Von Veronika Grimm
„Whatever it takes“, „unsere Verteidigungsfähigkeit wird am Geld nicht scheitern“. Das sagte Friedrich Merz in Richtung Putin und vielleicht auch Richtung der USA. Die Beschlüsse, die daraufhin verkündet wurden, lassen aber Zweifel aufkommen. Denn während die beiden Partner Union und SPD durchaus klargemacht haben, man würde jeden Preis für die Sicherheit bezahlen, stellt sich die Frage, ob man dazu mittelfristig auch in der Lage ist.
Schon kurz nach der Ankündigung stieg am 5. März 2025 die Rendite der 10-jährigen Bundesanleihen um 29 Basispunkte und erreichte 2,75 Prozent. Dies war der größte Anstieg seit März 1990. Danach ist sie schon zeitweise bis auf 2,9 Prozent angestiegen. Da die Renditen für Staatsanleihen in der Eurozone gekoppelt sind, hat das auch Auswirkungen auf die Konditionen, zu denen sich andere europäische Länder verschulden können. Die Finanzierung der Verteidigung wird also für alle teurer. Zugleich sind viele große, europäische Volkswirtschaften schon jetzt hoch verschuldet. Italien, Frankreich und Spanien haben einen Schuldenstand von deutlich über 100 Prozent. Eine weitere große Krise kann hier, wie bereits in der Corona- und der Energiekrise gesehen, nicht aus eigener Kraft adressiert werden. Man wäre noch stärker als schon 2020 auf Deutschland als Stabilitätsanker angewiesen.
Die neuen europäischen Fiskalregeln, die nach der Coronakrise vereinbart wurden, sollen daher die Schuldenstände wieder nach unten führen. Die drei großen und hochverschuldeten europäischen Volkswirtschaften haben bereits, zusammen mit 21 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mit der EU-Kommission einen Schuldenabbaupfad vereinbart. Deutschland ist noch keine Einigung mit der EU-Kommission gelungen. Stand jetzt ist die deutsche Haushaltsplanung also nicht mit den EU-Fiskalregeln kompatibel – und das war sogar mit der alten Finanzplanung, vor den umfangreichen neuen Ankündigungen, schon ein Problem.
Verweigert sich Deutschland weiterhin, die europäischen Fiskalregeln zu beachten und plant stattdessen umfangreiche neue Ausgaben, so dürfte die Verhandlungsposition der EU-Kommission gegenüber den hoch verschuldeten europäischen Volkswirtschaften rapide sinken. An der mittelfristigen fiskalischen Tragfähigkeit in der Eurozone sind dann starke Zweifel angebracht.
Diese Analyse werden auch Russland und China anstellen. Sie müssen eigentlich nur warten, bis es in der Eurozone wieder zu einer Staatsschuldenkrise kommt. Sie könnten auch überlegen, eine solche Situation der Überlastung proaktiv auszulösen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Schon die Energiekrise war kein Zufall, sondern von Russland vor dem Angriff auf die Ukraine bewusst provoziert worden.
Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, insbesondere Deutschland als Stabilitätsanker des Euro, tun daher gut daran, einen großen Sicherheitsabstand zu Tragfähigkeitsproblemen zu erhalten. Geschieht dies nicht, so ist davon auszugehen, dass Merz‘ Plan nicht aufgeht, sondern sich ins Gegenteil verkehrt. Wir werden über kurz oder lang unserem eigenen System erliegen und an Handlungsfähigkeit einbüßen. Wenn wir dann in einer Schuldenkrise mit uns selbst beschäftigt sind, ist dss die Gelegenheit für Putin, etwa in einem kleineren europäischen Staat weiter zu zündeln.
Vor diesem Hintergrund ist zwar die Erhöhung der Verteidigungsausgaben richtig und wichtig, aber darüber hinaus brauchen wir – gerade aufgrund dieser hohen zusätzlichen Ausgabenbedarfe im Verteidigungsbereich, für die die Kommission die europäischen Fiskalregeln großzügig auslegen will – Strukturreformen und eiserne Finanzdisziplin.
Es ist daher in höchstem Maße bedenklich, dass man den Partikularinteressen einer Partei, die in den Bundestagswahlen für ihre gescheiterte Finanzpolitik zurecht abgestraft wurde, folgt. Die SPD erpresst hier offenbar das Land, um ihre gescheiterte Finanzpolitik fortsetzen zu können und gegenüber ihren Wählern den Eintritt in eine CDU geführte Regierung erklären zu können. Erst die Partei, dann das Land.
Dafür ist die Situation zu brenzlig. Beschließt man diese Pakete nun im Bundestag, bevor man überhaupt in die Koalitionsverhandlungen eintritt, könnte das Kind in den Brunnen gefallen sein. Reformen dürften kaum durchsetzbar sein, wenn immer Geld verfügbar ist, um die Probleme zuzukleistern.
Aber Deutschland ist ein Sanierungsfall. Es sind zu viele Bereiche, in denen es Handlungsbedarf gibt und effizienter gewirtschaftet werden muss: Energie, Klima, Wohnen, Bauen, Digitalisierung, die Rente, das Gesundheitssystem. Die Unternehmenssteuern müssen runter und der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden. Vieles dürfte mit der SPD nur schwer umsetzbar sein, insbesondere wenn man seinen größten Verhandlungschip schon aus der Hand gegeben hat.
Das gilt übrigens auch für die Verhandlungen mit den Bundesländern: wenn man ihnen vorab schon zusichert, die Schuldenbremse für sie zu lockern, wie will man sie danach dann überzeugen, auf Steuereinnahmen zu verzichten?
Und wenn man doch in einzelnen Bereichen Reformen durchsetzt, so fließt das viele Geld in anderen Bereichen ab und schafft Ansprüche, von denen man nicht mehr herunterkommt. Wie in der Vergangenheit. Dann braucht man immer mehr Geld, und die nächste Regierung wird wieder neue Verschuldungsprogramme auflegen. Putin braucht also nur zu warten. Man wird die Akteure dann an ihre Verantwortung erinnern, wenn die Sache schiefgegangen ist.
Dr. Veronika Grimm ist seit April 2020 Mitglied des Sachverständigenrats Wirtschaft. Sie ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg (UTN) und Leiterin des Energy Systems and Market Design Lab.