Bei den Vorwahlen der konservativen Partei Les Républicains (LR) hatte Valérie Pécresse das Glück auf ihrer Seite. Höchstens 3500 Stimmen trennten die relevanten Kandidaten Bertrand, Barnier, Ciotti und Pécresse voneinander, und der Einzug der einzigen Frau in die zweite Runde war für die meisten Beobachter eine Überraschung. In der Stichwahl gegen Rechtsaußen-Vertreter Éric Ciotti war die Lage klarer.
Valérie Pécresse hat ihre Kampagne bisher gut geführt. Sie ist gut organisiert, hat ein gutes Team und ist eine stolze Feministin, was für die LR ziemlich erfrischend ist. Ihr Überraschungserfolg bei den Vorwahlen scheint ihrer Kampagne einen Schub zu geben – ihre Umfragewerte schnellten zuletzt von 9 auf 20 Prozent nach oben. In der Stichwahl gegen Emmanuel Macron läge sie demnach sogar vorne. Macron (rund 24 Prozent in den Umfragen), Le Pen (rund 20 Prozent) und Zemmour (rund 14 Prozent).
Valérie Pécresse: Merkel und Thatcher
„Zwei Drittel Merkel, ein Drittel Thatcher“: So beschrieb sich Valérie Pécresse im September selbst. Doch die Formel passt so gar nicht zu dem Bild, das die französische Presse von ihr zeichnet. Lange Zeit war in Pécresse keine Thatcher zu erkennen: Sie war eine politische Erbin von Chirac, der nicht gerade für seinen Appetit auf Veränderungen bekannt war. 2017 verließ sie LR und wurde als „Macron-kompatible“ Mitte-Rechts-Persönlichkeit eingestuft. Erst wenige Wochen vor den Vorwahlen kehrte sie in die Partei zurück.
Auch der Vergleich mit Angela Merkel scheint weit hergeholt, da sie nicht die Qualitäten aufweist, die die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin am besten beschreiben: anerkannte Klugheit, Gelassenheit angesichts der kommenden Herausforderungen und kein wirklicher Sinn für Konsens.
Für ihren Sinn für Vergleiche ist Valérie Pécresse hingegen durchaus bekannt: Während ihrer erfolgreichen Kampagne für die Region Île de France zeichnete sie sich durch einen weiteren kraftvollen Satz aus: „rien de tel qu’une femme pour faire le ménage„, was übersetzt so viel heißt wie „es gibt nichts Besseres als eine Frau, die aufräumt“. Das war vielleicht der Moment, in dem ihre Thatcher-Seite geboren wurde, zumindest in Worten.
Der schwierige Weg zur Präsidentschaft
Ihr Durchsetzungsvermögen muss sie jedenfalls früher unter Beweis stellen, als ihr lieb sein dürfte. Nach der verlorenen Stichwahl kündigte Pécresses Kontrahent Ciotti die Gründung einer neuen Fraktion innerhalb der Partei an. „À droite“ soll der neue Flügel heißen. „Nach rechts“. Ein Schritt, der deutlich macht, dass Les Républicains kaum noch geschlossen hinter ihrer Überraschungskandidatin stehen.
Außerdem muss sich Valérie Pécresse mit der neu gegründeten Mitte-Rechts-Partei „Horizonte“ von Macrons ehemaligem Premierminister Edouard Philippe auseinandersetzen. Erst vor kurzem wechselte mit Christian Estrosi ein bekanntes Gesicht der LR in die neue Partei.
Diese soll Macron bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im April 2022 unterstützen und ihm helfen, bei den im Juni folgenden Parlamentswahlen eine Mehrheit zu bilden. Edouard Philippe gehört zu den populärsten politischen Akteuren in Frankreich, was es Pécresse zusätzlich erschweren dürfte, weitere Stimmen von rechts und aus der Mitte zu gewinnen. Vielmehr könnte Philippe sogar eingefleischte LR-Wähler dazu bewegen, sich schließlich für Macron zu entscheiden.
Zwei mögliche Wahlkampfszenarien
In diesem Zusammenhang sind zwei Szenarien möglich: Entweder gelingt es Valérie Pécresse nicht, die Wähler der Mitte und der Rechten zu erreichen und sie bestätigt die Marginalisierung der LR in einem Frankreich, in dem die neue relevante politische Kluft zwischen Nationalisten und Globalisten besteht. Oder aber sie eint ihre Partei dank einer durch sie aufkommenden Dynamik, erreicht neue Wähler und geht in die zweite Runde. Der Weg für die zweite Option scheint schmal, aber denkbar. Der Wahlkampf hat gerade erst begonnen und es ist zu erwarten, dass sich die Fronten in der Wählerschaft verschieben werden, wovon sie profitieren könnte.
Daneben darf nicht vergessen werden, dass die Präsidentschaftswahlen 2017 aufgrund von Skandalen völlig unerwartet verliefen. Die „Skandal-Komponente“ ist bei vielen Kandidaten nicht zu unterschätzen und könnte die derzeitige Dynamik stark verändern. Das gilt auch für Pécresse, die bereits 20 Jahre in der Politik tätig ist.