ETS 2, CBAM, LULUCF-Verordnung, Ausweitung des ETS im Flugsektor: Das sind nur einige der Punkte des Fit-for-55-Pakets, über die der Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) gestern abgestimmt hat. Vor allem der ETS 2 hatte über Monate zu Zerwürfnissen geführt. Doch nun stellten die Abgeordneten ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis. Lukas Scheid und Timo Landenberger fassen die Ergebnisse und erste Reaktionen zusammen.
Ende des Monats sollen die Trilog-Verhandlungen zur Corporate Sustainability Reporting Directive abgeschlossen sein. Schon jetzt ist klar: Die CSRD wird die Berichtspflicht stark verändern. Aufgrund neuer Kriterien erhöht sich die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen, von ungefähr 11.000 auf etwa 50.000. Eine riesige Herausforderung, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen, wie Leonie Düngefeld analysiert.
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Am Ende zählt das Resultat. Und für die Einführung eines zweiten Emissionshandels für den Straßenverkehr und das Heizen von Gebäuden (ETS 2) stimmte am Dienstag im Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) eine überwältigende Mehrheit von 61 Pro-Stimmen, bei 22 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen. Es ist der Teil der ETS-Revision, der über Monate für Zerwürfnisse unter den Verhandlern, innerhalb der Fraktionen und Mitgliedstaaten gesorgt hat (Europe.Table berichtete).
Die Bundesregierung dürfte aufatmen, sah es doch zwischenzeitlich so aus, als könnten die eigenen Parteikollegen der Ampel in Brüssel diesen Teil des Klimaschutzpakets noch zum Scheitern bringen (Europe.Table berichtete). Die Bundesregierung setzt auch aufgrund des eigenen Brennstoffemissionshandelsgesetzes, welches Brenn- und Kraftstoffe mit einem CO2-Preis belegt, auf eine EU-weite Einführung. Der schlussendliche Kompromiss (Europe.Table berichtete), der die Einführung des ETS 2 für kommerzielle Aktivitäten ab 2025 vorsieht und für private frühestens ab 2029 – sofern die Kommission nach erneuter Überprüfung einen neuen Gesetzesvorschlag vorlegt -, wird in Berlin allerdings enorm kritisch gesehen.
Und auch der hauptverantwortliche Berichterstatter für die ETS-Reform schloss sich nur widerwillig dem Kompromiss an, die private Nutzung von Brenn- und Kraftstoffen zum Heizen und Autofahren vorerst auszuklammern. Dies sei aufgrund des Widerstandes der Sozialdemokraten und Grünen sowie vieler Liberaler und eines Teils seiner eigenen Fraktion geschehen, sagt Peter Liese (EVP, CDU). “Ein schrittweises Vorgehen ist schlussendlich besser, als dieses wichtige Instrument direkt zu töten, so wie das Sozialdemokraten, Grüne und Rechte zu Beginn des Prozesses beantragt hatten.”
Tiemo Wölken, klimapolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, möchte den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und kontert: “Der ursprüngliche Entwurf des CDU-Berichterstatters hätte bedeutet, die soziale Spaltung in der EU mitten in einer Energiekrise zu forcieren.”
Der Grünen-Schattenberichterstatter Michael Bloss bezeichnet den Kompromiss als “Gewinn für alle”, während Umweltschutzorganisationen sich eher enttäuscht zeigen von der Teilung zwischen privaten und kommerziellen Aktivitäten im ETS 2. Dies sei eine “eine verpasste Chance, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise, die das Energiesparen notwendiger macht als je zuvor”, kommentiert Anne Gläser, Referentin für CO2-Preise bei Germanwatch. Auch private Emissionen aus Verkehr und Gebäudewärme sollten EU-weit möglichst bald ein CO2-Preissignal bekommen, so Gläser weiter – “in Kombination mit einem gut ausgestatteten, solidarischen Klimasozialfonds”.
Positiver sieht Gläser die einmalige Löschung von 205 Millionen überschüssigen CO2-Zertifikaten im ETS 1, was die Ambitionen des Klimapakets deutlich erhöht. Dies schaffe die Voraussetzungen, dass die Emissionsreduktionsziele erreicht werden können.
Doch dieser Kompromiss droht, schon in drei Wochen bei der Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments zu scheitern. Die knappe Mehrheit für diesen alternativen Kompromiss von nur fünf Stimmen im ENVI von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken könnte dort gekippt werden.
Ähnlich ist die Lage beim früheren Phase-Out der kostenlosen Zertifikate für die Industrie und die parallele Einführung des CBAM (Europe.Table berichtete). Die Kommission hatte vorgesehen, noch bis 2035 freie Emissionsrechte zu verteilen und bis dahin schrittweise den CBAM einzuführen. Der alternative ENVI-Kompromiss mit einer Mehrheit von nur vier Stimmen sieht vor, die freie Zuteilung schon 2030 zu beenden. Die EVP wollte 2034 als Enddatum, ebenso wie der Kompromiss im Industrie-Ausschuss ITRE, der dort auch von den Sozialdemokraten unterstützt wurde (Europe.Table berichtete). Es gilt daher als wahrscheinlich, dass sich im Plenum schlussendlich die ITRE-Linie durchsetzt oder die Verhandler:innen beider Ausschüsse einen weiteren Kompromiss finden.
Aus der Industrie kommen kritische Stimmen über den CBAM-Kompromiss. Die Exporte aus den erfassten Sektoren würden nicht ausreichend berücksichtigt, sodass die Gefahr bestünde, dass Arbeitsplätze in exportorientierten Industrien verloren gingen, kommentiert Markus J. Beyrer, Generaldirektor von Business Europe. Er fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produzenten auf Nicht-EU-Märkten. “Die globalen Emissionen werden durch die Verringerung des Marktanteils sauberer europäischer Produkte steigen”, so Beyrer.
Bei der Schlussabstimmung im ENVI über den gesamten Bericht gab es wiederum eine klare Mehrheit von 62 Stimmen dafür, 20 dagegen, bei 5 Enthaltungen.
Wichtiger Baustein des Fit-for-55-Pakets ist auch die Revision der sogenannten LULUCF-Verordnung (Land Use, Land Use Change and Forests). Erstmals soll damit neben der Reduktion der Treibhausgasemissionen auch die Abspaltung und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre in verbindlichen Zielen festgeschrieben werden. Denn bereits die angestrebten 55 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 sind ein Netto-Ziel, das die natürliche Senkleistung des LULUCF-Sektors miteinbezieht. Spätestens zum Erreichen der Klimaneutralität 2050 wird dies alternativlos, um verbleibende Restemissionen auszugleichen. Technische Möglichkeiten zur Speicherung von Treibhausgasen werden in der Klimagesetzgebung bislang weitgehend ausgeklammert.
Mit 44 Stimmen dafür, 37 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen verabschiedeten die ENVI-Abgeordneten am Dienstagnachmittag ihre Verhandlungsposition. Darin folgen die ENVI-Mitglieder dem Vorschlag der Kommission, die Senkleistung des LULUCF-Sektors auf 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 für jeden Mitgliedstaat verbindlich vorzuschreiben. Daneben sollen, allerdings EU-weit, zusätzliche Senken über weitere 50 Millionen Tonnen CO2 geschaffen werden, insbesondere durch sogenanntes Carbon Farming in der Landwirtschaft.
Ein umkämpfter Kompromiss. So hatte LULUCF-Berichterstatter Ville Niinistö (Grüne/EFA) aus Finnland in seinem Bericht eine Erhöhung auf 490 Millionen Tonnen gefordert. Für Norbert Lins (CDU), LULUCF-Berichterstatter im assoziierten Agrarausschuss, stellt hingegen die Einigung bereits ein sehr ambitioniertes Ziel dar. Schließlich müsse dieses im Einklang mit einer nachhaltigen und aktiven Bewirtschaftung des Waldes stehen. Zumal die Speicherkapazität der natürlichen Senken seit Jahren abnehme. Tatsächlich ging die Senkleistung im LULUCF-Sektor im Zeitraum 2013 bis 2019 EU-weit von 322 auf 249 Millionen Tonnen zurück. Diesen Trend gelte es nun umzukehren.
Laut Umweltschutzorganisation WWF ist dennoch sogar eine Verdopplung des Kommissionsvorschlags auf 600 Millionen Tonnen nicht nur möglich, sondern auch nötig. “Der billigste, effektivste und einfachste Weg, Europas Kohlenstoffsenken zu vergrößern, ist der Schutz und die Wiederherstellung unserer Wälder, Torfgebiete und anderer natürlicher Ökosysteme”, sagt Alex Mason, Leiter der WWF-Abteilung EU-Klimapolitik.
Die Schaffung eines integrierten LULUCF- und Agrarsektors lehnten die Abgeordneten im Umweltausschuss ab. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Bereiche in einer neuen AFOLU-Säule (Agriculture, Forest and Other Land Use) zusammenzufassen und darin Klimaneutralität bis 2035 anzustreben. “Das würde dazu führen, dass landwirtschaftliche Emissionen durch CO2-Entnahmen der Forstwirtschaft kompensiert werden könnten. Das würde die Anreize für den Agrarsektor verringern, die eigenen Emissionen zu reduzieren”, sagt Delara Burkhardt, LULUCF-Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion.
Außerdem soll es neue Unterziele für Acker-, Grün- und Feuchtgebiete geben, um die Rolle dieser Ökosysteme bei der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu stärken. Bislang lag der Fokus der natürlichen Senken stark auf Wäldern.
Die Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) deckt jene Sektoren ab, die weder unter das ETS noch unter die LULUCF-Verordnung fallen (Europe.Table berichtete). Ihr unterliegen rund 60 Prozent aller Emissionen der EU. Die ESR soll sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten durch verbindliche individuelle Reduktionsziele in allen Bereichen Emissionen reduzieren. Insgesamt 40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030 (Vergleichsjahr 2005) hat die Kommission vorgeschlagen. Dieses Ziel wurde nun auch im ENVI mit einer Mehrheit von 61 Stimmen dafür, 20 dagegen bei 6 Enthaltungen bestätigt.
Für Deutschland bedeutet das ein Emissionsreduktionsziel von 50 statt 38 Prozent. Bulgarien hingegen hatte zuvor kein Reduktionsziel unter der ESR, soll die Emissionen aber künftig um 10 Prozent reduzieren. Die individuellen Zielvorgaben stützen sich hauptsächlich auf das Pro-Kopf-BIP. So soll bei der Verteilung der Lasten unter den Mitgliedsstaaten den unterschiedlichen Ausgangssituationen und Kapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden, sagt Christine Schneider (CDU), Berichterstatterin der EVP-Fraktion für die Stellungnahme des Landwirtschaftsausschusses. “So wird sichergestellt, dass alle Mitgliedsstaaten ihren Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten und der Landwirtschaftssektor mit Blick auf den Krieg in der Ukraine trotzdem die große Herausforderung der Ernährungssicherheit meistern kann.”
Außerdem stimmten die Abgeordneten für eine Ausweitung des ETS im Flugsektor (Europe.Table berichtete). Bislang werden nur Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums mit einem CO2-Preis belegt. Der ENVI sprach sich nun mit 66 Dafür-Stimmen, 9 dagegen bei 12 Enthaltungen, dafür aus, alle Flüge einzubeziehen, die innerhalb des EWR starten. Dies könnte bereits ab dem 30. April kommenden Jahres gelten. Zudem sollen die kostenlosen Emissionsrechte für Fluglinien ab 2025 nicht mehr vergeben werden – zwei Jahre früher als von der Kommission vorgesehen. 2024 soll die Anzahl der freien Zuteilungen bereits um 50 Prozent reduziert werden.
Die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate der Luftfahrtbranche sollen zu 75 Prozent zur Unterstützung von Innovationen und neuen Technologien zur Dekarbonisierung des Luftfahrtsektors verwendet werden.
Die Abstimmung im Plenum über alle Fit-for-55-Files, die gestern im ENVI angenommen wurden, ist für die Sitzungswoche vom 6. bis 9. Juni vorgesehen. Lukas Scheid und Timo Landenberger
Ende Mai sollen die Trilog-Verhandlungen zur CSRD abgeschlossen sein. Viele Unternehmen müssen dann womöglich schon im kommenden Jahr zum ersten Mal einen Nachhaltigkeitsbericht verfassen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird die Berichtspflicht stark verändern. Die neuen Standards sind in die EU-Strategie für nachhaltiges Finanzwesen eingebettet und sollen Investoren genauere Daten bieten und damit Finanzflüsse lenken. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind darauf schlecht vorbereitet, heißt es aus der Industrie.
Die Daten, die die Unternehmen seit 2017 im Rahmen der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen (NFRD) vorlegen müssen, reichen für Entscheidungen von Investoren und anderen Interessengruppen nicht aus und lassen sich nur schwer vergleichen. Dies soll sich mit der Corporate Sustainability Reporting Directive ändern. Der Informationsfluss über Nachhaltigkeit soll entlang der gesamten finanziellen Wertschöpfungskette konsistent und kohärent werden – und eine genauso wichtige Rolle bekommen wie die finanzielle Berichterstattung.
Inhaltlich erweitert die CSRD die Berichtspflicht in den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Governance. Statt dem Bezug auf ein einziges Jahr sollen Berichte kurz-, mittel- und langfristige Analysen enthalten. Dafür werden einheitliche Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) entwickelt.
Die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen, erhöht sich aufgrund neuer Kriterien von ungefähr 6.000 auf etwa 50.000: Alle europäischen Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen, unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung, müssen berichten; außerdem Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro oder einem Umsatz von über 40 Millionen Euro. Dazu kommen kapitalmarktorientiert kleine und mittelständische Unternehmen. Der Rat will noch weiter gehen und auch nicht-europäische Unternehmen, die in der EU agieren, einbeziehen. In Deutschland werden etwa 15.000 Unternehmen berichtspflichtig.
Besonders kleine und mittelständische Unternehmen stellt das vor eine riesige Herausforderung, sagt Frederike Krebs, Referentin für Nachhaltigkeit im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Im VDMA seien bislang 70 bis 80 Unternehmen betroffen – durch die neuen Kriterien wären es 700 bis 800. “Unsere Unternehmen haben natürlich ein Interesse daran, zu zeigen, dass sie nachhaltige Technologien herstellen“, erklärt Krebs. “Aber bislang wissen viele nicht, wie sie das umsetzen sollen.”
Die Berichtspflichten sind eng mit der EU-Taxonomie verbunden: Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung bezieht sich direkt auf die CSRD und gibt vor, dass die von der Corporate Sustainability Reporting Directive betroffenen Unternehmen auch Angaben zu ihrer Konformität mit den Umweltzielen der Taxonomie machen müssen.
Frederike Krebs sieht Maschinenbauunternehmen hier im Nachteil. Andere Branchen seien mit konkreten Namen und Grenzwerten aufgezählt und hätten es deshalb deutlich leichter, sich taxonomiekonform zu zeigen. Die technischen Kriterien der Taxonomie führen den Maschinenbau gar nicht explizit auf, er sei lediglich Teil einer übergeordneten Kategorie, die eine Lebenszyklusanalyse der Produkte und eine Zertifizierung erfordere. Das sei teilweise gar nicht möglich, erklärt Krebs: “Zum einen haben wir maßgeschneiderte, sehr individuelle Produkte, die nicht vergleichbar sind.” Eine Lebenszyklusanalyse mache häufig keinen Sinn. Zudem koste eine Zertifizierung sehr viel Geld. Viele Unternehmen müssten deshalb bislang angeben, dass sie nicht Taxonomie-konform seien.
Die Betroffenheit der Unternehmen werde auch steigen, weil die Beweispflicht über Abnehmer und Investoren an sie weitergeleitet wird, sagt Krebs. Auch Banken seien berichtspflichtig und müssen angeben, wie nachhaltig ihre Investitionen seien. “Darüber sind wir dann langfristig auch betroffen.”
Der Europäische Rat und das Parlament verhandeln zurzeit noch über den Zeitrahmen der Berichtspflicht. Laut Entwurf soll die erste Reihe an Standards am 1. Januar 2024 in Kraft treten, Unternehmen müssten dann für das Geschäftsjahr 2023 berichten. Sowohl Rat als auch die Schattenberichterstatter hatten gefordert, dies um ein Jahr zu verschieben. “Selbst für große Unternehmen, die schon entsprechende Strukturen haben, ist die geplante Vorlaufzeit zu kurz“, sagt Annette Selter, Referentin für Steuern und Finanzpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In kleineren Unternehmen müssen diese Strukturen erst geschaffen werden. Die Buchhaltung umfasse bislang keine Aktivitäten, an denen man Nachhaltigkeit messen könne.
Ein Jahr könnte Unternehmen, die sich noch nie intensiv mit Nachhaltigkeitsberichten beschäftigt haben, zwar helfen, sagt Mirjam Wolfrum vom Carbon Disclosure Project (CDP). “Ein Jahr macht aber auch einen großen Unterschied angesichts der Dringlichkeit, die sich aus der Klima- und Naturkrise ergibt“, sagt sie. “Wir brauchen die Nachhaltigkeitsinformationen früher als später.”
Das CDP führt seit 20 Jahren eine ähnliche Berichterstattung durch. Einmal im Jahr fragt die NGO über Fragebögen Nachhaltigkeitsdaten aller gelisteten Unternehmen ab – auf freiwilliger Basis, aber nicht ohne Druck: Ob und wie die Unternehmen die Daten preisgeben, wird von Investoren wahrgenommen. Berichten Unternehmen regelmäßig und vollständig, haben sie dadurch viele Vorteile, sagt Wolfrum. Durch den jährlichen Prozess könnten Unternehmen interne Prozesse besser verstehen und strukturieren, die internen und externen Stakeholder identifizieren und diese in ihre Unternehmensstrategie, Zielsetzungen und Maßnahmenplanung einbeziehen.
“Unternehmen müssen in ihrer Berichterstattung zeigen, dass sie verstanden haben, welchen Einfluss ihr unternehmerisches Handeln auf Klima und Umwelt haben – negativ wie positiv.” Zunächst werde es meistens negativer Einfluss sein, den sie dann aber auf dieser Basis reduzieren können. So können sie auch Risiken minimieren: in den Lieferketten, in Bezug auf ihre Investoren und auf ihren Marktwert.
Die Unternehmen, die an CDP berichten, seien alle sehr gut aufgestellt, um die Berichtsanforderungen zu erfüllen, erzählt Wolfrum. Zudem gebe es mittlerweile viele Angebote und Tools, die ihnen bei der Datenbeschaffung und Berichterstattung helfen. “Die Zeit drängt, deshalb ist nun ein lösungsorientiertes Herangehen wichtig”, sagt sie. “Man sollte nicht schon im ersten Schritt überlegen, was zu viel oder zu kompliziert sein könnte.” Daten des CDP zeigen: Nur eines von 20 börsennotierten Unternehmen hat belastbare Ziele zur Verringerung von Emissionen, Wasserverbrauch und Entwaldung, und etwa 50 Prozent der berichteten Emissionen sind nicht durch wissenschaftlich fundierte Ziele abgedeckt sind, die mit dem 1.5-Grad-Ziel in Einklang stehen. “Das zeigt, wie wichtig die europäische Initiative ist”, sagt Wolfrum.
Der Abschluss der Trilog-Verhandlungen wird Ende Mai erwartet, die jeweiligen Abstimmungen werden dann noch einige Monate dauern. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) entwirft, hat vor Kurzem eine erste Reihe von Standards für eine öffentliche Konsultation bis zum 8. August 2022 veröffentlicht. Im November wird sie den Entwurf bei der Kommission einreichen. Leonie Düngefeld
Der finnische Energieversorger Gasum verklagt Gazprom vor einem Schiedsgericht. Das staatliche Unternehmen erklärte am Dienstag, es werde die strittigen neuen Zahlungsanweisungen des russischen Konzerns nicht befolgen. “In dieser Situation hatte Gasum keine andere Möglichkeit, als den Vertrag vor ein Schiedsgericht zu bringen”, sagte CEO Mika Wiljanen laut einer Mitteilung. Gasum riskiere mit der Ankündigung einen baldigen Lieferstopp Gazproms, kommentierte ICIS-Analyst Tom Marzec-Manser auf Twitter. Ersatz müsse aus anderen EU-Staaten kommen.
Am Montag hatte der russische Versorger Inter RAO bereits die Stromlieferungen nach Finnland eingestellt, weil das Unternehmen angeblich nicht bezahlt worden sei. Wegen Sanktionen der EU und russischer Anweisungen zum Währungstausch herrscht seit Wochen Unsicherheit über Lieferembargos. Gasverkäufe an Polen und Bulgarien hatte Russland bereits gestoppt, beide Staaten hatten Russlands neue Vorgaben abgelehnt.
Die EU-Kommission hat noch immer keine Klarheit über sanktionskonforme Zahlungen schaffen können. In einer aktualisierten Handreichung vom Freitag bekräftigte sie lediglich ihre Haltung, westliche Importeure sollten erklären, dass ihre Verpflichtungen mit der Zahlung in Euro oder Dollar erfüllt seien. Moskau hatte jedoch angekündigt, Lieferungen seien künftig erst nach dem Umtausch in Rubel bezahlt.
Die abweichende Haltung von Ländern wie Polen von der Kommissionslinie sieht der Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Moll inzwischen als Beleg dafür, dass die Kommission ihre eigenen Sanktionen umgehen wolle.
Andere europäische Versorger scheinen dagegen Lösungen gefunden zu haben: Frankreichs Engie teilte mit, man habe sich mit dem Gazprom geeinigt. Es sei eine Vereinbarung getroffen worden, die auch nicht gegen die vom Westen verhängten Sanktionen verstoße, sagte Engie-Chefin Catherine MacGregor am Dienstag. “Wir zahlen in Euro und wir unterliegen keinem Währungsrisiko.” Auch der Düsseldorfer Versorger Uniper bezahlt seine Gaslieferungen weiter in Euro. “Wir erhalten die Rechnung in Euro. Und wir bezahlen in Euro auf ein Konto der Gazprom-Bank im Einklang mit dem neuen Zahlungsmechanismus”, erklärte das Unternehmen. ber/rtr
Der Präsident der Bundesnetzagentur hat für den Fall einer Gasnotlage Kriterien für eine Abschaltung vorgestellt, auf die sich Großverbraucher aus der Industrie einstellen müssen. Dazu gehörten die Dringlichkeit der Maßnahme und die Größe des Unternehmens, sagte Behördenchef Klaus Müller in einem am Dienstag vorab veröffentlichten Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwochausgabe).
Ein weiterer Aspekt seien die Vorlaufzeiten: Einige Firmen brauchten mehr Zeit, um geordnet herunterzufahren. Außerdem gehe es um die volks- und betriebswirtschaftlichen Schäden. “In der Keramikindustrie etwa erstarren die Produktionsanlagen und gehen kaputt, wenn das Gas fehlt. Wir berücksichtigen auch die Kosten und die Dauer für die Wiederinbetriebnahme.”
Die Bundesnetzagentur bereitet sich vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs darauf vor, dass etwa nach einem Lieferstopp Russlands Deutschland nicht ausreichend Gas zur Verfügung hat. Während Haushalte weiter versorgt würden, richtet sich der Blick auf die Wirtschaft. Ein wichtiges Kriterium sei hier auch die Bedeutung der Versorgung für die Allgemeinheit, etwa mit Lebensmitteln oder Medikamenten, sagte Müller dem Blatt. Es sei leider nicht möglich, diese Kriterien in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen. “Es gilt, bei geringstmöglichem Schaden die in der konkreten Situation schnellstmögliche Lösung zu finden. Einfach wird das nicht.”
Gaskraftwerke sollten im Fall einer Gasnotlage abgeschaltet werden, sofern sie nicht der Netzstabilität dienten, sagte Müller in dem Interview. “Ich erwarte, dass die Kraftwerksbetreiber eine Reihe von Kohlekraftwerken wieder einsetzen können und sollten, um damit Strom zu erzeugen statt aus Gas. Das schmerzt den Klimaschützer in mir, denn die Treibhausgasbilanz verschlechtert sich.” rtr
Nach 16 Stunden ist der erste Trilog zur neuen Gasspeicher-Verordnung am Dienstagmorgen ohne Einigung zu Ende gegangen. Ein Abschluss der Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission wird nun für Donnerstag erwartet. Mit der Verordnung sollen EU-weit verbindliche Mindestfüllstände für Gasspeicher eingeführt werden, um sich vor dem Winter auf mögliche Einschränkungen der Gaslieferungen Russlands vorzubereiten.
Die Kommission hatte in ihrem Entwurf von Ende März ein verbindliches Speicherziel von 80 Prozent in diesem Jahr und von 90 Prozent in den Folgejahren vorgeschlagen. Erreicht werden soll es jeweils bis zum 1. November oder in Ausnahmefällen bis zum 1. Dezember. Für weitere Monate wird für jeden Staat, der über Gasspeicher verfügt, ein unverbindlicher Befüllungspfad festgelegt. Bei den Zwischenständen gibt es eine Toleranz von zwei Prozentpunkten. Werden sie überschritten, sollen weitere Maßnahmen folgen.
Die Verhandlungsgruppe des Parlaments wollte das Speicherziel für das laufende Jahr gerne auf ebenfalls 90 Prozent erhöhen. Nach Informationen aus Parlamentskreisen vertreten die Abgeordneten und der Rat nun gemeinsam ein Ziel von 85 Prozent. Unstrittig ist demnach zwischen den Trilog-Verhandlern, die Toleranzschwelle im Befüllungspfad auf fünf Prozent anzuheben.
Für die Zertifizierung von Speicherbetreibern sollen die Regulierungsbehörden außerdem mehr Zeit bekommen. Betroffen sind Betreiber großer Reservoire, die ihre Anlagen in den vergangenen beiden Wintern unter eine kritische Marke haben leerlaufen lassen. Ihre vorläufige Zertifizierungsentscheidung sollen die Behörden nun nach 200 statt 100 Tagen vorlegen. Die neue Regel zielt vor allem auf europäische Töchter von Gazprom, die inzwischen aber zum großen Teil bereits unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur stehen. Die Verwaltung durch die Regulierungsbehörde ist bis 30. September befristet. ber
Die Europäische Union könnte Einfuhrzölle auf Öl aus Russland verhängen und mit dem geplanten schrittweisen Öl-Embargo kombinieren, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen bei ihrem Besuch in Brüssel am Dienstag. “Es gibt hier einige Optionen”, so Yellen.
Das Konzept der Sonderzölle werde man diese Woche bei dem Treffen der Finanzminister der G7-Staaten vorstellen. Es sei eine weniger kostspielige Möglichkeit, Moskau die Öl-Einnahmen zu entziehen und gleichzeitig schnellere Ergebnisse zu erzielen, sagten Beamte des US-Finanzministeriums.
Die Sonderzölle würden darauf abzielen, mehr Öl aus Russland auf dem Weltmarkt zu halten und die durch ein vollständiges Embargo ausgelösten Preisspitzen zu begrenzen. Gleichzeitig würde die Geldsumme, die Russland mit seinen Exporten verdienen kann, begrenzt, so die Beamten weiter.
Die Zölle könnten in einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine fließen und damit den Wunsch erfüllen, Moskau zumindest einen Teil der massiven Wiederaufbaubemühungen bezahlen zu lassen.
Yellen sagte, sie habe mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine breite Palette von Optionen zur Verringerung der europäischen Abhängigkeit von russischer Energie diskutiert. Sie unterstütze jeden Plan, auf den sich die 27 EU-Mitglieder einigen könnten, aber “es ist von entscheidender Bedeutung, dass sie ihre Abhängigkeit von russischem Öl verringern“, so Yellen.
Sie versprach auch die Unterstützung der USA bei der Deckung des Energiebedarfs der EU, einschließlich der Bemühungen, die weltweiten Öl- und Gaslieferungen zu erhöhen. rtr/sas
Große Autohersteller und Unternehmen anderer Branchen haben die EU in einem offenen Brief aufgefordert, nationale Ziele für die Ladeinfrastruktur für Elektroautos festzulegen. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass ab 2035 EU-weit nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. “Die politischen Entscheidungsträger der EU müssen auch verbindliche nationale Ziele für eine nahtlose elektrische Ladeinfrastruktur festlegen, die der wachsenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen gerecht wird”, sagte Stuart Rowley, Chef von Ford Europa.
Ein verbindlicher und flächendeckender Ausbau der Ladeinfrastruktur in allen EU-Mitgliedsländern sei zwingend notwendig, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der Deutschen Presse-Agentur. “Der Erfolg der E-Mobilität steht und fällt mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur.”
Den Vorschlag der EU-Kommission zu emissionsfreien Wagen unterstützen die 27 unterzeichnenden Unternehmen, zu denen unter anderem Ford, Volvo, Uber und Vattenfall gehören, ausdrücklich. Das Europäische Parlament und die EU-Regierungen entscheiden voraussichtlich im Juni über ihre Positionen zum Vorschlag der Kommission. Ein endgültiges Gesetz könnte im Herbst verabschiedet werden, zuvor müssen sich die Gesetzgeber aber noch auf einen Kompromiss einigen. dpa
Politische Maßnahmen fördern Kaufentscheidungen im Einklang mit der Kreislaufwirtschaft am wirksamsten, wenn sie Einflussfaktoren auf das individuelle Verhalten von Verbraucher:innen berücksichtigen. Deshalb sollten Maßnahmen wie wirtschaftliche Anreize (Steuererleichterungen oder Subventionen), die Vermeidung von Greenwashing oder die Stärkung der emotionalen Bindung an Produkte untersucht werden. Das schlägt die Europäische Umweltagentur (EEA) in ihrem gestern veröffentlichten Briefing “Enabling consumer choices for a circular economy” vor.
Bisherige Maßnahmen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft zielen laut dem Bericht vor allem darauf ab, Verbraucher:innen über Produkte zu informieren, beispielsweise durch Ökolabels. Es sei jedoch wirksamer, die Produkte zum Beispiel wirtschaftlich attraktiver zu machen. So bestimmen die Hersteller bislang weitgehend die Nachfrage, indem sie die Art der auf den Markt gebrachten Produkte festlegen und gezielte Marketingstrategien anwenden.
Das Verhalten der Verbraucher:innen beim Kauf, der Nutzung und der Entsorgung von Produkten, das die Nachfrage nach kreislaufkonformen Waren und Dienstleistungen erhöhe, spiele jedoch eine entscheidendere Rolle. Deshalb sollten politische Maßnahmen Faktoren berücksichtigen, die das individuelle Verhalten beeinflussen: wirtschaftliche Faktoren, die Übereinstimmung zwischen Bedarf und Angebot, Informationen, soziale Faktoren und individuelle Verbraucherpräferenzen und -überzeugungen. leo
Die britische Regierung will mit einem neuen Gesetz Teile der Brexit-Sonderregeln für Nordirland teilweise aushebeln. Außenministerin Liz Truss kündigte am Dienstag im Londoner Unterhaus ein Gesetzesvorhaben an, das die seit dem Brexit neu entstandenen Handelsbarrieren zwischen Nordirland und Großbritannien abbauen soll. Damit löst sich London von den mit Brüssel ausgehandelten Regelungen für Nordirland, die im Brexit-Abkommen gesetzlich festgehalten sind.
Waren zwischen Großbritannien und Nordirland müssen gemäß dem sogenannten Nordirland-Protokoll, das Teil des Brexit-Abkommens ist, seit dem EU-Austritt an der Irischen See kontrolliert werden. Anhänger einer engen Anbindung Nordirlands an das Vereinigte Königreich – auch Unionisten genannt – fürchten dadurch eine Entfremdung und Abkoppelung.
Bislang ist das Gesetzesvorhaben der konservativen Regierung lediglich eine Ankündigung, konkret auf den Weg gebracht ist es noch nicht. Dies solle in den kommenden Wochen passieren, sagte Truss.
Mit dieser Offensive reagiert London auf den Unmut der meist protestantischen Unionisten. Die größte Unionisten-Partei DUP blockiert derzeit die Bildung einer Einheitsregierung mit der katholisch-nationalistischen Partei Sinn Fein, die aus den Parlamentswahlen in der vergangenen Woche als stärkste Kraft hervorgegangen war. Es droht eine politische Blockade über Monate.
Truss versicherte in Richtung Brüssel, man sei weiterhin gesprächsbereit und würde ein Verhandlungsergebnis dem einseitigen Handeln vorziehen. Aber: “Wir können es uns nicht leisten, länger zu warten”, sagte die Ministerin. Das Vorgehen stehe jedoch im Einklang mit internationalem Recht und werde der EU keinerlei Schaden zufügen, betonte sie.
Der Streit zwischen London und Brüssel über die Sonderregeln für Nordirland schwelt bereits seit Langem. Regelmäßig trafen sich zuletzt Truss und EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič zu Gesprächen – allerdings ohne nennenswerte Erfolge. dpa
Als Präsident Emmanuel Macron zu seinem zweiten Mandat antrat, versprach er “Erneuerung”. Es sollte keine schlichte Fortsetzung seiner ersten Amtszeit werden. Gleichzeitig verkündete er, dass er seine Reformen weiterführen will, die durch die Gelbwesten-Proteste und die Pandemie unterbrochen wurden. Um diese Veränderung zu markieren, setzte Macron ein starkes Signal. Er wählte mit Élisabeth Borne eine Frau als Frankreichs Premierministerin. Zum zweiten Mal bekleidet damit seit Edith Cresson vor 31 Jahren eine Frau das Amt, nach zwei Premierministern, die aus dem konservativen Lager stammten, nun eine Politikerin aus dem linken Flügel von Macrons Bewegung LREM.
Gleich nach den Präsidentschaftswahlen kursierte der Name der 61-Jährigen. Doch dann tauchten Konkurrentinnen von rechts und von links auf. Borne ist aber für Macron die ideale Person, loyal und regierungserfahren. Sie gilt als starke Frau, die Reformen durchsetzen kann. Borne kommt von den Sozialisten, sie arbeitete unter dem bis heute beliebten ehemaligen sozialistischen Premierminister Lionel Jospin und Kulturminister Jack Lang. In Frankreichs Medien hieß es, Macron habe sein “Schweizer Messer” für das Amt des Premierministers gefunden, es sei “die Wahl der Vernunft”. Mit ihr geht Macron kein Risiko ein. Begrüßt wurde überall, dass eine Frau den Posten erhielt.
Aus der politischen Opposition von rechts und links gab es sofort Kritik an der Auswahl. Macron setze seine “soziale Plünderung” fort, “eine Unternehmerin im Dienst des Projektes des Präsidenten” oder “die soziale und ökologische Misshandlung geht weiter”, hieß es. Fazit der Kritiker: Es läuft weiter wie gehabt. Keine Spur von Erneuerung, sondern Kontinuität mit einer Premierministerin, die mehrere Ministerposten unter Macron bekleidete. Vertraute von Borne erklärten, an Mut fehle ihr es keinesfalls und sie sei zupackend.
Die in Paris geborene Borne hat sich hartnäckig nach oben gearbeitet. Sie hat früh ihren Vater verloren und wuchs in schwierigen Verhältnissen unter staatlicher Obhut auf, besuchte dennoch Eliteschulen für Ingenieurwesen. Bevor sie zu Macron kam, war sie Präsidentin der Pariser Verkehrsbetriebe RATP. Sie empfahl sich damit 2017 als Ministerin für Transport, später für Umwelt und dann Arbeit. Bei ihrem Antritt erklärte sie, für “soziale Gerechtigkeit” und “Chancengleichheit” zu stehen und forderte, dass man sie “Madame la Première ministre ” (Madame Premierminister) nennt.
Ihre Hauptaufgabe ist, dem Präsidenten bei den Parlamentswahlen im Juni erneut die Mehrheit zu verschaffen. In den kommenden Tagen soll dafür die Regierungsmannschaft ausgewechselt werden – dabei ist Taktik gefragt. Borne soll Jean-Luc Mélenchon den Wind aus den Segeln nehmen, der die Linke um sich vereinte (Europe.Table berichtete) und selbst gern Premierminister werden würde. Als Frau verkörpert Borne eine Erneuerung und steht zudem für eine soziale Wirtschaftspolitik. Mit ihr soll es gelingen, linke, umweltbewusste Wähler für Macron zu überzeugen und gleichzeitig die rechten Wähler nicht zu verschrecken.
Macron wurde in den vergangenen Jahren immer kritisiert, der “Präsident der Reichen” zu sein, zu abgehoben und nicht sozial genug. Hier gibt es Nachholbedarf. Borne hat zudem das Vertrauen der Gewerkschaften, bei denen sie als pragmatische Technokratin gilt, gnadenlos aber fair – eine Macherin. Die konservative Tageszeitung “Le Figaro” nennt sie “Techno von links”. Gleichzeitig schlägt der Präsident Mélenchon auf dem Feld der Umwelt, weil Borne früher Umweltministerin war und die Herausforderungen im Bereich Klimawandel kennt.
Während Macron sich, wie es in Frankreich traditionell üblich ist, auf die Auslandsthemen und Europa konzentriert, soll Premierministerin Borne die starke Frau für die Innenpolitik werden. Vorher hatte der Präsident fast alles an sich gerissen. Premierminister Jean Castex wirkte blass. Borne dagegen soll mehr ins Rampenlicht rücken – ohne natürlich Macron in den Schatten zu stellen. Ihre Hauptaufgabe wird sein, die Franzosen davon zu überzeugen, dass Kaufkraft ein wichtiges Anliegen der Regierung ist. Das Thema ist laut Umfragen besonders in Zeiten der Inflation für die Franzosen die größte Sorge.
In Frankreich gilt es als wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Regierungsmannschaft ausgetauscht wird, als Zeichen, dass eine neue Epoche begonnen hat. Sollte Macron bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni die Mehrheit erhalten, wäre der Weg auch weiter offen für Borne. Mehrere Herausforderungen warten auf sie. Zunächst einmal die Rentenreform und die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 oder 65 Jahre, ein Vorhaben, das Macron wegen der Pandemie verschieben musste.
Was Reformen angeht, hat Borne ihre Fähigkeit des Dialogs und der Zähigkeit bewiesen. Sie brachte als Transportministerin die Bahnreform durch, schaffte Privilegien der Eisenbahner ab, vor allem Ruhestandsregelungen. Als Arbeitsministerin war sie verantwortlich für die Reformen des Arbeitsmarktes, die Macron in seiner ersten Amtszeit erfolgreich durchsetzte. Vor der Macht der Straße, die viele ihre Vorgänger einknicken ließ, zeigte sie sich unerschrocken. Die umstrittene Arbeitsmarktreform kratzte allerdings an ihrem Image, eher links von der Mitte zu stehen.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an ihr ist aus französischer Sicht außerdem ihre Umweltpolitik. Unter ihr als Umweltministerin wurden die Forderungen des Bürgerklimafonds aufgestellt. Schließlich fielen allerdings viele Forderungen weg und die Umsetzung galt als halbherzig. Die Tageszeitungen “Le Monde” und “Libération” urteilten, ihr sei es nicht gelungen, “den Schutz der Umwelt ins Zentrum der Entscheidungen der Regierung” zu stellen.
Es fehlte ihr allerdings an Spielraum für die Umsetzung. Bei seiner Wiederwahl hat Macron angekündigt, dass Umweltpolitik ein Hauptanliegen wird, für das der Premierminister zuständig ist. Borne muss beweisen, dass sie in Umweltangelegenheiten überzeugen kann, auch um Mélenchon mit seinem Umweltprogramm aus dem Feld zu schlagen. Tanja Kuchenbecker
ETS 2, CBAM, LULUCF-Verordnung, Ausweitung des ETS im Flugsektor: Das sind nur einige der Punkte des Fit-for-55-Pakets, über die der Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) gestern abgestimmt hat. Vor allem der ETS 2 hatte über Monate zu Zerwürfnissen geführt. Doch nun stellten die Abgeordneten ihre Kompromissfähigkeit unter Beweis. Lukas Scheid und Timo Landenberger fassen die Ergebnisse und erste Reaktionen zusammen.
Ende des Monats sollen die Trilog-Verhandlungen zur Corporate Sustainability Reporting Directive abgeschlossen sein. Schon jetzt ist klar: Die CSRD wird die Berichtspflicht stark verändern. Aufgrund neuer Kriterien erhöht sich die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen, von ungefähr 11.000 auf etwa 50.000. Eine riesige Herausforderung, vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen, wie Leonie Düngefeld analysiert.
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Am Ende zählt das Resultat. Und für die Einführung eines zweiten Emissionshandels für den Straßenverkehr und das Heizen von Gebäuden (ETS 2) stimmte am Dienstag im Umweltausschuss des EU-Parlaments (ENVI) eine überwältigende Mehrheit von 61 Pro-Stimmen, bei 22 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen. Es ist der Teil der ETS-Revision, der über Monate für Zerwürfnisse unter den Verhandlern, innerhalb der Fraktionen und Mitgliedstaaten gesorgt hat (Europe.Table berichtete).
Die Bundesregierung dürfte aufatmen, sah es doch zwischenzeitlich so aus, als könnten die eigenen Parteikollegen der Ampel in Brüssel diesen Teil des Klimaschutzpakets noch zum Scheitern bringen (Europe.Table berichtete). Die Bundesregierung setzt auch aufgrund des eigenen Brennstoffemissionshandelsgesetzes, welches Brenn- und Kraftstoffe mit einem CO2-Preis belegt, auf eine EU-weite Einführung. Der schlussendliche Kompromiss (Europe.Table berichtete), der die Einführung des ETS 2 für kommerzielle Aktivitäten ab 2025 vorsieht und für private frühestens ab 2029 – sofern die Kommission nach erneuter Überprüfung einen neuen Gesetzesvorschlag vorlegt -, wird in Berlin allerdings enorm kritisch gesehen.
Und auch der hauptverantwortliche Berichterstatter für die ETS-Reform schloss sich nur widerwillig dem Kompromiss an, die private Nutzung von Brenn- und Kraftstoffen zum Heizen und Autofahren vorerst auszuklammern. Dies sei aufgrund des Widerstandes der Sozialdemokraten und Grünen sowie vieler Liberaler und eines Teils seiner eigenen Fraktion geschehen, sagt Peter Liese (EVP, CDU). “Ein schrittweises Vorgehen ist schlussendlich besser, als dieses wichtige Instrument direkt zu töten, so wie das Sozialdemokraten, Grüne und Rechte zu Beginn des Prozesses beantragt hatten.”
Tiemo Wölken, klimapolitischer Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, möchte den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen und kontert: “Der ursprüngliche Entwurf des CDU-Berichterstatters hätte bedeutet, die soziale Spaltung in der EU mitten in einer Energiekrise zu forcieren.”
Der Grünen-Schattenberichterstatter Michael Bloss bezeichnet den Kompromiss als “Gewinn für alle”, während Umweltschutzorganisationen sich eher enttäuscht zeigen von der Teilung zwischen privaten und kommerziellen Aktivitäten im ETS 2. Dies sei eine “eine verpasste Chance, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Krise, die das Energiesparen notwendiger macht als je zuvor”, kommentiert Anne Gläser, Referentin für CO2-Preise bei Germanwatch. Auch private Emissionen aus Verkehr und Gebäudewärme sollten EU-weit möglichst bald ein CO2-Preissignal bekommen, so Gläser weiter – “in Kombination mit einem gut ausgestatteten, solidarischen Klimasozialfonds”.
Positiver sieht Gläser die einmalige Löschung von 205 Millionen überschüssigen CO2-Zertifikaten im ETS 1, was die Ambitionen des Klimapakets deutlich erhöht. Dies schaffe die Voraussetzungen, dass die Emissionsreduktionsziele erreicht werden können.
Doch dieser Kompromiss droht, schon in drei Wochen bei der Abstimmung im Plenum des EU-Parlaments zu scheitern. Die knappe Mehrheit für diesen alternativen Kompromiss von nur fünf Stimmen im ENVI von Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken könnte dort gekippt werden.
Ähnlich ist die Lage beim früheren Phase-Out der kostenlosen Zertifikate für die Industrie und die parallele Einführung des CBAM (Europe.Table berichtete). Die Kommission hatte vorgesehen, noch bis 2035 freie Emissionsrechte zu verteilen und bis dahin schrittweise den CBAM einzuführen. Der alternative ENVI-Kompromiss mit einer Mehrheit von nur vier Stimmen sieht vor, die freie Zuteilung schon 2030 zu beenden. Die EVP wollte 2034 als Enddatum, ebenso wie der Kompromiss im Industrie-Ausschuss ITRE, der dort auch von den Sozialdemokraten unterstützt wurde (Europe.Table berichtete). Es gilt daher als wahrscheinlich, dass sich im Plenum schlussendlich die ITRE-Linie durchsetzt oder die Verhandler:innen beider Ausschüsse einen weiteren Kompromiss finden.
Aus der Industrie kommen kritische Stimmen über den CBAM-Kompromiss. Die Exporte aus den erfassten Sektoren würden nicht ausreichend berücksichtigt, sodass die Gefahr bestünde, dass Arbeitsplätze in exportorientierten Industrien verloren gingen, kommentiert Markus J. Beyrer, Generaldirektor von Business Europe. Er fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Produzenten auf Nicht-EU-Märkten. “Die globalen Emissionen werden durch die Verringerung des Marktanteils sauberer europäischer Produkte steigen”, so Beyrer.
Bei der Schlussabstimmung im ENVI über den gesamten Bericht gab es wiederum eine klare Mehrheit von 62 Stimmen dafür, 20 dagegen, bei 5 Enthaltungen.
Wichtiger Baustein des Fit-for-55-Pakets ist auch die Revision der sogenannten LULUCF-Verordnung (Land Use, Land Use Change and Forests). Erstmals soll damit neben der Reduktion der Treibhausgasemissionen auch die Abspaltung und Speicherung von CO2 aus der Atmosphäre in verbindlichen Zielen festgeschrieben werden. Denn bereits die angestrebten 55 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2030 sind ein Netto-Ziel, das die natürliche Senkleistung des LULUCF-Sektors miteinbezieht. Spätestens zum Erreichen der Klimaneutralität 2050 wird dies alternativlos, um verbleibende Restemissionen auszugleichen. Technische Möglichkeiten zur Speicherung von Treibhausgasen werden in der Klimagesetzgebung bislang weitgehend ausgeklammert.
Mit 44 Stimmen dafür, 37 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen verabschiedeten die ENVI-Abgeordneten am Dienstagnachmittag ihre Verhandlungsposition. Darin folgen die ENVI-Mitglieder dem Vorschlag der Kommission, die Senkleistung des LULUCF-Sektors auf 310 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 für jeden Mitgliedstaat verbindlich vorzuschreiben. Daneben sollen, allerdings EU-weit, zusätzliche Senken über weitere 50 Millionen Tonnen CO2 geschaffen werden, insbesondere durch sogenanntes Carbon Farming in der Landwirtschaft.
Ein umkämpfter Kompromiss. So hatte LULUCF-Berichterstatter Ville Niinistö (Grüne/EFA) aus Finnland in seinem Bericht eine Erhöhung auf 490 Millionen Tonnen gefordert. Für Norbert Lins (CDU), LULUCF-Berichterstatter im assoziierten Agrarausschuss, stellt hingegen die Einigung bereits ein sehr ambitioniertes Ziel dar. Schließlich müsse dieses im Einklang mit einer nachhaltigen und aktiven Bewirtschaftung des Waldes stehen. Zumal die Speicherkapazität der natürlichen Senken seit Jahren abnehme. Tatsächlich ging die Senkleistung im LULUCF-Sektor im Zeitraum 2013 bis 2019 EU-weit von 322 auf 249 Millionen Tonnen zurück. Diesen Trend gelte es nun umzukehren.
Laut Umweltschutzorganisation WWF ist dennoch sogar eine Verdopplung des Kommissionsvorschlags auf 600 Millionen Tonnen nicht nur möglich, sondern auch nötig. “Der billigste, effektivste und einfachste Weg, Europas Kohlenstoffsenken zu vergrößern, ist der Schutz und die Wiederherstellung unserer Wälder, Torfgebiete und anderer natürlicher Ökosysteme”, sagt Alex Mason, Leiter der WWF-Abteilung EU-Klimapolitik.
Die Schaffung eines integrierten LULUCF- und Agrarsektors lehnten die Abgeordneten im Umweltausschuss ab. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Bereiche in einer neuen AFOLU-Säule (Agriculture, Forest and Other Land Use) zusammenzufassen und darin Klimaneutralität bis 2035 anzustreben. “Das würde dazu führen, dass landwirtschaftliche Emissionen durch CO2-Entnahmen der Forstwirtschaft kompensiert werden könnten. Das würde die Anreize für den Agrarsektor verringern, die eigenen Emissionen zu reduzieren”, sagt Delara Burkhardt, LULUCF-Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion.
Außerdem soll es neue Unterziele für Acker-, Grün- und Feuchtgebiete geben, um die Rolle dieser Ökosysteme bei der Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu stärken. Bislang lag der Fokus der natürlichen Senken stark auf Wäldern.
Die Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation, ESR) deckt jene Sektoren ab, die weder unter das ETS noch unter die LULUCF-Verordnung fallen (Europe.Table berichtete). Ihr unterliegen rund 60 Prozent aller Emissionen der EU. Die ESR soll sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten durch verbindliche individuelle Reduktionsziele in allen Bereichen Emissionen reduzieren. Insgesamt 40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030 (Vergleichsjahr 2005) hat die Kommission vorgeschlagen. Dieses Ziel wurde nun auch im ENVI mit einer Mehrheit von 61 Stimmen dafür, 20 dagegen bei 6 Enthaltungen bestätigt.
Für Deutschland bedeutet das ein Emissionsreduktionsziel von 50 statt 38 Prozent. Bulgarien hingegen hatte zuvor kein Reduktionsziel unter der ESR, soll die Emissionen aber künftig um 10 Prozent reduzieren. Die individuellen Zielvorgaben stützen sich hauptsächlich auf das Pro-Kopf-BIP. So soll bei der Verteilung der Lasten unter den Mitgliedsstaaten den unterschiedlichen Ausgangssituationen und Kapazitäten der einzelnen Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden, sagt Christine Schneider (CDU), Berichterstatterin der EVP-Fraktion für die Stellungnahme des Landwirtschaftsausschusses. “So wird sichergestellt, dass alle Mitgliedsstaaten ihren Beitrag zur Erreichung der Ziele leisten und der Landwirtschaftssektor mit Blick auf den Krieg in der Ukraine trotzdem die große Herausforderung der Ernährungssicherheit meistern kann.”
Außerdem stimmten die Abgeordneten für eine Ausweitung des ETS im Flugsektor (Europe.Table berichtete). Bislang werden nur Flüge innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums mit einem CO2-Preis belegt. Der ENVI sprach sich nun mit 66 Dafür-Stimmen, 9 dagegen bei 12 Enthaltungen, dafür aus, alle Flüge einzubeziehen, die innerhalb des EWR starten. Dies könnte bereits ab dem 30. April kommenden Jahres gelten. Zudem sollen die kostenlosen Emissionsrechte für Fluglinien ab 2025 nicht mehr vergeben werden – zwei Jahre früher als von der Kommission vorgesehen. 2024 soll die Anzahl der freien Zuteilungen bereits um 50 Prozent reduziert werden.
Die Einnahmen aus dem Verkauf der CO2-Zertifikate der Luftfahrtbranche sollen zu 75 Prozent zur Unterstützung von Innovationen und neuen Technologien zur Dekarbonisierung des Luftfahrtsektors verwendet werden.
Die Abstimmung im Plenum über alle Fit-for-55-Files, die gestern im ENVI angenommen wurden, ist für die Sitzungswoche vom 6. bis 9. Juni vorgesehen. Lukas Scheid und Timo Landenberger
Ende Mai sollen die Trilog-Verhandlungen zur CSRD abgeschlossen sein. Viele Unternehmen müssen dann womöglich schon im kommenden Jahr zum ersten Mal einen Nachhaltigkeitsbericht verfassen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wird die Berichtspflicht stark verändern. Die neuen Standards sind in die EU-Strategie für nachhaltiges Finanzwesen eingebettet und sollen Investoren genauere Daten bieten und damit Finanzflüsse lenken. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sind darauf schlecht vorbereitet, heißt es aus der Industrie.
Die Daten, die die Unternehmen seit 2017 im Rahmen der Richtlinie über die Angabe nichtfinanzieller Informationen (NFRD) vorlegen müssen, reichen für Entscheidungen von Investoren und anderen Interessengruppen nicht aus und lassen sich nur schwer vergleichen. Dies soll sich mit der Corporate Sustainability Reporting Directive ändern. Der Informationsfluss über Nachhaltigkeit soll entlang der gesamten finanziellen Wertschöpfungskette konsistent und kohärent werden – und eine genauso wichtige Rolle bekommen wie die finanzielle Berichterstattung.
Inhaltlich erweitert die CSRD die Berichtspflicht in den Bereichen Umwelt, Gesellschaft und Governance. Statt dem Bezug auf ein einziges Jahr sollen Berichte kurz-, mittel- und langfristige Analysen enthalten. Dafür werden einheitliche Standards (European Sustainability Reporting Standards, ESRS) entwickelt.
Die Zahl der Unternehmen, die Nachhaltigkeitsdaten veröffentlichen müssen, erhöht sich aufgrund neuer Kriterien von ungefähr 6.000 auf etwa 50.000: Alle europäischen Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen, unabhängig von einer Kapitalmarktorientierung, müssen berichten; außerdem Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro oder einem Umsatz von über 40 Millionen Euro. Dazu kommen kapitalmarktorientiert kleine und mittelständische Unternehmen. Der Rat will noch weiter gehen und auch nicht-europäische Unternehmen, die in der EU agieren, einbeziehen. In Deutschland werden etwa 15.000 Unternehmen berichtspflichtig.
Besonders kleine und mittelständische Unternehmen stellt das vor eine riesige Herausforderung, sagt Frederike Krebs, Referentin für Nachhaltigkeit im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Im VDMA seien bislang 70 bis 80 Unternehmen betroffen – durch die neuen Kriterien wären es 700 bis 800. “Unsere Unternehmen haben natürlich ein Interesse daran, zu zeigen, dass sie nachhaltige Technologien herstellen“, erklärt Krebs. “Aber bislang wissen viele nicht, wie sie das umsetzen sollen.”
Die Berichtspflichten sind eng mit der EU-Taxonomie verbunden: Artikel 8 der Taxonomie-Verordnung bezieht sich direkt auf die CSRD und gibt vor, dass die von der Corporate Sustainability Reporting Directive betroffenen Unternehmen auch Angaben zu ihrer Konformität mit den Umweltzielen der Taxonomie machen müssen.
Frederike Krebs sieht Maschinenbauunternehmen hier im Nachteil. Andere Branchen seien mit konkreten Namen und Grenzwerten aufgezählt und hätten es deshalb deutlich leichter, sich taxonomiekonform zu zeigen. Die technischen Kriterien der Taxonomie führen den Maschinenbau gar nicht explizit auf, er sei lediglich Teil einer übergeordneten Kategorie, die eine Lebenszyklusanalyse der Produkte und eine Zertifizierung erfordere. Das sei teilweise gar nicht möglich, erklärt Krebs: “Zum einen haben wir maßgeschneiderte, sehr individuelle Produkte, die nicht vergleichbar sind.” Eine Lebenszyklusanalyse mache häufig keinen Sinn. Zudem koste eine Zertifizierung sehr viel Geld. Viele Unternehmen müssten deshalb bislang angeben, dass sie nicht Taxonomie-konform seien.
Die Betroffenheit der Unternehmen werde auch steigen, weil die Beweispflicht über Abnehmer und Investoren an sie weitergeleitet wird, sagt Krebs. Auch Banken seien berichtspflichtig und müssen angeben, wie nachhaltig ihre Investitionen seien. “Darüber sind wir dann langfristig auch betroffen.”
Der Europäische Rat und das Parlament verhandeln zurzeit noch über den Zeitrahmen der Berichtspflicht. Laut Entwurf soll die erste Reihe an Standards am 1. Januar 2024 in Kraft treten, Unternehmen müssten dann für das Geschäftsjahr 2023 berichten. Sowohl Rat als auch die Schattenberichterstatter hatten gefordert, dies um ein Jahr zu verschieben. “Selbst für große Unternehmen, die schon entsprechende Strukturen haben, ist die geplante Vorlaufzeit zu kurz“, sagt Annette Selter, Referentin für Steuern und Finanzpolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). In kleineren Unternehmen müssen diese Strukturen erst geschaffen werden. Die Buchhaltung umfasse bislang keine Aktivitäten, an denen man Nachhaltigkeit messen könne.
Ein Jahr könnte Unternehmen, die sich noch nie intensiv mit Nachhaltigkeitsberichten beschäftigt haben, zwar helfen, sagt Mirjam Wolfrum vom Carbon Disclosure Project (CDP). “Ein Jahr macht aber auch einen großen Unterschied angesichts der Dringlichkeit, die sich aus der Klima- und Naturkrise ergibt“, sagt sie. “Wir brauchen die Nachhaltigkeitsinformationen früher als später.”
Das CDP führt seit 20 Jahren eine ähnliche Berichterstattung durch. Einmal im Jahr fragt die NGO über Fragebögen Nachhaltigkeitsdaten aller gelisteten Unternehmen ab – auf freiwilliger Basis, aber nicht ohne Druck: Ob und wie die Unternehmen die Daten preisgeben, wird von Investoren wahrgenommen. Berichten Unternehmen regelmäßig und vollständig, haben sie dadurch viele Vorteile, sagt Wolfrum. Durch den jährlichen Prozess könnten Unternehmen interne Prozesse besser verstehen und strukturieren, die internen und externen Stakeholder identifizieren und diese in ihre Unternehmensstrategie, Zielsetzungen und Maßnahmenplanung einbeziehen.
“Unternehmen müssen in ihrer Berichterstattung zeigen, dass sie verstanden haben, welchen Einfluss ihr unternehmerisches Handeln auf Klima und Umwelt haben – negativ wie positiv.” Zunächst werde es meistens negativer Einfluss sein, den sie dann aber auf dieser Basis reduzieren können. So können sie auch Risiken minimieren: in den Lieferketten, in Bezug auf ihre Investoren und auf ihren Marktwert.
Die Unternehmen, die an CDP berichten, seien alle sehr gut aufgestellt, um die Berichtsanforderungen zu erfüllen, erzählt Wolfrum. Zudem gebe es mittlerweile viele Angebote und Tools, die ihnen bei der Datenbeschaffung und Berichterstattung helfen. “Die Zeit drängt, deshalb ist nun ein lösungsorientiertes Herangehen wichtig”, sagt sie. “Man sollte nicht schon im ersten Schritt überlegen, was zu viel oder zu kompliziert sein könnte.” Daten des CDP zeigen: Nur eines von 20 börsennotierten Unternehmen hat belastbare Ziele zur Verringerung von Emissionen, Wasserverbrauch und Entwaldung, und etwa 50 Prozent der berichteten Emissionen sind nicht durch wissenschaftlich fundierte Ziele abgedeckt sind, die mit dem 1.5-Grad-Ziel in Einklang stehen. “Das zeigt, wie wichtig die europäische Initiative ist”, sagt Wolfrum.
Der Abschluss der Trilog-Verhandlungen wird Ende Mai erwartet, die jeweiligen Abstimmungen werden dann noch einige Monate dauern. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die die Standards zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) entwirft, hat vor Kurzem eine erste Reihe von Standards für eine öffentliche Konsultation bis zum 8. August 2022 veröffentlicht. Im November wird sie den Entwurf bei der Kommission einreichen. Leonie Düngefeld
Der finnische Energieversorger Gasum verklagt Gazprom vor einem Schiedsgericht. Das staatliche Unternehmen erklärte am Dienstag, es werde die strittigen neuen Zahlungsanweisungen des russischen Konzerns nicht befolgen. “In dieser Situation hatte Gasum keine andere Möglichkeit, als den Vertrag vor ein Schiedsgericht zu bringen”, sagte CEO Mika Wiljanen laut einer Mitteilung. Gasum riskiere mit der Ankündigung einen baldigen Lieferstopp Gazproms, kommentierte ICIS-Analyst Tom Marzec-Manser auf Twitter. Ersatz müsse aus anderen EU-Staaten kommen.
Am Montag hatte der russische Versorger Inter RAO bereits die Stromlieferungen nach Finnland eingestellt, weil das Unternehmen angeblich nicht bezahlt worden sei. Wegen Sanktionen der EU und russischer Anweisungen zum Währungstausch herrscht seit Wochen Unsicherheit über Lieferembargos. Gasverkäufe an Polen und Bulgarien hatte Russland bereits gestoppt, beide Staaten hatten Russlands neue Vorgaben abgelehnt.
Die EU-Kommission hat noch immer keine Klarheit über sanktionskonforme Zahlungen schaffen können. In einer aktualisierten Handreichung vom Freitag bekräftigte sie lediglich ihre Haltung, westliche Importeure sollten erklären, dass ihre Verpflichtungen mit der Zahlung in Euro oder Dollar erfüllt seien. Moskau hatte jedoch angekündigt, Lieferungen seien künftig erst nach dem Umtausch in Rubel bezahlt.
Die abweichende Haltung von Ländern wie Polen von der Kommissionslinie sieht der Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Moll inzwischen als Beleg dafür, dass die Kommission ihre eigenen Sanktionen umgehen wolle.
Andere europäische Versorger scheinen dagegen Lösungen gefunden zu haben: Frankreichs Engie teilte mit, man habe sich mit dem Gazprom geeinigt. Es sei eine Vereinbarung getroffen worden, die auch nicht gegen die vom Westen verhängten Sanktionen verstoße, sagte Engie-Chefin Catherine MacGregor am Dienstag. “Wir zahlen in Euro und wir unterliegen keinem Währungsrisiko.” Auch der Düsseldorfer Versorger Uniper bezahlt seine Gaslieferungen weiter in Euro. “Wir erhalten die Rechnung in Euro. Und wir bezahlen in Euro auf ein Konto der Gazprom-Bank im Einklang mit dem neuen Zahlungsmechanismus”, erklärte das Unternehmen. ber/rtr
Der Präsident der Bundesnetzagentur hat für den Fall einer Gasnotlage Kriterien für eine Abschaltung vorgestellt, auf die sich Großverbraucher aus der Industrie einstellen müssen. Dazu gehörten die Dringlichkeit der Maßnahme und die Größe des Unternehmens, sagte Behördenchef Klaus Müller in einem am Dienstag vorab veröffentlichten Interview der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Mittwochausgabe).
Ein weiterer Aspekt seien die Vorlaufzeiten: Einige Firmen brauchten mehr Zeit, um geordnet herunterzufahren. Außerdem gehe es um die volks- und betriebswirtschaftlichen Schäden. “In der Keramikindustrie etwa erstarren die Produktionsanlagen und gehen kaputt, wenn das Gas fehlt. Wir berücksichtigen auch die Kosten und die Dauer für die Wiederinbetriebnahme.”
Die Bundesnetzagentur bereitet sich vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs darauf vor, dass etwa nach einem Lieferstopp Russlands Deutschland nicht ausreichend Gas zur Verfügung hat. Während Haushalte weiter versorgt würden, richtet sich der Blick auf die Wirtschaft. Ein wichtiges Kriterium sei hier auch die Bedeutung der Versorgung für die Allgemeinheit, etwa mit Lebensmitteln oder Medikamenten, sagte Müller dem Blatt. Es sei leider nicht möglich, diese Kriterien in eine eindeutige Reihenfolge zu bringen. “Es gilt, bei geringstmöglichem Schaden die in der konkreten Situation schnellstmögliche Lösung zu finden. Einfach wird das nicht.”
Gaskraftwerke sollten im Fall einer Gasnotlage abgeschaltet werden, sofern sie nicht der Netzstabilität dienten, sagte Müller in dem Interview. “Ich erwarte, dass die Kraftwerksbetreiber eine Reihe von Kohlekraftwerken wieder einsetzen können und sollten, um damit Strom zu erzeugen statt aus Gas. Das schmerzt den Klimaschützer in mir, denn die Treibhausgasbilanz verschlechtert sich.” rtr
Nach 16 Stunden ist der erste Trilog zur neuen Gasspeicher-Verordnung am Dienstagmorgen ohne Einigung zu Ende gegangen. Ein Abschluss der Verhandlungen zwischen Parlament, Rat und Kommission wird nun für Donnerstag erwartet. Mit der Verordnung sollen EU-weit verbindliche Mindestfüllstände für Gasspeicher eingeführt werden, um sich vor dem Winter auf mögliche Einschränkungen der Gaslieferungen Russlands vorzubereiten.
Die Kommission hatte in ihrem Entwurf von Ende März ein verbindliches Speicherziel von 80 Prozent in diesem Jahr und von 90 Prozent in den Folgejahren vorgeschlagen. Erreicht werden soll es jeweils bis zum 1. November oder in Ausnahmefällen bis zum 1. Dezember. Für weitere Monate wird für jeden Staat, der über Gasspeicher verfügt, ein unverbindlicher Befüllungspfad festgelegt. Bei den Zwischenständen gibt es eine Toleranz von zwei Prozentpunkten. Werden sie überschritten, sollen weitere Maßnahmen folgen.
Die Verhandlungsgruppe des Parlaments wollte das Speicherziel für das laufende Jahr gerne auf ebenfalls 90 Prozent erhöhen. Nach Informationen aus Parlamentskreisen vertreten die Abgeordneten und der Rat nun gemeinsam ein Ziel von 85 Prozent. Unstrittig ist demnach zwischen den Trilog-Verhandlern, die Toleranzschwelle im Befüllungspfad auf fünf Prozent anzuheben.
Für die Zertifizierung von Speicherbetreibern sollen die Regulierungsbehörden außerdem mehr Zeit bekommen. Betroffen sind Betreiber großer Reservoire, die ihre Anlagen in den vergangenen beiden Wintern unter eine kritische Marke haben leerlaufen lassen. Ihre vorläufige Zertifizierungsentscheidung sollen die Behörden nun nach 200 statt 100 Tagen vorlegen. Die neue Regel zielt vor allem auf europäische Töchter von Gazprom, die inzwischen aber zum großen Teil bereits unter Treuhandschaft der Bundesnetzagentur stehen. Die Verwaltung durch die Regulierungsbehörde ist bis 30. September befristet. ber
Die Europäische Union könnte Einfuhrzölle auf Öl aus Russland verhängen und mit dem geplanten schrittweisen Öl-Embargo kombinieren, sagte US-Finanzministerin Janet Yellen bei ihrem Besuch in Brüssel am Dienstag. “Es gibt hier einige Optionen”, so Yellen.
Das Konzept der Sonderzölle werde man diese Woche bei dem Treffen der Finanzminister der G7-Staaten vorstellen. Es sei eine weniger kostspielige Möglichkeit, Moskau die Öl-Einnahmen zu entziehen und gleichzeitig schnellere Ergebnisse zu erzielen, sagten Beamte des US-Finanzministeriums.
Die Sonderzölle würden darauf abzielen, mehr Öl aus Russland auf dem Weltmarkt zu halten und die durch ein vollständiges Embargo ausgelösten Preisspitzen zu begrenzen. Gleichzeitig würde die Geldsumme, die Russland mit seinen Exporten verdienen kann, begrenzt, so die Beamten weiter.
Die Zölle könnten in einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine fließen und damit den Wunsch erfüllen, Moskau zumindest einen Teil der massiven Wiederaufbaubemühungen bezahlen zu lassen.
Yellen sagte, sie habe mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine breite Palette von Optionen zur Verringerung der europäischen Abhängigkeit von russischer Energie diskutiert. Sie unterstütze jeden Plan, auf den sich die 27 EU-Mitglieder einigen könnten, aber “es ist von entscheidender Bedeutung, dass sie ihre Abhängigkeit von russischem Öl verringern“, so Yellen.
Sie versprach auch die Unterstützung der USA bei der Deckung des Energiebedarfs der EU, einschließlich der Bemühungen, die weltweiten Öl- und Gaslieferungen zu erhöhen. rtr/sas
Große Autohersteller und Unternehmen anderer Branchen haben die EU in einem offenen Brief aufgefordert, nationale Ziele für die Ladeinfrastruktur für Elektroautos festzulegen. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass ab 2035 EU-weit nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden dürfen. “Die politischen Entscheidungsträger der EU müssen auch verbindliche nationale Ziele für eine nahtlose elektrische Ladeinfrastruktur festlegen, die der wachsenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen gerecht wird”, sagte Stuart Rowley, Chef von Ford Europa.
Ein verbindlicher und flächendeckender Ausbau der Ladeinfrastruktur in allen EU-Mitgliedsländern sei zwingend notwendig, sagte die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, der Deutschen Presse-Agentur. “Der Erfolg der E-Mobilität steht und fällt mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur.”
Den Vorschlag der EU-Kommission zu emissionsfreien Wagen unterstützen die 27 unterzeichnenden Unternehmen, zu denen unter anderem Ford, Volvo, Uber und Vattenfall gehören, ausdrücklich. Das Europäische Parlament und die EU-Regierungen entscheiden voraussichtlich im Juni über ihre Positionen zum Vorschlag der Kommission. Ein endgültiges Gesetz könnte im Herbst verabschiedet werden, zuvor müssen sich die Gesetzgeber aber noch auf einen Kompromiss einigen. dpa
Politische Maßnahmen fördern Kaufentscheidungen im Einklang mit der Kreislaufwirtschaft am wirksamsten, wenn sie Einflussfaktoren auf das individuelle Verhalten von Verbraucher:innen berücksichtigen. Deshalb sollten Maßnahmen wie wirtschaftliche Anreize (Steuererleichterungen oder Subventionen), die Vermeidung von Greenwashing oder die Stärkung der emotionalen Bindung an Produkte untersucht werden. Das schlägt die Europäische Umweltagentur (EEA) in ihrem gestern veröffentlichten Briefing “Enabling consumer choices for a circular economy” vor.
Bisherige Maßnahmen zur Stärkung der Kreislaufwirtschaft zielen laut dem Bericht vor allem darauf ab, Verbraucher:innen über Produkte zu informieren, beispielsweise durch Ökolabels. Es sei jedoch wirksamer, die Produkte zum Beispiel wirtschaftlich attraktiver zu machen. So bestimmen die Hersteller bislang weitgehend die Nachfrage, indem sie die Art der auf den Markt gebrachten Produkte festlegen und gezielte Marketingstrategien anwenden.
Das Verhalten der Verbraucher:innen beim Kauf, der Nutzung und der Entsorgung von Produkten, das die Nachfrage nach kreislaufkonformen Waren und Dienstleistungen erhöhe, spiele jedoch eine entscheidendere Rolle. Deshalb sollten politische Maßnahmen Faktoren berücksichtigen, die das individuelle Verhalten beeinflussen: wirtschaftliche Faktoren, die Übereinstimmung zwischen Bedarf und Angebot, Informationen, soziale Faktoren und individuelle Verbraucherpräferenzen und -überzeugungen. leo
Die britische Regierung will mit einem neuen Gesetz Teile der Brexit-Sonderregeln für Nordirland teilweise aushebeln. Außenministerin Liz Truss kündigte am Dienstag im Londoner Unterhaus ein Gesetzesvorhaben an, das die seit dem Brexit neu entstandenen Handelsbarrieren zwischen Nordirland und Großbritannien abbauen soll. Damit löst sich London von den mit Brüssel ausgehandelten Regelungen für Nordirland, die im Brexit-Abkommen gesetzlich festgehalten sind.
Waren zwischen Großbritannien und Nordirland müssen gemäß dem sogenannten Nordirland-Protokoll, das Teil des Brexit-Abkommens ist, seit dem EU-Austritt an der Irischen See kontrolliert werden. Anhänger einer engen Anbindung Nordirlands an das Vereinigte Königreich – auch Unionisten genannt – fürchten dadurch eine Entfremdung und Abkoppelung.
Bislang ist das Gesetzesvorhaben der konservativen Regierung lediglich eine Ankündigung, konkret auf den Weg gebracht ist es noch nicht. Dies solle in den kommenden Wochen passieren, sagte Truss.
Mit dieser Offensive reagiert London auf den Unmut der meist protestantischen Unionisten. Die größte Unionisten-Partei DUP blockiert derzeit die Bildung einer Einheitsregierung mit der katholisch-nationalistischen Partei Sinn Fein, die aus den Parlamentswahlen in der vergangenen Woche als stärkste Kraft hervorgegangen war. Es droht eine politische Blockade über Monate.
Truss versicherte in Richtung Brüssel, man sei weiterhin gesprächsbereit und würde ein Verhandlungsergebnis dem einseitigen Handeln vorziehen. Aber: “Wir können es uns nicht leisten, länger zu warten”, sagte die Ministerin. Das Vorgehen stehe jedoch im Einklang mit internationalem Recht und werde der EU keinerlei Schaden zufügen, betonte sie.
Der Streit zwischen London und Brüssel über die Sonderregeln für Nordirland schwelt bereits seit Langem. Regelmäßig trafen sich zuletzt Truss und EU-Kommissionsvize Maroš Šefčovič zu Gesprächen – allerdings ohne nennenswerte Erfolge. dpa
Als Präsident Emmanuel Macron zu seinem zweiten Mandat antrat, versprach er “Erneuerung”. Es sollte keine schlichte Fortsetzung seiner ersten Amtszeit werden. Gleichzeitig verkündete er, dass er seine Reformen weiterführen will, die durch die Gelbwesten-Proteste und die Pandemie unterbrochen wurden. Um diese Veränderung zu markieren, setzte Macron ein starkes Signal. Er wählte mit Élisabeth Borne eine Frau als Frankreichs Premierministerin. Zum zweiten Mal bekleidet damit seit Edith Cresson vor 31 Jahren eine Frau das Amt, nach zwei Premierministern, die aus dem konservativen Lager stammten, nun eine Politikerin aus dem linken Flügel von Macrons Bewegung LREM.
Gleich nach den Präsidentschaftswahlen kursierte der Name der 61-Jährigen. Doch dann tauchten Konkurrentinnen von rechts und von links auf. Borne ist aber für Macron die ideale Person, loyal und regierungserfahren. Sie gilt als starke Frau, die Reformen durchsetzen kann. Borne kommt von den Sozialisten, sie arbeitete unter dem bis heute beliebten ehemaligen sozialistischen Premierminister Lionel Jospin und Kulturminister Jack Lang. In Frankreichs Medien hieß es, Macron habe sein “Schweizer Messer” für das Amt des Premierministers gefunden, es sei “die Wahl der Vernunft”. Mit ihr geht Macron kein Risiko ein. Begrüßt wurde überall, dass eine Frau den Posten erhielt.
Aus der politischen Opposition von rechts und links gab es sofort Kritik an der Auswahl. Macron setze seine “soziale Plünderung” fort, “eine Unternehmerin im Dienst des Projektes des Präsidenten” oder “die soziale und ökologische Misshandlung geht weiter”, hieß es. Fazit der Kritiker: Es läuft weiter wie gehabt. Keine Spur von Erneuerung, sondern Kontinuität mit einer Premierministerin, die mehrere Ministerposten unter Macron bekleidete. Vertraute von Borne erklärten, an Mut fehle ihr es keinesfalls und sie sei zupackend.
Die in Paris geborene Borne hat sich hartnäckig nach oben gearbeitet. Sie hat früh ihren Vater verloren und wuchs in schwierigen Verhältnissen unter staatlicher Obhut auf, besuchte dennoch Eliteschulen für Ingenieurwesen. Bevor sie zu Macron kam, war sie Präsidentin der Pariser Verkehrsbetriebe RATP. Sie empfahl sich damit 2017 als Ministerin für Transport, später für Umwelt und dann Arbeit. Bei ihrem Antritt erklärte sie, für “soziale Gerechtigkeit” und “Chancengleichheit” zu stehen und forderte, dass man sie “Madame la Première ministre ” (Madame Premierminister) nennt.
Ihre Hauptaufgabe ist, dem Präsidenten bei den Parlamentswahlen im Juni erneut die Mehrheit zu verschaffen. In den kommenden Tagen soll dafür die Regierungsmannschaft ausgewechselt werden – dabei ist Taktik gefragt. Borne soll Jean-Luc Mélenchon den Wind aus den Segeln nehmen, der die Linke um sich vereinte (Europe.Table berichtete) und selbst gern Premierminister werden würde. Als Frau verkörpert Borne eine Erneuerung und steht zudem für eine soziale Wirtschaftspolitik. Mit ihr soll es gelingen, linke, umweltbewusste Wähler für Macron zu überzeugen und gleichzeitig die rechten Wähler nicht zu verschrecken.
Macron wurde in den vergangenen Jahren immer kritisiert, der “Präsident der Reichen” zu sein, zu abgehoben und nicht sozial genug. Hier gibt es Nachholbedarf. Borne hat zudem das Vertrauen der Gewerkschaften, bei denen sie als pragmatische Technokratin gilt, gnadenlos aber fair – eine Macherin. Die konservative Tageszeitung “Le Figaro” nennt sie “Techno von links”. Gleichzeitig schlägt der Präsident Mélenchon auf dem Feld der Umwelt, weil Borne früher Umweltministerin war und die Herausforderungen im Bereich Klimawandel kennt.
Während Macron sich, wie es in Frankreich traditionell üblich ist, auf die Auslandsthemen und Europa konzentriert, soll Premierministerin Borne die starke Frau für die Innenpolitik werden. Vorher hatte der Präsident fast alles an sich gerissen. Premierminister Jean Castex wirkte blass. Borne dagegen soll mehr ins Rampenlicht rücken – ohne natürlich Macron in den Schatten zu stellen. Ihre Hauptaufgabe wird sein, die Franzosen davon zu überzeugen, dass Kaufkraft ein wichtiges Anliegen der Regierung ist. Das Thema ist laut Umfragen besonders in Zeiten der Inflation für die Franzosen die größte Sorge.
In Frankreich gilt es als wahrscheinlich, dass ein großer Teil der Regierungsmannschaft ausgetauscht wird, als Zeichen, dass eine neue Epoche begonnen hat. Sollte Macron bei den Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni die Mehrheit erhalten, wäre der Weg auch weiter offen für Borne. Mehrere Herausforderungen warten auf sie. Zunächst einmal die Rentenreform und die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 oder 65 Jahre, ein Vorhaben, das Macron wegen der Pandemie verschieben musste.
Was Reformen angeht, hat Borne ihre Fähigkeit des Dialogs und der Zähigkeit bewiesen. Sie brachte als Transportministerin die Bahnreform durch, schaffte Privilegien der Eisenbahner ab, vor allem Ruhestandsregelungen. Als Arbeitsministerin war sie verantwortlich für die Reformen des Arbeitsmarktes, die Macron in seiner ersten Amtszeit erfolgreich durchsetzte. Vor der Macht der Straße, die viele ihre Vorgänger einknicken ließ, zeigte sie sich unerschrocken. Die umstrittene Arbeitsmarktreform kratzte allerdings an ihrem Image, eher links von der Mitte zu stehen.
Ein wesentlicher Kritikpunkt an ihr ist aus französischer Sicht außerdem ihre Umweltpolitik. Unter ihr als Umweltministerin wurden die Forderungen des Bürgerklimafonds aufgestellt. Schließlich fielen allerdings viele Forderungen weg und die Umsetzung galt als halbherzig. Die Tageszeitungen “Le Monde” und “Libération” urteilten, ihr sei es nicht gelungen, “den Schutz der Umwelt ins Zentrum der Entscheidungen der Regierung” zu stellen.
Es fehlte ihr allerdings an Spielraum für die Umsetzung. Bei seiner Wiederwahl hat Macron angekündigt, dass Umweltpolitik ein Hauptanliegen wird, für das der Premierminister zuständig ist. Borne muss beweisen, dass sie in Umweltangelegenheiten überzeugen kann, auch um Mélenchon mit seinem Umweltprogramm aus dem Feld zu schlagen. Tanja Kuchenbecker