Evergrande ist zahlungsunfähig – das ist schon seit Monaten klar. Dennoch ist eine formelle Insolvenz des Immobilien-Konzerns noch immer nicht absehbar. In Deutschland würde man längst von Insolvenzverschleppung sprechen. In China haben Firmen jedoch genug Spielraum, um das Ende immer weiter hinauszuzögern. Elske Fehl-Weileder, Expertin für chinesisches Insolvenzrecht, erklärt im Interview mit Christian Domke Seidel, was hinter dieser Taktik steckt und warum eine Insolvenz auch in China eine Chance für einen Neuanfang sein kann.
In deutschen Großstädten konnte man sich in den vergangenen Wochen kaum vor den Plakaten von Shen Yun retten. Diese Woche sind Auftritte des Ensembles in Berlin geplant. Dass es sich dabei nicht um Folklore aus der Volksrepublik handelt, analysiert Fabian Peltsch. Denn die Tanz-Show Shen Yun ist eng verbunden mit der Bewegung Falun Gong. Und die hat, was Peking gerne hätte: kulturelle Soft Power.
Um Deutschlands diplomatische Power geht es heute in unserem Portrait. Dort stellen wir Ihnen die künftige deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, vor. Wann Flor den Posten antreten wird, ist noch nicht klar – auch eine offizielle Mitteilung des Auswärtigen Amts zu der Besetzung fehlt noch. Und das, obwohl sowohl in Peking als auch in Berlin die Spatzen die Neuigkeit mittlerweile von den Dächern pfeifen.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Der Handel mit den Aktien wurde ausgesetzt und der Jahresabschluss verschoben. Bei Tochterfirmen verschwinden fest eingebuchte Milliarden-Beträge und Vermögen werden eingefroren. Immer wieder verpasst der Konzern Zins- und Kreditrückzahlungen. In Deutschland hätten sich die Manager des Evergrande-Konzerns angesichts solcher Taktiken vermutlich längst wegen Insolvenzverschleppung strafbar gemacht. In China sieht das jedoch anders aus. Hier haben Firmen reichlich Möglichkeiten, das Ende hinauszuzögern. Im Interview mit China.Table gibt Elske Fehl-Weileder einen Einblick in das Wirtschaftsrecht der Volksrepublik. Die Rechtsanwältin arbeitet im Geschäftsbereich Internationale Insolvenzverwaltung bei Schultze & Braun und ist Expertin für das chinesische Insolvenzrecht. Sie erklärt, warum es noch keinen erfolgreichen Insolvenzantrag von internationalen Gläubigern gegen den Evergrande-Konzern gab.
Nach unserem europäischen Verständnis ist Evergrande längst pleite. Warum musste der Konzern noch keine Insolvenz anmelden?”
In China ist die Geschäftsführung eines Unternehmens gesetzlich nicht dazu verpflichtet, im Fall einer bilanziellen Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Überschuldung oder Eintritt der Zahlungsunfähigkeit haben für chinesische Unternehmen und die handelnden Personen also keine direkten Konsequenzen. In Deutschland ist das anders: Hierzulande ist ein Geschäftsführer – seit dem 1. Mai 2021 gilt die sogenannte Insolvenzantragspflicht nach der coronabedingten Aussetzung wieder vollumfänglich – dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn sein Unternehmen überschuldet ist oder die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Verletzt er diese Pflicht, macht er sich strafbar und kann persönlich finanziell haftbar gemacht werden – Stichwort Insolvenzverschleppung.
Was hat das für Konsequenzen?
Die fehlende Antragspflicht ist ein Grund, weshalb in China die Zahl der gerichtlichen Insolvenzverfahren im Vergleich zur Gesamtzahl der Unternehmen sehr niedrig ist. Hinzu kommt, dass in China eine Insolvenz in der Regel als Scheitern wahrgenommen und deshalb oft auf einen Insolvenzantrag verzichtet wird. Das macht die Situation für ausländische, aber auch für chinesische Geschäftspartner chinesischer Unternehmen sehr schwierig, da chinesische Unternehmen häufig ohne geordnetes Insolvenzverfahren aus dem Markt austreten. Das halte ich aber bei einem Unternehmen von der Größe von China Evergrande für sehr unwahrscheinlich.
Wann kommt der Zeitpunkt, an dem auch in China eine Insolvenz nicht mehr weiter hinauszuzögern ist?
Wenn die Stundung für eine Zinszahlung ausgelaufen sind und keine Zahlung erfolgt ist, muss der ausstehende Betrag als fällige Forderung in die Zahlungsunfähigkeitsberechnung eingestellt werden. Generell gilt: Wenn die liquiden Mittel eines Unternehmens nicht ausreichen, um die fälligen Verbindlichkeiten zu decken, ist das Unternehmen zahlungsunfähig. Es liegt dann ein sogenannter Insolvenzgrund vor. Den Zeitpunkt, ab dem die Zahlungsunfähigkeit eintritt, kann man bei jedem Unternehmen auf der Welt tagesgenau berechnen. In China ist dieser Stichtag aber weniger relevant als in Deutschland, da es dort, wie bereits erwähnt, keine Insolvenzantragspflicht gibt.
Wie würde es in Deutschland ablaufen?
In Deutschland beginnt ab dem Stichtag – also dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – eine Frist von maximal drei Wochen, innerhalb die Geschäftsführung den Insolvenzgrund beseitigen muss. Gelingt das nicht, muss der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellen. In China gibt es diese Pflicht, wie bereits erwähnt, nicht. Dabei macht auch die Verschiebung der Vorlage des Jahresabschlusses keinen Unterschied. Sie stellt zwar einen Verstoß gegen Börsenvorschriften dar, liefert aber per se kein Grund für einen Insolvenzantrag – weder in China noch in Deutschland.
Man kann vor diesem Hintergrund durchaus davon ausgehen, dass die Verantwortlichen bei China Evergrande ihre Restrukturierungsbemühungen – im Januar hat der Konzern seinen Gläubigern ja mitgeteilt, dass innerhalb der nächsten sechs Monate ein vorläufiger Umstrukturierungsplan vorgelegt werden soll – so lange fortsetzen, bis eine Einigung mit den Gläubigern erzielt wurde oder ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gegen China Evergrande stellt. Oder anders formuliert: Da weder das Unternehmen selbst, noch ein Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen muss, besteht in China letztendlich die Möglichkeit, trotz Insolvenzreife auf ein gerichtliches Insolvenzverfahren zu verzichten und entweder zu versuchen, das Unternehmen zu restrukturieren, oder sich ungeordnet aus dem Markt zu verabschieden.
Welche Optionen hat ein europäischer Gläubiger, einen Insolvenzantrag in China zu stellen?
Zunächst einmal ist es maßgeblich, eine fällige Forderung gegen das chinesische Unternehmen zu haben, gegen das sich der Insolvenzantrag richtet – und das kann wie im Fall von China Evergrande durchaus eine Zinszahlung auf eine Anleihe sein. Erst dann kann man als Gläubiger überhaupt einen Insolvenzantrag gegen die Gesellschaft stellen. Generell gilt: Mit einem solchen sogenannten Fremd- oder Gläubigerantrag muss sich das zuständige Insolvenzgericht beschäftigen.
Allerdings sind die Hürden für einen solchen Antrag nicht zu unterschätzen. So muss der Antrag dem Gericht auf Chinesisch vorgelegt und mit aussagekräftigen Dokumenten begründet werden. Das kann zum Beispiel der Nachweis sein, dass bis zu einem bestimmten Stichtag die Zahlung der offenen Forderung final fällig gewesen wäre. Gut ist zudem, wenn der Gläubiger einen Nachweis bringen kann, dass die fällige Forderung angemahnt wurde. Wichtig ist darüber hinaus: Der Gläubiger muss den Insolvenzantrag bei dem Gericht einreichen, das für die jeweilige Gesellschaft zuständig ist. Bei einem Konzern von der Größe von China Evergrande ist das aber nicht ohne Weiteres herauszufinden.
Angenommen, ein Gläubiger nimmt bis hierhin alle Hürden für einen Insolvenzantrag gegen China Evergrande – was passiert dann und wie lange dauert es?
Ist klar, dass das Gericht zuständig ist und liegen ihm der Antrag und entsprechende Nachweise vor, entscheidet das Gericht, ob es den Insolvenzantrag zur Bearbeitung annimmt. Lehnt es den Antrag ab – etwa, weil die Nachweise nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend sind – hat der Gläubiger zehn Tage Zeit, um beim nächsthöheren Gericht dagegen Berufung einzulegen. Wenn das Gericht den Insolvenzantrag des Gläubigers annimmt, erhält China Evergrande Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
Nimmt China Evergrande diese Gelegenheit nicht wahr, oder kann nicht nachweisen, dass kein Insolvenzgrund vorliegt, werden ein oder mehrere Insolvenzverwalter eingesetzt. Bei ihnen können die Gläubiger ihre Forderungen dann zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Dem Gläubiger, der mit seinem Insolvenzantrag erfolgreich war, stehen im Verfahren Auskunftsrechte zu. Da es bis dato keine Berichte über einen erfolgreichen Insolvenzantrag eines Gläubigers gegen China Evergrande gibt – und die würde es aus meiner Sicht in einem solchen Fall schon allein aufgrund der Größe von China Evergrande geben – gehe ich davon aus, dass ein solcher Antrag nicht erfolgt ist oder nicht zu einem gerichtlichen Insolvenzverfahren geführt hat.
Insolvenz heißt wahrscheinlich auch in China nicht, dass die Firma verschwindet. Was sind im Anschluss die Möglichkeiten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und die Welt nicht in eine Finanzkrise zu stürzen?
Eine Insolvenz bedeutet in Deutschland und in China nicht automatisch, dass das insolvente Unternehmen abgewickelt wird. Die Insolvenz ist vielmehr die Chance auf einen Neuanfang. Eine Besonderheit in China ist, dass – anders als in Deutschland – ein Gläubigerantrag auch auf die Verfahrensart “Reorganisation” gerichtet sein kann. Für die Gläubiger ist die Sanierung eines Unternehmens – also dessen Erhalt zum Beispiel über einen Verkauf der Vermögenswerte – finanziell gesehen sogar lukrativer als eine Liquidation. Denn dann ist die sogenannte Insolvenzmasse größer, aus der die anerkannten Forderungen der Gläubiger befriedigt werden.
Im Fall einer Insolvenz können Gläubiger ihre Forderungen zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Das bedeutet, dass sie am Ende des Verfahrens aus dem Vermögen, das der Insolvenzverwalter sammeln konnte, einen quotalen Anteil ihrer Forderung zurückgezahlt bekommen. In China ist es insbesondere für einen ausländischen Gläubiger allerdings durchaus aufwändig, seine Forderung anzumelden, da er die dafür notwendigen Unterlagen in chinesischer Sprache einreichen muss. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die sogenannte Insolvenzquote mitunter auch bei einem Verkauf der Vermögenswerte eines Unternehmens in der Regel meist nur einstelligen Bereich liegt.
Welche Besonderheiten gelten hier in China?
Bei einem Insolvenzverfahren in China ist zu beachten, dass zusätzlich zu den Verfahrenskosten und den gesicherten Gläubigern – in der Regel zum Beispiel Banken – auch die Forderungen der Arbeitnehmer vorrangig vor den sonstigen Gläubigern zu begleichen sind, sodass sich die Quote dadurch nochmals verringern kann. Für die Gläubiger von China Evergrande ist und bleibt es daher aller Wahrscheinlichkeit dabei, dass sie Geld verlieren werden. Sie müssen sich allerdings die Frage stellen, wie viel Einfluss sie auf die Restrukturierung von China Evergrande nehmen wollen und ob sie bereit sind, die ohne Zweifel vorhandenen Hürden und Kosten für einen Insolvenzantrag gegen das Unternehmen zu tragen.
“China vor dem Kommunismus” lautet der Untertitel des Show-Spektakels Shen Yun, das am 29. und 31. März in Berlin gastiert. Auf den vielen Plakaten sieht man eine ins Bild springende Tänzerin in Hanfu-Kleidung, die weiten Ärmel wie zwei Flügel aufgespannt. Shen Yun verbindet Akrobatik und Musik mit traditionellen chinesischen Elementen. Doch das 80-köpfige Ensemble ist weit davon entfernt, ein chinesischer Staatszirkus zu sein. Hinter Shen Yun steht Falun Gong, eine auch als Falun Dafa bekannte spirituelle Bewegung, die in China verboten ist. Ihre Mitglieder haben sich im Exil zu einer mächtigen Stimme gegen Peking zusammengeschlossen. In diesem Kontext ist auch der Titel der Veranstaltung zu verstehen: Für die Macher von Shen Yun endete die 5.000-jährige Zivilisation Chinas mit der Machtübernahme durch die Kommunisten.
Dabei waren sich Falun Gong und die kommunistische Partei Chinas nicht immer feindlich gesinnt. Als ihre Techniken zur Ertüchtigung von Körper und Geist Mitte der 90er-Jahre Bekanntheit erlangten, wurden sie von der Partei zunächst als Praktik zur Stärkung der Volksgesundheit willkommen geheißen. Hohe Kader und ganze Polizeieinheiten ließen sich von Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi persönlich behandeln. Die Bewegung konnte nicht auf “ausländische Kräfte” zurückgeführt werden. Symbole, Terminologie und Techniken bedienen sich bei Buddhismus, Taoismus und traditionellem Qi-Gong.
Mit seinen religiösen und moralischen Bezügen bot Falun Gong vielen Chinesen, die von den Veränderungen der Reform und Öffnungspolitik überfordert waren, einen Halt. Auf ihrem Höhepunkt sollen der Bewegung zwischen 70 und 100 Millionen Chinesen angehört haben – mehr als die kommunistische Partei in China Mitglieder hatte. Damit war für Peking die kritische Masse erreicht, zumal die effizient strukturierte Organisation vor Protesten nicht zurückschreckte. Am 25. April 1999 demonstrierten 10.000 Anhänger wegen kritischer Berichterstattung in einigen staatlichen Medien vor dem Regierungssitz in Peking. Am 22. Juli 1999 verbot Chinas Regierung Falun Gong dann mit der Begründung, es sei ein “böser Kult” und eine “verbrecherische Sekte”. Hunderttausende Anhänger entgingen Verhaftung und Folter, indem sie Li Hongzhi ins Exil folgten.
Vor allem in den USA lebte die Organisation als Massenbewegung weiter. Zudem entwickelte sie sich zum antikommunistischen Sprachrohr. Falun-Gong-Praktizierende starteten in den USA mehrsprachige Nachrichtenmedien wie die Zeitung Epoch Times, die in 36 Ländern erscheint und den Kabelsender New Tang Dynasty Television (NTD), der laut eigenen Angaben Korrespondenten in weltweit 70 Städten beschäftigt. Das inoffizielle Hauptquartier von Falun Gong befindet sich im Bundesstaat New York. Dort wurde im Jahr 2006 auch die Gruppe “Shen Yun Performing Arts” gegründet. Shen Yun hat, was Peking gerne hätte: kulturelle Soft Power. Die Show, die weltweit von rund 400 Tänzern und Tänzerinnen auf die Beine gestellt wird, ist regelmäßig in prestigeträchtigen Konzerthäusern auf der ganzen Welt ausverkauft. Dieses Jahr führt die Welttournee durch 81 Städte auf vier Kontinenten.
Der Erfolg von Shen Yun hat auch mit den massiven Werbeausgaben zu tun. Die Banner der Veranstaltung sind im Netz und in den urbanen Räumen so allgegenwärtig, dass sie sogar zum Internet-Meme wurden. Ein bekanntes zeigt “neue Bilder der Rover-Marssonde”: Weite Ebenen aus rotbraunem Sand, und mittendrin, als einziger Fixpunkt am Horizont ein Plakat von Shen Yun. Das Budget kommt zum einen aus den Ticketpreisen, die zwar je nach Stadt und Veranstaltungsort variieren, aber meist die Hundert-Euro-Marke knacken. In der Deutschen Oper in Berlin reicht die Preisspanne bei den Veranstaltungen Ende März von 72 bis 152 Euro.
Zum anderen tragen die vielen freiwilligen Helfer der lokalen Falun-Dafa-Vereine dazu bei, dass Shen Yun die Ausgaben niedrig halten kann. 2016, dem letzten Jahr, in dem offizielle Zahlen verfügbar sind, erzielte Shen Yun Einnahmen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar, während die Ausgaben nur rund 7,3 Millionen US-Dollar betrugen. Dass Shen Yun zu Falun Gong gehört, wird nur subtil kommuniziert. Auf den ersten Blick soll die Darbietung der Tanzkompanie die chinesische Kultur repräsentieren. Einzelne Szenen stellen jedoch recht offensichtlich Repressionen gegen Falun-Gong-Anhänger dar: In schwarze Gewänder gekleidete Gesellen mit Hammer und Sichel auf dem Rücken knüppeln begleitet von Paukenschlägen meditierende Frauen nieder. Auch eine riesige Tsunami-Welle mit dem Konterfei von Karl Marx soll bereits Teil der Show gewesen sein.
Chinesische Auslandsvertretungen versuchen den vermeintlichen Kulturexport aus China zu boykottieren. Der deutsche Verfassungsschutz berichtete bereits 2008, dass das chinesische Generalkonsulat in München versucht haben soll, eine Deutschland-Tournee von Shen Yun zu verhindern, indem es dem deutschen Veranstalter mit Nachteilen drohte. Das historisch recht frei interpretierte Musical sei ganz offensichtlich keine kulturelle Darbietung, “sondern ein politisches Instrument von ‘Falun Gong’, um seine kultischen Botschaften zu predigen, Anti-China-Propaganda zu verbreiten und Spenden einzutreiben”, erklärt die chinesische Botschaft in den USA auf ihrer Webseite.
Ein dankbares Ziel für Kritik bietet dabei Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi, der seit 1998 in den USA lebt und dort mit fragwürdigen Aussagen aufgefallen ist. In einem Interview mit dem Time-Magazin sprach Li von Außerirdischen, die mithilfe wissenschaftlicher Experimente Herr über die Menschheit werden wollen. An anderer Stelle erklärte er, dass die Seelen im Jenseits nach Hautfarbe getrennt würden und Homosexualität und Atheismus Geißeln der Moderne seien. Auch wenn viele Jünger seine kruden Ansichten teilen dürften, spielt Li als sichtbare Führungspersönlichkeit von Falun Gong offenbar keine Rolle mehr. Der 70-Jährige lebt zurückgezogen und kommuniziert fast ausschließlich durch Beiträge auf Falun-Gong-Webseiten.
In der chinesischen Geschichte waren die Herrschenden immer wieder von spirituellen Geheimbünden bedroht, etwa von der Taiping-Rebellion unter dem Christen Hong Xiuquan, die im 19. Jahrhundert Nanjing einnahm und die Stadt zur Himmlischen Hauptstadt erkläre. Doch diese und andere Bewegungen aus dem Volk schafften es nie, sich wie Falun Gong jenseits der Landesgrenzen dauerhaft zu etablieren. Chinas damaliger Staatschef Jiang Zemin wollte Falun Gong in den 90er-Jahren eigentlich innerhalb von 100 Tagen eliminieren. Das ist gründlich schiefgegangen. Durch das Verbot zu Hause hat sich Chinas Regierung einen global aufgestellten Gegenspieler geschaffen, den sie so schnell nicht wieder loswird.
Über Shanghai wird ab Montag ein vollständiger Lockdown in zwei Stufen verhängt. Das meldete die Stadtregierung am Sonntagabend. Die Bezirke östlich des Huangpu-Flusses sollen demnach zwischen dem 28. März und dem 1. April abgeriegelt werden. Die westlichen Bezirke folgen vom 1. bis zum 5. April. Der Lockdown soll vor allem dazu dienen, die Bevölkerung unter kontrollierten Bedingungen durchzutesten, teilte das zuständige Büro zur Coronavirus-Präventionsarbeit mit. Die Maßnahmen zielen unter anderem darauf ab, “die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen” und das “Null-Covid-19-Ziel so schnell wie möglich zu erreichen”.
Während des Lockdowns müssen alle Bewohner zu Hause bleiben. Essensliefer- und Kurierdienste werden weiterhin kontaktlose Lieferungen anbieten, um die Grundbedürfnisse zu gewährleisten. Unternehmen innerhalb der Sperrgebiete müssen ihre Tore schließen, das Personal so weit möglich von zu Hause aus arbeiten. Der öffentliche Nahverkehr wird ausgesetzt.
Lange war ein Lockdown für Shanghai ausgeschlossen worden, da die Metropole mit ihren 26 Millionen Einwohnern zu wichtig für die Wirtschaft des Landes sei. Allein für Samstag wurden in Shanghai jedoch 2631 Corona-Fälle gemeldet. Das entspricht 60 Prozent aller Neuinfektionen in China. Auch für Deutschland könnten durch den Lockdown Material- und Lieferengpässe entstehen. fpe
Asiens größtes Erdgas- und Mineralölunternehmen Sinopec hat Insidern zufolge Gespräche mit Russland über eine gemeinsame Gaschemieanlage sowie ein Gemeinschaftsunternehmen zur Vermarktung von russischem Gas in China vorübergehend ausgesetzt. Die Projekte belaufen sich laut einem Bericht von Reuters auf einen Wert von einer halben Milliarde Dollar.
Peking hatte sich zuvor wiederholt dafür ausgesprochen, den normalen Wirtschafts- und Handelsaustausch mit Russland aufrechtzuerhalten und von Sanktionen abzusehen. Gleichzeitig ist Chinas Regierung offenbar darauf bedacht, nicht ebenfalls mit Sanktionen belegt zu werden, wenn sie Russland in diesen Zeiten zu eng zur Seite steht.
Wie aus einer am Sonntag bei der Shanghaier Börse eingereichten Unternehmenserklärung hervorgeht, möchte Sinopec dieses Jahr so viel investieren wie nie zuvor in seiner Geschichte. Der Konzern erwartet demnach, bis zum Ende des Jahres rund 31 Milliarden Dollar auszugeben, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Hauptaugenmerk der Investitionen liegt dabei auf den Erdölvorkommen in Shunbei und Tahe sowie den Erdgasfeldern in der Provinz Sichuan und der Inneren Mongolei. fpe
Laut einer Entscheidung der US-Börsenaufsicht (SEC) könnte das chinesische Social-Media-Unternehmen Weibo vom Handel an der Nasdaq-Börse ausgeschlossen werden. Die SEC hat Weibo auf eine Liste von Unternehmen gesetzt, die den Offenlegungspflichten an US-amerikanischen Börsen nicht ausreichend nachkommen.
Die Entscheidung beruht auf dem Holding Foreign Companies Accountable Act. Das Gesetz verlangt von bestimmten ausländischen Firmen, dass sie nachweisen, nicht im Besitz oder unter der Kontrolle einer ausländischen Regierung zu sein. Die Unternehmen müssen demnach einen entsprechenden Prüfbericht vorlegen. Zudem müssen die Jahresabschlüsse der Unternehmen den US-Behörden zur Überprüfung offengelegt werden. China wehrt sich gegen diese Offenlegung. Allerdings droht Weibo und anderen chinesischen Unternehmen kein kurzfristiger Ausschluss von den US-Börsen. Der Holding Foreign Companies Accountable Act sieht einen Ausschluss erst vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihre Bilanzen in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht offenlegen, wie Bloomberg berichtet.
Weibo ist eine Miniblogging-Plattform und gehört zu den weltweit größten Social-Media-Apps. Die Plattform hat über 550 Millionen monatliche Nutzer:innen. Weibo ist schon das sechste chinesische Unternehmen, dass von der SEC auf die besagte Liste genommen wurde. Nach Behördenangaben verhandeln die USA und China derzeit über die Zusammenarbeit in Fragen der Rechnungsprüfung. nib
Chinesische Streamingplattformen wie Iqiyi oder QQ-Video haben über Nacht alle Filme entfernt, in denen der Hollywood-Star Keanu Reeves eine Rolle spielt, darunter bekannte Blockbuster wie “Matrix” oder “Speed”. Reeves chinesischer Name “Jinu Liweisi” erzielt keine Suchergebnisse auf den Kanälen mehr. Einzig und allein der Animationsfilm “Toy Story 4” sei noch auffindbar, schreibt die LA Times. Reeves hatte darin eine Sprecherrolle. In den Credits der Synchronsprecher taucht er allerdings ebenfalls nicht mehr auf.
Der Hintergrund der Löschung dürfte ein Auftritt Reeves bei einem Online-Event der New Yorker Non-Profit-Organisation Tibet House am 3. März gewesen sein. Die 1987 gegründete Organisation steht dem Dalai Lama nahe und setzt sich für die Freiheit Tibets ein. Andere Stars wie Lady Gaga, Richard Gere oder Björk waren in der Vergangenheit wegen ihres Engagements für Tibet oder Verbindungen zum Dalai Lama bereits auf schwarze Listen gesetzt worden.
Reeves, dessen Familie chinesische Wurzeln hat, ist seit den 90er-Jahren ein bekannter Name in China. Zuletzt hatte er seine Zusammenarbeit mit der chinesischen Filmindustrie noch vertieft. Sein Regiedebüt “Man of Tai Chi” aus dem Jahr 2013 war eine amerikanisch-chinesische Koproduktion, die von der staatlichen China Film Group gefördert und größtenteils in China abgedreht wurde. In diesem Jahr unterzeichnete Reeves Firma Company Films einen Vertrag mit Fundamental Films aus Shanghai, um weitere Projekte mit China-Bezug zu realisieren.
China war 2021 mit Einnahmen von 7,4 Milliarden US-Dollar zum zweiten Mal in Folge der größte Filmmarkt der Welt. In Hollywood sind Filmproduzenten aus China längst der größte Geldgeber, was dazu führt, dass die Chinesen auch inhaltlich immer mehr Einfluss nehmen können. Gleichzeitig werden in China jährlich nur 38 ausländische Filme in den heimischen Kinos zugelassen. fpe
Volle 19 Monate Jahre nach ihrer Festnahme soll die australische Journalistin Cheng Lei am Donnerstag (31. März) in Peking vor Gericht gestellt werden. Der in China geborenen und in Australien aufgewachsenen Nachrichtenmoderatorin wird vorgeworfen, chinesische Staatsgeheimnisse ans Ausland verraten zu haben. Als Höchststrafe droht der Mutter zweier Kinder lebenslange Haft.
Die 47-Jährige hatte zehn Jahre für Chinas Staatsmedien gearbeitet, zuletzt für den Auslandssender CGTN. Am 13. August 2020 wurde sie in Peking festgenommen. Da Lei in ihrer Arbeit Pekings nur Staatspropaganda verbreitete, wird spekuliert, dass ihre Festnahme eher mit den sich verschlechternden Beziehungen zwischen China und Australien zu tun haben. Die australische Regierung spricht von “einem Mangel an Transparenz” und äußerte “ernste Sorgen” über das Wohlergehen und die Haftbedingungen von Cheng Lei. Im anstehenden Prozess müssten grundlegende Standards und verfahrenstechnische Gerechtigkeit eingehalten werden, so ein Sprecher aus Canberra. fpe
Patricia Flors bisherige Karriere hat sie schon in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Nun ist klar, was ihre nächste Station wird: Die Spitzendiplomatin wird deutsche Botschafterin in Peking. Flor bringt jahrelange Erfahrung in der deutschen und europäischen Diplomatie mit. Ihre Stationen in Japan und die Zuständigkeit für den Indo-Pazifik führten sie in wichtige Nachbarregionen Chinas.
Schon vor gut zehn Jahren, als eine gemeinsame EU-Außenpolitik noch weit weniger präsent war als heute, wechselte Flor in den Dienst des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS): “Ich war überzeugte deutsche Diplomatin. Ich glaube aber, dass wir im globalen Maßstab nur dann Einfluss haben werden, wenn wir als EU auftreten. Wo es darum geht, wer sitzt mit am Tisch mit den anderen Großen, da wird zunehmend die EU gefragt sein”, sagte Flor dem Deutschlandfunk damals.
Flor blieb der EU-Außenpolitik – mit einigen Zwischenstopps in der deutschen Diplomatie – treu. Als derzeitige EU-Botschafterin in Japan gilt die 60-Jährige innerhalb des EEAS als zuverlässig und beliebt beim EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Berlin hatte offenbar bereits nach dem Regierungswechsel erhöhtes Interesse an einem Einsatz Flors für die Bundesrepublik. Die als Grünen-nah geltenden Flor wurde zeitweise auch als neue Staatsministerin im Außenministerium gehandelt. Arbeitserfahrung unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer hat sie bereits.
Statt Diplomatie in Berlin heißt es jetzt aber weiterhin Ausland für die gebürtige Bayerin, die ihre ersten beruflichen Schritte in einem ganz anderen Metier machte: Nach dem Abitur und Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten arbeitete sie als Redakteurin und freie Journalistin in den USA. Sie studierte Geschichte, Philosophie, Slawistik und osteuropäische Geschichte in Bamberg und Erlangen.
1992 trat sie in den Auswärtigen Dienst ein und wurde in der deutschen Botschaft in Kasachstan eingesetzt. 1995 promovierte Flor nach Forschungsaufenthalten in Großbritannien und Russland in osteuropäischer Geschichte und Volkswirtschaftslehre. 1996 wechselte sie zur Deutschen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York, wo sie von 1998 bis 2000 Vorsitzende der Kommission für Frauenrechte der UN war. Ihren Einsatz für Frauen und eine feministische Diplomatie behält sie auch auf weiteren Karriere-Stationen bei: “Während all meiner Posten habe ich mich immer für die Sache der Frauen eingesetzt“, sagte Flor bei einer Veranstaltung.
Die bisherige Liste von Flors Posten ist lang. Ihre Einsätze brachten sie immer wieder zurück in die deutsche Hauptstadt. Unter Joschka Fischer war Flor von 2002 bis 2006 Leiterin des Parlaments- und Kabinettsreferats im Auswärtigen Amt, bevor sie deutsche Botschafterin in Georgien wurde. Ab März 2010 kehrt sie als Beauftragte für Osteuropa, den Kaukasus und Zentralasien ins Auswärtige Amt zurück. Den Fokus auf der wichtigen Nachbarregion Chinas behielt sie auch bei als sie 2012 erstmals den Wechsel auf die EU-Ebene vollzog und Sonderbeauftragte der Europäischen Union für Zentralasien wurde.
Gut ein Jahr später stellte China erstmals die “Belt and Road”-Initiative vor, in der Zentralasien eine wichtige Rolle für Peking spielt. Flor setzte sich damals bereits für eine engere Zusammenarbeit der EU und den dortigen Staaten ein. An Interesse an einer Kooperation mangele es nicht in Zentralasien, trotz enger Verbindungen zu China und vor allem Russland, sagte Flor in einem Interview.
Im Jahr 2014 kehrte Flor von Brüssel erneut zurück nach Berlin. Unter dem SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde sie Leiterin der Abteilung für die Vereinten Nationen im Auswärtigen Amt. Anschließend leitete sie die erweiterte Abteilung für Internationale Ordnung, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle und war Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Nach gut vier Jahren in der deutschen Hauptstadt zog es sie erneut ins Ausland: Seit Mitte 2018 ist Flor Botschafterin der Europäischen Union in Japan. In der Position setzt sie sich unter anderem für eine engere Zusammenarbeit der EU und der Indo-Pazifik-Region ein – vor allem die dabei von Brüssel auch vorgesehene erhöhte militärische Präsenz im Indo-Pazifik mit Schiffen stößt der Volksrepublik regelmäßig sauer auf. Als neue deutsche Botschafterin wird Flor diese Pläne aus Europa nun in Peking verteidigen müssen. Amelie Richter
Lance Zhou ist neuer CEO des US-Elektroautoherstellers Phoenix Motorcars. Zhou war zuvor CEO von Karma Automotive, einem US-Hersteller von Luxus-Elektrofahrzeugen. Von 2015 bis 2018 war er Präsident von Beijing Foton Daimler Automotive.
Dass ausländische Unternehmen viel Mühe und Gehirnschmalz in die Übertragung ihrer Markennamen ins Chinesische investieren, darüber wurde schon viel berichtet. Das Ergebnis sind teils so grafische Kreationen wie “Kostbares Pferd” (宝马 Bǎomǎ – BMW), “Tor zum Westen” (西门子 Xīménzǐ -Siemens) oder “Spatzennest” (雀巢 Quècháo – Nestlé). Aber wie kamen eigentlich weltbekannte chinesische Plattformen wie Taobao, Douyin, Baidu und Co. zu ihren Namen? Ein sprachlicher Backstage-Blick bietet die eine oder andere Überraschung. Los geht’s!
Baidu: Chinas Suchmaschine Nummer 1 heißt ganz wörtlich “hundert Mal” oder “unzählige Male” (百度 bǎi dù). Gemeint ist zum Glück nicht, dass man hundertmal suchen müsste, bevor man etwas findet. Vielmehr verbirgt sich dahinter eine Anspielung auf eine klassische Geschichte des Suchens und Findens, verewigt in dem Song-Gedicht 青玉案·元夕 Qīng yù àn – yuánxī (“Grüner Jadetisch – Laternenfest”) von Xin Qiji (辛弃疾 Xīn Qìjí). Darin heißt es in einem berühmten Vers: “Nach hundertmaliger Suche in der Menge, sich plötzlich umwendend, sah er sie im schwächsten Kerzenlichte” (众里寻他千百度, 蓦然回首, 那人却在灯火阑珊处). Baidu versteht sich also als Gateway zum Glück. So poetisch kann Search-Tool-Algorithmik sein.
Taobao: Auf Chinas größtem Onlineshopping-Marktplatz sind Schatzsucher unterwegs! “Taobao” setzt sich nämlich zusammen aus den Schriftzeichen 淘 táo “auswaschen, ausschlämmen” (wie in 淘金 táojīn “Gold waschen” oder 淘米 táomǐ “Reis auswaschen”) und 宝 bǎo “Schatz, Kostbarkeit”. Die Namenskreation ist auch eine Anspielung auf die umgangssprachlichen Redewendungen 淘便宜货 táo piányihuò “Schnäppchen machen” und 淘宝贝 táo bǎobèi “nach kostbaren Shoppingfängen fischen”.
Alibaba: Ist es wirklich ratsam, einen E-Commerce-Konzern nach “Alibaba und die 40 Räuber” zu benennen? So möchte man vielleicht im Falle des Taobao-Mutterkonzerns Alibaba (阿里巴巴 Alǐbābā) fragen. Durchaus plausibel begründen kann die ungewöhnliche Namenswahl dagegen Unternehmensgründer Jack Ma. Die Idee sei beim Brainstorming in einem Café in San Francisco entstanden, erklärte der ehemalige Englischlehrer 2006 in einem Interview mit CNN. Er habe die Bedienung gefragt, was sie mit “Alibaba” verbinde. “Sesam, öffne dich!”, antwortete die spontan. Da sei für Ma die Sache klar gewesen. Schließlich wollte er mit “Alibaba” den Sesam der Möglichkeiten für kleine Gewerbetreibende und mittelständische Betriebe in China öffnen. Von der ursprünglichen Idee, das heutige Taobao in Anlehnung an Alibaba einfach “Alimama” zu nennen, nahm der Firmengründer dann aber doch Abstand.
Jingdong: JD.com – einer von Alibabas schärfsten Konkurrenten – kommt ohne phonetische Ausflüge ins Englische aus. Was auf den ersten Blick als unspektakuläre Zeichenkombi aus 京 jīng “Hauptstadt” und 东 dōng “Ost” anmutet, wartet dann doch mit einer persönlichen Note auf. Laut Jingdong-CEO Richard Liu (alias 刘强东 Liú Qiángdōng) menschelte es bei der Firmentaufe: Der Unternehmenschef verriet gegenüber chinesischen Medien, dass es sich um eine Verbindung der Vornamen von ihm und seiner ersten großen Liebe handele. Er habe einfach die jeweils letzten Silben der beiden Vornamen miteinander verschmolzen. Dass der CEO mit 东 dōng ein Schriftzeichen beisteuerte, dass auch die Bedeutung “Eigentümer” tragen kann (was theoretisch auch die Interpretation “Besitzer von Jing” zulässt), hatte Liu wohl in Vor-Me-Too-Zeiten noch nicht auf dem Plan. Hoffen wir mal, dass es keine falschen Lesearten gibt.
Douyin: Nichts dem Zufall überließ Durchstarter Douyin, die chinesische Ausgangsversion von Tiktok. Vor dem Start sollen die Macher der App in einer Imagestudie mehrere Namensalternativen erprobt haben. Am Schluss weckte 抖 音 dǒuyīn (wörtlich “shaking sounds”) das größte Interesse der potenziellen Zielgruppe. Vielleicht auch deshalb, weil die Kombi aus den Zeichen 抖 dǒu “zittern, schütteln, zucken” und 音 yīn “Ton, Schall” die beatverliebte Kundschaft an das unweigerliche Zucken, Wippen und Nicken erinnerte, das den gesamten Körper infiziert, wenn melodische Klänge die Gehörgänge massieren.
Weixin: Weniger hintersinnig kommt derweil der Rufname der berühmtesten Social-Media-App im Reich der Mitte daher. 微信 Wēixìn – im Ausland als “WeChat” bekannt – bedeutet schlicht “Mikromessage” (von 微 wēi “winzig, klein, Mikro-” plus 信 xìn “Brief, Botschaft, Information”). Der Name deutet auf die Anfänge der Applikation hin, als man sich primär als Messenger-Dienst verstand. Auch eine weitere Größe der Social-Network-Arena trägt übrigens ein “Mikro” im Namen, das Mikroblogportal Weibo (微博 Wēibó), eine Kombi aus 微 wēi und 博客 bókè für “Blog”.
Douban: Und, last but not least, wäre da noch das “Bohnenkeimblatt” (豆瓣 Dòubàn), die Instanz für chinesische Hipster, Film- und Musikfans sowie alle Leseratten. Auf der Onlineplattform bewerten die User nicht nur Filme, Bücher und Musik, sondern finden sich auch in einer bunten Mischung aus Interessen-Communitys und Fangruppen zusammen. Was das mit Bohnen zu tun hat? Nun, eigentlich nichts. Den ungewöhnlichen Namen hat das Portal schlicht dem Umstand zu verdanken, dass Gründer Yang Bo (杨勃 Yáng Bó) den ersten Programmcode der Website einst in einer Pekinger Starbucksfiliale in der Nähe einer Hutong-Gasse namens豆瓣胡同 (dòubàn hútòng) geschrieben hat. Eingefleischte Douban-Fans pilgern daher noch heute für Erinnerungsschnappschüsse zu dem Gässchen im Herzen der Hauptstadt.
Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.
Evergrande ist zahlungsunfähig – das ist schon seit Monaten klar. Dennoch ist eine formelle Insolvenz des Immobilien-Konzerns noch immer nicht absehbar. In Deutschland würde man längst von Insolvenzverschleppung sprechen. In China haben Firmen jedoch genug Spielraum, um das Ende immer weiter hinauszuzögern. Elske Fehl-Weileder, Expertin für chinesisches Insolvenzrecht, erklärt im Interview mit Christian Domke Seidel, was hinter dieser Taktik steckt und warum eine Insolvenz auch in China eine Chance für einen Neuanfang sein kann.
In deutschen Großstädten konnte man sich in den vergangenen Wochen kaum vor den Plakaten von Shen Yun retten. Diese Woche sind Auftritte des Ensembles in Berlin geplant. Dass es sich dabei nicht um Folklore aus der Volksrepublik handelt, analysiert Fabian Peltsch. Denn die Tanz-Show Shen Yun ist eng verbunden mit der Bewegung Falun Gong. Und die hat, was Peking gerne hätte: kulturelle Soft Power.
Um Deutschlands diplomatische Power geht es heute in unserem Portrait. Dort stellen wir Ihnen die künftige deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, vor. Wann Flor den Posten antreten wird, ist noch nicht klar – auch eine offizielle Mitteilung des Auswärtigen Amts zu der Besetzung fehlt noch. Und das, obwohl sowohl in Peking als auch in Berlin die Spatzen die Neuigkeit mittlerweile von den Dächern pfeifen.
Wir wünschen Ihnen einen guten Start in die neue Woche!
Der Handel mit den Aktien wurde ausgesetzt und der Jahresabschluss verschoben. Bei Tochterfirmen verschwinden fest eingebuchte Milliarden-Beträge und Vermögen werden eingefroren. Immer wieder verpasst der Konzern Zins- und Kreditrückzahlungen. In Deutschland hätten sich die Manager des Evergrande-Konzerns angesichts solcher Taktiken vermutlich längst wegen Insolvenzverschleppung strafbar gemacht. In China sieht das jedoch anders aus. Hier haben Firmen reichlich Möglichkeiten, das Ende hinauszuzögern. Im Interview mit China.Table gibt Elske Fehl-Weileder einen Einblick in das Wirtschaftsrecht der Volksrepublik. Die Rechtsanwältin arbeitet im Geschäftsbereich Internationale Insolvenzverwaltung bei Schultze & Braun und ist Expertin für das chinesische Insolvenzrecht. Sie erklärt, warum es noch keinen erfolgreichen Insolvenzantrag von internationalen Gläubigern gegen den Evergrande-Konzern gab.
Nach unserem europäischen Verständnis ist Evergrande längst pleite. Warum musste der Konzern noch keine Insolvenz anmelden?”
In China ist die Geschäftsführung eines Unternehmens gesetzlich nicht dazu verpflichtet, im Fall einer bilanziellen Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Überschuldung oder Eintritt der Zahlungsunfähigkeit haben für chinesische Unternehmen und die handelnden Personen also keine direkten Konsequenzen. In Deutschland ist das anders: Hierzulande ist ein Geschäftsführer – seit dem 1. Mai 2021 gilt die sogenannte Insolvenzantragspflicht nach der coronabedingten Aussetzung wieder vollumfänglich – dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn sein Unternehmen überschuldet ist oder die Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Verletzt er diese Pflicht, macht er sich strafbar und kann persönlich finanziell haftbar gemacht werden – Stichwort Insolvenzverschleppung.
Was hat das für Konsequenzen?
Die fehlende Antragspflicht ist ein Grund, weshalb in China die Zahl der gerichtlichen Insolvenzverfahren im Vergleich zur Gesamtzahl der Unternehmen sehr niedrig ist. Hinzu kommt, dass in China eine Insolvenz in der Regel als Scheitern wahrgenommen und deshalb oft auf einen Insolvenzantrag verzichtet wird. Das macht die Situation für ausländische, aber auch für chinesische Geschäftspartner chinesischer Unternehmen sehr schwierig, da chinesische Unternehmen häufig ohne geordnetes Insolvenzverfahren aus dem Markt austreten. Das halte ich aber bei einem Unternehmen von der Größe von China Evergrande für sehr unwahrscheinlich.
Wann kommt der Zeitpunkt, an dem auch in China eine Insolvenz nicht mehr weiter hinauszuzögern ist?
Wenn die Stundung für eine Zinszahlung ausgelaufen sind und keine Zahlung erfolgt ist, muss der ausstehende Betrag als fällige Forderung in die Zahlungsunfähigkeitsberechnung eingestellt werden. Generell gilt: Wenn die liquiden Mittel eines Unternehmens nicht ausreichen, um die fälligen Verbindlichkeiten zu decken, ist das Unternehmen zahlungsunfähig. Es liegt dann ein sogenannter Insolvenzgrund vor. Den Zeitpunkt, ab dem die Zahlungsunfähigkeit eintritt, kann man bei jedem Unternehmen auf der Welt tagesgenau berechnen. In China ist dieser Stichtag aber weniger relevant als in Deutschland, da es dort, wie bereits erwähnt, keine Insolvenzantragspflicht gibt.
Wie würde es in Deutschland ablaufen?
In Deutschland beginnt ab dem Stichtag – also dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit – eine Frist von maximal drei Wochen, innerhalb die Geschäftsführung den Insolvenzgrund beseitigen muss. Gelingt das nicht, muss der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag stellen. In China gibt es diese Pflicht, wie bereits erwähnt, nicht. Dabei macht auch die Verschiebung der Vorlage des Jahresabschlusses keinen Unterschied. Sie stellt zwar einen Verstoß gegen Börsenvorschriften dar, liefert aber per se kein Grund für einen Insolvenzantrag – weder in China noch in Deutschland.
Man kann vor diesem Hintergrund durchaus davon ausgehen, dass die Verantwortlichen bei China Evergrande ihre Restrukturierungsbemühungen – im Januar hat der Konzern seinen Gläubigern ja mitgeteilt, dass innerhalb der nächsten sechs Monate ein vorläufiger Umstrukturierungsplan vorgelegt werden soll – so lange fortsetzen, bis eine Einigung mit den Gläubigern erzielt wurde oder ein Gläubiger einen Insolvenzantrag gegen China Evergrande stellt. Oder anders formuliert: Da weder das Unternehmen selbst, noch ein Gläubiger einen Insolvenzantrag stellen muss, besteht in China letztendlich die Möglichkeit, trotz Insolvenzreife auf ein gerichtliches Insolvenzverfahren zu verzichten und entweder zu versuchen, das Unternehmen zu restrukturieren, oder sich ungeordnet aus dem Markt zu verabschieden.
Welche Optionen hat ein europäischer Gläubiger, einen Insolvenzantrag in China zu stellen?
Zunächst einmal ist es maßgeblich, eine fällige Forderung gegen das chinesische Unternehmen zu haben, gegen das sich der Insolvenzantrag richtet – und das kann wie im Fall von China Evergrande durchaus eine Zinszahlung auf eine Anleihe sein. Erst dann kann man als Gläubiger überhaupt einen Insolvenzantrag gegen die Gesellschaft stellen. Generell gilt: Mit einem solchen sogenannten Fremd- oder Gläubigerantrag muss sich das zuständige Insolvenzgericht beschäftigen.
Allerdings sind die Hürden für einen solchen Antrag nicht zu unterschätzen. So muss der Antrag dem Gericht auf Chinesisch vorgelegt und mit aussagekräftigen Dokumenten begründet werden. Das kann zum Beispiel der Nachweis sein, dass bis zu einem bestimmten Stichtag die Zahlung der offenen Forderung final fällig gewesen wäre. Gut ist zudem, wenn der Gläubiger einen Nachweis bringen kann, dass die fällige Forderung angemahnt wurde. Wichtig ist darüber hinaus: Der Gläubiger muss den Insolvenzantrag bei dem Gericht einreichen, das für die jeweilige Gesellschaft zuständig ist. Bei einem Konzern von der Größe von China Evergrande ist das aber nicht ohne Weiteres herauszufinden.
Angenommen, ein Gläubiger nimmt bis hierhin alle Hürden für einen Insolvenzantrag gegen China Evergrande – was passiert dann und wie lange dauert es?
Ist klar, dass das Gericht zuständig ist und liegen ihm der Antrag und entsprechende Nachweise vor, entscheidet das Gericht, ob es den Insolvenzantrag zur Bearbeitung annimmt. Lehnt es den Antrag ab – etwa, weil die Nachweise nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend sind – hat der Gläubiger zehn Tage Zeit, um beim nächsthöheren Gericht dagegen Berufung einzulegen. Wenn das Gericht den Insolvenzantrag des Gläubigers annimmt, erhält China Evergrande Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen.
Nimmt China Evergrande diese Gelegenheit nicht wahr, oder kann nicht nachweisen, dass kein Insolvenzgrund vorliegt, werden ein oder mehrere Insolvenzverwalter eingesetzt. Bei ihnen können die Gläubiger ihre Forderungen dann zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Dem Gläubiger, der mit seinem Insolvenzantrag erfolgreich war, stehen im Verfahren Auskunftsrechte zu. Da es bis dato keine Berichte über einen erfolgreichen Insolvenzantrag eines Gläubigers gegen China Evergrande gibt – und die würde es aus meiner Sicht in einem solchen Fall schon allein aufgrund der Größe von China Evergrande geben – gehe ich davon aus, dass ein solcher Antrag nicht erfolgt ist oder nicht zu einem gerichtlichen Insolvenzverfahren geführt hat.
Insolvenz heißt wahrscheinlich auch in China nicht, dass die Firma verschwindet. Was sind im Anschluss die Möglichkeiten, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und die Welt nicht in eine Finanzkrise zu stürzen?
Eine Insolvenz bedeutet in Deutschland und in China nicht automatisch, dass das insolvente Unternehmen abgewickelt wird. Die Insolvenz ist vielmehr die Chance auf einen Neuanfang. Eine Besonderheit in China ist, dass – anders als in Deutschland – ein Gläubigerantrag auch auf die Verfahrensart “Reorganisation” gerichtet sein kann. Für die Gläubiger ist die Sanierung eines Unternehmens – also dessen Erhalt zum Beispiel über einen Verkauf der Vermögenswerte – finanziell gesehen sogar lukrativer als eine Liquidation. Denn dann ist die sogenannte Insolvenzmasse größer, aus der die anerkannten Forderungen der Gläubiger befriedigt werden.
Im Fall einer Insolvenz können Gläubiger ihre Forderungen zur sogenannten Insolvenztabelle anmelden. Das bedeutet, dass sie am Ende des Verfahrens aus dem Vermögen, das der Insolvenzverwalter sammeln konnte, einen quotalen Anteil ihrer Forderung zurückgezahlt bekommen. In China ist es insbesondere für einen ausländischen Gläubiger allerdings durchaus aufwändig, seine Forderung anzumelden, da er die dafür notwendigen Unterlagen in chinesischer Sprache einreichen muss. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sich die sogenannte Insolvenzquote mitunter auch bei einem Verkauf der Vermögenswerte eines Unternehmens in der Regel meist nur einstelligen Bereich liegt.
Welche Besonderheiten gelten hier in China?
Bei einem Insolvenzverfahren in China ist zu beachten, dass zusätzlich zu den Verfahrenskosten und den gesicherten Gläubigern – in der Regel zum Beispiel Banken – auch die Forderungen der Arbeitnehmer vorrangig vor den sonstigen Gläubigern zu begleichen sind, sodass sich die Quote dadurch nochmals verringern kann. Für die Gläubiger von China Evergrande ist und bleibt es daher aller Wahrscheinlichkeit dabei, dass sie Geld verlieren werden. Sie müssen sich allerdings die Frage stellen, wie viel Einfluss sie auf die Restrukturierung von China Evergrande nehmen wollen und ob sie bereit sind, die ohne Zweifel vorhandenen Hürden und Kosten für einen Insolvenzantrag gegen das Unternehmen zu tragen.
“China vor dem Kommunismus” lautet der Untertitel des Show-Spektakels Shen Yun, das am 29. und 31. März in Berlin gastiert. Auf den vielen Plakaten sieht man eine ins Bild springende Tänzerin in Hanfu-Kleidung, die weiten Ärmel wie zwei Flügel aufgespannt. Shen Yun verbindet Akrobatik und Musik mit traditionellen chinesischen Elementen. Doch das 80-köpfige Ensemble ist weit davon entfernt, ein chinesischer Staatszirkus zu sein. Hinter Shen Yun steht Falun Gong, eine auch als Falun Dafa bekannte spirituelle Bewegung, die in China verboten ist. Ihre Mitglieder haben sich im Exil zu einer mächtigen Stimme gegen Peking zusammengeschlossen. In diesem Kontext ist auch der Titel der Veranstaltung zu verstehen: Für die Macher von Shen Yun endete die 5.000-jährige Zivilisation Chinas mit der Machtübernahme durch die Kommunisten.
Dabei waren sich Falun Gong und die kommunistische Partei Chinas nicht immer feindlich gesinnt. Als ihre Techniken zur Ertüchtigung von Körper und Geist Mitte der 90er-Jahre Bekanntheit erlangten, wurden sie von der Partei zunächst als Praktik zur Stärkung der Volksgesundheit willkommen geheißen. Hohe Kader und ganze Polizeieinheiten ließen sich von Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi persönlich behandeln. Die Bewegung konnte nicht auf “ausländische Kräfte” zurückgeführt werden. Symbole, Terminologie und Techniken bedienen sich bei Buddhismus, Taoismus und traditionellem Qi-Gong.
Mit seinen religiösen und moralischen Bezügen bot Falun Gong vielen Chinesen, die von den Veränderungen der Reform und Öffnungspolitik überfordert waren, einen Halt. Auf ihrem Höhepunkt sollen der Bewegung zwischen 70 und 100 Millionen Chinesen angehört haben – mehr als die kommunistische Partei in China Mitglieder hatte. Damit war für Peking die kritische Masse erreicht, zumal die effizient strukturierte Organisation vor Protesten nicht zurückschreckte. Am 25. April 1999 demonstrierten 10.000 Anhänger wegen kritischer Berichterstattung in einigen staatlichen Medien vor dem Regierungssitz in Peking. Am 22. Juli 1999 verbot Chinas Regierung Falun Gong dann mit der Begründung, es sei ein “böser Kult” und eine “verbrecherische Sekte”. Hunderttausende Anhänger entgingen Verhaftung und Folter, indem sie Li Hongzhi ins Exil folgten.
Vor allem in den USA lebte die Organisation als Massenbewegung weiter. Zudem entwickelte sie sich zum antikommunistischen Sprachrohr. Falun-Gong-Praktizierende starteten in den USA mehrsprachige Nachrichtenmedien wie die Zeitung Epoch Times, die in 36 Ländern erscheint und den Kabelsender New Tang Dynasty Television (NTD), der laut eigenen Angaben Korrespondenten in weltweit 70 Städten beschäftigt. Das inoffizielle Hauptquartier von Falun Gong befindet sich im Bundesstaat New York. Dort wurde im Jahr 2006 auch die Gruppe “Shen Yun Performing Arts” gegründet. Shen Yun hat, was Peking gerne hätte: kulturelle Soft Power. Die Show, die weltweit von rund 400 Tänzern und Tänzerinnen auf die Beine gestellt wird, ist regelmäßig in prestigeträchtigen Konzerthäusern auf der ganzen Welt ausverkauft. Dieses Jahr führt die Welttournee durch 81 Städte auf vier Kontinenten.
Der Erfolg von Shen Yun hat auch mit den massiven Werbeausgaben zu tun. Die Banner der Veranstaltung sind im Netz und in den urbanen Räumen so allgegenwärtig, dass sie sogar zum Internet-Meme wurden. Ein bekanntes zeigt “neue Bilder der Rover-Marssonde”: Weite Ebenen aus rotbraunem Sand, und mittendrin, als einziger Fixpunkt am Horizont ein Plakat von Shen Yun. Das Budget kommt zum einen aus den Ticketpreisen, die zwar je nach Stadt und Veranstaltungsort variieren, aber meist die Hundert-Euro-Marke knacken. In der Deutschen Oper in Berlin reicht die Preisspanne bei den Veranstaltungen Ende März von 72 bis 152 Euro.
Zum anderen tragen die vielen freiwilligen Helfer der lokalen Falun-Dafa-Vereine dazu bei, dass Shen Yun die Ausgaben niedrig halten kann. 2016, dem letzten Jahr, in dem offizielle Zahlen verfügbar sind, erzielte Shen Yun Einnahmen in Höhe von 22,5 Millionen US-Dollar, während die Ausgaben nur rund 7,3 Millionen US-Dollar betrugen. Dass Shen Yun zu Falun Gong gehört, wird nur subtil kommuniziert. Auf den ersten Blick soll die Darbietung der Tanzkompanie die chinesische Kultur repräsentieren. Einzelne Szenen stellen jedoch recht offensichtlich Repressionen gegen Falun-Gong-Anhänger dar: In schwarze Gewänder gekleidete Gesellen mit Hammer und Sichel auf dem Rücken knüppeln begleitet von Paukenschlägen meditierende Frauen nieder. Auch eine riesige Tsunami-Welle mit dem Konterfei von Karl Marx soll bereits Teil der Show gewesen sein.
Chinesische Auslandsvertretungen versuchen den vermeintlichen Kulturexport aus China zu boykottieren. Der deutsche Verfassungsschutz berichtete bereits 2008, dass das chinesische Generalkonsulat in München versucht haben soll, eine Deutschland-Tournee von Shen Yun zu verhindern, indem es dem deutschen Veranstalter mit Nachteilen drohte. Das historisch recht frei interpretierte Musical sei ganz offensichtlich keine kulturelle Darbietung, “sondern ein politisches Instrument von ‘Falun Gong’, um seine kultischen Botschaften zu predigen, Anti-China-Propaganda zu verbreiten und Spenden einzutreiben”, erklärt die chinesische Botschaft in den USA auf ihrer Webseite.
Ein dankbares Ziel für Kritik bietet dabei Falun-Gong-Gründer Li Hongzhi, der seit 1998 in den USA lebt und dort mit fragwürdigen Aussagen aufgefallen ist. In einem Interview mit dem Time-Magazin sprach Li von Außerirdischen, die mithilfe wissenschaftlicher Experimente Herr über die Menschheit werden wollen. An anderer Stelle erklärte er, dass die Seelen im Jenseits nach Hautfarbe getrennt würden und Homosexualität und Atheismus Geißeln der Moderne seien. Auch wenn viele Jünger seine kruden Ansichten teilen dürften, spielt Li als sichtbare Führungspersönlichkeit von Falun Gong offenbar keine Rolle mehr. Der 70-Jährige lebt zurückgezogen und kommuniziert fast ausschließlich durch Beiträge auf Falun-Gong-Webseiten.
In der chinesischen Geschichte waren die Herrschenden immer wieder von spirituellen Geheimbünden bedroht, etwa von der Taiping-Rebellion unter dem Christen Hong Xiuquan, die im 19. Jahrhundert Nanjing einnahm und die Stadt zur Himmlischen Hauptstadt erkläre. Doch diese und andere Bewegungen aus dem Volk schafften es nie, sich wie Falun Gong jenseits der Landesgrenzen dauerhaft zu etablieren. Chinas damaliger Staatschef Jiang Zemin wollte Falun Gong in den 90er-Jahren eigentlich innerhalb von 100 Tagen eliminieren. Das ist gründlich schiefgegangen. Durch das Verbot zu Hause hat sich Chinas Regierung einen global aufgestellten Gegenspieler geschaffen, den sie so schnell nicht wieder loswird.
Über Shanghai wird ab Montag ein vollständiger Lockdown in zwei Stufen verhängt. Das meldete die Stadtregierung am Sonntagabend. Die Bezirke östlich des Huangpu-Flusses sollen demnach zwischen dem 28. März und dem 1. April abgeriegelt werden. Die westlichen Bezirke folgen vom 1. bis zum 5. April. Der Lockdown soll vor allem dazu dienen, die Bevölkerung unter kontrollierten Bedingungen durchzutesten, teilte das zuständige Büro zur Coronavirus-Präventionsarbeit mit. Die Maßnahmen zielen unter anderem darauf ab, “die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen” und das “Null-Covid-19-Ziel so schnell wie möglich zu erreichen”.
Während des Lockdowns müssen alle Bewohner zu Hause bleiben. Essensliefer- und Kurierdienste werden weiterhin kontaktlose Lieferungen anbieten, um die Grundbedürfnisse zu gewährleisten. Unternehmen innerhalb der Sperrgebiete müssen ihre Tore schließen, das Personal so weit möglich von zu Hause aus arbeiten. Der öffentliche Nahverkehr wird ausgesetzt.
Lange war ein Lockdown für Shanghai ausgeschlossen worden, da die Metropole mit ihren 26 Millionen Einwohnern zu wichtig für die Wirtschaft des Landes sei. Allein für Samstag wurden in Shanghai jedoch 2631 Corona-Fälle gemeldet. Das entspricht 60 Prozent aller Neuinfektionen in China. Auch für Deutschland könnten durch den Lockdown Material- und Lieferengpässe entstehen. fpe
Asiens größtes Erdgas- und Mineralölunternehmen Sinopec hat Insidern zufolge Gespräche mit Russland über eine gemeinsame Gaschemieanlage sowie ein Gemeinschaftsunternehmen zur Vermarktung von russischem Gas in China vorübergehend ausgesetzt. Die Projekte belaufen sich laut einem Bericht von Reuters auf einen Wert von einer halben Milliarde Dollar.
Peking hatte sich zuvor wiederholt dafür ausgesprochen, den normalen Wirtschafts- und Handelsaustausch mit Russland aufrechtzuerhalten und von Sanktionen abzusehen. Gleichzeitig ist Chinas Regierung offenbar darauf bedacht, nicht ebenfalls mit Sanktionen belegt zu werden, wenn sie Russland in diesen Zeiten zu eng zur Seite steht.
Wie aus einer am Sonntag bei der Shanghaier Börse eingereichten Unternehmenserklärung hervorgeht, möchte Sinopec dieses Jahr so viel investieren wie nie zuvor in seiner Geschichte. Der Konzern erwartet demnach, bis zum Ende des Jahres rund 31 Milliarden Dollar auszugeben, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Hauptaugenmerk der Investitionen liegt dabei auf den Erdölvorkommen in Shunbei und Tahe sowie den Erdgasfeldern in der Provinz Sichuan und der Inneren Mongolei. fpe
Laut einer Entscheidung der US-Börsenaufsicht (SEC) könnte das chinesische Social-Media-Unternehmen Weibo vom Handel an der Nasdaq-Börse ausgeschlossen werden. Die SEC hat Weibo auf eine Liste von Unternehmen gesetzt, die den Offenlegungspflichten an US-amerikanischen Börsen nicht ausreichend nachkommen.
Die Entscheidung beruht auf dem Holding Foreign Companies Accountable Act. Das Gesetz verlangt von bestimmten ausländischen Firmen, dass sie nachweisen, nicht im Besitz oder unter der Kontrolle einer ausländischen Regierung zu sein. Die Unternehmen müssen demnach einen entsprechenden Prüfbericht vorlegen. Zudem müssen die Jahresabschlüsse der Unternehmen den US-Behörden zur Überprüfung offengelegt werden. China wehrt sich gegen diese Offenlegung. Allerdings droht Weibo und anderen chinesischen Unternehmen kein kurzfristiger Ausschluss von den US-Börsen. Der Holding Foreign Companies Accountable Act sieht einen Ausschluss erst vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihre Bilanzen in drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht offenlegen, wie Bloomberg berichtet.
Weibo ist eine Miniblogging-Plattform und gehört zu den weltweit größten Social-Media-Apps. Die Plattform hat über 550 Millionen monatliche Nutzer:innen. Weibo ist schon das sechste chinesische Unternehmen, dass von der SEC auf die besagte Liste genommen wurde. Nach Behördenangaben verhandeln die USA und China derzeit über die Zusammenarbeit in Fragen der Rechnungsprüfung. nib
Chinesische Streamingplattformen wie Iqiyi oder QQ-Video haben über Nacht alle Filme entfernt, in denen der Hollywood-Star Keanu Reeves eine Rolle spielt, darunter bekannte Blockbuster wie “Matrix” oder “Speed”. Reeves chinesischer Name “Jinu Liweisi” erzielt keine Suchergebnisse auf den Kanälen mehr. Einzig und allein der Animationsfilm “Toy Story 4” sei noch auffindbar, schreibt die LA Times. Reeves hatte darin eine Sprecherrolle. In den Credits der Synchronsprecher taucht er allerdings ebenfalls nicht mehr auf.
Der Hintergrund der Löschung dürfte ein Auftritt Reeves bei einem Online-Event der New Yorker Non-Profit-Organisation Tibet House am 3. März gewesen sein. Die 1987 gegründete Organisation steht dem Dalai Lama nahe und setzt sich für die Freiheit Tibets ein. Andere Stars wie Lady Gaga, Richard Gere oder Björk waren in der Vergangenheit wegen ihres Engagements für Tibet oder Verbindungen zum Dalai Lama bereits auf schwarze Listen gesetzt worden.
Reeves, dessen Familie chinesische Wurzeln hat, ist seit den 90er-Jahren ein bekannter Name in China. Zuletzt hatte er seine Zusammenarbeit mit der chinesischen Filmindustrie noch vertieft. Sein Regiedebüt “Man of Tai Chi” aus dem Jahr 2013 war eine amerikanisch-chinesische Koproduktion, die von der staatlichen China Film Group gefördert und größtenteils in China abgedreht wurde. In diesem Jahr unterzeichnete Reeves Firma Company Films einen Vertrag mit Fundamental Films aus Shanghai, um weitere Projekte mit China-Bezug zu realisieren.
China war 2021 mit Einnahmen von 7,4 Milliarden US-Dollar zum zweiten Mal in Folge der größte Filmmarkt der Welt. In Hollywood sind Filmproduzenten aus China längst der größte Geldgeber, was dazu führt, dass die Chinesen auch inhaltlich immer mehr Einfluss nehmen können. Gleichzeitig werden in China jährlich nur 38 ausländische Filme in den heimischen Kinos zugelassen. fpe
Volle 19 Monate Jahre nach ihrer Festnahme soll die australische Journalistin Cheng Lei am Donnerstag (31. März) in Peking vor Gericht gestellt werden. Der in China geborenen und in Australien aufgewachsenen Nachrichtenmoderatorin wird vorgeworfen, chinesische Staatsgeheimnisse ans Ausland verraten zu haben. Als Höchststrafe droht der Mutter zweier Kinder lebenslange Haft.
Die 47-Jährige hatte zehn Jahre für Chinas Staatsmedien gearbeitet, zuletzt für den Auslandssender CGTN. Am 13. August 2020 wurde sie in Peking festgenommen. Da Lei in ihrer Arbeit Pekings nur Staatspropaganda verbreitete, wird spekuliert, dass ihre Festnahme eher mit den sich verschlechternden Beziehungen zwischen China und Australien zu tun haben. Die australische Regierung spricht von “einem Mangel an Transparenz” und äußerte “ernste Sorgen” über das Wohlergehen und die Haftbedingungen von Cheng Lei. Im anstehenden Prozess müssten grundlegende Standards und verfahrenstechnische Gerechtigkeit eingehalten werden, so ein Sprecher aus Canberra. fpe
Patricia Flors bisherige Karriere hat sie schon in alle Himmelsrichtungen verschlagen. Nun ist klar, was ihre nächste Station wird: Die Spitzendiplomatin wird deutsche Botschafterin in Peking. Flor bringt jahrelange Erfahrung in der deutschen und europäischen Diplomatie mit. Ihre Stationen in Japan und die Zuständigkeit für den Indo-Pazifik führten sie in wichtige Nachbarregionen Chinas.
Schon vor gut zehn Jahren, als eine gemeinsame EU-Außenpolitik noch weit weniger präsent war als heute, wechselte Flor in den Dienst des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS): “Ich war überzeugte deutsche Diplomatin. Ich glaube aber, dass wir im globalen Maßstab nur dann Einfluss haben werden, wenn wir als EU auftreten. Wo es darum geht, wer sitzt mit am Tisch mit den anderen Großen, da wird zunehmend die EU gefragt sein”, sagte Flor dem Deutschlandfunk damals.
Flor blieb der EU-Außenpolitik – mit einigen Zwischenstopps in der deutschen Diplomatie – treu. Als derzeitige EU-Botschafterin in Japan gilt die 60-Jährige innerhalb des EEAS als zuverlässig und beliebt beim EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Berlin hatte offenbar bereits nach dem Regierungswechsel erhöhtes Interesse an einem Einsatz Flors für die Bundesrepublik. Die als Grünen-nah geltenden Flor wurde zeitweise auch als neue Staatsministerin im Außenministerium gehandelt. Arbeitserfahrung unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer hat sie bereits.
Statt Diplomatie in Berlin heißt es jetzt aber weiterhin Ausland für die gebürtige Bayerin, die ihre ersten beruflichen Schritte in einem ganz anderen Metier machte: Nach dem Abitur und Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten arbeitete sie als Redakteurin und freie Journalistin in den USA. Sie studierte Geschichte, Philosophie, Slawistik und osteuropäische Geschichte in Bamberg und Erlangen.
1992 trat sie in den Auswärtigen Dienst ein und wurde in der deutschen Botschaft in Kasachstan eingesetzt. 1995 promovierte Flor nach Forschungsaufenthalten in Großbritannien und Russland in osteuropäischer Geschichte und Volkswirtschaftslehre. 1996 wechselte sie zur Deutschen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York, wo sie von 1998 bis 2000 Vorsitzende der Kommission für Frauenrechte der UN war. Ihren Einsatz für Frauen und eine feministische Diplomatie behält sie auch auf weiteren Karriere-Stationen bei: “Während all meiner Posten habe ich mich immer für die Sache der Frauen eingesetzt“, sagte Flor bei einer Veranstaltung.
Die bisherige Liste von Flors Posten ist lang. Ihre Einsätze brachten sie immer wieder zurück in die deutsche Hauptstadt. Unter Joschka Fischer war Flor von 2002 bis 2006 Leiterin des Parlaments- und Kabinettsreferats im Auswärtigen Amt, bevor sie deutsche Botschafterin in Georgien wurde. Ab März 2010 kehrt sie als Beauftragte für Osteuropa, den Kaukasus und Zentralasien ins Auswärtige Amt zurück. Den Fokus auf der wichtigen Nachbarregion Chinas behielt sie auch bei als sie 2012 erstmals den Wechsel auf die EU-Ebene vollzog und Sonderbeauftragte der Europäischen Union für Zentralasien wurde.
Gut ein Jahr später stellte China erstmals die “Belt and Road”-Initiative vor, in der Zentralasien eine wichtige Rolle für Peking spielt. Flor setzte sich damals bereits für eine engere Zusammenarbeit der EU und den dortigen Staaten ein. An Interesse an einer Kooperation mangele es nicht in Zentralasien, trotz enger Verbindungen zu China und vor allem Russland, sagte Flor in einem Interview.
Im Jahr 2014 kehrte Flor von Brüssel erneut zurück nach Berlin. Unter dem SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde sie Leiterin der Abteilung für die Vereinten Nationen im Auswärtigen Amt. Anschließend leitete sie die erweiterte Abteilung für Internationale Ordnung, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle und war Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle.
Nach gut vier Jahren in der deutschen Hauptstadt zog es sie erneut ins Ausland: Seit Mitte 2018 ist Flor Botschafterin der Europäischen Union in Japan. In der Position setzt sie sich unter anderem für eine engere Zusammenarbeit der EU und der Indo-Pazifik-Region ein – vor allem die dabei von Brüssel auch vorgesehene erhöhte militärische Präsenz im Indo-Pazifik mit Schiffen stößt der Volksrepublik regelmäßig sauer auf. Als neue deutsche Botschafterin wird Flor diese Pläne aus Europa nun in Peking verteidigen müssen. Amelie Richter
Lance Zhou ist neuer CEO des US-Elektroautoherstellers Phoenix Motorcars. Zhou war zuvor CEO von Karma Automotive, einem US-Hersteller von Luxus-Elektrofahrzeugen. Von 2015 bis 2018 war er Präsident von Beijing Foton Daimler Automotive.
Dass ausländische Unternehmen viel Mühe und Gehirnschmalz in die Übertragung ihrer Markennamen ins Chinesische investieren, darüber wurde schon viel berichtet. Das Ergebnis sind teils so grafische Kreationen wie “Kostbares Pferd” (宝马 Bǎomǎ – BMW), “Tor zum Westen” (西门子 Xīménzǐ -Siemens) oder “Spatzennest” (雀巢 Quècháo – Nestlé). Aber wie kamen eigentlich weltbekannte chinesische Plattformen wie Taobao, Douyin, Baidu und Co. zu ihren Namen? Ein sprachlicher Backstage-Blick bietet die eine oder andere Überraschung. Los geht’s!
Baidu: Chinas Suchmaschine Nummer 1 heißt ganz wörtlich “hundert Mal” oder “unzählige Male” (百度 bǎi dù). Gemeint ist zum Glück nicht, dass man hundertmal suchen müsste, bevor man etwas findet. Vielmehr verbirgt sich dahinter eine Anspielung auf eine klassische Geschichte des Suchens und Findens, verewigt in dem Song-Gedicht 青玉案·元夕 Qīng yù àn – yuánxī (“Grüner Jadetisch – Laternenfest”) von Xin Qiji (辛弃疾 Xīn Qìjí). Darin heißt es in einem berühmten Vers: “Nach hundertmaliger Suche in der Menge, sich plötzlich umwendend, sah er sie im schwächsten Kerzenlichte” (众里寻他千百度, 蓦然回首, 那人却在灯火阑珊处). Baidu versteht sich also als Gateway zum Glück. So poetisch kann Search-Tool-Algorithmik sein.
Taobao: Auf Chinas größtem Onlineshopping-Marktplatz sind Schatzsucher unterwegs! “Taobao” setzt sich nämlich zusammen aus den Schriftzeichen 淘 táo “auswaschen, ausschlämmen” (wie in 淘金 táojīn “Gold waschen” oder 淘米 táomǐ “Reis auswaschen”) und 宝 bǎo “Schatz, Kostbarkeit”. Die Namenskreation ist auch eine Anspielung auf die umgangssprachlichen Redewendungen 淘便宜货 táo piányihuò “Schnäppchen machen” und 淘宝贝 táo bǎobèi “nach kostbaren Shoppingfängen fischen”.
Alibaba: Ist es wirklich ratsam, einen E-Commerce-Konzern nach “Alibaba und die 40 Räuber” zu benennen? So möchte man vielleicht im Falle des Taobao-Mutterkonzerns Alibaba (阿里巴巴 Alǐbābā) fragen. Durchaus plausibel begründen kann die ungewöhnliche Namenswahl dagegen Unternehmensgründer Jack Ma. Die Idee sei beim Brainstorming in einem Café in San Francisco entstanden, erklärte der ehemalige Englischlehrer 2006 in einem Interview mit CNN. Er habe die Bedienung gefragt, was sie mit “Alibaba” verbinde. “Sesam, öffne dich!”, antwortete die spontan. Da sei für Ma die Sache klar gewesen. Schließlich wollte er mit “Alibaba” den Sesam der Möglichkeiten für kleine Gewerbetreibende und mittelständische Betriebe in China öffnen. Von der ursprünglichen Idee, das heutige Taobao in Anlehnung an Alibaba einfach “Alimama” zu nennen, nahm der Firmengründer dann aber doch Abstand.
Jingdong: JD.com – einer von Alibabas schärfsten Konkurrenten – kommt ohne phonetische Ausflüge ins Englische aus. Was auf den ersten Blick als unspektakuläre Zeichenkombi aus 京 jīng “Hauptstadt” und 东 dōng “Ost” anmutet, wartet dann doch mit einer persönlichen Note auf. Laut Jingdong-CEO Richard Liu (alias 刘强东 Liú Qiángdōng) menschelte es bei der Firmentaufe: Der Unternehmenschef verriet gegenüber chinesischen Medien, dass es sich um eine Verbindung der Vornamen von ihm und seiner ersten großen Liebe handele. Er habe einfach die jeweils letzten Silben der beiden Vornamen miteinander verschmolzen. Dass der CEO mit 东 dōng ein Schriftzeichen beisteuerte, dass auch die Bedeutung “Eigentümer” tragen kann (was theoretisch auch die Interpretation “Besitzer von Jing” zulässt), hatte Liu wohl in Vor-Me-Too-Zeiten noch nicht auf dem Plan. Hoffen wir mal, dass es keine falschen Lesearten gibt.
Douyin: Nichts dem Zufall überließ Durchstarter Douyin, die chinesische Ausgangsversion von Tiktok. Vor dem Start sollen die Macher der App in einer Imagestudie mehrere Namensalternativen erprobt haben. Am Schluss weckte 抖 音 dǒuyīn (wörtlich “shaking sounds”) das größte Interesse der potenziellen Zielgruppe. Vielleicht auch deshalb, weil die Kombi aus den Zeichen 抖 dǒu “zittern, schütteln, zucken” und 音 yīn “Ton, Schall” die beatverliebte Kundschaft an das unweigerliche Zucken, Wippen und Nicken erinnerte, das den gesamten Körper infiziert, wenn melodische Klänge die Gehörgänge massieren.
Weixin: Weniger hintersinnig kommt derweil der Rufname der berühmtesten Social-Media-App im Reich der Mitte daher. 微信 Wēixìn – im Ausland als “WeChat” bekannt – bedeutet schlicht “Mikromessage” (von 微 wēi “winzig, klein, Mikro-” plus 信 xìn “Brief, Botschaft, Information”). Der Name deutet auf die Anfänge der Applikation hin, als man sich primär als Messenger-Dienst verstand. Auch eine weitere Größe der Social-Network-Arena trägt übrigens ein “Mikro” im Namen, das Mikroblogportal Weibo (微博 Wēibó), eine Kombi aus 微 wēi und 博客 bókè für “Blog”.
Douban: Und, last but not least, wäre da noch das “Bohnenkeimblatt” (豆瓣 Dòubàn), die Instanz für chinesische Hipster, Film- und Musikfans sowie alle Leseratten. Auf der Onlineplattform bewerten die User nicht nur Filme, Bücher und Musik, sondern finden sich auch in einer bunten Mischung aus Interessen-Communitys und Fangruppen zusammen. Was das mit Bohnen zu tun hat? Nun, eigentlich nichts. Den ungewöhnlichen Namen hat das Portal schlicht dem Umstand zu verdanken, dass Gründer Yang Bo (杨勃 Yáng Bó) den ersten Programmcode der Website einst in einer Pekinger Starbucksfiliale in der Nähe einer Hutong-Gasse namens豆瓣胡同 (dòubàn hútòng) geschrieben hat. Eingefleischte Douban-Fans pilgern daher noch heute für Erinnerungsschnappschüsse zu dem Gässchen im Herzen der Hauptstadt.
Verena Menzel leitet in Peking die Sprachschule New Chinese.