat. Dennoch wird die PBoC sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben. Denn auch eine geringe Zinssenkung hat gerade in dem derzeit kippeligen Wirtschaftsumfeld erhebliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

    Am auffälligsten war am Montag die Wirkung auf die Wechselkurse. Kapital fließt immer in Richtung höherer Zinsen, sodass eine Zinssenkung in einer Volkswirtschaft die dortige Währung tendenziell verbilligt. So geschah es auch mit dem Yuan, der gegenüber dem Dollar an Wert verlor. Niedrigere Währungskurse stützen so den Export. Sie machen chinesische Waren günstiger. Das wiederum könnte immerhin helfen, die weltweit ausbrechende Inflation zu dämpfen. Wenn denn die Teile da sind, um mehr Exportwaren zu bauen.

    Abkehr vom solideren Finanzkurs?

    Im chinesischen Inland schafft die Zinssenkung aber ein Paradox. Die Regierung versucht eigentlich, zu einer ausgewogeneren Wirtschaftsweise zu finden. In den Jahrzehnten des Aufbaus waren laufend hohe Kapitalinvestitionen sinnvoll. Doch inzwischen wurden mit dem vielen billigen Geld auch Projekte umgesetzt, die sich kaum lohnen. Ein Symptom davon ist die derzeitige Immobilienkrise. Hier fällt eine Blase in sich zusammen.

    Für eine stürmische Wachstumswirtschaft sind solche heftigen Zyklen aus Boom und Korrektur grundsätzlich normal. Doch die Analysten hat nicht zufällig derzeit eher eine Rückführung der Geldmenge im System erwartet. Nach der vorigen Zinssenkung im Januar war wieder sehr viel Kapital unterwegs, das keine Anwendung fand. Auch deshalb investiert Peking für das aktuelle Konjunkturprogramm nicht in die üblichen Sektoren wie den Bau, sondern eher in Hightech-Branchen.

    Jetzt steht die PBoC mit einem Fuß auf dem Gas und mit einem Fuß auf der Bremse. Während sie die Zinsen senkt, hat sie das Volumen der Kredite zurückgefahren, die sie zu genau diesem günstigeren Satz den Geschäftsbanken überlässt.

    Konkret hat die Notenbank den Zins für einjährig-mittelfristige Darlehensfazilitäten (MLF) von 2,85 Prozent auf 2,75 Prozent zurückgenommen und es so für die Banken billiger gemacht, die Mittel in Anspruch zu nehmen. Zugleich stellt sie im MLF-Programm 200 Milliarden Yuan weniger bereit als zuvor. Auch das unterstreicht, dass die Zinssenkung eher einen symbolischen Effekt haben sollte. Die Zielgruppe für die Botschaft war die breite Öffentlichkeit, deren Stimmung steigen sollte.

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    EU, China, USA – Wer kommt schneller durch die Krise?

    Die Weltwirtschaft steht seit Monaten vor zahlreichen Problemen. Erst die Covid-Pandemie mit ständigen Lockdowns, jetzt der Ukraine-Krieg und Unruhe um Taiwan. Wie sind die großen Blöcke – die USA, die EU und China – aufgestellt? Ein Vergleich wichtiger gesamtwirtschaftlicher Faktoren gibt Aufschluss.

    Bei dem Versuch, die derzeitige Lage zu erfassen, zeigt sich die starke internationale Verknüpfung zwischen den einzelnen Blöcken: Rutscht eine Wirtschaftsregion in eine schwere Krise, werden davon auch andere betroffen sein. Besonders bei der Inflation machen die USA und Europa keine gute Figur. Zugleich holt China bei Direktinvestitionen aus dem Ausland stark auf.

    Des einen Überschuss ist des anderen Defizit

    Handelsbilanz: Trotz des harten Lockdowns in Shanghai und der Sanktionen gegen Chinas Nachbarn Russland sind Chinas Exporte im ersten Halbjahr 2022 um 17 Prozent gewachsen. Die USA haben hingegen weiter ein gigantisches Handelsbilanzdefizit. Sie haben also mehr im Ausland eingekauft, als sie ins Ausland verkaufen konnten. Die EU verzeichnet einen knappen Überschuss. Ein Trend, der schon 2021 zu beobachten war: Während China ein Rekordplus von 28 Prozent hatte und einen Überschuss von 690 Milliarden US-Dollar erwirtschaftete, kam die EU nur auf einen Überschuss von 68 Milliarden Euro – der niedrigste Wert seit 2011. Die USA verzeichneten trotz umfangreicher Strafzölle gegen China noch immer ein Defizit von 861 Milliarden US-Dollar, das um über 18 Prozent zunahm – ein Negativrekord.

    Das Defizit des einen Staates ist jedoch der Überschuss des anderen. Ohne ein amerikanisches Handelsdefizit wäre der chinesische Überschuss viel geringer. Sollte die amerikanische Wirtschaft in den kommenden Monaten noch stärker einbrechen, dürften davon auch die chinesischen Exporte betroffen sein. Beide Volkswirtschaften sind über den bilateralen Handel noch immer sehr stark verknüpft. Eine andauernde Wirtschaftskrise in den USA würde sich negativ auf die Handelsbilanz Chinas auswirken.

    Hinzu kommt: Schon rein logisch können die großen Handelsblöcke nicht alle einen Überschuss erwirtschaften, da es sonst keine Region gäbe, die die Defizite macht: Lateinamerika, Afrika und Australien sind volkswirtschaftlich zu klein – und es liegt auch nicht in ihrem Interesse, dauerhaft Defizite zu machen.

    Die Handelsbilanzen spiegeln sich in den Devisenreserven der Staaten wider. Da China viel an die Welt verkauft, nimmt Peking viele US-Dollar ein, die es international anlegt. China verfügt über drei Billionen US-Dollar an Reserven. Die Reserven der EU liegen bei 307 Milliarden. Die USA hingegen haben kaum Reserven, sondern vor allem Auslandsschulden. Viele Experten sagen, die USA können sich das leisten, da sie über den US-Dollar als globale Leitwährung verfügen und viele Investoren US-Staatsanleihen kaufen.

    Andere beharren darauf, dass Schulden zu vermeiden seien und Reserven von Vorteil sind. Doch auch hier gilt: Die Schulden des einen sind die Reserven des anderen. Die USA und China sind hier besonders eng verknüpft. Die Volksrepublik ist nach Japan der zweitgrößte Gläubiger der USA. Die US-Amerikaner sind mit gut einer Billion US-Dollar bei China verschuldet. Wenn die USA keine Schulden mehr machten, verlöre China einen sicheren Hafen für seine Reserven. Andersherum stünden dann auch die USA vor Problemen: Schichtet China seine Devisenreserven in andere Währungen um – was kurzfristig kaum machbar ist – verlöre der Dollar an Bedeutung als globale Leitwährung. Auch hier zeigt sich die noch immer enge Verflechtung der beiden großen Wirtschaftsräume. Sie kommen aus ihrer Beziehung als Gläubiger und Schuldner nicht ohne Weiteres heraus.

    Inflationsraten bereiten Sorge

    Auch bei den Inflationsraten gibt es große Unterschiede zwischen den Blöcken. China hat die mit Abstand niedrigste Inflation. Sie liegt bei 2,7 Prozent. Damit erreichte die Rate den höchsten Wert seit Juli 2020. Im Juni waren die Verbraucherpreise nur um 2,5 Prozent im Jahresvergleich gestiegen. Analysten hatten im Schnitt mit einer etwas höheren Teuerungsrate gerechnet und waren für Juli von 2,9 Prozent ausgegangen. Der Anstieg der chinesischen Erzeugerpreise schwächte sich deutlich ab: Im Juli zogen die Erzeugerpreise im Vergleich zum Vorjahresmonat um 4,2 Prozent an, wie das Statistikamt am Mittwoch mitteilte. Der Anstieg war der niedrigste seit Februar 2021.

    Die Inflation der USA betrug im Juli 8,5 Prozent nach 9,1 Prozent im Vormonat. Die Inflation der EU liegt auf dem gleichen, hohen Niveau. Im Juli waren es 8,9 Prozent. Verantwortlich sind besonders hohe Energiekosten und Lieferkettenprobleme. China profitiert hier von günstigen Energie-Importen aus Russland, weil es die Sanktionen nicht mitträgt. Lieferkettenprobleme bestehen ebenso wenig, weil China mehr exportiert und von den Lockdowns in chinesischen Häfen somit weniger stark betroffen ist als die USA und die EU-Staaten.

    In den USA wird aufgrund der hohen Inflationsraten darüber diskutiert, die Strafzölle gegen China wieder zu senken. Der soziale Frieden ist offenbar wichtiger als die wirtschaftspolitische Konfrontation mit China. Preiswerte Produkte aus China dämpfen die Inflation. Das bedeutet: China verdient noch mehr. Die USA geben noch mehr aus, als sie einnehmen. Auch Europa steht unter dem Druck, mehr in China einzukaufen.

    Vielen Konsumenten oder Unternehmen bleibt dennoch nichts anderes übrig, als sich zu verschulden. Deshalb ist es wichtig, sich die faulen Kredite anzuschauen, Kredite, die nicht mehr bedient werden können. Nur gut 1,8 Prozent aller Kredite in China sind nach Weltbankberechnungen faul. In den USA sind es 1,3 Prozent. Hier ist die EU mit gut zwei Prozent Schlusslicht. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Wirtschaftsräumen sind letztlich aber gering.

    China holt bei FDI auf

    Beim Wachstum gibt es einen klaren Verlierer. Das sind die USA. Nach zwei Quartalen Negativwachstum (minus 1,6 und minus 0,9 Prozent) musste die amerikanische Regierung eine technische Rezession verkünden. Die EU steht, was das Wachstum betrifft, besser da: Gut 2,5 Wachstum sind möglich, allerdings eben auch mit Rekord-Inflation. China liegt beim Wachstum trotz Covid-Krise immer noch vorne, auch wenn das Wachstum deutlich niedriger ist als in normalen Zeiten.

    Ein wichtiges Zeichen der Stabilität und Vertrauenswürdigkeit von Staaten sind die Summen, die ausländische Unternehmen in die Länder investieren. Die Auslandsinvestitionen (FDI) sind 2021 in den USA nach Ende der schwersten Corona-Auswirkungen um 114 Prozent auf 382 Milliarden US-Dollar gestiegen. Das ist gut, allerdings der niedrigste Wert seit 2014. China kam auf ein Allzeithoch von 334 Milliarden, dicht hinter den USA.

    Die Auslandsinvestitionen in die EU sind im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent auf 138 Milliarden eingebrochen. 2019 lag der Wert noch bei 481 Milliarden US-Dollar. 2015 sogar bei 630 Milliarden. Die Werte aus dem ersten Halbjahr 2022 bestätigen den Trend: Die Investitionen nach China sind bis einschließlich Mai trotz Lockdown um 17 Prozent gewachsen. Die FDI in die EU brachen wegen des Ukraine-Krieges ein, besonders in Deutschland. Die Investitionen in den USA stagnierten im ersten Quartal 2022 auf etwas niedrigerem Niveau als 2021.

    Zieht man nur die FDI-Zahlen als Beleg heran, bedeutet das: Das Vertrauen der weltweiten Investoren in China ist auf ein neues Allzeithoch gestiegen. In die USA stagniert es auf hohem Niveau. In die EU sinkt es etwas. Allerdings zeigen Umfragen unter Unternehmen ein anderes Bild: Immer mehr Unternehmen überlegen, Investitionen aus China abzuziehen.

    Auch die Volksrepublik steht vor Herausforderungen

    Die harten wirtschaftlichen Faktoren zeigen: China scheint im “Wettbewerb” der großen Volkswirtschaften eine hohe Krisenfestigkeit zu haben, auch wenn das Wachstum für chinesische Verhältnisse 2022 vergleichsweise niedrig ausfällt.

    Bei den USA und Europa gibt es einige Indikatoren, die in die falsche Richtung zeigen. Besonders die Inflation bereitet den beiden großen westlichen Wirtschaftsräumen derzeit Sorgen. Für die EU prognostizieren einige Experten auch eine Krisengefahr wegen der hohen Überschuldung der südlichen Länder. Zudem hat Europa einen Krieg vor der Haustür, dessen Ende nicht abzusehen ist. Doch die Finanzkrise von 2007/08 und die Corona-Krise haben gezeigt: Kommt es hart auf hart, verfügen auch die USA und die EU über die notwendigen (Finanz-)Mittel, um einem Wirtschaftseinbruch etwas entgegenzusetzen.

    Eine ernste Wirtschaftskrise in den USA oder Europa dürfte auch in China, trotz aller Rivalitäten, keine Freude auslösen. Denn sie würde sich auch auf den “Zulieferer” China auswirken, da dort die Nachfrage sinken würde. Die hohen Überschüsse Chinas stehen also auf tönernen Füßen. Hinzu kommen weitere Faktoren wie die demografische Lage: China droht zu überaltern, bevor es ausreichend Reichtum oder “gemeinsamen Wohlstand” für den Großteil der Menschen geschaffen hat.

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    Robotaxis: Der mobilen Zukunft ein Stück näher

    Das autonomfahrende Taxi Apollo kutschiert nun Passagiere.
    Das selbstfahrende Taxi Apollo kutschiert nun Passagiere.

    Im Stadtteil Nanshan in Shenzhen gehören autonome Taxis schon zum Straßenbild dazu. Viele Menschen schauen gar nicht mehr hin, wenn eines der weißen Autos mit Knubbel auf dem Dach an ihnen vorbeifährt. In dem Aufbau sind Kameras und Sensoren untergebracht, die es möglich machen, dass die Fahrzeuge ohne menschliche Steuerung durch die Stadt fahren.

    An revolutionäre Mobilitätskonzepte des 21. Jahrhunderts in Form von autonomen Robotaxis hat man sich in Shenzhen gewöhnt. Seit mehr als anderthalb Jahren prüft der Internetkonzern Baidu dort schon seine Technologie auf ausgewählten Straßen im öffentlichen Stadtverkehr – stets mit einem Sicherheitsbegleiter auf dem Beifahrersitz.

    Doch während in der US-Metropole San Francisco schon seit Juni Robotaxis des Anbieters Cruise ganz allein und gegen Gebühr kommerziell operieren, hat Shenzhen die nötige Lizenz zum Verzicht auf das Notfall-Personal noch nicht erteilt. Und somit übernehmen Wuhan und Chongqing jetzt die Pinoierrolle, als erste chinesische Städte, eine autonome Taxiflotte von Baidu zu erlauben, die voll und ganz der Technologie vertraut und dafür Geld nimmt.

    Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen

    Baidu teilte mit, dass in Wuhan täglich zwischen 9 und 17 Uhr und in Chongqing von 9:30 bis 16:30 Uhr jeweils fünf Fahrzeuge in ausgewählten Bezirken ihre Dienste anbieten. Die Areale umfassen 13 Quadratkilometer in der Wuhan Economic & Technological Development Zone und 30 Quadratkilometer im Bezirk Yongchuan in Chongqing. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch andere chinesische Städte grünes Licht geben. Verhandlungen mit Peking und Guangzhou laufen bereits.

    Für Baidu ist die Genehmigung ein wichtiger Meilenstein. Der Suchmaschinen-Gigant, der unter sinkenden Werbe-Umsätzen leidet, hat sein Zukunftsgeschäft auf künstliche Intelligenz und autonomes Fahren ausgerichtet. Baidu will die Preise für herkömmliche Taxi-Fahrten deutlich unterbieten. “Wir steuern auf eine Zukunft zu, in der die Fahrt mit einem Robotaxi halb so viel wie eine normale Taxi-Fahrt kosten wird”, sagte Baidu-Gründer Robin Li anlässlich der Vorstellung des kommenden Robotaxis RT6, das ab 2023 auf chinesischen Straßen zu sehen sein wird.

    Noch bis Jahresende will Baidu seine bisherige autonome Flotte auf 600 Fahrzeuge verdoppeln. Das Unternehmen plant, seinen Taxi-Dienst Apollo Go bis 2025 auf 65 chinesische Städte auszuweiten. Bis 2030 dann sogar auf 100 Städte. Dann sollen Zehntausende der autonomen Taxis im Einsatz sein. Der Apollo RT6 soll zu einem Preis von 250.000 Yuan (etwa 36.000 Euro) pro Fahrzeug in Massenproduktion gehen. Das ist laut Baidu nur noch die Hälfte der Kosten des Vorgängermodells. Erstmals soll das Lenkrad eingefahren werden können.

    Ausländer von der Nutzung bislang ausgeschlossen

    Für Baidu und andere Anbieter von Robotaxis ist es wichtig, die Produktionskosten für die Fahrzeuge so weit es geht zu senken, um ihre Fertigung durch den Einsatz auf Chinas Straßen zu refinanzieren. Zumal die Taxi-Fahrten in der Volksrepublik deutlich günstiger sind als etwa in Deutschland.

    Nicht nur baut Baidu seine eigene autonome Taxi-Flotte auf. Es stellt sein Apollo-System auch Dutzenden Autoherstellern in China zur Verfügung, um eigene autonome Autos zu bauen. Baidu gilt in China als führend bei der Entwicklung von Technik, die autonomes Fahren ermöglicht. Nach eigenen Angaben verfügt der Konzern über einen Datenschatz, aus mehr als 20 Millionen Kilometern überwachtem autonomen Fahren. Die Daten nutzt Baidu ähnlich wie Tesla, um seine Algorithmen zu trainieren.

    Für die Nutzer ändert sich im Vergleich zu Fahrdienstleistern wie Didi Chuxing wenig. Sie können eine App samt Bezahlservice herunterladen, Abholort und Ziel eingeben, Minuten später kommt das Robotaxi angerollt. Ausländer können jedoch noch nicht mitfahren, weil die App bisher nur die Registrierung mit einer chinesischen ID-Karte erlaubt. Gregor Koppenburg/Jörn Petring 

    News

    Nach Taiwan-Reise: Sanktionen gegen EU-Ministerin

    Peking hat erstmals eine einzelne EU-Politikerin, die litauische Vize-Verkehrsministerin Agnė Vaiciukevičiūtė, mit Sanktionen belegt. Vaiciukevičiūtė habe das “Ein-China-Prinzip” mit einem Besuch in Taiwan mit Füßen getreten, sich in Chinas innere Angelegenheiten eingemischt und Chinas Souveränität sowie territoriale Integrität untergraben, erklärte das chinesische Außenministerium. Nähere Angaben zur Form der Sanktionen gab das Ministerium nicht bekannt.

    Es würde zudem der Austausch mit dem litauischen Ministerium für Verkehr und Kommunikation ausgesetzt. Vaiciukevičiūtė war vergangene Woche zu einem mehrtägigen Besuch in Taiwan und besuchte dort mehrere Städte. Mit dem taiwanischen Verkehrsministerium wurde im Rahmen der Reise unter anderem eine Absichtserklärung für die Zusammenarbeit zwischen den E-Bus-Herstellern Dancerbus und Tangeng Advanced Vehicles unterzeichnet.

    Vaiciukevičiūtė war nicht die erste litauische Politikerin, die Taiwan in diesem Jahr besucht hat: Vize-Wirtschaftsministerin Jovita Neliupšienė reiste im Juni an und gab die Eröffnung der litauischen Handelsvertretung in Taipeh für September bekannt. Auch Vize-Landwirtschaftsminister Egidijus Giedraitis hatte Taiwan in 2022 bereits besucht – worauf jeweils jedoch nicht mit Sanktionen reagiert wurde.

    Vaiciukevičiūtė ist nun die erste EU-Politikerin und -Ministerin, gegen die einzeln Strafmaßnahmen verhängt wurde. China hatte zuletzt im März vergangenen Jahres Sanktionen gegen europäische Organisationen, Forscher und Abgeordnete des EU-Parlaments erlassen.

    Die Reisetätigkeit westlicher Politiker und Chinas Gegenreaktionen reißen derweil nicht ab. Am Montag sind fünf Abgeordnete des US-Kongresses für einen zweitägigen Besuch in Taiwan eingetroffen. Sie sprachen mit Präsidentin Tsai Ing-wen und Außenminister Joseph Wu. China kündigte prompt neue Manöver der Marine um die Insel an, um gegen die “ausländische Einmischung” zu protestieren. Am Montag überquerten 15 Kampfjets die Mittellinie zwischen dem Festland und Taiwan. ari/fin

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    Wegen Zwangsarbeits-Gesetz: Solar-Stau beim US-Zoll

    Nach Einführung des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) stauen sich Solar-Produkte aus Xinjiang am US-Zoll. Module mit einer Kapazität von mehr als drei Gigawatt werden seit Ende Juni von der Behörde an den Grenzen festgehalten, weil die Importeure die notwendigen Dokumente noch nicht vorlegen können. Laut UFLPA sind die Importeure gezwungen, nachzuweisen, dass Produkte aus Xinjiang ohne Zwangsarbeit in der Wertschöpfungskette hergestellt worden sind.

    Bis Ende des Jahres könnten sich Module mit einer Leistung von insgesamt neun bis zwölf Gigawatt ohne Einfuhr-Genehmigung an den Grenzen stauen, schätzen Analysten. Das neue Gesetz, das Ende Juni wirksam wurde, ist eine Reaktion der USA auf die Zwangsarbeits-Vorwürfe gegen chinesische Produzenten aus der autonomen Region im Nordwesten der Volksrepublik. Nachweislich werden dort uigurische Muslime und Mitglieder anderer ethnischer Minderheiten zu Arbeiten in der Solar-Industrie, aber auch in der Landwirtschaft und der Textilproduktion eingesetzt.

    Importeure aller Produkte aus der Region müssen aufgrund des neuen Gesetzes beweisen, dass die Waren sauber sind. Chinas Regierung weist Vorwürfe gegen Zwangsarbeit kategorisch zurück. grz

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    CATL baut große Fabrik für Batterien in Ungarn

    Der Standort für die nächste Fabrik des Akku-Marktführers CATL in Europa steht fest. Das Unternehmen aus Ningde will 7,34 Milliarden Euro in der ungarischen Stadt Debrecen investieren. Dort sollen nicht nur die Batterien entstehen, sondern auch Batteriezellen. Das ist wichtig, weil ein Großteil der Zellen bisher aus Fernost geliefert wird, auch wenn in der EU immer mehr Batteriewerke entstehen. Die Batterien bestehen im Wesentlichen aus Zellen.

    CATL arbeitet derzeit an einer groß angelegten Expansion im Ausland. In Thüringen entsteht derzeit das erste deutsche Werk des großen und fortschrittlichen Herstellers (China.Table berichtete). In Ungarn befindet sich der neue Standort nun in strategischer Nähe zu Werken der deutschen Autobauer Daimler, BMW und Volkswagen. Daimler Truck arbeitet bereits mit CATL zusammen (China.Table berichtete). Jetzt tritt die Pkw-Sparte von Daimler als Erstkunde für die Batterien aus der neuen Fabrik auf. Die Fertigung dort soll CO2-neutral erfolgen. fin

    • Autoindustrie

    Staatskonzerne ziehen sich von New Yorker Börse zurück

    Fünf chinesische Staatskonzerne haben ihren Rückzug von der New York Stock Exchange angekündigt. Der Lebensversicherer China Life, die Ölriesen Sinopec und PetroChina, der Alu-Konzern Chalco sowie der Chemiekonzern Sinopec Shanghai Petrochemical kündigten am Freitag Anträge für ein Delisting ihrer US-Hinterlegungsscheine (ADS) noch im August an. Sie gehören zu den knapp 270 chinesischen Unternehmen, denen die USA in einem Gesetz im Mai mit dem Ausschluss von der New York Stock Exchange gedroht haben, weil sie die Bilanzstandards der amerikanischen Wirtschaftsprüfer nicht erfüllten.

    Die Regierungen in Peking und Washington verhandeln über eine Lösung in dem Streit. Die USA fordern einen vollständigen Einblick in die Bücher und die Prüfungsunterlagen chinesischer Unternehmen, die in New York börsennotiert sind, China verweigert das aber mit Verweis auf die nationale Sicherheit. PetroChina erklärte, ihr Kapitalbedarf ließe sich auch über die Börsen in Shanghai und Hongkong decken, die auch “die Interessen der Anleger besser schützen”.

    Die chinesische Börsenaufsicht CSRC betonte, die Konzerne hätten sich immer genau an die Regeln und Anforderungen des US-Kapitalmarktes gehalten, seit sie in New York börsennotiert sind. Der Rückzug von der New Yorker Börse (Nyse) sei eine unternehmerische Entscheidung. “China sendet die Botschaft, dass seine Geduld in den Verhandlungen um die Prüfung der Bilanzen geringer wird”, sagte Kai Zhan von der chinesischen Anwaltskanzlei Yuanda, die unter anderem auf den US-Kapitalmarkt spezialisiert ist.

    Von einem Delisting in New York bedroht sind auch die chinesischen Börsen-Riesen Alibaba, JD.com und Baidu. China Telecom, China Mobile und China Unicom hatten die US-Börse im vergangenen Jahr verlassen, weil die damalige US-Regierung von Donald Trump Investments in chinesische Technologiefirmen beschränkt hatte. rtr

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    Exodus ausländischer Arbeiter

    Jeder vierte ausländische Angestellte in deutschen Unternehmen hat China seit 2019 verlassen. Das geht aus einer Erhebung der Außenhandelskammer (AHK) China hervor. Als Hauptursachen für den Exodus werden die Coronavirus-Politik der Regierung und ein höheres Lohnniveau angeführt. Für jedes dritte Unternehmen sind die Visa-Beschränkungen für Ausländer ein Grund, mehr lokale Arbeitskräfte einzustellen. 22 Prozent der Unternehmen wollen die Anzahl ausländischer Arbeitskräfte weiter reduzieren. Fast 42 Prozent geben an, insgesamt Arbeitsplätze abbauen zu wollen. Die AHK hat für ihren “Arbeitsmarkt- und Gehaltsbericht” 446 Unternehmen befragt. nib

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    Standpunkt

    Der China-Joker der Deglobalisierung

    von Stephen S. Roach
    Stephen S. Roach, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Senior Fellow am Jackson Institute for Global Affairs der Yale University sowie Dozent an der Yale School of Management
    Stephen S. Roach, Wirtschaftsprofessor an der Yale-Universität und ehemals Chairman bei Morgan Stanley Asia.

    Die weithin gelobte Globalisierung der Zeit nach dem Kalten Krieg läuft jetzt rückwärts. Die anhaltende Verlangsamung des Welthandels wurde durch pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungsketten, den anhaltenden Druck durch den Handelskrieg zwischen den USA und China sowie den Bemühungen, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen mit geostrategischen Allianzen (“Friendshoring“) in Einklang zu bringen, noch verstärkt. Diese Entwicklungen ziehen die Schlinge um China enger – das Land, das wohl am meisten von der modernen Globalisierung profitiert hat.

    Von den vielen Messgrößen der Globalisierung – einschließlich der Finanz-, Informations- und Arbeitsströme – ist der grenzüberschreitende Austausch von Waren und Dienstleistungen am engsten mit dem Wirtschaftswachstum verbunden. Vor allem aus diesem Grund deutet die Verlangsamung des Welthandels, die nach der globalen Finanzkrise 2008/09 einsetzte und sich in der Covid-19-Ära noch verstärkte, auf einen grundlegenden Wandel der Globalisierung hin. Während die weltweiten Exporte von 19 Prozent des weltweiten BIP im Jahr 1990 auf einen Spitzenwert von 31 Prozent im Jahr 2008 anstiegen, betrugen die weltweiten Exporte in den dreizehn Jahren danach (2009-21) durchschnittlich nur noch 28,7 Prozent des weltweiten BIP. Wären die weltweiten Exporte um 6,4 Prozent gewachsen – auf halbem Weg zwischen dem rasanten Tempo von 9,4 Prozent im Zeitraum von 1990 bis 2008 und der gedämpften Rate von 3,3 Prozent nach 2008 -, wäre der Exportanteil am globalen BIP bis 2021 auf 46 Prozent gestiegen, weit über den aktuellen Anteil von 29 Prozent.

    Covid verstärkt einen Wandel der Globalisierung

    Die Vorteile, die China aus der Globalisierung des Handels gezogen hat, sind außergewöhnlich. In den zehn Jahren vor Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 machten die chinesischen Exporte im Durchschnitt nur zwei Prozent der gesamten weltweiten Ausfuhren aus. Bis 2008 hatte sich dieser Anteil fast vervierfacht und betrug 7,5 Prozent. China hatte sein Beitrittsgesuch zur WTO genau zum richtigen Zeitpunkt eingereicht – nämlich genau dann, als sich der Welthandel in einem starken Aufschwung befand. Zwar forderte die Finanzkrise einen kurzen Tribut von der chinesischen Exportdynamik, doch war diese Unterbrechung nur von kurzer Dauer. Bis 2021 stiegen die chinesischen Exporte auf 12,7 Prozent der weltweiten Ausfuhren und lagen damit deutlich über dem Höchststand von vor 2008.

    Es ist unwahrscheinlich, dass China diese Leistung beibehalten kann. Das Gesamtwachstum des Welthandels verlangsamt sich, und Chinas Anteil am Handelskuchen gerät zunehmend unter Druck.

    Besonders problematisch ist der anhaltende Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten. Während der ersten Phase von Chinas exportorientiertem Wachstumsschub nach dem WTO-Beitritt waren die USA durchweg Chinas größte Quelle der Auslandsnachfrage. Vor allem wegen der vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump verhängten Zölle ist dies nun nicht mehr der Fall. Bis 2020 sind die US-Importe chinesischer Waren und Dienstleistungen um 19 Prozent unter den Höchststand von 2018 gefallen. Trotz der deutlichen Erholung der US-Wirtschaft nach der Pandemie blieben die US-Einfuhren aus China 2021 um 5 Prozent unter dem Höchststand von 2018. Eine teilweise Senkung der Zölle auf ausgewählte Konsumgüter – die die Regierung von Präsident Joe Biden offenbar als Mittel zur Inflationsbekämpfung in Erwägung zieht – wird den bilateralen Handel kaum ankurbeln.

    US-Importe aus China sind eingebrochen

    Gleichzeitig werden anhaltende pandemiebedingte Unterbrechungen der Versorgungskette wahrscheinlich einen hohen Tribut in China und dem Rest der Welt fordern. In den sechs Monaten bis April lag der von Forschern der Federal Reserve Bank of New York erstellte “Global Supply Chain Pressures Index” bei durchschnittlich 3,6 und damit deutlich über dem Wert von 2,3 in den ersten 21 Monaten nach Beginn der pandemiebedingten Lieferstopps im Februar 2020 und deutlich über dem Wert von “Null”, der das Ausbleiben von Lieferkettenunterbrechungen markiert.

    Für eine Welt, die durch Lieferketten verbunden ist, ist dies von großer Bedeutung. Globale Wertschöpfungsketten waren für mehr als 70 Prozent des kumulativen Wachstums des gesamten Welthandels von 1993 bis 2013 verantwortlich – und China hat einen übergroßen Anteil an dieser durch globale Wertschöpfungsketten ermöglichten Expansion gehabt. Da es weiterhin zu Unterbrechungen der Lieferketten kommt, die durch Chinas Null-Covid-Politik noch verschärft werden, wird der Druck auf die chinesische und globale Wirtschaftstätigkeit wahrscheinlich hoch bleiben.

    Die zunehmenden geostrategischen Spannungen sind der Joker in der Deglobalisierung, insbesondere ihre Auswirkungen auf China. “Friendshoring” verwandelt das Ricardo’sche Effizienzkalkül des grenzüberschreitenden Handels faktisch in eine Bewertung von Sicherheitsvorteilen, die sich aus strategischen Allianzen mit gleichgesinnten Ländern ergeben. Chinas neue unbegrenzte Partnerschaft mit Russland ist in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung. Da China sich dem Schritt annähert, die russische Militäraktionen in der Ukraine zu unterstützen, haben die USA vor kurzem über ihre so genannte Entity List Sanktionen gegen fünf weitere chinesische Unternehmen verhängt.

    Darüber hinaus sind die chinesischen Käufe russischer Energieerzeugnisse eine wichtige Stütze für die russische Wirtschaft und wirken so den Auswirkungen der beispiellosen westlichen Sanktionen entgegen. Das erhöht das Risiko, dass sich China durch Assoziation mitschuldig macht. Unterdessen sind auch Anzeichen für eine Deglobalisierung der Finanzmärkte erkennbar, da China seine Bestände an US-Staatsanleihen kontinuierlich auf ein Niveau reduziert, das es seit 2010 nicht mehr gegeben hat – eine wenig beruhigende Entwicklung für die sparschwache, defizitäre US-Wirtschaft.

    Handel war der Klebstoff der Weltwirtschaft

    Die USA sind bei diesem Ausbruch geostrategischer Spannungen kaum nur unschuldiger Zuschauer. Die immer wieder auftauchenden Gerüchte über eine bevorstehende Taiwan-Reise der Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, spielen eindeutig mit Chinas Stolperdrähten in Bezug auf ein Land, das es als eines seiner Kerninteressen definiert hat. Das Gleiche gilt für die parteiübergreifende Unterstützung der Anti-China-Gesetze, die sich langsam ihren Weg durch den US-Kongress bahnen.

    So wie der russische Präsident Wladimir Putin versucht hat, seine skrupellose Aggression in der Ukraine als Verteidigung gegen die NATO-Erweiterung zu rechtfertigen, spielen Chinas langjährige Ängste vor einer amerikanischen Eindämmung auf ähnliche Befürchtungen in chinesischen Führungskreisen an. Henry Kissinger, der Architekt der modernen US-China-Politik, warnte vor kurzem vor Amerikas Neigung zu einer “endlosen Konfrontation” mit China und rief zu einer “Nixon’schen Flexibilität” auf, um einen zunehmend gefährlichen Konflikt zu lösen. Doch wie ich in meinem demnächst erscheinenden Buch Accidental Conflict darlege, wird es weit mehr brauchen, um der Eskalation des chinesisch-amerikanischen Konflikts ein Ende zu setzen.

    Globalisierung war immer ein griffiger Begriff auf der Suche nach einer Theorie. Ja, der Handel war der Klebstoff, der die Integration der Weltwirtschaft förderte. Aber es war kaum die steigende Flut, die wirklich alle Boote anhob. Angesichts des Klimawandels, der Pandemien und eines schockierenden neuen Krieges in Europa – ganz zu schweigen von der zunehmenden Ungleichheit und den damit verbundenen sozialen und politischen Spannungen – liegt die Verteidigung der Globalisierung in Trümmern. Und China hat vielleicht am meisten zu verlieren.

    Stephen S. Roach, ehemaliger Vorsitzender von Morgan Stanley Asia, ist Fakultätsmitglied an der Yale University und Autor des in Kürze erscheinenden Buches “Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives” (Yale University Press, November 2022). Übersetzung: Andreas Hubig.

    Copyright: Project Syndicate, 2022.
    www.project-syndicate.org

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    Heads

    Ryan Hass – Obamas Berater in China-Fragen

    Ryan Hass war China-Experte des Weißen Hauses und ist heute Senior Fellow der Brookings Institution
    Ryan Hass war China-Experte des Weißen Hauses und ist heute Senior Fellow der Brookings Institution

    “Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, als mich das Weiße Haus anrief”, erinnert sich Ryan Hass im Gespräch mit China.Table. Hat er aber nicht. Denn Präsident Obama wollte Hass in sein China-Team holen. Die vielfältigen Erfahrungen dieser Jahre nützen ihm mittlerweile bei der Analyse der aktuellen Entwicklungen der Beziehungen zwischen China und den USA.

    Schon früh zieht es Hass weit weg von zu Hause – zunächst geht er für das Studium von der Westküste der USA an die Ostküste in die Hauptstadt Washington. Aber Hass will im Ausland leben, und er will sich für die Außenbeziehungen seines Landes einsetzen. Im letzten College-Jahr nimmt er an der Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst teil. “Ich habe nicht wirklich erwartet, die Prüfung zu bestehen”, gibt Hass zu. Tatsächlich wird er mit 23 Jahren der jüngste Junior-Diplomat seines Jahrgangs.

    Das Pentagon bildet Hass dann systematisch für eine Karriere in Asien und insbesondere China aus. “Doch das China, das ich dann kennengelernt habe, unterschied sich sehr von dem China, auf das ich vorbereitet wurde.” Denn Hass kommt 2009 an die US-Botschaft in Peking. Ein Jahr nach der Finanzkrise ist der Westen geschwächt und die Olympischen Spiele haben China neues Selbstbewusstsein verliehen. “Man konnte fühlen, wie sich die tektonischen Platten verschieben”, erinnert sich Hass.

    Das Weiße Haus und die Weltordnung

    Inmitten dieser Machtverschiebung wird Hass 2013 Direktor für China, Taiwan und die Mongolei im Nationalen Sicherheitsrat des Weißen Hauses – daher der Anruf von Obama. “Es war eine unglaubliche Erfahrung und die Chance meines Lebens, für den Präsidenten zu arbeiten”, so Hass. Er begleitet Obama auf seinen China-Besuchen. Schon damals ist zu spüren, wie sich die amerikanisch-chinesischen Beziehungen verhärten.

    China fordert die Vormachtstellung der USA heraus. Die globalen Machtzentren verschieben sich. Wenn Hass einen Blick in die Zukunft wagt, entwirft er jedoch ein differenziertes Bild: Zwar sei Chinas Aufstieg nicht linear, aber Chinas Position im Zentrum der Lieferketten und der Handelsarchitektur sei stark. “Die Welt wird somit multipolarer, aber in dieser Multipolarität ragen die USA und China heraus”. Für beide werde es dadurch immer schwieriger, die Angelegenheiten anderer Länder zu beeinflussen.

    Eine Zeit des harten Wettbewerbs steht bevor

    Wie sich die USA in der neuen Weltordnung positionieren sollten, analysiert Hass seit 2018 als Senior Fellow bei der renommierten Denkfabrik Brookings Institution. Hass ist sicher: Harter Wettbewerb werde die Beziehungen zwischen den USA und China auf Jahre prägen. Aber genauso die wechselseitige Abhängigkeit beider Länder. Die USA müssen daher versuchen, mit China mitzuhalten, statt es zu bremsen und sich damit selber zu schaden. So wird Innenpolitik zur Außenpolitik. Und der Wettbewerb mit China wird dann mit Investitionen in Schulen, Straßen und Start-ups geführt.

    Dennoch gebe es rote Linien, betont Hass. Da wo die USA Chinas revisionistische Außenpolitik ermöglicht, müsse der Wettbewerb aufhören, fordert er und klingt hier wieder mehr wie ein Politiker. Das heißt konkret: Exportbeschränkungen zum Beispiel bei der Halbleiterproduktion. Im Idealfall funktioniere der Wettbewerb dann wie ein Marathon: Fair und mit so wenig Zusammenstößen wie möglich. Wer am Ende den längeren Atem hat, wird sich zeigen. Jonathan Lehrer

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    China.Table Redaktion

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