Table.Briefing: Europe

Delara Burkhardt über entwaldungsfreie Lieferketten + Italien trotzt der Energiekrise

  • Delara Burkhardt über entwaldungsfreie Lieferketten: “Dieses Gesetz ist ein Game-Changer”
  • Wie Italien der Energiekrise trotzt
  • Termine
  • Ladeinfrastruktur: Berichterstatter fordert schnelleren Ausbau in den Mitgliedstaaten
  • Russland zu weiteren Gesprächen bereit
  • Insider: Kein schärferer Kurs bei Verbrenner-Aus
  • Rekordumsatz für weltweite Chipindustrie
  • Standpunkt: TTC als Testlauf für eine engere Zusammenarbeit
Liebe Leserin, lieber Leser,

nach seinem gestrigen Besuch in Kiew reist Bundeskanzler Olaf Scholz heute nach Moskau. Für das Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin sind mehrere Stunden angesetzt. Eigentlich ist Scholz’ Reise ein Antrittsbesuch, aber die drohende Kriegsgefahr in der Ukraine dürfte alle anderen Themen deutlich überlagern. Bereits in Kiew sagte der Kanzler, dass er bei Putin für eine Deeskalation in der Krise werben wolle.

Kommende Woche tagt der Rat der europäischen Landwirtschaftsminister in Brüssel. Ganz oben auf der Tagesordnung: der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Einer Studie der Umweltorganisation WWF zufolge sind europäische Importe für 16 Prozent der weltweiten Waldrodung verantwortlich. Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion. Warum das geplante Gesetz einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, wo noch Schlupflöcher bestehen und was es mit der bevorstehenden Präsidentenwahl in Frankreich zu tun haben könnte, darüber spricht die Politikerin im Interview mit Timo Landenberger.

Während viele EU-Länder unter den Rekord-Energiepreisen ächzen, kommt Italien vergleichsweise gelassen durch die Krise. Das Land war so gut aufgestellt, dass es zwischenzeitlich sogar zum Erdgasexporteur wurde und etwa Deutschland und Frankreich belieferte. Dabei ist auch Italien stark von russischem Gas abhängig. Doch das Land hat schon vor einigen Jahren begonnen, strategische Gasreserven anzulegen – und wünscht sich dies auch für die gesamte EU. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen zudem Importe aus Aserbaidschan, wie Isabel Cuesta Camacho berichtet.

Ihre
Sarah Schaefer
Bild von Sarah  Schaefer

Analyse

Delara Burkhardt: “Dieses Gesetz ist ein großer Game-Changer”

Entwaldung: Delara Burkhardt über das Lieferketten-Gesetz 

Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion für die geplante EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten.
Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion für die geplante EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten.

Frau Burkhardt, laut der Umweltorganisation WWF verschwindet weltweit alle 90 Sekunden Waldfläche in der Größe eines Fußballfeldes – allein aufgrund von EU-Importen. Wer ist hier in der Verantwortung? Politik, Wirtschaft, Konsumgesellschaft?

Alle tragen ein bisschen Verantwortung. Deshalb braucht es einen politischen Rahmen. 16 Prozent der globalen Entwaldung sind auf europäischen Konsum zurückzuführen, auch das zeigt eine WWF-Studie. Nur China importiert mit 24 Prozent noch mehr Entwaldung. Wenn man das ins Verhältnis zur Zahl der Einwohner:innen setzt, wird deutlich, dass Europa hier einen sehr großen Fußabdruck hinterlässt.

Und damit letztlich dem Klima schadet.

Sehr sogar. Wir wissen, dass Wälder eine enorm wichtige Bedeutung für den Klimaschutz haben. Sie sind natürliche CO2-Speicher und haben eine wichtige Funktion für das Ökosystem. Rund ein Viertel der potenziellen CO2-Reduktion, um die Erderhitzung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, steckt in Wäldern. Deshalb ist es wichtig, dass wir Wälder in den Blick nehmen. Und dabei müssen wir erkennen, dass wir mit unserer Art zu produzieren und zu konsumieren deutlich zur Entwaldung beitragen.

Wie das?

Den Wäldern geht es ohnehin schon schlecht aufgrund des Klimawandels. Dazu werden sie für die Produktion von Rohstoffen wie Soja, Kakao, Palmöl, Kaffee, Mais, Kautschuk auch noch im großen Maßstab in Agrarfläche umgewandelt. Das ist ein riesiges Problem, denn allein durch diese Entwaldung werden elf Prozent der globalen Emissionen verursacht. Dabei tragen wir als Konsument:innen natürlich auch eine Mitverantwortung. Aber wenn wir uns erst vor dem Supermarktregal entscheiden können, ob wir zur Entwaldung beitragen wollen oder nicht, dann ist es bereits zu spät. Deshalb müssen wir als europäische Gesetzgeber:innen früher eingreifen und dafür sorgen, dass Produkte, die aus Entwaldung stammen, gar nicht erst auf den europäischen Markt kommen.

Europas Lieferketten sollen nicht mehr zur Entwaldung beitragen

Welche Produkte und Branchen sind das?

Für Luxusgüter wie Kaffee und Kakao ist Europa ein großer Umschlagplatz. Wir verarbeiten Kakao zu Schokolade. Hier ist Europa sogar Weltmarktführer, obwohl auf unserem Kontinent nirgendwo eine einzige Kakaobohne wächst. Auch die Automobilindustrie ist in der Pflicht. Kautschuk landet beispielsweise in Reifen, Leder in Autositzen. Vor allem geht es aber um Futtermittel aus Mais und insbesondere Soja.

Nun sind die verarbeitende Industrie und die Landwirtschaft auf diese Importgüter angewiesen und kaufen sie auf dem freien Markt ein.

Natürlich kann man sagen, man habe keinen Einfluss auf das, was andere tun. Das ist für mich aber nicht der Ansatz des Green Deal. Europa will global Verantwortung übernehmen und den eigenen CO2-Fußabruck reduzieren. Dabei spielt die Entwaldung eine wichtige Rolle. Wir wollen neue Standards setzen und die Garantie dafür, dass wir mit unserer Art zu produzieren und zu konsumieren nicht mehr zur Entwaldung beitragen. Wir haben das Ziel, europäische Lieferketten entwaldungsfrei zu machen. Aber wir wollen auch einen Einfluss darauf haben, dass sich Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern verbessern und nachhaltig werden. Und da ist Europa als selbst ernannte Vorreiterin in der Verantwortung.

“Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts”

Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow haben sich mehr als 100 Staaten verpflichtet, die Zerstörung der Wälder zu stoppen.

Ähnliche Erklärungen gab es schon häufiger. Die Frage ist, was daraus folgt. Die Menschen haben ein sehr emotionales, romantisches Verhältnis zum Wald. Wenn in der Vergangenheit über Klima- und Naturschutz gesprochen wurde, dann war der Wald immer ein zentrales Thema. Aber wo sind wir angekommen? Die globalen Entwaldungsraten steigen unaufhörlich. Jährlich verschwindet tropischer Regenwald einer Fläche in der Größe der Niederlande. Offensichtlich bringen diese freiwilligen Selbstverpflichtungen nichts. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der EU wirklich Gesetze verabschieden, die es uns ermöglichen, diese Selbstverpflichtung auch tatsächlich zu erreichen. Für hehre, unverbindliche Ziele haben wir keine Zeit mehr.

Wie soll das durch die nun geplante Verordnung sichergestellt werden?

Geplant sind verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Im Kommissionsvorschlag enthalten sind Soja, Kakao, Kaffee, Rindfleisch, Holz und Palmöl. Wenn Unternehmen diese Produkte auf den europäischen Markt bringen wollen, müssen sie für jeden Schritt ihrer Lieferkette nachweisen können, dass die Produkte nicht zur Entwaldung beigetragen haben. Wo Entwaldungsrisiken entdeckt wurden, muss mit konkreten Gegenmaßnahmen Abhilfe geschaffen werden. Nur dann dürfen diese Produkte auf den EU-Markt gelangen.

Wie bewerten Sie den Kommissionsvorschlag, der weniger weit geht als Ihr Initiativbericht?

Anfangs dachte ich gar nicht, dass wir so weit kommen würden. Die Kommission hatte zunächst ganz andere Vorschläge gemacht, darunter Zertifizierungsstandards für mehr Sicherheit auf dem Markt durch verbindliche Labels. Dass sich die verbindlichen Sorgfaltspflichten als Basis des Gesetzes durchgesetzt haben, ist ein großer Erfolg. Es ist also ein guter Vorschlag und ein riesiger Schritt nach vorn. Aber es gibt noch Mängel und Schlupflöcher, die dafür sorgen könnten, dass wichtige Teile der Entwaldung vernachlässigt werden könnten.

Die da wären?

Das betrifft zum einen die Produktpalette, auf der Mais und Kautschuk bisher noch fehlen. Ein wissenschaftliches Gutachten für die Kommission kam noch zu dem Schluss, dass beide Rohstoffe deutlich zur Entwaldung beitragen und deshalb im Text enthalten sein sollten. Sie außen vor zu lassen, war also eine politische Entscheidung. So ein Gesetz sollte aber auf wissenschaftlichen Kriterien basieren.

Druck auf andere Ökosysteme

Politische Entscheidung, bedingt wodurch?

Dazu könnte ich nur spekulieren, ich kann mir aber vorstellen, dass Lobbyismus aus Teilen der kautschukverarbeitenden Industrie hier eine Rolle gespielt hat. Aber im Parlament ist man sich einig, dass alle Risikogüter in jeder verarbeiteten Form enthalten sein müssen.

Was sind die weiteren Baustellen?

Kritische sehe ich auch die Frage nach anderen wertvollen Ökosystemen. Etliche Studien belegen: Wenn man den Druck von Wäldern nimmt, dann geht er auf andere wertvolle Ökosysteme über. Dazu gehören beispielsweise die Cerrado- und Gran-Chaco-Savannen, oder das Pantanal-Feuchtgebiet in Südamerika, wo dann ebenfalls Monokulturen entstehen würden.

Außerdem geht es um die Berücksichtigung der Menschenrechte, die in der Verordnung bislang nicht ausreichend vorgesehen ist. Dabei wissen wir, dass im Kontext von Entwaldung ganz spezifische Formen von Menschenrechtsverletzungen verübt werden, beispielsweise durch die Enteignung und Vertreibung indigener Bevölkerungsgruppen oder durch die Verfolgung von Umweltaktivisten. Auch die Rolle von Banken als Finanzierer von Entwaldungsaktivitäten ist nicht verankert. Das will ich im Gesetzgebungsprozess ändern. Dennoch ist dieses Gesetz ein großer Game-Changer. Denn es wird konkret Verantwortung übernommen, und damit hat Europa tatsächlich die Chance, eine globale Vorreiterrolle einzunehmen.

Legalität: Eine Frage der Definition

Die öffentliche Konsultation der Kommission zu dieser Richtlinie erfuhr das zweitgrößte Echo in der Geschichte der EU. Das Thema bewegt die Menschen. Warum hat es so lange gedauert, bis aus den vielen freiwilligen Selbstverpflichtungen ein Gesetz wurde?

Das geht mit einer veränderten Wahrnehmung in der Gesellschaft einher. Ich glaube, der Kaffee am Morgen wurde lange nicht mit brennenden Regenwäldern in Zusammenhang gebracht. Das zunehmende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung hat hier auch zu größerem Handlungsdruck in der Politik geführt. Dazu kommen lehrreiche Erfahrungen mit der bestehenden Gesetzgebung, beispielsweise bei der Holzverordnung. Hier muss das holzverarbeitende Gewerbe nachweisen, dass der Rohstoff legalen Ursprungs ist.

Das ist natürlich eine spannende Definitionsfrage. Denn Brasilien ist dabei, die entsprechenden Gesetze einfach anzupassen. So kann Entwaldung ganz schnell als legal erklärt werden. Schädlich für das Klima und den Artenschutz ist es trotzdem. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir darüber hinausgehen und nicht nur Legalität, sondern Nachhaltigkeit als Standard einführen. Zukünftig soll weder legale noch illegale Entwaldung in die EU importiert werden.

Ihr Initiativbericht hatte im Parlament eine Mehrheit, aber dennoch nicht nur Unterstützer gefunden. Was sind die Bedenken der Skeptiker?

Kritisch gesehen wird die Frage der Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten. Mein Bericht hatte eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen vorgesehen, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen. Sinn eines regulatorischen Rahmens ist schließlich auch, dass es Konsequenzen gibt, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Wir machen Unternehmen ja nicht für etwas haftbar, auf das sie keinen Einfluss haben. Es geht darum, Risiken in der Lieferkette zu erkennen und dann gegebenenfalls zu handeln, anstatt bewusst wegzuschauen.

Von den Kritikern werden nun kleine und mittelständische Unternehmen vorgeschoben, mit dem Argument, den Bürokratieaufwand nicht vergrößern zu wollen. Das will ich auch nicht. Aber mit unserer Rahmengesetzgebung will ich Geschäftsmodelle belohnen, die sich nicht auf Ausbeutung von Mensch und Natur spezialisiert haben. Dass das geht, beweisen schon viele Unternehmen. Sie sollen im Wettbewerb nicht länger benachteiligt werden.

Verzögerungstaktik der EVP?

Was sind jetzt die weiteren Schritte? Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

Die Konflikte gilt es jetzt aufzulösen und zu verhandeln. Der Rat arbeitet schon intensiv an dem Thema und will noch in diesem Halbjahr unter der französischen Ratspräsidentschaft seine Positionierung festlegen. Wir im EU-Parlament werden unsere Verhandlungsgrundlage aber erst im September beschließen. Anschließend werden wir im Trilog mit dem Rat zu Verhandlungen zusammenkommen und dann wird es noch dauern, bis das Gesetz national umgesetzt wird.

Warum erst im September?

Dass wir jetzt so viel Zeit verlieren, liegt wahrscheinlich auch an der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich, und das finde ich sehr schade. Die französische Ratspräsidentschaft hätte das Gesetz gerne schneller über die Bühne gebracht, aber ich vermute, dass die Konservativen hier im Parlament dem liberalen Macron diesen Wahlkampf-Triumph nicht gönnen wollen und sich daher erfolgreich darum bemüht haben, die Federführung für die Verordnung zu übernehmen, um dadurch den Zeitplan mitbestimmen zu können. Diese Verzögerungstaktik finde ich nicht in Ordnung.

Im Oktober 2021 hat das Europäische Parlament unter meiner Federführung schon eine weitreichende Beschlussvorlage zur Entwaldungsverordnung verabschiedet, auf deren Basis wir schnell Änderungsanträge zum Kommissionsvorschlag erarbeiten können. Diese Beschlussvorlage passt den Konservativen im Europäischen Parlament vielleicht nicht, aber so ist das nun mal in einer Demokratie.

Mehr zum Thema

    • Europapolitik
    • Green Deal
    • Klima & Umwelt
    • Lieferketten
    • Lieferkettengesetz
    • Naturschutz

    Dank strategischer Gasreserven: Italien trotzt der Energiekrise

    Roberto Cingolani ist Minister für ökologischen Umbau in Italien. Schon im Dezember kündigte der Physiker an: In Sachen Gasversorgung werde man in diesem Winter besser aufgestellt sein als die nördlichen EU-Partner. Italien wurde kurzzeitig sogar zum Erdgasexporteur, verkaufte den wertvollen Brennstoff in die Schweiz und die Niederlande, nach Deutschland und Frankreich.

    Dass der Marktpreis für Gas in Italien niedriger war als im übrigen Europa, lag im Wesentlichen an drei Faktoren: strategische Gasspeicher, milde Temperaturen und die Inbetriebnahme der Transadriatischen Pipeline (TAP) im Jahr 2021. Letztere bringt fast acht Milliarden Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan nach Europa, davon 6,8 Milliarden nach Italien.

    Strategische Gasreserven in Italien sichern die Versorgung

    Das Land importiert 90 Prozent seines Gasverbrauchs und ist dabei, wie die meisten EU-Staaten, stark von Lieferungen aus Russland abhängig. So kamen im Jahr 2020 nach Angaben des Ministeriums für ökologischen Umbau 43,3 Prozent der italienischen Erdgasimporte aus Russland, 22,8 Prozent aus Algerien und jeweils rund zehn Prozent aus Norwegen und Katar.

    Italien verfügt über die zweitgrößten Gas-Speicherkapazitäten in Europa nach Deutschland und, im Gegensatz zur Bundesrepublik, auch über strategische Gasreserven. Die Vorräte wurden im Jahr 2000 per Gesetz angelegt, um den Rückgang der inländischen Gasversorgung sowie Engpässe im Falle einer Gaskrise ausgleichen und so zur Versorgungssicherheit des Landes beitragen zu können. Strategische Gasreserven in Italien können nur mit Genehmigung des Ministeriums und erst dann genutzt werden, wenn die zugewiesene Importkapazität vollständig ausgeschöpft ist.

    Speichervolumen von rund 18 Milliarden Kubikmetern

    Insgesamt verfügt Italien über ein maximales Speichervolumen von rund 18 Milliarden Kubikmetern, wovon 4,5 Milliarden strategische Rücklagen sind. Die wichtigsten Gasspeicherunternehmen sind Edison Stoccaggio und Stogit-Snam. Letzteres ist zugleich auch der größte Betreiber in der EU mit einer Kapazität von mehr als 17 Milliarden Kubikmetern, was einem Marktanteil von etwa 15 Prozent in der EU und 3,5 Prozent weltweit entspricht.

    “Das italienische System hat drei Stärken: reichlich Speicher, ein geregeltes Netz, das die Befüllung fördert, und strategische Gasreserven”, sagt eine Sprecherin von Snam zu Europe.Table. “Aus diesen Gründen verfügt Italien über die größten Vorräte im Vergleich zu den großen EU-Ländern – derzeit rund 50 Prozent, mehr als zehn Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt.” Das regulierte Speichersystem soll entscheidend dazu beigetragen haben, die Preisspannungen einzudämmen.

    Italien und Frankreich sind die einzigen EU-Länder, in denen die Speicherung geregelt ist. Die Lager werden im Sommer bei entsprechend geringeren Gaspreisen aufgefüllt und im Winter zur Deckung der erhöhten Nachfrage herangezogen. Dabei nehmen die Betreiberfirmen einen vorgegebenen Teil ihrer Kapazitäten aus dem Markt, um sie für die strategischen Reserven zurückzustellen.

    Italien drängt auf Gasreserven der EU

    Um alle verfügbaren Speichervolumina in der EU bestmöglich zu nutzen, wäre nach Ansicht von Snam eine Regulierung wie in Italien oder ein gemeinsamer Einkaufsmechanismus auf europäischer Ebene erforderlich. Europa könnte dem Unternehmen zufolge auch problemlos neue Speicher an bestehenden und neuen Standorten für zusätzliche 20 Prozent der derzeitigen Kapazität einrichten: “Die Kosten für die Entwicklung eines solchen Speichers liegen unter Berücksichtigung der europäischen Nachfrage zwischen 50 Cent und einem Euro pro Megawattstunde und damit weit unter den Schwankungen, die wir in den letzten Monaten erlebt haben”, sagt eine Sprecherin.

    Italien hatte bereits im Oktober darauf gedrängt, mit der Arbeit an einem Plan zur Schaffung eines gemeinsamen Speichersystems für strategische Gasreserven zu beginnen. Ministerpräsident Mario Draghi betonte, dass es schwierig sei, kurzfristig auf den Einsatz von Gas zu verzichten. Im Dezember hat die EU-Kommission im Rahmen ihres Gasmarktpakets erklärt, strategische Gasvorräte ermöglichen zu wollen, ebenso wie die Option für die Mitgliedstaaten, sich an einem freiwilligen gemeinsamen Einkaufssystem für diese Vorräte zu beteiligen.

    Strategische Bedeutung des Südlichen Gaskorridors

    Die Transadriatische Pipeline ist der europäische Abschnitt des sogenannten Südlichen Gaskorridors, durch den Erdgas aus dem Gasfeld Shah Deniz II in Aserbaidschan nach Europa transportiert wird. Die TAP ist an der griechisch-türkischen Grenze mit der Transanatolischen Pipeline (TANAP) verbunden und durchquert Nordgriechenland, Albanien und die Adria, bevor die Pipeline in Apulien ankommt, wo sie an das italienische Gasverteilungsnetz angeschlossen ist.

    EU-Kommissarin Kadri Simson reiste vergangene Woche zu einem Treffen des Beirats für den Südlichen Gaskorridor nach Baku und betonte dessen strategische Bedeutung für die EU, da er zur Verbesserung der Versorgungssicherheit in Europa beitrage (Europe.Table berichtete).

    Der Beitrag der TAP-Pipeline, die Erholung in Algerien und die fortgesetzten russischen Lieferungen nach Italien sorgten für eine zusätzliche Gas-Verfügbarkeit zu wettbewerbsfähigen Preisen zum Jahresende. Damit wurde Italien kurzfristig zum Gasexportland und lieferte 1,54 Milliarden Kubikmeter an seine europäischen Nachbarländer.

    Nun will Italien seine Gasimporte aus Aserbaidschan auf etwa zehn Milliarden Kubikmeter erhöhen. Die Zahl sei bei einem Telefonat zwischen dem italienischen Staatssekretär im Außenministerium und dem aserbaidschanischen Energieminister Parviz Schahbazov gefallen, teilte das italienische Büro der staatlichen Nachrichtenagentur Aserbaidschans (AZERTAC) mit.

    Auch EU-Kommissarin Simson hatte bei ihrem Besuch in Baku bilaterale Gespräche mit Schahbazov geführt. Nach Angaben der Kommission soll es dabei ebenfalls um eine Ausweitung der Lieferungen über den Südlichen Korridor in Richtung Europa gegangen sein. Isabel Cuesta Camacho

    Mehr zum Thema

      • Aserbaidschan
      • Energie
      • Energiepreise
      • Erdgas
      • Europapolitik
      • Italien

      Termine

      16.02. – 18.02.2022, online
      Konferenz Hamburger IT-Strategietage 2022
      Die Hamburger IT-Strategietage laden dazu ein, sich über die jüngsten Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen in der IT-Branche auszutauschen. INFOS & ANMELDUNG

      16.02. – 17.02.2022, online
      Konferenz EU-Africa Business Forum 2022: High Level Panels
      12 panels will provide insights into key themes of EU-Africa business, trade and investment relations. INFOS & REGISTRATION

      16.02. – 17.02.2022, Düsseldorf/online
      Handelsblatt, Konferenz Zukunft Stahl
      Die Konferenz des “Handelsblatt” beleuchtet die aktuelle Situation der Stahlindustrie im Angesicht von angespannten Lieferketten und grüner Transformation. INFOS & ANMELDUNG

      16.02.2022 – 09:00-12:30 Uhr, online
      EC, Workshop Digitalisation of the energy system – Best practice for energy data sharing
      This workshop by the European Commission (EC) is part of the strategy to help develop a competitive market for digital energy services and digital energy infrastructure that are cyber-secure, efficient and sustainable. INFOS & REGISTRATION

      16.02.2022 – 15:00-17:00 Uhr, online
      EUH, Diskussion Nachhaltigkeit als Chance und Aufgabe: Welchen Beitrag können kleine und mittlere Unternehmen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der EU-Industriestrategie leisten?
      Diese Diskussion der Europa-Union Hamburg (EUH) hat das Ziel, Unternehmen im Hamburger Raum zu einem strukturellen Wandel im Einklang mit den Nachhaltigkeitsanforderungen der EU zu motivieren und den Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, ihre Einschätzung zu den EU-Vorgaben sowie zu deren praktischer Umsetzbarkeit auszuformulieren. INFOS & ANMELDUNG

      17.02.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
      ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch Umweltmanagementsystem EMAS
      Das Effizienznetzwerk für Stadtwerke (ASEW) beschäftigt sich mit dem Umweltmanagementsystem Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). INFOS & ANMELDUNG

      17.02.2022 – 10:30-12:30 Uhr, online
      TÜV, Seminar Effektive Securitystrategien für die Betriebstechnologie (OT) von KMU – Risiken erkennen und angemessen behandeln
      Das Seminar des TÜV widmet sich Möglichkeiten des Schutzes der Betriebstechnologie von kleinen und mittleren Unternehmen. INFOS & ANMELDUNG

      17.02.2022 – 17:30-19:00 Uhr, online
      BDE, Podiumsdiskussion Abfallverbringung gehört zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft
      Die Podiumsdiskussion des Bundesverbands der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) diskutiert die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des Abfallverbringungsrechts. INFOS

      News

      Berichterstatter fordert schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur in den Mitgliedstaaten

      Der Berichterstatter für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe, Ismail Ertug (S&D), will die Mitgliedstaaten bei der Verkehrswende stärker in die Pflicht nehmen. In seinem Berichtsentwurf für den Ausschuss für Verkehr und Tourismus (TRAN) fordert er eine Erhöhung der Ausbauziele für E-Ladestationen. Diese sollen in Relation zur Flottengröße von E-Autos und Plug-in-Hybriden (PHEV) stehen.

      Ertug schlägt vor, dass Mitgliedstaaten drei Kilowatt (kW) öffentlich zugängliche Ladeleistung pro zugelassenem E-Auto zubauen müssen, wenn der E-Auto-Anteil an der nationalen Pkw-Flotte weniger als ein Prozent beträgt. Liegt der Anteil höher, sinkt sukzessive auch die zusätzlich zu bauende Ladeleistung. Gleiches gilt für PHEV.

      Vorschläge für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe

      Ertugs Vorschläge für den Zubau von Ladeleistung:

      • 3 kW pro zugelassenem E-Auto, wenn der Anteil von E-Autos an der nationalen Pkw-Flotte weniger als 1 Prozent beträgt.
      • 2,5 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 1 und 2,5 Prozent
      • 2 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 2,5 und 5 Prozent
      • 1,5 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 5 und 7,5 Prozent
      • 1 kW bei E-Auto-Anteil über 7,5 Prozent
      • 2 kW pro zugelassenem PHEV, wenn der Anteil von PHEV an der nationalen Pkw-Flotte weniger als 1 Prozent beträgt.
      • 1,66 kW bei PHEV-Anteil zwischen 1 und 2,5 Prozent
      • 1,33 kW bei PHEV-Anteil zwischen 2,5 und 5 Prozent
      • 1 kW bei PHEV-Anteil zwischen 5 und 7,5 Prozent
      • 0,66 kW bei E-Auto-Anteil über 7,5 Prozent

      Damit aber auch Länder, in denen nur wenige E-Autos oder PHEV zugelassen werden, ihre Ladeinfrastruktur ausbauen, sieht der Berichtsentwurf eine verpflichtende Mindestabdeckung vor. Bis Ende 2025 sollen alle Länder genügend Ladestellen bereitgestellt haben, um theoretisch einen E-Auto-Anteil von zwei Prozent ihrer jeweiligen Pkw-Flotten versorgen zu können. Bis Ende 2027 sollen es fünf und bis 2030 zehn Prozent sein.

      Auf diese Weise will Ertug dafür sorgen, dass das Ambitionsniveau vor allem zu Beginn hoch ist, sagte er Europe.Table. Die Idee: Gibt es in einem Land nur wenige E-Autos und PHEV, muss die Infrastruktur umso schneller ausgebaut werden, um den Hochlauf der E-Mobilität zu ermöglichen. Ist ein gewisser Anteil an E-Autos und PHEV inklusive der entsprechenden Ladeinfrastruktur vorhanden, reicht ein geringerer Zubau pro weiterem Pkw.

      Die EU-Kommission hatte ein kW pro zugelassenem E-Auto (0,66 kW pro PHEV) im Rahmen des Fit-for-55-Pakets vorgeschlagen, ohne Berücksichtigung der Flottengrößen und ohne Mindestabdeckung.

      Wasserstoff und Ammoniak für die Schifffahrt

      Ursprünglich habe er einen Zubau von drei kW pro zugelassenem E-Auto vorgesehen, ebenfalls ohne relative Flottenberücksichtigung. Dies hätte jedoch in einigen Ländern mit niedrigerer Pkw-Dichte den Bedarf überstiegen, sagt Ertug, sodass es “Stranded Assets” gegeben hätte.

      Außerdem fordert der Berichterstatter, dass Biokraftstoffe und E-Fuels künftig insbesondere im Flugverkehr und in der Schifffahrt genutzt werden sollen, um auch in diesen Sektoren Emissionen senken zu können. LNG, welches noch von der Kommission als eine legitime Alternative für den Seeverkehr behandelt wurde, sei zudem nicht mit dem Klimaneutralitätsziel der EU vereinbar. Der Sozialdemokrat fordert daher ein Auslaufen der LNG-Verwendung in den Sektoren und stattdessen den Aufbau einer Infrastruktur für Wasserstoff und Ammoniak. luk

      Mehr zum Thema

        • Autoindustrie
        • E-Fuels
        • Elektromobilität
        • Green Deal
        • Klima & Umwelt
        • Klimaschutz
        • Mobilität
        • Verkehrspolitik

        Russland zu weiteren Gesprächen bereit

        Entgegen der US-Warnungen vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine kommen aus Moskau versöhnliche Töne. Präsident Wladimir Putin ließ am Montag signalisieren, dass er zu weiteren Gesprächen bereit sei.

        Außenminister Sergej Lawrow sagte in einer am Montag im Fernsehen übertragenen Unterredung mit Putin, ein weiterer Dialog mit dem Westen über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien sei möglich. Die USA hätten konkrete Vorschläge unterbreitet, um die militärischen Risiken für Russland zu verringern. Die Antworten von EU und Nato auf die Forderungen Russlands seien indes nicht zufriedenstellend, da die Regierung in Moskau eine Position der einzelnen Staaten fordere, sagte Lawrow.

        Scholz & Selenskyj: Nato-Beitritt der Ukraine nicht in Sicht

        Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sehen keinen baldigen Nato-Beitritt der Ukraine. Selenskyj räumte am Montag nach einem Treffen mit Scholz in Kiew ein: “Vielleicht ist die Frage der offenen Tür für uns doch ein Traum.” Scholz betonte, dass die Nato an dem Prinzip der offenen Tür für neue Mitglieder festhalten werde, aber ein Beitritt der Ukraine jetzt nicht auf der Tagesordnung stehe.

        Selenskyj: Nord Stream 2 geopolitische Waffe

        Olaf Scholz drohte Russland im Falle einer militärischen Eskalation erneut mit scharfen Sanktionen des Westens. “Wir sind zu jedem Tag in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.” Die Sanktionen würden schwerwiegenden Einfluss auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung Russlands haben. “Die territoriale Integrität (…) der Ukraine ist für Deutschland nicht verhandelbar.” Selenskyj bezeichnete die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als geopolitische Waffe, weshalb sein Land Sicherheitsgarantien bei der Energieversorgung brauche.

        Der Bundeskanzler kündigte weitere Hilfen für die Ukraine an. “Deutschland steht ganz fest an Ihrer Seite”, sagte Scholz. Kein Land der Welt habe die Ukraine in den vergangenen Jahren finanziell so stark unterstützt wie Deutschland. Die Bundesregierung werde 150 Millionen Euro aus einer alten Kreditlinie freigeben und weitere 150 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren. Selenskyj forderte deutsche Firmen zu mehr Investitionen auf. Morgen reist Scholz nach Moskau, wo er mit Putin zusammentrifft. rtr

        Mehr zum Thema

          • Deutschland
          • Europapolitik
          • International
          • Nord Stream 2

          Insider: Kein schärferer Kurs bei Verbrenner-Aus

          Im Streit über das Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren hat sich das von den Grünen geführte Umweltministerium mit Forderungen nach einem schärferen Kurs nicht durchsetzen können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe ein Machtwort gesprochen, sagten mehrere mit der Sache befasste Personen am Montag der Nachrichtenagentur Reuters.

          Demnach gilt nun, was SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Das heißt, die Klima-Ziele der EU aus dem Fit-for-55-Programm sollen unterstützt werden. Demnach sollen die Kfz-Hersteller bis 2030 dafür sorgen, dass ihre Neuwagenflotten 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 2021. Zuerst hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet.

          Konkret dürfen damit ab 2035 in Europa nur noch klimaneutrale Fahrzeuge neu auf den Markt kommen. Auf dem Weg dorthin soll es keine verschärfenden Zwischenziele geben, für die die Autohersteller Strafen zahlen müssten, sollten sie diese verfehlen. Das Bundesumweltministerium hatte dagegen geplant, die Flottengrenzwerte auf europäischer Ebene zu verschärfen. Dieses Vorhaben muss es nun fallen lassen. rtr

          Mehr zum Thema

            • Autoindustrie
            • Europapolitik
            • Green Deal
            • Klima & Umwelt
            • Klimapolitik
            • Klimaziele
            • Mobilität

            Rekordumsatz für weltweite Chipindustrie

            Die fortschreitende Digitalisierung rund um den Globus hat der Chipindustrie ein Rekordjahr beschert. Die Hersteller hätten ihre Umsätze im vergangenen Jahr insgesamt um 26,2 Prozent auf zuvor nie erreichte 555,9 Milliarden Dollar hochgeschraubt, teilte der Branchenverband SIA am Montag mit. Insgesamt seien 1,15 Billionen Halbleiter verkauft worden.

            Chipindustrie profitiert von der Digitalisierung

            Wegen der hohen Nachfrage bauen derzeit alle Anbieter wie Intel, TSMC und Samsung Electronics ihre Kapazitäten aus. Deswegen rechnet SIA für das laufende Jahr mit einem Erlösplus von fast neun Prozent. Die Digitalisierung während der Corona-Pandemie werde die Nachfrage nach Chips auch künftig ankurbeln, sagte SIA-Chef John Neuffer: “In der absehbaren Zukunft wird es genug Nachfrage geben, um einen sehr aggressiven Werkaufbau zu rechtfertigen.”

            Um Firmen anzulocken, setzen die USA, China und die Europäische Union auf Förderprogramme. Erst in der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission angekündigt, bis 2030 mit dem European Chips Act 15 Milliarden Euro an zusätzlichen öffentlichen und privaten Investitionen für die Chipproduktion zu mobilisieren (Europe.Table berichtete). rtr

            Mehr zum Thema

              • Chips
              • Chips Act
              • Coronavirus
              • Digitalisierung
              • Digitalpolitik
              • Europapolitik
              • Technologie

              Presseschau

              Koalition legt Streit um Verbrenner-Autos bei HANDELSBLATT
              FDP fordert “klare Botschaft” von Scholz zu Nord Stream 2 TAGESSPIEGEL
              Immer mehr Airlines meiden die Ukraine HANDELSBLATT
              EU macht 4 Milliarden Euro zur Bekämpfung von Plastikverschmutzung im Meer locker EURACTIV
              Habeck sieht Chancen für klimaneutrale Schiffe NTV
              Baerbock will bei Dienstreisen ins Ausland reguläre Linienflüge nutzen TAGESSPIEGEL
              Kommission warnt Frankreich vor Änderung nationaler Agrarpläne nach Wahlen EURACTIV
              Wie die EU Elon Musk im All herausfordern will HANDELSBLATT

              Standpunkt

              TTC: Von drängenden Problemen zu multilateraler Technologiepolitik

              Von Andrea G. Rodríguez
              EU-US-Trade and Technology Council: Andrea G. Rodríguez, Leitende Analystin für Digitalpolitik beim European Policy Centre.
              Andrea G. Rodríguez, Leitende Analystin für Digitalpolitik beim European Policy Centre.

              Als nach dem EU-US-Gipfel 2021 beide Seiten der Gründung des Handels- und Technologierats zustimmten, blickten viele Analysten mit Erleichterung, aber auch mit Vorsicht in die Zukunft. Vorangegangene Bestrebungen hatten sich als erfolglos erwiesen, und der Zustand der Beziehungen zwischen der EU und den USA ist nicht gerade der beste. Es ist daher relevant, zu erwähnen, dass der Trade and Technology Council nicht die Folge eines erneuerten transatlantischen Bündnisses ist. Sondern eher ein Test für die Vereinigten Staaten und Europa, ob sie bei der Lösung globaler Technologiefragen zusammenarbeiten können.

              Ausgangspunkt ist die Dringlichkeit, die multilaterale Zusammenarbeit zu verstärken, die transatlantische Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und China bei der Festlegung internationaler Standards und der Entwicklung neuer Technologien die Stirn zu bieten. Damit der TTC jedoch bei der Koordinierung von “Ansätzen für wichtige globale Technologie-, Wirtschafts- und Handelsfragen” erfolgreich sein kann, wie es in der Erklärung heißt, die beide Parteien nach ihrem ersten Treffen unterzeichneten, müssen sie ihre Streitigkeiten lösen – etwa zu Datenströmen und der Regulierung von Plattformen – und die Auswirkungen sich entwickelnder Märkte und Technologien prüfen.

              Ausgangslage des Trade and Technology Council könnte besser sein

              Der erste drängende Bereich ist die Standardisierung. In den vergangenen zehn Jahren haben chinesische Beamte wichtige Positionen in internationalen Organisationen wie der ISO (International Standardisation Organisation) besetzt. Hierdurch befindet sich das Land in einer guten Ausgangsposition, um die Standardsetzung zu beeinflussen und damit die Wettbewerbsfähigkeit seiner nationalen Champions wie Baidu, Tencent oder Huawei zu steigern.

              Normen sind Voraussetzung für Interoperabilität, spiegeln aber auch Werte wider, weshalb der Trade and Technology Council dieses Thema so weit oben auf die Agenda gesetzt hat. Damit Technologie demokratische Werte widerspiegelt und verantwortlich ist, müssen sich sowohl die USA als auch die EU auf gemeinsame Standards einigen. Doch im Gegensatz zu früheren Industrialisierungswellen ist die Position des transatlantischen Bündnisses nicht wirklich günstig.

              Das zweite dringende Thema ist die Neuausrichtung der Lieferketten und die Notwendigkeit, Sicherheitsniveau und Handlungsfähigkeit auf beiden Seiten für den Fall von Unterbrechungen zu erhöhen. In diesem Sinne ist die Steigerung von Produktionskapazitäten für ältere wie moderne Chips ein guter Schritt nach vorn. Angesichts der Bedeutung der digitalen Industrien könnten beide Parteien jedoch davon profitieren, wenn sie auch Engpässe in anderen Bereichen antizipieren würden, etwa bei kritischen Komponenten wie seltenen Erden, deren Produktion von China dominiert wird.

              KI als Test für gemeinsame Governance-Fähigkeit

              Das letzte drängende Thema ist die Notwendigkeit, sich auf eine gemeinsame Haltung zur sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) zu einigen. Diese letzte Frage ist von entscheidender Bedeutung. Denn sie wird die Fähigkeit des Trade and Technology Council auf die Probe stellen, ob hier Grundlagen für die Governance neuer Technologien geschafft werden können.

              Wichtig ist dabei, dass sich die europäischen und amerikanischen Ansätze zur verantwortungsvollen KI in jenen Elementen unterscheiden, wie Systeme als vertrauenswürdig oder nicht vertrauenswürdig eingestuft werden sollen. Das könnte der Grund dafür sein, dass Governance für KI in jenen zehn Arbeitsgruppen, die der TTC eingerichtet hat, so verwässert ist. Um künftige Interessenkonflikte zu vermeiden, ist es von entscheidender Bedeutung, die unterschiedlichen Ansätze zu verstehen und eine Harmonisierung der Definitionen von Vertrauenswürdigkeit anzustreben.

              Wenn man die Erklärung von Pittsburgh liest und die Arbeit der Arbeitsgruppen verfolgt, bestätigt sich das Gefühl, gegen die Uhr zu arbeiten. Ein Fokus auf Anstrengungen zur Lösung dieser dringenden Governance- und technischen Fragen ist dabei von entscheidender Bedeutung, um über die Zukunft nachzudenken und präventive Maßnahmen zu ergreifen.

              Auf diese Weise werden sowohl die USA als auch die EU besser in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die ihren Gesellschaften, ihren Volkswirtschaften und ihrer geopolitischen Position gegenüber Gegnern wie China zugutekommen werden.

              • Europapolitik
              • Handel
              • Handelspolitik
              • Technologie

              Europe.Table Redaktion

              EUROPE.TABLE REDAKTION

              Licenses:
                • Delara Burkhardt über entwaldungsfreie Lieferketten: “Dieses Gesetz ist ein Game-Changer”
                • Wie Italien der Energiekrise trotzt
                • Termine
                • Ladeinfrastruktur: Berichterstatter fordert schnelleren Ausbau in den Mitgliedstaaten
                • Russland zu weiteren Gesprächen bereit
                • Insider: Kein schärferer Kurs bei Verbrenner-Aus
                • Rekordumsatz für weltweite Chipindustrie
                • Standpunkt: TTC als Testlauf für eine engere Zusammenarbeit
                Liebe Leserin, lieber Leser,

                nach seinem gestrigen Besuch in Kiew reist Bundeskanzler Olaf Scholz heute nach Moskau. Für das Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin sind mehrere Stunden angesetzt. Eigentlich ist Scholz’ Reise ein Antrittsbesuch, aber die drohende Kriegsgefahr in der Ukraine dürfte alle anderen Themen deutlich überlagern. Bereits in Kiew sagte der Kanzler, dass er bei Putin für eine Deeskalation in der Krise werben wolle.

                Kommende Woche tagt der Rat der europäischen Landwirtschaftsminister in Brüssel. Ganz oben auf der Tagesordnung: der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Einer Studie der Umweltorganisation WWF zufolge sind europäische Importe für 16 Prozent der weltweiten Waldrodung verantwortlich. Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion. Warum das geplante Gesetz einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, wo noch Schlupflöcher bestehen und was es mit der bevorstehenden Präsidentenwahl in Frankreich zu tun haben könnte, darüber spricht die Politikerin im Interview mit Timo Landenberger.

                Während viele EU-Länder unter den Rekord-Energiepreisen ächzen, kommt Italien vergleichsweise gelassen durch die Krise. Das Land war so gut aufgestellt, dass es zwischenzeitlich sogar zum Erdgasexporteur wurde und etwa Deutschland und Frankreich belieferte. Dabei ist auch Italien stark von russischem Gas abhängig. Doch das Land hat schon vor einigen Jahren begonnen, strategische Gasreserven anzulegen – und wünscht sich dies auch für die gesamte EU. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen zudem Importe aus Aserbaidschan, wie Isabel Cuesta Camacho berichtet.

                Ihre
                Sarah Schaefer
                Bild von Sarah  Schaefer

                Analyse

                Delara Burkhardt: “Dieses Gesetz ist ein großer Game-Changer”

                Entwaldung: Delara Burkhardt über das Lieferketten-Gesetz 

Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion für die geplante EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten.
                Delara Burkhardt ist Schattenberichterstatterin der S&D-Fraktion für die geplante EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten.

                Frau Burkhardt, laut der Umweltorganisation WWF verschwindet weltweit alle 90 Sekunden Waldfläche in der Größe eines Fußballfeldes – allein aufgrund von EU-Importen. Wer ist hier in der Verantwortung? Politik, Wirtschaft, Konsumgesellschaft?

                Alle tragen ein bisschen Verantwortung. Deshalb braucht es einen politischen Rahmen. 16 Prozent der globalen Entwaldung sind auf europäischen Konsum zurückzuführen, auch das zeigt eine WWF-Studie. Nur China importiert mit 24 Prozent noch mehr Entwaldung. Wenn man das ins Verhältnis zur Zahl der Einwohner:innen setzt, wird deutlich, dass Europa hier einen sehr großen Fußabdruck hinterlässt.

                Und damit letztlich dem Klima schadet.

                Sehr sogar. Wir wissen, dass Wälder eine enorm wichtige Bedeutung für den Klimaschutz haben. Sie sind natürliche CO2-Speicher und haben eine wichtige Funktion für das Ökosystem. Rund ein Viertel der potenziellen CO2-Reduktion, um die Erderhitzung auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen, steckt in Wäldern. Deshalb ist es wichtig, dass wir Wälder in den Blick nehmen. Und dabei müssen wir erkennen, dass wir mit unserer Art zu produzieren und zu konsumieren deutlich zur Entwaldung beitragen.

                Wie das?

                Den Wäldern geht es ohnehin schon schlecht aufgrund des Klimawandels. Dazu werden sie für die Produktion von Rohstoffen wie Soja, Kakao, Palmöl, Kaffee, Mais, Kautschuk auch noch im großen Maßstab in Agrarfläche umgewandelt. Das ist ein riesiges Problem, denn allein durch diese Entwaldung werden elf Prozent der globalen Emissionen verursacht. Dabei tragen wir als Konsument:innen natürlich auch eine Mitverantwortung. Aber wenn wir uns erst vor dem Supermarktregal entscheiden können, ob wir zur Entwaldung beitragen wollen oder nicht, dann ist es bereits zu spät. Deshalb müssen wir als europäische Gesetzgeber:innen früher eingreifen und dafür sorgen, dass Produkte, die aus Entwaldung stammen, gar nicht erst auf den europäischen Markt kommen.

                Europas Lieferketten sollen nicht mehr zur Entwaldung beitragen

                Welche Produkte und Branchen sind das?

                Für Luxusgüter wie Kaffee und Kakao ist Europa ein großer Umschlagplatz. Wir verarbeiten Kakao zu Schokolade. Hier ist Europa sogar Weltmarktführer, obwohl auf unserem Kontinent nirgendwo eine einzige Kakaobohne wächst. Auch die Automobilindustrie ist in der Pflicht. Kautschuk landet beispielsweise in Reifen, Leder in Autositzen. Vor allem geht es aber um Futtermittel aus Mais und insbesondere Soja.

                Nun sind die verarbeitende Industrie und die Landwirtschaft auf diese Importgüter angewiesen und kaufen sie auf dem freien Markt ein.

                Natürlich kann man sagen, man habe keinen Einfluss auf das, was andere tun. Das ist für mich aber nicht der Ansatz des Green Deal. Europa will global Verantwortung übernehmen und den eigenen CO2-Fußabruck reduzieren. Dabei spielt die Entwaldung eine wichtige Rolle. Wir wollen neue Standards setzen und die Garantie dafür, dass wir mit unserer Art zu produzieren und zu konsumieren nicht mehr zur Entwaldung beitragen. Wir haben das Ziel, europäische Lieferketten entwaldungsfrei zu machen. Aber wir wollen auch einen Einfluss darauf haben, dass sich Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern verbessern und nachhaltig werden. Und da ist Europa als selbst ernannte Vorreiterin in der Verantwortung.

                “Freiwillige Selbstverpflichtungen bringen nichts”

                Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow haben sich mehr als 100 Staaten verpflichtet, die Zerstörung der Wälder zu stoppen.

                Ähnliche Erklärungen gab es schon häufiger. Die Frage ist, was daraus folgt. Die Menschen haben ein sehr emotionales, romantisches Verhältnis zum Wald. Wenn in der Vergangenheit über Klima- und Naturschutz gesprochen wurde, dann war der Wald immer ein zentrales Thema. Aber wo sind wir angekommen? Die globalen Entwaldungsraten steigen unaufhörlich. Jährlich verschwindet tropischer Regenwald einer Fläche in der Größe der Niederlande. Offensichtlich bringen diese freiwilligen Selbstverpflichtungen nichts. Deshalb ist es wichtig, dass wir in der EU wirklich Gesetze verabschieden, die es uns ermöglichen, diese Selbstverpflichtung auch tatsächlich zu erreichen. Für hehre, unverbindliche Ziele haben wir keine Zeit mehr.

                Wie soll das durch die nun geplante Verordnung sichergestellt werden?

                Geplant sind verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen. Im Kommissionsvorschlag enthalten sind Soja, Kakao, Kaffee, Rindfleisch, Holz und Palmöl. Wenn Unternehmen diese Produkte auf den europäischen Markt bringen wollen, müssen sie für jeden Schritt ihrer Lieferkette nachweisen können, dass die Produkte nicht zur Entwaldung beigetragen haben. Wo Entwaldungsrisiken entdeckt wurden, muss mit konkreten Gegenmaßnahmen Abhilfe geschaffen werden. Nur dann dürfen diese Produkte auf den EU-Markt gelangen.

                Wie bewerten Sie den Kommissionsvorschlag, der weniger weit geht als Ihr Initiativbericht?

                Anfangs dachte ich gar nicht, dass wir so weit kommen würden. Die Kommission hatte zunächst ganz andere Vorschläge gemacht, darunter Zertifizierungsstandards für mehr Sicherheit auf dem Markt durch verbindliche Labels. Dass sich die verbindlichen Sorgfaltspflichten als Basis des Gesetzes durchgesetzt haben, ist ein großer Erfolg. Es ist also ein guter Vorschlag und ein riesiger Schritt nach vorn. Aber es gibt noch Mängel und Schlupflöcher, die dafür sorgen könnten, dass wichtige Teile der Entwaldung vernachlässigt werden könnten.

                Die da wären?

                Das betrifft zum einen die Produktpalette, auf der Mais und Kautschuk bisher noch fehlen. Ein wissenschaftliches Gutachten für die Kommission kam noch zu dem Schluss, dass beide Rohstoffe deutlich zur Entwaldung beitragen und deshalb im Text enthalten sein sollten. Sie außen vor zu lassen, war also eine politische Entscheidung. So ein Gesetz sollte aber auf wissenschaftlichen Kriterien basieren.

                Druck auf andere Ökosysteme

                Politische Entscheidung, bedingt wodurch?

                Dazu könnte ich nur spekulieren, ich kann mir aber vorstellen, dass Lobbyismus aus Teilen der kautschukverarbeitenden Industrie hier eine Rolle gespielt hat. Aber im Parlament ist man sich einig, dass alle Risikogüter in jeder verarbeiteten Form enthalten sein müssen.

                Was sind die weiteren Baustellen?

                Kritische sehe ich auch die Frage nach anderen wertvollen Ökosystemen. Etliche Studien belegen: Wenn man den Druck von Wäldern nimmt, dann geht er auf andere wertvolle Ökosysteme über. Dazu gehören beispielsweise die Cerrado- und Gran-Chaco-Savannen, oder das Pantanal-Feuchtgebiet in Südamerika, wo dann ebenfalls Monokulturen entstehen würden.

                Außerdem geht es um die Berücksichtigung der Menschenrechte, die in der Verordnung bislang nicht ausreichend vorgesehen ist. Dabei wissen wir, dass im Kontext von Entwaldung ganz spezifische Formen von Menschenrechtsverletzungen verübt werden, beispielsweise durch die Enteignung und Vertreibung indigener Bevölkerungsgruppen oder durch die Verfolgung von Umweltaktivisten. Auch die Rolle von Banken als Finanzierer von Entwaldungsaktivitäten ist nicht verankert. Das will ich im Gesetzgebungsprozess ändern. Dennoch ist dieses Gesetz ein großer Game-Changer. Denn es wird konkret Verantwortung übernommen, und damit hat Europa tatsächlich die Chance, eine globale Vorreiterrolle einzunehmen.

                Legalität: Eine Frage der Definition

                Die öffentliche Konsultation der Kommission zu dieser Richtlinie erfuhr das zweitgrößte Echo in der Geschichte der EU. Das Thema bewegt die Menschen. Warum hat es so lange gedauert, bis aus den vielen freiwilligen Selbstverpflichtungen ein Gesetz wurde?

                Das geht mit einer veränderten Wahrnehmung in der Gesellschaft einher. Ich glaube, der Kaffee am Morgen wurde lange nicht mit brennenden Regenwäldern in Zusammenhang gebracht. Das zunehmende Umweltbewusstsein in der Bevölkerung hat hier auch zu größerem Handlungsdruck in der Politik geführt. Dazu kommen lehrreiche Erfahrungen mit der bestehenden Gesetzgebung, beispielsweise bei der Holzverordnung. Hier muss das holzverarbeitende Gewerbe nachweisen, dass der Rohstoff legalen Ursprungs ist.

                Das ist natürlich eine spannende Definitionsfrage. Denn Brasilien ist dabei, die entsprechenden Gesetze einfach anzupassen. So kann Entwaldung ganz schnell als legal erklärt werden. Schädlich für das Klima und den Artenschutz ist es trotzdem. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir darüber hinausgehen und nicht nur Legalität, sondern Nachhaltigkeit als Standard einführen. Zukünftig soll weder legale noch illegale Entwaldung in die EU importiert werden.

                Ihr Initiativbericht hatte im Parlament eine Mehrheit, aber dennoch nicht nur Unterstützer gefunden. Was sind die Bedenken der Skeptiker?

                Kritisch gesehen wird die Frage der Kontrolle und Sanktionsmöglichkeiten. Mein Bericht hatte eine zivilrechtliche Haftung für Unternehmen vorgesehen, wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen. Sinn eines regulatorischen Rahmens ist schließlich auch, dass es Konsequenzen gibt, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Wir machen Unternehmen ja nicht für etwas haftbar, auf das sie keinen Einfluss haben. Es geht darum, Risiken in der Lieferkette zu erkennen und dann gegebenenfalls zu handeln, anstatt bewusst wegzuschauen.

                Von den Kritikern werden nun kleine und mittelständische Unternehmen vorgeschoben, mit dem Argument, den Bürokratieaufwand nicht vergrößern zu wollen. Das will ich auch nicht. Aber mit unserer Rahmengesetzgebung will ich Geschäftsmodelle belohnen, die sich nicht auf Ausbeutung von Mensch und Natur spezialisiert haben. Dass das geht, beweisen schon viele Unternehmen. Sie sollen im Wettbewerb nicht länger benachteiligt werden.

                Verzögerungstaktik der EVP?

                Was sind jetzt die weiteren Schritte? Wann soll das Gesetz in Kraft treten?

                Die Konflikte gilt es jetzt aufzulösen und zu verhandeln. Der Rat arbeitet schon intensiv an dem Thema und will noch in diesem Halbjahr unter der französischen Ratspräsidentschaft seine Positionierung festlegen. Wir im EU-Parlament werden unsere Verhandlungsgrundlage aber erst im September beschließen. Anschließend werden wir im Trilog mit dem Rat zu Verhandlungen zusammenkommen und dann wird es noch dauern, bis das Gesetz national umgesetzt wird.

                Warum erst im September?

                Dass wir jetzt so viel Zeit verlieren, liegt wahrscheinlich auch an der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Frankreich, und das finde ich sehr schade. Die französische Ratspräsidentschaft hätte das Gesetz gerne schneller über die Bühne gebracht, aber ich vermute, dass die Konservativen hier im Parlament dem liberalen Macron diesen Wahlkampf-Triumph nicht gönnen wollen und sich daher erfolgreich darum bemüht haben, die Federführung für die Verordnung zu übernehmen, um dadurch den Zeitplan mitbestimmen zu können. Diese Verzögerungstaktik finde ich nicht in Ordnung.

                Im Oktober 2021 hat das Europäische Parlament unter meiner Federführung schon eine weitreichende Beschlussvorlage zur Entwaldungsverordnung verabschiedet, auf deren Basis wir schnell Änderungsanträge zum Kommissionsvorschlag erarbeiten können. Diese Beschlussvorlage passt den Konservativen im Europäischen Parlament vielleicht nicht, aber so ist das nun mal in einer Demokratie.

                Mehr zum Thema

                  • Europapolitik
                  • Green Deal
                  • Klima & Umwelt
                  • Lieferketten
                  • Lieferkettengesetz
                  • Naturschutz

                  Dank strategischer Gasreserven: Italien trotzt der Energiekrise

                  Roberto Cingolani ist Minister für ökologischen Umbau in Italien. Schon im Dezember kündigte der Physiker an: In Sachen Gasversorgung werde man in diesem Winter besser aufgestellt sein als die nördlichen EU-Partner. Italien wurde kurzzeitig sogar zum Erdgasexporteur, verkaufte den wertvollen Brennstoff in die Schweiz und die Niederlande, nach Deutschland und Frankreich.

                  Dass der Marktpreis für Gas in Italien niedriger war als im übrigen Europa, lag im Wesentlichen an drei Faktoren: strategische Gasspeicher, milde Temperaturen und die Inbetriebnahme der Transadriatischen Pipeline (TAP) im Jahr 2021. Letztere bringt fast acht Milliarden Kubikmeter Gas aus Aserbaidschan nach Europa, davon 6,8 Milliarden nach Italien.

                  Strategische Gasreserven in Italien sichern die Versorgung

                  Das Land importiert 90 Prozent seines Gasverbrauchs und ist dabei, wie die meisten EU-Staaten, stark von Lieferungen aus Russland abhängig. So kamen im Jahr 2020 nach Angaben des Ministeriums für ökologischen Umbau 43,3 Prozent der italienischen Erdgasimporte aus Russland, 22,8 Prozent aus Algerien und jeweils rund zehn Prozent aus Norwegen und Katar.

                  Italien verfügt über die zweitgrößten Gas-Speicherkapazitäten in Europa nach Deutschland und, im Gegensatz zur Bundesrepublik, auch über strategische Gasreserven. Die Vorräte wurden im Jahr 2000 per Gesetz angelegt, um den Rückgang der inländischen Gasversorgung sowie Engpässe im Falle einer Gaskrise ausgleichen und so zur Versorgungssicherheit des Landes beitragen zu können. Strategische Gasreserven in Italien können nur mit Genehmigung des Ministeriums und erst dann genutzt werden, wenn die zugewiesene Importkapazität vollständig ausgeschöpft ist.

                  Speichervolumen von rund 18 Milliarden Kubikmetern

                  Insgesamt verfügt Italien über ein maximales Speichervolumen von rund 18 Milliarden Kubikmetern, wovon 4,5 Milliarden strategische Rücklagen sind. Die wichtigsten Gasspeicherunternehmen sind Edison Stoccaggio und Stogit-Snam. Letzteres ist zugleich auch der größte Betreiber in der EU mit einer Kapazität von mehr als 17 Milliarden Kubikmetern, was einem Marktanteil von etwa 15 Prozent in der EU und 3,5 Prozent weltweit entspricht.

                  “Das italienische System hat drei Stärken: reichlich Speicher, ein geregeltes Netz, das die Befüllung fördert, und strategische Gasreserven”, sagt eine Sprecherin von Snam zu Europe.Table. “Aus diesen Gründen verfügt Italien über die größten Vorräte im Vergleich zu den großen EU-Ländern – derzeit rund 50 Prozent, mehr als zehn Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt.” Das regulierte Speichersystem soll entscheidend dazu beigetragen haben, die Preisspannungen einzudämmen.

                  Italien und Frankreich sind die einzigen EU-Länder, in denen die Speicherung geregelt ist. Die Lager werden im Sommer bei entsprechend geringeren Gaspreisen aufgefüllt und im Winter zur Deckung der erhöhten Nachfrage herangezogen. Dabei nehmen die Betreiberfirmen einen vorgegebenen Teil ihrer Kapazitäten aus dem Markt, um sie für die strategischen Reserven zurückzustellen.

                  Italien drängt auf Gasreserven der EU

                  Um alle verfügbaren Speichervolumina in der EU bestmöglich zu nutzen, wäre nach Ansicht von Snam eine Regulierung wie in Italien oder ein gemeinsamer Einkaufsmechanismus auf europäischer Ebene erforderlich. Europa könnte dem Unternehmen zufolge auch problemlos neue Speicher an bestehenden und neuen Standorten für zusätzliche 20 Prozent der derzeitigen Kapazität einrichten: “Die Kosten für die Entwicklung eines solchen Speichers liegen unter Berücksichtigung der europäischen Nachfrage zwischen 50 Cent und einem Euro pro Megawattstunde und damit weit unter den Schwankungen, die wir in den letzten Monaten erlebt haben”, sagt eine Sprecherin.

                  Italien hatte bereits im Oktober darauf gedrängt, mit der Arbeit an einem Plan zur Schaffung eines gemeinsamen Speichersystems für strategische Gasreserven zu beginnen. Ministerpräsident Mario Draghi betonte, dass es schwierig sei, kurzfristig auf den Einsatz von Gas zu verzichten. Im Dezember hat die EU-Kommission im Rahmen ihres Gasmarktpakets erklärt, strategische Gasvorräte ermöglichen zu wollen, ebenso wie die Option für die Mitgliedstaaten, sich an einem freiwilligen gemeinsamen Einkaufssystem für diese Vorräte zu beteiligen.

                  Strategische Bedeutung des Südlichen Gaskorridors

                  Die Transadriatische Pipeline ist der europäische Abschnitt des sogenannten Südlichen Gaskorridors, durch den Erdgas aus dem Gasfeld Shah Deniz II in Aserbaidschan nach Europa transportiert wird. Die TAP ist an der griechisch-türkischen Grenze mit der Transanatolischen Pipeline (TANAP) verbunden und durchquert Nordgriechenland, Albanien und die Adria, bevor die Pipeline in Apulien ankommt, wo sie an das italienische Gasverteilungsnetz angeschlossen ist.

                  EU-Kommissarin Kadri Simson reiste vergangene Woche zu einem Treffen des Beirats für den Südlichen Gaskorridor nach Baku und betonte dessen strategische Bedeutung für die EU, da er zur Verbesserung der Versorgungssicherheit in Europa beitrage (Europe.Table berichtete).

                  Der Beitrag der TAP-Pipeline, die Erholung in Algerien und die fortgesetzten russischen Lieferungen nach Italien sorgten für eine zusätzliche Gas-Verfügbarkeit zu wettbewerbsfähigen Preisen zum Jahresende. Damit wurde Italien kurzfristig zum Gasexportland und lieferte 1,54 Milliarden Kubikmeter an seine europäischen Nachbarländer.

                  Nun will Italien seine Gasimporte aus Aserbaidschan auf etwa zehn Milliarden Kubikmeter erhöhen. Die Zahl sei bei einem Telefonat zwischen dem italienischen Staatssekretär im Außenministerium und dem aserbaidschanischen Energieminister Parviz Schahbazov gefallen, teilte das italienische Büro der staatlichen Nachrichtenagentur Aserbaidschans (AZERTAC) mit.

                  Auch EU-Kommissarin Simson hatte bei ihrem Besuch in Baku bilaterale Gespräche mit Schahbazov geführt. Nach Angaben der Kommission soll es dabei ebenfalls um eine Ausweitung der Lieferungen über den Südlichen Korridor in Richtung Europa gegangen sein. Isabel Cuesta Camacho

                  Mehr zum Thema

                    • Aserbaidschan
                    • Energie
                    • Energiepreise
                    • Erdgas
                    • Europapolitik
                    • Italien

                    Termine

                    16.02. – 18.02.2022, online
                    Konferenz Hamburger IT-Strategietage 2022
                    Die Hamburger IT-Strategietage laden dazu ein, sich über die jüngsten Entwicklungen und zukünftigen Herausforderungen in der IT-Branche auszutauschen. INFOS & ANMELDUNG

                    16.02. – 17.02.2022, online
                    Konferenz EU-Africa Business Forum 2022: High Level Panels
                    12 panels will provide insights into key themes of EU-Africa business, trade and investment relations. INFOS & REGISTRATION

                    16.02. – 17.02.2022, Düsseldorf/online
                    Handelsblatt, Konferenz Zukunft Stahl
                    Die Konferenz des “Handelsblatt” beleuchtet die aktuelle Situation der Stahlindustrie im Angesicht von angespannten Lieferketten und grüner Transformation. INFOS & ANMELDUNG

                    16.02.2022 – 09:00-12:30 Uhr, online
                    EC, Workshop Digitalisation of the energy system – Best practice for energy data sharing
                    This workshop by the European Commission (EC) is part of the strategy to help develop a competitive market for digital energy services and digital energy infrastructure that are cyber-secure, efficient and sustainable. INFOS & REGISTRATION

                    16.02.2022 – 15:00-17:00 Uhr, online
                    EUH, Diskussion Nachhaltigkeit als Chance und Aufgabe: Welchen Beitrag können kleine und mittlere Unternehmen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der EU-Industriestrategie leisten?
                    Diese Diskussion der Europa-Union Hamburg (EUH) hat das Ziel, Unternehmen im Hamburger Raum zu einem strukturellen Wandel im Einklang mit den Nachhaltigkeitsanforderungen der EU zu motivieren und den Unternehmen die Möglichkeit zu bieten, ihre Einschätzung zu den EU-Vorgaben sowie zu deren praktischer Umsetzbarkeit auszuformulieren. INFOS & ANMELDUNG

                    17.02.2022 – 10:00-11:30 Uhr, online
                    ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch Umweltmanagementsystem EMAS
                    Das Effizienznetzwerk für Stadtwerke (ASEW) beschäftigt sich mit dem Umweltmanagementsystem Eco-Management and Audit Scheme (EMAS). INFOS & ANMELDUNG

                    17.02.2022 – 10:30-12:30 Uhr, online
                    TÜV, Seminar Effektive Securitystrategien für die Betriebstechnologie (OT) von KMU – Risiken erkennen und angemessen behandeln
                    Das Seminar des TÜV widmet sich Möglichkeiten des Schutzes der Betriebstechnologie von kleinen und mittleren Unternehmen. INFOS & ANMELDUNG

                    17.02.2022 – 17:30-19:00 Uhr, online
                    BDE, Podiumsdiskussion Abfallverbringung gehört zu einer europäischen Kreislaufwirtschaft
                    Die Podiumsdiskussion des Bundesverbands der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE) diskutiert die Vorschläge der EU-Kommission zur Reform des Abfallverbringungsrechts. INFOS

                    News

                    Berichterstatter fordert schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur in den Mitgliedstaaten

                    Der Berichterstatter für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe, Ismail Ertug (S&D), will die Mitgliedstaaten bei der Verkehrswende stärker in die Pflicht nehmen. In seinem Berichtsentwurf für den Ausschuss für Verkehr und Tourismus (TRAN) fordert er eine Erhöhung der Ausbauziele für E-Ladestationen. Diese sollen in Relation zur Flottengröße von E-Autos und Plug-in-Hybriden (PHEV) stehen.

                    Ertug schlägt vor, dass Mitgliedstaaten drei Kilowatt (kW) öffentlich zugängliche Ladeleistung pro zugelassenem E-Auto zubauen müssen, wenn der E-Auto-Anteil an der nationalen Pkw-Flotte weniger als ein Prozent beträgt. Liegt der Anteil höher, sinkt sukzessive auch die zusätzlich zu bauende Ladeleistung. Gleiches gilt für PHEV.

                    Vorschläge für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe

                    Ertugs Vorschläge für den Zubau von Ladeleistung:

                    • 3 kW pro zugelassenem E-Auto, wenn der Anteil von E-Autos an der nationalen Pkw-Flotte weniger als 1 Prozent beträgt.
                    • 2,5 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 1 und 2,5 Prozent
                    • 2 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 2,5 und 5 Prozent
                    • 1,5 kW bei E-Auto-Anteil zwischen 5 und 7,5 Prozent
                    • 1 kW bei E-Auto-Anteil über 7,5 Prozent
                    • 2 kW pro zugelassenem PHEV, wenn der Anteil von PHEV an der nationalen Pkw-Flotte weniger als 1 Prozent beträgt.
                    • 1,66 kW bei PHEV-Anteil zwischen 1 und 2,5 Prozent
                    • 1,33 kW bei PHEV-Anteil zwischen 2,5 und 5 Prozent
                    • 1 kW bei PHEV-Anteil zwischen 5 und 7,5 Prozent
                    • 0,66 kW bei E-Auto-Anteil über 7,5 Prozent

                    Damit aber auch Länder, in denen nur wenige E-Autos oder PHEV zugelassen werden, ihre Ladeinfrastruktur ausbauen, sieht der Berichtsentwurf eine verpflichtende Mindestabdeckung vor. Bis Ende 2025 sollen alle Länder genügend Ladestellen bereitgestellt haben, um theoretisch einen E-Auto-Anteil von zwei Prozent ihrer jeweiligen Pkw-Flotten versorgen zu können. Bis Ende 2027 sollen es fünf und bis 2030 zehn Prozent sein.

                    Auf diese Weise will Ertug dafür sorgen, dass das Ambitionsniveau vor allem zu Beginn hoch ist, sagte er Europe.Table. Die Idee: Gibt es in einem Land nur wenige E-Autos und PHEV, muss die Infrastruktur umso schneller ausgebaut werden, um den Hochlauf der E-Mobilität zu ermöglichen. Ist ein gewisser Anteil an E-Autos und PHEV inklusive der entsprechenden Ladeinfrastruktur vorhanden, reicht ein geringerer Zubau pro weiterem Pkw.

                    Die EU-Kommission hatte ein kW pro zugelassenem E-Auto (0,66 kW pro PHEV) im Rahmen des Fit-for-55-Pakets vorgeschlagen, ohne Berücksichtigung der Flottengrößen und ohne Mindestabdeckung.

                    Wasserstoff und Ammoniak für die Schifffahrt

                    Ursprünglich habe er einen Zubau von drei kW pro zugelassenem E-Auto vorgesehen, ebenfalls ohne relative Flottenberücksichtigung. Dies hätte jedoch in einigen Ländern mit niedrigerer Pkw-Dichte den Bedarf überstiegen, sagt Ertug, sodass es “Stranded Assets” gegeben hätte.

                    Außerdem fordert der Berichterstatter, dass Biokraftstoffe und E-Fuels künftig insbesondere im Flugverkehr und in der Schifffahrt genutzt werden sollen, um auch in diesen Sektoren Emissionen senken zu können. LNG, welches noch von der Kommission als eine legitime Alternative für den Seeverkehr behandelt wurde, sei zudem nicht mit dem Klimaneutralitätsziel der EU vereinbar. Der Sozialdemokrat fordert daher ein Auslaufen der LNG-Verwendung in den Sektoren und stattdessen den Aufbau einer Infrastruktur für Wasserstoff und Ammoniak. luk

                    Mehr zum Thema

                      • Autoindustrie
                      • E-Fuels
                      • Elektromobilität
                      • Green Deal
                      • Klima & Umwelt
                      • Klimaschutz
                      • Mobilität
                      • Verkehrspolitik

                      Russland zu weiteren Gesprächen bereit

                      Entgegen der US-Warnungen vor einem unmittelbar bevorstehenden Angriff Russlands auf die Ukraine kommen aus Moskau versöhnliche Töne. Präsident Wladimir Putin ließ am Montag signalisieren, dass er zu weiteren Gesprächen bereit sei.

                      Außenminister Sergej Lawrow sagte in einer am Montag im Fernsehen übertragenen Unterredung mit Putin, ein weiterer Dialog mit dem Westen über die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien sei möglich. Die USA hätten konkrete Vorschläge unterbreitet, um die militärischen Risiken für Russland zu verringern. Die Antworten von EU und Nato auf die Forderungen Russlands seien indes nicht zufriedenstellend, da die Regierung in Moskau eine Position der einzelnen Staaten fordere, sagte Lawrow.

                      Scholz & Selenskyj: Nato-Beitritt der Ukraine nicht in Sicht

                      Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sehen keinen baldigen Nato-Beitritt der Ukraine. Selenskyj räumte am Montag nach einem Treffen mit Scholz in Kiew ein: “Vielleicht ist die Frage der offenen Tür für uns doch ein Traum.” Scholz betonte, dass die Nato an dem Prinzip der offenen Tür für neue Mitglieder festhalten werde, aber ein Beitritt der Ukraine jetzt nicht auf der Tagesordnung stehe.

                      Selenskyj: Nord Stream 2 geopolitische Waffe

                      Olaf Scholz drohte Russland im Falle einer militärischen Eskalation erneut mit scharfen Sanktionen des Westens. “Wir sind zu jedem Tag in der Lage, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.” Die Sanktionen würden schwerwiegenden Einfluss auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung Russlands haben. “Die territoriale Integrität (…) der Ukraine ist für Deutschland nicht verhandelbar.” Selenskyj bezeichnete die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2 als geopolitische Waffe, weshalb sein Land Sicherheitsgarantien bei der Energieversorgung brauche.

                      Der Bundeskanzler kündigte weitere Hilfen für die Ukraine an. “Deutschland steht ganz fest an Ihrer Seite”, sagte Scholz. Kein Land der Welt habe die Ukraine in den vergangenen Jahren finanziell so stark unterstützt wie Deutschland. Die Bundesregierung werde 150 Millionen Euro aus einer alten Kreditlinie freigeben und weitere 150 Millionen Euro zur Verfügung stellen, um die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren. Selenskyj forderte deutsche Firmen zu mehr Investitionen auf. Morgen reist Scholz nach Moskau, wo er mit Putin zusammentrifft. rtr

                      Mehr zum Thema

                        • Deutschland
                        • Europapolitik
                        • International
                        • Nord Stream 2

                        Insider: Kein schärferer Kurs bei Verbrenner-Aus

                        Im Streit über das Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren hat sich das von den Grünen geführte Umweltministerium mit Forderungen nach einem schärferen Kurs nicht durchsetzen können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) habe ein Machtwort gesprochen, sagten mehrere mit der Sache befasste Personen am Montag der Nachrichtenagentur Reuters.

                        Demnach gilt nun, was SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag festgelegt haben. Das heißt, die Klima-Ziele der EU aus dem Fit-for-55-Programm sollen unterstützt werden. Demnach sollen die Kfz-Hersteller bis 2030 dafür sorgen, dass ihre Neuwagenflotten 55 Prozent weniger CO2 ausstoßen als noch 2021. Zuerst hatte das “Handelsblatt” darüber berichtet.

                        Konkret dürfen damit ab 2035 in Europa nur noch klimaneutrale Fahrzeuge neu auf den Markt kommen. Auf dem Weg dorthin soll es keine verschärfenden Zwischenziele geben, für die die Autohersteller Strafen zahlen müssten, sollten sie diese verfehlen. Das Bundesumweltministerium hatte dagegen geplant, die Flottengrenzwerte auf europäischer Ebene zu verschärfen. Dieses Vorhaben muss es nun fallen lassen. rtr

                        Mehr zum Thema

                          • Autoindustrie
                          • Europapolitik
                          • Green Deal
                          • Klima & Umwelt
                          • Klimapolitik
                          • Klimaziele
                          • Mobilität

                          Rekordumsatz für weltweite Chipindustrie

                          Die fortschreitende Digitalisierung rund um den Globus hat der Chipindustrie ein Rekordjahr beschert. Die Hersteller hätten ihre Umsätze im vergangenen Jahr insgesamt um 26,2 Prozent auf zuvor nie erreichte 555,9 Milliarden Dollar hochgeschraubt, teilte der Branchenverband SIA am Montag mit. Insgesamt seien 1,15 Billionen Halbleiter verkauft worden.

                          Chipindustrie profitiert von der Digitalisierung

                          Wegen der hohen Nachfrage bauen derzeit alle Anbieter wie Intel, TSMC und Samsung Electronics ihre Kapazitäten aus. Deswegen rechnet SIA für das laufende Jahr mit einem Erlösplus von fast neun Prozent. Die Digitalisierung während der Corona-Pandemie werde die Nachfrage nach Chips auch künftig ankurbeln, sagte SIA-Chef John Neuffer: “In der absehbaren Zukunft wird es genug Nachfrage geben, um einen sehr aggressiven Werkaufbau zu rechtfertigen.”

                          Um Firmen anzulocken, setzen die USA, China und die Europäische Union auf Förderprogramme. Erst in der vergangenen Woche hatte die EU-Kommission angekündigt, bis 2030 mit dem European Chips Act 15 Milliarden Euro an zusätzlichen öffentlichen und privaten Investitionen für die Chipproduktion zu mobilisieren (Europe.Table berichtete). rtr

                          Mehr zum Thema

                            • Chips
                            • Chips Act
                            • Coronavirus
                            • Digitalisierung
                            • Digitalpolitik
                            • Europapolitik
                            • Technologie

                            Presseschau

                            Koalition legt Streit um Verbrenner-Autos bei HANDELSBLATT
                            FDP fordert “klare Botschaft” von Scholz zu Nord Stream 2 TAGESSPIEGEL
                            Immer mehr Airlines meiden die Ukraine HANDELSBLATT
                            EU macht 4 Milliarden Euro zur Bekämpfung von Plastikverschmutzung im Meer locker EURACTIV
                            Habeck sieht Chancen für klimaneutrale Schiffe NTV
                            Baerbock will bei Dienstreisen ins Ausland reguläre Linienflüge nutzen TAGESSPIEGEL
                            Kommission warnt Frankreich vor Änderung nationaler Agrarpläne nach Wahlen EURACTIV
                            Wie die EU Elon Musk im All herausfordern will HANDELSBLATT

                            Standpunkt

                            TTC: Von drängenden Problemen zu multilateraler Technologiepolitik

                            Von Andrea G. Rodríguez
                            EU-US-Trade and Technology Council: Andrea G. Rodríguez, Leitende Analystin für Digitalpolitik beim European Policy Centre.
                            Andrea G. Rodríguez, Leitende Analystin für Digitalpolitik beim European Policy Centre.

                            Als nach dem EU-US-Gipfel 2021 beide Seiten der Gründung des Handels- und Technologierats zustimmten, blickten viele Analysten mit Erleichterung, aber auch mit Vorsicht in die Zukunft. Vorangegangene Bestrebungen hatten sich als erfolglos erwiesen, und der Zustand der Beziehungen zwischen der EU und den USA ist nicht gerade der beste. Es ist daher relevant, zu erwähnen, dass der Trade and Technology Council nicht die Folge eines erneuerten transatlantischen Bündnisses ist. Sondern eher ein Test für die Vereinigten Staaten und Europa, ob sie bei der Lösung globaler Technologiefragen zusammenarbeiten können.

                            Ausgangspunkt ist die Dringlichkeit, die multilaterale Zusammenarbeit zu verstärken, die transatlantische Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu fördern und China bei der Festlegung internationaler Standards und der Entwicklung neuer Technologien die Stirn zu bieten. Damit der TTC jedoch bei der Koordinierung von “Ansätzen für wichtige globale Technologie-, Wirtschafts- und Handelsfragen” erfolgreich sein kann, wie es in der Erklärung heißt, die beide Parteien nach ihrem ersten Treffen unterzeichneten, müssen sie ihre Streitigkeiten lösen – etwa zu Datenströmen und der Regulierung von Plattformen – und die Auswirkungen sich entwickelnder Märkte und Technologien prüfen.

                            Ausgangslage des Trade and Technology Council könnte besser sein

                            Der erste drängende Bereich ist die Standardisierung. In den vergangenen zehn Jahren haben chinesische Beamte wichtige Positionen in internationalen Organisationen wie der ISO (International Standardisation Organisation) besetzt. Hierdurch befindet sich das Land in einer guten Ausgangsposition, um die Standardsetzung zu beeinflussen und damit die Wettbewerbsfähigkeit seiner nationalen Champions wie Baidu, Tencent oder Huawei zu steigern.

                            Normen sind Voraussetzung für Interoperabilität, spiegeln aber auch Werte wider, weshalb der Trade and Technology Council dieses Thema so weit oben auf die Agenda gesetzt hat. Damit Technologie demokratische Werte widerspiegelt und verantwortlich ist, müssen sich sowohl die USA als auch die EU auf gemeinsame Standards einigen. Doch im Gegensatz zu früheren Industrialisierungswellen ist die Position des transatlantischen Bündnisses nicht wirklich günstig.

                            Das zweite dringende Thema ist die Neuausrichtung der Lieferketten und die Notwendigkeit, Sicherheitsniveau und Handlungsfähigkeit auf beiden Seiten für den Fall von Unterbrechungen zu erhöhen. In diesem Sinne ist die Steigerung von Produktionskapazitäten für ältere wie moderne Chips ein guter Schritt nach vorn. Angesichts der Bedeutung der digitalen Industrien könnten beide Parteien jedoch davon profitieren, wenn sie auch Engpässe in anderen Bereichen antizipieren würden, etwa bei kritischen Komponenten wie seltenen Erden, deren Produktion von China dominiert wird.

                            KI als Test für gemeinsame Governance-Fähigkeit

                            Das letzte drängende Thema ist die Notwendigkeit, sich auf eine gemeinsame Haltung zur sogenannten Künstlichen Intelligenz (KI) zu einigen. Diese letzte Frage ist von entscheidender Bedeutung. Denn sie wird die Fähigkeit des Trade and Technology Council auf die Probe stellen, ob hier Grundlagen für die Governance neuer Technologien geschafft werden können.

                            Wichtig ist dabei, dass sich die europäischen und amerikanischen Ansätze zur verantwortungsvollen KI in jenen Elementen unterscheiden, wie Systeme als vertrauenswürdig oder nicht vertrauenswürdig eingestuft werden sollen. Das könnte der Grund dafür sein, dass Governance für KI in jenen zehn Arbeitsgruppen, die der TTC eingerichtet hat, so verwässert ist. Um künftige Interessenkonflikte zu vermeiden, ist es von entscheidender Bedeutung, die unterschiedlichen Ansätze zu verstehen und eine Harmonisierung der Definitionen von Vertrauenswürdigkeit anzustreben.

                            Wenn man die Erklärung von Pittsburgh liest und die Arbeit der Arbeitsgruppen verfolgt, bestätigt sich das Gefühl, gegen die Uhr zu arbeiten. Ein Fokus auf Anstrengungen zur Lösung dieser dringenden Governance- und technischen Fragen ist dabei von entscheidender Bedeutung, um über die Zukunft nachzudenken und präventive Maßnahmen zu ergreifen.

                            Auf diese Weise werden sowohl die USA als auch die EU besser in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, die ihren Gesellschaften, ihren Volkswirtschaften und ihrer geopolitischen Position gegenüber Gegnern wie China zugutekommen werden.

                            • Europapolitik
                            • Handel
                            • Handelspolitik
                            • Technologie

                            Europe.Table Redaktion

                            EUROPE.TABLE REDAKTION

                            Licenses:

                              Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

                              Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

                              Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

                              Anmelden und weiterlesen