der Krieg in der Ukraine und die internationalen Sanktionen gegen Russland dürften neue Verwerfungen in den Wertschöpfungsketten der Industrie verursachen. “Wir werden Auswirkungen auf Lieferketten sehen, Rohstoffe eingeschlossen”, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis gestern. Auch das Bundeswirtschaftsministerium ist besorgt und fragt derzeit in der Industrie ab, wo Engpässe drohen. Lukas Scheid und Till Hoppe geben einen Überblick, bei welchen Vorprodukten Knappheit und steigende Preise drohen.
Die US-Ratingagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit Russlands wegen der strengen Sanktionen der westlichen Länder auf “B3” von “Baa3” gesenkt. Zuvor hatte bereits Finch die Bonität Russlands auf Schrottniveau heruntergesetzt. Die Sanktionen treffen nicht nur die Industrie, sondern auch die russischen Staatsmedien Russia Today und Sputnik. Die Angebote dürften auf keinerlei Plattform mehr ausgestrahlt werden. Die EU will damit russische Propaganda und Desinformation verhindern. Warum die Maßnahme gut gemeint, aber wenig wirkungsvoll ist, hat Falk Steiner aufgeschrieben.
Und noch eine Auswirkung des russischen Angriffskrieges ist in der EU zu beobachten: Der CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem ist innerhalb einer Woche drastisch gesunken. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Der Krieg in der Ukraine und die internationalen Sanktionen gegen Russland dürften neue Verwerfungen in den Wertschöpfungsketten der Industrie verursachen. “Wir werden Auswirkungen auf Lieferketten sehen, Rohstoffe eingeschlossen”, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis gestern nach einer Videokonferenz der EU-Finanzminister.
In der EU-Kommission hieß es, man beobachte die Situation in den Lieferketten genau. “Insgesamt aber scheinen die industriellen Lieferketten nur in relativ begrenztem Ausmaß auf russische Vorprodukte angewiesen zu sein”, sagte ein Kommissionsbeamter. Momentan seien noch keine Engpässe bekannt. Der Konflikt verdeutliche aber erneut, dass die Lieferketten widerstandsfähiger werden müssten.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium ist besorgt und fragt derzeit in der Industrie ab, wo Engpässe drohen. Die Kämpfe in der Ukraine beeinträchtigen dortige Lieferanten, die westlichen Sanktionen gegen russische Banken den Handel mit Rohstoffen von dort. Zudem werden in der Industrie Gegenmaßnahmen der Regierung in Moskau befürchtet. Die beidseitige Sperrung der Lufträume erschwert überdies den Transport, auch aus China. Hinzu kommt die Entscheidung etlicher Logistikunternehmen, Russland nicht mehr zu bedienen.
Die Auswirkungen auch für Europas und Deutschlands Industrie wären bei weiteren Sanktionen oder Lieferengpässen enorm, warnen die Analysten der Beratungsfirma H&Z aus München. Als Russland 2014 das erste Mal in die Ukraine einfiel, seien etwa die Preise für Neon fast um das Vierfache gestiegen, wodurch die Halbleiter-Branche in die Bredouille geriet. Seitdem hätten Chiphersteller ihre Neongaslieferungen diversifiziert und seien heute besser aufgestellt, so H&Z-Rohstoffexperte Michael Santo im Gespräch mit Europe.Table. Anders ist das bei Titan, Nickel, Palladium und Platin. Dort sind die Abhängigkeiten russischer Lieferungen nach wie vor hoch.
Titan, beziehungsweise der aus Russland importierte Rohstoff Titanschwamm, betrifft insbesondere die Luftfahrt-Industrie – einer der größten Abnehmer des Metalls. Das Rumpfteil eines Flugzeugs, der sogenannte Airframe, sowie bestimmte Triebwerkskomponenten besitzen eine Titanlegierung. Russland ist der drittgrößte Produzent weltweit, die Ukraine und Kasachstan liegen gemeinsam auf dem fünften Rang. Allen voran das russische Unternehmen VSMPO-Avisma liefert Titan, zum Beispiel auch an die Flugzeughersteller Boeing und Airbus. Je nach Ausgang des Krieges in der Ukraine und den verhängten Sanktionen gegen Russland und potenzielle Unterstützerländer des Kremls, könnten Teile oder gar alle dieser Lieferanten wegfallen.
Airbus erklärte, dass geopolitische Risiken in die Titanbeschaffungspolitik des Unternehmens integriert seien. Man sei daher kurz- und mittelfristig geschützt. Kurzfristig könne man ohnehin noch Bestände aufbrauchen, erklärt Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Man müsse aber bereits jetzt beginnen, alternative Quellen und den Einsatz alternativer Materialien zu prüfen.
Sanktionen und Liefereinschränkungen würden sich spätestens mittelfristig niederschlagen, prognostiziert dagegen Rohstoffexperte Santo. Der relativ lange Zyklus vom Rohstoff Titanschwamm bis zum Werkstoff schütze die Industrie zwar vor kurzfristiger Knappheit, doch erhebliche Preissteigerungen für den Bedarf in sechs bis zwölf Monaten seien unvermeidbar. Das wirke sich insbesondere auf Flugzeuge mit hohem Kohlefaseranteil aus, wie den A350 oder die Boeing 787. Titan finde hier aufgrund möglicher Kontaktkorrosion zu Aluminium überproportionale Anwendung, erklärt der Berater. “Hersteller und Verarbeiter brauchen also unbedingt gute und sichere Versorgungskanäle außerhalb des russischen Einflussbereiches, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.” Die Preissteigerung könne wahrscheinlich nur gedämpft, nicht aber verhindert werden.
Enorme Auswirkungen könnten Importstopps bestimmter Rohstoffe aus Russland auch für die Stahlindustrie haben. Russland ist mit 49 Prozent des globalen Marktes der weltgrößte Nickelexporteur – unter anderem durch den Moskauer Konzern Nornickel. Der Großteil des weltweit abgebauten Nickels wird im Stahlsektor für die Veredelung gebraucht. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl wollte sich am Mittwoch noch nicht zu möglichen Folgen diverser Sanktionsszenarien äußern. Doch laut Harald Enz, ebenfalls Rohstoff-Experte bei der Beratungsfirma H&Z, könnte die Stahlherstellung aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischen Importen eine der am stärksten betroffenen Branche sein. Der seit Monaten steigende Nickelpreis schoss mit Beginn des Krieges in der Ukraine auf ein neues Rekordniveau von über 26.000 US-Dollar pro Tonne und lag am gestrigen Mittwoch bei 25,450 USD/t.
Auch hier ist laut Enz ein weiterer Preisanstieg kaum zu vermeiden. Die Frage sei, inwieweit Produktionskapazitäten eingeschränkt werden müssen. Das hänge davon ab, ob Stahlhersteller alternative Beschaffungsquellen haben und diese auch kurzfristig in der Lage sind, den Bedarf zu decken.
Nickel wird neben der Stahlveredelung auch für die Verkehrswende gebraucht, da der Rohstoff in Lithium-Ionen-Batterien zum Einsatz kommt. Nickel sei damit unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität, betont VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Laut Prognosen werde sich der Bedarf von Nickel zudem vervielfachen. “Langfristig wird die Automobilindustrie mit Knappheit und Preisanstieg bei Rohmaterialien konfrontiert sein”, so Müller.
Ebenfalls relevant für die Automobilindustrie: Palladium und Platin. Beide Metalle werden für den Bau von Fahrzeug-Katalysatoren für Verbrennermotoren gebraucht. Bei Palladium stellt Russland ebenfalls die weltweit größte Bezugsquelle dar (42 Prozent globaler Marktanteil), bei Platin die zweitgrößte (13 Prozent). Laut VDA kommt etwa ein Fünftel des nach Deutschland importierten Palladiums aus Russland.
Erschwerend hinzu kommt für die Branche die durch den Krieg verursachten Unterbrechungen der Liefer- und Logistikketten. Zahlreiche deutsche Autobauer hatten in den vergangenen Tagen bereits Produktionsstopps angekündigt, da Teile von Zulieferern aus der Ukraine fehlten. Zusätzlich geraten laut der VDA-Präsidentin die Lieferketten zum Beispiel nach und aus China unter Druck, weil auch die Landwege durch die Krisenregion einen Transport zunehmend ausschließen.
Zwar sei aufgrund der dynamischen Situation ein verlässlicher Ausblick auf die Auswirkungen für die Automobilbranche schwierig, so Müller. Fest stehe aber, dass es zu weiteren Beeinträchtigungen bei der Produktion von Fahrzeugen in Deutschland kommen werde. “Die Hersteller und Zulieferer arbeiten mit Hochdruck daran, die Ausfälle und Behinderungen in den Lieferketten zu kompensieren und Alternativen hochzufahren.”
Auch die Elektroindustrie fürchtet um die Verfügbarkeit von wichtigen Vorprodukten. “Russland ist der Hauptlieferant von Saphirwafern, die in der Optoelektronik genutzt werden”, sagt Martin Pioch vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI). Diese Scheiben werden aus künstlich gezüchtetem Saphir geschnitten und für die Herstellung von LEDs benötigt.
In Stawropol im Süden Russland sitzt mit Monocrystal einer der größten Saphirwafer-Fabrikanten. Wenn dessen Produkte von neuen Import- und Exportbeschränkungen betroffen würden, könnte dies die ohnehin schon angespannte Versorgungslage auf dem Markt erheblich verschärfen. Auf andere Hersteller ausweichen kann die LED-Industrie kaum, denn deren Kapazitäten sind bereits voll ausgelastet. Sollte Russland als Lieferant wegfallen, dürften die Preise daher stark steigen, so die Sorge in der Industrie.
“Auch bei spezifischen Gasen oder chemischen Elementen könnte es Lieferschwierigkeiten geben, aber diese sehen wir momentan noch nicht”, sagt Pioch. Die US-Regierung hatte ihre Chipindustrie bereits frühzeitig vor möglichen Engpässen bei bestimmten Materialien durch den Konflikt gewarnt, darunter Neon und Palladium.
Für den Arbeitskreis Rohstoffe, ein Netzwerk deutscher Umweltorganisationen, wird durch die drohenden Preissteigerungen von Rohstoffen deutlich, dass in den vergangenen Jahren verschlafen worden sei, die Kreislaufführung bei metallischen Rohstoffen auszubauen, um Abhängigkeiten zu reduzieren. “Es braucht regionale Kreislaufführung und zugleich die Debatte, wie wir unseren Energie- wie auch Rohstoffbedarf absolut senken können”, fordert Hannah Pilgrim, Koordinatorin des Netzwerks. Die Politik müsse jetzt den Rahmen setzen, wie eine zukunftsfähige Rohstoffpolitik aussehen soll. Dafür brauche es höchste menschenrechtliche und ökologische Standards bei Importen sowie eine Evaluierung, in welchen Industriebranchen Primärrohstoffe deutlich reduziert werden können. Mit Till Hoppe
Der Beschluss ist kurz, hat es aber in sich: Seit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU gestern Mittag ist das Senden, Ermöglichung oder anderweitige Unterstützung des Sendens auf allen Verbreitungswegen wie Kabelnetzen, IP-TV, durch Internet Service Provider, Videoplattformen oder Apps verboten. Betroffen von den neuen EU-Sanktionen gegen Russland sind die englische, französische, spanische, britische und deutsche Version von Russia Today (RT) und Sputnik.
Die modernen Propagandaorgane des Kreml sind seit Jahren in der EU umstritten. Der zentrale Vorwurf: Unter Ausnutzung der Medienfreiheit im Westen würde Kreml-Politik propagiert und versucht, Gesellschaften durch Desinformation zu destabilisieren.
Mit dem Verbot will die EU dies nun unterbinden: “Wir sind massiver Propaganda und Desinformation über diesen verabscheuungswürdigen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land ausgesetzt”, begründet Ursula von der Leyen den Schritt. “Wir werden diesen Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten.” Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete RT und Sputnik als “erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union”.
Doch genau hier liegt eines von vielen Problemen der EU-Sanktion. Dass Russia Today und Sputnik versuchen, russische Propaganda zu verbreiten und dabei voll auf Linie des Kremls sind, ist jenseits Russlands unstrittig.
Doch in keinem einzigen EU-Mitgliedstaat hat es RT jemals in einer Reichweitenmessung auf einen auch nur annähernd relevanten Anteil Zuschauer gebracht. In Ländern mit größerer russischsprachiger Bevölkerungsgruppe wie im Baltikum sind hingegen die in und für Russland produzierten Programme maßgeblich. Die EU-Kommission war dementsprechend bis Redaktionsschluss nicht in der Lage, Reichweitenzahlen beizubringen, die die vom Außenbeauftragten Borrell angeführte “erhebliche und unmittelbare Bedrohung” durch die linearen Fernsehprogramme belegen könnten.
RT-Inhalte scheinen tatsächlich eher auf Social Media-Plattformen relevant. Doch Social Media-Inhalte sind von den ausgesprochenen Sanktionen nicht klar erfasst – Gegenstand des Beschlusses ist das Senden von Inhalten, ein rundfunkrechtlicher Begriff. Und auch bei den Social Media-Plattformen hegen Wissenschaftler gewisse Zweifel: Zwar ist etwa die Zahl der Follower von RT-Kanälen auf Plattformen häufig hoch. Doch die Interaktionsraten mit diesen sind regelmäßig eher niedrig. Etwas erfolgreicher scheint RT in einigen Sprachen auf Youtube zu sein.
In Deutschland wird RT Deutsch nach Auffassung der zuständigen Medienanstalten ohnehin ohne eine für einen linearen Sendebetrieb notwendige Lizenz betrieben. Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) hatte erst vorgestern gegen den Rundfunkveranstalter ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro angedroht. RT Deutsch hatte auch einen Monat nach Untersagung des Sendebetriebs durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) trotz anderslautender Ankündigungen keinen Eilantrag gegen die Entscheidung des Gremiums gestellt, ihm das Senden zu untersagen. RT Deutsch hatte argumentiert, dass es über eine serbische Lizenz auch in Deutschland senden dürfe.
Die Medienregulierung ist in Deutschland Länderkompetenz und in Europa nicht vollständig vergemeinschaftet. ZAK-Sprecherin Anja Bundschuh kommentiert die Sanktionen entsprechend zurückhaltend und unter Verweis auf die Staatsferne der Medienanstalten: “Die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Kommission unterstützen uns bei der Durchsetzung unseres medienrechtlichen Beschlusses.” Wie genau die EU-Sanktionen nun umgesetzt werden sollen, war am Abend noch nicht abschließend zwischen Bund und Ländern geklärt.
Einwände könnten auch von anderer Seite drohen. Journalistenverbände kritisierten die Sanktion bereits nach der Ankündigung durch die Kommission. “Das Gegengift für Desinformation ist nicht die Sperrung von Medien. Sondern die Förderung eines lebendigen, pluralistischen, professionellen, ethischen und lebensfähigen Ökosystems, vollständig unabhängig von den Mächtigen”, kommentierte etwa Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF).
Die Sanktionen dürften auch für einige juristische Diskussionen sorgen. Zum einen ist umstritten, inwieweit die EU überhaupt unmittelbar in die Medienregulierung der Mitgliedstaaten eingreifen darf, soweit es nicht um grenzübergreifende Regulierung geht. Zum Anderen sieht die Charta der Grundrechte der EU in Artikel 11 einen erstaunlich umfangreichen und nicht unmittelbar durch Pflichten qualifizierten Meinungs- und Informationsfreiheitsbegriff vor: “Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.”
Der Auftritt ist ein Pflichttermin in Frankreich. Präsidenten und Kandidaten besuchen gern die Landwirtschaftsmesse in Paris. Das vermittelt ein Bild der Verankerung im Land. Auch Emmanuel Macron hatte einen ausführlichen Besuch am Samstag geplant. Doch der Besuch wurde zur Stippvisite, der Präsident ist mit der Ukraine-Krise beschäftigt: “Der Krieg wird dauern und wir müssen uns vorbereiten.”
Seit Tagen ist Macron ständig unterwegs bei Treffen der EU und Nato. Er telefonierte mehrfach mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er traf auch seine Amtsvorgänger, den Sozialisten François Hollande und den Konservativen Nicolas Sarkozy, um sich mit ihnen zu beraten. Macron hatte im vergangenen Jahr versprochen, er werde “Präsident bis zur letzten Viertelstunde” bleiben. Damals ahnte er noch nicht, wie sehr das zutreffen würde.
Macron versuchte auch, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verhandeln. Vergeblich. Dennoch hält sich die Kritik an Macron zu Hause in Grenzen. Dem Präsidenten ist es gelungen, sich als Persönlichkeit auf der Weltbühne zu präsentieren. Jean-Daniel Levy, stellvertretender Direktor des Meinungsforschungsinstitutes Harris Interactive, analysierte in französischen Medien: “Wenn es jemand gelingt, Frankreich außerhalb der Grenzen glänzen zu lassen, ist diese Person beliebter und respektierter.”
Als Amtsinhaber verkörpert Macron zudem Stabilität in unsicheren Zeiten. Der Präsident baut seine Favoritenstellung bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich in den neuesten Umfragen aus: Eine Ifop-Umfrage sieht ihn bei 28 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang, innerhalb einer Woche legte er 2 Prozentpunkte zu. Le Pen liegt auf dem zweiten Platz mit 16 und verlor 0,5 Prozent. Zemmour erreicht 14 Prozent (Minus 1,5 Prozent) und Pécresse kommt auf 13 Prozent (Minus 1 Prozent).
Die meisten Kandidaten fordern zwar eine harte Position gegenüber Russland. Doch sie wirken gegenüber Macron blass, auch wenn die Konservative Valérie Pécresse immer wieder verkündet (Europe.Table berichtete), es müsse ein “stahlharter Kurs gegenüber Putin” gefahren werden. Aber sie betonte auch, man solle Moskau die Zusicherung geben, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht auf der Tagesordnung stehe. Sie kreidete Macron an, dass er die Situation für den Wahlkampf ausnutze.
Bei den extremen Rechten ist das Thema nicht gerade geeignet, um Wähler anzuwerben. Eric Zemmour hat die Gelegenheit genutzt und seine Idee der “Souveränität” Frankreichs erneut betont. Er bezeichnete Macron als “kleinen Telegrammboten” der Nato.
Zemmour steht in der Kritik, weil er monatelang eine Bedrohung durch Russland runtergespielt hat und nun zurückrudern muss. Er hatte vorher von “Propaganda der amerikanischen Geheimdienste” gesprochen und sich mit seiner Bewunderung für Putin nicht zurückgehalten. Der TV-Moderator hatte 2018 einmal betont, er träume von “einem französischen Putin”. Er betonte auch, dass die USA mit der Ausweitung der Nato Putin bedränge. Er will den Frieden aushandeln und einen Rückzug der russischen Truppen mit dem Zugeständnis, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausweitet.
Für Marine Le Pen ist es ebenfalls eine schwierige Situation. Ihre Nähe zu Russland ist bekannt – sie hat Wahlkampfkampagnen schon von russischen Banken finanzieren lassen, weil sie Mühe hat, in Europa an Geld zu kommen. Die Rechtsextreme erklärte, es reiche nicht aus, “auf Diplomatie im letzten Moment” zu setzen. Sie bezichtigte Macron, die Krise für den Wahlkampf ausgenutzt zu haben, um “seine Kommunikation” zu stärken. Sie betonte ironisch: “Man hat sich sogar die Frage gestellt, ob er wirklich Präsident ist oder den Friedensnobelpreis anstrebt.” Auch sie musste zugeben, dass sie den Kreml falsch eingeschätzt hat.
Der Linke Jean-Luc Mélenchon verurteilt den Einmarsch der Russen, sieht sie als die Verantwortlichen. Er tönt aber auch, dass die Amerikaner “die Ukraine in der Nato annexieren”. Mélenchon bezeichnete die Bilanz von Macron in der Ukraine-Krise als “bedauerlich”. Sozialisten und Grüne hielten sich mit Kommentaren zu Macron zurück, sie verurteilten vor allem die Entscheidung Russlands zum Angriff.
Pécresse erklärte die Kandidaten, die Russland verteidigt haben, “haben sich in Misskredit gebracht, um Frankreich zu regieren”. Sie hofft damit, Le Pen und Zemmour Stimmen abzugewinnen. Doch sie steht selbst in der Kritik: Ihr Parteifreund Eric Ciotti, der mit ihr den Wahlkampf betreibt, sprach sich in den letzten Monaten für einen Ausstieg aus der Nato und eine Annäherung an Russland aus. Mélenchons Team sucht derweil alte Tweets heraus, in denen er Putin kritisiert.
Die Europäische Union (EU) hat die Sanktionen gegen Belarus erheblich verschärft. Die Mitgliedstaaten einigten sich darauf, die Ausfuhr von Kali und anderer wichtiger Exportgüter wegen der Beteiligung des Landes am russischen Angriff auf die Ukraine weitgehend zu verbieten. Von dem Verbot betroffen sind rund 70 Prozent der belarussischen Ausfuhren.
Die EU weitet damit die im vergangenen Sommer verhängten Handelsbeschränkungen erheblich aus. Die Einfuhr von Kali aus Belarus, das zu Mineraldünger verarbeitet wird, wird vollumfänglich untersagt. Zuvor war nur rund ein Fünftel der Kali-Exporte betroffen gewesen. Ebenfalls beschränkt wird der Import von Holz, Zement und Stahl aus Belarus. Existierende Verträge sollen binnen drei Monaten abgewickelt werden. Zudem nimmt die EU 22 hochrangige Militärs aus dem Land auf die Liste sanktionierter Personen, weil diese Russland bei der Invasion unterstützt haben sollen.
Für Dual-use- und Hightech-Güter gelten die gleichen Einschränkungen, wie sie die EU vergangene Woche gegen Russland verhängt hatte. Der Schritt soll es zugleich russischen Unternehmen erschweren, die EU-Sanktionen über den Umweg Belarus zu umgehen.
Anders als einige russische Banken werden die Institute in Belarus aber zunächst nicht aus dem internationalen Zahlungsinformationssystem Swift ausgeschlossen. Die EU veröffentlichte gestern die Liste der betroffenen Banken, darunter das zweitgrößte russische Institut VTB. Bei den anderen Banken handelt es sich um die Bank Otkritie, Novikombank, Promsvyazbank, Bank Rossiya, Sovcombank und die öffentliche Förderbank VEB.
Die sechs erstgenannten Institute stehen laut Kommissionbeamten für ein Viertel des russischen Bankensektors. Die beiden Großbanken Sberbank und Gazprombank seien ausgenommen worden, da über sie ein Großteil der Energielieferungen abgewickelt werde. Mehrere Mitgliedsstaaten hatten darauf gedrängt, auch diese beiden Institute von Swift abzuschneiden.
Der Ausschluss aus dem Finanznetzwerk mit mehr als 11.000 Mitgliedern erschwert es den betroffenen Banken stark, grenzüberschreitende Transaktionen abzuwickeln. Auch der Zahlungsverkehr innerhalb Russlands werde teilweise mithilfe von Swift abgewickelt, sagte ein hochrangiger Kommissionsbeamter, daher seien auch dort Auswirkungen zu erwarten. Der Wechsel zu alternativen Systemen etwa aus China sei nicht ohne weiteres machbar (Europe.Table berichtete), da viele der internationalen Banken darüber nicht erreichbar seien.
Gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank wollen die EU-Finanzminister zudem dafür Sorge tragen, dass der Bann nicht mithilfe von Kryptowährungen unterlaufen wird. Bereits am Montag hatte die EU den Handlungsspielraum der russischen Zentralbank eingeschränkt, die unter Druck geratene Wirtschaft zu stützen. Das nun erlassene Paket untersagt überdies Ko-Investitionen in russische Hightech-Unternehmen, die über den Russian Direct Investment Fund organisiert werden. Auch der Transfer von Barmitteln nach Russland wird beschränkt.
Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine und den folgenden internationalen Sanktionen frieren immer mehr Unternehmen ihre Aktivitäten ein oder ziehen sich ganz zurück. Gestern verkündete der Elektrotechnikkonzern Siemens Energy, sämtliches Neugeschäft in dem Land zu stoppen. Auch der frühere Mutterkonzern Siemens hat Konsequenzen gezogen: “Wir haben alle neuen Geschäfte und internationalen Lieferungen nach Russland eingestellt und prüfen weiterhin die vollen Auswirkungen aller Sanktionen”, bestätigte ein Sprecher. Seine lokalen Service- und Wartungsaktivitäten werde Siemens unter strikter Einhaltung der Sanktionen fortsetzen. Toyota stellt laut einem Zeitungsbericht die Fertigung in seiner Fabrik in Sankt Petersburg ein. Auch der deutsche Softwareriese SAP und sein US-Rivale Oracle setzen alle Aktivitäten in Russland aus. “Wir stellen unsere Geschäfte in Russland im Rahmen der Sanktionen ein und pausieren darüber hinaus alle Verkäufe von SAP-Dienstleistungen und -Produkten in Russland”, teilt SAP-Vorstandschef Christian Klein mit. tho/rtr
Die Europäische Union, die USA und die Schweiz haben mit verschiedenen Sanktionen auf die Invasion Russlands in der Ukraine reagiert. Hier finden Sie die aktuell verhängten EU-Sanktionen (soweit im Amtsblatt der EU veröffentlicht). Eine Übersicht über alle seit Beginn des Ukraine-Kriegs durch die EU, die USA und die Schweiz verhängten Sanktionen finden Sie hier.
Rechtsvorschrift L63
Verordnung (EU) 2022/345 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in
der Ukraine destabilisieren
Beschluss (GASP) 2022/346 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung des Beschlusses
2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage
in der Ukraine destabilisieren
Details
Rechtsvorschrift L65
Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 833/2014
Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung des Beschlusses
2014/512/GASP
Details
Rechtsvorschrift L66
Durchführungsverordnung (EU) 2022/353 des Rates vom 2. März 2022 zur Durchführung der
Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die
territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder
bedrohen
Beschluss (GASP) 2022/354 des Rates vom 2. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/
GASP
Details
Die Bundesregierung will für 1,5 Milliarden Euro Flüssiggas (LNG) einkaufen, um unabhängiger von Energielieferungen aus Russland zu werden. “Das Geld steht bereit”, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums am Mittwoch. Dem Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe seien die Mittel zugesagt worden, er solle nun entscheiden, wo das Flüssiggas konkret eingekauft werden soll. “Das wird sehr kurzfristig geschehen.” Ein Sprecher des Finanzministeriums ergänzte, wegen der Dringlichkeit seien die Mittel direkt bewilligt worden – statt der sonst üblichen Haushaltsverfahren.
Zur Entlastung des Ölpreises beteiligt sich Deutschland außerdem am Beschluss der Internationalen Energieagentur (IEA), einen Teil ihrer Ölreserven auf den Markt zu werfen. “Deutschland leistet einen Beitrag entsprechend dem deutschen Anteil am Erdölverbrauch der IEA-Länder von 5,4 Prozent. Bezogen auf die insgesamt auf den Markt zu bringende Menge von 60 Millionen Barrel sind dies rund 435.000 Tonnen Öl“, teilte das Wirtschaftsministerium am Mittwoch mit. Dies entspreche rund drei Prozent der deutschen Ölreserve, wodurch die Reichweite jedoch nur auf die gesetzlich vorgegebenen 90 Tage reduziert werde.
In Sachen Flüssiggas intensiviert die EU angesichts der weltweit hohen LNG-Nachfrage ihre Energiediplomatie. Inzwischen verhandeln die Kommission und der Außenbeauftragte auch mit China und Indien, die ebenfalls große Mengen Flüssiggas einkaufen. Das geht aus einem neuen Entwurf für die Energie-Kommunikation der Kommission hervor, die nun für 9. März terminiert ist. Ziel der Verhandlungen sei es, Preissteigerungen für alle Beteiligten zu vermeiden.
In dem Papier listet die Kommission zahlreiche weitere Initiativen auf, die über einen älteren Entwurf hinausgehen (Europe.Table berichtete). So kündigt die Kommission nun eine Europäische Allianz zur Finanzierung von Energieeffizienz an, bestehend aus Mitgliedsstaaten, öffentlichen und privaten Finanzinstituten, Investoren und Industrieunternehmen.
Gemeinsam mit der Industrie will die Kommission außerdem eine eigene Fazilität für Wasserstoff voranbringen, die den europäischen und weltweiten Handel mit erneuerbarem Wasserstoff erleichtern soll. Vorgestellt werden soll die Initiative im Mai. Bis 2030 soll die Staatengemeinschaft zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff importieren. Als Pilotprojekt wird eine Partnerschaft mit Mittelmeeranrainern angekündigt.
Bei den Verhandlungen zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie will die Kommission sich außerdem dafür einsetzen, dass die Mitgliedsstaaten sogenannte Erneuerbaren-Zielgebiete (“RES go-to areas”) ausweisen. In diesen solle der Ausbau von Erneuerbaren und Versorgungsleitungen von überragendem öffentlichen Interesse im Sinne der Flora-Fauna-Habitat- und der Wasserrahmenrichtlinie sein. Inwiefern dieser Vorstoß die bestehende Rechtslage tatsächlich konkretisiert, bleibt abzuwarten.
Defensiver als noch im früheren Entwurf gibt sich die Kommission beim Abschöpfen unerwarteter Gewinne, die Energieunternehmen in Folge der hohen Strompreise erzielen (Europe.Table berichtete). Die Kommission stellt nun klar, dass die Gewinnabschöpfungen nicht rückwirkend gelten und vorerst bis zum 30. Juni befristet sein sollen. Außerdem sollen die Mitgliedsstaaten darauf achten, keine Gewinne wegzubesteuern, die Unternehmen dann für Investitionen in erneuerbare Energien fehlen. ber, luk, rtr
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist der CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem (ETS) abgestürzt. Stand er Mitte vergangener Woche noch bei rund 95 Euro pro Tonne CO2, sank er bis Mittwoch auf etwa 67 Euro.
Dass der Preisabfall mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt, daran hat Florian Rothenberg, Emissionshandel-Analyst bei ICIS, keinen Zweifel. Jedoch sei der ETS zuletzt ohnehin überhitzt gewesen, weshalb man bei dem “Sell-off der letzten Tage von einer notwendigen Korrektur sprechen kann”. Im Dezember vergangenen Jahres war der CO2-Preis im ETS innerhalb weniger Tage auf über 90 Euro gestiegen (Europe.Table berichtete) und war seitdem relativ stabil auf diesem Niveau geblieben – bis vor wenigen Tagen.
Zusätzlich zur “notwendigen Korrektur” kommt laut Rothenburg, dass die Ausbaupläne in ganz Europa für eine CO2-freie Energiebeschaffung nun eine andere Dynamik hätten. Neben der Motivation nur Dekarbonisierung seien inzwischen auch Sicherheitsinteressen bei der Energieherstellung hinzugekommen. Die antizipatorische Wirkung möglicher weiterer Subventionen in die Energiewende drücken den CO2-Preis.
Spekulationen, dass russische Käufer ihre Zertifikate abstoßen, um an europäische Devisen zu kommen, seien zwar plausibel, da man wisse, dass es russische Teilnehmer am ETS gibt. Doch könnten diese nicht für einen Absturz in dieser Größenordnung allein verantwortlich sein, so Rothenburg. Ein weiterer Grund könnten die aufgrund des explodierenden Gaspreises in Liquiditätsschwierigkeiten geratenen Energieunternehmen sein. Diese könnten nun möglicherweise CO2-Zertifikate abstoßen, um die Preissteigerung auszugleichen, vermutet der ICIS-Datenanalyst. Allerdings seien dies eher kurzfristige Erklärungsversuche, die normalerweise durch den Markt ausgeglichen würden.
Welche Marktteilnehmer Emissionsrechte am ETS ver- und gekauft haben, ist erst nach drei Jahren öffentlich einsehbar. luk
03.03.2022 – 18:00 Uhr, online
Die Zeit, Diskussion Wir beantworten Ihre Fragen zu Putins Krieg in Europa
Teilnehmende dieser Veranstaltung der Zeit können in diesem Live-Chat alle Fragen zur Situation in der Ukraine, den globalen Auswirkungen und persönlichen Ängsten stellen. INFOS & ANMELDUNG
03.03.2022 – 19:00-20:30 Uhr, online
HBS, Podiumsdiskussion Russlands Krieg gegen die Ukraine. Wohin steuern wir?
Die Referent:innen der Heinrich Böll Stiftung (HBS) diskutieren, ob und warum Europa Putin falsch eingeschätzt hat, wie sich die Situation entwickelt und wie ernsthafte Sanktionen aussehen könnten. INFOS & ANMELDUNG
07.03.2022 – 09:00-12:15 Uhr, online
ASEW, Seminar Preissprünge am Energiemarkt kommunizieren
In den letzten Monaten stieg der Preis am Energiemarkt erheblich an, die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) erläutert nun wie diese Preissteigerungen einfach verständlich vermittelt werden können. INFOS & ANMELDUNG
07.03.2022 – 14:00-14:45 Uhr, online
BVMW, Vortrag Die Blockchain als Baustein für neue virtuelle Welten
Bei dieser Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) wird Horizon Workrooms, das 2021 von Meta angekündigte wurde, dessen Profitmöglichkeiten für Unternehmen sowie Chancen und Risiken diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022 – 10:00-15:30 Uhr, online
BVMed, Seminar MedTech meets DRGs Reimbursement – Strategien vor dem Hintergrund aktueller rahmenpolitischer Herausforderungen für Krankenhäuser
Dieses Seminar behandelt das MDK-Reformgesetz und seine Auswirkungen auf Krankenhäuser und MedTech-Unternehmen sowie den Trend der Ambulantisierung ANMELDUNG BIS 07.03.2022
Die europäischen Schuldenregeln werden nächstes Jahr zumindest teilweise ausgesetzt bleiben. Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, sagte gestern, die sogenannte Zwanzigstel-Regel für hoch verschuldete Staaten solle auch 2023 nicht angewendet werden. Danach müssen Euro-Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen. Das würde vor allem Griechenland und Italien hart treffen, die die höchsten Schuldenstände haben. Rund um den Globus sind die Schulden in der Corona-Krise nach oben geschossen, sodass ein Abbau um ein Zwanzigstel auch immer anspruchsvoller wird.
Insgesamt wird in Brüssel derzeit heiß diskutiert, ob die EU-Schuldenregeln ab 2023 wieder gelten sollen. Im Mai soll die Kommission dazu ihre Empfehlung vorlegen. Sie wurden 2020 ausgesetzt, um den Ländern mehr Spielraum zu geben, die Folgen der Pandemie abzufedern. Eigentlich soll durch den Stabilitätspakt die Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt werden und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent. Allerdings wurde immer wieder gegen die Vorgaben verstoßen, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte. Für viele Länder sind die Obergrenzen so weit weg, dass vor allem im Süden Europas Rufe nach einer Reform laut werden. Eine Einigung auf neue Regeln vor Ende 2023 gilt aber als unrealistisch.
Aktuell sorgt der russische Angriff auf die Ukraine zusätzlich zur Pandemie für Unsicherheit. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte in Brüssel, bis Mai werde geprüft, ob die Schuldenregeln auch 2023 ausgesetzt bleiben sollten. Wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen und der Gegenmaßnahmen Moskaus will die Kommission die Lage nun neu bewerten. Die EU-Kommission hatte ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in der Eurozone in diesem Jahr zuletzt bereits um 0,3 Punkte auf 4,0 Prozent gesenkt. Viele Experten halten weitere Anpassungen für nötig.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist gegen zu frühe Festlegungen zu den EU-Schuldenregeln. Es solle weiter quantitative Vorgaben zur Haushaltsführung geben, sagte er diese Woche. “Wir müssen sehr genau schauen, welche Auswirkungen die aktuelle Krise tatsächlich auf unsere Volkswirtschaften hat.” Es sei möglich, die negativen Folgen für Europa zu begrenzen. Über die Fiskalregeln solle erst entschieden werden, wenn mehr Klarheit bestehe.
Die Bundesregierung hat wegen des Ukraine-Kriegs ihre Sicherheitspolitik geändert. Unter anderem ist ein 100 Milliarden Euro schwerer Sonderfonds zur Modernisierung der Bundeswehr geplant. Lindner sagte in einem “Welt”-Interview, die dafür nötigen Schulden sollten vermutlich ab Ende des Jahrzehnts wieder zurückgezahlt werden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr warnte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der Topf für die Bundeswehr dürfe kein Anlass sein, an der Schuldenbremse zu rütteln, die Deutschland ab 2023 wieder einhalten wolle. rtr
Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben den Weg freigemacht für einen juristisch bindenden Vertrag zur Reduktion von Plastikmüll. “Wir schreiben heute Geschichte und Sie sollten alle stolz sein”, erklärte der Präsident des UN-Umweltprogramms (UNEA), Espen Barth Eide, am Mittwoch nach der Annahme einer entsprechenden Resolution in Nairobi. Dort hatten die Staaten mehr als eine Woche lang über die Umrisse des ersten weltweiten Plastikmüll-Abkommens verhandelt. Die UNEA nannte die Vereinbarung “die wichtigste Umwelt-Vereinbarung seit dem Pariser Abkommen” von 2015. Der eigentliche Vertrag soll nun von einem Ausschuss ausgearbeitet werden und 2024 vorliegen.
Unklar blieb, wie die endgültige Vereinbarung genau aussehen wird. “Da ist eine Spaltung zwischen denen, die ehrgeizig sind und eine Lösung finden wollen, und denen, die aus irgendwelchen Gründen keine Lösung finden wollen”, hatte der Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez am Dienstag erklärt. Eine Einschränkung der Kunststoff-Herstellung oder -Verwendung würde gewisse Öl- und Chemie-Konzerne treffen. Auch die Produzenten von Produkten mit Einwegverpackungen wären betroffen. In Staaten wie den USA, Indien, China und Japan nimmt die Kunststoffproduktion eine größere Rolle in der Wirtschaft ein. rtr
Emily O’Reilly, die EU-Bürgerbeauftragte, kritisiert die Praxis des Rates der EU, Journalisten während der Verhandlungen über anstehende Gesetzentwürfe den Zugang zu Informationen über die Positionen der Mitgliedsstaaten zu verweigern. Dieses Verhalten missachte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und sei als “Verwaltungsmissstand” (maladministration) zu werten.
Das Journalistenteam Investigate Europe (IE) hatte beim Sekretariat des Rates im März 2021 alle Dokumente aus den Verhandlungen der Mitgliedsstaaten über den Gesetzentwurf zum Digital Markets Act angefordert. Dabei fragten sie ausdrücklich auch nach den sogenannten “working documents”, in denen Forderungen und Kommentare der einzelnen Mitgliedsstaaten genannt werden. Die Beamten der Ratsverwaltung verweigerten aber den Zugang, weil dies nach “Ansicht der Mitgliedsstaaten zum jetzigen Zeitpunkt den laufenden Verhandlungen abträglich wäre.”
IE legte dagegen formalen Widerspruch ein. Es gehöre “zu den grundlegenden Aufgaben von Journalisten in einer demokratischen Gesellschaft, über laufende Gesetzgebungsverfahren zu berichten und den Bürgern die Argumente der verschiedenen Gesetzgebungsakteure zu präsentieren”, so die Begründung.
Parallel dazu legte IE Beschwerde bei der Bürgerbeauftragten ein. O’Reilly stellte nun fest, dass es sich “eindeutig um legislative Dokumente handelt, für die höchste Transparenzstandards gelten müssen”. Entsprechend “der gefestigten Rechtsprechung” rechtfertige “der vorläufige Charakter der Beratungen in den Arbeitsgruppen des Rates über einen Vorschlag der Kommission” keinesfalls die vom Rat reklamierte Ausnahme von diesem Gebot.
Vielmehr sei ein Gesetzesvorschlag “seinem Wesen nach dazu bestimmt, diskutiert und erörtert zu werden, und die öffentliche Meinung ist durchaus in der Lage zu verstehen, dass der Verfasser eines Vorschlags dessen Inhalt später ändern kann”, zitiert O’Reilly ein einschlägiges Urteil des EuGH in ihrem jetzt veröffentlichten Bericht. Auch die neue Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Transparenz der Prozesse im Rat der EU zu erhöhen. IE, tho
der Krieg in der Ukraine und die internationalen Sanktionen gegen Russland dürften neue Verwerfungen in den Wertschöpfungsketten der Industrie verursachen. “Wir werden Auswirkungen auf Lieferketten sehen, Rohstoffe eingeschlossen”, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis gestern. Auch das Bundeswirtschaftsministerium ist besorgt und fragt derzeit in der Industrie ab, wo Engpässe drohen. Lukas Scheid und Till Hoppe geben einen Überblick, bei welchen Vorprodukten Knappheit und steigende Preise drohen.
Die US-Ratingagentur Moody’s hat die Kreditwürdigkeit Russlands wegen der strengen Sanktionen der westlichen Länder auf “B3” von “Baa3” gesenkt. Zuvor hatte bereits Finch die Bonität Russlands auf Schrottniveau heruntergesetzt. Die Sanktionen treffen nicht nur die Industrie, sondern auch die russischen Staatsmedien Russia Today und Sputnik. Die Angebote dürften auf keinerlei Plattform mehr ausgestrahlt werden. Die EU will damit russische Propaganda und Desinformation verhindern. Warum die Maßnahme gut gemeint, aber wenig wirkungsvoll ist, hat Falk Steiner aufgeschrieben.
Und noch eine Auswirkung des russischen Angriffskrieges ist in der EU zu beobachten: Der CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem ist innerhalb einer Woche drastisch gesunken. Mehr dazu lesen Sie in den News.
Der Krieg in der Ukraine und die internationalen Sanktionen gegen Russland dürften neue Verwerfungen in den Wertschöpfungsketten der Industrie verursachen. “Wir werden Auswirkungen auf Lieferketten sehen, Rohstoffe eingeschlossen”, sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis gestern nach einer Videokonferenz der EU-Finanzminister.
In der EU-Kommission hieß es, man beobachte die Situation in den Lieferketten genau. “Insgesamt aber scheinen die industriellen Lieferketten nur in relativ begrenztem Ausmaß auf russische Vorprodukte angewiesen zu sein”, sagte ein Kommissionsbeamter. Momentan seien noch keine Engpässe bekannt. Der Konflikt verdeutliche aber erneut, dass die Lieferketten widerstandsfähiger werden müssten.
Auch das Bundeswirtschaftsministerium ist besorgt und fragt derzeit in der Industrie ab, wo Engpässe drohen. Die Kämpfe in der Ukraine beeinträchtigen dortige Lieferanten, die westlichen Sanktionen gegen russische Banken den Handel mit Rohstoffen von dort. Zudem werden in der Industrie Gegenmaßnahmen der Regierung in Moskau befürchtet. Die beidseitige Sperrung der Lufträume erschwert überdies den Transport, auch aus China. Hinzu kommt die Entscheidung etlicher Logistikunternehmen, Russland nicht mehr zu bedienen.
Die Auswirkungen auch für Europas und Deutschlands Industrie wären bei weiteren Sanktionen oder Lieferengpässen enorm, warnen die Analysten der Beratungsfirma H&Z aus München. Als Russland 2014 das erste Mal in die Ukraine einfiel, seien etwa die Preise für Neon fast um das Vierfache gestiegen, wodurch die Halbleiter-Branche in die Bredouille geriet. Seitdem hätten Chiphersteller ihre Neongaslieferungen diversifiziert und seien heute besser aufgestellt, so H&Z-Rohstoffexperte Michael Santo im Gespräch mit Europe.Table. Anders ist das bei Titan, Nickel, Palladium und Platin. Dort sind die Abhängigkeiten russischer Lieferungen nach wie vor hoch.
Titan, beziehungsweise der aus Russland importierte Rohstoff Titanschwamm, betrifft insbesondere die Luftfahrt-Industrie – einer der größten Abnehmer des Metalls. Das Rumpfteil eines Flugzeugs, der sogenannte Airframe, sowie bestimmte Triebwerkskomponenten besitzen eine Titanlegierung. Russland ist der drittgrößte Produzent weltweit, die Ukraine und Kasachstan liegen gemeinsam auf dem fünften Rang. Allen voran das russische Unternehmen VSMPO-Avisma liefert Titan, zum Beispiel auch an die Flugzeughersteller Boeing und Airbus. Je nach Ausgang des Krieges in der Ukraine und den verhängten Sanktionen gegen Russland und potenzielle Unterstützerländer des Kremls, könnten Teile oder gar alle dieser Lieferanten wegfallen.
Airbus erklärte, dass geopolitische Risiken in die Titanbeschaffungspolitik des Unternehmens integriert seien. Man sei daher kurz- und mittelfristig geschützt. Kurzfristig könne man ohnehin noch Bestände aufbrauchen, erklärt Volker Thum, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Man müsse aber bereits jetzt beginnen, alternative Quellen und den Einsatz alternativer Materialien zu prüfen.
Sanktionen und Liefereinschränkungen würden sich spätestens mittelfristig niederschlagen, prognostiziert dagegen Rohstoffexperte Santo. Der relativ lange Zyklus vom Rohstoff Titanschwamm bis zum Werkstoff schütze die Industrie zwar vor kurzfristiger Knappheit, doch erhebliche Preissteigerungen für den Bedarf in sechs bis zwölf Monaten seien unvermeidbar. Das wirke sich insbesondere auf Flugzeuge mit hohem Kohlefaseranteil aus, wie den A350 oder die Boeing 787. Titan finde hier aufgrund möglicher Kontaktkorrosion zu Aluminium überproportionale Anwendung, erklärt der Berater. “Hersteller und Verarbeiter brauchen also unbedingt gute und sichere Versorgungskanäle außerhalb des russischen Einflussbereiches, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.” Die Preissteigerung könne wahrscheinlich nur gedämpft, nicht aber verhindert werden.
Enorme Auswirkungen könnten Importstopps bestimmter Rohstoffe aus Russland auch für die Stahlindustrie haben. Russland ist mit 49 Prozent des globalen Marktes der weltgrößte Nickelexporteur – unter anderem durch den Moskauer Konzern Nornickel. Der Großteil des weltweit abgebauten Nickels wird im Stahlsektor für die Veredelung gebraucht. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl wollte sich am Mittwoch noch nicht zu möglichen Folgen diverser Sanktionsszenarien äußern. Doch laut Harald Enz, ebenfalls Rohstoff-Experte bei der Beratungsfirma H&Z, könnte die Stahlherstellung aufgrund der hohen Abhängigkeit von russischen Importen eine der am stärksten betroffenen Branche sein. Der seit Monaten steigende Nickelpreis schoss mit Beginn des Krieges in der Ukraine auf ein neues Rekordniveau von über 26.000 US-Dollar pro Tonne und lag am gestrigen Mittwoch bei 25,450 USD/t.
Auch hier ist laut Enz ein weiterer Preisanstieg kaum zu vermeiden. Die Frage sei, inwieweit Produktionskapazitäten eingeschränkt werden müssen. Das hänge davon ab, ob Stahlhersteller alternative Beschaffungsquellen haben und diese auch kurzfristig in der Lage sind, den Bedarf zu decken.
Nickel wird neben der Stahlveredelung auch für die Verkehrswende gebraucht, da der Rohstoff in Lithium-Ionen-Batterien zum Einsatz kommt. Nickel sei damit unersetzbar für den Hochlauf der Elektromobilität, betont VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Laut Prognosen werde sich der Bedarf von Nickel zudem vervielfachen. “Langfristig wird die Automobilindustrie mit Knappheit und Preisanstieg bei Rohmaterialien konfrontiert sein”, so Müller.
Ebenfalls relevant für die Automobilindustrie: Palladium und Platin. Beide Metalle werden für den Bau von Fahrzeug-Katalysatoren für Verbrennermotoren gebraucht. Bei Palladium stellt Russland ebenfalls die weltweit größte Bezugsquelle dar (42 Prozent globaler Marktanteil), bei Platin die zweitgrößte (13 Prozent). Laut VDA kommt etwa ein Fünftel des nach Deutschland importierten Palladiums aus Russland.
Erschwerend hinzu kommt für die Branche die durch den Krieg verursachten Unterbrechungen der Liefer- und Logistikketten. Zahlreiche deutsche Autobauer hatten in den vergangenen Tagen bereits Produktionsstopps angekündigt, da Teile von Zulieferern aus der Ukraine fehlten. Zusätzlich geraten laut der VDA-Präsidentin die Lieferketten zum Beispiel nach und aus China unter Druck, weil auch die Landwege durch die Krisenregion einen Transport zunehmend ausschließen.
Zwar sei aufgrund der dynamischen Situation ein verlässlicher Ausblick auf die Auswirkungen für die Automobilbranche schwierig, so Müller. Fest stehe aber, dass es zu weiteren Beeinträchtigungen bei der Produktion von Fahrzeugen in Deutschland kommen werde. “Die Hersteller und Zulieferer arbeiten mit Hochdruck daran, die Ausfälle und Behinderungen in den Lieferketten zu kompensieren und Alternativen hochzufahren.”
Auch die Elektroindustrie fürchtet um die Verfügbarkeit von wichtigen Vorprodukten. “Russland ist der Hauptlieferant von Saphirwafern, die in der Optoelektronik genutzt werden”, sagt Martin Pioch vom Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI). Diese Scheiben werden aus künstlich gezüchtetem Saphir geschnitten und für die Herstellung von LEDs benötigt.
In Stawropol im Süden Russland sitzt mit Monocrystal einer der größten Saphirwafer-Fabrikanten. Wenn dessen Produkte von neuen Import- und Exportbeschränkungen betroffen würden, könnte dies die ohnehin schon angespannte Versorgungslage auf dem Markt erheblich verschärfen. Auf andere Hersteller ausweichen kann die LED-Industrie kaum, denn deren Kapazitäten sind bereits voll ausgelastet. Sollte Russland als Lieferant wegfallen, dürften die Preise daher stark steigen, so die Sorge in der Industrie.
“Auch bei spezifischen Gasen oder chemischen Elementen könnte es Lieferschwierigkeiten geben, aber diese sehen wir momentan noch nicht”, sagt Pioch. Die US-Regierung hatte ihre Chipindustrie bereits frühzeitig vor möglichen Engpässen bei bestimmten Materialien durch den Konflikt gewarnt, darunter Neon und Palladium.
Für den Arbeitskreis Rohstoffe, ein Netzwerk deutscher Umweltorganisationen, wird durch die drohenden Preissteigerungen von Rohstoffen deutlich, dass in den vergangenen Jahren verschlafen worden sei, die Kreislaufführung bei metallischen Rohstoffen auszubauen, um Abhängigkeiten zu reduzieren. “Es braucht regionale Kreislaufführung und zugleich die Debatte, wie wir unseren Energie- wie auch Rohstoffbedarf absolut senken können”, fordert Hannah Pilgrim, Koordinatorin des Netzwerks. Die Politik müsse jetzt den Rahmen setzen, wie eine zukunftsfähige Rohstoffpolitik aussehen soll. Dafür brauche es höchste menschenrechtliche und ökologische Standards bei Importen sowie eine Evaluierung, in welchen Industriebranchen Primärrohstoffe deutlich reduziert werden können. Mit Till Hoppe
Der Beschluss ist kurz, hat es aber in sich: Seit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU gestern Mittag ist das Senden, Ermöglichung oder anderweitige Unterstützung des Sendens auf allen Verbreitungswegen wie Kabelnetzen, IP-TV, durch Internet Service Provider, Videoplattformen oder Apps verboten. Betroffen von den neuen EU-Sanktionen gegen Russland sind die englische, französische, spanische, britische und deutsche Version von Russia Today (RT) und Sputnik.
Die modernen Propagandaorgane des Kreml sind seit Jahren in der EU umstritten. Der zentrale Vorwurf: Unter Ausnutzung der Medienfreiheit im Westen würde Kreml-Politik propagiert und versucht, Gesellschaften durch Desinformation zu destabilisieren.
Mit dem Verbot will die EU dies nun unterbinden: “Wir sind massiver Propaganda und Desinformation über diesen verabscheuungswürdigen Angriff auf ein freies und unabhängiges Land ausgesetzt”, begründet Ursula von der Leyen den Schritt. “Wir werden diesen Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten.” Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bezeichnete RT und Sputnik als “erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union”.
Doch genau hier liegt eines von vielen Problemen der EU-Sanktion. Dass Russia Today und Sputnik versuchen, russische Propaganda zu verbreiten und dabei voll auf Linie des Kremls sind, ist jenseits Russlands unstrittig.
Doch in keinem einzigen EU-Mitgliedstaat hat es RT jemals in einer Reichweitenmessung auf einen auch nur annähernd relevanten Anteil Zuschauer gebracht. In Ländern mit größerer russischsprachiger Bevölkerungsgruppe wie im Baltikum sind hingegen die in und für Russland produzierten Programme maßgeblich. Die EU-Kommission war dementsprechend bis Redaktionsschluss nicht in der Lage, Reichweitenzahlen beizubringen, die die vom Außenbeauftragten Borrell angeführte “erhebliche und unmittelbare Bedrohung” durch die linearen Fernsehprogramme belegen könnten.
RT-Inhalte scheinen tatsächlich eher auf Social Media-Plattformen relevant. Doch Social Media-Inhalte sind von den ausgesprochenen Sanktionen nicht klar erfasst – Gegenstand des Beschlusses ist das Senden von Inhalten, ein rundfunkrechtlicher Begriff. Und auch bei den Social Media-Plattformen hegen Wissenschaftler gewisse Zweifel: Zwar ist etwa die Zahl der Follower von RT-Kanälen auf Plattformen häufig hoch. Doch die Interaktionsraten mit diesen sind regelmäßig eher niedrig. Etwas erfolgreicher scheint RT in einigen Sprachen auf Youtube zu sein.
In Deutschland wird RT Deutsch nach Auffassung der zuständigen Medienanstalten ohnehin ohne eine für einen linearen Sendebetrieb notwendige Lizenz betrieben. Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) hatte erst vorgestern gegen den Rundfunkveranstalter ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro angedroht. RT Deutsch hatte auch einen Monat nach Untersagung des Sendebetriebs durch die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) trotz anderslautender Ankündigungen keinen Eilantrag gegen die Entscheidung des Gremiums gestellt, ihm das Senden zu untersagen. RT Deutsch hatte argumentiert, dass es über eine serbische Lizenz auch in Deutschland senden dürfe.
Die Medienregulierung ist in Deutschland Länderkompetenz und in Europa nicht vollständig vergemeinschaftet. ZAK-Sprecherin Anja Bundschuh kommentiert die Sanktionen entsprechend zurückhaltend und unter Verweis auf die Staatsferne der Medienanstalten: “Die Wirtschaftssanktionen der Europäischen Kommission unterstützen uns bei der Durchsetzung unseres medienrechtlichen Beschlusses.” Wie genau die EU-Sanktionen nun umgesetzt werden sollen, war am Abend noch nicht abschließend zwischen Bund und Ländern geklärt.
Einwände könnten auch von anderer Seite drohen. Journalistenverbände kritisierten die Sanktion bereits nach der Ankündigung durch die Kommission. “Das Gegengift für Desinformation ist nicht die Sperrung von Medien. Sondern die Förderung eines lebendigen, pluralistischen, professionellen, ethischen und lebensfähigen Ökosystems, vollständig unabhängig von den Mächtigen”, kommentierte etwa Ricardo Gutiérrez, Generalsekretär der Europäischen Journalisten-Föderation (EJF).
Die Sanktionen dürften auch für einige juristische Diskussionen sorgen. Zum einen ist umstritten, inwieweit die EU überhaupt unmittelbar in die Medienregulierung der Mitgliedstaaten eingreifen darf, soweit es nicht um grenzübergreifende Regulierung geht. Zum Anderen sieht die Charta der Grundrechte der EU in Artikel 11 einen erstaunlich umfangreichen und nicht unmittelbar durch Pflichten qualifizierten Meinungs- und Informationsfreiheitsbegriff vor: “Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.”
Der Auftritt ist ein Pflichttermin in Frankreich. Präsidenten und Kandidaten besuchen gern die Landwirtschaftsmesse in Paris. Das vermittelt ein Bild der Verankerung im Land. Auch Emmanuel Macron hatte einen ausführlichen Besuch am Samstag geplant. Doch der Besuch wurde zur Stippvisite, der Präsident ist mit der Ukraine-Krise beschäftigt: “Der Krieg wird dauern und wir müssen uns vorbereiten.”
Seit Tagen ist Macron ständig unterwegs bei Treffen der EU und Nato. Er telefonierte mehrfach mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er traf auch seine Amtsvorgänger, den Sozialisten François Hollande und den Konservativen Nicolas Sarkozy, um sich mit ihnen zu beraten. Macron hatte im vergangenen Jahr versprochen, er werde “Präsident bis zur letzten Viertelstunde” bleiben. Damals ahnte er noch nicht, wie sehr das zutreffen würde.
Macron versuchte auch, mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verhandeln. Vergeblich. Dennoch hält sich die Kritik an Macron zu Hause in Grenzen. Dem Präsidenten ist es gelungen, sich als Persönlichkeit auf der Weltbühne zu präsentieren. Jean-Daniel Levy, stellvertretender Direktor des Meinungsforschungsinstitutes Harris Interactive, analysierte in französischen Medien: “Wenn es jemand gelingt, Frankreich außerhalb der Grenzen glänzen zu lassen, ist diese Person beliebter und respektierter.”
Als Amtsinhaber verkörpert Macron zudem Stabilität in unsicheren Zeiten. Der Präsident baut seine Favoritenstellung bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich in den neuesten Umfragen aus: Eine Ifop-Umfrage sieht ihn bei 28 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang, innerhalb einer Woche legte er 2 Prozentpunkte zu. Le Pen liegt auf dem zweiten Platz mit 16 und verlor 0,5 Prozent. Zemmour erreicht 14 Prozent (Minus 1,5 Prozent) und Pécresse kommt auf 13 Prozent (Minus 1 Prozent).
Die meisten Kandidaten fordern zwar eine harte Position gegenüber Russland. Doch sie wirken gegenüber Macron blass, auch wenn die Konservative Valérie Pécresse immer wieder verkündet (Europe.Table berichtete), es müsse ein “stahlharter Kurs gegenüber Putin” gefahren werden. Aber sie betonte auch, man solle Moskau die Zusicherung geben, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht auf der Tagesordnung stehe. Sie kreidete Macron an, dass er die Situation für den Wahlkampf ausnutze.
Bei den extremen Rechten ist das Thema nicht gerade geeignet, um Wähler anzuwerben. Eric Zemmour hat die Gelegenheit genutzt und seine Idee der “Souveränität” Frankreichs erneut betont. Er bezeichnete Macron als “kleinen Telegrammboten” der Nato.
Zemmour steht in der Kritik, weil er monatelang eine Bedrohung durch Russland runtergespielt hat und nun zurückrudern muss. Er hatte vorher von “Propaganda der amerikanischen Geheimdienste” gesprochen und sich mit seiner Bewunderung für Putin nicht zurückgehalten. Der TV-Moderator hatte 2018 einmal betont, er träume von “einem französischen Putin”. Er betonte auch, dass die USA mit der Ausweitung der Nato Putin bedränge. Er will den Frieden aushandeln und einen Rückzug der russischen Truppen mit dem Zugeständnis, dass die Nato sich nicht weiter nach Osten ausweitet.
Für Marine Le Pen ist es ebenfalls eine schwierige Situation. Ihre Nähe zu Russland ist bekannt – sie hat Wahlkampfkampagnen schon von russischen Banken finanzieren lassen, weil sie Mühe hat, in Europa an Geld zu kommen. Die Rechtsextreme erklärte, es reiche nicht aus, “auf Diplomatie im letzten Moment” zu setzen. Sie bezichtigte Macron, die Krise für den Wahlkampf ausgenutzt zu haben, um “seine Kommunikation” zu stärken. Sie betonte ironisch: “Man hat sich sogar die Frage gestellt, ob er wirklich Präsident ist oder den Friedensnobelpreis anstrebt.” Auch sie musste zugeben, dass sie den Kreml falsch eingeschätzt hat.
Der Linke Jean-Luc Mélenchon verurteilt den Einmarsch der Russen, sieht sie als die Verantwortlichen. Er tönt aber auch, dass die Amerikaner “die Ukraine in der Nato annexieren”. Mélenchon bezeichnete die Bilanz von Macron in der Ukraine-Krise als “bedauerlich”. Sozialisten und Grüne hielten sich mit Kommentaren zu Macron zurück, sie verurteilten vor allem die Entscheidung Russlands zum Angriff.
Pécresse erklärte die Kandidaten, die Russland verteidigt haben, “haben sich in Misskredit gebracht, um Frankreich zu regieren”. Sie hofft damit, Le Pen und Zemmour Stimmen abzugewinnen. Doch sie steht selbst in der Kritik: Ihr Parteifreund Eric Ciotti, der mit ihr den Wahlkampf betreibt, sprach sich in den letzten Monaten für einen Ausstieg aus der Nato und eine Annäherung an Russland aus. Mélenchons Team sucht derweil alte Tweets heraus, in denen er Putin kritisiert.
Die Europäische Union (EU) hat die Sanktionen gegen Belarus erheblich verschärft. Die Mitgliedstaaten einigten sich darauf, die Ausfuhr von Kali und anderer wichtiger Exportgüter wegen der Beteiligung des Landes am russischen Angriff auf die Ukraine weitgehend zu verbieten. Von dem Verbot betroffen sind rund 70 Prozent der belarussischen Ausfuhren.
Die EU weitet damit die im vergangenen Sommer verhängten Handelsbeschränkungen erheblich aus. Die Einfuhr von Kali aus Belarus, das zu Mineraldünger verarbeitet wird, wird vollumfänglich untersagt. Zuvor war nur rund ein Fünftel der Kali-Exporte betroffen gewesen. Ebenfalls beschränkt wird der Import von Holz, Zement und Stahl aus Belarus. Existierende Verträge sollen binnen drei Monaten abgewickelt werden. Zudem nimmt die EU 22 hochrangige Militärs aus dem Land auf die Liste sanktionierter Personen, weil diese Russland bei der Invasion unterstützt haben sollen.
Für Dual-use- und Hightech-Güter gelten die gleichen Einschränkungen, wie sie die EU vergangene Woche gegen Russland verhängt hatte. Der Schritt soll es zugleich russischen Unternehmen erschweren, die EU-Sanktionen über den Umweg Belarus zu umgehen.
Anders als einige russische Banken werden die Institute in Belarus aber zunächst nicht aus dem internationalen Zahlungsinformationssystem Swift ausgeschlossen. Die EU veröffentlichte gestern die Liste der betroffenen Banken, darunter das zweitgrößte russische Institut VTB. Bei den anderen Banken handelt es sich um die Bank Otkritie, Novikombank, Promsvyazbank, Bank Rossiya, Sovcombank und die öffentliche Förderbank VEB.
Die sechs erstgenannten Institute stehen laut Kommissionbeamten für ein Viertel des russischen Bankensektors. Die beiden Großbanken Sberbank und Gazprombank seien ausgenommen worden, da über sie ein Großteil der Energielieferungen abgewickelt werde. Mehrere Mitgliedsstaaten hatten darauf gedrängt, auch diese beiden Institute von Swift abzuschneiden.
Der Ausschluss aus dem Finanznetzwerk mit mehr als 11.000 Mitgliedern erschwert es den betroffenen Banken stark, grenzüberschreitende Transaktionen abzuwickeln. Auch der Zahlungsverkehr innerhalb Russlands werde teilweise mithilfe von Swift abgewickelt, sagte ein hochrangiger Kommissionsbeamter, daher seien auch dort Auswirkungen zu erwarten. Der Wechsel zu alternativen Systemen etwa aus China sei nicht ohne weiteres machbar (Europe.Table berichtete), da viele der internationalen Banken darüber nicht erreichbar seien.
Gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank wollen die EU-Finanzminister zudem dafür Sorge tragen, dass der Bann nicht mithilfe von Kryptowährungen unterlaufen wird. Bereits am Montag hatte die EU den Handlungsspielraum der russischen Zentralbank eingeschränkt, die unter Druck geratene Wirtschaft zu stützen. Das nun erlassene Paket untersagt überdies Ko-Investitionen in russische Hightech-Unternehmen, die über den Russian Direct Investment Fund organisiert werden. Auch der Transfer von Barmitteln nach Russland wird beschränkt.
Wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine und den folgenden internationalen Sanktionen frieren immer mehr Unternehmen ihre Aktivitäten ein oder ziehen sich ganz zurück. Gestern verkündete der Elektrotechnikkonzern Siemens Energy, sämtliches Neugeschäft in dem Land zu stoppen. Auch der frühere Mutterkonzern Siemens hat Konsequenzen gezogen: “Wir haben alle neuen Geschäfte und internationalen Lieferungen nach Russland eingestellt und prüfen weiterhin die vollen Auswirkungen aller Sanktionen”, bestätigte ein Sprecher. Seine lokalen Service- und Wartungsaktivitäten werde Siemens unter strikter Einhaltung der Sanktionen fortsetzen. Toyota stellt laut einem Zeitungsbericht die Fertigung in seiner Fabrik in Sankt Petersburg ein. Auch der deutsche Softwareriese SAP und sein US-Rivale Oracle setzen alle Aktivitäten in Russland aus. “Wir stellen unsere Geschäfte in Russland im Rahmen der Sanktionen ein und pausieren darüber hinaus alle Verkäufe von SAP-Dienstleistungen und -Produkten in Russland”, teilt SAP-Vorstandschef Christian Klein mit. tho/rtr
Die Europäische Union, die USA und die Schweiz haben mit verschiedenen Sanktionen auf die Invasion Russlands in der Ukraine reagiert. Hier finden Sie die aktuell verhängten EU-Sanktionen (soweit im Amtsblatt der EU veröffentlicht). Eine Übersicht über alle seit Beginn des Ukraine-Kriegs durch die EU, die USA und die Schweiz verhängten Sanktionen finden Sie hier.
Rechtsvorschrift L63
Verordnung (EU) 2022/345 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in
der Ukraine destabilisieren
Beschluss (GASP) 2022/346 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung des Beschlusses
2014/512/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage
in der Ukraine destabilisieren
Details
Rechtsvorschrift L65
Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU)
Nr. 833/2014
Beschluss (GASP) 2022/351 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung des Beschlusses
2014/512/GASP
Details
Rechtsvorschrift L66
Durchführungsverordnung (EU) 2022/353 des Rates vom 2. März 2022 zur Durchführung der
Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die
territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder
bedrohen
Beschluss (GASP) 2022/354 des Rates vom 2. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/
GASP
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Die Bundesregierung will für 1,5 Milliarden Euro Flüssiggas (LNG) einkaufen, um unabhängiger von Energielieferungen aus Russland zu werden. “Das Geld steht bereit”, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums am Mittwoch. Dem Marktgebietsverantwortlichen Trading Hub Europe seien die Mittel zugesagt worden, er solle nun entscheiden, wo das Flüssiggas konkret eingekauft werden soll. “Das wird sehr kurzfristig geschehen.” Ein Sprecher des Finanzministeriums ergänzte, wegen der Dringlichkeit seien die Mittel direkt bewilligt worden – statt der sonst üblichen Haushaltsverfahren.
Zur Entlastung des Ölpreises beteiligt sich Deutschland außerdem am Beschluss der Internationalen Energieagentur (IEA), einen Teil ihrer Ölreserven auf den Markt zu werfen. “Deutschland leistet einen Beitrag entsprechend dem deutschen Anteil am Erdölverbrauch der IEA-Länder von 5,4 Prozent. Bezogen auf die insgesamt auf den Markt zu bringende Menge von 60 Millionen Barrel sind dies rund 435.000 Tonnen Öl“, teilte das Wirtschaftsministerium am Mittwoch mit. Dies entspreche rund drei Prozent der deutschen Ölreserve, wodurch die Reichweite jedoch nur auf die gesetzlich vorgegebenen 90 Tage reduziert werde.
In Sachen Flüssiggas intensiviert die EU angesichts der weltweit hohen LNG-Nachfrage ihre Energiediplomatie. Inzwischen verhandeln die Kommission und der Außenbeauftragte auch mit China und Indien, die ebenfalls große Mengen Flüssiggas einkaufen. Das geht aus einem neuen Entwurf für die Energie-Kommunikation der Kommission hervor, die nun für 9. März terminiert ist. Ziel der Verhandlungen sei es, Preissteigerungen für alle Beteiligten zu vermeiden.
In dem Papier listet die Kommission zahlreiche weitere Initiativen auf, die über einen älteren Entwurf hinausgehen (Europe.Table berichtete). So kündigt die Kommission nun eine Europäische Allianz zur Finanzierung von Energieeffizienz an, bestehend aus Mitgliedsstaaten, öffentlichen und privaten Finanzinstituten, Investoren und Industrieunternehmen.
Gemeinsam mit der Industrie will die Kommission außerdem eine eigene Fazilität für Wasserstoff voranbringen, die den europäischen und weltweiten Handel mit erneuerbarem Wasserstoff erleichtern soll. Vorgestellt werden soll die Initiative im Mai. Bis 2030 soll die Staatengemeinschaft zehn Millionen Tonnen grünen Wasserstoff importieren. Als Pilotprojekt wird eine Partnerschaft mit Mittelmeeranrainern angekündigt.
Bei den Verhandlungen zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie will die Kommission sich außerdem dafür einsetzen, dass die Mitgliedsstaaten sogenannte Erneuerbaren-Zielgebiete (“RES go-to areas”) ausweisen. In diesen solle der Ausbau von Erneuerbaren und Versorgungsleitungen von überragendem öffentlichen Interesse im Sinne der Flora-Fauna-Habitat- und der Wasserrahmenrichtlinie sein. Inwiefern dieser Vorstoß die bestehende Rechtslage tatsächlich konkretisiert, bleibt abzuwarten.
Defensiver als noch im früheren Entwurf gibt sich die Kommission beim Abschöpfen unerwarteter Gewinne, die Energieunternehmen in Folge der hohen Strompreise erzielen (Europe.Table berichtete). Die Kommission stellt nun klar, dass die Gewinnabschöpfungen nicht rückwirkend gelten und vorerst bis zum 30. Juni befristet sein sollen. Außerdem sollen die Mitgliedsstaaten darauf achten, keine Gewinne wegzubesteuern, die Unternehmen dann für Investitionen in erneuerbare Energien fehlen. ber, luk, rtr
Seit Beginn des Krieges in der Ukraine ist der CO2-Preis im europäischen Emissionshandelssystem (ETS) abgestürzt. Stand er Mitte vergangener Woche noch bei rund 95 Euro pro Tonne CO2, sank er bis Mittwoch auf etwa 67 Euro.
Dass der Preisabfall mit dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt, daran hat Florian Rothenberg, Emissionshandel-Analyst bei ICIS, keinen Zweifel. Jedoch sei der ETS zuletzt ohnehin überhitzt gewesen, weshalb man bei dem “Sell-off der letzten Tage von einer notwendigen Korrektur sprechen kann”. Im Dezember vergangenen Jahres war der CO2-Preis im ETS innerhalb weniger Tage auf über 90 Euro gestiegen (Europe.Table berichtete) und war seitdem relativ stabil auf diesem Niveau geblieben – bis vor wenigen Tagen.
Zusätzlich zur “notwendigen Korrektur” kommt laut Rothenburg, dass die Ausbaupläne in ganz Europa für eine CO2-freie Energiebeschaffung nun eine andere Dynamik hätten. Neben der Motivation nur Dekarbonisierung seien inzwischen auch Sicherheitsinteressen bei der Energieherstellung hinzugekommen. Die antizipatorische Wirkung möglicher weiterer Subventionen in die Energiewende drücken den CO2-Preis.
Spekulationen, dass russische Käufer ihre Zertifikate abstoßen, um an europäische Devisen zu kommen, seien zwar plausibel, da man wisse, dass es russische Teilnehmer am ETS gibt. Doch könnten diese nicht für einen Absturz in dieser Größenordnung allein verantwortlich sein, so Rothenburg. Ein weiterer Grund könnten die aufgrund des explodierenden Gaspreises in Liquiditätsschwierigkeiten geratenen Energieunternehmen sein. Diese könnten nun möglicherweise CO2-Zertifikate abstoßen, um die Preissteigerung auszugleichen, vermutet der ICIS-Datenanalyst. Allerdings seien dies eher kurzfristige Erklärungsversuche, die normalerweise durch den Markt ausgeglichen würden.
Welche Marktteilnehmer Emissionsrechte am ETS ver- und gekauft haben, ist erst nach drei Jahren öffentlich einsehbar. luk
03.03.2022 – 18:00 Uhr, online
Die Zeit, Diskussion Wir beantworten Ihre Fragen zu Putins Krieg in Europa
Teilnehmende dieser Veranstaltung der Zeit können in diesem Live-Chat alle Fragen zur Situation in der Ukraine, den globalen Auswirkungen und persönlichen Ängsten stellen. INFOS & ANMELDUNG
03.03.2022 – 19:00-20:30 Uhr, online
HBS, Podiumsdiskussion Russlands Krieg gegen die Ukraine. Wohin steuern wir?
Die Referent:innen der Heinrich Böll Stiftung (HBS) diskutieren, ob und warum Europa Putin falsch eingeschätzt hat, wie sich die Situation entwickelt und wie ernsthafte Sanktionen aussehen könnten. INFOS & ANMELDUNG
07.03.2022 – 09:00-12:15 Uhr, online
ASEW, Seminar Preissprünge am Energiemarkt kommunizieren
In den letzten Monaten stieg der Preis am Energiemarkt erheblich an, die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) erläutert nun wie diese Preissteigerungen einfach verständlich vermittelt werden können. INFOS & ANMELDUNG
07.03.2022 – 14:00-14:45 Uhr, online
BVMW, Vortrag Die Blockchain als Baustein für neue virtuelle Welten
Bei dieser Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) wird Horizon Workrooms, das 2021 von Meta angekündigte wurde, dessen Profitmöglichkeiten für Unternehmen sowie Chancen und Risiken diskutiert. INFOS & ANMELDUNG
09.03.2022 – 10:00-15:30 Uhr, online
BVMed, Seminar MedTech meets DRGs Reimbursement – Strategien vor dem Hintergrund aktueller rahmenpolitischer Herausforderungen für Krankenhäuser
Dieses Seminar behandelt das MDK-Reformgesetz und seine Auswirkungen auf Krankenhäuser und MedTech-Unternehmen sowie den Trend der Ambulantisierung ANMELDUNG BIS 07.03.2022
Die europäischen Schuldenregeln werden nächstes Jahr zumindest teilweise ausgesetzt bleiben. Der Vize-Präsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis, sagte gestern, die sogenannte Zwanzigstel-Regel für hoch verschuldete Staaten solle auch 2023 nicht angewendet werden. Danach müssen Euro-Länder mit einer Schuldenquote von über 60 Prozent jedes Jahr ein Zwanzigstel der Differenz zwischen 60 Prozent und der tatsächlichen Quote abbauen. Das würde vor allem Griechenland und Italien hart treffen, die die höchsten Schuldenstände haben. Rund um den Globus sind die Schulden in der Corona-Krise nach oben geschossen, sodass ein Abbau um ein Zwanzigstel auch immer anspruchsvoller wird.
Insgesamt wird in Brüssel derzeit heiß diskutiert, ob die EU-Schuldenregeln ab 2023 wieder gelten sollen. Im Mai soll die Kommission dazu ihre Empfehlung vorlegen. Sie wurden 2020 ausgesetzt, um den Ländern mehr Spielraum zu geben, die Folgen der Pandemie abzufedern. Eigentlich soll durch den Stabilitätspakt die Neuverschuldung auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt werden und die Gesamtverschuldung auf 60 Prozent. Allerdings wurde immer wieder gegen die Vorgaben verstoßen, ohne dass dies spürbare Konsequenzen gehabt hätte. Für viele Länder sind die Obergrenzen so weit weg, dass vor allem im Süden Europas Rufe nach einer Reform laut werden. Eine Einigung auf neue Regeln vor Ende 2023 gilt aber als unrealistisch.
Aktuell sorgt der russische Angriff auf die Ukraine zusätzlich zur Pandemie für Unsicherheit. EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte in Brüssel, bis Mai werde geprüft, ob die Schuldenregeln auch 2023 ausgesetzt bleiben sollten. Wegen der gegen Russland verhängten Sanktionen und der Gegenmaßnahmen Moskaus will die Kommission die Lage nun neu bewerten. Die EU-Kommission hatte ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in der Eurozone in diesem Jahr zuletzt bereits um 0,3 Punkte auf 4,0 Prozent gesenkt. Viele Experten halten weitere Anpassungen für nötig.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist gegen zu frühe Festlegungen zu den EU-Schuldenregeln. Es solle weiter quantitative Vorgaben zur Haushaltsführung geben, sagte er diese Woche. “Wir müssen sehr genau schauen, welche Auswirkungen die aktuelle Krise tatsächlich auf unsere Volkswirtschaften hat.” Es sei möglich, die negativen Folgen für Europa zu begrenzen. Über die Fiskalregeln solle erst entschieden werden, wenn mehr Klarheit bestehe.
Die Bundesregierung hat wegen des Ukraine-Kriegs ihre Sicherheitspolitik geändert. Unter anderem ist ein 100 Milliarden Euro schwerer Sonderfonds zur Modernisierung der Bundeswehr geplant. Lindner sagte in einem “Welt”-Interview, die dafür nötigen Schulden sollten vermutlich ab Ende des Jahrzehnts wieder zurückgezahlt werden. FDP-Fraktionschef Christian Dürr warnte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, der Topf für die Bundeswehr dürfe kein Anlass sein, an der Schuldenbremse zu rütteln, die Deutschland ab 2023 wieder einhalten wolle. rtr
Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben den Weg freigemacht für einen juristisch bindenden Vertrag zur Reduktion von Plastikmüll. “Wir schreiben heute Geschichte und Sie sollten alle stolz sein”, erklärte der Präsident des UN-Umweltprogramms (UNEA), Espen Barth Eide, am Mittwoch nach der Annahme einer entsprechenden Resolution in Nairobi. Dort hatten die Staaten mehr als eine Woche lang über die Umrisse des ersten weltweiten Plastikmüll-Abkommens verhandelt. Die UNEA nannte die Vereinbarung “die wichtigste Umwelt-Vereinbarung seit dem Pariser Abkommen” von 2015. Der eigentliche Vertrag soll nun von einem Ausschuss ausgearbeitet werden und 2024 vorliegen.
Unklar blieb, wie die endgültige Vereinbarung genau aussehen wird. “Da ist eine Spaltung zwischen denen, die ehrgeizig sind und eine Lösung finden wollen, und denen, die aus irgendwelchen Gründen keine Lösung finden wollen”, hatte der Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez am Dienstag erklärt. Eine Einschränkung der Kunststoff-Herstellung oder -Verwendung würde gewisse Öl- und Chemie-Konzerne treffen. Auch die Produzenten von Produkten mit Einwegverpackungen wären betroffen. In Staaten wie den USA, Indien, China und Japan nimmt die Kunststoffproduktion eine größere Rolle in der Wirtschaft ein. rtr
Emily O’Reilly, die EU-Bürgerbeauftragte, kritisiert die Praxis des Rates der EU, Journalisten während der Verhandlungen über anstehende Gesetzentwürfe den Zugang zu Informationen über die Positionen der Mitgliedsstaaten zu verweigern. Dieses Verhalten missachte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und sei als “Verwaltungsmissstand” (maladministration) zu werten.
Das Journalistenteam Investigate Europe (IE) hatte beim Sekretariat des Rates im März 2021 alle Dokumente aus den Verhandlungen der Mitgliedsstaaten über den Gesetzentwurf zum Digital Markets Act angefordert. Dabei fragten sie ausdrücklich auch nach den sogenannten “working documents”, in denen Forderungen und Kommentare der einzelnen Mitgliedsstaaten genannt werden. Die Beamten der Ratsverwaltung verweigerten aber den Zugang, weil dies nach “Ansicht der Mitgliedsstaaten zum jetzigen Zeitpunkt den laufenden Verhandlungen abträglich wäre.”
IE legte dagegen formalen Widerspruch ein. Es gehöre “zu den grundlegenden Aufgaben von Journalisten in einer demokratischen Gesellschaft, über laufende Gesetzgebungsverfahren zu berichten und den Bürgern die Argumente der verschiedenen Gesetzgebungsakteure zu präsentieren”, so die Begründung.
Parallel dazu legte IE Beschwerde bei der Bürgerbeauftragten ein. O’Reilly stellte nun fest, dass es sich “eindeutig um legislative Dokumente handelt, für die höchste Transparenzstandards gelten müssen”. Entsprechend “der gefestigten Rechtsprechung” rechtfertige “der vorläufige Charakter der Beratungen in den Arbeitsgruppen des Rates über einen Vorschlag der Kommission” keinesfalls die vom Rat reklamierte Ausnahme von diesem Gebot.
Vielmehr sei ein Gesetzesvorschlag “seinem Wesen nach dazu bestimmt, diskutiert und erörtert zu werden, und die öffentliche Meinung ist durchaus in der Lage zu verstehen, dass der Verfasser eines Vorschlags dessen Inhalt später ändern kann”, zitiert O’Reilly ein einschlägiges Urteil des EuGH in ihrem jetzt veröffentlichten Bericht. Auch die neue Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag dafür ausgesprochen, die Transparenz der Prozesse im Rat der EU zu erhöhen. IE, tho