Table.Briefing: Europe

Euro-7-Vorschlag + KI-Regulierung + Steigender Strompreis + Gasumlage + Weitere Sanktionen

  • Verbrenner-Grenzwerte: Kommission will Euro-7-Vorschlag früher bringen
  • Antonio Krüger: “Die Regulierung darf Innovationen nicht abwürgen”
  • Bitkom zur Digitalstrategie: “Ambitionen sehen anders aus”
  • Analysten: Stromkrise übertrifft Gaskrise
  • ACER besorgt über Heizlüfter
  • Großteil der Gasumlage geht an zwei Unternehmen
  • EU-Abgeordnete wollen Sanktionen gegen weitere Russen
  • EU erwägt Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten
  • Krisenstab: Bulgarien will wieder bei Gazprom Erdgas kaufen
  • Borrell: Irans Antwort zum Atomabkommen “vernünftig”
  • Mauricio Vargas – Analyst und Umweltaktivist
Liebe Leserin, lieber Leser,

früher als geplant will die EU-Kommission ihren Vorschlag für die neue Schadstoffnorm, die “Euro 7”, vorlegen. Sie betrifft Fahrzeuge mit Verbrennermotor und wird deshalb vermutlich die letzte Schadstoffregulierung werden, denn das Verbrenner-Aus steht weiterhin für 2035 fest. Lohnt sich die Produktion von Verbrennern überhaupt noch? Warum es für manche Modelle knapp werden könnte, schreibt Markus Grabitz.

Die Künstliche Intelligenz steckt zwar noch in den Anfängen des Möglichen. Aufgrund ihres Potenzials, in empfindliche Bereiche des täglichen Lebens einzugreifen, tun Experten allerdings bereits jetzt gut an einer Regulierung. Die KI-Verordnung versucht genau das, und damit ist Europa im Vergleich zu anderen noch vorne mit dabei, sagt Antonio Krüger, CEO des Deutschen Forschungszentrums für KI, im Interview mit meiner Kollegin Corinna Visser.

Der Strompreis steigt – Analysten zufolge sogar stärker als der Gaspreis. Die Bundesbank vermutet, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr daher sinken wird. Die EU-Energieregulierungsbehörde ACER warnt aber noch vor einer anderen Entwicklung im Winter: Wenn an kalten Tagen viele Haushalte elektrische Heizgeräte hochdrehen statt der Gasheizung, könnte dies das Stromnetz überfordern und somit die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Genaueres dazu lesen Sie in den News.

Damit wünsche ich einen guten Start in den Tag,

Ihre
Lisa-Martina Klein
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Analyse

Verbrenner-Grenzwerte: Kommission will Euro-7-Vorschlag früher bringen

Die Kommission will ihren Vorschlag für neue Schadstoffnormen für Autos, Lieferwagen, Lkw und Busse nun rund sechs Wochen früher vorlegen als zuletzt angekündigt. Die Pläne für eine verschärfte Abgasnorm (“Euro 7”) sollen am 12. Oktober kommen, wie aus der Liste des Generalsekretariats für die nächsten Kommissionssitzungen hervorgeht. Zunächst war der 30. November angepeilt.

Damit wird die Kommission voraussichtlich ihren Vorschlag für die letzte Schadstoffregulierung für den Verbrennungsmotor bei Pkw und Lieferwagen überhaupt vorlegen. Das Aus für den Verbrennungsmotor bei Pkw und Lieferwagen ist für das Jahr 2035 vorgesehen. Das Interesse von Herstellern und Zulieferern an den Details ist groß. Sie wollen wissen, wie hoch die Kommission die Latte beim Ausstoß von Schadstoffen hängt. Für die Branche geht es um die Frage, wie viel Geld sie in die Abgasreinigung investieren muss, damit sie bis 2035 an der Verbrennertechnologie festhalten kann. Trägt das traditionelle Geschäftsmodell der Hersteller überhaupt noch bis 2035?

Richtungsstreit in der Kommission

Vor allem Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständig ist, hatte sich zunächst für eine drastische Verschärfung der Grenzwerte starkgemacht. Industriekommissar Thierry Breton, der auch die Interessen der französischen Hersteller im Blick hat, bremste.

Die Kommission hatte ein Konsortium von Wissenschaftlern aus mehreren Ländern beauftragt, einen Vorschlag zu erarbeiten. Ende Oktober 2020 legte dann das sogenannte Clove-Konsortium der Kommission in einer internen Sitzung seinen Vorschlag vor. Als er wenige Tage später nach draußen drang, war das Echo verheerend. Der Vorschlag sah vor, die Grenzwerte für Stickoxide und Kohlenmonoxid radikal zu senken, auch bei Methan und Lachgas sollte der Ausstoß deutlich reduziert werden.

Grenzwerte sollten ab dem Kaltstart gelten

Besonders kritisiert wurde, dass die Fahrzeuge bei Tests im realen Fahrbetrieb auf der Straße bereits ab dem ersten Kilometer und unter Volllast am Berg sowie beim Ziehen von schweren Anhängern die neuen Grenzwerte einhalten sollten. Bei Euro 6 sind bei diesen Sondersituationen Ausnahmen vorgesehen.

Die Hersteller fassten den Vorschlag als Generalangriff auf ihr Geschäftsmodell auf. Wenn diese Normen Gesetz würden, so die Voraussage vieler Branchenvertreter, müsse so viel in die Abgasreinigung investiert werden, dass sich die Produktion von Kleinwagen in Europa gar nicht mehr rechne und die Produktion von Premiumfahrzeugen deutlich weniger Gewinn abwerfe.

Inzwischen hat offenbar ein Umdenken bei Timmermans eingesetzt. Grund dafür sei, dass sich inzwischen beide Co-Gesetzgeber – das Europa-Parlament sowie der Rat der 27 Umweltminister – auf 2035 als Enddatum für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor festgelegt haben. Nun sei es nicht mehr nötig, die Transformation Richtung E-Mobilität auch noch über eine radikale Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte für Verbrennungsmotoren zu beschleunigen, hört man.

Die Hersteller hatten immer gewarnt: Wenn hohe Investitionen zur Erfüllung der Euro-7-Standards nötig werden, sei nicht mehr ausreichend Geld für die Umstellung auf E-Antriebe vorhanden. Es gibt inzwischen Hinweise darauf, dass sie mit diesen Argumenten bei der Kommission Gehör fanden. Beobachter rechnen damit, dass der Kommissionsvorschlag nunmehr Grenzwerte vorschlagen wird, die mit den vorhandenen Technologien machbar sind.

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Termine

24.08.2022 – 09:00-16:00 Uhr, Berlin/online
BDE, Seminar Abfallnachweisverfahren (eANV) und Abfallnachweisführung
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) gibt einen Überblick zu den relevanten gesetzlichen Pflichten und Anforderungen an Erzeuger und Entsorger im Abfallnachweisverfahren. INFOS & ANMELDUNG

24.08.2022 – 19:00-20:30 Uhr, online
FNF, Vortrag Der Krieg in der Ukraine – Folgen für die Innere Sicherheit in Deutschland und Europa
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beleuchtet, wie Rechtsextremisten, andere Extremisten sowie Verschwörungsgläubige auf den Krieg Russlands reagieren und welche Konsequenzen das für die Innere Sicherheit hat. INFOS & ANMELDUNG

25.08.2022 – 10:00-17:00 Uhr, Berlin
iRights Lab, Konferenz Mit datengetriebenen Lösungen die Mobilität in ländlichen Räumen gestalten
Das iRights Lab möchte passgenaue Lösungen für innovative Mobilität in ländlichen Regionen entwickeln. INFOS & ANMELDUNG

25.08.2022 – 13:00-14:00 Uhr, online
EEN, Seminar Horizont Europa: Wie screene ich einen Call?
Das Enterprise Europe Network (EEN) erläutert, wie man die entscheidenden Inhalte eines Ausschreibungstextes erkennt und welche Förderkategorien es im EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa gibt. INFOS & ANMELDUNG

25.08.2022 – 18:00-19:00 Uhr, online
FNF, Diskussion Krieg in Europa: Westbalkan, Ukraine, Georgien – Wer schafft den Sprung in die EU?
Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit der Frage, was die Entscheidungen der europäischen Staats- und Regierungschefs aus dem Juni 2022 zum EU-Beitrittskandidatenstatus für die einzelnen Staaten und für die EU insgesamt bedeutet. INFOS & ANMELDUNG

26.08.2022 – 19:00-20:30 Uhr, Brake
KAS, Podiumsdiskussion Zeitenwende in der Bundeswehr? Wie ist der aktuelle Status Quo der Truppe?
Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert im Rahmen dieser Veranstaltung, wie der aktuelle Status Quo in der Bundeswehr aussieht und welche Änderungen durch das Sondervermögen in Aussicht gestellt werden. INFOS & ANMELDUNG

29.08.2022 – 17:00-20:00 Uhr, Iserlohn
BVMW, Podiumsdiskussion Digitalisierung im Mittelstand – Smarte Anwendungen für eine bessere Performance entlang der Wertschöpfungskette
Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) stellt smarte Lösungen zur Digitalisierung des Mittelstands vor. INFOS & ANMELDUNG

30.08.2022 – 12:30-16:00 Uhr, online
BDI B7 Conference Sustainability Reporting
The Federation of German Industries (BDI) discusses how to turn the global baseline of sustainability reporting standards into reality and how to ensure benefits for the real economy and the financial services sector. INFOS & REGISTRATION

Antonio Krüger: “Die Regulierung darf Innovationen nicht abwürgen”

Antonio Krüger ist CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Im interview spricht er über die KI-Regulierung der EU.
Antonio Krüger ist CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken.

Herr Krüger, kann man einen noch so unerforschten Bereich wie KI in einer Verordnung regeln?

Im Prinzip ist es eine gute Idee. Die Regulierung ist für Investitionen in bestimmte Arten von KI förderlich. So kann man den Markt in eine gewünschte Richtung lenken. Denn wir wollen keine chinesischen Verhältnisse.

Was meinen Sie damit?

Social Scoring, Überwachung, selektives Ausnutzen von KI-Techniken für bestimmte Gruppen – all das wollen wir nicht.

Ist der Zeitpunkt richtig oder kommt die EU mit der Künstlichen Intelligenz-Verordnung zu früh oder zu spät?

Wir sind noch vorne mit dabei. China hat gerade begonnen, eigene Vorstellungen über eine Regulierung zu entwickeln. Die USA tun sich eher schwer mit Regulierung und regeln Dinge eher über individuelle Gerichtsverfahren. Besser ist es, man hat einen guten Ordnungsrahmen. Deswegen ist es vernünftig, das jetzt zu tun.

Stimmt der Ansatz?

Ich finde es nicht schlecht, dass die EU mit Risikoklassen arbeitet. Das hat sich in anderen Feldern – wie etwa bei den Medizinprodukten – bewährt. Denn es gibt immer Bereiche, die sensibler sind als andere. Natürlich kommt es auf die Ausgestaltung an. Dabei darf die Regulierung Innovationen nicht abwürgen. Und das ist auch mein erster Kritikpunkt: Mir fehlt der Fokus darauf, innovative Ideen in der KI zu fördern. So ist es zum Beispiel wichtig, kleinen innovativen Firmen mehr Beinfreiheit zu geben.

Warum brauchen kleine Unternehmen mehr Spielraum?

Sonst besteht die Gefahr, dass sie bei so einem umfangreichen Regelwerk – und das wird es ja wohl werden – unter die Räder kommen. Große Unternehmen können sich große Rechtsabteilungen leisten, kleine nicht. Im schlimmsten Fall werden sie bei Verstößen von etablierten Unternehmen verklagt. Es ist in Ordnung zu sagen, wir wollen diesen Bereich regulieren. Aber an erster Stelle muss stehen, dass wir Innovationen in der EU fördern wollen. Das ist mir als Forscher ganz wichtig. Und bis jetzt steht das zu weit hinten.

Was kritisieren Sie noch?

Ich habe große Probleme mit den engen Definitionen zu KI-Systemen, die hier explizit benannt werden, und der Festlegung was ein KI-System ist und was nicht.

Juristen kritisieren, dass die Definitionen viel zu ungenau sind.

Das wundert mich nicht. Ich finde es allerdings besser zu fragen, was man schützen will. Das sind bestimmte Grundwerte. Und Systeme, die diese Grundwerte infrage stellen, die müssen reguliert werden. Eigentlich ist es doch vollkommen sekundär, welche KI-Technik unter der Motorhaube steckt. Wichtig ist, was dabei herauskommt. Wenn man dagegen KI-Systeme so genau definiert, dann wird es am Ende viele Streitereien und Schlupflöcher geben, weil jemand eine neue KI-Technik entwickelt hat und diese dann nicht unter die Regulierung fällt.

Reicht es nicht, einen Annex für solche technischen Entwicklungen zu haben, der fortgeschrieben wird?

Ich wäre eher dafür, die Regulierung vom Ende her zu denken und Risikoklassen, Anwendungsgebiete und Werte zu definieren, die man schützen möchte. Dann würden gewisse Lücken auch nicht entstehen. Neurosymbolische KI – also die Kombination verschiedener KI-Techniken – taucht zum Beispiel im Regelwerk gar nicht auf. Es wird immer Unternehmen geben, die die Regulierung umgehen wollen und wenn sie keine der definierten KI-Systeme nutzen, können sie tun, was sie wollen. Gleichzeitig ist es natürlich auch innovationshemmend, wenn man bereits eine Schere im Kopf hat, die den Einsatz bestimmter Techniken dann verhindert.

Warum ist es innovationshemmend, wenn man nach neuen Lösungen sucht?

Weil bestimmte erfolgversprechende Technologien dann nicht hier, sondern in anderen Teilen der Welt weiterentwickelt werden. Ich tue mich sehr schwer mit einer trennscharfen Definition von KI-Systemen. Hinzu kommt, dass KI sich unglaublich dynamisch entwickelt. Im Moment entstehen ganz neue Verfahren, die gar nicht unter die genannte Beschreibung fallen. Denken Sie nur an Quantencomputing. Ähnlich sieht es bei der Auflistung der Anwendungsgebiete aus. Im Prinzip ist das ok, aber auch hier muss der Regulierer sagen, wie er in diesen Gebieten für Innovationen sorgen und sie nicht nur verhindern will.

Was schlagen Sie vor?

Ich würde die ganze KI-Systematik streichen und viel mehr danach fragen: Was machen denn die Systeme? Beeinflussen sie die Autonomie des Einzelnen? Greifen sie sehr stark in Persönlichkeitsrechte ein? Die Beschreibung von Anwendungsgebieten und die Klassifizierung in Risikobereiche halte ich für gute Schritte, wenn auch einige zu genau und andere zu schwammig definiert sind. Aber hier wird sich sicher ein Kompromiss finden lassen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel im Bereich Social Scoring. Da haben die Regulierer wirklich vom Ende her gedacht: Systeme, die Menschen etwa anhand ihres sozialkonformen Verhaltens klassifizieren, sind als hochriskant eingestuft. Oder Systeme, die autonom Entscheidungen über kritische Infrastrukturen treffen. Das kann ich auch gut nachvollziehen. Aber da brauche ich keinen Satz darüber zu verlieren, wie sie gebaut sind. Wenn ein kritisches Sicherheitssystem anfängt zu würfeln, dann steckt garantiert kein KI-System hinter den Entscheidungen, aber das wollen Sie trotzdem ganz sicher regulieren. Was ich damit sagen will: Es können auch konventionelle Systeme in hochriskanten Bereichen zum Einsatz kommen, die womöglich schlechter arbeiten als KI-Systeme, aber nicht unter die Regulierung fallen.

Das heißt, der wichtigste Punkt ist die Risikoklassifizierung?

Ja, das würde ich so sehen. Es ist wichtig, dass das gut gemacht wird. Bei Unterstützungssystemen, bei denen der Mensch am Ende die Kontrolle behält, wäre ich deutlich entspannter als bei Systemen, die autonom handeln.

Wie sollte die Abstufung konkret erfolgen?

Ich würde das nicht nur an den Anwendungen, sondern auch daran fest machen, wie stark der Assistenzcharakter des Systems ist. Je stärker es sich einbringt, desto höher ist eventuell der Gewinn an Sicherheit und Komfort, aber auch das potenzielle Risiko. Aber es hängt natürlich auch vom Einsatzgebiet ab. Deswegen wird es wohl eine Mischung aus beiden Bereichen sein. Es gibt zum Beispiel diese absurde Diskussion über manipulative Techniken. Wir sind alle psychologischen Wesen, die sich beeinflussen lassen. Jede Werbung ist manipulatives Verhalten. Aber macht es wirklich einen Unterschied, ob ein KI-System dahintersteht oder uns auf andere Weise ein Produkt aufgedrängt wird? Und wie hoch ist andererseits der Schaden? Hier ist die Einstufung für mich noch zu unscharf. Auch hier hängt es sehr stark vom Einsatzgebiet ab.

Finden Sie mit Ihren Einschätzungen Gehör in Brüssel?

Wir bringen uns im Moment sehr stark über CLAIRE ein, den KI-Labornetzverband von Forschern und Anwendern, und auch über andere Verbände. Also, wir werden schon gehört und ich gehe davon aus, dass es noch Änderungen an der Verordnung geben wird.

Antonio Krüger ist CEO und wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs “Kognitive Assistenzsysteme” am DFKI. Er ist ein international angesehener Experte der Mensch-Maschine-Interaktion und Künstlichen Intelligenz.

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News

Bitkom zur Digitalstrategie: “Ambitionen sehen anders aus”

Der Digitalverband Bitkom kritisiert den vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegten überarbeiteten Entwurf der Digitalstrategie der Bundesregierung als nicht ehrgeizig genug. “Der neue Entwurf der Digitalstrategie enthält einige Verbesserungen im Vergleich zum ersten Aufschlag im Juli”, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Positiv sei, dass es insgesamt mehr konkrete, teils sogar messbare Ziele gebe. Das gehe in die richtige Richtung, sollte aber Ansporn sein, noch mehr zu tun. “Dem Anspruch an den versprochenen digitalen Aufbruch wird der aktuelle Diskussionsstand noch immer nicht gerecht“, fügte Berg hinzu. “Der Geist aus den Sondierungsgesprächen, gemeinsam Großes zu erreichen, scheint verflogen.”

Beispielhaft dafür stehe das Ziel, einen Platz in den Top 10 des europäischen Digitalindex DESI zu erreichen. Im aktuellen Index steht Deutschland auf Platz 13 (nach Platz elf im Jahr zuvor, Europe.Table berichtete). Das Ziel wäre also bereits mit einer Verbesserung um drei Plätze erreicht, kritisierte Berg. Deutschland hätte dann aber nach wie vor nur einen Platz im europäischen Mittelfeld. “Ambitionen sehen anders aus.” Dennoch sieht Berg in der Strategie das Potenzial, der Digitalpolitik in Deutschland “endlich eine klare Richtung zu geben”. Er forderte, dass auch die höchste politische Ebene der Digitalpolitik Aufmerksamkeit schenken müsse, um diese Strategie “zum Masterplan des digitalen Aufbruchs” zu machen.

In dieser Woche beraten noch die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre über den Entwurf und bereiten ihn vor, damit das Kabinett die Digitalstrategie auf seiner Klausur am 31. August in Meseberg beschließen kann. Der überarbeitete Entwurf hat mit 50 Seiten bereits 20 Seiten mehr als der vorhergehende Entwurf im Juli.

Berg forderte, dass die Chefinnen und Chefs der Ressorts in Sachen Digitalisierung die Ressortgrenzen überwinden und die Digitalstrategie zu einem Programm aus einem Guss weiterentwickeln. “Aktuell gleicht sie oft noch zu sehr einem Flickenteppich”, meint Berg und kritisiert außerdem, dass die digitalpolitischen Großprojekte der Ampelregierung wie die Schaffung eines Dateninstituts und die Einführung eines Digitalbudgets weiterhin im Ungefähren bleiben. vis

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Analysten: Stromkrise übertrifft Gaskrise

Der Strompreis hat gestern einen weiteren starken Sprung gemacht. Der Kurs für Base-Kontrakte für das kommende Jahr schloss gestern bei 637,75 Euro pro Megawattstunde und lag damit 14 Prozent über dem Preis vom Freitag. Zwischenzeitlich wurden an der EEX Preise von bis zu 710 Euro verzeichnet – ein Plus von 27 Prozent.

Analysten machten für den erneuten Preissprung laut dem Dienst Montel die angekündigte dreitägige Wartung von Nord Stream 1 Ende August verantwortlich sowie Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die Laufzeit der Kernkraftwerke nicht wegen des Gassparens zu verlängern.

Laut den Energie-Analysten von Refinitiv ist der Strompreis seit Juli stärker gestiegen als der Gaspreis. “Europas Stromkrise übertrifft die Gaskrise”, betiteln die Experten einen Kommentar von Montag. Gaslieferungen für September wurden gestern am Handelspunkt TTF für bis zu 295 Euro gehandelt – ein Anstieg von 20,6 Prozent gegenüber Freitag. Die Bundesbank hält es wegen der ungünstigen Entwicklungen am Gasmarkt für wahrscheinlich, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr sinkt. ber/dpa

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ACER besorgt über Heizlüfter

Die Gaskrise könnte nach Ansicht der EU-Energieregulierungsbehörde ACER auch die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Ein großer Teil der Verbraucher in der EU könnte im Winter elektrische Heizgeräte einsetzen und dadurch den Strombedarf in die Höhe treiben, teilte die Behörde mit Sitz in Ljubljana am Freitag mit.

Anlass könnten demnach die Rationierung von Gas sein oder staatliche Eingriffe in die Preisbildung, wodurch das Heizen mit Strom günstiger werden könnte als das Heizen mit Erdgas. Europas oberste Wächter über die Versorgungssicherheit baten deshalb den Verband der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E, in seinem kommenden Winter Supply Outlook ein Szenario zu modellieren, das die Risiken von elektrischen Heizgeräten für die Stromversorgung berechnet. Die Netzbetreiber sollen außerdem untersuchen, inwiefern eine Temperaturabsenkung an den elektrischen Heizgeräten die Situation entspannen könnte.

Energie-Experten hatten bereits vor dem Kauf von Heizlüftern gewarnt, auch der Berliner Energieverband BDEW hatte sich vergangene Woche in einer Mitteilung besorgt gezeigt: “Schalten beispielsweise an einem kalten Winterabend gleichzeitig viele Haushalte in einem Stadtviertel ihre Heizlüfter an, könnte das die Netze schnell überfordern.”

Die Aufforderung von ACER richtet sich nun aber an die Betreiber des Stromübertragungsnetzes, was als Indiz gewertet werden kann, dass sich die Probleme möglicherweise nicht nur auf einzelne lokale Verteilnetze beschränken. ENTSO-E erklärte auf Anfrage, es werde seinen Bericht zur Versorgungssicherheit am 1. Dezember vorlegen. “Der Winter Supply Outlook wird tatsächlich auch die Auswirkungen eines gestiegenen Strombedarfs analysieren”, teilte eine Sprecherin mit. Untersucht würden außerdem die Auswirkungen einer anhaltend niedrigen Verfügbarkeit von Kernkraftwerken. ber

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Großteil der Gasumlage geht an zwei Unternehmen

Ein Großteil der milliardenschweren Umlage zur Rettung von Gasimporteuren entfällt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auf zwei Unternehmen. Über 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die für die Gasumlage bis April 2024 anfallen, geht demnach an zwei Gashandelspartner mit Russland: Uniper und die bisherige Gazprom Germania.

Uniper hatte in der vergangenen Woche erklärt, mehr als 50 Prozent der Umlage zu erhalten, allerdings ohne eine genaue Summe zu nennen. Dem Vernehmen nach sollen es etwa zwei Drittel sein. Weitere etwa 25 Prozent gehen demnach an Sefe (vormals Gazprom Germania) sowie deren Hauptvertragspartner Wingas und VNG. Die verbleibenden rund 8 Prozent der Umlagekosten entfallen den Angaben zufolge auf die übrigen acht Unternehmen. Von diesen acht Unternehmen hat RWE bereits öffentlich erklärt, auf die Umlage verzichten zu wollen.

Insgesamt zwölf Unternehmen hätten Ansprüche geltend gemacht, teilte das Gemeinschaftsunternehmen der Gasnetzbetreiber, Trading Hub Europe (THE), am Montag auf seiner Internetseite mit. Neben Uniper, VNG, Wingas und Sefe seien das der Oldenburger Versorger EWE und OMV aus Österreich. Hinzu kämen die Unternehmen Gunvor, AXPO Solutions, DXT Commodities, ENET Energy, Vitol, und WIEH.

Diese Liste stelle noch keinen geprüften Anspruch dar, erklärte THE. Die tatsächlichen Werte würden erst durch die weiteren monatlichen und testierten Werte in den Meldungen konkretisiert. “Diese können höher oder niedriger liegen. Der genannte Wert ist ein Prognosewert.”

Die Umlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde soll ab Anfang Oktober greifen und Importeuren zugute kommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibendes Gas aus Russland kaufen müssen. Ohne die Umlage hätte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ein Zusammenbruch des deutschen Energie-Marktes mit noch höheren Gaspreisen gedroht. dpa/rtr

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EU-Abgeordnete wollen Sanktionen gegen weitere Russen

Europaabgeordnete fordern eine drastische Ausweitung von EU-Einreiseverboten gegen Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieges gegen die Ukraine. Es müssten zumindest die mehr als 6000 Personen mit Strafmaßnahmen belegt werden, die auf einer Liste der Stiftung des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny stünden, heißt es in einem am Montag an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell verschickten Brief. Neben einem EU-Einreiseverbot sollten die Sanktionen auch das Einfrieren von Vermögen umfassen.

Als Hintergrund der Forderung wird in dem Brief insbesondere die öffentliche Debatte über Russen genannt, die trotz des Krieges ihres Landes gegen die Ukraine Visa für Urlaubsreisen in der EU bekommen. Sie dürfte auch Thema bei einem informellen Treffen der EU-Außenminister in der kommenden Woche in Prag werden. Bislang stehen nach EU-Angaben 1214 Russen wegen der Unterstützung der Ukraine-Politik ihres Landes auf der EU-Sanktionsliste.

Den Brief an Borrell haben nach Angaben des belgischen Europaabgeordneten Guy Verhofstadt insgesamt 48 Parlamentarier unterzeichnet. Aus Deutschland sind darunter die Vizepräsidentin des Parlaments, Nicola Beer (FDP), der Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky sowie Damian Boeselager von der paneuropäischen Partei Volt und Martin Buschmann von der Tierschutzpartei. dpa

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EU erwägt Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten

Angesichts des seit einem halben Jahr dauernden russischen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine erwägt die Europäische Union ein Programm zur Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte. Dies kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag am Rande einer Konferenz im nordspanischen Santander an.

Die Verteidigungsminister der 27 EU-Mitgliedstaaten wollen bei einem Treffen am kommenden Montag in der tschechischen Hauptstadt Prag über die Pläne beraten. Borrell unterstützte das Vorhaben. “Es erscheint vernünftig, dass ein Krieg, der dauert und voraussichtlich weiter dauern wird, Anstrengungen nicht nur in Form von Materiallieferung, sondern auch in Form von Ausbildung sowie von Hilfe bei der Organisation der Streitkräfte erfordert”, sagte der frühere spanische Außenminister.

Kurz vor dem russischen Überfall auf das Nachbarland hatten die EU-Außenminister bereits Pläne zur Ausbildung der militärischen Führungskräfte der Ukraine gebilligt. Diese sahen insbesondere eine Beratung der früheren Sowjetrepublik bei der Reform der Offiziersausbildung vor. Nach Angaben westlicher Militärs wurden in der Ukraine bis zuletzt noch russische Taktiken gelehrt. dpa

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Krisenstab: Bulgarien will wieder bei Gazprom Erdgas kaufen

Die bulgarische Übergangsregierung will wegen der Gasknappheit in dem EU-Land Erdgas auch beim russischen Staatskonzern Gazprom kaufen. “Offensichtlich werden wir Verhandlungen mit Gazprom führen müssen”, sagte Energieminister Rossen Hristow am Montag nach einer Tagung eines Krisenstabs im Energiebereich. Sofia wolle zudem wieder mit Aserbaidschan über Gaslieferungen verhandeln.

Für September sei Bulgariens Gasbedarf voll gedeckt, für Oktober aber nur zum Teil, beschrieb Stab-Chef und Vize-Übergangsministerpräsident Hristo Aleksiew die Lage. Zudem müssten die Gaspreise für die “Bevölkerung und die Wirtschaft erträglich” sein. Anfang Oktober wird Bulgarien ein neues Parlament wählen.

Das von russischen Energie-Trägern stark abhängige einstige Ostblockland erhält seit Ende April auf direktem Weg kein Gas aus Russland mehr. Gazprom hatte die Lieferungen trotz eines bis Ende 2022 laufenden Vertrags eingestellt, da die damalige prowestliche Regierung in Sofia Zahlungen in Rubel abgelehnt hatte. Die russische Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Mitrofanowa, hatte erst am Sonntag erklärt, dass es “bei politischem Willen seitens Bulgarien keine Probleme” vor einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen geben werde.

Die durch ein Misstrauensvotum im Juni gestürzte Regierung von Ministerpräsident Kiril Petkow hatte Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den USA mit sieben Schiffen im Prinzip vereinbart. Die jetzige Übergangsregierung billigte allerdings am vergangenen Freitag nur eine dieser Lieferungen, da der Endpreis für bulgarische Verhältnisse zu hoch sei. Zudem habe Bulgarien für weitere LNG-Lieferungen keine Terminal-Plätze reserviert. dpa

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Borrell: Irans Antwort zum Atomabkommen “vernünftig”

Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte am Montag, die Antwort des Irans auf den jüngsten Vorschlag der EU für ein Atomabkommen mit den USA sei “vernünftig”.

“Es gab einen Vorschlag von mir als Koordinator der Verhandlungen… und eine Antwort des Irans, die ich für vernünftig halte. Er wurde den Vereinigten Staaten übermittelt, die noch nicht offiziell geantwortet haben”, sagte er auf einer Universitätsveranstaltung in der nordspanischen Stadt Santander.

Borrell bezog sich auf eine Antwort, die der Iran vergangene Woche auf den jüngsten Vorschlag der Europäischen Union zur Aktualisierung des Atomabkommens mit Teheran aus dem Jahr 2015 nach 16 Monaten indirekter amerikanisch-iranischer Gespräche übermittelt hatte. rtr

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Presseschau

Scholz und Trudeau sichern Ukraine dauerhafte Unterstützung zu ZEIT
Krisenstab: Bulgarien will auch bei Russlands Gazprom Erdgas kaufen HANDELSBLATT
Regierung: Großes Erdgasfeld südlich von Zypern entdeckt HANDELSBLATT
Keine Klimaneutralität bis 2025: Kopenhagen gibt Klimaziel auf RND
Französischer Minister will Privatjetflüge stärker regulieren SPIEGEL
Nach Fischsterben: Lemke fordert Stopp des Oder-Ausbaus ZDF
Switzerland: Glaciers have shrunk by half since 1930s – study DW
Zypern hat Großteil von 7000 EU-Pässen illegal ausgestellt WELT

Heads

Mauricio Vargas – Analyst und Umweltaktivist

Mauricio Vargas ist Ökonom und Finanzexperte bei Greenpeace Deutschland.
Mauricio Vargas ist Ökonom und Finanzexperte bei Greenpeace Deutschland.

Es sind durchwachsene Zeiten für Mauricio Vargas. Ende Juni sprach der Finanzexperte von Greenpeace noch von einem ermutigenden Signal. Die Mitglieder des Umwelt- und Wirtschaftsausschusses hatten sich gerade mehrheitlich gegen die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die EU-Taxonomie ausgesprochen, die Investitionen in grüne Energien ankurbeln soll.

Knapp zwei Wochen später war klar: Das Signal ist ohne Wirkung geblieben. Am Ende kamen nicht genug Stimmen der EU-Parlamentarier zusammen, um die Erweiterung der EU-Taxonomie noch zu stoppen. Ab Januar kommenden Jahres können Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union als klimafreundlich eingestuft werden. “Das wird es der Finanzindustrie erleichtern, bestehende Finanzprodukte einfach grün umzuetikettieren”, kritisiert Vargas.

Weniger Grünfärberei in der Finanzwelt  

Seit knapp zwei Jahren setzt sich der Volkswirt bei Greenpeace für eine grünere Finanzwelt ein. Vargas kritisierte unter anderem das klimaschädliche Bitcoin-Mining. “Jeder Bitcoin-Nutzer sollte sich fragen, ob Bitcoin es wert ist, die Stabilität unserer Ökosysteme zu riskieren”, mahnt er beispielsweise.

Vargas attackierte auch die Europäische Zentralbank. Sie sei in Sachen Klimaschutz zu langsam und begünstige mit ihren Anleihekäufen kohlenstoffintensive Unternehmen. Zuletzt warb der 42-Jährige für einen Preisdeckel auf russische Gasimporte. Ähnlich wie bei einem Strafzoll würde das den Export nach Deutschland für Russland verteuern. Das Geld könne in einem Fonds gesichert und für den Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden, forderte der Umweltaktivist.

Und jetzt die EU-Taxonomie: Die EU habe die Chance verpasst, glaubwürdige Mindeststandards für Finanzunternehmen zu schaffen, bemängelt er. Wohin das führen könne, habe gerade der Greenwashing-Verdacht bei der Deutschen-Bank-Tochter DWS gezeigt. Nach Vorwürfen, die Fondsgesellschaft vermarkte Finanzprodukte als zu grün, kam es im Juni dieses Jahres bei der Deutschen Bank und DWS zu Durchsuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Vargas kennt die Finanzbranche gut: Er arbeitete selbst zehn Jahre lang bei einer Fondsgesellschaft, nachdem er in Tübingen Internationale Volkswirtschaftslehre studiert und im Anschluss zu Finanzstabilität und Währungskrisen in Entwicklungsländern und Schwellenländern promoviert hatte. 1,5 Jahre verbrachte er während seiner Studienzeit in Mexiko. Ein Land, zu dem Vargas auch einen persönlichen Bezug hat – er ist in Mexiko-Stadt geboren.

Analysen für Kampagnen und Klagen

Dass er die Perspektive eines weniger wohlhabenderen Landes kennenlernen durfte, das bereits mehrere schwere Wirtschaftskrisen erlebt hat, prägte den Volkswirt. 2020, nach zehn Jahren, kündigte er bei der Frankfurter Fondsgesellschaft, und begann bei Greenpeace. “Es hat lange an mir genagt, dass ich meinen Ansprüchen, was ich eigentlich bewirken will, nicht gerecht werden konnte”, sagt er.

Heute spricht er von einem gelungenen “Seitenwechsel”, auch wenn sich inhaltlich nicht viel für ihn geändert hat. Er arbeitet weiterhin volkswirtschaftliche Analysen aus. Nur dass sie nicht mehr bei Investitionsentscheidungen helfen, sondern Vargas damit die politischen Forderungen der Umweltorganisation argumentativ unterfüttert. Für den Schritt “raus aus dem goldenen Käfig”, wie er es nennt, verzichtet er auf die Hälfte seines bisherigen Gehalts.

Eine seiner wichtigsten Kampagnen, die er bisher bei der Umweltorganisation begleitet hat, war die zur EZB. Im vergangenen Jahr hat Greenpeace die Europäische Zentralbank (EZB) regelrecht belagert: Mal ließen sie Eis vor dem Gebäude symbolisch schmelzen, mal landeten sie mit Gleitschirmen auf dem Gelände der Zentralbank. Der Hauptvorwurf: Die EZB stecke Milliarden in klimaschädliche Energieunternehmen.

Vargas selbst ist bei solchen Kampagnen meistens nicht vor Ort aktiv. Das übernehmen Ehrenamtliche, erzählt er. Aber er brieft die Aktivistinnen und unterstützt bei der Pressearbeit, mit Erfolg. Im Sommer vergangenen Jahres verkündete die EZB einen Kurswechsel: Ab Oktober will die Zentralbank immerhin 30 Milliarden Euro jährlich klimafreundlicher ausgeben.  

Inzwischen ist auch klar, dass es bei der scharfen Kritik des Ökonomen an der EU-Taxonomie nicht bleiben wird: Greenpeace hat angekündigt, Klage einzureichen. Vorher stelle die Organisation bei der Kommission noch einen formellen Antrag auf interne Überprüfung. Sobald diese abgeschlossen ist und zu einem negativen Ergebnis führt, wollen die Umweltschützer vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Vargas und seine Kolleginnen und Kollegen werden die Klage koordinieren. Pauline Schinkels

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • EU erwägt Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten
    • Krisenstab: Bulgarien will wieder bei Gazprom Erdgas kaufen
    • Borrell: Irans Antwort zum Atomabkommen “vernünftig”
    • Mauricio Vargas – Analyst und Umweltaktivist
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    früher als geplant will die EU-Kommission ihren Vorschlag für die neue Schadstoffnorm, die “Euro 7”, vorlegen. Sie betrifft Fahrzeuge mit Verbrennermotor und wird deshalb vermutlich die letzte Schadstoffregulierung werden, denn das Verbrenner-Aus steht weiterhin für 2035 fest. Lohnt sich die Produktion von Verbrennern überhaupt noch? Warum es für manche Modelle knapp werden könnte, schreibt Markus Grabitz.

    Die Künstliche Intelligenz steckt zwar noch in den Anfängen des Möglichen. Aufgrund ihres Potenzials, in empfindliche Bereiche des täglichen Lebens einzugreifen, tun Experten allerdings bereits jetzt gut an einer Regulierung. Die KI-Verordnung versucht genau das, und damit ist Europa im Vergleich zu anderen noch vorne mit dabei, sagt Antonio Krüger, CEO des Deutschen Forschungszentrums für KI, im Interview mit meiner Kollegin Corinna Visser.

    Der Strompreis steigt – Analysten zufolge sogar stärker als der Gaspreis. Die Bundesbank vermutet, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr daher sinken wird. Die EU-Energieregulierungsbehörde ACER warnt aber noch vor einer anderen Entwicklung im Winter: Wenn an kalten Tagen viele Haushalte elektrische Heizgeräte hochdrehen statt der Gasheizung, könnte dies das Stromnetz überfordern und somit die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Genaueres dazu lesen Sie in den News.

    Damit wünsche ich einen guten Start in den Tag,

    Ihre
    Lisa-Martina Klein
    Bild von Lisa-Martina  Klein

    Analyse

    Verbrenner-Grenzwerte: Kommission will Euro-7-Vorschlag früher bringen

    Die Kommission will ihren Vorschlag für neue Schadstoffnormen für Autos, Lieferwagen, Lkw und Busse nun rund sechs Wochen früher vorlegen als zuletzt angekündigt. Die Pläne für eine verschärfte Abgasnorm (“Euro 7”) sollen am 12. Oktober kommen, wie aus der Liste des Generalsekretariats für die nächsten Kommissionssitzungen hervorgeht. Zunächst war der 30. November angepeilt.

    Damit wird die Kommission voraussichtlich ihren Vorschlag für die letzte Schadstoffregulierung für den Verbrennungsmotor bei Pkw und Lieferwagen überhaupt vorlegen. Das Aus für den Verbrennungsmotor bei Pkw und Lieferwagen ist für das Jahr 2035 vorgesehen. Das Interesse von Herstellern und Zulieferern an den Details ist groß. Sie wollen wissen, wie hoch die Kommission die Latte beim Ausstoß von Schadstoffen hängt. Für die Branche geht es um die Frage, wie viel Geld sie in die Abgasreinigung investieren muss, damit sie bis 2035 an der Verbrennertechnologie festhalten kann. Trägt das traditionelle Geschäftsmodell der Hersteller überhaupt noch bis 2035?

    Richtungsstreit in der Kommission

    Vor allem Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans, der für den Green Deal zuständig ist, hatte sich zunächst für eine drastische Verschärfung der Grenzwerte starkgemacht. Industriekommissar Thierry Breton, der auch die Interessen der französischen Hersteller im Blick hat, bremste.

    Die Kommission hatte ein Konsortium von Wissenschaftlern aus mehreren Ländern beauftragt, einen Vorschlag zu erarbeiten. Ende Oktober 2020 legte dann das sogenannte Clove-Konsortium der Kommission in einer internen Sitzung seinen Vorschlag vor. Als er wenige Tage später nach draußen drang, war das Echo verheerend. Der Vorschlag sah vor, die Grenzwerte für Stickoxide und Kohlenmonoxid radikal zu senken, auch bei Methan und Lachgas sollte der Ausstoß deutlich reduziert werden.

    Grenzwerte sollten ab dem Kaltstart gelten

    Besonders kritisiert wurde, dass die Fahrzeuge bei Tests im realen Fahrbetrieb auf der Straße bereits ab dem ersten Kilometer und unter Volllast am Berg sowie beim Ziehen von schweren Anhängern die neuen Grenzwerte einhalten sollten. Bei Euro 6 sind bei diesen Sondersituationen Ausnahmen vorgesehen.

    Die Hersteller fassten den Vorschlag als Generalangriff auf ihr Geschäftsmodell auf. Wenn diese Normen Gesetz würden, so die Voraussage vieler Branchenvertreter, müsse so viel in die Abgasreinigung investiert werden, dass sich die Produktion von Kleinwagen in Europa gar nicht mehr rechne und die Produktion von Premiumfahrzeugen deutlich weniger Gewinn abwerfe.

    Inzwischen hat offenbar ein Umdenken bei Timmermans eingesetzt. Grund dafür sei, dass sich inzwischen beide Co-Gesetzgeber – das Europa-Parlament sowie der Rat der 27 Umweltminister – auf 2035 als Enddatum für Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor festgelegt haben. Nun sei es nicht mehr nötig, die Transformation Richtung E-Mobilität auch noch über eine radikale Verschärfung der Schadstoffgrenzwerte für Verbrennungsmotoren zu beschleunigen, hört man.

    Die Hersteller hatten immer gewarnt: Wenn hohe Investitionen zur Erfüllung der Euro-7-Standards nötig werden, sei nicht mehr ausreichend Geld für die Umstellung auf E-Antriebe vorhanden. Es gibt inzwischen Hinweise darauf, dass sie mit diesen Argumenten bei der Kommission Gehör fanden. Beobachter rechnen damit, dass der Kommissionsvorschlag nunmehr Grenzwerte vorschlagen wird, die mit den vorhandenen Technologien machbar sind.

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    Termine

    24.08.2022 – 09:00-16:00 Uhr, Berlin/online
    BDE, Seminar Abfallnachweisverfahren (eANV) und Abfallnachweisführung
    Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) gibt einen Überblick zu den relevanten gesetzlichen Pflichten und Anforderungen an Erzeuger und Entsorger im Abfallnachweisverfahren. INFOS & ANMELDUNG

    24.08.2022 – 19:00-20:30 Uhr, online
    FNF, Vortrag Der Krieg in der Ukraine – Folgen für die Innere Sicherheit in Deutschland und Europa
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beleuchtet, wie Rechtsextremisten, andere Extremisten sowie Verschwörungsgläubige auf den Krieg Russlands reagieren und welche Konsequenzen das für die Innere Sicherheit hat. INFOS & ANMELDUNG

    25.08.2022 – 10:00-17:00 Uhr, Berlin
    iRights Lab, Konferenz Mit datengetriebenen Lösungen die Mobilität in ländlichen Räumen gestalten
    Das iRights Lab möchte passgenaue Lösungen für innovative Mobilität in ländlichen Regionen entwickeln. INFOS & ANMELDUNG

    25.08.2022 – 13:00-14:00 Uhr, online
    EEN, Seminar Horizont Europa: Wie screene ich einen Call?
    Das Enterprise Europe Network (EEN) erläutert, wie man die entscheidenden Inhalte eines Ausschreibungstextes erkennt und welche Förderkategorien es im EU-Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa gibt. INFOS & ANMELDUNG

    25.08.2022 – 18:00-19:00 Uhr, online
    FNF, Diskussion Krieg in Europa: Westbalkan, Ukraine, Georgien – Wer schafft den Sprung in die EU?
    Die Friedrich-Naumann-Stiftung (FNF) beschäftigt sich mit der Frage, was die Entscheidungen der europäischen Staats- und Regierungschefs aus dem Juni 2022 zum EU-Beitrittskandidatenstatus für die einzelnen Staaten und für die EU insgesamt bedeutet. INFOS & ANMELDUNG

    26.08.2022 – 19:00-20:30 Uhr, Brake
    KAS, Podiumsdiskussion Zeitenwende in der Bundeswehr? Wie ist der aktuelle Status Quo der Truppe?
    Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) diskutiert im Rahmen dieser Veranstaltung, wie der aktuelle Status Quo in der Bundeswehr aussieht und welche Änderungen durch das Sondervermögen in Aussicht gestellt werden. INFOS & ANMELDUNG

    29.08.2022 – 17:00-20:00 Uhr, Iserlohn
    BVMW, Podiumsdiskussion Digitalisierung im Mittelstand – Smarte Anwendungen für eine bessere Performance entlang der Wertschöpfungskette
    Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) stellt smarte Lösungen zur Digitalisierung des Mittelstands vor. INFOS & ANMELDUNG

    30.08.2022 – 12:30-16:00 Uhr, online
    BDI B7 Conference Sustainability Reporting
    The Federation of German Industries (BDI) discusses how to turn the global baseline of sustainability reporting standards into reality and how to ensure benefits for the real economy and the financial services sector. INFOS & REGISTRATION

    Antonio Krüger: “Die Regulierung darf Innovationen nicht abwürgen”

    Antonio Krüger ist CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. Im interview spricht er über die KI-Regulierung der EU.
    Antonio Krüger ist CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken.

    Herr Krüger, kann man einen noch so unerforschten Bereich wie KI in einer Verordnung regeln?

    Im Prinzip ist es eine gute Idee. Die Regulierung ist für Investitionen in bestimmte Arten von KI förderlich. So kann man den Markt in eine gewünschte Richtung lenken. Denn wir wollen keine chinesischen Verhältnisse.

    Was meinen Sie damit?

    Social Scoring, Überwachung, selektives Ausnutzen von KI-Techniken für bestimmte Gruppen – all das wollen wir nicht.

    Ist der Zeitpunkt richtig oder kommt die EU mit der Künstlichen Intelligenz-Verordnung zu früh oder zu spät?

    Wir sind noch vorne mit dabei. China hat gerade begonnen, eigene Vorstellungen über eine Regulierung zu entwickeln. Die USA tun sich eher schwer mit Regulierung und regeln Dinge eher über individuelle Gerichtsverfahren. Besser ist es, man hat einen guten Ordnungsrahmen. Deswegen ist es vernünftig, das jetzt zu tun.

    Stimmt der Ansatz?

    Ich finde es nicht schlecht, dass die EU mit Risikoklassen arbeitet. Das hat sich in anderen Feldern – wie etwa bei den Medizinprodukten – bewährt. Denn es gibt immer Bereiche, die sensibler sind als andere. Natürlich kommt es auf die Ausgestaltung an. Dabei darf die Regulierung Innovationen nicht abwürgen. Und das ist auch mein erster Kritikpunkt: Mir fehlt der Fokus darauf, innovative Ideen in der KI zu fördern. So ist es zum Beispiel wichtig, kleinen innovativen Firmen mehr Beinfreiheit zu geben.

    Warum brauchen kleine Unternehmen mehr Spielraum?

    Sonst besteht die Gefahr, dass sie bei so einem umfangreichen Regelwerk – und das wird es ja wohl werden – unter die Räder kommen. Große Unternehmen können sich große Rechtsabteilungen leisten, kleine nicht. Im schlimmsten Fall werden sie bei Verstößen von etablierten Unternehmen verklagt. Es ist in Ordnung zu sagen, wir wollen diesen Bereich regulieren. Aber an erster Stelle muss stehen, dass wir Innovationen in der EU fördern wollen. Das ist mir als Forscher ganz wichtig. Und bis jetzt steht das zu weit hinten.

    Was kritisieren Sie noch?

    Ich habe große Probleme mit den engen Definitionen zu KI-Systemen, die hier explizit benannt werden, und der Festlegung was ein KI-System ist und was nicht.

    Juristen kritisieren, dass die Definitionen viel zu ungenau sind.

    Das wundert mich nicht. Ich finde es allerdings besser zu fragen, was man schützen will. Das sind bestimmte Grundwerte. Und Systeme, die diese Grundwerte infrage stellen, die müssen reguliert werden. Eigentlich ist es doch vollkommen sekundär, welche KI-Technik unter der Motorhaube steckt. Wichtig ist, was dabei herauskommt. Wenn man dagegen KI-Systeme so genau definiert, dann wird es am Ende viele Streitereien und Schlupflöcher geben, weil jemand eine neue KI-Technik entwickelt hat und diese dann nicht unter die Regulierung fällt.

    Reicht es nicht, einen Annex für solche technischen Entwicklungen zu haben, der fortgeschrieben wird?

    Ich wäre eher dafür, die Regulierung vom Ende her zu denken und Risikoklassen, Anwendungsgebiete und Werte zu definieren, die man schützen möchte. Dann würden gewisse Lücken auch nicht entstehen. Neurosymbolische KI – also die Kombination verschiedener KI-Techniken – taucht zum Beispiel im Regelwerk gar nicht auf. Es wird immer Unternehmen geben, die die Regulierung umgehen wollen und wenn sie keine der definierten KI-Systeme nutzen, können sie tun, was sie wollen. Gleichzeitig ist es natürlich auch innovationshemmend, wenn man bereits eine Schere im Kopf hat, die den Einsatz bestimmter Techniken dann verhindert.

    Warum ist es innovationshemmend, wenn man nach neuen Lösungen sucht?

    Weil bestimmte erfolgversprechende Technologien dann nicht hier, sondern in anderen Teilen der Welt weiterentwickelt werden. Ich tue mich sehr schwer mit einer trennscharfen Definition von KI-Systemen. Hinzu kommt, dass KI sich unglaublich dynamisch entwickelt. Im Moment entstehen ganz neue Verfahren, die gar nicht unter die genannte Beschreibung fallen. Denken Sie nur an Quantencomputing. Ähnlich sieht es bei der Auflistung der Anwendungsgebiete aus. Im Prinzip ist das ok, aber auch hier muss der Regulierer sagen, wie er in diesen Gebieten für Innovationen sorgen und sie nicht nur verhindern will.

    Was schlagen Sie vor?

    Ich würde die ganze KI-Systematik streichen und viel mehr danach fragen: Was machen denn die Systeme? Beeinflussen sie die Autonomie des Einzelnen? Greifen sie sehr stark in Persönlichkeitsrechte ein? Die Beschreibung von Anwendungsgebieten und die Klassifizierung in Risikobereiche halte ich für gute Schritte, wenn auch einige zu genau und andere zu schwammig definiert sind. Aber hier wird sich sicher ein Kompromiss finden lassen.

    Zum Beispiel?

    Zum Beispiel im Bereich Social Scoring. Da haben die Regulierer wirklich vom Ende her gedacht: Systeme, die Menschen etwa anhand ihres sozialkonformen Verhaltens klassifizieren, sind als hochriskant eingestuft. Oder Systeme, die autonom Entscheidungen über kritische Infrastrukturen treffen. Das kann ich auch gut nachvollziehen. Aber da brauche ich keinen Satz darüber zu verlieren, wie sie gebaut sind. Wenn ein kritisches Sicherheitssystem anfängt zu würfeln, dann steckt garantiert kein KI-System hinter den Entscheidungen, aber das wollen Sie trotzdem ganz sicher regulieren. Was ich damit sagen will: Es können auch konventionelle Systeme in hochriskanten Bereichen zum Einsatz kommen, die womöglich schlechter arbeiten als KI-Systeme, aber nicht unter die Regulierung fallen.

    Das heißt, der wichtigste Punkt ist die Risikoklassifizierung?

    Ja, das würde ich so sehen. Es ist wichtig, dass das gut gemacht wird. Bei Unterstützungssystemen, bei denen der Mensch am Ende die Kontrolle behält, wäre ich deutlich entspannter als bei Systemen, die autonom handeln.

    Wie sollte die Abstufung konkret erfolgen?

    Ich würde das nicht nur an den Anwendungen, sondern auch daran fest machen, wie stark der Assistenzcharakter des Systems ist. Je stärker es sich einbringt, desto höher ist eventuell der Gewinn an Sicherheit und Komfort, aber auch das potenzielle Risiko. Aber es hängt natürlich auch vom Einsatzgebiet ab. Deswegen wird es wohl eine Mischung aus beiden Bereichen sein. Es gibt zum Beispiel diese absurde Diskussion über manipulative Techniken. Wir sind alle psychologischen Wesen, die sich beeinflussen lassen. Jede Werbung ist manipulatives Verhalten. Aber macht es wirklich einen Unterschied, ob ein KI-System dahintersteht oder uns auf andere Weise ein Produkt aufgedrängt wird? Und wie hoch ist andererseits der Schaden? Hier ist die Einstufung für mich noch zu unscharf. Auch hier hängt es sehr stark vom Einsatzgebiet ab.

    Finden Sie mit Ihren Einschätzungen Gehör in Brüssel?

    Wir bringen uns im Moment sehr stark über CLAIRE ein, den KI-Labornetzverband von Forschern und Anwendern, und auch über andere Verbände. Also, wir werden schon gehört und ich gehe davon aus, dass es noch Änderungen an der Verordnung geben wird.

    Antonio Krüger ist CEO und wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) sowie wissenschaftlicher Direktor des Forschungsbereichs “Kognitive Assistenzsysteme” am DFKI. Er ist ein international angesehener Experte der Mensch-Maschine-Interaktion und Künstlichen Intelligenz.

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    Bitkom zur Digitalstrategie: “Ambitionen sehen anders aus”

    Der Digitalverband Bitkom kritisiert den vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr vorgelegten überarbeiteten Entwurf der Digitalstrategie der Bundesregierung als nicht ehrgeizig genug. “Der neue Entwurf der Digitalstrategie enthält einige Verbesserungen im Vergleich zum ersten Aufschlag im Juli”, sagte Bitkom-Präsident Achim Berg. Positiv sei, dass es insgesamt mehr konkrete, teils sogar messbare Ziele gebe. Das gehe in die richtige Richtung, sollte aber Ansporn sein, noch mehr zu tun. “Dem Anspruch an den versprochenen digitalen Aufbruch wird der aktuelle Diskussionsstand noch immer nicht gerecht“, fügte Berg hinzu. “Der Geist aus den Sondierungsgesprächen, gemeinsam Großes zu erreichen, scheint verflogen.”

    Beispielhaft dafür stehe das Ziel, einen Platz in den Top 10 des europäischen Digitalindex DESI zu erreichen. Im aktuellen Index steht Deutschland auf Platz 13 (nach Platz elf im Jahr zuvor, Europe.Table berichtete). Das Ziel wäre also bereits mit einer Verbesserung um drei Plätze erreicht, kritisierte Berg. Deutschland hätte dann aber nach wie vor nur einen Platz im europäischen Mittelfeld. “Ambitionen sehen anders aus.” Dennoch sieht Berg in der Strategie das Potenzial, der Digitalpolitik in Deutschland “endlich eine klare Richtung zu geben”. Er forderte, dass auch die höchste politische Ebene der Digitalpolitik Aufmerksamkeit schenken müsse, um diese Strategie “zum Masterplan des digitalen Aufbruchs” zu machen.

    In dieser Woche beraten noch die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre über den Entwurf und bereiten ihn vor, damit das Kabinett die Digitalstrategie auf seiner Klausur am 31. August in Meseberg beschließen kann. Der überarbeitete Entwurf hat mit 50 Seiten bereits 20 Seiten mehr als der vorhergehende Entwurf im Juli.

    Berg forderte, dass die Chefinnen und Chefs der Ressorts in Sachen Digitalisierung die Ressortgrenzen überwinden und die Digitalstrategie zu einem Programm aus einem Guss weiterentwickeln. “Aktuell gleicht sie oft noch zu sehr einem Flickenteppich”, meint Berg und kritisiert außerdem, dass die digitalpolitischen Großprojekte der Ampelregierung wie die Schaffung eines Dateninstituts und die Einführung eines Digitalbudgets weiterhin im Ungefähren bleiben. vis

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    Analysten: Stromkrise übertrifft Gaskrise

    Der Strompreis hat gestern einen weiteren starken Sprung gemacht. Der Kurs für Base-Kontrakte für das kommende Jahr schloss gestern bei 637,75 Euro pro Megawattstunde und lag damit 14 Prozent über dem Preis vom Freitag. Zwischenzeitlich wurden an der EEX Preise von bis zu 710 Euro verzeichnet – ein Plus von 27 Prozent.

    Analysten machten für den erneuten Preissprung laut dem Dienst Montel die angekündigte dreitägige Wartung von Nord Stream 1 Ende August verantwortlich sowie Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, die Laufzeit der Kernkraftwerke nicht wegen des Gassparens zu verlängern.

    Laut den Energie-Analysten von Refinitiv ist der Strompreis seit Juli stärker gestiegen als der Gaspreis. “Europas Stromkrise übertrifft die Gaskrise”, betiteln die Experten einen Kommentar von Montag. Gaslieferungen für September wurden gestern am Handelspunkt TTF für bis zu 295 Euro gehandelt – ein Anstieg von 20,6 Prozent gegenüber Freitag. Die Bundesbank hält es wegen der ungünstigen Entwicklungen am Gasmarkt für wahrscheinlich, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland im Winterhalbjahr sinkt. ber/dpa

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    ACER besorgt über Heizlüfter

    Die Gaskrise könnte nach Ansicht der EU-Energieregulierungsbehörde ACER auch die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Ein großer Teil der Verbraucher in der EU könnte im Winter elektrische Heizgeräte einsetzen und dadurch den Strombedarf in die Höhe treiben, teilte die Behörde mit Sitz in Ljubljana am Freitag mit.

    Anlass könnten demnach die Rationierung von Gas sein oder staatliche Eingriffe in die Preisbildung, wodurch das Heizen mit Strom günstiger werden könnte als das Heizen mit Erdgas. Europas oberste Wächter über die Versorgungssicherheit baten deshalb den Verband der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E, in seinem kommenden Winter Supply Outlook ein Szenario zu modellieren, das die Risiken von elektrischen Heizgeräten für die Stromversorgung berechnet. Die Netzbetreiber sollen außerdem untersuchen, inwiefern eine Temperaturabsenkung an den elektrischen Heizgeräten die Situation entspannen könnte.

    Energie-Experten hatten bereits vor dem Kauf von Heizlüftern gewarnt, auch der Berliner Energieverband BDEW hatte sich vergangene Woche in einer Mitteilung besorgt gezeigt: “Schalten beispielsweise an einem kalten Winterabend gleichzeitig viele Haushalte in einem Stadtviertel ihre Heizlüfter an, könnte das die Netze schnell überfordern.”

    Die Aufforderung von ACER richtet sich nun aber an die Betreiber des Stromübertragungsnetzes, was als Indiz gewertet werden kann, dass sich die Probleme möglicherweise nicht nur auf einzelne lokale Verteilnetze beschränken. ENTSO-E erklärte auf Anfrage, es werde seinen Bericht zur Versorgungssicherheit am 1. Dezember vorlegen. “Der Winter Supply Outlook wird tatsächlich auch die Auswirkungen eines gestiegenen Strombedarfs analysieren”, teilte eine Sprecherin mit. Untersucht würden außerdem die Auswirkungen einer anhaltend niedrigen Verfügbarkeit von Kernkraftwerken. ber

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    Großteil der Gasumlage geht an zwei Unternehmen

    Ein Großteil der milliardenschweren Umlage zur Rettung von Gasimporteuren entfällt nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur auf zwei Unternehmen. Über 90 Prozent der 34 Milliarden Euro, die für die Gasumlage bis April 2024 anfallen, geht demnach an zwei Gashandelspartner mit Russland: Uniper und die bisherige Gazprom Germania.

    Uniper hatte in der vergangenen Woche erklärt, mehr als 50 Prozent der Umlage zu erhalten, allerdings ohne eine genaue Summe zu nennen. Dem Vernehmen nach sollen es etwa zwei Drittel sein. Weitere etwa 25 Prozent gehen demnach an Sefe (vormals Gazprom Germania) sowie deren Hauptvertragspartner Wingas und VNG. Die verbleibenden rund 8 Prozent der Umlagekosten entfallen den Angaben zufolge auf die übrigen acht Unternehmen. Von diesen acht Unternehmen hat RWE bereits öffentlich erklärt, auf die Umlage verzichten zu wollen.

    Insgesamt zwölf Unternehmen hätten Ansprüche geltend gemacht, teilte das Gemeinschaftsunternehmen der Gasnetzbetreiber, Trading Hub Europe (THE), am Montag auf seiner Internetseite mit. Neben Uniper, VNG, Wingas und Sefe seien das der Oldenburger Versorger EWE und OMV aus Österreich. Hinzu kämen die Unternehmen Gunvor, AXPO Solutions, DXT Commodities, ENET Energy, Vitol, und WIEH.

    Diese Liste stelle noch keinen geprüften Anspruch dar, erklärte THE. Die tatsächlichen Werte würden erst durch die weiteren monatlichen und testierten Werte in den Meldungen konkretisiert. “Diese können höher oder niedriger liegen. Der genannte Wert ist ein Prognosewert.”

    Die Umlage von 2,4 Cent pro Kilowattstunde soll ab Anfang Oktober greifen und Importeuren zugute kommen, die zu hohen Preisen Ersatz für ausbleibendes Gas aus Russland kaufen müssen. Ohne die Umlage hätte nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ein Zusammenbruch des deutschen Energie-Marktes mit noch höheren Gaspreisen gedroht. dpa/rtr

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    EU-Abgeordnete wollen Sanktionen gegen weitere Russen

    Europaabgeordnete fordern eine drastische Ausweitung von EU-Einreiseverboten gegen Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Krieges gegen die Ukraine. Es müssten zumindest die mehr als 6000 Personen mit Strafmaßnahmen belegt werden, die auf einer Liste der Stiftung des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny stünden, heißt es in einem am Montag an den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell verschickten Brief. Neben einem EU-Einreiseverbot sollten die Sanktionen auch das Einfrieren von Vermögen umfassen.

    Als Hintergrund der Forderung wird in dem Brief insbesondere die öffentliche Debatte über Russen genannt, die trotz des Krieges ihres Landes gegen die Ukraine Visa für Urlaubsreisen in der EU bekommen. Sie dürfte auch Thema bei einem informellen Treffen der EU-Außenminister in der kommenden Woche in Prag werden. Bislang stehen nach EU-Angaben 1214 Russen wegen der Unterstützung der Ukraine-Politik ihres Landes auf der EU-Sanktionsliste.

    Den Brief an Borrell haben nach Angaben des belgischen Europaabgeordneten Guy Verhofstadt insgesamt 48 Parlamentarier unterzeichnet. Aus Deutschland sind darunter die Vizepräsidentin des Parlaments, Nicola Beer (FDP), der Grünen-Politiker Sergey Lagodinsky sowie Damian Boeselager von der paneuropäischen Partei Volt und Martin Buschmann von der Tierschutzpartei. dpa

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    EU erwägt Ausbildungsprogramm für ukrainische Soldaten

    Angesichts des seit einem halben Jahr dauernden russischen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine erwägt die Europäische Union ein Programm zur Ausbildung der ukrainischen Streitkräfte. Dies kündigte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag am Rande einer Konferenz im nordspanischen Santander an.

    Die Verteidigungsminister der 27 EU-Mitgliedstaaten wollen bei einem Treffen am kommenden Montag in der tschechischen Hauptstadt Prag über die Pläne beraten. Borrell unterstützte das Vorhaben. “Es erscheint vernünftig, dass ein Krieg, der dauert und voraussichtlich weiter dauern wird, Anstrengungen nicht nur in Form von Materiallieferung, sondern auch in Form von Ausbildung sowie von Hilfe bei der Organisation der Streitkräfte erfordert”, sagte der frühere spanische Außenminister.

    Kurz vor dem russischen Überfall auf das Nachbarland hatten die EU-Außenminister bereits Pläne zur Ausbildung der militärischen Führungskräfte der Ukraine gebilligt. Diese sahen insbesondere eine Beratung der früheren Sowjetrepublik bei der Reform der Offiziersausbildung vor. Nach Angaben westlicher Militärs wurden in der Ukraine bis zuletzt noch russische Taktiken gelehrt. dpa

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    Krisenstab: Bulgarien will wieder bei Gazprom Erdgas kaufen

    Die bulgarische Übergangsregierung will wegen der Gasknappheit in dem EU-Land Erdgas auch beim russischen Staatskonzern Gazprom kaufen. “Offensichtlich werden wir Verhandlungen mit Gazprom führen müssen”, sagte Energieminister Rossen Hristow am Montag nach einer Tagung eines Krisenstabs im Energiebereich. Sofia wolle zudem wieder mit Aserbaidschan über Gaslieferungen verhandeln.

    Für September sei Bulgariens Gasbedarf voll gedeckt, für Oktober aber nur zum Teil, beschrieb Stab-Chef und Vize-Übergangsministerpräsident Hristo Aleksiew die Lage. Zudem müssten die Gaspreise für die “Bevölkerung und die Wirtschaft erträglich” sein. Anfang Oktober wird Bulgarien ein neues Parlament wählen.

    Das von russischen Energie-Trägern stark abhängige einstige Ostblockland erhält seit Ende April auf direktem Weg kein Gas aus Russland mehr. Gazprom hatte die Lieferungen trotz eines bis Ende 2022 laufenden Vertrags eingestellt, da die damalige prowestliche Regierung in Sofia Zahlungen in Rubel abgelehnt hatte. Die russische Botschafterin in Bulgarien, Eleonora Mitrofanowa, hatte erst am Sonntag erklärt, dass es “bei politischem Willen seitens Bulgarien keine Probleme” vor einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen geben werde.

    Die durch ein Misstrauensvotum im Juni gestürzte Regierung von Ministerpräsident Kiril Petkow hatte Lieferungen von Flüssiggas (LNG) aus den USA mit sieben Schiffen im Prinzip vereinbart. Die jetzige Übergangsregierung billigte allerdings am vergangenen Freitag nur eine dieser Lieferungen, da der Endpreis für bulgarische Verhältnisse zu hoch sei. Zudem habe Bulgarien für weitere LNG-Lieferungen keine Terminal-Plätze reserviert. dpa

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    Borrell: Irans Antwort zum Atomabkommen “vernünftig”

    Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte am Montag, die Antwort des Irans auf den jüngsten Vorschlag der EU für ein Atomabkommen mit den USA sei “vernünftig”.

    “Es gab einen Vorschlag von mir als Koordinator der Verhandlungen… und eine Antwort des Irans, die ich für vernünftig halte. Er wurde den Vereinigten Staaten übermittelt, die noch nicht offiziell geantwortet haben”, sagte er auf einer Universitätsveranstaltung in der nordspanischen Stadt Santander.

    Borrell bezog sich auf eine Antwort, die der Iran vergangene Woche auf den jüngsten Vorschlag der Europäischen Union zur Aktualisierung des Atomabkommens mit Teheran aus dem Jahr 2015 nach 16 Monaten indirekter amerikanisch-iranischer Gespräche übermittelt hatte. rtr

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    Presseschau

    Scholz und Trudeau sichern Ukraine dauerhafte Unterstützung zu ZEIT
    Krisenstab: Bulgarien will auch bei Russlands Gazprom Erdgas kaufen HANDELSBLATT
    Regierung: Großes Erdgasfeld südlich von Zypern entdeckt HANDELSBLATT
    Keine Klimaneutralität bis 2025: Kopenhagen gibt Klimaziel auf RND
    Französischer Minister will Privatjetflüge stärker regulieren SPIEGEL
    Nach Fischsterben: Lemke fordert Stopp des Oder-Ausbaus ZDF
    Switzerland: Glaciers have shrunk by half since 1930s – study DW
    Zypern hat Großteil von 7000 EU-Pässen illegal ausgestellt WELT

    Heads

    Mauricio Vargas – Analyst und Umweltaktivist

    Mauricio Vargas ist Ökonom und Finanzexperte bei Greenpeace Deutschland.
    Mauricio Vargas ist Ökonom und Finanzexperte bei Greenpeace Deutschland.

    Es sind durchwachsene Zeiten für Mauricio Vargas. Ende Juni sprach der Finanzexperte von Greenpeace noch von einem ermutigenden Signal. Die Mitglieder des Umwelt- und Wirtschaftsausschusses hatten sich gerade mehrheitlich gegen die Aufnahme von Gas- und Atomkraft in die EU-Taxonomie ausgesprochen, die Investitionen in grüne Energien ankurbeln soll.

    Knapp zwei Wochen später war klar: Das Signal ist ohne Wirkung geblieben. Am Ende kamen nicht genug Stimmen der EU-Parlamentarier zusammen, um die Erweiterung der EU-Taxonomie noch zu stoppen. Ab Januar kommenden Jahres können Investitionen in bestimmte Gas- und Atomkraftwerke in der Europäischen Union als klimafreundlich eingestuft werden. “Das wird es der Finanzindustrie erleichtern, bestehende Finanzprodukte einfach grün umzuetikettieren”, kritisiert Vargas.

    Weniger Grünfärberei in der Finanzwelt  

    Seit knapp zwei Jahren setzt sich der Volkswirt bei Greenpeace für eine grünere Finanzwelt ein. Vargas kritisierte unter anderem das klimaschädliche Bitcoin-Mining. “Jeder Bitcoin-Nutzer sollte sich fragen, ob Bitcoin es wert ist, die Stabilität unserer Ökosysteme zu riskieren”, mahnt er beispielsweise.

    Vargas attackierte auch die Europäische Zentralbank. Sie sei in Sachen Klimaschutz zu langsam und begünstige mit ihren Anleihekäufen kohlenstoffintensive Unternehmen. Zuletzt warb der 42-Jährige für einen Preisdeckel auf russische Gasimporte. Ähnlich wie bei einem Strafzoll würde das den Export nach Deutschland für Russland verteuern. Das Geld könne in einem Fonds gesichert und für den Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden, forderte der Umweltaktivist.

    Und jetzt die EU-Taxonomie: Die EU habe die Chance verpasst, glaubwürdige Mindeststandards für Finanzunternehmen zu schaffen, bemängelt er. Wohin das führen könne, habe gerade der Greenwashing-Verdacht bei der Deutschen-Bank-Tochter DWS gezeigt. Nach Vorwürfen, die Fondsgesellschaft vermarkte Finanzprodukte als zu grün, kam es im Juni dieses Jahres bei der Deutschen Bank und DWS zu Durchsuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.

    Vargas kennt die Finanzbranche gut: Er arbeitete selbst zehn Jahre lang bei einer Fondsgesellschaft, nachdem er in Tübingen Internationale Volkswirtschaftslehre studiert und im Anschluss zu Finanzstabilität und Währungskrisen in Entwicklungsländern und Schwellenländern promoviert hatte. 1,5 Jahre verbrachte er während seiner Studienzeit in Mexiko. Ein Land, zu dem Vargas auch einen persönlichen Bezug hat – er ist in Mexiko-Stadt geboren.

    Analysen für Kampagnen und Klagen

    Dass er die Perspektive eines weniger wohlhabenderen Landes kennenlernen durfte, das bereits mehrere schwere Wirtschaftskrisen erlebt hat, prägte den Volkswirt. 2020, nach zehn Jahren, kündigte er bei der Frankfurter Fondsgesellschaft, und begann bei Greenpeace. “Es hat lange an mir genagt, dass ich meinen Ansprüchen, was ich eigentlich bewirken will, nicht gerecht werden konnte”, sagt er.

    Heute spricht er von einem gelungenen “Seitenwechsel”, auch wenn sich inhaltlich nicht viel für ihn geändert hat. Er arbeitet weiterhin volkswirtschaftliche Analysen aus. Nur dass sie nicht mehr bei Investitionsentscheidungen helfen, sondern Vargas damit die politischen Forderungen der Umweltorganisation argumentativ unterfüttert. Für den Schritt “raus aus dem goldenen Käfig”, wie er es nennt, verzichtet er auf die Hälfte seines bisherigen Gehalts.

    Eine seiner wichtigsten Kampagnen, die er bisher bei der Umweltorganisation begleitet hat, war die zur EZB. Im vergangenen Jahr hat Greenpeace die Europäische Zentralbank (EZB) regelrecht belagert: Mal ließen sie Eis vor dem Gebäude symbolisch schmelzen, mal landeten sie mit Gleitschirmen auf dem Gelände der Zentralbank. Der Hauptvorwurf: Die EZB stecke Milliarden in klimaschädliche Energieunternehmen.

    Vargas selbst ist bei solchen Kampagnen meistens nicht vor Ort aktiv. Das übernehmen Ehrenamtliche, erzählt er. Aber er brieft die Aktivistinnen und unterstützt bei der Pressearbeit, mit Erfolg. Im Sommer vergangenen Jahres verkündete die EZB einen Kurswechsel: Ab Oktober will die Zentralbank immerhin 30 Milliarden Euro jährlich klimafreundlicher ausgeben.  

    Inzwischen ist auch klar, dass es bei der scharfen Kritik des Ökonomen an der EU-Taxonomie nicht bleiben wird: Greenpeace hat angekündigt, Klage einzureichen. Vorher stelle die Organisation bei der Kommission noch einen formellen Antrag auf interne Überprüfung. Sobald diese abgeschlossen ist und zu einem negativen Ergebnis führt, wollen die Umweltschützer vor den Europäischen Gerichtshof ziehen. Vargas und seine Kolleginnen und Kollegen werden die Klage koordinieren. Pauline Schinkels

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