Table.Briefing: Europe

EU-Sanktionen gegen Russland + Technologie-Sanktionen + Finnland überdenkt Kernkraftprojekt

  • Nord Stream 2 auf Eis: Ukraine lobt Entscheidung der Bundesregierung
  • Technologie-Sanktionen würden Russland hart treffen
  • Kernkraftwerk: Finnland sieht Zusammenarbeit mit Russland gefährdet
  • Gutachten warnt vor Schlupflöchern im DMA
  • Irland nähert sich Entscheidung in Datenschutzfrage
  • Rat: Weitere Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme
  • Informeller Verkehrsrat: Keine Einigung über Fit-for-55-Dossiers
  • Standpunkt: Er will mehr. Putin und seine historische Rolle
Liebe Leserin, lieber Leser,

vor dem Hintergrund von Russlands drohendem Einmarsch in die Ostukraine hat die Bundesregierung die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 gestern auf Eis gelegt. Es müsse jetzt eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung der neuen Entwicklungen erfolgen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. “Das werde sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf”, fügte er hinzu. Aus der Ukraine kam unterdessen Lob für diesen Schritt. Auch US-Präsident Joe Biden kündigte Sanktionen an. Eric Bonse und Manuel Berkel mit den Einzelheiten.

In einem weiteren Schritt könnte Deutschland auch Technologie-Sanktionen gegen Russland verhängen. Russland versucht seit Jahren, sich in der Digitalisierung unabhängiger zu machen. Wie weit es damit ist und wie die Technologie-Sanktionen wirken würden, hat Falk Steiner analysiert.

Putin habe deutlich gemacht, dass er die Selbstauflösung der Sowjetunion nicht akzeptiere, schreibt der langjährige CDU-Außenpolitiker Elmar Brok in seinem Gastbeitrag für Europe.Table. Für die früheren sowjetischen Teilrepubliken hätten die Völkerrechtsprinzipien der Souveränität und der territorialen Identität demnach keine Gültigkeit – die drei baltischen Staaten eingeschlossen. Der russische Präsident wolle den Machtanspruch des alten Reiches in Einflusszonen außerhalb der russischen Grenzen übersetzen, unter Einschluss der Staaten Mittel- und Osteuropas, so Brok. Er warnt: “Wladimir Putin ist offensichtlich von einem Krieg nicht mehr abzuhalten”.

Die französische Ratspräsidentschaft will die Anforderungen an die Konformitätsbewertung für Hochrisiko-KI-Systeme erweitern. Welche Kriterien zu erfüllen sind, lesen Sie in den News.

Ihre
Lisa-Martina Klein
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Analyse

Nord Stream 2 auf Eis: Ukraine lobt Entscheidung der Bundesregierung

Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, sagte Scholz. “Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.” Ohne diese Zertifizierung könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Auf Twitter hatte die Sprecherin des US-Präsidenten Joe Biden angedeutet, dass dieser Schritt auf Druck der USA passiert sei.

Die Analyse der Versorgungssicherheit hatte noch die Vorgängerregierung unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel im Oktober 2021 erstellt und damals mitgeteilt: “Das Bundeswirtschaftsministerium kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet.”

Nach dem deutschen Energiewirtschaftsgesetz ist auch die Sicherheit der Stromversorgung ein Prüfkriterium, zum Beispiel die ausreichende Versorgung von Gaskraftwerken. Nach eigenen Angaben hatte das Wirtschaftsministerium mehreren europäischen Staaten eine Konsultation ermöglicht: Estland, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

Die zuständige Abteilung des Wirtschaftsministeriums werde eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung dessen vornehmen, “was sich in den vergangenen Tagen verändert hat”, sagte Scholz. Das Verfahren gehe jetzt “einen neuen Gang”. Der Kanzler fügte hinzu: “Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf.”

Stopp für Nord Stream 2: Lob aus der Ukraine

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte nach einem Treffen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Düsseldorf, der Schritt zu Nord Stream 2 sei seit Wochen und Monaten akribisch vorbereitet worden. “Wir werden den Gasausstieg mit großem Engagement vorantreiben müssen”, sagte Habeck. Derzeit decke Russland noch 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs. “Die Alternative, dieses Gas zu ersetzen, ist über LNG, die norwegische Versorgung und die niederländische Versorgung. Damit können wir die Versorgung von Deutschland sicherstellen.”

Der Außenminister der Ukraine Dmytro Kuleba lobte den Stopp für Nord Stream 2. “Das ist moralisch, politisch und praktisch der richtige Schritt unter den gegenwärtigen Umständen”, schrieb Kuleba auf Twitter. “Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Deutschlands Schritt beweist genau das.”

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Entscheidung. “Die Bundesregierung liegt völlig richtig. Nord Stream 2 muss neu betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit für ganz Europa.” Akute Versorgungsprobleme seien allerdings nicht zu erwarten, sagte ein Kommissions-Sprecher. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Gaspipeline bisher noch nie genutzt wurde.

Der Stopp von Nord Stream 2 gehörte zu dem Sanktionspaket im Russland-Ukraine-Konflikt, das von der Leyen in den letzten Wochen ausgearbeitet hatte. Am Dienstag legte sie jedoch einen neuen Plan vor, der an die Lage angepasst ist und einen “graduellen” Ansatz verfolgt. Demnach sollen die EU-Sanktionen nicht “auf einen Schlag” kommen, sondern der Schwere der russischen Aggressionen angepasst werden.

Schuster: “EU darf nicht alles Pulver verschießen”

Der neue Sanktionsplan, der am Dienstabend von den 27 EU-Außenministern angenommen wurde, besteht aus vier Punkten. Zum einen will die EU all jene bestrafen, die an der Entscheidung zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Rebellenregionen Luhansk und Donezk beteiligt waren. Dies betrifft mehrere hundert Abgeordnete der russischen Staatsduma.

Zum anderen zielt Brüssel auf Banken, die russische Unternehmen in diesen Regionen finanzierten. Außerdem will sie den Zugang zu den Kapital- und Finanzmärkten und den Dienstleistungen der EU beschränken und den Handel mit Luhansk und Donezk unter Strafe stellen. Die Verantwortlichen für die “illegalen und aggressiven” Aktionen müssten die wirtschaftlichen Konsequenzen zu spüren bekommen, so die EU-Kommission.

Aus dem Europaparlament kam Zustimmung. Der russische Einmarsch mache ernsthafte Sanktionen erforderlich, sagte Joachim Schuster, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Gruppe. Allerdings schränkte er ein: “Wir dürfen nicht gleich alles Pulver verschießen.” Vielmehr solle die EU abwarten: “Stoppt Putin an dieser Stelle – oder geht er noch weiter?”

Für mehr Härte sprach sich der grüne Außenpolitiker Reinhard Bütikofer aus. Die zögerlichen EU-Länder sollten sich ein Beispiel an Berlin nehmen. “Endlos ist in Deutschland über Nord Stream 2 gestritten worden. Jetzt kommt zu Recht das Aus.” Nötig sei nun ein Plan, um die Energieabhängigkeit von Russland konsequent abzubauen.

Biden schickt Truppen ins Baltikum

Am Abend kündigte auch Biden in einer Rede im Weißen Haus eine erste Runde von Strafmaßnahmen gegen Russland und eine Umverteilung von Truppen in Europa an. Das jüngste Vorgehen Russlands komme dem Beginn einer Invasion der Ukraine gleich, sagte der US-Präsident. Sanktionsziele seien unter anderem die Wneschekonombank, sowie die auf Rüstungsgeschäfte ausgerichtete Promswjasbank und russische Staatsanleihen, sagte Biden. Die Beeinträchtigung der russischen Staatsverschuldung bedeute, dass die russische Regierung von der westlichen Finanzierung abgeschnitten sei. Dies sei mit Europa abgestimmt worden, erklärte Biden, sodass auch der Zugang zum Euro blockiert sei. 

Ab Mittwoch würden auch Sanktionen gegen russische Eliten, die Putin nahe stehen, und ihre Familienmitglieder verhängt. Ein hochrangiger Beamter der US-Regierung sagte, dass auch die russische Sberbank und die VTB mit amerikanischen Sanktionen rechnen müssten, wenn Moskau seine Invasion in der Ukraine fortsetzt. Er warnte, dass keine russischen Finanzinstitute sicher seien. Der Beamte sagte auch, dass die russischen Eliten, die am Dienstag nicht sanktioniert wurden, auf der Hut sein sollten und dass die amerikanische Regierung mit einer großen Anzahl von Ländern darauf vorbereitet sei, im Falle eines russischen Einmarsches Exportkontrollmaßnahmen durchzuführen.

“Die heutigen Maßnahmen, die in Abstimmung mit unseren Partnern und Verbündeten ergriffen wurden, sind der Beginn eines Prozesses zur Zerschlagung des Finanznetzwerks des Kremls und seiner Fähigkeit, destabilisierende Aktivitäten in der Ukraine und in der ganzen Welt zu finanzieren”, sagte Finanzministerin Janet Yellen in der Erklärung.

Die USA senden außerdem 800 Infanterie-Soldaten in die baltischen Länder und bis zu acht F-35-Kampfflugzeuge an die Ost-Flanke der Nato, erklärte ein US-Beamter. Zudem werden 32 AH-64 Apache-Hubschrauber von Orten innerhalb Europas ins Baltikum und nach Polen geschickt. Das zusätzliche Personal solle mögliche Aggressionen gegen Nato-Mitgliedsländer verhindern. Mit Manuel Berkel und Reuters

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Technologie-Sanktionen würden Russland hart treffen

Souveränität ist auch für die EU ein großes Digital-Thema. Doch während in Europa meist gemeint ist, Lieferkettenabhängigkeiten zu reduzieren und mit Blick auf Cybersicherheit einen übermäßigen Zugriff der Volksrepublik China zu verhindern, verfolgt Russland staatspolitisch offiziell das Ziel weitgehender digitaler Autonomie. Auf dem Weg dahin ist der Staat mit 144 Millionen Einwohnern bis heute aber nicht sonderlich weit gekommen – weshalb Russland gerade Technologie-Sanktionen empfindlich treffen würden.

Wladimir Putins Windows XP-Computer im Kreml-Büro ist ein Symbol. Denn Russlands Versuche, sich digital abzukoppeln und zugleich aktuelle Technologie zur Verfügung zu haben, sind nur in kleinen Teilen erfolgreich, berichtet Alena Epifanova von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): “Russland ist sowohl im Hardware- als auch im Softwaresektor sehr stark vom Westen, vor allem den USA abhängig“. Das betreffe konkrete Produkte, etwa von Cisco, Nvidia oder Intel.

Aber selbst die wenig leistungsfähigen und nicht massenmarkttauglichen eigenen Chip-Fertigungen sind ohne westliche Technologie kaum denkbar, etwa der Baikal-Prozessor, der auf der Architektur des britischen Chipdesigners ARM basiert (Europe.Table berichtete). Auch in der Softwareentwicklung gibt es starke Abhängigkeiten – trotz einiger relativ erfolgreicher IT-Unternehmen in Russland. So setzt auch die russische Entwicklercommunity weitgehend auf Github, das 2018 von Microsoft gekauft wurde.

China wird Russland kaum helfen

Bei der eigenen Infrastruktur, insbesondere bei 5G, sei Russland vor allem vom schwedischen Ericsson- und vom finnischen Nokia-Konzern abhängig, sagt Epifanova. Sie hat für die DGAP in einer jetzt erschienenen Studie Russlands Streben nach einem Ende digitaler Abhängigkeiten nachvollzogen. Epifanova hält es für unwahrscheinlich, dass Wladimir Putins Regime hier schnelle Hilfe von seinen strategischen Partnern in Peking erhalten würde: “China könnte ein Teil von den Dienstleistungen und Produkten substituieren, aber es kann nicht alles und auch nicht schnell ersetzen. Russland weiß, dass chinesische Firmen bereits von den Vereinigten Staaten sanktioniert wurden und erneut ins Visier genommen werden könnten, was zu einem negativen Spillover-Effekt auf Russland selbst führen würde.” Andersherum dürften auch chinesische Unternehmen nur wenig Interesse daran haben, für den vergleichsweise kleinen russischen Markt ihre Zugänge im lukrativen Westen aufs Spiel zu setzen.

Russlands Netz: Kontrolle auf allen Ebenen

Die russischen Behörden haben in den vergangenen Jahren immer stärker Einfluss auf Anbieter im Land genommen. Mit umstrittenen Übernahmen durch staatsnahe Investoren wurden Digitalunternehmen in die Einflusssphäre des Machtapparates gebracht. Die frühere Selbstverwaltung der technischen Internetadministration im Land gilt heute als staatlich kontrolliert.

Das Verhältnis der Behörden zum Netz ist ein Erbe der Sowjetunion, Überwachungsinfrastrukturen und Abschottungen vom weltweiten Netz – etwa die Abtrennung vom Domain Name System – wurden immer wieder angegangen. Allerdings haben technische Fortentwicklungen die Ausspähfähigkeiten der russischen Dienste mit Technologien wie der Deep Packet Inspection (DPI) deutlich reduziert, da Verkehre nun auch durch Anbieter häufiger und stärker verschlüsselt werden. Ein Treppenwitz der Geschichte: Haupttreiber für diese technische Veränderung war nicht zuletzt der NSA-Spähskandal – dessen Enthüller Edward Snowden bis heute in Moskau unter Putins Schutz lebt.

In den vergangenen Jahren setzten Russlands Regierung und die Duma, das Föderationsparlament, verstärkt auf legislative Maßnahmen, um Anbieter zwischen Kaliningrad und Wladiwostik zur Einhaltung der russischen Staatslinie zu bewegen. Vor allem die Telekommunikationsaufsichtsbehörde Roskomnadsor spielt dabei eine große Rolle, verhängt sie doch regelmäßig Strafen auch gegen bekannte westliche Unternehmen wie Google, Apple oder Twitter (Europe.Table berichtete).

Alena Epifanova von der DGAP betont, dass die Aufsichtsbehörden dabei relativ unabhängig von der Herkunft der Unternehmen agierten. Maßnahmen beträfen auch chinesische Anbieter wie TikTok, das aus Russland offiziell nach Dubai migrierte Telegram, aber auch heimische Anbieter wie VKontakte, ein in Russland beliebter Facebook-Klon. “Wenn es um die ‘Informationssicherheit’ geht, kommt es zu Konflikten zwischen den Behörden und den Anbietern, egal woher sie stammen”, sagt Epifanova. Deutsche Anbieter spielen im Kommunikationsalltag der russischen Bevölkerung hingegen keine Rolle.

Wenig direkte Auswirkungen von Technologie-Sanktionen

Für die deutsche IT- und Kommunikationswirtschaft wären weitreichende Russlandsanktionen zumindest direkt keine allzu große Bedrohung. “Russland gehört aktuell weder bei der Ein- noch bei der Ausfuhr von ITK-Produkten zu den jeweils zehn wichtigsten Handelspartnern von Deutschland“, sagt Christoph Tovar, Referent für Außenhandel beim IT-Verband Bitkom.

Für die Russische Föderation gelten bereits seit der Krimannexion 2014 US-Sanktionen, einige wurden unter der Biden-Administration noch einmal verschärft. Wenn jetzt die Maßstäbe oder Kriterien entsprechend der Foreign Direct Product-Rule verschärft Anwendung fänden, würde dies indirekte Wirkungen nach sich ziehen.

“Sofern ein gewisser Mindestanteil eines Produktes auf US-Technologie oder -Produkten basiert, bedeutet das, dass auch bei amerikanischen Behörden eine Ausfuhr nach Russland beantragt werden muss”, sagt Tovar. Das würde in jedem Fall Mehraufwand bedeuten. “Gleichzeitig können amerikanische Sanktionen auch den Verkauf deutscher Produkte nach Russland verhindern.”

Die Abhängigkeiten deutscher Anbieter von Russland seien relativ gering, sagt Tovar. So bezögen vier Prozent der deutschen Unternehmen im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnologie überhaupt Dienstleistungen aus Russland, vor allem im Bereich Software. 80 Prozent hingegen nutzten Dienstleistungen oder Güter aus den USA, 76 Prozent aus China und auch Indien liege noch vor Russland.

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  • Digitalpolitik
  • Technologie

News

Kernkraftwerk: Finnland sieht Zusammenarbeit mit Russland gefährdet

Die Aktionen Russlands in der Ukraine werden sich auf die Sicherheitsbewertung für ein gemeinsames finnisch-russisches Kernkraftwerk-Projekt im Nordwesten von Finnland auswirken, sagte der finnische Präsident Sauli Niinisto am Dienstag. “Die Sicherheit wird sicherlich ein Faktor bei der Überprüfung sein”, sagte Niinisto. Zum voraussichtlichen Ergebnis der Prüfung wollte sich Niinisto nicht äußern und fügte hinzu, die finnische Regierung werde die endgültige Entscheidung über die Erteilung einer Baugenehmigung treffen. Die Anlage ist ein gemeinsames Projekt eines Konsortiums finnischer Energieversorger und einer Tochtergesellschaft des russischen Staatsunternehmens Rosatom, das einen Anteil von 34 Prozent hält.

Kernkraftwerk von Finnland & Russland seit acht Jahren in Arbeit

Finnland bereitet das Projekt seit zehn Jahren vor, acht Jahre davon mit Russland als Partner. Niinisto sagte auch, dass die Europäische Union am Dienstag eine Entscheidung über eine Reihe von Sanktionen als Reaktion auf den Schritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Anerkennung zweier unabhängiger Regionen in der Ostukraine treffen werde.

Auch Tschechien plant den Neubau eines Kernkraftwerks. Allerdings hatte die tschechische Regierung für den Bau des Kernkraftwerkblocks im südtschechischen Dukovany russische Anbieter im vergangenen Jahr ausgeschlossen. Die Regierung in Prag will unabhängig von den Ereignissen in der Ukraine die Vergabe des Auftrags in den kommenden Wochen weiter vorantreiben. rtr/fst

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Gutachten warnt vor Schlupflöchern im DMA

Ein neues Rechtsgutachten warnt vor Schwachpunkten im geplanten Digital Markets Act (DMA) der EU. Die geplante Regulierung in ihrer derzeit diskutierten Fassung biete mehrere Schlupflöcher, die es den großen Digitalunternehmen ermöglichen würden, die Regeln zu umgehen, warnt die Frankfurter Kanzlei Schulte Rechtsanwälte in ihrem Gutachten für die NGO Lobbycontrol.

Digital Markets Act: Sorge vor Überlastung der EU-Kommission

Konkret warnen die Autoren davor, die EU-Kommission könne bei den Verfahren gegen die Gatekeeper an Kapazitätsgrenzen stoßen. Daher sollten die nationalen Wettbewerbsbehörden leichter eingebunden werden können. Diese Forderung hatte unter anderem bereits die Bundesregierung eingebracht, auch im Europaparlament gibt es die Sorge vor einer Überlastung der Kommission (Europe.Table berichtete).

Daneben fordert das Gutachten, Wettbewerber und Kunden der Gatekeeper in die Verfahren einzubinden, auch vor Gericht. In einem offenen Brief hatten zuvor bereits rund 30 Organisationen und Experten eine stärkere Rolle unter anderem für Verbraucherschützer gefordert. tho

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Irland nähert sich Entscheidung in Datenschutzfrage

In der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit transatlantischer Datentransfers bahnt sich eine Entscheidung an. Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat Facebooks Mutterkonzern Meta einen entsprechenden Beschluss zugestellt. Darin wird über die Zulässigkeit des Transfers personenbezogener Daten in die USA entschieden. Facebook hat 28 Tage Zeit für eine Stellungnahme zur Entscheidung aus Irland über den Transfers personenbezogener Daten.

Facebook-Verfahren in Irland bedeutend für Übertragung von Daten

Das Verfahren ist auch deswegen von großer Bedeutung, weil Facebook sich, wie viele große US-Unternehmen, nach dem sogenannten Schrems II-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf die sogenannten Standardvertragsklauseln stützt (Europe.Table berichtete). Sollte auch diese Rechtsgrundlage wegbrechen, wovon Beobachter ausgehen, wäre eine Übertragung personenbezogener Daten kaum mehr rechtssicher möglich.

Strafen in Milliardenhöhe

Seit Monaten verhandeln die Biden-Administration und die EU-Kommission über die Bedingungen für eine Nachfolgeregelung. Immer wieder betonte EU-Justizkommissar Didier Reynders, dass eine Neuregelung den hohen Anforderungen des EuGH gerecht werden müsse. Ob dies allerdings ohne Gesetzesänderungen in den USA überhaupt möglich sein kann, ist Gegenstand intensiver Diskussionen auf beiden Seiten des Atlantiks.

Sollte sich keine gültige Rechtsgrundlage fristgerecht einfinden, wäre der Transfer personenbezogener Daten in die USA unzulässig und könnte gemäß der Datenschutzgrundverordnung Strafen in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Zuletzt hatte der WhatsApp-, Instagram- und Facebook-Mutterkonzern Meta vor einem ersatzlosen Wegfall der Rechtsgrundlage gewarnt und für den Fall eine Einstellung seines Geschäftsbetriebes in der EU als Möglichkeit genannt (Europe.Table berichtete). fst/rtr

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Rat: Weitere Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme

Die französische Ratspräsidentschaft will die Anforderungen an die Konformitätsbewertung für Hochrisiko-KI-Systeme erweitern. Das geht aus einem Kompromissvorschlag zu den Artikeln 40 bis 52 der KI-Verordnung hervor, der von Contexte veröffentlicht wurde. Dieser enthält eine Liste von Kriterien, die für die Normungsinstitute als Vorgaben für ihre Bewertungsprozesse verbindlich sein sollen. Erst bei Erfüllung der Kriterien wäre eine Konformität von Hochrisiko-KI-Systemen mit der Verordnung gewährleistet.

Hochrisiko-KI-Systeme: Werte der EU & digitale Souveränität

Dabei soll die Kommission, die nach Artikel 10 der KI-Verordnung Aufträge an die europäischen Normungsorganisationen erteilt, zwei Hauptkriterien sicherstellen: Dass die KI-Systeme die europäischen Werte respektieren und dass sie die digitale Souveränität der EU stärken. Weitere Ziele sollen die Förderung von Investitionen und Innovationen sowie die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum des Binnenmarktes sein. Alle relevanten europäischen Akteure sollen dabei in die Governance einbezogen werden. Normungsorganisationen sollen zudem nachweisen müssen, dass sie sich nach Kräften bemühen, die genannten Kriterien anzuwenden.

Schließlich will die Ratspräsidentschaft, dass die Kommission vorab den geplanten KI-Ausschuss konsultieren muss, wenn sie die bestehenden harmonisierten Normen mit Durchführungsrechtsakten erweitern möchte. Damit möchte die französische Ratspräsidentschaft eine stärkere Beteiligung der Mitgliedstaaten sicherstellen. ank

  • Künstliche Intelligenz
  • Künstliche Intelligenz-Verordnung
  • Technologie

Informeller Verkehrsrat: Keine Einigung über Fit-for-55-Dossiers

Eine gemeinsame Position der europäischen Verkehrsminister:innen zu den Verkehrs-Dossiers des Fit-for-55-Pakets steht nach dem Ende des informellen Verkehrsrats weiterhin aus (Europe.Table berichtete). Zwar sei man sowohl beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) als auch beim Thema Flugverkehr (RefuelEU Aviation) und Schiffsverkehr (FuelEU Maritime) weitergekommen (Europe.Table berichtete). Vollzug meldeten Jean-Baptiste Djebbari, Verkehrsminister von Frankreich, und EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean am Dienstag bei der abschließenden Pressekonferenz noch nicht.

Fit-for-55-Paket habe höchste Priorität für Verkehrsminister:innen

Ohnehin war eine Einigung beim informellen Treffen der Ressortchefs der Länder nicht zu erwarten. Djebbari betonte aber, dass man für alle drei Dossiers bis zum Ende der französischen Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen wolle. Konsens gebe es zudem bereits, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur massiv beschleunigt werden müsse. Uneinigkeit beruhte stattdessen auf regionalen Unterschieden der Mitgliedstaaten, zum Beispiel wie Menschen in ländlichen Regionen mit Ladestrom oder Wasserstoff versorgt werden und wie man Preisunterschiede in den Ländern ausgleichen könne. Das AFIR-Dossier habe aus dem Fit-for-55-Paket die höchste Priorität für die Verkehrsminister:innen, bestätigte der Franzose auf Nachfrage.

Außerdem habe man über Mindestpreise für Flugtickets, die Ausweitung europäischer Nachtzugverbindungen sowie die Verkehrsverlagerung beim Frachttransport auf die Schiene gesprochen, erklärte Kommissarin Vălean. luk

  • E-Fuels
  • Green Deal
  • Klima & Umwelt
  • Klimaschutz
  • Mobilität
  • Verkehrspolitik

Presseschau

Deutsche Behörden warnen Firmen vor russischen Hackerangriffen SPIEGEL
Klimageld, EEG-Umlage, Steuersenkung? Ampel plant Entlastungspaket RND
Grüne wollen Erhöhung der Pendlerpauschale nicht mittragen TAGESSPIEGEL
Ministerin Lemke sieht gute Basis für Umwelt-Kooperation mit Polen HANDELSBLATT
Telekom: Bundesweite Störung legt Mobilfunk lahm HEISE
Europa will Infrastruktur für dauerhafte Entfernung von atmosphärischem CO2 aufbauen EURACTIV
EU-Kommission plant eigenes Lieferkettengesetz RND

Standpunkt

Er will mehr: Putin und seine historische Rolle

Von Elmar Brok
Russland-Ukraine-Konflikt: Putins Rolle & Nato, EU, USA 

Elmar Brok ist ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und Senior Adviser der Münchner Sicherheitskonferenz.
Elmar Brok ist ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und Senior Adviser der Münchner Sicherheitskonferenz.

Wladimir Putin hat in seiner TV-Ansprache vom Montagabend, wie in seinem Essay im vergangenen Sommer, deutlich gemacht, dass er den Status quo nicht akzeptiert, der seit der von den sowjetischen Teilrepubliken vereinbarten Selbstauflösung der Sowjetunion herrscht. Für die daraus entstandenen Staaten haben die Völkerrechtsprinzipien der Souveränität und der territorialen Identität demnach keine Gültigkeit. Das gilt dann wohl auch für die drei baltischen Staaten.

Putin wirft allen Sowjetführern von Lenin bis Gorbatschow vor, durch die Organisation der Sowjetunion in Teilrepubliken regionalen Eigennutz und Nationalismus und damit die Zerstörung der Einheit ermöglicht zu haben.

In seiner Rede wird aber auch klar, dass er damit die Einheit des alten kolonialistischen Zarenreichs meint. Er sieht sich in der historischen Rolle, dieses Reich wiederherzustellen. Da dies für ihn ein geradezu heiliger Auftrag ist, hält er die Ideen der Entkolonialisierung, das Selbstbestimmungsrecht des Völkerrechts, das Recht auf nationale Identität und die Demokratie und Freiheit für bösartige oder doch gefährliche Instrumente, die diesem Auftrag entgegenstehen.

Das zaristische Russland hat, wie viele andere europäische Staaten, seit dem 16. und 17. Jahrhundert systematisch Kolonialpolitik betrieben. Dabei hat es aber darauf geachtet, dass diese Gebiete immer in eine territoriale Einheit mit dem russischen Reich eingegliedert wurden.

Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen

Die Lügen und Vorwürfe in seiner Ansprache dienten nur der Propaganda, vor allem in Russland selbst. Dass die Ukraine ein korrupter und von Oligarchen beherrschter Staat sei – denkt er an Russland selbst? Dass ausländische Mächte sich eine Marionettenregierung hielten, die den Bau einer Atombombe vorbereite und einen Genozid gegen Russen im Donbass oder in Odessa durchführe – Putin will sich damit selbst ein Alibi für die aktuellen Taten geben. Das gilt auch für die Vorwürfe gegen die NATO, die vor dem Russland-Ukraine-Konflikt der russischen Aggression gegen die Ukraine 2014 keine Truppen und schweren Waffen in den neuen Mitgliedsstaaten permanent stationiert hatte.

Ich meine, wir sollten Putin ernst nehmen, wir sollten seine Aussagen nicht einfach nur abtun in dem Sinne, dass er so doch nicht komme. Diesen Fehler hat es in der Geschichte schon zu oft gegeben. Ich will kein Psychogramm Putins schreiben, obwohl es sehr interessant wäre.

Er sieht auf jeden Fall dieses alte Reich, das einen Anspruch auf Macht darüber hinaus hat. Daraus ergibt sich seine Forderung nach Einflusszonen außerhalb der russischen Grenzen. Mit anderen Worten: unter Einschluss der Staaten Mittel- und Osteuropas, die bis 1990 unter sowjetischer Herrschaft standen. Und all das wird mit dem russischen Sicherheitsbedürfnis begründet.

Wenn jedes Land in Europa revisionistische Machtansprüche mit Geschichte und Sicherheitsbedürfnis begründen würde und zur Durchsetzung auch militärische Drohungen und Krieg einsetzen würde, wäre Europa wieder zurück in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

Russland-Ukraine-Konflikt: Konsequenzen für Nato, EU und USA

Die EU im Inneren insbesondere, aber auch die Ordnung Europas seit Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft über Teile Europas gehen davon aus, dass dauerhafter Frieden durch die territoriale Integrität, die volle Souveränität der Staaten und enge wirtschaftliche Beziehungen gewährleistet wird.

Putin hat diesen Status quo wohl nie ganz akzeptiert. Vor allem hat er aber gemerkt, dass er persönlich in dem friedlichen Wettbewerb im Rahmen dieses Status quo nicht bestehen kann. Ökonomisch und sozial ist er gescheitert. Helmut Schmidts Wort über die Sowjetunion als Burkina Faso mit Atomwaffen gilt immer noch. Wegen dieses Scheiterns kann Putin sich auch keine rechtsstaatliche Demokratie leisten, weil er dann mit seiner kleptokratischen Elite von den eigenen Bürgern hinweggefegt würde. Eine erfolgreiche Ukraine wäre für ihn eine Katastrophe.

Welche Konsequenzen muss das für die EU und den Westen haben:

1. Die NATO erlebt eine Renaissance und muss glaubhaft darin sein, alle Mitglieder schützen zu wollen und zu können.

2. Die EU muss endlich – komplementär zur NATO – ihre eigenen außen- und verteidigungspolitischen Fähigkeiten vergrößern, und zwar drastisch, durch die Nutzung aller Synergieeffekte und durch verbesserte Entscheidungsstrukturen.

3. Die EU muss die Mittel und Fördermöglichkeiten des Binnenmarktes, der Handelspolitik, auch politisch konsequent einsetzen, um Staaten in der Nachbarschaft erfolgreich zu machen. Das gilt auch für die Ukraine.

4. Die EU-Energieunion muss Wirklichkeit werden.

5. Da die Politik des Wandels durch Annäherung gegenüber Putin gescheitert ist, müssen er und insbesondere seine Oligarchenclique die vollen Konsequenzen seines Handelns sofort zu spüren bekommen.

6. Das Angebot der USA und der NATO zu Abrüstungsverhandlungen, bei denen es auch um die russischen Raketen in Kaliningrad gehen muss, hat Putin nicht von der Aggression abgehalten.

7. Die Angebote der EU, im Rahmen von Partnerschafts- und Modernisierungsverträgen Russlands wirtschaftlichen Aufbau zu stützen, hat Putin nicht wahrgenommen.

Wladimir Putin ist offensichtlich von einem Krieg nicht mehr abzuhalten.

  • Europapolitik
  • International

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    vor dem Hintergrund von Russlands drohendem Einmarsch in die Ostukraine hat die Bundesregierung die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 gestern auf Eis gelegt. Es müsse jetzt eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung der neuen Entwicklungen erfolgen, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. “Das werde sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf”, fügte er hinzu. Aus der Ukraine kam unterdessen Lob für diesen Schritt. Auch US-Präsident Joe Biden kündigte Sanktionen an. Eric Bonse und Manuel Berkel mit den Einzelheiten.

    In einem weiteren Schritt könnte Deutschland auch Technologie-Sanktionen gegen Russland verhängen. Russland versucht seit Jahren, sich in der Digitalisierung unabhängiger zu machen. Wie weit es damit ist und wie die Technologie-Sanktionen wirken würden, hat Falk Steiner analysiert.

    Putin habe deutlich gemacht, dass er die Selbstauflösung der Sowjetunion nicht akzeptiere, schreibt der langjährige CDU-Außenpolitiker Elmar Brok in seinem Gastbeitrag für Europe.Table. Für die früheren sowjetischen Teilrepubliken hätten die Völkerrechtsprinzipien der Souveränität und der territorialen Identität demnach keine Gültigkeit – die drei baltischen Staaten eingeschlossen. Der russische Präsident wolle den Machtanspruch des alten Reiches in Einflusszonen außerhalb der russischen Grenzen übersetzen, unter Einschluss der Staaten Mittel- und Osteuropas, so Brok. Er warnt: “Wladimir Putin ist offensichtlich von einem Krieg nicht mehr abzuhalten”.

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    Nord Stream 2 auf Eis: Ukraine lobt Entscheidung der Bundesregierung

    Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, sagte Scholz. “Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.” Ohne diese Zertifizierung könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Auf Twitter hatte die Sprecherin des US-Präsidenten Joe Biden angedeutet, dass dieser Schritt auf Druck der USA passiert sei.

    Die Analyse der Versorgungssicherheit hatte noch die Vorgängerregierung unter Ex-Kanzlerin Angela Merkel im Oktober 2021 erstellt und damals mitgeteilt: “Das Bundeswirtschaftsministerium kommt in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass die Erteilung einer Zertifizierung die Sicherheit der Gasversorgung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union nicht gefährdet.”

    Nach dem deutschen Energiewirtschaftsgesetz ist auch die Sicherheit der Stromversorgung ein Prüfkriterium, zum Beispiel die ausreichende Versorgung von Gaskraftwerken. Nach eigenen Angaben hatte das Wirtschaftsministerium mehreren europäischen Staaten eine Konsultation ermöglicht: Estland, Italien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn.

    Die zuständige Abteilung des Wirtschaftsministeriums werde eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung dessen vornehmen, “was sich in den vergangenen Tagen verändert hat”, sagte Scholz. Das Verfahren gehe jetzt “einen neuen Gang”. Der Kanzler fügte hinzu: “Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf.”

    Stopp für Nord Stream 2: Lob aus der Ukraine

    Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte nach einem Treffen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Düsseldorf, der Schritt zu Nord Stream 2 sei seit Wochen und Monaten akribisch vorbereitet worden. “Wir werden den Gasausstieg mit großem Engagement vorantreiben müssen”, sagte Habeck. Derzeit decke Russland noch 55 Prozent des deutschen Gasbedarfs. “Die Alternative, dieses Gas zu ersetzen, ist über LNG, die norwegische Versorgung und die niederländische Versorgung. Damit können wir die Versorgung von Deutschland sicherstellen.”

    Der Außenminister der Ukraine Dmytro Kuleba lobte den Stopp für Nord Stream 2. “Das ist moralisch, politisch und praktisch der richtige Schritt unter den gegenwärtigen Umständen”, schrieb Kuleba auf Twitter. “Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Deutschlands Schritt beweist genau das.”

    Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begrüßte die Entscheidung. “Die Bundesregierung liegt völlig richtig. Nord Stream 2 muss neu betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit für ganz Europa.” Akute Versorgungsprobleme seien allerdings nicht zu erwarten, sagte ein Kommissions-Sprecher. Zur Begründung verwies er darauf, dass die Gaspipeline bisher noch nie genutzt wurde.

    Der Stopp von Nord Stream 2 gehörte zu dem Sanktionspaket im Russland-Ukraine-Konflikt, das von der Leyen in den letzten Wochen ausgearbeitet hatte. Am Dienstag legte sie jedoch einen neuen Plan vor, der an die Lage angepasst ist und einen “graduellen” Ansatz verfolgt. Demnach sollen die EU-Sanktionen nicht “auf einen Schlag” kommen, sondern der Schwere der russischen Aggressionen angepasst werden.

    Schuster: “EU darf nicht alles Pulver verschießen”

    Der neue Sanktionsplan, der am Dienstabend von den 27 EU-Außenministern angenommen wurde, besteht aus vier Punkten. Zum einen will die EU all jene bestrafen, die an der Entscheidung zur Anerkennung der Unabhängigkeit der Rebellenregionen Luhansk und Donezk beteiligt waren. Dies betrifft mehrere hundert Abgeordnete der russischen Staatsduma.

    Zum anderen zielt Brüssel auf Banken, die russische Unternehmen in diesen Regionen finanzierten. Außerdem will sie den Zugang zu den Kapital- und Finanzmärkten und den Dienstleistungen der EU beschränken und den Handel mit Luhansk und Donezk unter Strafe stellen. Die Verantwortlichen für die “illegalen und aggressiven” Aktionen müssten die wirtschaftlichen Konsequenzen zu spüren bekommen, so die EU-Kommission.

    Aus dem Europaparlament kam Zustimmung. Der russische Einmarsch mache ernsthafte Sanktionen erforderlich, sagte Joachim Schuster, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Gruppe. Allerdings schränkte er ein: “Wir dürfen nicht gleich alles Pulver verschießen.” Vielmehr solle die EU abwarten: “Stoppt Putin an dieser Stelle – oder geht er noch weiter?”

    Für mehr Härte sprach sich der grüne Außenpolitiker Reinhard Bütikofer aus. Die zögerlichen EU-Länder sollten sich ein Beispiel an Berlin nehmen. “Endlos ist in Deutschland über Nord Stream 2 gestritten worden. Jetzt kommt zu Recht das Aus.” Nötig sei nun ein Plan, um die Energieabhängigkeit von Russland konsequent abzubauen.

    Biden schickt Truppen ins Baltikum

    Am Abend kündigte auch Biden in einer Rede im Weißen Haus eine erste Runde von Strafmaßnahmen gegen Russland und eine Umverteilung von Truppen in Europa an. Das jüngste Vorgehen Russlands komme dem Beginn einer Invasion der Ukraine gleich, sagte der US-Präsident. Sanktionsziele seien unter anderem die Wneschekonombank, sowie die auf Rüstungsgeschäfte ausgerichtete Promswjasbank und russische Staatsanleihen, sagte Biden. Die Beeinträchtigung der russischen Staatsverschuldung bedeute, dass die russische Regierung von der westlichen Finanzierung abgeschnitten sei. Dies sei mit Europa abgestimmt worden, erklärte Biden, sodass auch der Zugang zum Euro blockiert sei. 

    Ab Mittwoch würden auch Sanktionen gegen russische Eliten, die Putin nahe stehen, und ihre Familienmitglieder verhängt. Ein hochrangiger Beamter der US-Regierung sagte, dass auch die russische Sberbank und die VTB mit amerikanischen Sanktionen rechnen müssten, wenn Moskau seine Invasion in der Ukraine fortsetzt. Er warnte, dass keine russischen Finanzinstitute sicher seien. Der Beamte sagte auch, dass die russischen Eliten, die am Dienstag nicht sanktioniert wurden, auf der Hut sein sollten und dass die amerikanische Regierung mit einer großen Anzahl von Ländern darauf vorbereitet sei, im Falle eines russischen Einmarsches Exportkontrollmaßnahmen durchzuführen.

    “Die heutigen Maßnahmen, die in Abstimmung mit unseren Partnern und Verbündeten ergriffen wurden, sind der Beginn eines Prozesses zur Zerschlagung des Finanznetzwerks des Kremls und seiner Fähigkeit, destabilisierende Aktivitäten in der Ukraine und in der ganzen Welt zu finanzieren”, sagte Finanzministerin Janet Yellen in der Erklärung.

    Die USA senden außerdem 800 Infanterie-Soldaten in die baltischen Länder und bis zu acht F-35-Kampfflugzeuge an die Ost-Flanke der Nato, erklärte ein US-Beamter. Zudem werden 32 AH-64 Apache-Hubschrauber von Orten innerhalb Europas ins Baltikum und nach Polen geschickt. Das zusätzliche Personal solle mögliche Aggressionen gegen Nato-Mitgliedsländer verhindern. Mit Manuel Berkel und Reuters

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    Technologie-Sanktionen würden Russland hart treffen

    Souveränität ist auch für die EU ein großes Digital-Thema. Doch während in Europa meist gemeint ist, Lieferkettenabhängigkeiten zu reduzieren und mit Blick auf Cybersicherheit einen übermäßigen Zugriff der Volksrepublik China zu verhindern, verfolgt Russland staatspolitisch offiziell das Ziel weitgehender digitaler Autonomie. Auf dem Weg dahin ist der Staat mit 144 Millionen Einwohnern bis heute aber nicht sonderlich weit gekommen – weshalb Russland gerade Technologie-Sanktionen empfindlich treffen würden.

    Wladimir Putins Windows XP-Computer im Kreml-Büro ist ein Symbol. Denn Russlands Versuche, sich digital abzukoppeln und zugleich aktuelle Technologie zur Verfügung zu haben, sind nur in kleinen Teilen erfolgreich, berichtet Alena Epifanova von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): “Russland ist sowohl im Hardware- als auch im Softwaresektor sehr stark vom Westen, vor allem den USA abhängig“. Das betreffe konkrete Produkte, etwa von Cisco, Nvidia oder Intel.

    Aber selbst die wenig leistungsfähigen und nicht massenmarkttauglichen eigenen Chip-Fertigungen sind ohne westliche Technologie kaum denkbar, etwa der Baikal-Prozessor, der auf der Architektur des britischen Chipdesigners ARM basiert (Europe.Table berichtete). Auch in der Softwareentwicklung gibt es starke Abhängigkeiten – trotz einiger relativ erfolgreicher IT-Unternehmen in Russland. So setzt auch die russische Entwicklercommunity weitgehend auf Github, das 2018 von Microsoft gekauft wurde.

    China wird Russland kaum helfen

    Bei der eigenen Infrastruktur, insbesondere bei 5G, sei Russland vor allem vom schwedischen Ericsson- und vom finnischen Nokia-Konzern abhängig, sagt Epifanova. Sie hat für die DGAP in einer jetzt erschienenen Studie Russlands Streben nach einem Ende digitaler Abhängigkeiten nachvollzogen. Epifanova hält es für unwahrscheinlich, dass Wladimir Putins Regime hier schnelle Hilfe von seinen strategischen Partnern in Peking erhalten würde: “China könnte ein Teil von den Dienstleistungen und Produkten substituieren, aber es kann nicht alles und auch nicht schnell ersetzen. Russland weiß, dass chinesische Firmen bereits von den Vereinigten Staaten sanktioniert wurden und erneut ins Visier genommen werden könnten, was zu einem negativen Spillover-Effekt auf Russland selbst führen würde.” Andersherum dürften auch chinesische Unternehmen nur wenig Interesse daran haben, für den vergleichsweise kleinen russischen Markt ihre Zugänge im lukrativen Westen aufs Spiel zu setzen.

    Russlands Netz: Kontrolle auf allen Ebenen

    Die russischen Behörden haben in den vergangenen Jahren immer stärker Einfluss auf Anbieter im Land genommen. Mit umstrittenen Übernahmen durch staatsnahe Investoren wurden Digitalunternehmen in die Einflusssphäre des Machtapparates gebracht. Die frühere Selbstverwaltung der technischen Internetadministration im Land gilt heute als staatlich kontrolliert.

    Das Verhältnis der Behörden zum Netz ist ein Erbe der Sowjetunion, Überwachungsinfrastrukturen und Abschottungen vom weltweiten Netz – etwa die Abtrennung vom Domain Name System – wurden immer wieder angegangen. Allerdings haben technische Fortentwicklungen die Ausspähfähigkeiten der russischen Dienste mit Technologien wie der Deep Packet Inspection (DPI) deutlich reduziert, da Verkehre nun auch durch Anbieter häufiger und stärker verschlüsselt werden. Ein Treppenwitz der Geschichte: Haupttreiber für diese technische Veränderung war nicht zuletzt der NSA-Spähskandal – dessen Enthüller Edward Snowden bis heute in Moskau unter Putins Schutz lebt.

    In den vergangenen Jahren setzten Russlands Regierung und die Duma, das Föderationsparlament, verstärkt auf legislative Maßnahmen, um Anbieter zwischen Kaliningrad und Wladiwostik zur Einhaltung der russischen Staatslinie zu bewegen. Vor allem die Telekommunikationsaufsichtsbehörde Roskomnadsor spielt dabei eine große Rolle, verhängt sie doch regelmäßig Strafen auch gegen bekannte westliche Unternehmen wie Google, Apple oder Twitter (Europe.Table berichtete).

    Alena Epifanova von der DGAP betont, dass die Aufsichtsbehörden dabei relativ unabhängig von der Herkunft der Unternehmen agierten. Maßnahmen beträfen auch chinesische Anbieter wie TikTok, das aus Russland offiziell nach Dubai migrierte Telegram, aber auch heimische Anbieter wie VKontakte, ein in Russland beliebter Facebook-Klon. “Wenn es um die ‘Informationssicherheit’ geht, kommt es zu Konflikten zwischen den Behörden und den Anbietern, egal woher sie stammen”, sagt Epifanova. Deutsche Anbieter spielen im Kommunikationsalltag der russischen Bevölkerung hingegen keine Rolle.

    Wenig direkte Auswirkungen von Technologie-Sanktionen

    Für die deutsche IT- und Kommunikationswirtschaft wären weitreichende Russlandsanktionen zumindest direkt keine allzu große Bedrohung. “Russland gehört aktuell weder bei der Ein- noch bei der Ausfuhr von ITK-Produkten zu den jeweils zehn wichtigsten Handelspartnern von Deutschland“, sagt Christoph Tovar, Referent für Außenhandel beim IT-Verband Bitkom.

    Für die Russische Föderation gelten bereits seit der Krimannexion 2014 US-Sanktionen, einige wurden unter der Biden-Administration noch einmal verschärft. Wenn jetzt die Maßstäbe oder Kriterien entsprechend der Foreign Direct Product-Rule verschärft Anwendung fänden, würde dies indirekte Wirkungen nach sich ziehen.

    “Sofern ein gewisser Mindestanteil eines Produktes auf US-Technologie oder -Produkten basiert, bedeutet das, dass auch bei amerikanischen Behörden eine Ausfuhr nach Russland beantragt werden muss”, sagt Tovar. Das würde in jedem Fall Mehraufwand bedeuten. “Gleichzeitig können amerikanische Sanktionen auch den Verkauf deutscher Produkte nach Russland verhindern.”

    Die Abhängigkeiten deutscher Anbieter von Russland seien relativ gering, sagt Tovar. So bezögen vier Prozent der deutschen Unternehmen im Bereich Informations- und Telekommunikationstechnologie überhaupt Dienstleistungen aus Russland, vor allem im Bereich Software. 80 Prozent hingegen nutzten Dienstleistungen oder Güter aus den USA, 76 Prozent aus China und auch Indien liege noch vor Russland.

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    News

    Kernkraftwerk: Finnland sieht Zusammenarbeit mit Russland gefährdet

    Die Aktionen Russlands in der Ukraine werden sich auf die Sicherheitsbewertung für ein gemeinsames finnisch-russisches Kernkraftwerk-Projekt im Nordwesten von Finnland auswirken, sagte der finnische Präsident Sauli Niinisto am Dienstag. “Die Sicherheit wird sicherlich ein Faktor bei der Überprüfung sein”, sagte Niinisto. Zum voraussichtlichen Ergebnis der Prüfung wollte sich Niinisto nicht äußern und fügte hinzu, die finnische Regierung werde die endgültige Entscheidung über die Erteilung einer Baugenehmigung treffen. Die Anlage ist ein gemeinsames Projekt eines Konsortiums finnischer Energieversorger und einer Tochtergesellschaft des russischen Staatsunternehmens Rosatom, das einen Anteil von 34 Prozent hält.

    Kernkraftwerk von Finnland & Russland seit acht Jahren in Arbeit

    Finnland bereitet das Projekt seit zehn Jahren vor, acht Jahre davon mit Russland als Partner. Niinisto sagte auch, dass die Europäische Union am Dienstag eine Entscheidung über eine Reihe von Sanktionen als Reaktion auf den Schritt des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Anerkennung zweier unabhängiger Regionen in der Ostukraine treffen werde.

    Auch Tschechien plant den Neubau eines Kernkraftwerks. Allerdings hatte die tschechische Regierung für den Bau des Kernkraftwerkblocks im südtschechischen Dukovany russische Anbieter im vergangenen Jahr ausgeschlossen. Die Regierung in Prag will unabhängig von den Ereignissen in der Ukraine die Vergabe des Auftrags in den kommenden Wochen weiter vorantreiben. rtr/fst

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    Gutachten warnt vor Schlupflöchern im DMA

    Ein neues Rechtsgutachten warnt vor Schwachpunkten im geplanten Digital Markets Act (DMA) der EU. Die geplante Regulierung in ihrer derzeit diskutierten Fassung biete mehrere Schlupflöcher, die es den großen Digitalunternehmen ermöglichen würden, die Regeln zu umgehen, warnt die Frankfurter Kanzlei Schulte Rechtsanwälte in ihrem Gutachten für die NGO Lobbycontrol.

    Digital Markets Act: Sorge vor Überlastung der EU-Kommission

    Konkret warnen die Autoren davor, die EU-Kommission könne bei den Verfahren gegen die Gatekeeper an Kapazitätsgrenzen stoßen. Daher sollten die nationalen Wettbewerbsbehörden leichter eingebunden werden können. Diese Forderung hatte unter anderem bereits die Bundesregierung eingebracht, auch im Europaparlament gibt es die Sorge vor einer Überlastung der Kommission (Europe.Table berichtete).

    Daneben fordert das Gutachten, Wettbewerber und Kunden der Gatekeeper in die Verfahren einzubinden, auch vor Gericht. In einem offenen Brief hatten zuvor bereits rund 30 Organisationen und Experten eine stärkere Rolle unter anderem für Verbraucherschützer gefordert. tho

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    Irland nähert sich Entscheidung in Datenschutzfrage

    In der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit transatlantischer Datentransfers bahnt sich eine Entscheidung an. Die irische Datenschutzaufsichtsbehörde DPC hat Facebooks Mutterkonzern Meta einen entsprechenden Beschluss zugestellt. Darin wird über die Zulässigkeit des Transfers personenbezogener Daten in die USA entschieden. Facebook hat 28 Tage Zeit für eine Stellungnahme zur Entscheidung aus Irland über den Transfers personenbezogener Daten.

    Facebook-Verfahren in Irland bedeutend für Übertragung von Daten

    Das Verfahren ist auch deswegen von großer Bedeutung, weil Facebook sich, wie viele große US-Unternehmen, nach dem sogenannten Schrems II-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf die sogenannten Standardvertragsklauseln stützt (Europe.Table berichtete). Sollte auch diese Rechtsgrundlage wegbrechen, wovon Beobachter ausgehen, wäre eine Übertragung personenbezogener Daten kaum mehr rechtssicher möglich.

    Strafen in Milliardenhöhe

    Seit Monaten verhandeln die Biden-Administration und die EU-Kommission über die Bedingungen für eine Nachfolgeregelung. Immer wieder betonte EU-Justizkommissar Didier Reynders, dass eine Neuregelung den hohen Anforderungen des EuGH gerecht werden müsse. Ob dies allerdings ohne Gesetzesänderungen in den USA überhaupt möglich sein kann, ist Gegenstand intensiver Diskussionen auf beiden Seiten des Atlantiks.

    Sollte sich keine gültige Rechtsgrundlage fristgerecht einfinden, wäre der Transfer personenbezogener Daten in die USA unzulässig und könnte gemäß der Datenschutzgrundverordnung Strafen in Milliardenhöhe nach sich ziehen. Zuletzt hatte der WhatsApp-, Instagram- und Facebook-Mutterkonzern Meta vor einem ersatzlosen Wegfall der Rechtsgrundlage gewarnt und für den Fall eine Einstellung seines Geschäftsbetriebes in der EU als Möglichkeit genannt (Europe.Table berichtete). fst/rtr

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    Rat: Weitere Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme

    Die französische Ratspräsidentschaft will die Anforderungen an die Konformitätsbewertung für Hochrisiko-KI-Systeme erweitern. Das geht aus einem Kompromissvorschlag zu den Artikeln 40 bis 52 der KI-Verordnung hervor, der von Contexte veröffentlicht wurde. Dieser enthält eine Liste von Kriterien, die für die Normungsinstitute als Vorgaben für ihre Bewertungsprozesse verbindlich sein sollen. Erst bei Erfüllung der Kriterien wäre eine Konformität von Hochrisiko-KI-Systemen mit der Verordnung gewährleistet.

    Hochrisiko-KI-Systeme: Werte der EU & digitale Souveränität

    Dabei soll die Kommission, die nach Artikel 10 der KI-Verordnung Aufträge an die europäischen Normungsorganisationen erteilt, zwei Hauptkriterien sicherstellen: Dass die KI-Systeme die europäischen Werte respektieren und dass sie die digitale Souveränität der EU stärken. Weitere Ziele sollen die Förderung von Investitionen und Innovationen sowie die Wettbewerbsfähigkeit und das Wachstum des Binnenmarktes sein. Alle relevanten europäischen Akteure sollen dabei in die Governance einbezogen werden. Normungsorganisationen sollen zudem nachweisen müssen, dass sie sich nach Kräften bemühen, die genannten Kriterien anzuwenden.

    Schließlich will die Ratspräsidentschaft, dass die Kommission vorab den geplanten KI-Ausschuss konsultieren muss, wenn sie die bestehenden harmonisierten Normen mit Durchführungsrechtsakten erweitern möchte. Damit möchte die französische Ratspräsidentschaft eine stärkere Beteiligung der Mitgliedstaaten sicherstellen. ank

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    Informeller Verkehrsrat: Keine Einigung über Fit-for-55-Dossiers

    Eine gemeinsame Position der europäischen Verkehrsminister:innen zu den Verkehrs-Dossiers des Fit-for-55-Pakets steht nach dem Ende des informellen Verkehrsrats weiterhin aus (Europe.Table berichtete). Zwar sei man sowohl beim Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe (AFIR) als auch beim Thema Flugverkehr (RefuelEU Aviation) und Schiffsverkehr (FuelEU Maritime) weitergekommen (Europe.Table berichtete). Vollzug meldeten Jean-Baptiste Djebbari, Verkehrsminister von Frankreich, und EU-Verkehrskommissarin Adina Vălean am Dienstag bei der abschließenden Pressekonferenz noch nicht.

    Fit-for-55-Paket habe höchste Priorität für Verkehrsminister:innen

    Ohnehin war eine Einigung beim informellen Treffen der Ressortchefs der Länder nicht zu erwarten. Djebbari betonte aber, dass man für alle drei Dossiers bis zum Ende der französischen Ratspräsidentschaft eine Einigung erzielen wolle. Konsens gebe es zudem bereits, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur massiv beschleunigt werden müsse. Uneinigkeit beruhte stattdessen auf regionalen Unterschieden der Mitgliedstaaten, zum Beispiel wie Menschen in ländlichen Regionen mit Ladestrom oder Wasserstoff versorgt werden und wie man Preisunterschiede in den Ländern ausgleichen könne. Das AFIR-Dossier habe aus dem Fit-for-55-Paket die höchste Priorität für die Verkehrsminister:innen, bestätigte der Franzose auf Nachfrage.

    Außerdem habe man über Mindestpreise für Flugtickets, die Ausweitung europäischer Nachtzugverbindungen sowie die Verkehrsverlagerung beim Frachttransport auf die Schiene gesprochen, erklärte Kommissarin Vălean. luk

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    Presseschau

    Deutsche Behörden warnen Firmen vor russischen Hackerangriffen SPIEGEL
    Klimageld, EEG-Umlage, Steuersenkung? Ampel plant Entlastungspaket RND
    Grüne wollen Erhöhung der Pendlerpauschale nicht mittragen TAGESSPIEGEL
    Ministerin Lemke sieht gute Basis für Umwelt-Kooperation mit Polen HANDELSBLATT
    Telekom: Bundesweite Störung legt Mobilfunk lahm HEISE
    Europa will Infrastruktur für dauerhafte Entfernung von atmosphärischem CO2 aufbauen EURACTIV
    EU-Kommission plant eigenes Lieferkettengesetz RND

    Standpunkt

    Er will mehr: Putin und seine historische Rolle

    Von Elmar Brok
    Russland-Ukraine-Konflikt: Putins Rolle & Nato, EU, USA 

Elmar Brok ist ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und Senior Adviser der Münchner Sicherheitskonferenz.
    Elmar Brok ist ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments und Senior Adviser der Münchner Sicherheitskonferenz.

    Wladimir Putin hat in seiner TV-Ansprache vom Montagabend, wie in seinem Essay im vergangenen Sommer, deutlich gemacht, dass er den Status quo nicht akzeptiert, der seit der von den sowjetischen Teilrepubliken vereinbarten Selbstauflösung der Sowjetunion herrscht. Für die daraus entstandenen Staaten haben die Völkerrechtsprinzipien der Souveränität und der territorialen Identität demnach keine Gültigkeit. Das gilt dann wohl auch für die drei baltischen Staaten.

    Putin wirft allen Sowjetführern von Lenin bis Gorbatschow vor, durch die Organisation der Sowjetunion in Teilrepubliken regionalen Eigennutz und Nationalismus und damit die Zerstörung der Einheit ermöglicht zu haben.

    In seiner Rede wird aber auch klar, dass er damit die Einheit des alten kolonialistischen Zarenreichs meint. Er sieht sich in der historischen Rolle, dieses Reich wiederherzustellen. Da dies für ihn ein geradezu heiliger Auftrag ist, hält er die Ideen der Entkolonialisierung, das Selbstbestimmungsrecht des Völkerrechts, das Recht auf nationale Identität und die Demokratie und Freiheit für bösartige oder doch gefährliche Instrumente, die diesem Auftrag entgegenstehen.

    Das zaristische Russland hat, wie viele andere europäische Staaten, seit dem 16. und 17. Jahrhundert systematisch Kolonialpolitik betrieben. Dabei hat es aber darauf geachtet, dass diese Gebiete immer in eine territoriale Einheit mit dem russischen Reich eingegliedert wurden.

    Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen

    Die Lügen und Vorwürfe in seiner Ansprache dienten nur der Propaganda, vor allem in Russland selbst. Dass die Ukraine ein korrupter und von Oligarchen beherrschter Staat sei – denkt er an Russland selbst? Dass ausländische Mächte sich eine Marionettenregierung hielten, die den Bau einer Atombombe vorbereite und einen Genozid gegen Russen im Donbass oder in Odessa durchführe – Putin will sich damit selbst ein Alibi für die aktuellen Taten geben. Das gilt auch für die Vorwürfe gegen die NATO, die vor dem Russland-Ukraine-Konflikt der russischen Aggression gegen die Ukraine 2014 keine Truppen und schweren Waffen in den neuen Mitgliedsstaaten permanent stationiert hatte.

    Ich meine, wir sollten Putin ernst nehmen, wir sollten seine Aussagen nicht einfach nur abtun in dem Sinne, dass er so doch nicht komme. Diesen Fehler hat es in der Geschichte schon zu oft gegeben. Ich will kein Psychogramm Putins schreiben, obwohl es sehr interessant wäre.

    Er sieht auf jeden Fall dieses alte Reich, das einen Anspruch auf Macht darüber hinaus hat. Daraus ergibt sich seine Forderung nach Einflusszonen außerhalb der russischen Grenzen. Mit anderen Worten: unter Einschluss der Staaten Mittel- und Osteuropas, die bis 1990 unter sowjetischer Herrschaft standen. Und all das wird mit dem russischen Sicherheitsbedürfnis begründet.

    Wenn jedes Land in Europa revisionistische Machtansprüche mit Geschichte und Sicherheitsbedürfnis begründen würde und zur Durchsetzung auch militärische Drohungen und Krieg einsetzen würde, wäre Europa wieder zurück in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

    Russland-Ukraine-Konflikt: Konsequenzen für Nato, EU und USA

    Die EU im Inneren insbesondere, aber auch die Ordnung Europas seit Zusammenbruch der sowjetischen Herrschaft über Teile Europas gehen davon aus, dass dauerhafter Frieden durch die territoriale Integrität, die volle Souveränität der Staaten und enge wirtschaftliche Beziehungen gewährleistet wird.

    Putin hat diesen Status quo wohl nie ganz akzeptiert. Vor allem hat er aber gemerkt, dass er persönlich in dem friedlichen Wettbewerb im Rahmen dieses Status quo nicht bestehen kann. Ökonomisch und sozial ist er gescheitert. Helmut Schmidts Wort über die Sowjetunion als Burkina Faso mit Atomwaffen gilt immer noch. Wegen dieses Scheiterns kann Putin sich auch keine rechtsstaatliche Demokratie leisten, weil er dann mit seiner kleptokratischen Elite von den eigenen Bürgern hinweggefegt würde. Eine erfolgreiche Ukraine wäre für ihn eine Katastrophe.

    Welche Konsequenzen muss das für die EU und den Westen haben:

    1. Die NATO erlebt eine Renaissance und muss glaubhaft darin sein, alle Mitglieder schützen zu wollen und zu können.

    2. Die EU muss endlich – komplementär zur NATO – ihre eigenen außen- und verteidigungspolitischen Fähigkeiten vergrößern, und zwar drastisch, durch die Nutzung aller Synergieeffekte und durch verbesserte Entscheidungsstrukturen.

    3. Die EU muss die Mittel und Fördermöglichkeiten des Binnenmarktes, der Handelspolitik, auch politisch konsequent einsetzen, um Staaten in der Nachbarschaft erfolgreich zu machen. Das gilt auch für die Ukraine.

    4. Die EU-Energieunion muss Wirklichkeit werden.

    5. Da die Politik des Wandels durch Annäherung gegenüber Putin gescheitert ist, müssen er und insbesondere seine Oligarchenclique die vollen Konsequenzen seines Handelns sofort zu spüren bekommen.

    6. Das Angebot der USA und der NATO zu Abrüstungsverhandlungen, bei denen es auch um die russischen Raketen in Kaliningrad gehen muss, hat Putin nicht von der Aggression abgehalten.

    7. Die Angebote der EU, im Rahmen von Partnerschafts- und Modernisierungsverträgen Russlands wirtschaftlichen Aufbau zu stützen, hat Putin nicht wahrgenommen.

    Wladimir Putin ist offensichtlich von einem Krieg nicht mehr abzuhalten.

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    Europe.Table Redaktion

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