nach dem Angriff von rechts durch Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen im April kam nun der Haken von links durch das Linksbündnis von Jean-Luc Mélenchon: Emmanuel Macrons Mitte-Bündnis hat bei den Wahlen gestern die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament verloren. Damit dürfte es Macron schwerer fallen, seine Reformvorhaben umzusetzen. Tanja Kuchenbecker hat die Wahlergebnisse und den möglichen zukünftigen Kurs Frankreichs analysiert.
Beim EU-Gipfel diese Woche geht es für die Ukraine um nichts weniger als den Status des Beitrittskandidaten. Die EU-Kommission und Länder wie Deutschland und Frankreich haben bereits ihre Zustimmung signalisiert, und auch anfangs skeptische Länder wie die Niederlande und Dänemark stellen ihre Bedenken zurück. Doch das hilft alles nichts, wenn am Ende Ungarn dagegen stimmt, berichtet Eric Bonse aus Brüssel.
Um die Gasversorgung in Deutschland weiterhin zu sichern, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck Notfallmaßnahmen angekündigt. So soll unter anderem über die Staatsbank KfW eine zusätzliche Kreditlinie bereitgestellt werden. Mehr dazu lesen Sie in den News.
China und die USA bauen ihre technologische Macht auf dem Weltmarkt aus, immer im Wettstreit gegeneinander. Unser Gastautor José-Ignacio Torreblanca erklärt im Standpunkt, warum Europa schnell lernen muss, strategisch zu handeln, um nicht zur digitalen Kolonie anderer Mächte zu werden.
Einen guten Start in die Woche wünscht
Es war ein schwerer Rückschlag für Emmanuel Macron. Das Bündnis Ensemble des Präsidenten verlor mit 246 Sitzen ihre absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. In französischen Medien wurde der Ausgang der Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung als “heftige Niederlage” für Macron gesehen. Gewählt wurden die 577 Abgeordneten für die Nationalversammlung in 577 Wahlkreisen. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
Das Linksbündnis Nupes, das von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon angeführt wird (Europe.Table berichtete), kam auf 142 Sitze. Aus den Reihen von Nupes war zu hören, dass man Macron das Leben schwer machen wolle. Nun müsse er mit einer starken Opposition rechnen.
Dem Antikapitalisten Mélenchon ist es gelungen, ein Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten zu bilden und die vereinte Linke Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale (Nupes, Neue ökologische und soziale Arbeiterunion) ist nun die zweitstärkste Kraft im Land. Bei den Präsidentschaftswahlen hatte Macron die EU-feindliche Rechtsextreme Marine Le Pen als Konkurrentin (Europe.Table berichtete), nun kam der Angriff von links. Auch für die Partei Rassemblement National (RN) von Le Pen war die Wahl ein Erfolg. Nach Hochrechnungen kommt RN auf 89 Sitze, zehnmal mehr als bisher. Le Pen wurde selbst auch mit über 61 Prozent gewählt. Damit ist ihre Partei die drittstärkste Kraft im Land. Die Partei feierte den Ausgang als Sieg. Marine Le Pen sprach von einer “großen Emotion” am Wahlabend.
Die Enthaltung war bei geschätzten 54 Prozent sehr hoch, noch ein Prozent mehr als beim ersten Wahlgang. Im Jahr 2017 waren es im zweiten Wahlgang sogar 57,4 Prozent. “Diese Konstellation würde die Regierung dazu zwingen, mit den Abgeordneten verhandeln zu müssen”, erklärte Gaël Sliman, Präsident von Odoxa, schon vor dem zweiten Wahlgang. Die Meinungsforschungsinstitute sahen Macron bei 252 bis 305 Sitzen, tatsächlich sind es noch viel weniger geworden.
Sliman erklärte Macron als “großen Verlierer” der Wahl. Macron verfügte bisher über eine komfortable Mehrheit im Parlament, die es ihm möglich machte, seine politischen Pläne durchzusetzen. Im Jahr 2017 hatte er mit seinen Verbündeten 359 Sitze erreicht, die linken Parteien waren nur auf rund 70 Sitze gekommen. Innerhalb von wenigen Jahren sind sie zur starken Kraft im Land geworden, weil Macrons Politik von vielen als zu wirtschaftsorientiert und nicht sozial genug empfunden wurde. Auch in Umweltfragen sehen ihn viele nicht als glaubwürdig. Bisher hatte der gewählte Präsident in Frankreich bei den folgenden Parlamentswahlen in den letzten Jahrzehnten immer die absolute Mehrheit erreicht.
Zwei wichtige Figuren der Regierung von Macron konnten sich aber retten. Premierministerin Élisabeth Borne erreichte gegen Nupes 52,3 Prozent (Europe.Table berichtete). Es gilt die Regel, dass Minister, die bei den Parlamentswahlen unterliegen, nicht weiter in der Regierung bleiben dürfen. Auch Innenminister Gérald Darmanin gelang es erstmal mit 57,5 Prozent seinen Posten zu halten.
Macron muss nun für Gesetzesprojekte Abgeordnete anderer Gruppen als Alliierte gewinnen, um seine Gesetze in Frankreich durchzubringen. Seine Europapläne dürfte das aber weniger beeinflussen. Macron wird vor allem bei Wirtschaftsreformen auf die konservativen Republikaner setzen, die nach Hochrechnungen auf 60 bis 70 Sitze kommen. Das könnte dazu führen, dass der Präsident mit seiner Politik noch weiter nach rechts rücken muss. Wie Macron wollen auch die Konservativen das Rentenalter auf 65 Jahre heraufsetzen, die Rentenreform könnte er also durchboxen. Auch in weiteren Punkten gab es Übereinstimmungen im Programm, so bei höheren Freibeträgen im Erbschaftsrecht. Die Rechten setzen allerdings weit mehr als Macron auf Budgetdisziplin. Maßnahmen für Kaufkraft, die die Linken besonders forderten, könnten erschwert werden.
Nach der Empfehlung der EU-Kommission, der Ukraine und Moldau den Status eines Beitrittskandidaten zu erteilen, haben mehrere bisher skeptische Staaten ihre Bedenken zurückgestellt. Damit rückt eine Zustimmung beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni näher. Allerdings muss die EU noch klären, wie sie mit dem Westbalkan umgeht. Der “politische Knoten” sei noch nicht gelöst, heißt es in Brüssel.
Die Kommission hatte am Freitag entschieden, dass der Ukraine die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union eröffnet werden solle (Europe.Table berichtete). “Das Land sollte den Status eines Beitrittskandidaten erhalten, auch wenn in einer Reihe von Bereichen noch Maßnahmen ergriffen werden müssen”, teilte die Brüsseler Behörde mit. Dieselbe Formulierung wählte sie für Moldau.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begründete die Entscheidung damit, dass die Ukraine bereits 70 Prozent der EU-Regeln übernommen habe. “Ukrainians are ready to die for the European perspective”, sagte sie. “We want them to live with us the European dream.” Allerdings müsse das Land noch etliche Reformen umsetzen, vor allem bei der Korruption bleibe viel zu tun.
Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi sagte, dass die Ukraine und Moldau die Reformen so schnell wie möglich angehen sollten. Dies sei jedoch keine Voraussetzung für das “Go” beim Kandidatenstatus. Dieser gilt ohnehin nur als erster symbolischer Schritt. Entscheidend ist letztlich die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. “Das steht jetzt noch nicht an”, betonte Varhelyi.
In ersten Reaktionen rückten die Niederlande und Dänemark von ihrer bisher skeptischen Haltung ab. “Wir werden natürlich der Empfehlung folgen”, sagte der dänische Außenminister Jeppe Kofod. Auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte signalisierte Unterstützung. Damit rückt eine Zustimmung beim EU-Gipfel näher. Der Kandidatenstatus muss einstimmig beschlossen werden.
Allerdings ist noch unklar, wie sich Portugal und Ungarn positionieren. Der portugiesische Premier Antonio Costa hatte vor der Kommissions-Empfehlung in der “Financial Times” davor gewarnt, falsche Erwartungen zu schüren. Der ungarische Regierungschef Viktor Órban gilt als notorischer Quertreiber; zuletzt hatte er Garantien für die ungarische Minderheit in der Ukraine gefordert.
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin äußerte sich zu dem möglichen EU-Beitritt der Ukraine. Russland hätte nichts gegen einen Beitritt, die EU sei keine militärische Organisation. Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte zuvor erklärt, Russland beobachte die Beitrittspläne der Ukraine aufmerksam, und hatte zur Begründung auf Bestrebungen zur Stärkung der EU-Verteidigungspolitik verwiesen. Fraglich ist, wie glaubhaft Putins Aussagen einzuschätzen sind.
Für Nervosität sorgt in Brüssel auch der Westbalkan. Einige Staaten warten dort schon seit Jahren auf das begehrte Ticket in die EU. Sie fürchten nun, übergangen zu werden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich bei einer Reise durch die Region für Albanien und Nordmazedonien starkgemacht (Europe.Table berichtete). “Die vor zwei Jahren fest zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen”, sagte er.
Bei seinem Besuch in Kiew hat Scholz diese Position bekräftigt. Es sei “eine Frage der europäischen Glaubwürdigkeit, dass wir gegenüber den Staaten des westlichen Balkan (…) nun endlich unsere Versprechen einlösen; jetzt und konkret”. Rückendeckung bekommt er vom österreichischen Kanzler Karl Nehammer. Dieser machte es sogar zur “Bedingung”, dass die EU die Ukraine und die Westbalkan-Länder gleich behandelt.
EU-Ratspräsident Charles Michel kommt nun die heikle Aufgabe zu, den Knoten im Westbalkan zu durchschlagen. Er hat dazu einen eigenen Westbalkan-Gipfel einberufen, der am Donnerstag unmittelbar vor dem EU-Gipfel stattfinden soll. Die Angelegenheit habe “Top-Priorität”, sagte Michel am vergangenen Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem nordmazedonischen Präsidenten Stevo Pendarovski (Europe.Table berichtete).
Pendarovski beklagte, dass das ständige Hinausschieben der Entscheidung “die Glaubwürdigkeit der EU als Ganzes untergräbt”. Als Schlüssel zu einer Lösung gilt Bulgarien, das damit droht, ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen einzulegen. Sofia will unter anderem erreichen, dass die Rechte der bulgarischen Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung festgeschrieben werden. Der Ausgang des Streits ist völlig offen.
Last but not least wirft der Kandidatenstatus für die Ukraine auch noch die Frage nach der Aufnahmefähigkeit der EU auf. Sie gehört zu den Kopenhagener Kriterien, die der Europäische Rat 1993 für den Beitritt neuer Länder beschlossen hat. Dabei geht es um Fähigkeit der derzeit 27 EU-Staaten, weitere Mitgliedstaaten aufzunehmen und erfolgreich integrieren zu können, ohne die eigene Handlungsfähigkeit und Weiterentwicklung zu gefährden (Europe.Table berichtete).
An dieser Fähigkeit bestehen seit geraumer Zeit Zweifel. Die wiederholte Blockade wichtiger Entscheidungen durch Ungarn hat diese Zweifel zuletzt wieder genährt. Scholz forderte am Wochenende, den Beitritt der Ukraine mit EU-Reformen zu erleichtern. “Dazu muss sie ihre Strukturen und Entscheidungsprozesse modernisieren. Nicht immer wird alles einstimmig entschieden werden können, was heute einstimmig entschieden werden muss.” Auch darüber wolle er beim EU-Gipfel sprechen, so der Kanzler.
Bis Ende Juli will die Kommission die Bewertung der ersten Projekte aus dem IPCEI zu Wasserstoff abschließen. Es gehe um 41 Projekte aus 15 Mitgliedstaaten für die Entwicklung und Produktion von Elektrolyseuren, Brennstoffzellen, Technologien für schwere Lkw und die Speicherung von Wasserstoff, erklärte Industriekommissar Thierry Breton vergangene Woche in einem Beitrag auf LinkedIn. Im September solle ein zweiter Wasserstoff-IPCEI folgen, zusammen gehe es um 70 bis 80 Projekte.
Weitere IPCEIs sollen folgen, kündigte Breton an. Über mögliche Inhalte ist noch nichts bekannt, aber wie Europe.Table erfuhr, könnte es unter anderem um Infrastrukturen für Wasserstoff gehen. Mit dem IPCEI-Instrument will die EU eigentlich den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vorantreiben, die Industrie wartet jedoch seit Monaten auf die Genehmigungen aus Brüssel. Wasserstoff soll nicht nur die Industrie dekarbonisieren, sondern auch dazu beitragen, Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen.
Im September soll außerdem das erste Treffen der Electrolyser Partnership stattfinden, wie Hydrogen Europe ankündigte. Im Mai hatten europäische Hersteller von Elektrolyseuren in einer gemeinsamen Erklärung mit der Kommission angekündigt, ihre Produktionskapazitäten bis 2025 auf 17,5 Gigawatt zu verzehnfachen. Laut Hydrogen Europe sollen auch Lieferanten von wichtigen Materialien in die Partnerschaft einbezogen werden. ber
Angesichts der reduzierten Gas-Liefermengen aus Russland (Europe.Table berichtete) will Wirtschaftsminister Robert Habeck die Gasversorgung in Deutschland mit neuen Notfallmaßnahmen sichern. Um die Einspeicherung von Gas zu unterstützen, werde die Bundesregierung über die Staatsbank KfW in Kürze eine zusätzliche Kreditlinie bereitstellen, teilte das Wirtschaftsministerium am Sonntag mit.
Nach Informationen aus Regierungskreisen geht es dabei um eine Kreditlinie von 15 Milliarden Euro, die bis zum 31. Dezember 2025 befristet ist. Außerdem sollen mehr Kohlekraftwerke als Ersatz für die Gasverstromung genutzt werden. Noch im Sommer soll laut Wirtschaftsministerium ein Gasauktions-Modell an den Start gehen, das für industrielle Gasverbraucher Anreize schaffen soll, Gas einzusparen.
Die neue Kreditlinie soll der von elf Ferngasnetzbetreibern unterhaltene Gesellschaft Trading Hub Europe (THE) die nötige Liquidität geben, um weiter Gas einzukaufen und die Befüllung der Speicher voranzutreiben. Der Kredit werde über eine Garantie des Bundes abgesichert, hieß es. Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll diese Woche unterrichtet werden. Die Bundesnetzagentur meldete am Samstag, dass die Gasspeicher in Deutschland zu 57 Prozent gefüllt sind.
Wie Deutschland hat auch Italien den von Russland zur Begründung genannten Reparaturbedarf an der Pipeline als unglaubwürdig zurückgewiesen. “Deutschland und wir und andere glauben, dass das Lügen sind”, hatte Ministerpräsident Mario Draghi gesagt. Tatsächlich drossele Russland die Lieferungen aus politischen Gründen.
Ungarn sieht im Gegensatz zu Deutschland und einigen anderen EU-Staaten keine Einschränkungen seiner Gasversorgung aus Russland (Europe.Table berichtete). Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagte am Sonntag in einem Radiointerview, der russische Vizeministerpräsident Alexander Nowak und Gazprom-Chef Alexej Miller hätten ihm in einem Telefonat zugesichert, dass der russische Staatskonzern seinen Liefervertrag mit Ungarn einhalten werde. Szijjártó sagte nicht, wann dieses Telefonat stattgefunden habe. Ungarn wird über Pipelines durch Bulgarien und Serbien sowie über Österreich mit russischem Gas beliefert.
Deutschland, Italien und die Slowakei erhalten nach eigenen Angaben seit einigen Tagen nur verringerte Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1. Durch sie fließen gewöhnlich rund 40 Prozent der russischen Gaslieferungen an die Europäische Union. Der italienische Versorger Eni erklärte am Sonntag, Gazprom habe ihm nun für Montag, also den sechsten Tag in Folge, eine reduzierte Liefermenge angekündigt. rtr
Eine Einigung der europäischen Finanzminister auf eine gemeinsame Umsetzung der global angestrebten Mindeststeuer für Unternehmen droht am Widerstand Ungarns zu scheitern. Dessen Finanzminister Mihaly Varga teilte seinen EU-Kollegen am Freitag mit, dass sein Land eine Reform zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstützen könne.
Damit verhinderte er eine Einigung auf EU-Ebene. Diese war eigentlich erwartet worden, nachdem zuvor Polen seinen Widerstand gegen eine Mindestkörperschaftssteuer von 15 Prozent aufgegeben hatte. Steuerfragen erfordern in der aus 27 Ländern bestehenden Europäischen Union stets Einstimmigkeit, weswegen Änderungen oft mühsam sind.
“Ungarn kann die Verabschiedung der Richtlinie über die globale Mindeststeuer zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstützen”, sagte Varga den Finanzministern in einer öffentlichen Sitzung. “Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Ich denke, wir müssen uns weiter bemühen, eine Lösung zu finden.” Der französische Finanzminister Bruno Le Maire – der das Steuerabkommen zu einem Hauptziel der sechsmonatigen französischen EU-Ratspräsidentschaft auserkoren hatte – machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Er forderte seine Amtskollegen dazu auf, die Arbeit fortzusetzen, um zu einem späteren Zeitpunkt eine Einigung zu erzielen.
Knapp 140 Staaten hatten sich im Oktober 2021 auf Details einer globalen Steuerreform geeinigt (Europe.Table berichtete). Dazu gehört eine Mindeststeuer in Höhe von 15 Prozent für international agierende Unternehmen, darunter große US-Digitalkonzerne wie Apple und Alphabet. Zudem sollen Schwellenländer mehr Einnahmen von den größten Konzernen der Welt abbekommen. Steueroasen sollen so ausgetrocknet und vor allem große Digitalkonzerne stärker in die Pflicht genommen werden.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Steuerreform ab Anfang 2023 greifen soll. Dies wird mittlerweile aber eher für Ende 2023 oder Anfang 2024 erwartet. rtr
Die EU und Indien haben Gespräche über ein Freihandelsabkommen wieder aufgenommen. Es sollten im Wesentlichen alle Handelsthemen besprochen werden, sagte der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis am Freitag in Brüssel. Beide Seiten betonten, welchen Wert eine Partnerschaft in den kommenden Jahren haben könnte (Europe.Table berichtete).
Die Europäer wollen sich stärker in der indo-pazifischen Region engagieren. Sie dürften insbesondere an niedrigeren Zöllen interessiert sein, etwa für Alkoholika und Autos. Indien wiederum dürfte den Fokus auf Dienstleistungen legen und einen leichteren Visa-Zugang für indische Staatsbürger anstreben. Das nächste Treffen soll vom 27. Juni an in Neu-Delhi stattfinden. Die ursprünglich 2007 begonnen Gespräche zwischen Indien und der EU wurden 2013 wegen zu geringer Fortschritte abgebrochen. rtr
Die Europäer scheinen vergessen zu haben, dass sie dank ihrer technologischen Vormachtstellung einst die Welt beherrschten. China wurde – wie Japan und viele andere Länder – von den Europäern aufgrund deren technologischen Überlegenheit unterworfen – mit Folgen, die bis heute spürbar sind. Deshalb zielt Pekings Technologiestrategie heute nicht nur darauf ab, Chinas technologische Souveränität zu schützen, sondern auch seinen Einfluss in der ganzen Welt auszuweiten, indem es das Gewicht seiner Diplomatie und seiner Technologieunternehmen nutzt. In Afrika, Lateinamerika, im indopazifischen Raum, auf dem Balkan und sogar im Herzen Europas positioniert China seine Kommunikationsunternehmen und Technologien strategisch, um Macht und Einfluss zu mehren.
Derweil ist der technologischen Supermacht USA klar, dass ihre Rivalität mit China – der große geopolitische Wettstreit des 21. Jahrhunderts – vor allem auf dem Gebiet der Technologie ausgetragen werden wird. Washington ist gerade dabei, seinen militärisch-industriellen Komplex so umzugestalten, sodass große Technologieunternehmen mit dem Militär Fähigkeiten entwickeln können, die die USA von China abheben. Die USA betrachten die künstliche Intelligenz als Schlachtfeld. Sie versperren Beijing den Zugang zu kritischer Infrastruktur wie Halbleitern, um Chinas Wachstum zu bremsen. Und sie verhängen technologische Sanktionen gegen Russland, um gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine vorzugehen.
Moskau seinerseits versucht, eigene Technologien zu entwickeln – mit wenig Erfolg. Aber es kompensiert diesen Misserfolg, indem es die Offenheit von Social-Media-Plattformen und Online-Netzwerken ausnutzt, um die öffentliche Meinung in demokratischen Ländern zu manipulieren, ihre Wahlen zu beeinflussen, Regierungen zu destabilisieren und seine eigenen Erzählungen von der Invasion der Ukraine im globalen Süden zu verbreiten. All dies zielt darauf ab, die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland zu unterlaufen. Dank seiner Fähigkeiten im Bereich der Cybersicherheit und Desinformation und angesichts der Ohnmacht der USA und der EU auf diesem Spielfeld ist Russland global zum großen digitalen Spielverderber geworden.
Jede Technologie schafft ihre eigene geopolitische Ordnung. So ist beispielsweise die internationale Bedeutung des Nahen Ostens eng mit einem Wirtschaftsmodell verbunden, das auf dem Zugang zu und dem Handel mit fossilen Brennstoffen beruht. Heute zeichnet sich eine neue geopolitische Ordnung ab, die mit Technologie verbunden ist. Dies lässt sich daran erkennen, dass sich der Kampf zwischen den Großmächten zunehmend um Daten und um die Technologien zu deren Verarbeitung und Nutzung dreht. Die neue Straße von Hormuz, der Suezkanal und die Straße von Malakka, um deren Kontrolle Staaten kämpfen, sind nun taiwanesische Halbleiterfabriken, zur Herstellung von Spitzentechnologie benötigte seltenen Erden sowie Unterseekabel, durch die Daten transportiert werden.
Für die EU birgt der Wettbewerb um die technologische Vorherrschaft viele Gefahren. Um zu gedeihen, braucht die EU eine Welt, die auf Regeln und nicht auf Gewalt beruht. Es kann jedoch keine Rückkehr zu einer Globalisierung geben, in der es keine Rolle spielte, wo und von wem Dinge hergestellt wurden. Interdependenz ist heute eine Schwachstelle, die Staaten ausnutzen, um sich gegenseitig zu erpressen. Und Russlands Krieg gegen die Ukraine wird die technologische Bipolarität nur noch verstärken: Während sich die USA und China bereits in einem globalen kalten Krieg um Technologie befinden, bauen die EU und Russland diese Spannungen auf regionaler Ebene auf.
In dieser neuen Welt wird die EU aus mindestens zwei Gründen leiden. Sie möchte ihren Markt nach hohen ethischen Standards regulieren, verfügt aber nicht über Unternehmen, die in der Spitzentechnologie weltweit führend sind. Gleichzeitig kollidieren ihre Vorschriften mit den Interessen von Akteuren wie den USA, die befürchten, dass europäische Standards die großen US-Technologieunternehmen schwächen, die für den Kampf mit China von entscheidender Bedeutung sind.
Die EU leidet aber auch darunter, dass sie sich schwertut, strategisch zu handeln: Bislang war sie weder in der Lage, ein Gegengewicht zu China oder Russland zu bilden, noch konnte sie dem globalen Süden eine alternative Form der wirtschaftlichen Entwicklung anbieten, die auf der Grundlage ihres Modells eines technologischen Humanismus beruht. Europa, einst technologisch führend, droht zu einer digitalen Kolonie anderer Mächte zu werden, wenn es nicht in der Lage ist, mit China oder den USA bei der Entwicklung neuer Technologien und digitaler Fähigkeiten zu konkurrieren.
Deshalb braucht die EU eine Technologiestrategie und Instrumente, die es ihr ermöglichen, ihre Grundsätze und Interessen zu verteidigen. Sie muss Technologieallianzen in der ganzen Welt schmieden, Märkte (einschließlich ihres eigenen) öffnen, und Verbündeten und gleichgesinnten Ländern dabei helfen, China und Russland die Stirn zu bieten. Und sie muss denjenigen, denen es an Fähigkeiten der Cybersicherheit mangelt, solche Kapazitäten zur Verfügung stellen und dazu beitragen, Demokratien und ihre Wahlen vor ausländischer Einmischung zu schützen.
Die EU muss all dies in Zusammenarbeit mit den USA tun, aber nicht als deren Untergebene. Sie braucht nicht nur eine Vision, sondern auch massive Investitionen in die technologischen Fähigkeiten, an denen es ihr derzeit mangelt. Und sie muss auch dafür sorgen, dass ihre Diplomatie auf dem Gebiet der Diplomatie effektiver und koordinierter wird als je zuvor.
José-Ignacio Torreblanca ist der Leiter des ECFR-Büros in Madrid.
Dieser Artikel ist Teil einer Kooperation zwischen Europe.Table und der Jahreskonferenz des European Council on Foreign Relations (ECFR), die am 19. und 20. Juni in Berlin stattfindet.
nach dem Angriff von rechts durch Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen im April kam nun der Haken von links durch das Linksbündnis von Jean-Luc Mélenchon: Emmanuel Macrons Mitte-Bündnis hat bei den Wahlen gestern die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament verloren. Damit dürfte es Macron schwerer fallen, seine Reformvorhaben umzusetzen. Tanja Kuchenbecker hat die Wahlergebnisse und den möglichen zukünftigen Kurs Frankreichs analysiert.
Beim EU-Gipfel diese Woche geht es für die Ukraine um nichts weniger als den Status des Beitrittskandidaten. Die EU-Kommission und Länder wie Deutschland und Frankreich haben bereits ihre Zustimmung signalisiert, und auch anfangs skeptische Länder wie die Niederlande und Dänemark stellen ihre Bedenken zurück. Doch das hilft alles nichts, wenn am Ende Ungarn dagegen stimmt, berichtet Eric Bonse aus Brüssel.
Um die Gasversorgung in Deutschland weiterhin zu sichern, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck Notfallmaßnahmen angekündigt. So soll unter anderem über die Staatsbank KfW eine zusätzliche Kreditlinie bereitgestellt werden. Mehr dazu lesen Sie in den News.
China und die USA bauen ihre technologische Macht auf dem Weltmarkt aus, immer im Wettstreit gegeneinander. Unser Gastautor José-Ignacio Torreblanca erklärt im Standpunkt, warum Europa schnell lernen muss, strategisch zu handeln, um nicht zur digitalen Kolonie anderer Mächte zu werden.
Einen guten Start in die Woche wünscht
Es war ein schwerer Rückschlag für Emmanuel Macron. Das Bündnis Ensemble des Präsidenten verlor mit 246 Sitzen ihre absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. In französischen Medien wurde der Ausgang der Wahl der Abgeordneten der Nationalversammlung als “heftige Niederlage” für Macron gesehen. Gewählt wurden die 577 Abgeordneten für die Nationalversammlung in 577 Wahlkreisen. Die Legislaturperiode dauert fünf Jahre.
Das Linksbündnis Nupes, das von Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon angeführt wird (Europe.Table berichtete), kam auf 142 Sitze. Aus den Reihen von Nupes war zu hören, dass man Macron das Leben schwer machen wolle. Nun müsse er mit einer starken Opposition rechnen.
Dem Antikapitalisten Mélenchon ist es gelungen, ein Bündnis mit Sozialisten, Grünen und Kommunisten zu bilden und die vereinte Linke Nouvelle Union Populaire Écologique et Sociale (Nupes, Neue ökologische und soziale Arbeiterunion) ist nun die zweitstärkste Kraft im Land. Bei den Präsidentschaftswahlen hatte Macron die EU-feindliche Rechtsextreme Marine Le Pen als Konkurrentin (Europe.Table berichtete), nun kam der Angriff von links. Auch für die Partei Rassemblement National (RN) von Le Pen war die Wahl ein Erfolg. Nach Hochrechnungen kommt RN auf 89 Sitze, zehnmal mehr als bisher. Le Pen wurde selbst auch mit über 61 Prozent gewählt. Damit ist ihre Partei die drittstärkste Kraft im Land. Die Partei feierte den Ausgang als Sieg. Marine Le Pen sprach von einer “großen Emotion” am Wahlabend.
Die Enthaltung war bei geschätzten 54 Prozent sehr hoch, noch ein Prozent mehr als beim ersten Wahlgang. Im Jahr 2017 waren es im zweiten Wahlgang sogar 57,4 Prozent. “Diese Konstellation würde die Regierung dazu zwingen, mit den Abgeordneten verhandeln zu müssen”, erklärte Gaël Sliman, Präsident von Odoxa, schon vor dem zweiten Wahlgang. Die Meinungsforschungsinstitute sahen Macron bei 252 bis 305 Sitzen, tatsächlich sind es noch viel weniger geworden.
Sliman erklärte Macron als “großen Verlierer” der Wahl. Macron verfügte bisher über eine komfortable Mehrheit im Parlament, die es ihm möglich machte, seine politischen Pläne durchzusetzen. Im Jahr 2017 hatte er mit seinen Verbündeten 359 Sitze erreicht, die linken Parteien waren nur auf rund 70 Sitze gekommen. Innerhalb von wenigen Jahren sind sie zur starken Kraft im Land geworden, weil Macrons Politik von vielen als zu wirtschaftsorientiert und nicht sozial genug empfunden wurde. Auch in Umweltfragen sehen ihn viele nicht als glaubwürdig. Bisher hatte der gewählte Präsident in Frankreich bei den folgenden Parlamentswahlen in den letzten Jahrzehnten immer die absolute Mehrheit erreicht.
Zwei wichtige Figuren der Regierung von Macron konnten sich aber retten. Premierministerin Élisabeth Borne erreichte gegen Nupes 52,3 Prozent (Europe.Table berichtete). Es gilt die Regel, dass Minister, die bei den Parlamentswahlen unterliegen, nicht weiter in der Regierung bleiben dürfen. Auch Innenminister Gérald Darmanin gelang es erstmal mit 57,5 Prozent seinen Posten zu halten.
Macron muss nun für Gesetzesprojekte Abgeordnete anderer Gruppen als Alliierte gewinnen, um seine Gesetze in Frankreich durchzubringen. Seine Europapläne dürfte das aber weniger beeinflussen. Macron wird vor allem bei Wirtschaftsreformen auf die konservativen Republikaner setzen, die nach Hochrechnungen auf 60 bis 70 Sitze kommen. Das könnte dazu führen, dass der Präsident mit seiner Politik noch weiter nach rechts rücken muss. Wie Macron wollen auch die Konservativen das Rentenalter auf 65 Jahre heraufsetzen, die Rentenreform könnte er also durchboxen. Auch in weiteren Punkten gab es Übereinstimmungen im Programm, so bei höheren Freibeträgen im Erbschaftsrecht. Die Rechten setzen allerdings weit mehr als Macron auf Budgetdisziplin. Maßnahmen für Kaufkraft, die die Linken besonders forderten, könnten erschwert werden.
Nach der Empfehlung der EU-Kommission, der Ukraine und Moldau den Status eines Beitrittskandidaten zu erteilen, haben mehrere bisher skeptische Staaten ihre Bedenken zurückgestellt. Damit rückt eine Zustimmung beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni näher. Allerdings muss die EU noch klären, wie sie mit dem Westbalkan umgeht. Der “politische Knoten” sei noch nicht gelöst, heißt es in Brüssel.
Die Kommission hatte am Freitag entschieden, dass der Ukraine die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union eröffnet werden solle (Europe.Table berichtete). “Das Land sollte den Status eines Beitrittskandidaten erhalten, auch wenn in einer Reihe von Bereichen noch Maßnahmen ergriffen werden müssen”, teilte die Brüsseler Behörde mit. Dieselbe Formulierung wählte sie für Moldau.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begründete die Entscheidung damit, dass die Ukraine bereits 70 Prozent der EU-Regeln übernommen habe. “Ukrainians are ready to die for the European perspective”, sagte sie. “We want them to live with us the European dream.” Allerdings müsse das Land noch etliche Reformen umsetzen, vor allem bei der Korruption bleibe viel zu tun.
Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi sagte, dass die Ukraine und Moldau die Reformen so schnell wie möglich angehen sollten. Dies sei jedoch keine Voraussetzung für das “Go” beim Kandidatenstatus. Dieser gilt ohnehin nur als erster symbolischer Schritt. Entscheidend ist letztlich die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. “Das steht jetzt noch nicht an”, betonte Varhelyi.
In ersten Reaktionen rückten die Niederlande und Dänemark von ihrer bisher skeptischen Haltung ab. “Wir werden natürlich der Empfehlung folgen”, sagte der dänische Außenminister Jeppe Kofod. Auch der niederländische Regierungschef Mark Rutte signalisierte Unterstützung. Damit rückt eine Zustimmung beim EU-Gipfel näher. Der Kandidatenstatus muss einstimmig beschlossen werden.
Allerdings ist noch unklar, wie sich Portugal und Ungarn positionieren. Der portugiesische Premier Antonio Costa hatte vor der Kommissions-Empfehlung in der “Financial Times” davor gewarnt, falsche Erwartungen zu schüren. Der ungarische Regierungschef Viktor Órban gilt als notorischer Quertreiber; zuletzt hatte er Garantien für die ungarische Minderheit in der Ukraine gefordert.
Auch Russlands Präsident Wladimir Putin äußerte sich zu dem möglichen EU-Beitritt der Ukraine. Russland hätte nichts gegen einen Beitritt, die EU sei keine militärische Organisation. Putins Sprecher Dmitri Peskow hatte zuvor erklärt, Russland beobachte die Beitrittspläne der Ukraine aufmerksam, und hatte zur Begründung auf Bestrebungen zur Stärkung der EU-Verteidigungspolitik verwiesen. Fraglich ist, wie glaubhaft Putins Aussagen einzuschätzen sind.
Für Nervosität sorgt in Brüssel auch der Westbalkan. Einige Staaten warten dort schon seit Jahren auf das begehrte Ticket in die EU. Sie fürchten nun, übergangen zu werden. Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich bei einer Reise durch die Region für Albanien und Nordmazedonien starkgemacht (Europe.Table berichtete). “Die vor zwei Jahren fest zugesagten Beitrittsverhandlungen müssen jetzt beginnen”, sagte er.
Bei seinem Besuch in Kiew hat Scholz diese Position bekräftigt. Es sei “eine Frage der europäischen Glaubwürdigkeit, dass wir gegenüber den Staaten des westlichen Balkan (…) nun endlich unsere Versprechen einlösen; jetzt und konkret”. Rückendeckung bekommt er vom österreichischen Kanzler Karl Nehammer. Dieser machte es sogar zur “Bedingung”, dass die EU die Ukraine und die Westbalkan-Länder gleich behandelt.
EU-Ratspräsident Charles Michel kommt nun die heikle Aufgabe zu, den Knoten im Westbalkan zu durchschlagen. Er hat dazu einen eigenen Westbalkan-Gipfel einberufen, der am Donnerstag unmittelbar vor dem EU-Gipfel stattfinden soll. Die Angelegenheit habe “Top-Priorität”, sagte Michel am vergangenen Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem nordmazedonischen Präsidenten Stevo Pendarovski (Europe.Table berichtete).
Pendarovski beklagte, dass das ständige Hinausschieben der Entscheidung “die Glaubwürdigkeit der EU als Ganzes untergräbt”. Als Schlüssel zu einer Lösung gilt Bulgarien, das damit droht, ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen einzulegen. Sofia will unter anderem erreichen, dass die Rechte der bulgarischen Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung festgeschrieben werden. Der Ausgang des Streits ist völlig offen.
Last but not least wirft der Kandidatenstatus für die Ukraine auch noch die Frage nach der Aufnahmefähigkeit der EU auf. Sie gehört zu den Kopenhagener Kriterien, die der Europäische Rat 1993 für den Beitritt neuer Länder beschlossen hat. Dabei geht es um Fähigkeit der derzeit 27 EU-Staaten, weitere Mitgliedstaaten aufzunehmen und erfolgreich integrieren zu können, ohne die eigene Handlungsfähigkeit und Weiterentwicklung zu gefährden (Europe.Table berichtete).
An dieser Fähigkeit bestehen seit geraumer Zeit Zweifel. Die wiederholte Blockade wichtiger Entscheidungen durch Ungarn hat diese Zweifel zuletzt wieder genährt. Scholz forderte am Wochenende, den Beitritt der Ukraine mit EU-Reformen zu erleichtern. “Dazu muss sie ihre Strukturen und Entscheidungsprozesse modernisieren. Nicht immer wird alles einstimmig entschieden werden können, was heute einstimmig entschieden werden muss.” Auch darüber wolle er beim EU-Gipfel sprechen, so der Kanzler.
Bis Ende Juli will die Kommission die Bewertung der ersten Projekte aus dem IPCEI zu Wasserstoff abschließen. Es gehe um 41 Projekte aus 15 Mitgliedstaaten für die Entwicklung und Produktion von Elektrolyseuren, Brennstoffzellen, Technologien für schwere Lkw und die Speicherung von Wasserstoff, erklärte Industriekommissar Thierry Breton vergangene Woche in einem Beitrag auf LinkedIn. Im September solle ein zweiter Wasserstoff-IPCEI folgen, zusammen gehe es um 70 bis 80 Projekte.
Weitere IPCEIs sollen folgen, kündigte Breton an. Über mögliche Inhalte ist noch nichts bekannt, aber wie Europe.Table erfuhr, könnte es unter anderem um Infrastrukturen für Wasserstoff gehen. Mit dem IPCEI-Instrument will die EU eigentlich den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vorantreiben, die Industrie wartet jedoch seit Monaten auf die Genehmigungen aus Brüssel. Wasserstoff soll nicht nur die Industrie dekarbonisieren, sondern auch dazu beitragen, Gaslieferungen aus Russland zu ersetzen.
Im September soll außerdem das erste Treffen der Electrolyser Partnership stattfinden, wie Hydrogen Europe ankündigte. Im Mai hatten europäische Hersteller von Elektrolyseuren in einer gemeinsamen Erklärung mit der Kommission angekündigt, ihre Produktionskapazitäten bis 2025 auf 17,5 Gigawatt zu verzehnfachen. Laut Hydrogen Europe sollen auch Lieferanten von wichtigen Materialien in die Partnerschaft einbezogen werden. ber
Angesichts der reduzierten Gas-Liefermengen aus Russland (Europe.Table berichtete) will Wirtschaftsminister Robert Habeck die Gasversorgung in Deutschland mit neuen Notfallmaßnahmen sichern. Um die Einspeicherung von Gas zu unterstützen, werde die Bundesregierung über die Staatsbank KfW in Kürze eine zusätzliche Kreditlinie bereitstellen, teilte das Wirtschaftsministerium am Sonntag mit.
Nach Informationen aus Regierungskreisen geht es dabei um eine Kreditlinie von 15 Milliarden Euro, die bis zum 31. Dezember 2025 befristet ist. Außerdem sollen mehr Kohlekraftwerke als Ersatz für die Gasverstromung genutzt werden. Noch im Sommer soll laut Wirtschaftsministerium ein Gasauktions-Modell an den Start gehen, das für industrielle Gasverbraucher Anreize schaffen soll, Gas einzusparen.
Die neue Kreditlinie soll der von elf Ferngasnetzbetreibern unterhaltene Gesellschaft Trading Hub Europe (THE) die nötige Liquidität geben, um weiter Gas einzukaufen und die Befüllung der Speicher voranzutreiben. Der Kredit werde über eine Garantie des Bundes abgesichert, hieß es. Der Haushaltsausschuss des Bundestages soll diese Woche unterrichtet werden. Die Bundesnetzagentur meldete am Samstag, dass die Gasspeicher in Deutschland zu 57 Prozent gefüllt sind.
Wie Deutschland hat auch Italien den von Russland zur Begründung genannten Reparaturbedarf an der Pipeline als unglaubwürdig zurückgewiesen. “Deutschland und wir und andere glauben, dass das Lügen sind”, hatte Ministerpräsident Mario Draghi gesagt. Tatsächlich drossele Russland die Lieferungen aus politischen Gründen.
Ungarn sieht im Gegensatz zu Deutschland und einigen anderen EU-Staaten keine Einschränkungen seiner Gasversorgung aus Russland (Europe.Table berichtete). Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó sagte am Sonntag in einem Radiointerview, der russische Vizeministerpräsident Alexander Nowak und Gazprom-Chef Alexej Miller hätten ihm in einem Telefonat zugesichert, dass der russische Staatskonzern seinen Liefervertrag mit Ungarn einhalten werde. Szijjártó sagte nicht, wann dieses Telefonat stattgefunden habe. Ungarn wird über Pipelines durch Bulgarien und Serbien sowie über Österreich mit russischem Gas beliefert.
Deutschland, Italien und die Slowakei erhalten nach eigenen Angaben seit einigen Tagen nur verringerte Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1. Durch sie fließen gewöhnlich rund 40 Prozent der russischen Gaslieferungen an die Europäische Union. Der italienische Versorger Eni erklärte am Sonntag, Gazprom habe ihm nun für Montag, also den sechsten Tag in Folge, eine reduzierte Liefermenge angekündigt. rtr
Eine Einigung der europäischen Finanzminister auf eine gemeinsame Umsetzung der global angestrebten Mindeststeuer für Unternehmen droht am Widerstand Ungarns zu scheitern. Dessen Finanzminister Mihaly Varga teilte seinen EU-Kollegen am Freitag mit, dass sein Land eine Reform zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstützen könne.
Damit verhinderte er eine Einigung auf EU-Ebene. Diese war eigentlich erwartet worden, nachdem zuvor Polen seinen Widerstand gegen eine Mindestkörperschaftssteuer von 15 Prozent aufgegeben hatte. Steuerfragen erfordern in der aus 27 Ländern bestehenden Europäischen Union stets Einstimmigkeit, weswegen Änderungen oft mühsam sind.
“Ungarn kann die Verabschiedung der Richtlinie über die globale Mindeststeuer zum jetzigen Zeitpunkt nicht unterstützen”, sagte Varga den Finanzministern in einer öffentlichen Sitzung. “Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen. Ich denke, wir müssen uns weiter bemühen, eine Lösung zu finden.” Der französische Finanzminister Bruno Le Maire – der das Steuerabkommen zu einem Hauptziel der sechsmonatigen französischen EU-Ratspräsidentschaft auserkoren hatte – machte aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Er forderte seine Amtskollegen dazu auf, die Arbeit fortzusetzen, um zu einem späteren Zeitpunkt eine Einigung zu erzielen.
Knapp 140 Staaten hatten sich im Oktober 2021 auf Details einer globalen Steuerreform geeinigt (Europe.Table berichtete). Dazu gehört eine Mindeststeuer in Höhe von 15 Prozent für international agierende Unternehmen, darunter große US-Digitalkonzerne wie Apple und Alphabet. Zudem sollen Schwellenländer mehr Einnahmen von den größten Konzernen der Welt abbekommen. Steueroasen sollen so ausgetrocknet und vor allem große Digitalkonzerne stärker in die Pflicht genommen werden.
Ursprünglich war vorgesehen, dass die Steuerreform ab Anfang 2023 greifen soll. Dies wird mittlerweile aber eher für Ende 2023 oder Anfang 2024 erwartet. rtr
Die EU und Indien haben Gespräche über ein Freihandelsabkommen wieder aufgenommen. Es sollten im Wesentlichen alle Handelsthemen besprochen werden, sagte der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis am Freitag in Brüssel. Beide Seiten betonten, welchen Wert eine Partnerschaft in den kommenden Jahren haben könnte (Europe.Table berichtete).
Die Europäer wollen sich stärker in der indo-pazifischen Region engagieren. Sie dürften insbesondere an niedrigeren Zöllen interessiert sein, etwa für Alkoholika und Autos. Indien wiederum dürfte den Fokus auf Dienstleistungen legen und einen leichteren Visa-Zugang für indische Staatsbürger anstreben. Das nächste Treffen soll vom 27. Juni an in Neu-Delhi stattfinden. Die ursprünglich 2007 begonnen Gespräche zwischen Indien und der EU wurden 2013 wegen zu geringer Fortschritte abgebrochen. rtr
Die Europäer scheinen vergessen zu haben, dass sie dank ihrer technologischen Vormachtstellung einst die Welt beherrschten. China wurde – wie Japan und viele andere Länder – von den Europäern aufgrund deren technologischen Überlegenheit unterworfen – mit Folgen, die bis heute spürbar sind. Deshalb zielt Pekings Technologiestrategie heute nicht nur darauf ab, Chinas technologische Souveränität zu schützen, sondern auch seinen Einfluss in der ganzen Welt auszuweiten, indem es das Gewicht seiner Diplomatie und seiner Technologieunternehmen nutzt. In Afrika, Lateinamerika, im indopazifischen Raum, auf dem Balkan und sogar im Herzen Europas positioniert China seine Kommunikationsunternehmen und Technologien strategisch, um Macht und Einfluss zu mehren.
Derweil ist der technologischen Supermacht USA klar, dass ihre Rivalität mit China – der große geopolitische Wettstreit des 21. Jahrhunderts – vor allem auf dem Gebiet der Technologie ausgetragen werden wird. Washington ist gerade dabei, seinen militärisch-industriellen Komplex so umzugestalten, sodass große Technologieunternehmen mit dem Militär Fähigkeiten entwickeln können, die die USA von China abheben. Die USA betrachten die künstliche Intelligenz als Schlachtfeld. Sie versperren Beijing den Zugang zu kritischer Infrastruktur wie Halbleitern, um Chinas Wachstum zu bremsen. Und sie verhängen technologische Sanktionen gegen Russland, um gegen den Angriffskrieg gegen die Ukraine vorzugehen.
Moskau seinerseits versucht, eigene Technologien zu entwickeln – mit wenig Erfolg. Aber es kompensiert diesen Misserfolg, indem es die Offenheit von Social-Media-Plattformen und Online-Netzwerken ausnutzt, um die öffentliche Meinung in demokratischen Ländern zu manipulieren, ihre Wahlen zu beeinflussen, Regierungen zu destabilisieren und seine eigenen Erzählungen von der Invasion der Ukraine im globalen Süden zu verbreiten. All dies zielt darauf ab, die Sanktionen der USA und der EU gegen Russland zu unterlaufen. Dank seiner Fähigkeiten im Bereich der Cybersicherheit und Desinformation und angesichts der Ohnmacht der USA und der EU auf diesem Spielfeld ist Russland global zum großen digitalen Spielverderber geworden.
Jede Technologie schafft ihre eigene geopolitische Ordnung. So ist beispielsweise die internationale Bedeutung des Nahen Ostens eng mit einem Wirtschaftsmodell verbunden, das auf dem Zugang zu und dem Handel mit fossilen Brennstoffen beruht. Heute zeichnet sich eine neue geopolitische Ordnung ab, die mit Technologie verbunden ist. Dies lässt sich daran erkennen, dass sich der Kampf zwischen den Großmächten zunehmend um Daten und um die Technologien zu deren Verarbeitung und Nutzung dreht. Die neue Straße von Hormuz, der Suezkanal und die Straße von Malakka, um deren Kontrolle Staaten kämpfen, sind nun taiwanesische Halbleiterfabriken, zur Herstellung von Spitzentechnologie benötigte seltenen Erden sowie Unterseekabel, durch die Daten transportiert werden.
Für die EU birgt der Wettbewerb um die technologische Vorherrschaft viele Gefahren. Um zu gedeihen, braucht die EU eine Welt, die auf Regeln und nicht auf Gewalt beruht. Es kann jedoch keine Rückkehr zu einer Globalisierung geben, in der es keine Rolle spielte, wo und von wem Dinge hergestellt wurden. Interdependenz ist heute eine Schwachstelle, die Staaten ausnutzen, um sich gegenseitig zu erpressen. Und Russlands Krieg gegen die Ukraine wird die technologische Bipolarität nur noch verstärken: Während sich die USA und China bereits in einem globalen kalten Krieg um Technologie befinden, bauen die EU und Russland diese Spannungen auf regionaler Ebene auf.
In dieser neuen Welt wird die EU aus mindestens zwei Gründen leiden. Sie möchte ihren Markt nach hohen ethischen Standards regulieren, verfügt aber nicht über Unternehmen, die in der Spitzentechnologie weltweit führend sind. Gleichzeitig kollidieren ihre Vorschriften mit den Interessen von Akteuren wie den USA, die befürchten, dass europäische Standards die großen US-Technologieunternehmen schwächen, die für den Kampf mit China von entscheidender Bedeutung sind.
Die EU leidet aber auch darunter, dass sie sich schwertut, strategisch zu handeln: Bislang war sie weder in der Lage, ein Gegengewicht zu China oder Russland zu bilden, noch konnte sie dem globalen Süden eine alternative Form der wirtschaftlichen Entwicklung anbieten, die auf der Grundlage ihres Modells eines technologischen Humanismus beruht. Europa, einst technologisch führend, droht zu einer digitalen Kolonie anderer Mächte zu werden, wenn es nicht in der Lage ist, mit China oder den USA bei der Entwicklung neuer Technologien und digitaler Fähigkeiten zu konkurrieren.
Deshalb braucht die EU eine Technologiestrategie und Instrumente, die es ihr ermöglichen, ihre Grundsätze und Interessen zu verteidigen. Sie muss Technologieallianzen in der ganzen Welt schmieden, Märkte (einschließlich ihres eigenen) öffnen, und Verbündeten und gleichgesinnten Ländern dabei helfen, China und Russland die Stirn zu bieten. Und sie muss denjenigen, denen es an Fähigkeiten der Cybersicherheit mangelt, solche Kapazitäten zur Verfügung stellen und dazu beitragen, Demokratien und ihre Wahlen vor ausländischer Einmischung zu schützen.
Die EU muss all dies in Zusammenarbeit mit den USA tun, aber nicht als deren Untergebene. Sie braucht nicht nur eine Vision, sondern auch massive Investitionen in die technologischen Fähigkeiten, an denen es ihr derzeit mangelt. Und sie muss auch dafür sorgen, dass ihre Diplomatie auf dem Gebiet der Diplomatie effektiver und koordinierter wird als je zuvor.
José-Ignacio Torreblanca ist der Leiter des ECFR-Büros in Madrid.
Dieser Artikel ist Teil einer Kooperation zwischen Europe.Table und der Jahreskonferenz des European Council on Foreign Relations (ECFR), die am 19. und 20. Juni in Berlin stattfindet.