Table.Briefing: Europe

Schwächen im Taxonomie-Entwurf + Zukunftskonferenz + Europol und Datenschutz

  • Atomkraft im Taxonomie-Entwurf: Ein Text mit Schwächen
  • EU-Zukunftskonferenz: Der Wunschkatalog von Warschau
  • Termine
  • EU-Taxonomie laut DUH-Gutachten rechtswidrig
  • Europol: EDSB untersagt endlose Vorratsdatenspeicherung
  • Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Uneinigkeit um KMU
  • Sassoli erneut im Krankenhaus
  • Regierung will Klima-Sofortprogramm bis April beschließen
  • EU-Forscher: Rekord-Werte bei Treibhausgasen in der Atmosphäre
  • Verbraucherzentrale: Heizkostenzuschuss deutlich zu niedrig
  • Jochen Reinschmidt (ZVEI) zum Normungssystem: Europa muss sich strategisch aufstellen
Liebe Leserin, lieber Leser,

es kommt nicht oft vor, dass delegierte Rechtsakte in die Mühlen der großen Politik geraten. Im Falle des ergänzenden Rechtsakts zur Taxonomie-Verordnung ist genau das geschehen. Die EU-Kommission hat die Frist nun bis zum 21. Januar verlängert, binnen der Mitgliedsstaaten und Experten zu ihrem Entwurf Stellung beziehen können. Eigentlich hätte diese bereits am Mittwoch enden sollen, aber der Diskussionsbedarf ist groß.

Auch innerhalb der Ampel-Koalition: SPD, FDP und Grüne haben sich noch nicht verständigt, wie sich Deutschland zu der Klassifizierung von Kernenergie und Erdgas verhält. Die von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Wochenende angekündigte Ablehnung beziehe sich allein auf die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie, stellte ihr Sprecher gestern klar. Wie man sich zum Rechtsakt insgesamt positioniere, darüber sei die Bundesregierung “noch in der Abstimmung”.

Die Kommission hat zu diesem Kuddelmuddel beigetragen. Sie hatte angekündigt, die Klassifizierung allein auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien vorzunehmen. Der in der Silvesternacht versandte Entwurf aber enthält etliche Schwächen, wie Charlotte Wirth in ihrer Analyse aufzeigt. So sind die angeblich strengen Sicherheitsanforderungen an AKWs lax formuliert. Bei der ungeklärten Endlager-Frage lege sich die Behörde unnötigerweise auf einen Ansatz fest, kritisiert auch die Atom-Lobby. Ein neues Gutachten im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe hält den Kommissionsentwurf gar für rechtswidrig – mehr dazu lesen Sie in den News.

In der breiten Öffentlichkeit ist das Thema Taxonomie erst seit wenigen Wochen präsent. In Europe.Table war es das von Beginn an: Bereits Mitte August, in der 6. Ausgabe unseres Briefings, hatte Charlotte Wirth die Lücken im Bericht der kommissionseigenen Forschungsstelle JRC aufgezeigt. Wir haben die Diskussion über die vergangenen Monate eng begleitet, unsere Leserinnen und Leser wurden von keiner Wendung überrascht.

Heute lesen Sie bereits die 100. Ausgabe von Europe.Table. Viele weitere werden folgen. Ich lade Sie ausdrücklich ein, Teil der Weiterentwicklung zu sein: Schreiben Sie mir, was Ihnen an Europe.Table gefällt und was wir besser machen können: till.hoppe@table.media.

Ein anderes Thema, das von vielen noch unterschätzt wird: Standards und Normen. Anfang Februar will die Kommission ihre neue Standardisierungsstrategie vorstellen. Das lange Experten vorbehaltene Feld werde inzwischen als “industrie- und geopolitisches Instrument genutzt”, warnt Jochen Reinschmidt vom ZVEI in seinem Gastbeitrag. Europa müsse sich daher strategischer aufstellen.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Atomkraft im Taxonomie-Entwurf: Ein Text mit Schwächen

Besonders einer wird sich über den Taxonomie-Entwurf gefreut haben, den die Europäische Kommission kurz vor Mitternacht des 31. Dezembers an die Mitgliedstaaten geschickt hat: der französische EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton. “Wir brauchen die Atomkraft, um klimaneutral zu werden. Daher war immer klar, dass sie nicht aus der Taxonomie ausgeschlossen werden darf”, sagte Breton jüngst dem “Journal du Dimanche”.

Es waren denn auch Breton und sein Heimatland Frankreich, die dafür gekämpft haben, dass Investments in die Kernkraft zukünftig als “grün” abgeschrieben werden dürfen. “Es wurde von Anfang an politischer Druck gemacht, auf allen Wegen”, beschreibt die Luxemburger Umweltministerin Carole Dieschbourg den Weg zum delegierten Rechtsakt (Europe.Table berichtete). Tatsächlich hat Emmanuel Macron das größte Interesse daran, dass Investments in die Kernkraft als nachhaltig gelten, hat Frankreich doch entschieden, auf dem Weg zur Klimaneutralität insbesondere auf diese Energiequelle zu setzen.

Andere freuen sich weniger über den Entwurf des Rechtsaktes. Der Atomindustrie geht der Vorschlag nicht weit genug. Tatsächlich wird die Atomkraft im Taxonomie-Entwurf nur als Übergangstechnologie gelistet. “Das ist nicht gerechtfertigt”, findet Jessica Johnson von FORATOM, dem Sprachrohr der europäischen Atomindustrie. “Atomkraft erfüllt die Prämissen des Do No Significant Harm und ist CO2-neutral. Sie sollte genauso behandelt werden wie nachhaltige Energiequellen.”

Kommission verweist auf veraltetes Sicherheitsgesetz

Dass die Atomkraft im Taxonomie-Entwurf als Übergangsquelle gelistet wird, hat allerdings pragmatische Gründe. Es ist die einzige Kategorie, in die Atomkraft laut Taxonomie-Verordnung fallen kann. Die anderen Kategorien, die im Rahmentext gelistet werden, gelten vor allem erneuerbaren Energien. Dieser Einstufung gilt auch die Kritik der Atomgegner, wenn auch aus anderen Gründen. In der Tat erlaubt der Taxonomie-Entwurf, den Bau von Atommeilern bis 2045 zu genehmigen.

Bis 2050 haben die Mitgliedstaaten Zeit, um Endlager zu bauen. Von Übergang kann in diesem Kontext jedoch nicht die Rede sein, schließlich ist 2050 das Jahr, in dem die EU bereits klimaneutral sein will. Zudem zieht sich der Bau von Atomkraftwerken über Jahrzehnte: Eine Genehmigung im Jahr 2045 bedeutet also nicht, dass die Meiler dann bereits am Netz sind. Dieser Widerspruch sei eine der Grundlagen für eine mögliche Klage, sagte Dieschbourg im Gespräch mit Europe.Table. Zurzeit würden die Experten den Entwurf genau prüfen.

Die Kommission pocht ihrerseits darauf, dass die Einstufung der Atomkraft in der EU-Taxonomie als “nachhaltig” mit strengen Sicherheitskriterien einhergeht. “Die Sicherheitsanforderungen an AKWs sind sehr hoch und es ist schwer, diese noch nach oben zu korrigieren”, so ein EU-Beamter. Dennoch: Die Referenzierung ist im Entwurf schwammig. So bezieht sich die Kommission durchweg auf die Richtlinie 2009/71/Euratom. Diese wurde allerdings 2014 angepasst (2014/87/Euratom). Nach dem Atomunfall von Fukushima 2011 wurden die Sicherheitsanforderungen an die europäischen Meiler in diesem jüngeren Text überarbeitet und verschärft, um das Risiko für schwere Atomunfälle zu minimieren.

Zumindest in der Praxis sei es im Fachbereich der atomaren Sicherheit gängig, auf die jüngste Version, den 2014er Text, zu verweisen, sagt Manfred Mertins, Experte für nukleare Sicherheit. Er wirft der Kommission unsauberes Arbeiten vor: “Man referiert immer den aktuellen Text. Das ist gängige Praxis und das machen wir bei Gutachten genauso. Es muss schließlich ausdrücklich nach dem aktuellsten Stand gearbeitet werden.”

Shall oder Should

Mertins sieht weitere Fehler im Vorschlag. So verwende die Kommission im gesamten Entwurf das Verb “should”, um die angeblich strengeren Sicherheitsanforderungen einzuleiten. Im Vokabular der atomaren Sicherheit sei die Nutzung der Verben “shall” und “should” klar geregelt. Sei eine Anforderung absolut und integral verbindlich, so würde das Verb “shall” genutzt. Richte sich die Umsetzung allerdings nach dem Ermessen der Betreiber, dann nutze man das Verb “should”.

Das ziehe sich durch alle internationalen Texte zur nuklearen Sicherheit. “Im Gegensatz zu Anforderungen wie jene, die die Internationale Agentur für Atomenergie festschreibt, sind die Forderungen der Kommission unverbindlich. Die Kommission weicht hier von der internationalen Norm ab. Das ‘shall’ ist unglaublich wichtig. Wenn die Kommission das nicht reinschreibt, dann ist das ganz bewusst geschehen”, so der Honorarprofessor der TU Brandenburg.

Taxonomie sollte strengere Sicherheitskriterien für Atomkraft auferlegen

Hat sich die Kommission also in ihrem Entwurf ganz bewusst für eine schwächere Sprache entschieden? Ein weiteres Element deutet darauf hin: So gilt laut Taxonomie-Entwurf die Forderung, dass Atommeiler sich nach dem neuesten Stand der Technologie richten müssen. Anforderungen für atomare Sicherheit beziehen sich allerdings immer auf den Stand von Technik und Wissenschaft, kritisiert Manfred Mertins. “Nur von technologischem Fortschritt zu reden, ist zu wenig. Dieser eilt den wissenschaftlichen Entwicklungen bloß hinterher. Bei nuklearer Sicherheit muss man wissen: Was zeigt die Wissenschaft, und wo gibt es bereits Probleme.”

Die Kommission pocht ihrerseits darauf, dass der Taxonomie-Text “strengere Sicherheitskriterien für die Atomkraft” auferlege. Doch allein hierin versteckt sich ein Widerspruch: Bereits die Auferlegung von solchen Kriterien ist per Definition nicht die Aufgabe eines delegierten Rechtsaktes. Denn dabei handelt es sich laut Artikel 290 AEUV um die Befugnis, “Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen”. Auch dieser Widerspruch wird als Grundlage einer etwaigen Klage gehandelt.

Technologien gibt es zum Teil noch nicht

Gleichzeitig geht die Kommission in ihrem Entwurf so weit, dass sie Sicherheitsanforderungen und Normen für Technologien verfasst, die es so noch gar nicht gibt. Ein paar Beispiele:

Der Text formuliert etwa die Anforderung, dass die AKWs schnellstmöglich auf sogenannte “accident-tolerant fuels” umsteigen müssen. Doch diese existierten noch gar nicht, kritisiert auch FORATOM: “Die Entwicklung ist noch im Forschungsstadium, und es ist noch gar nicht klar, wann ein solcher Treibstoff auf den Markt kommt”, merkt Jessica Johnson an. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe der Kommission ist, solche Technologien zuzulassen. Zuständig sind die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, die für die atomare Sicherheit zuständig sind. “Diese sind unabhängig und können nicht einfach unter Druck gesetzt werden, damit sie grünes Licht für die Einführung solcher Treibstoffe geben”, so Johnson.

In ähnlicher Weise bezieht sich die Kommission in ihrem Entwurf auf Reaktoren mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf oder sogenannten Brüterreaktoren. Auch diese sind derzeit noch gar nicht auf dem Markt. “Diese Technologien sind noch gar nicht erprobt, und die Probleme zeigen sich dann erst später”, bemerkt Manfred Mertins. Sogar die neuen Druckwasserraktoren (EPR), die aktuell etwa in China oder Flamanville gebaut werden, zeigten bereits deutliche sicherheitstechnische Probleme, gibt der Sicherheitsexperte zu bedenken.

Weiteres Problem: Für viele der neuen Technologien, die die Kommission aufzählt, gibt es noch gar keine rechtliche Grundlage. Für Mini-Reaktoren zum Beispiel hat die EU das Projekt ELSMOR ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, eine gesetzliche Grundlage überhaupt zu erarbeiten.

Atomabfallbeseitigung als gelöstes Problem

Besonders heikel ist jedoch, dass die Kommission vorgibt, Betreiber müssten bis 2025 einen Plan vorlegen, indem sie erläutern, wie sie bis 2050 ein Endlager für schwer-radioaktive Abfälle einrichten wollen. Die Krux: Die Kommission begrenzt sich hier auf eine einzige Technologie: Die tiefen geologischen Endlager, von denen sie selbst zugibt, dass es weltweit noch keines gibt. Zwar gibt es entsprechende Projekte in Finnland, Frankreich und Schweden, mehr aber auch nicht. Auch die Atomindustrie ist mit dieser Forderung unzufrieden. Sie kritisiert, die Kommission gehe zu weit, indem sie sich auf eine Lösung begrenze, dabei werde auch in andere Richtungen geforscht. Im schlimmsten Fall hemme sie damit Investitionen in die Erforschung weiterer Lösungen.

Atomkritiker hingegen werten die Anforderung der Kommission als unrealistisch. “Was ist ein Plan? Letztlich ist das nur ein Papier und man weiß nicht, ob das Projekt am Ende gelingt oder nicht”, sagt etwa Greenpeace-Atomexperte Roger Spautz. Zudem sei nicht einmal klar, ob diese Tiefenlager überall umsetzbar seien. Schließlich hänge das von den geologischen Bedingungen der jeweiligen Regionen ab. “Die Kommission limitiert sich hier auf eine Lösung, die nicht einmal erprobt ist. Es gibt bereits jetzt Länder, die das Konzept der geologischen Tiefenlager ablehnen, denn bei Problemen wie etwaigen Lecks wird es quasi unmöglich sein, die Abfälle noch zu evakuieren”, warnt Spautz. Währenddessen sei auch das Timing unrealistisch. Spautz nennt das Beispiel des Endlagerprojektes Cigéo in Frankreich. Dieses sei seit 2006 in Planung und soll frühestens 2035, womöglich eher 2040 erstmals genutzt werden.

Laufzeitverlängerungen sind “nachhaltig”

Dass die Kommission sich gerade auf diese Lösung einschießt, kommt nicht von ungefähr. So stützt sie sich in ihrer Einschätzung auf den umstrittenen Bericht des kommissionsinternen Joint Research Centre, der damit beauftragt war, zu prüfen, ob die Kernkraft den Do-No-Significant-Harm-Prinzipien entspricht (Europe.Table berichtete). Hier, so lautete die übergreifende Kritik, stellte das JRC das Entsorgungsproblem von Atomabfall dank der geologischen Tiefenlager als Lösung dar, gleichwohl jegliche Erfahrungswerte fehlen.

Doch der Taxonomie-Entwurf gilt nicht nur für neue Meiler, sondern will auch Investments in Laufzeitverlängerungen alter Reaktoren als nachhaltig einstufen. Doch die alten Meiler könnten die heutigen Sicherheitsstandards nicht erfüllen, warnt Manfred Mertins. “In Europa stehen die ältesten Reaktoren weltweit. Über drei Viertel sind älter als 30 Jahre.”

Diese ließen sich unmöglich auf den neuesten Stand von Technologie und Sicherheit bringen, schließlich seien sie nach den Sicherheitsstandards der 1970er-Jahre entworfen. “Sie sind auf den heutigen Stand nicht nachrüstbar und können Flugzeugabstürzen oder extremen Wetterverhältnissen nicht standhalten. Der Baukörper steht ja da, die Wände lassen sich also nicht mehr verdicken und da kann man auch nichts reinbauen.”

Das weiß auch FORATOM und weist darauf hin, dass in der letzten Euratom-Richtlinie von 2014 bereits stehe, dass die AKWs “so nahe wie möglich” an die Sicherheit neuer Designs herankommen müssen. Und merkt an, dass die Sicherheit bei Laufzeitverlängerungen auf Herz und Nieren geprüft werde.

Energiepolitik oder nicht?

Für diese Einschätzung sind wiederum die nationalen Behörden zuständig, nicht die Kommission. Die französische Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) meldet allein in ihrem aktuellen Jahresbericht über 1.000 Zwischenfälle an den veralteten französischen AKWs. Dabei handelt es sich zwar in den meisten Fällen um kleinere Zwischenfälle, doch in ihrer Summe seien auch diese sehr gefährlich, merkt Roger Spautz von Greenpeace an. Er gibt zudem zu bedenken, dass die europäischen Meiler bis heute nicht einmal die Sicherheitsanforderungen erfüllen, die nach dem Atomunfall in Japan eingeführt wurden. In Frankreich etwa wird es noch bis 2040 dauern, bis die neuen Normen, die nach Fukushima für die Meiler gelten, eingehalten werden.

Eins ist jedenfalls klar: Der Taxonomie-Text bietet aufgrund der Unklarheiten Angriffsfläche. Zwar behauptet die Kommission, mit dem Papier lediglich Transparenzkriterien für Investoren festzulegen und keine Energiepolitik betreiben zu wollen. Für Luxemburgs Umweltministerin Carole Dieschbourg setzt sie aber ein klares Zeichen: “Die Taxonomie prägt jede weitere Diskussion rund um die Gestaltung der Energiewende – über Fonds, über europäische Gelder, auf nationaler und internationaler Ebene und letztlich darüber, wie öffentliche Gelder investiert werden.” Genauso sieht es wohl auch Thierry Breton, der am Sonntag ankündigte, man müsse 500 Milliarden in neue AKWs investieren, da die Klimaziele nur mithilfe der Kernkraft erreichbar seien.

Deutschland will nicht gegen Atomkraft in der Taxonomie klagen

Ganz anders äußert sich Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke über die Atomkraft: “Abseits ihrer vielen Gefahren und Nachteile rechnet sie sich auch rein ökonomisch nach über sechs Jahrzehnten nicht und braucht nun offensichtlich Geldspritzen unter falschem Label. Die EU-Kommission erzeugt die große Gefahr, wirklich zukunftsfähige, nachhaltige Investments zugunsten der gefährlichen Atomkraft zu blockieren und zu beschädigen.” Einer Klage will sich Deutschland allerdings nicht anschließen.

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    EU-Zukunftskonferenz: Der Wunschkatalog von Warschau

    Mehr Tempo beim Klimaschutz, mehr Hilfen für umweltbewusste Verbraucher und mehr Ehrgeiz beim ökologischen Umbau der Wirtschaft: Dies fordern 200 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die am Wochenende auf Einladung der EU in Warschau über den Klimawandel und die Umweltpolitik beraten haben.

    Die “Zufalls-Bürger”, die im Rahmen der 2021 begonnenen Konferenz zur Zukunft Europas getagt haben, sprechen sich unter anderem für “verpflichtende CO2-Filter” für Kohlekraftwerke, für eine Einschränkung der Massentierhaltung zur Methan-Reduktion sowie für die beschleunigte Produktion von “grünem” Wasserstoff aus.

    Zurückhaltend äußerten sich die Teilnehmer des EU-Panels dagegen zum Streit über “grüne” Energieträger. Ein Verbot der Atomkraft findet sich ebenso wenig im Wunschkatalog von Warschau wie ein Ausstieg aus der Kohle. Dies dürfte die EU-Kommission erfreuen, die mit ihrem Vorschlag für eine Taxonomie heftigen Streit ausgelöst hat.

    “Da wir die CO2-Emissionen nicht sofort stoppen können, und da wir weiter von Kohle abhängen, müssen wir sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen ergreifen”, heißt es in den 52 Empfehlungen, die Europe.Table vorliegen. Die Bürger zeigen sich darin pragmatisch – eine radikale Wende in der Klimapolitik fordern sie nicht.

    Scharfe Kritik an Agrarpolitik

    Anders sieht es in der Agrarpolitik aus: Dort scheint die Geduld vieler Verbraucher mit der Industrie zu Ende zu gehen. So fordert das Bürgerpanel, die Agrarsubventionen von umweltschädlichen Großbetrieben in die biologische Landwirtschaft umzuleiten. Außerdem solle der Gebrauch von Pestiziden massiv eingeschränkt werden.

    “Die Bürger sprechen sich deutlich gegen eine bisherige Agrar-Politik aus, die stark von Lobbyinteressen geprägt wurde”, sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der die Konferenz zur Zukunft Europas begleitet. Diese Vorschläge müssten nun schnell in konkrete Politik übersetzt werden.

    “Die Zukunftskonferenz ist eine einmalige Chance, die EU unter Beteiligung der Bürger besser aufzustellen”, so Freund. “Wir müssen zeigen, dass wir es ernst meinen mit diesem Demokratie-Experiment und diesen Input umsetzen.” Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die Bürger weiter von der EU und ihren Prozeduren entfremden.

    Allerdings ist unklar, welche Bürgerwünsche am Ende tatsächlich aufgegriffen und in die Tat umgesetzt werden. Der französische EU-Vorsitz hat zwar versprochen, möglichst viele Ideen zu übernehmen und die EU-Reform aktiv voranzutreiben. Auch die neue Bundesregierung in Deutschland will sich für Reformen einsetzen.

    Ideen der Konferenz zur Zukunft Europas drohen unterzugehen

    Andere Länder stehen jedoch auf der Bremse. Zudem wird die Konferenz zur Zukunft Europas seit ihrem Beginn im Frühjahr 2021 von Personalquerelen und Kompetenzstreitigkeiten überschattet. Alle drei EU-Institutionen beanspruchen Mitsprache. Zu einem Problem könnte dies vor allem bei den Vorschlägen für eine institutionelle Reform werden. So hat ein weiteres Bürgerpanel, das schon im Dezember tagte, eine EU-Verfassung, ein Ende der Einstimmigkeit im Rat und transnationale Listen für die Europawahl gefordert.

    Diese Ideen drohen jedoch im Brüsseler Betrieb unterzugehen, wenn sie nicht von zumindest einer Institution aufgegriffen und unterstützt werden. Bisher zeichnet sich eine solche Unterstützung aber noch nicht ab. Ob und wie weit der Prozess trägt, dürfte sich beim Plenum am 21. und 22. Januar im Europaparlament in Straßburg zeigen.

    Daran nehmen 108 EU-Abgeordnete, 108 Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten, 108 Bürger sowie 54 Vertreter des Rats und drei Vertreter der EU-Kommission teil. Die Vorschläge werden dann in einem Zwischenbericht zusammengefasst, über den wiederum die drei EU-Institutionen beraten sollen. Was am Ende übrig bleibt, ist unklar.

    Das bisher größte Demokratie-Experiment der EU hat zwar schon gezeigt, wie man die Bürger effektiv einbeziehen und konkrete Ergebnisse liefern kann. Doch den Beweis, dass man es mit der Bürgerbeteiligung ernst nimmt, sind die EU-Institutionen bisher schuldig geblieben.

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      11.01.2022 – 16:00-17:45 Uhr, online
      Buildings Performance Institute Europe, Seminar US-EU exchange: Building standards and codes to drive renovation
      This online seminar will discuss the current state of standards and regulations in the U.S. and EU for constructions or renovations of buildings, and how these tools contribute to the EU’s goals of achieving a highly efficient and decarbonized building stock by 2050. REGISTRATION

      12.01.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
      TÜV Verband, Diskussion Koalitionsvertrag im Klimacheck
      Wie viel Klimaschutz steckt im Koalitionsvertrag? Unter dieser Leitfrage steht die Veranstaltung des TÜV Verbandes, bei der unter anderen diskutiert werden soll, wie Deutschland das 1,5 Grad-Ziel erreichen kann, wie konkrete Maßnahmen umgesetzt und Vorgaben eingehalten werden können. INFOS & ANMELDUNG

      12.01.2022 – 09:00-17:00 Uhr, online
      Konferenz Digitale Lösungen als Katalysatoren für ein Gesundheitssystem 4.0 – Welche Wege gehen wir?
      Beim “eHealth Symposium Südwest 2022” werden aktuelle Entwicklungen und digitale Lösungen im Gesundheitswesen vorgestellt, die zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem beitragen können. INFOS & ANMELDUNG

      12.01.2022 – 10:30-12:00 Uhr, online
      VBW, Vortrag 10. Monitoring der Energiewende
      Beim Monitoring der Energiewende der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) werden aktuelle energie- und klimapolitische Maßnahmen eingeordnet und beurteilt. ANMELDUNG BIS 11.01.2022

      12.01.2022 – 13:30-14:30 Uhr, online
      Presentation Are consumers ready for electric vehicles?
      This event is the launch event for the “Are Consumers Ready for Electric Vehicles?”-study conducted by Element Energy and the Platform for Electromobility. Results will be presented. REGISTRATION

      12.01.2022 – 16:00-17:00 Uhr, online
      BVMW, Vortrag IT-Sicherheit im Fokus des Mittelstand – all in one für Cyber-Sicherheit
      Die Referenten der Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) werden aktuelle Lösungen vorstellen, wie Cyber-Angriffe erkannt und Schwachstellen in Unternehmen reduziert werden können. INFOS & ANMELDUNG

      13.01.2022 – 10:00-10:45 Uhr, online
      BVMW, Vortrag Die Transformation von KMU’s in Richtung Klimaneutralität
      Diese Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) zeigt konkrete Maßnahmen auf, wie Unternehmen Einsparmaßnahmen und Klimaschutzstrategien umsetzen können. INFOS & ANMELDUNG

      13.01.2022 – 12:00-13:00 Uhr, online
      ECFR, Panel Discussion Delivering the European Green Deal: creating a climate of co-operation after COP26
      The European Council on Foreign Relations (ECFR) speakers will discuss European climate sovereignty, energy security, and possible partnerships with other countries. INFOS & REGISTRATION

      13.01.2022 – 15:30-17:00 Uhr, online
      BDI, Diskussion Klimapfade 2.0 – Fokus Energiesystem
      Bei dieser Veranstaltung der Reihe “Klimapfade 2.0” des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wird thematisiert, wie der Ausbau der Erneuerbaren in der Energiewirtschaft vorangetrieben werden kann. INFOS

      13.01.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
      HBS, Konferenz 22. Außenpolitische Jahrestagung – Auf dem Weg zu einer neuen Klima-Außenpolitik – Teil 1
      Die Referent:innen der Heinrich Böll Stiftung (HBS) werden transatlantische Perspektiven zur Klimaneutralität diskutieren und dabei Hindernisse, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur Verständigung in den Blick nehmen. INFOS & ANMELDUNG

      13.01.2022 – 18:00 Uhr, online
      VDE, Vortrag Wasserstoff- und Brennstoffzellen – Einblick in das Nationale Innovationsprogramm
      Diese Veranstaltung des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) wird sich mit der Frage beschäftigen, wie die Klimaziele der Bundesregierung mithilfe einer Strategie zum Aufbau und zur Nutzung von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie erreicht werden können. INFOS & ANMELDUNG

      13.01.-14.01.2022, Güstrow
      FES, Konferenz 19. Agrarpolitische Tagung: Herausforderungen für die Landwirtschaft und Lösungswege durch Regionalisierung?
      Die Referent:innen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) werden diskutieren, wie die Politik die Landwirtschaft zukünftig unterstützen will und wie ein nachhaltiger Wandel der Landwirtschaft zugunsten des Klimaschutzes gelingen kann. INFOS & ANMELDUNG

      News

      EU-Taxonomie laut DUH-Gutachten rechtswidrig

      Die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen wäre mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, das die Deutsche Umwelthilfe in Auftrag gegeben und am Montag vorgestellt hat. Auch stehe der Kommissionsvorschlag nicht im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz, wodurch die Bundesregierung verpflichtet sei, der Taxonomie entgegenzuwirken, heißt es in dem Papier.

      Der Kommission fehle es bereits an der formellen Befugnis. So sei unter anderem die Frist für die Ausarbeitung des ergänzenden delegierten Rechtsakts bereits abgelaufen. Auch aus inhaltlicher Sicht scheide “die Einstufung der Atomenergie als ökologisch nachhaltig unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt aus”. Erdgaskraftwerke seien als Übergangstechnologien zwar grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Eine Aufnahme in die Taxonomie sei aber insbesondere aufgrund der darin aufgeführten Kriterien ebenfalls rechtswidrig.

      Der umstrittenen Taxonomie-Erweiterung (Europe.Table berichtete) zugrunde liegt eine EU-Verordnung zur nachhaltigen Finanzierung vom Juni 2020. Darin sollte festgelegt werden, welche Aktivitäten und Produkte grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der EU-Klimaziele leisten können. Zur konkreten Ausgestaltung wurde die Kommission mit der Ausarbeitung eines delegierten Rechtsaktes betraut, allerdings unter klaren Bedingungen.

      Erdgas in EU-Taxonomie: Verdrängung von Wind- und Sonnenenergie

      So gibt Artikel 10 der Verordnung vor, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Entwicklung CO2-ärmerer Lösungen nicht behindert werden darf. Durch die Aufnahme von Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie sei aber genau das der Fall, so Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, Autorin des Gutachtens. Auch widerspreche der Kommissionsvorschlag dem Vorsorgeprinzip aus dem Primärrecht der europäischen Verträge, das zur Risikovermeidung verpflichtet.

      “Auch wir sehen einen begrenzten Bedarf am Zubau neuer Gas-Kapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten”, sagte Constantin Zerger, DUH-Bereichsleiter Energie und Klimaschutz. Das rechtfertige jedoch nicht, Erdgas als grüne Technologie zu bezeichnen und in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Die darin angeführten Kriterien würden zu lange Laufzeiten ermöglichen und damit Wind- und Sonnenenergie verdrängen, was den Bestimmungen aus der Verordnung widerspreche.

      Auch der in der Taxonomie vorgesehene Brennstoffwechsel hin zu low carbon fuels sei “hochproblematisch”, da keine Bilanzierung der Emissionen aus der Lieferkette (beispielsweise bei der Produktion von blauem Wasserstoff aus Erdgas) vorgesehen sei.

      “Enthaltung Deutschlands kommt nicht infrage”

      “Die Bundesregierung muss aus der Phase des Lamentierens herauskommen und in eine Phase des Handelns eintreten”, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. “Eine Enthaltung Deutschlands bei dieser wichtigen Abstimmung im Europäischen Rat kommt nicht infrage. Die Bundesregierung steht beim Atomausstieg in einer besonderen Verantwortung.”

      Sie sei sogar verpflichtet, der geplanten Regelung entgegenzuwirken, führte Rechtsanwältin Ziehm aus. Denn der Schutzauftrag aus Artikel 20 des Grundgesetzes sowie das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts würden auch für die Mitgestaltung von EU-Recht gelten, insbesondere dann, wenn direkte Rückwirkung auf Umwelt und Gesellschaft in Deutschland erwartet werden könne, was bei der Taxonomie deutlich der Fall sei. Insbesondere, da diese auch eine Laufzeitverlängerung alter und störanfälliger Kernkraftwerke in Grenznähe ermögliche.

      Der nun laufende Konsultationsprozess mit den Mitgliedsstaaten wurde bis zum 22. Januar verlängert. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte am Wochenende angekündigt, die deutsche Stellungnahme werde “ein klares Nein zur Atomkraft” enthalten. Bei der Aufnahme von Erdgas ist sich die Bundesregierung nicht einig.

      Ende Januar will die EU-Kommission ihre Pläne offiziell vorstellen, dann beginnt die viermonatige Prüfungsfrist durch Parlament und Rat, die daraufhin über die Taxonomie abstimmen werden. Eine Ablehnung gilt als unwahrscheinlich. Im Rat bedürfte es dafür einer qualifizierten Mehrheit von 20 der 27 EU-Staaten. Das EU-Parlament kann mit absoluter Mehrheit den Vorschlag abweisen. Erst wenn die Taxonomie in Kraft tritt, kann dagegen geklagt werden. Österreich und Luxemburg haben einen solchen Schritt bereits angekündigt (Europe.Table berichtete), sollte es bei dem aktuell diskutierten Vorschlag bleiben. til

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        Europol: EDSB untersagt endlose Vorratsdatenspeicherung

        Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) Wojciech Wiewiórowski hat der europäischen Polizeibehörde Europol untersagt, personenbezogene Daten ohne klaren Bezug zu kriminellen Aktivitäten dauerhaft auf Vorrat zu speichern.

        Seit 2020 hatten die Datenschutzaufsicht und Europol miteinander über die Speicherungspraxis gestritten. Wiewiórowski stellte nun jedoch fest: “Es hat keinen signifikanten Fortschritt bezüglich des Kerns gegeben, dass Europol weiterhin personenbezogene Daten über Einzelne speichert, ohne dass die Verarbeitung mit den Beschränkungen der Europol-Verordnung in Einklang steht.”

        Der europäische Datenschutzbeauftragte hat der Polizeikooperationsbehörde nun aufgegeben, binnen zwölf Monaten vorhandene gespeicherte Daten auszusortieren und neue Daten nicht länger als sechs Monate ohne Zuordnung zu speichern.

        Laut einem Bericht des “Spiegel” soll Europol 4 Petabyte (4.000 Terabyte) Daten gehortet haben. Der EDSB beschreibt in seinem Beschluss die Aktivitäten der Behörde unter dem Stichwort “Big-Data-Analysen”. Europol unterliegt als EU-Institution nicht unmittelbar der Richtlinie für den Datenschutz im Bereich der Polizei und Justiz, sondern eigenen Vorgaben. Die Überarbeitung der Europol-Verordnung wird derzeit noch beraten.

        Europol habe jahrelang und illegal massenhaft Daten über Millionen völlig unverdächtige Personen gespeichert, bemängelt der Piraten-Europaabgeordnete Patrick Breyer (Grüne/EFA). “Die Konsequenz: Unschuldige Bürger laufen Gefahr, zu Unrecht in den Verdacht einer Straftat zu geraten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die jetzt angeordnete Speicherfrist von sechs Monaten begrenzt dieses Risiko.” Doch Breyer sieht das nur als Etappensieg für den Datenschutz: “Die illegalen Praktiken sollen mit der neuen Europol-Verordnung einfach legalisiert werden, das ist skandalös.” fst

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          Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Uneinigkeit um KMU

          Die “Corporate Sustainability Reporting Directive” (CSRD) soll die Regeln für die Berichtspflichten von Unternehmen hinsichtlich ihres nachhaltigen Wirtschaftens klarer definieren und an einigen Stellen verschärfen. Im federführenden JURI-Ausschuss des EU-Parlaments fand am Montag ein Austausch zwischen Ausschussmitgliedern, Berichterstatterinnen und Schattenberichterstattern statt. Fast 600 Änderungsanträge für den Berichtsentwurf gingen bis dato bei Berichterstatter Pascal Durand (Renew/Liste Renaissance) ein.

          Größter Streitpunkt ist noch immer die Frage des Einzugsbereichs der neuen Berichtspflichten. Durand möchte kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ebenfalls verpflichten, regelmäßig über die Auswirkungen der eigenen Geschäftspraktiken auf Klima und Umwelt zu berichten. Die Kommission hatte diese in ihrem Vorschlag noch ausgenommen.

          Warnung vor zusätzlicher Belastung für Mittelstand

          Angelika Niebler (EVP/CSU) mahnte, man dürfe KMU nicht übermäßig mit Berichtspflichten belasten und forderte, Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeiter:innen von der Regelung auszunehmen. Sie argumentierte, dass die CSRD nicht dazu führen dürfe, dass lediglich Wirtschaftsprüfungsunternehmen neue Geschäftsfelder generieren könnten. Auf die “klassischen Mittelständler” würde dagegen Mehraufwand zukommen.

          Unions-Kollege Axel Voss ergänzte, dass bei der ganzen Debatte die Nachhaltigkeit in den Vordergrund rücken müssen. Unternehmen bräuchten einen Plan, wie sie nachhaltiger werden können. Anschließend müsse man ihnen helfen, diese Ziele zu erreichen. “Informationspflichten und Sorgfaltspflichten allein machen ein Unternehmen nicht nachhaltiger”, so Voss am Montag.

          Berichtspflichten für KMU: Zugang zu Finanzmitteln möglich

          Durand hält dagegen, dass es KMU sogar einen Vorteil am Finanzmarkt verschaffen würde, wenn sie ebenfalls den Berichtspflichten unterlägen, da sie dadurch besseren Zugang zu Finanzmitteln von an Nachhaltigkeit interessierten Investoren bekommen würden. Unterstützung für diese Haltung kommt aus der Linksfraktion und von den Grünen.

          Auch Tiemo Wölken (S&D/SPD) sprach sich für eine Ausweitung der Berichtspflichten aus, um die “Qualität und Quantität der Information” zu erhöhen. Es sei nicht hilfreich, KMU von der CSRD auszunehmen – nicht für Investoren, nicht für Stakeholder, nicht für die Unternehmen selbst. So würde ein “Level Playing Field” aller am Finanzmarkt teilnehmenden Unternehmen geschaffen, sagte Wölken. Mitte März soll im JURI-Ausschuss über den Bericht abgestimmt werden. luk

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            Sassoli erneut im Krankenhaus

            Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, kann seine Amtsgeschäfte bis auf Weiteres nicht ausüben. Der 65-Jährige befinde sich seit dem 26. Dezember wegen einer “ernsten Komplikation im Zuge einer Fehlfunktion des Immunsystems” in Italien im Krankenhaus, teilte David Sassolis Sprecher mit. Sassoli hatte bereits zuvor mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen: Wegen einer schweren Lungenentzündung fiel er im vergangenen Herbst für mehr als zwei Monate aus.

            Der sozialistische Politiker gibt sein Amt in Kürze ab. Am 18. Januar stimmt das Europaparlament darüber ab, wer sein:e Nachfolger:in wird. Als Favoritin gilt die EVP-Abgeordnete Roberta Metsola, bislang Vizepräsidentin des Parlaments. Die Malteserin muss sich allerdings am Mittwochvormittag noch einer Anhörung in der S&D-Fraktion stellen. Auch bei Grünen und Liberalen gibt es Vorbehalte gegen die bekennende Abtreibungsgegnerin (Europe.Table berichtete). Metsolas Konkurrenten, der polnische PiS-Abgeordnete Kosma Złotowski und die Linke Sira Rego aus Spanien, werden aber wenig Chancen eingeräumt. tho

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              Regierung will Klima-Sofortprogramm bis April beschließen

              Die Bundesregierung will zentrale Vorhaben zum Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien dem Wirtschaftsministerium zufolge bis April beschließen. Das Klima-“Sofortprogramm” solle dann bis Ende des Jahres die parlamentarischen Hürden nehmen und Anfang 2023 greifen, hieß es am Montag aus dem Ministerium. Damit wolle man Deutschland zurück auf den Pfad zu den Klimaschutzzielen bringen.

              Man trete mit einem drastischen Rückstand an. Die Ziele würden in diesem und vermutlich auch im nächsten Jahr verfehlt. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) will seine Pläne heute im Detail vorstellen.

              Kernstück des Klima-Sofortprogramms sei eine Reform des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG), hieß es. Man werde den Grundsatz verankern, dass der Ausbau von Wind- oder Solarenergie im “überragenden öffentlichen Interesse” sei und der öffentlichen Sicherheit diene. Die Ausschreibungsmengen für Solar- oder Windenergie würden auf ein ambitioniertes Niveau angehoben und dann jährlich erhöht. Es werde eine Pflicht zu Solaranlagen auf neuen Gebäuden geben. Für Wind an Land werde man mehr Flächen ausweisen können, in dem man Abstände von Windrädern zu Wetter-Radaren oder Drehfunkfeuern des Flugverkehrs verringere.

              CCFD als Teil des Klima-Sofortprogramms: Hilfen für Industrie

              Der Ausbau der Erneuerbaren gilt als Schlüssel für einen Kohleausstieg bis 2030 und den Klimaschutz. Widerstände durch Anwohner und Naturschützer sowie bürokratische Hürden haben den Ausbau zuletzt gebremst. Dies soll mit der gesetzlichen Festlegung auf ein “überragendes öffentliches Interesse” geändert werden.

              Teil des Klima-Sofortprogramms soll den Ministeriumskreisen zufolge auch ein Konzept für Klimaschutzverträge, sogenannte Carbon Contracts for Difference (CCFD) werden. Mit ihnen soll die Industrie Hilfen erhalten, um den Einsatz von klimafreundlichen Brennstoffen wie grünem Wasserstoff finanzieren zu können. Die höheren Kosten können über diese Verträge ausgeglichen werden. Damit will man die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb mit weniger klimafreundlichen Staaten schützen.

              Dem Ministerium zufolge will Habeck mit dem Klima-Sofortprogramm einen Boom neuer Technologien auslösen und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Klimaschutzanforderungen würden sozial verträglich gestaltet, hieß es mit Blick auf die ohnehin schon hohen Energiepreise. rtr

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                EU-Forscher: Rekord-Werte bei Treibhausgasen in der Atmosphäre

                Das vergangene Jahr war Wissenschaftlern zufolge das fünftwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. In der Atmosphäre sei zudem so viel von den Treibhausgasen Kohlendioxid und Methan verzeichnet worden wie nie zuvor. Das teilten Forscher des Copernicus Climate Change Service (C3S) der Europäischen Union am Montag mit.

                Mit deutlichem Abstand seien die vergangenen sieben Jahre die wärmsten Jahre gewesen seit dem Beginn der Messungen 1850. Die durchschnittliche globale Temperatur 2021 habe 1,1 bis 1,2 Grad Celsius über dem Niveau des Zeitraums von 1850 bis 1900 gelegen. Die heißesten Jahre waren 2020 und 2016.

                Der vergangene Sommer war den Angaben zufolge der heißeste, den es jemals in Europa gegeben hat. Der Klimawandel hat nach Meinung der Wissenschaftler viele der extremen Wetterereignisse im vergangenen Jahr verschärft, etwa die Waldbrände in Sibirien und den USA sowie Überschwemmungen in Europa, China und im Sudan. In der Türkei, in Griechenland und in Süditalien war es zu schweren Waldbränden gekommen. Auf Sizilien wurde mit 48,8 Grad Celsius die höchste Temperatur in Europa gemessen. Bei Überschwemmungen in Westeuropa waren mehr als 200 Menschen gestorben.

                Das Treibhausgas Methan in der Atmosphäre stieg sprunghaft an

                “Diese Ereignisse sind eine deutliche Erinnerung daran, dass wir unser Verhalten ändern und entscheidende und wirksame Schritte in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft vornehmen und auf die Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen hinarbeiten müssen”, sagte C3S-Direktor Carlo Buontempo.

                Unklar blieb den Forschern zufolge, warum der Anteil von Methan in der Atmosphäre – ein besonders starkes Treibhausgas – in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen ist. Das Gas entsteht etwa bei der Öl- und Gasförderung und in der Landwirtschaft, kommt aber auch in natürlichen Quellen wie Feuchtgebieten vor. rtr

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                  Verbraucherzentrale: Heizkostenzuschuss deutlich zu niedrig

                  Die Verbraucherzentralen fordern einen deutlich höheren Heizkostenzuschuss als von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vorgeschlagen. “Es ist gut, dass die Bundesregierung Haushalten mit niedrigem Einkommen wegen der hohen Energiekosten unter die Arme greifen will”, sagte der Vorstandschef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, am Montag. “Allerdings ist der einmalige Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger deutlich zu niedrig angesetzt.”

                  135 Euro für Einzelpersonen und 175 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt für die gesamte Heizperiode 2021/2022 reichten für viele Haushalte nicht aus, den starken Anstieg der Heizkosten auszugleichen. Ein Teil der betroffenen Haushalte werde zudem voraussichtlich schon während der Heizperiode hohe Rechnungen erhalten. Für diese Haushalte fordere der Bundesverband eine unbürokratische Soforthilfe.

                  Zuvor war ein erster Gesetzentwurf der Bauministerin zum Heizkostenzuschuss bekannt geworden, den SPD, Grüne und FDP im Grundsatz vereinbart hatten. Den Zuschuss sollen demnach über 700.000 Haushalte erhalten. rtr

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                    Mindestens 135 Euro Heizkostenzuschuss TAGESSCHAU
                    Berlin und Rom: Kooperation bei Migration, Klima und Corona SUEDDEUTSCHE
                    Baerbock will Rolle der Europäer in der Ukraine-Krise stärken TAGESSPIEGEL
                    Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten wünscht weiterhin die Vorratsdatenspeicherung NETZPOLITIK
                    New Dutch government sworn in with climate measures as first priority INDEPENDENT
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                    EU-Datenschützer: Europol muss Daten Unverdächtiger nach sechs Monaten löschen HEISE
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                    Standpunkt

                    Normungssystem: Europa muss sich strategisch aufstellen

                    Von Jochen Reinschmidt
                    Europäische Normen: Jochen Reinschmidt ist Abteilungsleiter Innovationspolitik beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie
                    Jochen Reinschmidt ist Abteilungsleiter Innovationspolitik beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie

                    Normen und Standards sind ein wichtiges Instrument, um Innovationen im Markt zu verbreiten. Die Unternehmen der Elektro- und Digitalindustrie sind weltweit vertreten und liefern Produkte und Systemlösungen in sämtliche relevante Wirtschaftszweige, sei es Industrie, Mobilität, Energie, Gesundheit, Gebäude oder den Consumerbereich. Daher treten wir für offene Märkte ein, nach dem Leitmotiv: “One test, one standard, accepted everywhere.”

                    Allerdings sehen wir, dass Normung immer mehr als ein industrie- und geopolitisches Instrument genutzt wird. Während der Einsatz der deutschen und europäischen Unternehmen in der Normung über die Jahre stetig abnimmt, nimmt das Engagement bei Organisationen aus anderen Regionen der Welt deutlich zu, zum Teil mit erheblicher staatlicher Unterstützung. Hier muss sich Europa strategischer aufstellen.

                    Prozessoptimierung notwendig

                    Normen sind essenziell, um die Sicherheit von Produkten zu gewährleisten. In Europa hat sich das System des New Legislative Framework (NLF) zum Inverkehrbringen von Produkten bewährt. Die dahinterstehenden Prozesse sollten jedoch optimiert werden.

                    Daher sehen wir es positiv, dass die Europäische Kommission sich dieser Themen annimmt und Anfang Februar eine Europäische Normungsstrategie vorlegen wird. Aus Sicht der Elektro- und Digitalindustrie sollten dabei insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden (vgl. ZVEI-Grundsatzpapier zur Normung):

                    • Normung und konsortiale Standardisierung:

                    Sowohl Normen als auch konsortiale Standards haben in der technischen Welt ihren Platz und ihre Berechtigung. Konsortiale Standards sind aus unserer Sicht aufgrund des eingeschränkten Konsenses allerdings nicht geeignet, gesetzliche Vorgaben zu konkretisieren.

                    • Zusammenspiel von Wirtschaft, Staat und Normungsorganisationen intensivieren

                    Normung ist Aufgabe der Wirtschaft. Alle interessierten Kreise können sich beteiligen, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens sicherzustellen. Staat und Normungsorganisationen unterstützen durch Gestaltung der Rahmenbedingungen. Diese bewährte Arbeitsteilung sollten wir auch in Zukunft beibehalten.

                    Normung kann aber auch ein industrie- oder geopolitisches Instrument sein. Daher gilt es, den bewährten Bottom-Up-Ansatz marktgetriebener Normen und den politisch-strategischen Top-Down-Ansatz durch Zusammenarbeit von Staat und Politik sowie Industrie zusammenzubringen, um eine gemeinsame europäische Strategie zu entwickeln. Dazu muss ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäischen Normungsorganisationen und Industrie initiiert werden.

                    • Das bewährte NLF-Prinzip stärken

                    Das NLF mit dem Ansatz harmonisierter Normen zur Konkretisierung abstrakter gesetzlicher Anforderungen zu verwenden, hat sich aus unserer Sicht bewährt und muss weiter gestärkt werden. Technische Normen, die in Zusammenarbeit der europäischen Normungsorganisationen mit den Harmonised Standards Consultants (HAS-Consultants) entstanden sind, sollten die einzigen Normen sein, auf die in der europäischen Gesetzgebung Bezug genommen wird.

                    Normen von europäischen Normungsorganisationen

                    • Prozess zur Erstellung harmonisierter europäischer Normen verbessern

                    Die teils erheblichen zeitlichen Verzögerungen müssen strukturell beseitigt werden. Und was mindestens genauso schwer wiegt: Das immer stärkere Auseinanderdriften der bewährten “parallelen” Normung in den europäischen und internationalen Normungsorganisationen muss verhindert werden.

                    • Europäische Positionen in internationaler Normung sicherstellen

                    Die deutsche Wirtschaft braucht internationale Normen, in denen sich die Anforderungen und Positionen Europas in ausreichendem Maße widerspiegeln. Daher sollten Normen bevorzugt von internationalen und europäischen Normungsorganisationen entwickelt werden. Falls dies nicht gelingt, darf es in internationalen Verhandlungen keine pauschale gegenseitige Anerkennung von Normen geben, aber sehr wohl eine Anerkennung von Prüfergebnissen, die auf gemeinsamen Normen beruhen.

                    • Normungsarbeit steuerlich fördern

                    Normung ist Teil des Innovationsprozesses und mit erheblichen Kosten verbunden. Gleichzeitig leisten in der Normung engagierte Unternehmen einen weit über ihren individuellen Nutzen hinausgehenden volkswirtschaftlichen Beitrag. Es muss im Interesse der deutschen und europäischen Industrie- und Innovationspolitik liegen, das Engagement in der Normung ebenso zu fördern wie Aktivitäten in der Forschung und Entwicklung, zum Beispiel durch die Einführung einer steuerlichen Normungsförderung für Unternehmen, die sich aktiv in der Normung engagieren.

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                      Europe.Table Redaktion

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                      Licenses:
                        • Atomkraft im Taxonomie-Entwurf: Ein Text mit Schwächen
                        • EU-Zukunftskonferenz: Der Wunschkatalog von Warschau
                        • Termine
                        • EU-Taxonomie laut DUH-Gutachten rechtswidrig
                        • Europol: EDSB untersagt endlose Vorratsdatenspeicherung
                        • Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Uneinigkeit um KMU
                        • Sassoli erneut im Krankenhaus
                        • Regierung will Klima-Sofortprogramm bis April beschließen
                        • EU-Forscher: Rekord-Werte bei Treibhausgasen in der Atmosphäre
                        • Verbraucherzentrale: Heizkostenzuschuss deutlich zu niedrig
                        • Jochen Reinschmidt (ZVEI) zum Normungssystem: Europa muss sich strategisch aufstellen
                        Liebe Leserin, lieber Leser,

                        es kommt nicht oft vor, dass delegierte Rechtsakte in die Mühlen der großen Politik geraten. Im Falle des ergänzenden Rechtsakts zur Taxonomie-Verordnung ist genau das geschehen. Die EU-Kommission hat die Frist nun bis zum 21. Januar verlängert, binnen der Mitgliedsstaaten und Experten zu ihrem Entwurf Stellung beziehen können. Eigentlich hätte diese bereits am Mittwoch enden sollen, aber der Diskussionsbedarf ist groß.

                        Auch innerhalb der Ampel-Koalition: SPD, FDP und Grüne haben sich noch nicht verständigt, wie sich Deutschland zu der Klassifizierung von Kernenergie und Erdgas verhält. Die von Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) am Wochenende angekündigte Ablehnung beziehe sich allein auf die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie, stellte ihr Sprecher gestern klar. Wie man sich zum Rechtsakt insgesamt positioniere, darüber sei die Bundesregierung “noch in der Abstimmung”.

                        Die Kommission hat zu diesem Kuddelmuddel beigetragen. Sie hatte angekündigt, die Klassifizierung allein auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien vorzunehmen. Der in der Silvesternacht versandte Entwurf aber enthält etliche Schwächen, wie Charlotte Wirth in ihrer Analyse aufzeigt. So sind die angeblich strengen Sicherheitsanforderungen an AKWs lax formuliert. Bei der ungeklärten Endlager-Frage lege sich die Behörde unnötigerweise auf einen Ansatz fest, kritisiert auch die Atom-Lobby. Ein neues Gutachten im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe hält den Kommissionsentwurf gar für rechtswidrig – mehr dazu lesen Sie in den News.

                        In der breiten Öffentlichkeit ist das Thema Taxonomie erst seit wenigen Wochen präsent. In Europe.Table war es das von Beginn an: Bereits Mitte August, in der 6. Ausgabe unseres Briefings, hatte Charlotte Wirth die Lücken im Bericht der kommissionseigenen Forschungsstelle JRC aufgezeigt. Wir haben die Diskussion über die vergangenen Monate eng begleitet, unsere Leserinnen und Leser wurden von keiner Wendung überrascht.

                        Heute lesen Sie bereits die 100. Ausgabe von Europe.Table. Viele weitere werden folgen. Ich lade Sie ausdrücklich ein, Teil der Weiterentwicklung zu sein: Schreiben Sie mir, was Ihnen an Europe.Table gefällt und was wir besser machen können: till.hoppe@table.media.

                        Ein anderes Thema, das von vielen noch unterschätzt wird: Standards und Normen. Anfang Februar will die Kommission ihre neue Standardisierungsstrategie vorstellen. Das lange Experten vorbehaltene Feld werde inzwischen als “industrie- und geopolitisches Instrument genutzt”, warnt Jochen Reinschmidt vom ZVEI in seinem Gastbeitrag. Europa müsse sich daher strategischer aufstellen.

                        Ihr
                        Till Hoppe
                        Bild von Till  Hoppe

                        Analyse

                        Atomkraft im Taxonomie-Entwurf: Ein Text mit Schwächen

                        Besonders einer wird sich über den Taxonomie-Entwurf gefreut haben, den die Europäische Kommission kurz vor Mitternacht des 31. Dezembers an die Mitgliedstaaten geschickt hat: der französische EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton. “Wir brauchen die Atomkraft, um klimaneutral zu werden. Daher war immer klar, dass sie nicht aus der Taxonomie ausgeschlossen werden darf”, sagte Breton jüngst dem “Journal du Dimanche”.

                        Es waren denn auch Breton und sein Heimatland Frankreich, die dafür gekämpft haben, dass Investments in die Kernkraft zukünftig als “grün” abgeschrieben werden dürfen. “Es wurde von Anfang an politischer Druck gemacht, auf allen Wegen”, beschreibt die Luxemburger Umweltministerin Carole Dieschbourg den Weg zum delegierten Rechtsakt (Europe.Table berichtete). Tatsächlich hat Emmanuel Macron das größte Interesse daran, dass Investments in die Kernkraft als nachhaltig gelten, hat Frankreich doch entschieden, auf dem Weg zur Klimaneutralität insbesondere auf diese Energiequelle zu setzen.

                        Andere freuen sich weniger über den Entwurf des Rechtsaktes. Der Atomindustrie geht der Vorschlag nicht weit genug. Tatsächlich wird die Atomkraft im Taxonomie-Entwurf nur als Übergangstechnologie gelistet. “Das ist nicht gerechtfertigt”, findet Jessica Johnson von FORATOM, dem Sprachrohr der europäischen Atomindustrie. “Atomkraft erfüllt die Prämissen des Do No Significant Harm und ist CO2-neutral. Sie sollte genauso behandelt werden wie nachhaltige Energiequellen.”

                        Kommission verweist auf veraltetes Sicherheitsgesetz

                        Dass die Atomkraft im Taxonomie-Entwurf als Übergangsquelle gelistet wird, hat allerdings pragmatische Gründe. Es ist die einzige Kategorie, in die Atomkraft laut Taxonomie-Verordnung fallen kann. Die anderen Kategorien, die im Rahmentext gelistet werden, gelten vor allem erneuerbaren Energien. Dieser Einstufung gilt auch die Kritik der Atomgegner, wenn auch aus anderen Gründen. In der Tat erlaubt der Taxonomie-Entwurf, den Bau von Atommeilern bis 2045 zu genehmigen.

                        Bis 2050 haben die Mitgliedstaaten Zeit, um Endlager zu bauen. Von Übergang kann in diesem Kontext jedoch nicht die Rede sein, schließlich ist 2050 das Jahr, in dem die EU bereits klimaneutral sein will. Zudem zieht sich der Bau von Atomkraftwerken über Jahrzehnte: Eine Genehmigung im Jahr 2045 bedeutet also nicht, dass die Meiler dann bereits am Netz sind. Dieser Widerspruch sei eine der Grundlagen für eine mögliche Klage, sagte Dieschbourg im Gespräch mit Europe.Table. Zurzeit würden die Experten den Entwurf genau prüfen.

                        Die Kommission pocht ihrerseits darauf, dass die Einstufung der Atomkraft in der EU-Taxonomie als “nachhaltig” mit strengen Sicherheitskriterien einhergeht. “Die Sicherheitsanforderungen an AKWs sind sehr hoch und es ist schwer, diese noch nach oben zu korrigieren”, so ein EU-Beamter. Dennoch: Die Referenzierung ist im Entwurf schwammig. So bezieht sich die Kommission durchweg auf die Richtlinie 2009/71/Euratom. Diese wurde allerdings 2014 angepasst (2014/87/Euratom). Nach dem Atomunfall von Fukushima 2011 wurden die Sicherheitsanforderungen an die europäischen Meiler in diesem jüngeren Text überarbeitet und verschärft, um das Risiko für schwere Atomunfälle zu minimieren.

                        Zumindest in der Praxis sei es im Fachbereich der atomaren Sicherheit gängig, auf die jüngste Version, den 2014er Text, zu verweisen, sagt Manfred Mertins, Experte für nukleare Sicherheit. Er wirft der Kommission unsauberes Arbeiten vor: “Man referiert immer den aktuellen Text. Das ist gängige Praxis und das machen wir bei Gutachten genauso. Es muss schließlich ausdrücklich nach dem aktuellsten Stand gearbeitet werden.”

                        Shall oder Should

                        Mertins sieht weitere Fehler im Vorschlag. So verwende die Kommission im gesamten Entwurf das Verb “should”, um die angeblich strengeren Sicherheitsanforderungen einzuleiten. Im Vokabular der atomaren Sicherheit sei die Nutzung der Verben “shall” und “should” klar geregelt. Sei eine Anforderung absolut und integral verbindlich, so würde das Verb “shall” genutzt. Richte sich die Umsetzung allerdings nach dem Ermessen der Betreiber, dann nutze man das Verb “should”.

                        Das ziehe sich durch alle internationalen Texte zur nuklearen Sicherheit. “Im Gegensatz zu Anforderungen wie jene, die die Internationale Agentur für Atomenergie festschreibt, sind die Forderungen der Kommission unverbindlich. Die Kommission weicht hier von der internationalen Norm ab. Das ‘shall’ ist unglaublich wichtig. Wenn die Kommission das nicht reinschreibt, dann ist das ganz bewusst geschehen”, so der Honorarprofessor der TU Brandenburg.

                        Taxonomie sollte strengere Sicherheitskriterien für Atomkraft auferlegen

                        Hat sich die Kommission also in ihrem Entwurf ganz bewusst für eine schwächere Sprache entschieden? Ein weiteres Element deutet darauf hin: So gilt laut Taxonomie-Entwurf die Forderung, dass Atommeiler sich nach dem neuesten Stand der Technologie richten müssen. Anforderungen für atomare Sicherheit beziehen sich allerdings immer auf den Stand von Technik und Wissenschaft, kritisiert Manfred Mertins. “Nur von technologischem Fortschritt zu reden, ist zu wenig. Dieser eilt den wissenschaftlichen Entwicklungen bloß hinterher. Bei nuklearer Sicherheit muss man wissen: Was zeigt die Wissenschaft, und wo gibt es bereits Probleme.”

                        Die Kommission pocht ihrerseits darauf, dass der Taxonomie-Text “strengere Sicherheitskriterien für die Atomkraft” auferlege. Doch allein hierin versteckt sich ein Widerspruch: Bereits die Auferlegung von solchen Kriterien ist per Definition nicht die Aufgabe eines delegierten Rechtsaktes. Denn dabei handelt es sich laut Artikel 290 AEUV um die Befugnis, “Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen”. Auch dieser Widerspruch wird als Grundlage einer etwaigen Klage gehandelt.

                        Technologien gibt es zum Teil noch nicht

                        Gleichzeitig geht die Kommission in ihrem Entwurf so weit, dass sie Sicherheitsanforderungen und Normen für Technologien verfasst, die es so noch gar nicht gibt. Ein paar Beispiele:

                        Der Text formuliert etwa die Anforderung, dass die AKWs schnellstmöglich auf sogenannte “accident-tolerant fuels” umsteigen müssen. Doch diese existierten noch gar nicht, kritisiert auch FORATOM: “Die Entwicklung ist noch im Forschungsstadium, und es ist noch gar nicht klar, wann ein solcher Treibstoff auf den Markt kommt”, merkt Jessica Johnson an. Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe der Kommission ist, solche Technologien zuzulassen. Zuständig sind die nationalen Behörden der Mitgliedstaaten, die für die atomare Sicherheit zuständig sind. “Diese sind unabhängig und können nicht einfach unter Druck gesetzt werden, damit sie grünes Licht für die Einführung solcher Treibstoffe geben”, so Johnson.

                        In ähnlicher Weise bezieht sich die Kommission in ihrem Entwurf auf Reaktoren mit einem geschlossenen Brennstoffkreislauf oder sogenannten Brüterreaktoren. Auch diese sind derzeit noch gar nicht auf dem Markt. “Diese Technologien sind noch gar nicht erprobt, und die Probleme zeigen sich dann erst später”, bemerkt Manfred Mertins. Sogar die neuen Druckwasserraktoren (EPR), die aktuell etwa in China oder Flamanville gebaut werden, zeigten bereits deutliche sicherheitstechnische Probleme, gibt der Sicherheitsexperte zu bedenken.

                        Weiteres Problem: Für viele der neuen Technologien, die die Kommission aufzählt, gibt es noch gar keine rechtliche Grundlage. Für Mini-Reaktoren zum Beispiel hat die EU das Projekt ELSMOR ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, eine gesetzliche Grundlage überhaupt zu erarbeiten.

                        Atomabfallbeseitigung als gelöstes Problem

                        Besonders heikel ist jedoch, dass die Kommission vorgibt, Betreiber müssten bis 2025 einen Plan vorlegen, indem sie erläutern, wie sie bis 2050 ein Endlager für schwer-radioaktive Abfälle einrichten wollen. Die Krux: Die Kommission begrenzt sich hier auf eine einzige Technologie: Die tiefen geologischen Endlager, von denen sie selbst zugibt, dass es weltweit noch keines gibt. Zwar gibt es entsprechende Projekte in Finnland, Frankreich und Schweden, mehr aber auch nicht. Auch die Atomindustrie ist mit dieser Forderung unzufrieden. Sie kritisiert, die Kommission gehe zu weit, indem sie sich auf eine Lösung begrenze, dabei werde auch in andere Richtungen geforscht. Im schlimmsten Fall hemme sie damit Investitionen in die Erforschung weiterer Lösungen.

                        Atomkritiker hingegen werten die Anforderung der Kommission als unrealistisch. “Was ist ein Plan? Letztlich ist das nur ein Papier und man weiß nicht, ob das Projekt am Ende gelingt oder nicht”, sagt etwa Greenpeace-Atomexperte Roger Spautz. Zudem sei nicht einmal klar, ob diese Tiefenlager überall umsetzbar seien. Schließlich hänge das von den geologischen Bedingungen der jeweiligen Regionen ab. “Die Kommission limitiert sich hier auf eine Lösung, die nicht einmal erprobt ist. Es gibt bereits jetzt Länder, die das Konzept der geologischen Tiefenlager ablehnen, denn bei Problemen wie etwaigen Lecks wird es quasi unmöglich sein, die Abfälle noch zu evakuieren”, warnt Spautz. Währenddessen sei auch das Timing unrealistisch. Spautz nennt das Beispiel des Endlagerprojektes Cigéo in Frankreich. Dieses sei seit 2006 in Planung und soll frühestens 2035, womöglich eher 2040 erstmals genutzt werden.

                        Laufzeitverlängerungen sind “nachhaltig”

                        Dass die Kommission sich gerade auf diese Lösung einschießt, kommt nicht von ungefähr. So stützt sie sich in ihrer Einschätzung auf den umstrittenen Bericht des kommissionsinternen Joint Research Centre, der damit beauftragt war, zu prüfen, ob die Kernkraft den Do-No-Significant-Harm-Prinzipien entspricht (Europe.Table berichtete). Hier, so lautete die übergreifende Kritik, stellte das JRC das Entsorgungsproblem von Atomabfall dank der geologischen Tiefenlager als Lösung dar, gleichwohl jegliche Erfahrungswerte fehlen.

                        Doch der Taxonomie-Entwurf gilt nicht nur für neue Meiler, sondern will auch Investments in Laufzeitverlängerungen alter Reaktoren als nachhaltig einstufen. Doch die alten Meiler könnten die heutigen Sicherheitsstandards nicht erfüllen, warnt Manfred Mertins. “In Europa stehen die ältesten Reaktoren weltweit. Über drei Viertel sind älter als 30 Jahre.”

                        Diese ließen sich unmöglich auf den neuesten Stand von Technologie und Sicherheit bringen, schließlich seien sie nach den Sicherheitsstandards der 1970er-Jahre entworfen. “Sie sind auf den heutigen Stand nicht nachrüstbar und können Flugzeugabstürzen oder extremen Wetterverhältnissen nicht standhalten. Der Baukörper steht ja da, die Wände lassen sich also nicht mehr verdicken und da kann man auch nichts reinbauen.”

                        Das weiß auch FORATOM und weist darauf hin, dass in der letzten Euratom-Richtlinie von 2014 bereits stehe, dass die AKWs “so nahe wie möglich” an die Sicherheit neuer Designs herankommen müssen. Und merkt an, dass die Sicherheit bei Laufzeitverlängerungen auf Herz und Nieren geprüft werde.

                        Energiepolitik oder nicht?

                        Für diese Einschätzung sind wiederum die nationalen Behörden zuständig, nicht die Kommission. Die französische Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) meldet allein in ihrem aktuellen Jahresbericht über 1.000 Zwischenfälle an den veralteten französischen AKWs. Dabei handelt es sich zwar in den meisten Fällen um kleinere Zwischenfälle, doch in ihrer Summe seien auch diese sehr gefährlich, merkt Roger Spautz von Greenpeace an. Er gibt zudem zu bedenken, dass die europäischen Meiler bis heute nicht einmal die Sicherheitsanforderungen erfüllen, die nach dem Atomunfall in Japan eingeführt wurden. In Frankreich etwa wird es noch bis 2040 dauern, bis die neuen Normen, die nach Fukushima für die Meiler gelten, eingehalten werden.

                        Eins ist jedenfalls klar: Der Taxonomie-Text bietet aufgrund der Unklarheiten Angriffsfläche. Zwar behauptet die Kommission, mit dem Papier lediglich Transparenzkriterien für Investoren festzulegen und keine Energiepolitik betreiben zu wollen. Für Luxemburgs Umweltministerin Carole Dieschbourg setzt sie aber ein klares Zeichen: “Die Taxonomie prägt jede weitere Diskussion rund um die Gestaltung der Energiewende – über Fonds, über europäische Gelder, auf nationaler und internationaler Ebene und letztlich darüber, wie öffentliche Gelder investiert werden.” Genauso sieht es wohl auch Thierry Breton, der am Sonntag ankündigte, man müsse 500 Milliarden in neue AKWs investieren, da die Klimaziele nur mithilfe der Kernkraft erreichbar seien.

                        Deutschland will nicht gegen Atomkraft in der Taxonomie klagen

                        Ganz anders äußert sich Bundesumwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke über die Atomkraft: “Abseits ihrer vielen Gefahren und Nachteile rechnet sie sich auch rein ökonomisch nach über sechs Jahrzehnten nicht und braucht nun offensichtlich Geldspritzen unter falschem Label. Die EU-Kommission erzeugt die große Gefahr, wirklich zukunftsfähige, nachhaltige Investments zugunsten der gefährlichen Atomkraft zu blockieren und zu beschädigen.” Einer Klage will sich Deutschland allerdings nicht anschließen.

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                          EU-Zukunftskonferenz: Der Wunschkatalog von Warschau

                          Mehr Tempo beim Klimaschutz, mehr Hilfen für umweltbewusste Verbraucher und mehr Ehrgeiz beim ökologischen Umbau der Wirtschaft: Dies fordern 200 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger, die am Wochenende auf Einladung der EU in Warschau über den Klimawandel und die Umweltpolitik beraten haben.

                          Die “Zufalls-Bürger”, die im Rahmen der 2021 begonnenen Konferenz zur Zukunft Europas getagt haben, sprechen sich unter anderem für “verpflichtende CO2-Filter” für Kohlekraftwerke, für eine Einschränkung der Massentierhaltung zur Methan-Reduktion sowie für die beschleunigte Produktion von “grünem” Wasserstoff aus.

                          Zurückhaltend äußerten sich die Teilnehmer des EU-Panels dagegen zum Streit über “grüne” Energieträger. Ein Verbot der Atomkraft findet sich ebenso wenig im Wunschkatalog von Warschau wie ein Ausstieg aus der Kohle. Dies dürfte die EU-Kommission erfreuen, die mit ihrem Vorschlag für eine Taxonomie heftigen Streit ausgelöst hat.

                          “Da wir die CO2-Emissionen nicht sofort stoppen können, und da wir weiter von Kohle abhängen, müssen wir sowohl kurzfristige als auch langfristige Maßnahmen ergreifen”, heißt es in den 52 Empfehlungen, die Europe.Table vorliegen. Die Bürger zeigen sich darin pragmatisch – eine radikale Wende in der Klimapolitik fordern sie nicht.

                          Scharfe Kritik an Agrarpolitik

                          Anders sieht es in der Agrarpolitik aus: Dort scheint die Geduld vieler Verbraucher mit der Industrie zu Ende zu gehen. So fordert das Bürgerpanel, die Agrarsubventionen von umweltschädlichen Großbetrieben in die biologische Landwirtschaft umzuleiten. Außerdem solle der Gebrauch von Pestiziden massiv eingeschränkt werden.

                          “Die Bürger sprechen sich deutlich gegen eine bisherige Agrar-Politik aus, die stark von Lobbyinteressen geprägt wurde”, sagt der grüne Europaabgeordnete Daniel Freund, der die Konferenz zur Zukunft Europas begleitet. Diese Vorschläge müssten nun schnell in konkrete Politik übersetzt werden.

                          “Die Zukunftskonferenz ist eine einmalige Chance, die EU unter Beteiligung der Bürger besser aufzustellen”, so Freund. “Wir müssen zeigen, dass wir es ernst meinen mit diesem Demokratie-Experiment und diesen Input umsetzen.” Andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die Bürger weiter von der EU und ihren Prozeduren entfremden.

                          Allerdings ist unklar, welche Bürgerwünsche am Ende tatsächlich aufgegriffen und in die Tat umgesetzt werden. Der französische EU-Vorsitz hat zwar versprochen, möglichst viele Ideen zu übernehmen und die EU-Reform aktiv voranzutreiben. Auch die neue Bundesregierung in Deutschland will sich für Reformen einsetzen.

                          Ideen der Konferenz zur Zukunft Europas drohen unterzugehen

                          Andere Länder stehen jedoch auf der Bremse. Zudem wird die Konferenz zur Zukunft Europas seit ihrem Beginn im Frühjahr 2021 von Personalquerelen und Kompetenzstreitigkeiten überschattet. Alle drei EU-Institutionen beanspruchen Mitsprache. Zu einem Problem könnte dies vor allem bei den Vorschlägen für eine institutionelle Reform werden. So hat ein weiteres Bürgerpanel, das schon im Dezember tagte, eine EU-Verfassung, ein Ende der Einstimmigkeit im Rat und transnationale Listen für die Europawahl gefordert.

                          Diese Ideen drohen jedoch im Brüsseler Betrieb unterzugehen, wenn sie nicht von zumindest einer Institution aufgegriffen und unterstützt werden. Bisher zeichnet sich eine solche Unterstützung aber noch nicht ab. Ob und wie weit der Prozess trägt, dürfte sich beim Plenum am 21. und 22. Januar im Europaparlament in Straßburg zeigen.

                          Daran nehmen 108 EU-Abgeordnete, 108 Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten, 108 Bürger sowie 54 Vertreter des Rats und drei Vertreter der EU-Kommission teil. Die Vorschläge werden dann in einem Zwischenbericht zusammengefasst, über den wiederum die drei EU-Institutionen beraten sollen. Was am Ende übrig bleibt, ist unklar.

                          Das bisher größte Demokratie-Experiment der EU hat zwar schon gezeigt, wie man die Bürger effektiv einbeziehen und konkrete Ergebnisse liefern kann. Doch den Beweis, dass man es mit der Bürgerbeteiligung ernst nimmt, sind die EU-Institutionen bisher schuldig geblieben.

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                            Termine

                            11.01.2022 – 16:00-17:45 Uhr, online
                            Buildings Performance Institute Europe, Seminar US-EU exchange: Building standards and codes to drive renovation
                            This online seminar will discuss the current state of standards and regulations in the U.S. and EU for constructions or renovations of buildings, and how these tools contribute to the EU’s goals of achieving a highly efficient and decarbonized building stock by 2050. REGISTRATION

                            12.01.2022 – 09:00-10:00 Uhr, online
                            TÜV Verband, Diskussion Koalitionsvertrag im Klimacheck
                            Wie viel Klimaschutz steckt im Koalitionsvertrag? Unter dieser Leitfrage steht die Veranstaltung des TÜV Verbandes, bei der unter anderen diskutiert werden soll, wie Deutschland das 1,5 Grad-Ziel erreichen kann, wie konkrete Maßnahmen umgesetzt und Vorgaben eingehalten werden können. INFOS & ANMELDUNG

                            12.01.2022 – 09:00-17:00 Uhr, online
                            Konferenz Digitale Lösungen als Katalysatoren für ein Gesundheitssystem 4.0 – Welche Wege gehen wir?
                            Beim “eHealth Symposium Südwest 2022” werden aktuelle Entwicklungen und digitale Lösungen im Gesundheitswesen vorgestellt, die zu einem zukunftsfähigen Gesundheitssystem beitragen können. INFOS & ANMELDUNG

                            12.01.2022 – 10:30-12:00 Uhr, online
                            VBW, Vortrag 10. Monitoring der Energiewende
                            Beim Monitoring der Energiewende der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) werden aktuelle energie- und klimapolitische Maßnahmen eingeordnet und beurteilt. ANMELDUNG BIS 11.01.2022

                            12.01.2022 – 13:30-14:30 Uhr, online
                            Presentation Are consumers ready for electric vehicles?
                            This event is the launch event for the “Are Consumers Ready for Electric Vehicles?”-study conducted by Element Energy and the Platform for Electromobility. Results will be presented. REGISTRATION

                            12.01.2022 – 16:00-17:00 Uhr, online
                            BVMW, Vortrag IT-Sicherheit im Fokus des Mittelstand – all in one für Cyber-Sicherheit
                            Die Referenten der Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) werden aktuelle Lösungen vorstellen, wie Cyber-Angriffe erkannt und Schwachstellen in Unternehmen reduziert werden können. INFOS & ANMELDUNG

                            13.01.2022 – 10:00-10:45 Uhr, online
                            BVMW, Vortrag Die Transformation von KMU’s in Richtung Klimaneutralität
                            Diese Veranstaltung des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft (BVMW) zeigt konkrete Maßnahmen auf, wie Unternehmen Einsparmaßnahmen und Klimaschutzstrategien umsetzen können. INFOS & ANMELDUNG

                            13.01.2022 – 12:00-13:00 Uhr, online
                            ECFR, Panel Discussion Delivering the European Green Deal: creating a climate of co-operation after COP26
                            The European Council on Foreign Relations (ECFR) speakers will discuss European climate sovereignty, energy security, and possible partnerships with other countries. INFOS & REGISTRATION

                            13.01.2022 – 15:30-17:00 Uhr, online
                            BDI, Diskussion Klimapfade 2.0 – Fokus Energiesystem
                            Bei dieser Veranstaltung der Reihe “Klimapfade 2.0” des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) wird thematisiert, wie der Ausbau der Erneuerbaren in der Energiewirtschaft vorangetrieben werden kann. INFOS

                            13.01.2022 – 16:00-17:30 Uhr, online
                            HBS, Konferenz 22. Außenpolitische Jahrestagung – Auf dem Weg zu einer neuen Klima-Außenpolitik – Teil 1
                            Die Referent:innen der Heinrich Böll Stiftung (HBS) werden transatlantische Perspektiven zur Klimaneutralität diskutieren und dabei Hindernisse, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit und zur Verständigung in den Blick nehmen. INFOS & ANMELDUNG

                            13.01.2022 – 18:00 Uhr, online
                            VDE, Vortrag Wasserstoff- und Brennstoffzellen – Einblick in das Nationale Innovationsprogramm
                            Diese Veranstaltung des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) wird sich mit der Frage beschäftigen, wie die Klimaziele der Bundesregierung mithilfe einer Strategie zum Aufbau und zur Nutzung von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie erreicht werden können. INFOS & ANMELDUNG

                            13.01.-14.01.2022, Güstrow
                            FES, Konferenz 19. Agrarpolitische Tagung: Herausforderungen für die Landwirtschaft und Lösungswege durch Regionalisierung?
                            Die Referent:innen der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) werden diskutieren, wie die Politik die Landwirtschaft zukünftig unterstützen will und wie ein nachhaltiger Wandel der Landwirtschaft zugunsten des Klimaschutzes gelingen kann. INFOS & ANMELDUNG

                            News

                            EU-Taxonomie laut DUH-Gutachten rechtswidrig

                            Die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie für nachhaltige Investitionen wäre mit geltendem EU-Recht nicht vereinbar. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, das die Deutsche Umwelthilfe in Auftrag gegeben und am Montag vorgestellt hat. Auch stehe der Kommissionsvorschlag nicht im Einklang mit dem deutschen Grundgesetz, wodurch die Bundesregierung verpflichtet sei, der Taxonomie entgegenzuwirken, heißt es in dem Papier.

                            Der Kommission fehle es bereits an der formellen Befugnis. So sei unter anderem die Frist für die Ausarbeitung des ergänzenden delegierten Rechtsakts bereits abgelaufen. Auch aus inhaltlicher Sicht scheide “die Einstufung der Atomenergie als ökologisch nachhaltig unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt aus”. Erdgaskraftwerke seien als Übergangstechnologien zwar grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Eine Aufnahme in die Taxonomie sei aber insbesondere aufgrund der darin aufgeführten Kriterien ebenfalls rechtswidrig.

                            Der umstrittenen Taxonomie-Erweiterung (Europe.Table berichtete) zugrunde liegt eine EU-Verordnung zur nachhaltigen Finanzierung vom Juni 2020. Darin sollte festgelegt werden, welche Aktivitäten und Produkte grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der EU-Klimaziele leisten können. Zur konkreten Ausgestaltung wurde die Kommission mit der Ausarbeitung eines delegierten Rechtsaktes betraut, allerdings unter klaren Bedingungen.

                            Erdgas in EU-Taxonomie: Verdrängung von Wind- und Sonnenenergie

                            So gibt Artikel 10 der Verordnung vor, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Entwicklung CO2-ärmerer Lösungen nicht behindert werden darf. Durch die Aufnahme von Atomenergie und Erdgas in die EU-Taxonomie sei aber genau das der Fall, so Rechtsanwältin Cornelia Ziehm, Autorin des Gutachtens. Auch widerspreche der Kommissionsvorschlag dem Vorsorgeprinzip aus dem Primärrecht der europäischen Verträge, das zur Risikovermeidung verpflichtet.

                            “Auch wir sehen einen begrenzten Bedarf am Zubau neuer Gas-Kapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten”, sagte Constantin Zerger, DUH-Bereichsleiter Energie und Klimaschutz. Das rechtfertige jedoch nicht, Erdgas als grüne Technologie zu bezeichnen und in die EU-Taxonomie aufzunehmen. Die darin angeführten Kriterien würden zu lange Laufzeiten ermöglichen und damit Wind- und Sonnenenergie verdrängen, was den Bestimmungen aus der Verordnung widerspreche.

                            Auch der in der Taxonomie vorgesehene Brennstoffwechsel hin zu low carbon fuels sei “hochproblematisch”, da keine Bilanzierung der Emissionen aus der Lieferkette (beispielsweise bei der Produktion von blauem Wasserstoff aus Erdgas) vorgesehen sei.

                            “Enthaltung Deutschlands kommt nicht infrage”

                            “Die Bundesregierung muss aus der Phase des Lamentierens herauskommen und in eine Phase des Handelns eintreten”, sagte DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. “Eine Enthaltung Deutschlands bei dieser wichtigen Abstimmung im Europäischen Rat kommt nicht infrage. Die Bundesregierung steht beim Atomausstieg in einer besonderen Verantwortung.”

                            Sie sei sogar verpflichtet, der geplanten Regelung entgegenzuwirken, führte Rechtsanwältin Ziehm aus. Denn der Schutzauftrag aus Artikel 20 des Grundgesetzes sowie das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts würden auch für die Mitgestaltung von EU-Recht gelten, insbesondere dann, wenn direkte Rückwirkung auf Umwelt und Gesellschaft in Deutschland erwartet werden könne, was bei der Taxonomie deutlich der Fall sei. Insbesondere, da diese auch eine Laufzeitverlängerung alter und störanfälliger Kernkraftwerke in Grenznähe ermögliche.

                            Der nun laufende Konsultationsprozess mit den Mitgliedsstaaten wurde bis zum 22. Januar verlängert. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte am Wochenende angekündigt, die deutsche Stellungnahme werde “ein klares Nein zur Atomkraft” enthalten. Bei der Aufnahme von Erdgas ist sich die Bundesregierung nicht einig.

                            Ende Januar will die EU-Kommission ihre Pläne offiziell vorstellen, dann beginnt die viermonatige Prüfungsfrist durch Parlament und Rat, die daraufhin über die Taxonomie abstimmen werden. Eine Ablehnung gilt als unwahrscheinlich. Im Rat bedürfte es dafür einer qualifizierten Mehrheit von 20 der 27 EU-Staaten. Das EU-Parlament kann mit absoluter Mehrheit den Vorschlag abweisen. Erst wenn die Taxonomie in Kraft tritt, kann dagegen geklagt werden. Österreich und Luxemburg haben einen solchen Schritt bereits angekündigt (Europe.Table berichtete), sollte es bei dem aktuell diskutierten Vorschlag bleiben. til

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                              Europol: EDSB untersagt endlose Vorratsdatenspeicherung

                              Der Europäische Datenschutzbeauftragte (EDSB) Wojciech Wiewiórowski hat der europäischen Polizeibehörde Europol untersagt, personenbezogene Daten ohne klaren Bezug zu kriminellen Aktivitäten dauerhaft auf Vorrat zu speichern.

                              Seit 2020 hatten die Datenschutzaufsicht und Europol miteinander über die Speicherungspraxis gestritten. Wiewiórowski stellte nun jedoch fest: “Es hat keinen signifikanten Fortschritt bezüglich des Kerns gegeben, dass Europol weiterhin personenbezogene Daten über Einzelne speichert, ohne dass die Verarbeitung mit den Beschränkungen der Europol-Verordnung in Einklang steht.”

                              Der europäische Datenschutzbeauftragte hat der Polizeikooperationsbehörde nun aufgegeben, binnen zwölf Monaten vorhandene gespeicherte Daten auszusortieren und neue Daten nicht länger als sechs Monate ohne Zuordnung zu speichern.

                              Laut einem Bericht des “Spiegel” soll Europol 4 Petabyte (4.000 Terabyte) Daten gehortet haben. Der EDSB beschreibt in seinem Beschluss die Aktivitäten der Behörde unter dem Stichwort “Big-Data-Analysen”. Europol unterliegt als EU-Institution nicht unmittelbar der Richtlinie für den Datenschutz im Bereich der Polizei und Justiz, sondern eigenen Vorgaben. Die Überarbeitung der Europol-Verordnung wird derzeit noch beraten.

                              Europol habe jahrelang und illegal massenhaft Daten über Millionen völlig unverdächtige Personen gespeichert, bemängelt der Piraten-Europaabgeordnete Patrick Breyer (Grüne/EFA). “Die Konsequenz: Unschuldige Bürger laufen Gefahr, zu Unrecht in den Verdacht einer Straftat zu geraten, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Die jetzt angeordnete Speicherfrist von sechs Monaten begrenzt dieses Risiko.” Doch Breyer sieht das nur als Etappensieg für den Datenschutz: “Die illegalen Praktiken sollen mit der neuen Europol-Verordnung einfach legalisiert werden, das ist skandalös.” fst

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                                Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen: Uneinigkeit um KMU

                                Die “Corporate Sustainability Reporting Directive” (CSRD) soll die Regeln für die Berichtspflichten von Unternehmen hinsichtlich ihres nachhaltigen Wirtschaftens klarer definieren und an einigen Stellen verschärfen. Im federführenden JURI-Ausschuss des EU-Parlaments fand am Montag ein Austausch zwischen Ausschussmitgliedern, Berichterstatterinnen und Schattenberichterstattern statt. Fast 600 Änderungsanträge für den Berichtsentwurf gingen bis dato bei Berichterstatter Pascal Durand (Renew/Liste Renaissance) ein.

                                Größter Streitpunkt ist noch immer die Frage des Einzugsbereichs der neuen Berichtspflichten. Durand möchte kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) ebenfalls verpflichten, regelmäßig über die Auswirkungen der eigenen Geschäftspraktiken auf Klima und Umwelt zu berichten. Die Kommission hatte diese in ihrem Vorschlag noch ausgenommen.

                                Warnung vor zusätzlicher Belastung für Mittelstand

                                Angelika Niebler (EVP/CSU) mahnte, man dürfe KMU nicht übermäßig mit Berichtspflichten belasten und forderte, Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeiter:innen von der Regelung auszunehmen. Sie argumentierte, dass die CSRD nicht dazu führen dürfe, dass lediglich Wirtschaftsprüfungsunternehmen neue Geschäftsfelder generieren könnten. Auf die “klassischen Mittelständler” würde dagegen Mehraufwand zukommen.

                                Unions-Kollege Axel Voss ergänzte, dass bei der ganzen Debatte die Nachhaltigkeit in den Vordergrund rücken müssen. Unternehmen bräuchten einen Plan, wie sie nachhaltiger werden können. Anschließend müsse man ihnen helfen, diese Ziele zu erreichen. “Informationspflichten und Sorgfaltspflichten allein machen ein Unternehmen nicht nachhaltiger”, so Voss am Montag.

                                Berichtspflichten für KMU: Zugang zu Finanzmitteln möglich

                                Durand hält dagegen, dass es KMU sogar einen Vorteil am Finanzmarkt verschaffen würde, wenn sie ebenfalls den Berichtspflichten unterlägen, da sie dadurch besseren Zugang zu Finanzmitteln von an Nachhaltigkeit interessierten Investoren bekommen würden. Unterstützung für diese Haltung kommt aus der Linksfraktion und von den Grünen.

                                Auch Tiemo Wölken (S&D/SPD) sprach sich für eine Ausweitung der Berichtspflichten aus, um die “Qualität und Quantität der Information” zu erhöhen. Es sei nicht hilfreich, KMU von der CSRD auszunehmen – nicht für Investoren, nicht für Stakeholder, nicht für die Unternehmen selbst. So würde ein “Level Playing Field” aller am Finanzmarkt teilnehmenden Unternehmen geschaffen, sagte Wölken. Mitte März soll im JURI-Ausschuss über den Bericht abgestimmt werden. luk

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                                  Sassoli erneut im Krankenhaus

                                  Der Präsident des Europaparlaments, David Sassoli, kann seine Amtsgeschäfte bis auf Weiteres nicht ausüben. Der 65-Jährige befinde sich seit dem 26. Dezember wegen einer “ernsten Komplikation im Zuge einer Fehlfunktion des Immunsystems” in Italien im Krankenhaus, teilte David Sassolis Sprecher mit. Sassoli hatte bereits zuvor mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen: Wegen einer schweren Lungenentzündung fiel er im vergangenen Herbst für mehr als zwei Monate aus.

                                  Der sozialistische Politiker gibt sein Amt in Kürze ab. Am 18. Januar stimmt das Europaparlament darüber ab, wer sein:e Nachfolger:in wird. Als Favoritin gilt die EVP-Abgeordnete Roberta Metsola, bislang Vizepräsidentin des Parlaments. Die Malteserin muss sich allerdings am Mittwochvormittag noch einer Anhörung in der S&D-Fraktion stellen. Auch bei Grünen und Liberalen gibt es Vorbehalte gegen die bekennende Abtreibungsgegnerin (Europe.Table berichtete). Metsolas Konkurrenten, der polnische PiS-Abgeordnete Kosma Złotowski und die Linke Sira Rego aus Spanien, werden aber wenig Chancen eingeräumt. tho

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                                    Regierung will Klima-Sofortprogramm bis April beschließen

                                    Die Bundesregierung will zentrale Vorhaben zum Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien dem Wirtschaftsministerium zufolge bis April beschließen. Das Klima-“Sofortprogramm” solle dann bis Ende des Jahres die parlamentarischen Hürden nehmen und Anfang 2023 greifen, hieß es am Montag aus dem Ministerium. Damit wolle man Deutschland zurück auf den Pfad zu den Klimaschutzzielen bringen.

                                    Man trete mit einem drastischen Rückstand an. Die Ziele würden in diesem und vermutlich auch im nächsten Jahr verfehlt. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) will seine Pläne heute im Detail vorstellen.

                                    Kernstück des Klima-Sofortprogramms sei eine Reform des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG), hieß es. Man werde den Grundsatz verankern, dass der Ausbau von Wind- oder Solarenergie im “überragenden öffentlichen Interesse” sei und der öffentlichen Sicherheit diene. Die Ausschreibungsmengen für Solar- oder Windenergie würden auf ein ambitioniertes Niveau angehoben und dann jährlich erhöht. Es werde eine Pflicht zu Solaranlagen auf neuen Gebäuden geben. Für Wind an Land werde man mehr Flächen ausweisen können, in dem man Abstände von Windrädern zu Wetter-Radaren oder Drehfunkfeuern des Flugverkehrs verringere.

                                    CCFD als Teil des Klima-Sofortprogramms: Hilfen für Industrie

                                    Der Ausbau der Erneuerbaren gilt als Schlüssel für einen Kohleausstieg bis 2030 und den Klimaschutz. Widerstände durch Anwohner und Naturschützer sowie bürokratische Hürden haben den Ausbau zuletzt gebremst. Dies soll mit der gesetzlichen Festlegung auf ein “überragendes öffentliches Interesse” geändert werden.

                                    Teil des Klima-Sofortprogramms soll den Ministeriumskreisen zufolge auch ein Konzept für Klimaschutzverträge, sogenannte Carbon Contracts for Difference (CCFD) werden. Mit ihnen soll die Industrie Hilfen erhalten, um den Einsatz von klimafreundlichen Brennstoffen wie grünem Wasserstoff finanzieren zu können. Die höheren Kosten können über diese Verträge ausgeglichen werden. Damit will man die energieintensive Industrie im internationalen Wettbewerb mit weniger klimafreundlichen Staaten schützen.

                                    Dem Ministerium zufolge will Habeck mit dem Klima-Sofortprogramm einen Boom neuer Technologien auslösen und neue Arbeitsplätze schaffen. Die Klimaschutzanforderungen würden sozial verträglich gestaltet, hieß es mit Blick auf die ohnehin schon hohen Energiepreise. rtr

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                                      EU-Forscher: Rekord-Werte bei Treibhausgasen in der Atmosphäre

                                      Das vergangene Jahr war Wissenschaftlern zufolge das fünftwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. In der Atmosphäre sei zudem so viel von den Treibhausgasen Kohlendioxid und Methan verzeichnet worden wie nie zuvor. Das teilten Forscher des Copernicus Climate Change Service (C3S) der Europäischen Union am Montag mit.

                                      Mit deutlichem Abstand seien die vergangenen sieben Jahre die wärmsten Jahre gewesen seit dem Beginn der Messungen 1850. Die durchschnittliche globale Temperatur 2021 habe 1,1 bis 1,2 Grad Celsius über dem Niveau des Zeitraums von 1850 bis 1900 gelegen. Die heißesten Jahre waren 2020 und 2016.

                                      Der vergangene Sommer war den Angaben zufolge der heißeste, den es jemals in Europa gegeben hat. Der Klimawandel hat nach Meinung der Wissenschaftler viele der extremen Wetterereignisse im vergangenen Jahr verschärft, etwa die Waldbrände in Sibirien und den USA sowie Überschwemmungen in Europa, China und im Sudan. In der Türkei, in Griechenland und in Süditalien war es zu schweren Waldbränden gekommen. Auf Sizilien wurde mit 48,8 Grad Celsius die höchste Temperatur in Europa gemessen. Bei Überschwemmungen in Westeuropa waren mehr als 200 Menschen gestorben.

                                      Das Treibhausgas Methan in der Atmosphäre stieg sprunghaft an

                                      “Diese Ereignisse sind eine deutliche Erinnerung daran, dass wir unser Verhalten ändern und entscheidende und wirksame Schritte in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft vornehmen und auf die Reduzierung der Kohlendioxid-Emissionen hinarbeiten müssen”, sagte C3S-Direktor Carlo Buontempo.

                                      Unklar blieb den Forschern zufolge, warum der Anteil von Methan in der Atmosphäre – ein besonders starkes Treibhausgas – in den vergangenen zwei Jahren sprunghaft angestiegen ist. Das Gas entsteht etwa bei der Öl- und Gasförderung und in der Landwirtschaft, kommt aber auch in natürlichen Quellen wie Feuchtgebieten vor. rtr

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                                        Verbraucherzentrale: Heizkostenzuschuss deutlich zu niedrig

                                        Die Verbraucherzentralen fordern einen deutlich höheren Heizkostenzuschuss als von Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) vorgeschlagen. “Es ist gut, dass die Bundesregierung Haushalten mit niedrigem Einkommen wegen der hohen Energiekosten unter die Arme greifen will”, sagte der Vorstandschef des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, Klaus Müller, am Montag. “Allerdings ist der einmalige Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger deutlich zu niedrig angesetzt.”

                                        135 Euro für Einzelpersonen und 175 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt für die gesamte Heizperiode 2021/2022 reichten für viele Haushalte nicht aus, den starken Anstieg der Heizkosten auszugleichen. Ein Teil der betroffenen Haushalte werde zudem voraussichtlich schon während der Heizperiode hohe Rechnungen erhalten. Für diese Haushalte fordere der Bundesverband eine unbürokratische Soforthilfe.

                                        Zuvor war ein erster Gesetzentwurf der Bauministerin zum Heizkostenzuschuss bekannt geworden, den SPD, Grüne und FDP im Grundsatz vereinbart hatten. Den Zuschuss sollen demnach über 700.000 Haushalte erhalten. rtr

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                                          Normungssystem: Europa muss sich strategisch aufstellen

                                          Von Jochen Reinschmidt
                                          Europäische Normen: Jochen Reinschmidt ist Abteilungsleiter Innovationspolitik beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie
                                          Jochen Reinschmidt ist Abteilungsleiter Innovationspolitik beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie

                                          Normen und Standards sind ein wichtiges Instrument, um Innovationen im Markt zu verbreiten. Die Unternehmen der Elektro- und Digitalindustrie sind weltweit vertreten und liefern Produkte und Systemlösungen in sämtliche relevante Wirtschaftszweige, sei es Industrie, Mobilität, Energie, Gesundheit, Gebäude oder den Consumerbereich. Daher treten wir für offene Märkte ein, nach dem Leitmotiv: “One test, one standard, accepted everywhere.”

                                          Allerdings sehen wir, dass Normung immer mehr als ein industrie- und geopolitisches Instrument genutzt wird. Während der Einsatz der deutschen und europäischen Unternehmen in der Normung über die Jahre stetig abnimmt, nimmt das Engagement bei Organisationen aus anderen Regionen der Welt deutlich zu, zum Teil mit erheblicher staatlicher Unterstützung. Hier muss sich Europa strategischer aufstellen.

                                          Prozessoptimierung notwendig

                                          Normen sind essenziell, um die Sicherheit von Produkten zu gewährleisten. In Europa hat sich das System des New Legislative Framework (NLF) zum Inverkehrbringen von Produkten bewährt. Die dahinterstehenden Prozesse sollten jedoch optimiert werden.

                                          Daher sehen wir es positiv, dass die Europäische Kommission sich dieser Themen annimmt und Anfang Februar eine Europäische Normungsstrategie vorlegen wird. Aus Sicht der Elektro- und Digitalindustrie sollten dabei insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden (vgl. ZVEI-Grundsatzpapier zur Normung):

                                          • Normung und konsortiale Standardisierung:

                                          Sowohl Normen als auch konsortiale Standards haben in der technischen Welt ihren Platz und ihre Berechtigung. Konsortiale Standards sind aus unserer Sicht aufgrund des eingeschränkten Konsenses allerdings nicht geeignet, gesetzliche Vorgaben zu konkretisieren.

                                          • Zusammenspiel von Wirtschaft, Staat und Normungsorganisationen intensivieren

                                          Normung ist Aufgabe der Wirtschaft. Alle interessierten Kreise können sich beteiligen, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens sicherzustellen. Staat und Normungsorganisationen unterstützen durch Gestaltung der Rahmenbedingungen. Diese bewährte Arbeitsteilung sollten wir auch in Zukunft beibehalten.

                                          Normung kann aber auch ein industrie- oder geopolitisches Instrument sein. Daher gilt es, den bewährten Bottom-Up-Ansatz marktgetriebener Normen und den politisch-strategischen Top-Down-Ansatz durch Zusammenarbeit von Staat und Politik sowie Industrie zusammenzubringen, um eine gemeinsame europäische Strategie zu entwickeln. Dazu muss ein kontinuierlicher Austausch zwischen EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäischen Normungsorganisationen und Industrie initiiert werden.

                                          • Das bewährte NLF-Prinzip stärken

                                          Das NLF mit dem Ansatz harmonisierter Normen zur Konkretisierung abstrakter gesetzlicher Anforderungen zu verwenden, hat sich aus unserer Sicht bewährt und muss weiter gestärkt werden. Technische Normen, die in Zusammenarbeit der europäischen Normungsorganisationen mit den Harmonised Standards Consultants (HAS-Consultants) entstanden sind, sollten die einzigen Normen sein, auf die in der europäischen Gesetzgebung Bezug genommen wird.

                                          Normen von europäischen Normungsorganisationen

                                          • Prozess zur Erstellung harmonisierter europäischer Normen verbessern

                                          Die teils erheblichen zeitlichen Verzögerungen müssen strukturell beseitigt werden. Und was mindestens genauso schwer wiegt: Das immer stärkere Auseinanderdriften der bewährten “parallelen” Normung in den europäischen und internationalen Normungsorganisationen muss verhindert werden.

                                          • Europäische Positionen in internationaler Normung sicherstellen

                                          Die deutsche Wirtschaft braucht internationale Normen, in denen sich die Anforderungen und Positionen Europas in ausreichendem Maße widerspiegeln. Daher sollten Normen bevorzugt von internationalen und europäischen Normungsorganisationen entwickelt werden. Falls dies nicht gelingt, darf es in internationalen Verhandlungen keine pauschale gegenseitige Anerkennung von Normen geben, aber sehr wohl eine Anerkennung von Prüfergebnissen, die auf gemeinsamen Normen beruhen.

                                          • Normungsarbeit steuerlich fördern

                                          Normung ist Teil des Innovationsprozesses und mit erheblichen Kosten verbunden. Gleichzeitig leisten in der Normung engagierte Unternehmen einen weit über ihren individuellen Nutzen hinausgehenden volkswirtschaftlichen Beitrag. Es muss im Interesse der deutschen und europäischen Industrie- und Innovationspolitik liegen, das Engagement in der Normung ebenso zu fördern wie Aktivitäten in der Forschung und Entwicklung, zum Beispiel durch die Einführung einer steuerlichen Normungsförderung für Unternehmen, die sich aktiv in der Normung engagieren.

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