Table.Briefing: Europe

E-Fuels: Druck auf Timmermans? + Kohleembargo greift + Kompromiss bei Öltransit

  • E-Fuels: Macht von der Leyen Druck auf Timmermans?
  • Übergangsfrist endet: EU darf keine Kohle aus Russland mehr beziehen
  • Slowakei meldet Kompromiss bei Transit von russischem Öl über Ukraine
  • UN erwarten steigende Getreideausfuhren aus Ukraine
  • Griechenland wird finanzpolitisch wieder Selbstbestimmung erlangen
  • EU will im Streit mit Polen um Geld hart bleiben
  • Ausschuss-Vorsitzende fordert härtere Gangart der EU gegen China
  • Presseschau
  • Russlands Gaslieferkürzungen werden die deutsche Wirtschaft nicht umbringen
Liebe Leserin, lieber Leser,

seit heute dürfen die EU-Staaten keine Kohle mehr aus Russland importieren. Das Kohleembargo, Teil des fünften Sanktionspakets der EU gegen Russland, greift und soll die russische Wirtschaft weiter finanziell schwächen. Um wie viele Milliarden es geht, lesen Sie in den News.

Die Gefahr, dass Russland seinerseits die Gaslieferungen nach Europa kürzt oder einstellt, ist nach wie vor real. Im Standpunkt erklärt Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies, warum die deutsche Wirtschaft Kürzungen besser überstehen könnte als viele andere europäische Länder. Denn Deutschland importiere zwar viel Erdgas, agiere aber sparsamer.

Das Verbrenner-Aus 2035 ist vom EU-Parlament bereits seit Längerem beschlossen, auch die Umweltminister haben sich – mit Hintertürchen – auf den Vorschlag der EU-Kommission geeinigt. Das Hintertürchen heißt synthetischer Kraftstoff bzw. E-Fuels und ermöglicht die Zulassung von Pkw mit Verbrennermotoren über 2035 hinaus, wenn die E-Fuels klimaneutral hergestellt wurden. Nicht nur die Umweltminister wünschen sich dieses Hintertürchen, auf Bundesebene soll sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz dafür einsetzen- in Absprache mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mein Kollege Markus Grabitz analysiert, was dahinter steckt.

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Analyse

E-Fuels: Macht von der Leyen Druck auf Timmermans?

Gibt es eine Absprache zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz zum Einsatz von synthetischen Kraftstoffen bei Autos? Davon wird zumindest in Berlin berichtet. Demnach habe sich Scholz bei seiner ehemaligen Kabinettskollegin und jetzigen Kommissionschefin dafür eingesetzt, dass die Kommission zeitnah einen regulatorischen Vorschlag für die sogenannten E-Fuels im Individualverkehr macht.

Hintergrund ist die Einigung der Umweltminister der 27 EU-Länder zum Vorschlag der EU-Kommission, ab 2035 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen (Europe.Table berichtete). Der Umweltrat hatte am 28. Juni die allgemeine Ausrichtung vorgenommen und grünes Licht zum Ende für den Verbrennungsmotor seitens der Länderkammer gegeben.

EU-Parlament hat Verbrennerverbot auch beschlossen

Zuvor hatte das EU-Parlament mit großer Mehrheit dies ebenso beschlossen (Europe.Table berichtete). Auf Druck von Italien und mehreren osteuropäischen Ländern hatten die Umweltminister aber darüber hinaus ein Fenster für synthetische Kraftstoffe geöffnet (Europe.Table berichtete). Es wurde die Formulierung aufgenommen: “Die Kommission wird einen Vorschlag machen, wie auch nach 2035 Fahrzeuge angemeldet werden können, die mit CO2-freien Kraftstoffen betrieben werden.” Die Formulierung enthält noch den Zusatz, dass dies “außerhalb der Systematik der CO2-Flottengesetzgebung” geschehen werde.

Damit hat zumindest das Gremium der EU-Mitgliedstaaten den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen bei Pkw und Lieferwagen über das Jahr 2035 hinaus in Aussicht gestellt. Klar ist aber: Das EU-Parlament als Co-Gesetzgeber hatte E-Fuels abgelehnt. Es bleibt also abzuwarten, ob die Mitgliedstaaten dem Verhandlungsführer des Parlaments im Trilog, der ab Herbst unter tschechischer Ratspräsidentschaft verhandelt wird, die Zustimmung abtrotzen kann.  

FDP hatte sich für synthetische Kraftstoffe in der EU eingesetzt

Die FDP, die im Bundestagswahlkampf massiv für den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen geworben hatte, wertete gleichwohl diese Formulierungen als einen Sieg in eigener Sache. Damit sei klar, dass auch nach 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden könnten, wenn sie denn mit synthetischen Kraftstoffen fahren. Synthetische Kraftstoffe werden unter dem Einsatz von Wasserstoff als Energieträger hergestellt und sind nahezu klimaneutral, wenn der Wasserstoff mit Sonnen- oder Windenergie gewonnen wird. Synthetische Kraftstoffe werden in einer Raffinerie zu Benzin, Diesel oder auch Flugbenzin verarbeitet und können bereits heute von allen Verbrennungsmotoren benutzt werden.

Welches Gewicht hat die Formulierung der Umweltminister? Tatsache ist, dass es sich dabei lediglich um einen sogenannten Erwägungsgrund (“recital”) handelt. Erwägungsgründe in einem Gesetzestext sind nicht “rechtlich bindend”. Der Vize der EU-Kommission, Frans Timmermans, setzt voll auf die batterieelektrische Lösung bei der Verkehrswende und will unbedingt den Einsatz von E-Fuels bei Autos vermeiden. Timmermans hat bereits zu erkennen gegeben, dass für ihn das Verbrennerverbot 2035 nicht mehr debattiert wird. Er habe auch nicht vor, einen Vorschlag zu synthetischen Kraftstoffen zu machen, teilte er nach dem Umweltrat mit.

Kanzleramt für E-Fuels?

An dieser Stelle kommt Olaf Scholz ins Spiel. Wie in Berlin zu hören ist, liege dem Bundeskanzler das Thema am Herzen und er habe sich bei der Kommissionspräsidentin dafür eingesetzt, dass der Vorstoß der Kommission zeitnah kommen möge. Von der Leyen soll, so heißt es, Zustimmung signalisiert haben.

Klar ist: Für die Befürworter von E-Fuels drängt die Zeit, wenn der Vorschlag von den Co-Gesetzgebern Parlament und Rat noch im Laufe des Trilogs berücksichtigt werden soll. Auf lange Verhandlungen muss man sich da nicht einstellen. Bis auf die Frage der synthetischen Kraftstoffe sind sich beide Seiten weitgehend einig. Das Verbrennerverbot könnte also im Herbst bei ein oder zwei Trilog-Sitzungen festgeschrieben werden – offen ist, ob und mit welcher Formulierung zu E-Fuels.

Die Formulierung der Umweltminister ist aus Sicht der Fans von synthetischen Kraftstoffen allerdings auch eine Ernüchterung. Heißt es doch da, dass die Regelung für E-Fuels “außerhalb der Systematik der CO2-Flottenregulierung” stattfinden soll. Damit wären die Hoffnungen mancher Autohersteller zunichte, dass ab 2035 Autos mit Verbrennungsmotor, die mit E-Fuels betrieben werden, genauso behandelt werden wie E-Autos.

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) geht bekanntlich sogar noch einen Schritt weiter. Sie versteht die Passage, die ähnlich auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht, so, dass lediglich Sonderfahrzeuge wie Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr mit E-Fuels betrieben werden dürfen.

  • Autoindustrie
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News

Übergangsfrist endet: EU darf keine Kohle aus Russland mehr beziehen

Die EU-Staaten dürfen von diesem Donnerstag an keine Kohle mehr aus Russland importieren. Um Mitternacht endet die Übergangsperiode für das Kohle-Embargo gegen Russland, das die EU-Staaten als Teil des fünften Sanktionspakets im April beschlossen haben (Europe.Table berichtete). Damit sich die Industrie auf das Einfuhrverbot einstellen konnte, haben sich die Länder damals auf eine Übergangsfrist von 120 Tagen geeinigt.

Ziel des Importstopps ist es, die russische Wirtschaft vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine weiter zu schwächen. Nach Angaben der EU-Kommission im April könnte das Kohle-Embargo ein Minus von rund acht Milliarden Euro pro Jahr für Russland bedeuten.

Mit dem Kohle-Embargo sanktionierte die EU erstmals Energielieferungen aus Russland. In einem späteren Sanktionspaket einigten sich die EU-Länder zudem darauf, russische Öllieferungen weitgehend zu verbieten, um den Druck auf Moskau weiter zu erhöhen. Dies soll jedoch erst ab Ende des Jahres gelten, mit Ausnahmen für einige besonders abhängige Länder wie Ungarn, die weiterhin Pipeline-Lieferungen aus Russland erhalten dürfen. dpa

  • Energie
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Slowakei meldet Kompromiss bei Transit von russischem Öl über Ukraine

Der seit einigen Tagen unterbrochene Transit von russischem Öl über die Pipeline Druschba (Freundschaft) nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei könnte bald erneuert werden. Der Sprecher der slowakischen Raffinerie Slovnaft, Anton Molnar, teilte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur mit, sowohl die Ukraine als auch Russland hätten einem Kompromissvorschlag zugestimmt. Demnach würden die ungarische Raffineriefirma MOL und ihre Slowakei-Tochter Slovnaft vorerst die Transitgebühren an die Ukraine bezahlen. Slovnaft habe eine erste Zahlung bereits überwiesen, erklärte Molnar.

Öltransit über die Nordroute der Druschba-Pipeline läuft weiter

Der russische Pipeline-Monopolist Transneft hatte am Dienstag für den Lieferstopp die Ukraine verantwortlich gemacht (Europe.Table berichtete). Das ukrainische Unternehmen Ukrtransnafta habe das Durchpumpen von Öl nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei über den Südstrang der Pipeline Druschba am 4. August um 6.10 Uhr morgens vollständig gestoppt.

Das hänge mit Zahlungsproblemen zusammen: Die Ukraine fordere für die Durchleitung russischen Öls Vorkasse, doch von Transneft getätigte Zahlungen seien wegen neuer europäischer Sanktionen zurückgewiesen worden. Über die Nordroute der Druschba, die durch Belarus und Polen bis nach Deutschland führt, werde hingegen weiter geliefert. dpa

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  • Europapolitik
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UN erwarten steigende Getreideausfuhren aus Ukraine

Nach dem Getreide-Deal zwischen Moskau und Kiew erwarten die Vereinten Nationen steigende Ausfuhren aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Eine Reihe von Schiffen würden momentan auf die Genehmigung zur Fahrt in Richtung der ukrainischen Häfen warten “und wir erwarten einen großen Aufwärtstrend bei den Anträgen für den Transit”, sagte der UN-Koordinator für die Ausfuhren, Frederick Kenney, am Mittwoch in New York. Am Mittwoch habe es mit insgesamt fünf vertragsmäßig inspizierten Schiffen einen neuen Höchststand gegeben.

Im Juli hatten die Kriegsparteien Ukraine und Russland Abkommen mit der Türkei und den UN für den Export von Agrarprodukten und Dünger (Europe.Table berichtete) aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen abgeschlossen. Ein Dutzend Schiffe haben seitdem die Häfen Tschornomorsk, Odessa und Piwdennyj mit über 370.000 Tonnen Fracht verlassen (Europe.Table berichtete). Russland hatte nach seinem Angriff auf die Ukraine Ende Februar die ukrainischen Häfen blockiert. Die Ukraine wiederum hatte die Hafenzufahrten aus Furcht vor einer russischen Invasion vermint.

Alleinige Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine sicherstellen

Kenney sagte am Mittwoch weiter, dass es bislang keine Vorfälle gegeben habe, die die Sicherheit von Schiffen gefährdeten. Auch habe es bei den Durchsuchungen der Schiffe keine Auffälligkeiten gegeben. Die Inspektionen in der Türkei sollen sicherstellen, dass keine Waffen in die Ukraine gebracht oder andere Güter außer Getreide ausgeführt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern Russlands und der Ukraine ist Kenney zufolge konstruktiv: “Ich war sehr beeindruckt von dem Grad an Zusammenarbeit und Koordination, der gezeigt wurde.” Es gebe einen großen Respekt unter den Expertinnen und Experten im gemeinsamen Kontrollzentrum in Istanbul (Europe.Table berichtete), “egal woher sie kommen”. dpa

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Griechenland wird finanzpolitisch wieder Selbstbestimmung erlangen

Griechenland soll ab dem 20. August erstmals seit der Schuldenkrise nicht mehr verstärkt von der EU-Kommission überwacht werden. Dies teilte der griechische Finanzminister Christos Staikouras am Mittwoch in Athen mit. Die Entlassung aus der Kuratel sei neben den Finanzministern der Euroländer nun auch vom zuständigen Finanzkommissar Paolo Gentiloni genehmigt worden, so Staikouras weiter.

Damit gehe eine sehr schwierige Zeit zu Ende. Griechenland habe den Großteil der verlangten Reformen erfolgreich umgesetzt, fügte der Athener Finanzminister hinzu. Das Land habe die Verpflichtungen, die es 2018 eingegangen ist, erfüllt und wirksame Reformen durchgeführt, kommentiert die Europäische Kommission. Durch die wirtschaftliche Erholung seien die Risiken von Spillover-Effekten auf die Wirtschaft des Euroraums deutlich gesunken und eine verstärkte Überwachung nicht mehr gerechtfertigt.

Griechenland ab 2010 in schwerer Finanzkrise

Griechenland durchlief ab 2010 eine schwere Finanzkrise und musste in der Folge auf Druck seiner Gläubiger harte Sparmaßnahmen umsetzen. Die Griechen verloren dabei rund 25 Prozent ihres Einkommens. Seit 2018 steht Athen finanziell zunehmend auf eigenen Beinen. Im August desselben Jahres wurde die verstärkte Überwachung gestartet, nachdem Griechenland ein Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erfolgreich abgeschlossen hatte.

Eine Tranche der im Juni 2018 vereinbarten Schuldenerleichterungsmaßnahmen steht laut EU-Kommission noch aus. Die Eurogruppe werde auf Grundlage eines Berichts zur Post-Programm-Überwachung (PPS) darüber entscheiden. Der Bericht soll im November 2022 erscheinen und die noch ausstehenden Reformverpflichtungen überwachen. dpa/luk

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  • Griechenland
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EU will im Streit mit Polen um Geld hart bleiben

Trotz der Drohungen Polens, es könnte die Entscheidungsfindung innerhalb der EU blockieren, wird Brüssel voraussichtlich nicht von seiner Forderung abrücken, dass Polen die Rechtsstaatlichkeit respektieren muss, um Gelder für den Wiederaufbau nach der Pandemie zu erhalten. Das sagten EU-Beamte am Mittwoch.

Polen hätte Anspruch auf 24 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden an sehr günstigen Krediten aus dem Fonds, der den Mitgliedstaaten helfen soll, grüner und digitaler zu werden, während sich ihre Wirtschaft erholt. Die Gelder sind jedoch eingefroren (Europe.Table berichtete), weil Polens regierende PiS-Partei die in den vergangenen sieben Jahren eingeführten Änderungen im Justizwesen nicht rückgängig machen will, obwohl der Oberste Gerichtshof der EU sie für unvereinbar mit den EU-Verträgen erklärt hat.

Angesichts der bevorstehenden Wahlen im nächsten Jahr haben der Vorsitzende der nationalistischen und eurokritischen PiS (Europe.Table berichtete), Jaroslaw Kaczynski, und andere hochrangige Parteifunktionäre ihre EU-kritische Rhetorik verschärft und darauf bestanden, dass Polen keine Zugeständnisse machen wird.

EU-Beamter: Spielraum für Kompromisse mit Polen

PiS-Sprecher Radoslaw Fogiel sagte am Mittwoch im Radiosender Wnet, dass die EU-Exekutive kein Mitspracherecht in Justizangelegenheiten habe und ihre Entscheidung, Polens Gelder einzufrieren, politisch sei. “Polen wird seine Rechte sehr strikt anwenden und gleichzeitig sehr genau darauf achten, dass die Europäische Kommission nicht in Bereiche vordringt, für die sie laut Vertrag nicht zuständig ist”, sagte er.

Warschau droht damit, Entscheidungen der EU in Bereichen zu blockieren (Europe.Table berichtete), in denen Einstimmigkeit erforderlich ist: Außen- und Sicherheitspolitik, Steuern oder Finanzen. Die polnische Regierung hat bereits zu Beginn dieses Jahres die Annahme der weltweit vereinbarten Mindestkörperschaftssteuer durch die EU vorübergehend blockiert. Doch diese Rhetorik hat die EU bisher nicht beeindruckt. “Die Kommission ist nicht sehr besorgt über solche Drohungen”, sagte ein hochrangiger EU-Beamter und fügte hinzu, dass die PiS “den Begriff ‘Feind’ für die Wahlen testet”.

“Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission ihre Anforderungen senken wird, die ohnehin eher minimalistisch sind und mit der polnischen Regierung vereinbart wurden”, so der Beamte weiter. Ein zweiter hochrangiger EU-Beamter sagte, dass es zwar einen gewissen Spielraum für Kompromisse gebe, die Werte der EU jedoch gewahrt werden müssten. “Die Initiative liegt jetzt auf polnischer Seite, ich sehe nicht, welche Initiative die EU in diesem Stadium ergreifen könnte”, sagte der Beamte. rtr

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  • Polen
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Ausschuss-Vorsitzende fordert härtere Gangart der EU gegen China

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Renata Alt, fordert von der Bundesregierung und der Europäischen Union eine härtere Gangart in den Beziehungen zu China. “Wenn wir noch ernst genommen werden wollen international, dann ist es wichtig, dass wir klar Position beziehen”, sagte die FDP-Abgeordnete in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. “Deutschland muss unabhängiger von China werden“, sagte Alt. “Die Zusammenarbeit mit China muss überdacht werden, und notfalls müsste man über personenbezogene Sanktionen nachdenken, allein wegen der Menschenrechtslage.”

Eine für Oktober geplante Reise von Mitgliedern des Bundestags-Ausschusses nach Taiwan verteidigte Alt. “Ich teile die Sorge, dass der Termin wegen des Besuchs von US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi vielleicht nicht so günstig ist”, räumte sie zwar ein. “Aber ich rate davon ab, sich an der aggressiven Rhetorik Chinas zu orientieren. Wir sind ein unabhängiges Land, wir sind unabhängige Abgeordnete. Wenn wir Taiwan besuchen wollen, dann ist das zu respektieren.” Der Besuch von Pelosi in Taiwan in der vergangenen Woche hatte den Konflikt um die auf Unabhängigkeit pochende Insel massiv verschärft, die China als Teil des eigenen Staatsgebiets und abtrünnige Provinz ansieht.

Demokratie in Taiwan: Deutschland muss klare Signale senden

Allerdings stehe der Besuch der Abgeordneten aus Deutschland in Taiwan noch nicht definitiv fest, sagte Alt. Der entsprechende Antrag bei der Bundestagspräsidentin werde in der Sitzungswoche Anfang September gestellt. Man müsse dann aber auch abwarten, wie sich die Corona-Pandemie in Taiwan entwickele.

“Von der Reise soll das Signal ausgehen, dass wir uns für die Unabhängigkeit Taiwans und die Demokratie dort einsetzen“, sagte Alt. Sie habe sich “immer geärgert über die lasche und schwache Außenpolitik unter Kanzlerin Angela Merkel, Deutschland und die EU hätten rechtzeitig klare Signale aussenden sollen, das gilt auch für Russland”. Die westliche Welt müsse aufpassen, dass die Regierung in Peking das russische Vorgehen in der Ukraine nicht als “Blaupause” für Taiwan benutze. rtr/nib

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Presseschau

Umstrittener Notfall-Energiesparplan tritt in Spanien in Kraft EURACTIV
Britain draws up plans to keep lights on this winter FT
Bund will Bevölkerung mit Trinkwasserbrunnen schützen WELT
EU-Embargo für russische Kohle tritt in Kraft EURONEWS
Griechischer Premier gerät in Bespitzelungsaffäre in Erklärungsnot HANDELSBLATT
Chatkontrolle: “Kennen wir ansonsten nur aus autoritären Staaten” SUEDDEUTSCHE
Fluggastrechte in der EU: Novelle könnte mehr Raum für Ausflüchte der Airlines schaffen SPIEGEL
Hunderte Scheinehen im Zusammenhang mit Brexit WELT
Griechenland wird finanzpolitisch wieder Selbstbestimmung erlangen NAU
Deutschland will noch im August Geflüchtete aus Italien aufnehmen ZEIT

Standpunkt

Russlands Gaslieferkürzungen werden die deutsche Wirtschaft nicht umbringen

von Daniel Gros
Daniel Gros, Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow des Centre for European Policy Studies (CEPS), schreibt über die Kürzung von Gas-Lieferungen Russlands an Deutschland.
Daniel Gros ist Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow am Centre for European Policy Studies.

Die herkömmliche Ansicht über die aufgrund reduzierter Liefermengen aus Russland ausgelöste Gaskrise in Europa beruht zu einem Gutteil auf zwei Annahmen: dass nämlich die Wirtschaft in Deutschland auf billiges Gas aus Russland angewiesen ist und dass diese Rechnung in spektakulärer Weise nicht aufgegangen ist. Doch obwohl die deutsche Industrie stark ist und das Land viel Erdgas aus Russland importiert, spricht ein genauerer Blick auf die Zahlen und die wirtschaftlichen Zusammenhänge gegen diese vorherrschende Sichtweise.

Zunächst einmal spielt Erdgas keine so große Rolle, dass es die treibende Kraft hinter einer Industriewirtschaft sein könnte. Im Jahr 2019 bezahlte Deutschland für die Gasimporte via Pipeline 30 Milliarden Dollar – das entspricht nur 0,75 Prozent seines BIP – und der Gesamtwert des deutschen Gasverbrauchs lag unter 2 Prozent des BIP. Diese bescheidenen Anteile präsentieren sich in allen Industrieländern ähnlich und deuten darauf hin, dass billige Gasimporte höchstwahrscheinlich kein wesentlicher Wachstumsfaktor sind. Und obwohl der Gasverbrauch in Deutschland und den meisten westeuropäischen Ländern in den letzten zwei Jahrzehnten stagnierte, wuchs die Wirtschaft – wenn auch langsam.

Auch das Argument, Deutschland hätte von billigem Gas aus Russland möglicherweise stärker profitiert als andere Länder, wird durch die Zahlen nicht untermauert. Im Jahr 2019 entfielen lediglich etwa 2,3 Prozent des weltweiten Erdgasverbrauchs, aber 4,5 Prozent des weltweiten BIP auf Deutschland. Deutschlands Gasintensität pro BIP-Einheit beträgt somit etwa die Hälfte des weltweiten Durchschnitts und liegt damit deutlich unter dem entsprechenden Wert der Vereinigten Staaten und vieler anderer Industrieländer, darunter Japan und Südkorea.

Industrie in Deutschland zahlt mehr für Gas aus Russland

Die europäischen Volkswirtschaften (Europe.Table berichtete) gehen mit Energie tendenziell sparsamer um als der Rest der Welt. Aber selbst innerhalb Europas schneidet Deutschland mit einem geringeren Gasverbrauch pro BIP-Einheit besser ab als andere große europäische Volkswirtschaften wie Italien und Spanien. Das ist durchaus überraschend, da diese beiden Mittelmeerländer im Winter viel weniger heizen müssen (und Klimaanlagen im Sommer deutlich weniger Strom benötigen als Heizungen). Nur Frankreich mit seinem großen Kernkraftwerkssektor (Europe.Table berichtete) ist weniger abhängig von Gas.

Ein ähnliches Bild ergibt sich aus damit zusammenhängenden Kennzahlen wie dem Wert der Energieimporte als Prozentsatz des BIP oder dem Gasverbrauch für industrielle Zwecke als Anteil an der industriellen Wertschöpfung. All diese Indikatoren zeigen, dass die deutsche Wirtschaft Energie weniger intensiv nutzt als die meisten anderen (Europe.Table berichtete).

Die Vorstellung, wonach die deutsche Industrie durch den Zugang zu billigem Gas aus Russland (Europe.Table berichtete) einen Vorteil erlangt hätte, lässt die Tatsache außer Acht, dass es einen europäischen Gasmarkt gibt, auf dem die Unterschiede zwischen den Großhandelspreisen der einzelnen Länder bisher nur gering sind. Man könnte natürlich anführen, dass Russland seine Energie billig an Deutschland verkauft hat, um das Land in die Abhängigkeit zu treiben. Allerdings widerlegen die Daten die gängige Wahrnehmung, dass Deutschland billiges Gas erhält.

In den vergangenen zehn Jahren hat die deutsche Industrie etwa 10 Prozent mehr für Erdgas bezahlt als ihre Konkurrenz in den anderen großen Volkswirtschaften Europas. Dank der Versorgung aus der Nordsee bezahlten britische Industrieunternehmen sogar noch weniger als ihre Konkurrenz auf dem Kontinent, aber das scheint ihnen auch nicht viel gebracht zu haben.

Rasantes Ausbautempo bei Flüssiggas

Implizit lässt das die Vermutung aufkommen, dass sich Russland fast ohne Kosten einen nichtwirtschaftlichen Vorteil verschafft hat (durch die deutsche Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen). Im Umkehrschluss bedeutet es, Deutschland musste einen Verlust an Energieunabhängigkeit hinnehmen (Europe.Table berichtete), ohne einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen.

Die einzige große Ökonomie, die sowohl energieintensiv wirtschaftet als auch über billiges Erdgas verfügt, sind die Vereinigten Staaten. Der Durchschnittsbürger in den USA verbraucht mehr als doppelt so viel Erdgas wie sein europäisches Pendant – nämlich 25 Megawattstunden pro Jahr in den USA, verglichen mit etwa 10 Megawattstunden in den europäischen Ländern.

Außerdem lagen die Erdgaspreise in den USA über die meiste Zeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwas unter den entsprechenden Preisen in Deutschland oder der EU und betragen heute nur einen Bruchteil der europäischen Preise, da diese um einen Faktor fünf gestiegen sind, wohingegen sich die US-Preise kaum verändert haben. Trotz dieses Kostenvorteils hat die verarbeitende Industrie in den USA – und im Vereinigten Königreich – jedoch kein besonders starkes Wachstum verzeichnet.

Sich an eine Welt ohne russisches Gas anzupassen, ist für Europa natürlich durchaus ein Problem. Doch obwohl Deutschland in dieser Hinsicht stärker gefährdet zu sein scheint, weil es einen großen Teil seines Gases aus Russland bezieht, kann sich das schnell ändern. Deutschland baut in Rekordzeit neue Kapazitäten im Bereich Regasifizierung auf, um den Import jener Mengen an verflüssigtem Erdgas zu ermöglichen, die benötigt werden, um die aufgrund der reduzierten russischen Liefermengen und der Inlandsnachfrage entstandene Lücke zu schließen, wobei anzumerken ist, dass diese Nachfrage wegen der hohen Preise bereits sinkt.

In Konkurrenz mit Asien

Sobald diese Importkapazitäten aufgebaut sind, wird sich Deutschland in der gleichen Situation befinden wie seine europäischen Nachbarn, die sich ebenfalls um verflüssigtes Erdgas bemühen müssen. Die Preise werden wahrscheinlich noch einige Zeit hoch bleiben. Doch aufgrund seiner unter dem EU-Durchschnitt liegenden Energieintensität, sollte Deutschland in der Lage sein, die Belastung etwas besser zu verkraften als Italien, Spanien und einige osteuropäische Länder. Frankreich wird freilich weitaus weniger betroffen sein, zumindest wenn seine Kernreaktoren ihre volle Leistung wieder aufnehmen können.

Auch das weltweite Gesamtbild sollte nicht aus den Augen verloren werden. Werden große Mengen an russischem Gas aus dem Verkehr gezogen (das wird passieren, wenn Europa in Russland nichts mehr kauft), werden die weltweiten Gaspreise steigen und das betrifft auch asiatische Länder, weil sie mit Europa um verflüssigtes Erdgas konkurrieren. Südkorea und Japan weisen eine höhere Energieintensität als Europa auf, und selbst China importiert große Mengen an verflüssigtem Erdgas, und zwar zu einem ähnlichen Preis wie die europäischen Länder.

Teure Energie, insbesondere Erdgas, stellt für alle energieimportierenden Industrieländer eine schwierige wirtschaftliche und politische Herausforderung dar. Nur die USA und einige andere kleinere Energieerzeuger wie Norwegen, Kanada und Australien profitieren von dieser Situation. Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass Deutschland besser in der Lage ist, diese Krise zu überstehen als die meisten seiner wichtigsten Konkurrenten.

In Zusammenarbeit mit Project Syndicate, aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    seit heute dürfen die EU-Staaten keine Kohle mehr aus Russland importieren. Das Kohleembargo, Teil des fünften Sanktionspakets der EU gegen Russland, greift und soll die russische Wirtschaft weiter finanziell schwächen. Um wie viele Milliarden es geht, lesen Sie in den News.

    Die Gefahr, dass Russland seinerseits die Gaslieferungen nach Europa kürzt oder einstellt, ist nach wie vor real. Im Standpunkt erklärt Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies, warum die deutsche Wirtschaft Kürzungen besser überstehen könnte als viele andere europäische Länder. Denn Deutschland importiere zwar viel Erdgas, agiere aber sparsamer.

    Das Verbrenner-Aus 2035 ist vom EU-Parlament bereits seit Längerem beschlossen, auch die Umweltminister haben sich – mit Hintertürchen – auf den Vorschlag der EU-Kommission geeinigt. Das Hintertürchen heißt synthetischer Kraftstoff bzw. E-Fuels und ermöglicht die Zulassung von Pkw mit Verbrennermotoren über 2035 hinaus, wenn die E-Fuels klimaneutral hergestellt wurden. Nicht nur die Umweltminister wünschen sich dieses Hintertürchen, auf Bundesebene soll sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz dafür einsetzen- in Absprache mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Mein Kollege Markus Grabitz analysiert, was dahinter steckt.

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    Hintergrund ist die Einigung der Umweltminister der 27 EU-Länder zum Vorschlag der EU-Kommission, ab 2035 keine Neufahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen (Europe.Table berichtete). Der Umweltrat hatte am 28. Juni die allgemeine Ausrichtung vorgenommen und grünes Licht zum Ende für den Verbrennungsmotor seitens der Länderkammer gegeben.

    EU-Parlament hat Verbrennerverbot auch beschlossen

    Zuvor hatte das EU-Parlament mit großer Mehrheit dies ebenso beschlossen (Europe.Table berichtete). Auf Druck von Italien und mehreren osteuropäischen Ländern hatten die Umweltminister aber darüber hinaus ein Fenster für synthetische Kraftstoffe geöffnet (Europe.Table berichtete). Es wurde die Formulierung aufgenommen: “Die Kommission wird einen Vorschlag machen, wie auch nach 2035 Fahrzeuge angemeldet werden können, die mit CO2-freien Kraftstoffen betrieben werden.” Die Formulierung enthält noch den Zusatz, dass dies “außerhalb der Systematik der CO2-Flottengesetzgebung” geschehen werde.

    Damit hat zumindest das Gremium der EU-Mitgliedstaaten den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen bei Pkw und Lieferwagen über das Jahr 2035 hinaus in Aussicht gestellt. Klar ist aber: Das EU-Parlament als Co-Gesetzgeber hatte E-Fuels abgelehnt. Es bleibt also abzuwarten, ob die Mitgliedstaaten dem Verhandlungsführer des Parlaments im Trilog, der ab Herbst unter tschechischer Ratspräsidentschaft verhandelt wird, die Zustimmung abtrotzen kann.  

    FDP hatte sich für synthetische Kraftstoffe in der EU eingesetzt

    Die FDP, die im Bundestagswahlkampf massiv für den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen geworben hatte, wertete gleichwohl diese Formulierungen als einen Sieg in eigener Sache. Damit sei klar, dass auch nach 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden könnten, wenn sie denn mit synthetischen Kraftstoffen fahren. Synthetische Kraftstoffe werden unter dem Einsatz von Wasserstoff als Energieträger hergestellt und sind nahezu klimaneutral, wenn der Wasserstoff mit Sonnen- oder Windenergie gewonnen wird. Synthetische Kraftstoffe werden in einer Raffinerie zu Benzin, Diesel oder auch Flugbenzin verarbeitet und können bereits heute von allen Verbrennungsmotoren benutzt werden.

    Welches Gewicht hat die Formulierung der Umweltminister? Tatsache ist, dass es sich dabei lediglich um einen sogenannten Erwägungsgrund (“recital”) handelt. Erwägungsgründe in einem Gesetzestext sind nicht “rechtlich bindend”. Der Vize der EU-Kommission, Frans Timmermans, setzt voll auf die batterieelektrische Lösung bei der Verkehrswende und will unbedingt den Einsatz von E-Fuels bei Autos vermeiden. Timmermans hat bereits zu erkennen gegeben, dass für ihn das Verbrennerverbot 2035 nicht mehr debattiert wird. Er habe auch nicht vor, einen Vorschlag zu synthetischen Kraftstoffen zu machen, teilte er nach dem Umweltrat mit.

    Kanzleramt für E-Fuels?

    An dieser Stelle kommt Olaf Scholz ins Spiel. Wie in Berlin zu hören ist, liege dem Bundeskanzler das Thema am Herzen und er habe sich bei der Kommissionspräsidentin dafür eingesetzt, dass der Vorstoß der Kommission zeitnah kommen möge. Von der Leyen soll, so heißt es, Zustimmung signalisiert haben.

    Klar ist: Für die Befürworter von E-Fuels drängt die Zeit, wenn der Vorschlag von den Co-Gesetzgebern Parlament und Rat noch im Laufe des Trilogs berücksichtigt werden soll. Auf lange Verhandlungen muss man sich da nicht einstellen. Bis auf die Frage der synthetischen Kraftstoffe sind sich beide Seiten weitgehend einig. Das Verbrennerverbot könnte also im Herbst bei ein oder zwei Trilog-Sitzungen festgeschrieben werden – offen ist, ob und mit welcher Formulierung zu E-Fuels.

    Die Formulierung der Umweltminister ist aus Sicht der Fans von synthetischen Kraftstoffen allerdings auch eine Ernüchterung. Heißt es doch da, dass die Regelung für E-Fuels “außerhalb der Systematik der CO2-Flottenregulierung” stattfinden soll. Damit wären die Hoffnungen mancher Autohersteller zunichte, dass ab 2035 Autos mit Verbrennungsmotor, die mit E-Fuels betrieben werden, genauso behandelt werden wie E-Autos.

    Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) geht bekanntlich sogar noch einen Schritt weiter. Sie versteht die Passage, die ähnlich auch im Koalitionsvertrag der Ampel steht, so, dass lediglich Sonderfahrzeuge wie Einsatzfahrzeuge von Polizei und Feuerwehr mit E-Fuels betrieben werden dürfen.

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    Ziel des Importstopps ist es, die russische Wirtschaft vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine weiter zu schwächen. Nach Angaben der EU-Kommission im April könnte das Kohle-Embargo ein Minus von rund acht Milliarden Euro pro Jahr für Russland bedeuten.

    Mit dem Kohle-Embargo sanktionierte die EU erstmals Energielieferungen aus Russland. In einem späteren Sanktionspaket einigten sich die EU-Länder zudem darauf, russische Öllieferungen weitgehend zu verbieten, um den Druck auf Moskau weiter zu erhöhen. Dies soll jedoch erst ab Ende des Jahres gelten, mit Ausnahmen für einige besonders abhängige Länder wie Ungarn, die weiterhin Pipeline-Lieferungen aus Russland erhalten dürfen. dpa

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    Slowakei meldet Kompromiss bei Transit von russischem Öl über Ukraine

    Der seit einigen Tagen unterbrochene Transit von russischem Öl über die Pipeline Druschba (Freundschaft) nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei könnte bald erneuert werden. Der Sprecher der slowakischen Raffinerie Slovnaft, Anton Molnar, teilte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur mit, sowohl die Ukraine als auch Russland hätten einem Kompromissvorschlag zugestimmt. Demnach würden die ungarische Raffineriefirma MOL und ihre Slowakei-Tochter Slovnaft vorerst die Transitgebühren an die Ukraine bezahlen. Slovnaft habe eine erste Zahlung bereits überwiesen, erklärte Molnar.

    Öltransit über die Nordroute der Druschba-Pipeline läuft weiter

    Der russische Pipeline-Monopolist Transneft hatte am Dienstag für den Lieferstopp die Ukraine verantwortlich gemacht (Europe.Table berichtete). Das ukrainische Unternehmen Ukrtransnafta habe das Durchpumpen von Öl nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei über den Südstrang der Pipeline Druschba am 4. August um 6.10 Uhr morgens vollständig gestoppt.

    Das hänge mit Zahlungsproblemen zusammen: Die Ukraine fordere für die Durchleitung russischen Öls Vorkasse, doch von Transneft getätigte Zahlungen seien wegen neuer europäischer Sanktionen zurückgewiesen worden. Über die Nordroute der Druschba, die durch Belarus und Polen bis nach Deutschland führt, werde hingegen weiter geliefert. dpa

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    UN erwarten steigende Getreideausfuhren aus Ukraine

    Nach dem Getreide-Deal zwischen Moskau und Kiew erwarten die Vereinten Nationen steigende Ausfuhren aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Eine Reihe von Schiffen würden momentan auf die Genehmigung zur Fahrt in Richtung der ukrainischen Häfen warten “und wir erwarten einen großen Aufwärtstrend bei den Anträgen für den Transit”, sagte der UN-Koordinator für die Ausfuhren, Frederick Kenney, am Mittwoch in New York. Am Mittwoch habe es mit insgesamt fünf vertragsmäßig inspizierten Schiffen einen neuen Höchststand gegeben.

    Im Juli hatten die Kriegsparteien Ukraine und Russland Abkommen mit der Türkei und den UN für den Export von Agrarprodukten und Dünger (Europe.Table berichtete) aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen abgeschlossen. Ein Dutzend Schiffe haben seitdem die Häfen Tschornomorsk, Odessa und Piwdennyj mit über 370.000 Tonnen Fracht verlassen (Europe.Table berichtete). Russland hatte nach seinem Angriff auf die Ukraine Ende Februar die ukrainischen Häfen blockiert. Die Ukraine wiederum hatte die Hafenzufahrten aus Furcht vor einer russischen Invasion vermint.

    Alleinige Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine sicherstellen

    Kenney sagte am Mittwoch weiter, dass es bislang keine Vorfälle gegeben habe, die die Sicherheit von Schiffen gefährdeten. Auch habe es bei den Durchsuchungen der Schiffe keine Auffälligkeiten gegeben. Die Inspektionen in der Türkei sollen sicherstellen, dass keine Waffen in die Ukraine gebracht oder andere Güter außer Getreide ausgeführt werden. Die Zusammenarbeit zwischen den Vertretern Russlands und der Ukraine ist Kenney zufolge konstruktiv: “Ich war sehr beeindruckt von dem Grad an Zusammenarbeit und Koordination, der gezeigt wurde.” Es gebe einen großen Respekt unter den Expertinnen und Experten im gemeinsamen Kontrollzentrum in Istanbul (Europe.Table berichtete), “egal woher sie kommen”. dpa

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    Griechenland wird finanzpolitisch wieder Selbstbestimmung erlangen

    Griechenland soll ab dem 20. August erstmals seit der Schuldenkrise nicht mehr verstärkt von der EU-Kommission überwacht werden. Dies teilte der griechische Finanzminister Christos Staikouras am Mittwoch in Athen mit. Die Entlassung aus der Kuratel sei neben den Finanzministern der Euroländer nun auch vom zuständigen Finanzkommissar Paolo Gentiloni genehmigt worden, so Staikouras weiter.

    Damit gehe eine sehr schwierige Zeit zu Ende. Griechenland habe den Großteil der verlangten Reformen erfolgreich umgesetzt, fügte der Athener Finanzminister hinzu. Das Land habe die Verpflichtungen, die es 2018 eingegangen ist, erfüllt und wirksame Reformen durchgeführt, kommentiert die Europäische Kommission. Durch die wirtschaftliche Erholung seien die Risiken von Spillover-Effekten auf die Wirtschaft des Euroraums deutlich gesunken und eine verstärkte Überwachung nicht mehr gerechtfertigt.

    Griechenland ab 2010 in schwerer Finanzkrise

    Griechenland durchlief ab 2010 eine schwere Finanzkrise und musste in der Folge auf Druck seiner Gläubiger harte Sparmaßnahmen umsetzen. Die Griechen verloren dabei rund 25 Prozent ihres Einkommens. Seit 2018 steht Athen finanziell zunehmend auf eigenen Beinen. Im August desselben Jahres wurde die verstärkte Überwachung gestartet, nachdem Griechenland ein Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erfolgreich abgeschlossen hatte.

    Eine Tranche der im Juni 2018 vereinbarten Schuldenerleichterungsmaßnahmen steht laut EU-Kommission noch aus. Die Eurogruppe werde auf Grundlage eines Berichts zur Post-Programm-Überwachung (PPS) darüber entscheiden. Der Bericht soll im November 2022 erscheinen und die noch ausstehenden Reformverpflichtungen überwachen. dpa/luk

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    EU will im Streit mit Polen um Geld hart bleiben

    Trotz der Drohungen Polens, es könnte die Entscheidungsfindung innerhalb der EU blockieren, wird Brüssel voraussichtlich nicht von seiner Forderung abrücken, dass Polen die Rechtsstaatlichkeit respektieren muss, um Gelder für den Wiederaufbau nach der Pandemie zu erhalten. Das sagten EU-Beamte am Mittwoch.

    Polen hätte Anspruch auf 24 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden an sehr günstigen Krediten aus dem Fonds, der den Mitgliedstaaten helfen soll, grüner und digitaler zu werden, während sich ihre Wirtschaft erholt. Die Gelder sind jedoch eingefroren (Europe.Table berichtete), weil Polens regierende PiS-Partei die in den vergangenen sieben Jahren eingeführten Änderungen im Justizwesen nicht rückgängig machen will, obwohl der Oberste Gerichtshof der EU sie für unvereinbar mit den EU-Verträgen erklärt hat.

    Angesichts der bevorstehenden Wahlen im nächsten Jahr haben der Vorsitzende der nationalistischen und eurokritischen PiS (Europe.Table berichtete), Jaroslaw Kaczynski, und andere hochrangige Parteifunktionäre ihre EU-kritische Rhetorik verschärft und darauf bestanden, dass Polen keine Zugeständnisse machen wird.

    EU-Beamter: Spielraum für Kompromisse mit Polen

    PiS-Sprecher Radoslaw Fogiel sagte am Mittwoch im Radiosender Wnet, dass die EU-Exekutive kein Mitspracherecht in Justizangelegenheiten habe und ihre Entscheidung, Polens Gelder einzufrieren, politisch sei. “Polen wird seine Rechte sehr strikt anwenden und gleichzeitig sehr genau darauf achten, dass die Europäische Kommission nicht in Bereiche vordringt, für die sie laut Vertrag nicht zuständig ist”, sagte er.

    Warschau droht damit, Entscheidungen der EU in Bereichen zu blockieren (Europe.Table berichtete), in denen Einstimmigkeit erforderlich ist: Außen- und Sicherheitspolitik, Steuern oder Finanzen. Die polnische Regierung hat bereits zu Beginn dieses Jahres die Annahme der weltweit vereinbarten Mindestkörperschaftssteuer durch die EU vorübergehend blockiert. Doch diese Rhetorik hat die EU bisher nicht beeindruckt. “Die Kommission ist nicht sehr besorgt über solche Drohungen”, sagte ein hochrangiger EU-Beamter und fügte hinzu, dass die PiS “den Begriff ‘Feind’ für die Wahlen testet”.

    “Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission ihre Anforderungen senken wird, die ohnehin eher minimalistisch sind und mit der polnischen Regierung vereinbart wurden”, so der Beamte weiter. Ein zweiter hochrangiger EU-Beamter sagte, dass es zwar einen gewissen Spielraum für Kompromisse gebe, die Werte der EU jedoch gewahrt werden müssten. “Die Initiative liegt jetzt auf polnischer Seite, ich sehe nicht, welche Initiative die EU in diesem Stadium ergreifen könnte”, sagte der Beamte. rtr

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    Ausschuss-Vorsitzende fordert härtere Gangart der EU gegen China

    Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Renata Alt, fordert von der Bundesregierung und der Europäischen Union eine härtere Gangart in den Beziehungen zu China. “Wenn wir noch ernst genommen werden wollen international, dann ist es wichtig, dass wir klar Position beziehen”, sagte die FDP-Abgeordnete in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. “Deutschland muss unabhängiger von China werden“, sagte Alt. “Die Zusammenarbeit mit China muss überdacht werden, und notfalls müsste man über personenbezogene Sanktionen nachdenken, allein wegen der Menschenrechtslage.”

    Eine für Oktober geplante Reise von Mitgliedern des Bundestags-Ausschusses nach Taiwan verteidigte Alt. “Ich teile die Sorge, dass der Termin wegen des Besuchs von US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi vielleicht nicht so günstig ist”, räumte sie zwar ein. “Aber ich rate davon ab, sich an der aggressiven Rhetorik Chinas zu orientieren. Wir sind ein unabhängiges Land, wir sind unabhängige Abgeordnete. Wenn wir Taiwan besuchen wollen, dann ist das zu respektieren.” Der Besuch von Pelosi in Taiwan in der vergangenen Woche hatte den Konflikt um die auf Unabhängigkeit pochende Insel massiv verschärft, die China als Teil des eigenen Staatsgebiets und abtrünnige Provinz ansieht.

    Demokratie in Taiwan: Deutschland muss klare Signale senden

    Allerdings stehe der Besuch der Abgeordneten aus Deutschland in Taiwan noch nicht definitiv fest, sagte Alt. Der entsprechende Antrag bei der Bundestagspräsidentin werde in der Sitzungswoche Anfang September gestellt. Man müsse dann aber auch abwarten, wie sich die Corona-Pandemie in Taiwan entwickele.

    “Von der Reise soll das Signal ausgehen, dass wir uns für die Unabhängigkeit Taiwans und die Demokratie dort einsetzen“, sagte Alt. Sie habe sich “immer geärgert über die lasche und schwache Außenpolitik unter Kanzlerin Angela Merkel, Deutschland und die EU hätten rechtzeitig klare Signale aussenden sollen, das gilt auch für Russland”. Die westliche Welt müsse aufpassen, dass die Regierung in Peking das russische Vorgehen in der Ukraine nicht als “Blaupause” für Taiwan benutze. rtr/nib

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    Presseschau

    Umstrittener Notfall-Energiesparplan tritt in Spanien in Kraft EURACTIV
    Britain draws up plans to keep lights on this winter FT
    Bund will Bevölkerung mit Trinkwasserbrunnen schützen WELT
    EU-Embargo für russische Kohle tritt in Kraft EURONEWS
    Griechischer Premier gerät in Bespitzelungsaffäre in Erklärungsnot HANDELSBLATT
    Chatkontrolle: “Kennen wir ansonsten nur aus autoritären Staaten” SUEDDEUTSCHE
    Fluggastrechte in der EU: Novelle könnte mehr Raum für Ausflüchte der Airlines schaffen SPIEGEL
    Hunderte Scheinehen im Zusammenhang mit Brexit WELT
    Griechenland wird finanzpolitisch wieder Selbstbestimmung erlangen NAU
    Deutschland will noch im August Geflüchtete aus Italien aufnehmen ZEIT

    Standpunkt

    Russlands Gaslieferkürzungen werden die deutsche Wirtschaft nicht umbringen

    von Daniel Gros
    Daniel Gros, Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow des Centre for European Policy Studies (CEPS), schreibt über die Kürzung von Gas-Lieferungen Russlands an Deutschland.
    Daniel Gros ist Vorstandsmitglied und Distinguished Fellow am Centre for European Policy Studies.

    Die herkömmliche Ansicht über die aufgrund reduzierter Liefermengen aus Russland ausgelöste Gaskrise in Europa beruht zu einem Gutteil auf zwei Annahmen: dass nämlich die Wirtschaft in Deutschland auf billiges Gas aus Russland angewiesen ist und dass diese Rechnung in spektakulärer Weise nicht aufgegangen ist. Doch obwohl die deutsche Industrie stark ist und das Land viel Erdgas aus Russland importiert, spricht ein genauerer Blick auf die Zahlen und die wirtschaftlichen Zusammenhänge gegen diese vorherrschende Sichtweise.

    Zunächst einmal spielt Erdgas keine so große Rolle, dass es die treibende Kraft hinter einer Industriewirtschaft sein könnte. Im Jahr 2019 bezahlte Deutschland für die Gasimporte via Pipeline 30 Milliarden Dollar – das entspricht nur 0,75 Prozent seines BIP – und der Gesamtwert des deutschen Gasverbrauchs lag unter 2 Prozent des BIP. Diese bescheidenen Anteile präsentieren sich in allen Industrieländern ähnlich und deuten darauf hin, dass billige Gasimporte höchstwahrscheinlich kein wesentlicher Wachstumsfaktor sind. Und obwohl der Gasverbrauch in Deutschland und den meisten westeuropäischen Ländern in den letzten zwei Jahrzehnten stagnierte, wuchs die Wirtschaft – wenn auch langsam.

    Auch das Argument, Deutschland hätte von billigem Gas aus Russland möglicherweise stärker profitiert als andere Länder, wird durch die Zahlen nicht untermauert. Im Jahr 2019 entfielen lediglich etwa 2,3 Prozent des weltweiten Erdgasverbrauchs, aber 4,5 Prozent des weltweiten BIP auf Deutschland. Deutschlands Gasintensität pro BIP-Einheit beträgt somit etwa die Hälfte des weltweiten Durchschnitts und liegt damit deutlich unter dem entsprechenden Wert der Vereinigten Staaten und vieler anderer Industrieländer, darunter Japan und Südkorea.

    Industrie in Deutschland zahlt mehr für Gas aus Russland

    Die europäischen Volkswirtschaften (Europe.Table berichtete) gehen mit Energie tendenziell sparsamer um als der Rest der Welt. Aber selbst innerhalb Europas schneidet Deutschland mit einem geringeren Gasverbrauch pro BIP-Einheit besser ab als andere große europäische Volkswirtschaften wie Italien und Spanien. Das ist durchaus überraschend, da diese beiden Mittelmeerländer im Winter viel weniger heizen müssen (und Klimaanlagen im Sommer deutlich weniger Strom benötigen als Heizungen). Nur Frankreich mit seinem großen Kernkraftwerkssektor (Europe.Table berichtete) ist weniger abhängig von Gas.

    Ein ähnliches Bild ergibt sich aus damit zusammenhängenden Kennzahlen wie dem Wert der Energieimporte als Prozentsatz des BIP oder dem Gasverbrauch für industrielle Zwecke als Anteil an der industriellen Wertschöpfung. All diese Indikatoren zeigen, dass die deutsche Wirtschaft Energie weniger intensiv nutzt als die meisten anderen (Europe.Table berichtete).

    Die Vorstellung, wonach die deutsche Industrie durch den Zugang zu billigem Gas aus Russland (Europe.Table berichtete) einen Vorteil erlangt hätte, lässt die Tatsache außer Acht, dass es einen europäischen Gasmarkt gibt, auf dem die Unterschiede zwischen den Großhandelspreisen der einzelnen Länder bisher nur gering sind. Man könnte natürlich anführen, dass Russland seine Energie billig an Deutschland verkauft hat, um das Land in die Abhängigkeit zu treiben. Allerdings widerlegen die Daten die gängige Wahrnehmung, dass Deutschland billiges Gas erhält.

    In den vergangenen zehn Jahren hat die deutsche Industrie etwa 10 Prozent mehr für Erdgas bezahlt als ihre Konkurrenz in den anderen großen Volkswirtschaften Europas. Dank der Versorgung aus der Nordsee bezahlten britische Industrieunternehmen sogar noch weniger als ihre Konkurrenz auf dem Kontinent, aber das scheint ihnen auch nicht viel gebracht zu haben.

    Rasantes Ausbautempo bei Flüssiggas

    Implizit lässt das die Vermutung aufkommen, dass sich Russland fast ohne Kosten einen nichtwirtschaftlichen Vorteil verschafft hat (durch die deutsche Abhängigkeit von seinen Gaslieferungen). Im Umkehrschluss bedeutet es, Deutschland musste einen Verlust an Energieunabhängigkeit hinnehmen (Europe.Table berichtete), ohne einen spürbaren wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen.

    Die einzige große Ökonomie, die sowohl energieintensiv wirtschaftet als auch über billiges Erdgas verfügt, sind die Vereinigten Staaten. Der Durchschnittsbürger in den USA verbraucht mehr als doppelt so viel Erdgas wie sein europäisches Pendant – nämlich 25 Megawattstunden pro Jahr in den USA, verglichen mit etwa 10 Megawattstunden in den europäischen Ländern.

    Außerdem lagen die Erdgaspreise in den USA über die meiste Zeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten etwas unter den entsprechenden Preisen in Deutschland oder der EU und betragen heute nur einen Bruchteil der europäischen Preise, da diese um einen Faktor fünf gestiegen sind, wohingegen sich die US-Preise kaum verändert haben. Trotz dieses Kostenvorteils hat die verarbeitende Industrie in den USA – und im Vereinigten Königreich – jedoch kein besonders starkes Wachstum verzeichnet.

    Sich an eine Welt ohne russisches Gas anzupassen, ist für Europa natürlich durchaus ein Problem. Doch obwohl Deutschland in dieser Hinsicht stärker gefährdet zu sein scheint, weil es einen großen Teil seines Gases aus Russland bezieht, kann sich das schnell ändern. Deutschland baut in Rekordzeit neue Kapazitäten im Bereich Regasifizierung auf, um den Import jener Mengen an verflüssigtem Erdgas zu ermöglichen, die benötigt werden, um die aufgrund der reduzierten russischen Liefermengen und der Inlandsnachfrage entstandene Lücke zu schließen, wobei anzumerken ist, dass diese Nachfrage wegen der hohen Preise bereits sinkt.

    In Konkurrenz mit Asien

    Sobald diese Importkapazitäten aufgebaut sind, wird sich Deutschland in der gleichen Situation befinden wie seine europäischen Nachbarn, die sich ebenfalls um verflüssigtes Erdgas bemühen müssen. Die Preise werden wahrscheinlich noch einige Zeit hoch bleiben. Doch aufgrund seiner unter dem EU-Durchschnitt liegenden Energieintensität, sollte Deutschland in der Lage sein, die Belastung etwas besser zu verkraften als Italien, Spanien und einige osteuropäische Länder. Frankreich wird freilich weitaus weniger betroffen sein, zumindest wenn seine Kernreaktoren ihre volle Leistung wieder aufnehmen können.

    Auch das weltweite Gesamtbild sollte nicht aus den Augen verloren werden. Werden große Mengen an russischem Gas aus dem Verkehr gezogen (das wird passieren, wenn Europa in Russland nichts mehr kauft), werden die weltweiten Gaspreise steigen und das betrifft auch asiatische Länder, weil sie mit Europa um verflüssigtes Erdgas konkurrieren. Südkorea und Japan weisen eine höhere Energieintensität als Europa auf, und selbst China importiert große Mengen an verflüssigtem Erdgas, und zwar zu einem ähnlichen Preis wie die europäischen Länder.

    Teure Energie, insbesondere Erdgas, stellt für alle energieimportierenden Industrieländer eine schwierige wirtschaftliche und politische Herausforderung dar. Nur die USA und einige andere kleinere Energieerzeuger wie Norwegen, Kanada und Australien profitieren von dieser Situation. Die Daten deuten jedoch darauf hin, dass Deutschland besser in der Lage ist, diese Krise zu überstehen als die meisten seiner wichtigsten Konkurrenten.

    In Zusammenarbeit mit Project Syndicate, aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier.

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    Europe.Table Redaktion

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