Table.Briefing: Europe

Auswirkungen des Lieferkettengesetzes + Hans Jürgen Kerkhoff im Interview + Waffenlieferungen für Ukraine

  • Lieferkettengesetz: Das Problem Xinjiang
  • Interview: Hans Jürgen Kerkhoff von der Wirtschaftsvereinigung Stahl
  • Scholz sagt Ukraine Waffenlieferungen der deutschen Industrie zu
  • EU-Sonderausschuss zur COVID-19-Pandemie startet
  • Digital Markets Act: Experten warnen vor Schlupfloch
  • EU-Kommission genehmigt deutsche und polnische Beihilfen für Unternehmen
  • Deliveroo: Französisches Gericht verurteilt zwei Manager
  • Portrait Benjamin Ledwon: Ein Lobbyist ohne Hinterzimmer-Klüngelei
Liebe Leserin, lieber Leser,

Deutschland und die westlichen Partner wollen der Ukraine auch schwere Waffen im Kampf gegen die russischen Invasionstruppen liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Dienstag nach einer Schaltkonferenz mit westlichen Staats- und Regierungschefs an, dass man sich bei der Lieferung von Militärmaterial eng abstimme. Deutsche Alleingänge seien dagegen falsch, so Scholz. Die Details zu Scholz’ Ankündigungen lesen Sie in den News.

Das deutsche Lieferkettengesetz sowie die noch schärfere EU-Richtlinie, die derzeit in Brüssel verhandelt wird, sollen Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Umweltverschmutzung verhindern. Betroffen sind dabei insbesondere die Photovoltaik-Industrie, Hersteller von Elektrokomponenten und von Baumwolle. Die Branchen sind abhängig von Lieferungen aus der nordwestchinesischen Region Xinjiang, wo muslimische Uiguren und andere Minderheiten laut UN unter Zwangsarbeit leiden. Marcel Grzanna analysiert, welche Auswirkungen die Vorgaben für eine faire Lieferkette für Unternehmen der drei Branchen tatsächlich haben.

Da in der Stahlindustrie an wenigen Standorten konzentriert sehr hohe Emissionen auftreten, gilt die Branche als entscheidend bei der grünen Transformation der Wirtschaft. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, spricht von einer “low hanging fruit”, um die CO2-Belastung signifikant zu reduzieren. Im Interview mit Manuel Berkel und Timo Landenberger fordert er dafür von der Politik mehr Unterstützung. Die von der EU vorgesehenen Instrumente seien bei der Umstellung wenig hilfreich und eine Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Zumal auch der Krieg in der Ukraine den Sektor vor große Herausforderungen stellt.

Im Portrait von Benjamin Ledwon lesen Sie, wie sich die Arbeit eines Lobbyisten aus seiner Sicht verändert hat. Er ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom und damit verantwortlich für die Interessensvertretung des Unternehmens bei der europäischen Gesetzgebung.

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Lieferkettengesetz: Das Problem Xinjiang

Bei Pacifico Renewables Yield (PRY) gibt man sich keinen Illusionen hin. Die Firma mit Sitz in Grünwald bei München kauft und betreibt Solar- und Windparks in ganz Europa. Projekte, in die sie investiert, müssen hohen sozialen und ökologischen Standards entsprechen. Zur Finanzierung gibt die Firma grüne Anleihen heraus oder beschafft sich Kredite bei Nachhaltigkeitsbanken mit strengsten Maßstäben.

Doch wenn es um China und Nachhaltigkeit geht, vor allem in der Solarbranche, weiß Geschäftsführer Martin Siddiqui sehr genau, dass es keine Gewissheiten gibt. “Der Großteil der Komponenten kommt aus China, und dort gibt es Zulieferer, die mit fossiler Energie produzieren, oder deren Produkte durch Zwangsarbeit hergestellt werden”, sagt Siddiqui. Man arbeite so gut es ginge daran, Unternehmen entlang der Lieferketten weiter und präziser zurückzuverfolgen und zu prüfen, sagt der 37-Jährige. Eine Garantie könne er aber nicht abgeben, ob alle verbauten Module in den Parks seines Unternehmens zu einhundert Prozent nachhaltig hergestellt wurden.

Lieferkettengesetz soll Unternehmen nachhaltiger machen

Garantien will nicht einmal die Politik erzwingen, wenn im kommenden Jahr das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz in Kraft tritt. Gemeinhin als Lieferkettengesetz bezeichnet, soll es Produkte, aber auch Dienstleistungen deutscher Unternehmen nachhaltiger machen. Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Umweltverschmutzung – all das soll ab 2023 so weit wie möglich aus der Wertschöpfung verbannt werden, wenn deutsche Firmen beteiligt sind.

Den Unternehmen bietet die Einführung des Gesetzes einen Vorgeschmack auf die noch schärfere EU-Richtlinie, die derzeit in Brüssel verhandelt wird (Europe.Table berichtete). Dann drohen den Firmen nicht nur Bußgelder, sondern auch Schadenersatzklagen von betroffenen Arbeitnehmern oder deren Familien in Millionenhöhe. Firmen müssen dann für arbeitsrechtliche Defizite bei ihren Zulieferern möglicherweise tief in die Tasche greifen, wenn sie nicht frühzeitig und konsequent gegen Risiken von Verstößen vorgehen.

Daher fragen sich Unternehmen, die Solarmodule, Elektrokomponenten, Baumwolle oder Tomaten aus Xinjiang beziehen, wie es ihnen gelingen soll, ihre Lieferketten aufzuräumen. Die nordwestchinesische Autonome Region gilt als Synonym für die Verletzung von Menschenrechten. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO der Vereinten Nationen spricht von einem “weit verbreiteten und systematischen” Zwangsarbeitsprogramm. Betroffen: vornehmlich Uiguren, aber auch türkische und andere muslimische Minderheiten.

Wer betrügen will, wird Wege finden”

Doch manche Branchen sind so abhängig von Lieferungen aus Xinjiang, dass es für sie unmöglich ist, innerhalb weniger Jahre ihren Bedarf aus anderen Quellen zu decken. Ein Fünftel der globalen Baumwolle kommt von dort, keine Region der Welt pflanzt und erntet mehr Tomaten für den Weltmarkt, und auch die Photovoltaik-Industrie verlässt sich weitgehend auf Module aus China.

Was nun? “Verlässlich nachzuweisen, dass in einem der Risikoprodukte keine Zwangsarbeit steckt, ist nahezu unmöglich”, sagt Joachim Trebeck von der Kölner Anwaltskanzlei Trebeck & von Broich. Der Arbeitsrechtler hält das von der Großen Koalition verabschiedete Gesetz dennoch für sinnvoll, weil Deutschland als “interessanter Markt seine Einflussnahme auf andere Länder” bündele. Doch Trebeck sagt auch: “Wenn ein Zulieferer betrügen will, dann wird er auch Mittel und Wege finden.”

Für die Solarpark-Betreiber von PRY ist das noch kein Grund, nervös zu werden. Das Lieferkettengesetz zielt zunächst nur auf die großen Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitern aufwärts. 2024 wird die Geltung auf alle Firmen ab 1.000 Mitarbeitern erweitert. Erst wenn auch die Europäische Union ein europaweites Lieferkettengesetz implementiert, rückt der Rechtsrahmen an den Mittelstand heran. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission in den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau liegt bei 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Doch bis dahin vergehen wohl noch vier, vielleicht fünf Jahre.

Zudem gilt die Bemühenspflicht, die besagt, dass Unternehmen die Verhinderung von Verstößen nicht garantieren müssen. “Wohl aber müssen sie alles Erforderliche tun, um ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Nur so vermeiden sie eine Strafe”, sagt Christoph Schork von der Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, der seit zweieinhalb Jahren Klienten auf die Einführung des Lieferkettengesetzes vorbereitet. “Das bedeutet aber auch, dass ein Unternehmen unter Umständen an die Zulieferer zweiten, dritten oder vierten Grades heranmuss, wenn es konkrete Hinweise auf Zwangsarbeit gibt”, so Schork.

Es gibt keine Best-Practice-Lösung

Eine Mammutaufgabe. Je größer ein Unternehmen, desto breiter knüpft sich sein Netzwerk. Mehrere Tausend unmittelbare Zulieferer sind bei riesigen Konzernen mit Hunderttausenden Mitarbeitern keine Ausnahme, sondern die Regel. Die mühsame Kleinarbeit beginnt mit einer gründlichen Risikoanalyse. Jedes Risiko muss intern bewertet und seiner Dringlichkeit nach angegangen werden. Ganz oben auf den Listen: Zulieferer aus Xinjiang.

Das Gesetz setzt eine “substanziierende Kenntnis” voraus, ehe sich die Verantwortung der Unternehmen auch auf den mittelbaren Zulieferer in der Lieferkette erstreckt. Sprich: Es müssen ernstzunehmende und nachprüfbare Hinweise vorliegen auf Risiken für Verstöße. “Bei dem Thema Uiguren kann niemand sagen, er hätte davon nichts gewusst”, sagt Schork. Doch es wird andere Fälle geben, bei denen die Verdachtsmomente weniger offenbar sind und Firmen dazu verleitet sein könnten, Unkenntnis vorzugaukeln.

Anwalt Schork glaubt jedoch nicht, dass sich das Vortäuschen von Unwissenheit langfristig auszahlen wird. “Die Angst vor einem Imageschaden, der aus solcher Ignoranz entstehen kann, dürfte die meisten Firmen davon abhalten.” Zudem hätten die Unternehmen erkannt, dass sie von echter Nachhaltigkeit profitieren können, weil sie dem gesellschaftlichen Zeitgeist folgten. Einige seien bereits entsprechend fortgeschritten in ihren Vorbereitungen.

Vorerst sind aber auch Experten noch ratlos, was die konkrete Ausgestaltung angeht. “Zurzeit blicken wir alle noch in die Blackbox. Es gibt einfach keine Best-Practice-Lösung“, sagt Schork. Auch glaubt er, das zuständige Bundesamt für Ausfuhrkontrolle und Wirtschaft werde unmittelbar nach Inkrafttreten des deutschen Gesetzes “keine Welle der Sanktionen in Gang setzen”. Die Behörde mit Sitz in der Niederlausitz müsse sich zunächst sortieren. Werden Verstöße jedoch geahndet, kann sie Bußgelder bis zu acht Millionen Euro verhängen.

Entscheidende Unterstützung für die Unternehmen erhofft sich die Politik von Whistleblowern. Deutsche Firmen müssen niederschwellige Kanäle einrichten, über die Beschwerden aus aller Welt zu Verstößen gegen Arbeits- oder Menschenrechte abgesetzt werden können. Auch müssen die Firmen ihre Zulieferer nachdrücklich dazu auffordern, über die Existenz dieser Kanäle auch deren eigenen Zulieferer aufzuklären. “Bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Denkbar sind Fragebögen, Audits, Schulungen – jede angemessene Maßnahme dient der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen und sorgt für größere Sicherheit”, so Schork.

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Hans Jürgen Kerkhoff: “Bei der CO2-Reduktion ist der Stahlsektor eine ‘low hanging fruit'”

Hans Jürgen Kerkhoff, Geschäftsführer und Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, über die Umstellung der Stahlindustrie auf Wasserstoff.
Hans Jürgen Kerkhoff ist Geschäftsführer und Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

Herr Kerkhoff, seit Ende Februar herrscht Krieg in Europa. Die Bundesregierung reagiert sehr zögerlich auf die Forderung, die Sanktionen der EU gegenüber Moskau auf ein vollständiges Energie-Embargo inklusive Gas auszuweiten. Das würde Russland hart treffen, aber auch die heimische Industrie. Wie steht die Stahlbranche zu einem solchen Schritt?

Wir alle wollen, dass der Krieg in der Ukraine so rasch wie möglich beendet und Europa für seine Versorgungssicherheit unabhängig von Rohstoffen aus Russland wird. Es ist aber auch unsere Aufgabe als Industrie, auf Konsequenzen hinzuweisen, die ein mögliches Erdgas-Embargo mit sich brächte. Die Stahlindustrie ist bis zum Umstieg auf grünen Wasserstoff noch auf Erdgas angewiesen. Wir tun alles, um bei den Einsatzstoffen alternative Quellen zu erschließen. Aber eine sofortige deutliche Reduktion der Gasversorgung beim Stahl durch ein Embargo hätte Folgen für unsere Anlagen. Da wir eine Grundstoffindustrie sind und am Anfang vieler Wertschöpfungsketten stehen, käme es zu erheblichen Kaskadeneffekten.

Auch Russland könnte seinerseits den Gashahn zudrehen. Wie stellen Sie sich auf einen möglichen Gaslieferstopp ein?

Ich glaube, dass die Bundesregierung sehr klar sieht, dass ein Lieferstopp oder ein Embargo massive Auswirkungen auf die Industrie und Lieferketten hätten. Erdgas ist in den Prozessen der Stahlindustrie nicht ersetzbar. Wir verbrauchen rund 2,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Das sind sechs Prozent des industriellen Bedarfs und ungefähr so viel, wie Berlin und München zusammen verbrauchen. Daneben ist die Gasversorgung auch wichtig für die Anlagensicherheit. Bei manchen Anlagen kommt es unter einem bestimmten Mindestbedarf zu technischen Schäden.

Es gibt also keinen Notfallplan?

Um einen Hochofen herunterzufahren, brauchen Sie eine Vorlaufzeit von sechs Monaten. Dies ist ein Beispiel für die Komplexität unserer technischen Anlagen. Auf solche Zusammenhänge wollen wir hinweisen. Und wir haben natürlich ein Interesse daran, dass die Politik so entscheidet, dass unsere industrielle Kraft nicht eingeschränkt wird.

Eine Stilllegung innerhalb von sechs Monaten wäre genau der richtige Zeitraum, um die Gasversorgung im nächsten Winter zu entspannen. Kann die deutsche Stahlindustrie nicht ein oder zwei Hochöfen herunterfahren?

Das sollte man vermeiden. Ziel muss es sein, die Stahlproduktion aufrecht zu erhalten und die industriellen Lieferketten zu sichern. Starke Grundstoffindustrien werden in Deutschland gebraucht. Ohne sie lässt sich unter anderem der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien, Stromnetze, Pipelines oder LNG-Häfen nicht realisieren.

Russland ist nicht nur wichtiger Gas- sondern auch Rohstofflieferant für die Stahlbranche. Wie macht sich der Mangel bemerkbar und lässt er sich besser kompensieren als der beim Gas?

Es gibt eine ganze Reihe von Legierungsmetallen, die besonders für die Edelstahlproduktion wichtig sind. Ein Beispiel ist reines Nickel, das die EU zu 80 Prozent aus Russland importiert. Da sind die Unternehmen aber durchaus in der Lage, die kriegsbedingten Ausfälle zu kompensieren und andere Bezugsquellen zu finden, auch wenn dies mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist.

Zu den Sorgen vor einem möglichen Versorgungsengpass kommen die hohen Energiepreise. Andererseits ist aber auch der Stahlpreis, nicht zuletzt aufgrund des Ausfalls ukrainischer und russischer Produzenten, regelrecht explodiert. Was wiegt schwerer?

Wir haben rund 2,7 Milliarden Euro an jährlichen Mehrkosten, die sich im Energiebereich durch den Preisanstieg bei Gas und Strom ergeben. Dies ist ein erhebliches Problem für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Es stellt sich aber auch die Frage, was das für die grüne Transformation bedeutet. Die Stahlindustrie will ihren Weg weitergehen. Bei der CO2-Reduktion ist der Stahlsektor eine ‘low hanging fruit’, da an wenigen Standorten hohe Emissionen vorhanden sind. Nun erhöhen sich die Kosten, um diesen Transformationsprozess auf den Weg zu bringen. Erdgas ist bislang eine wichtige Brücke für uns auf dem Weg zum Wasserstoff. Wenn dieser Weg jetzt noch schneller gegangen werden soll, dann braucht es auch in der Politik eine höhere Dynamik bei der Schaffung von Voraussetzungen, damit die Industriewende gelingen kann.

Die EU-Kommission und die Bundesregierung bemühen sich, Wasserstoff schneller verfügbar zu machen. Andererseits steigen die Begehrlichkeiten. Der neue Energieträger könnte vielleicht auch in der Wärmeerzeugung eingesetzt werden, meint die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Muss sich die Stahlindustrie jetzt beim Wasserstoff hinten anstellen?

Die Industriewende wird ohne Wasserstoff nicht gelingen. Dass die Stahlindustrie dafür ein Lackmustest ist, hat die Bundesregierung, glaube ich, erkannt. Sie hat ein Handlungskonzept Stahl verabschiedet und danach bräuchte die deutsche Stahlindustrie zur Klimaneutralität insgesamt 2,2 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Für unsere Branche gibt es keine CO2-neutrale Alternative, und grüner Wasserstoff wird auch mittelfristig ein knappes Gut bleiben. Ich sehe auch, dass jetzt viele sagen, sie bräuchten Wasserstoff. Wir sollten die Diskussion faktenbasiert führen und danach fragen, wo der Einsatz einer Tonne grünem Wasserstoff am meisten CO2 reduziert.

Also keinen Wasserstoff zum Heizen?

Wir als Stahlindustrie sprechen uns dafür aus, dass Wasserstoff dorthin gehen sollte, wo Politik und Gesellschaft ihre CO2-Ziele am schnellsten und wirkungsvollsten erreichen können.

Wasserstoff kommt nicht nur aus grünen Energien. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat am Golf Partnerschaften für klimaneutralen blauen Wasserstoff aus Erdgas angebahnt. Frankreich würde gerne pinken Wasserstoff aus Atomstrom verkaufen. Sie möchten grünen Stahl herstellen. Droht dem Label “grüner Stahl” nicht das gleiche Debakel wie der “grünen Taxonomie”? 

Wir haben ein Ziel und das ist die Klimaneutralität. 30 Prozent des Stahls kommen nicht aus Hochöfen, sondern aus der Schrottverwertung in Elektroöfen. Wäre der erneuerbare Strom dafür gesichert, wäre dieser Stahlanteil schon weitgehend klimaneutral. Bei der Hochofenroute müssen ganz neue Anlagen entstehen. Für diese Transformation brauchen wir zum einen Wasserstoff, aber wir brauchen auch einen ganzen Instrumentenkasten, um den Umbau inmitten des internationalen Wettbewerbs zu gestalten – zum Beispiel Klimaschutzverträge.

Aber mit welchem Wasserstoff wollen Sie grünen Stahl herstellen – auch mit blauem? 

Das Ziel ist, grünen Stahl auf Grundlage von grünem Wasserstoff zu erzeugen. In den nächsten Jahren müssen wir aber zunächst auf die Gase zurückgreifen, die zur Verfügung stehen. Am Ende geht es darum, dass wir die CO2-Rechnung hinbekommen. Zunächst müssen wir unsere Hochöfen durch Anlagen zur Direktreduktion ersetzen. Die werden mit Erdgas laufen können, sind aber auch Wasserstoff-ready. Erdgas und andersfarbiger klimaneutraler Wasserstoff wären dann eine Brücke zur Klimaneutralität.

In den von Ihnen befürworteten Klimadifferenzverträgen sehen manche Ökonomen eine Subventionslawine heranrollen.

Die Herstellung von grünem Stahl hat höhere Betriebskosten als die traditionelle Produktionsweise und die müssen durch Klimaschutzverträge ausgeglichen werden. Wir wollen mit Differenzverträgen aber nicht zum Dauersubventionsempfänger werden, der Staat kann der Stahlindustrie nicht dauerhaft einen Betriebskostenausgleich gewähren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss der grüne Stahl alleine seine Märkte finden, und zwar auch im internationalen Wettbewerb. Daher muss neben den Klimaschutzverträgen am Hochlauf von Märkten für grünen Stahl gearbeitet werden.

Die Differenzverträge vertragen sich nach Ansicht der Ökonomen Veronika Grimm und Ottmar Edenhofer auch schlecht mit dem bestehenden Emissionshandel. Subventionierte Branchen bräuchten weniger Zertifikate, wodurch deren Preis fiele und andere Branchen nur umso mehr emittieren würden. Wäre es für Sie ein fairer Deal, wenn mit Klimaschutzverträgen die Zahl der Zertifikate gekürzt würde?

Die Zuteilung von Zertifikaten ist eng mit dem Brüsseler Klimaschutzpaket Fit for 55 und der darin enthaltenen Verschärfung des EU-Emissionshandels sowie der Einführung eines CO2-Grenzausgleichs verknüpft. Leider passen die Instrumente, die wir in Deutschland diskutieren, nicht zu dem, woran auf EU-Ebene gearbeitet wird. In Brüssel ist eine Dynamik in der Reduzierung der freien Zuteilungen vorgesehen, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen belastet und ihnen die für die Transformation benötigte Investitionskraft entziehen. Die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten halten wir weiter für dringend notwendig.

Ganz im Gegensatz zu Klimaschützern, die die Zuteilung von Gratis-Zertifikaten gerne noch erheblich schneller zurückfahren würden als bislang vorgesehen. Schließlich seien zu viele davon im Umlauf, was den Unternehmen ein gutes Geschäft beschert habe. Duckt sich die Industrie nicht ein wenig vor ihrer Verpflichtung?

Wir erwarten ja gar nicht, dass die Transformation allein durch öffentliche Mittel finanziert wird. Aber wir haben aus heutiger Sicht im Zeitraum von 2026 bis 2030 eine Zertifikatsunterdeckung in Höhe von 5,7 Milliarden Euro. Wenn die von der EU-Kommission vorgesehene Abschmelzung der freien Zuteilung erfolgt, beträgt die Belastung der Branche hingegen in diesem Zeitraum 16 Milliarden Euro. Wir sind dann nicht mehr international wettbewerbsfähig und können die Kosten für die Transformation gar nicht mehr aufbringen.

Der Grenzausgleich soll eigentlich das Problem der Wettbewerbsverzerrung abmildern und vor Carbon Leakage schützen.

Wir lehnen einen Grenzausgleich auch überhaupt nicht grundsätzlich ab. So, wie die Kommission ihn vorsieht, wird er uns aber belasten, da zum einen Exporte überhaupt nicht berücksichtigt sind. Zum anderen ist dieses Instrument noch völlig unerprobt und seine Wirksamkeit droht durch Umgehungseffekte beeinträchtigt zu werden. Es muss daher erst getestet werden. ETS und CBAM müssen gemeinsam gedacht und so ausgestaltet werden, dass sie zur schrittweisen Transformation der Industrie passen. Wir können nicht alle Hochöfen auf einmal umstellen; und die vorgesehene lineare Abschmelzung der Zertifikate und noch dazu die Einführung der Benchmarks, in denen die neuen Technologien bereits einberechnet werden sollen, passt nicht zur stufenweisen Umstellung der Stahlbranche. Und natürlich brauchen wir einen wirkungsvollen Carbon-Leakage-Schutz. Doch das, was momentan in Brüssel als Teil des Gesamtkonzepts diskutiert wird, kann das nicht darstellen.

Wäre der von Bundeskanzler Olaf Scholz ins Spiel gebrachte Klimaclub eine Lösung?

Grundsätzlich begrüßen wir einen Klimaclub. Wir tun als Industrie alles, um mit der Politik Informationen auszutauschen: In welcher Situation befinden sich andere Länder, was sind die Produktionsstrukturen. Aber ich stelle fest, dass sich die weltweit bestehenden CO2-Bepreisungssysteme oder auch Ambitionen erheblich unterscheiden. Ein Klimaclub ist daher kein Ersatz für einen Carbon-Leakage-Schutz, aber ein Teil des Gesamtpakets. Letztlich geht es darum, dass die industrielle Transformation gelingt, wir den Weg in Richtung Klimaneutralität gehen, und wir dabei weiter im internationalen Wettbewerb bestehen können.

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Scholz sagt Ukraine Waffenlieferungen der deutschen Industrie zu

Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. Es gebe drei Wege, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Weil die begrenzten Bestände der Bundeswehr keine große Abgabe von weiterem Militärmaterial erlaubten, habe man sich mit der Industrie und der ukrainischen Regierung zusammengesetzt, um zu sehen, was die Unternehmen liefern könnten. “Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung.” Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition “und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann”.

Keine schweren Waffen aus Deutschland an die Ukraine

Um eine schnelle Lieferung an die Ukraine zu ermöglichen, werde man zudem osteuropäische Staaten unterstützen, Waffen abzugeben, die dann durch Material der Nato-Staaten ersetzt würden. “Das ist etwas, was wir mit vielen anderen zusammen machen, die den gleichen Weg einschlagen wie wir.” Sofortige Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit seien bei den Waffenlieferungen an die Ukraine wichtig. Von einer direkten Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine sprach Scholz nicht.

Die USA haben die Lieferung von schweren Artilleriegeschützen bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag die Lieferung schwerer Waffen zu. Auch Kanada kündigte am Dienstag Lieferungen von schwerer Artillerie an die Ukraine an. Zugleich gebe es die Verantwortung, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. “Daher kann und wird die Nato nicht in den Krieg eingreifen“, sagte Scholz.

Esken wehrt sich gegen Kritik

SPD-Co-Chefin Saskia Esken wies Vorwürfe aus der Opposition und auch Politikern der eigenen Ampel-Koalition zurück, Deutschland verweigere sich bei der Lieferung schwerer Waffen. Die Regierung habe etwa die Freigabe von ehemaligen NVA-Panzern aus Tschechien an die Ukraine erlaubt. In Regierungskreisen hieß es, Forderungen nach der Belieferung etwa des Leopard-1-Panzers seien aber unsinnig, weil es dafür gar keine Munition mehr gebe. Bei der ebenfalls in der Öffentlichkeit geforderten Abgabe der “Marder”-Schützenpanzer wiederum verweist die Bundeswehr darauf, dass diese etwa bereits in Litauen oder in der Ausbildung im Einsatz seien.

FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßte die Kompensation Deutschlands von Waffenlieferungen der Nato-Partner an die Ukraine zwar, blieb aber bei ihrer Kritik, Deutschland laufe “noch zu sehr hinterher”. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter kritisierte die Ankündigung als “nicht ausreichend”.

Weiterhin keine weiteren Energiesanktionen

In der Debatte um neue weitere Energiesanktionen gegen Russland bremste Scholz auch weiterhin, verwies aber darauf, dass Deutschland etwa beim Ausstieg aus dem Bezug von russischem Gas “viel schneller sein will als alle Pläne vorsehen”. Man müsse aber bei den Sanktionen immer aufpassen, dass diese zweischneidig seien, weil sie nicht nur Russland träfen. Dort sinke die Wirtschaftsleistung durch Putins “unsinnigen Krieg” wahrscheinlich in diesem Jahr um 8,5 Prozent. Während Deutschland hohe Energiepreise als Folgen der Sanktionen abfedern könne, sei dies in anderen Teilen der Welt schwieriger. rtr/dpa/luk

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EU-Sonderausschuss zur COVID-19-Pandemie startet

Der EU-Sonderausschuss zur “COVID-19-Pandemie: Lehren und Empfehlungen für die Zukunft” (COVI) hat gestern mit einer konstituierenden Sitzung seine Arbeit aufgenommen. Ausgestattet mit einem breit gefassten Mandat soll er die europäische Reaktion auf die Pandemie in den Bereichen Gesundheit, Demokratie und Grundrechte, Wirtschaft und Gesellschaft sowie den globalen Beziehungen der EU untersuchen.

Bei der gestrigen Sitzung wählten die Mitglieder des 38-köpfigen Sonderausschusses die belgische S&D-Abgeordnete Kathleen Van Brempt zur Vorsitzenden. Ihre Stellvertrer:innen werden Andreas Glück (Renew, DE), Ewa Kopacz (EVP, PL), Michèle Rivasi (Grüne/EFA, FR) und Karol Karski (ECR, PL).

“Obwohl diese Pandemie noch nicht beendet ist, befindet sich Europa bereits in der nächsten Krise”, sagte van Brempt selbstkritisch. “In den vergangenen und aktuellen Krisen haben wir gesehen, dass der EU oft die notwendigen Instrumente fehlten, um schnell handeln zu können. Wir haben gesehen, dass sich die Mitgliedstaaten erst dann auf eine europäische Antwort geeinigt haben, als es bereits zu spät war.”

Breites Mandat für COVID-19-Pandemie-Sonderausschuss

Es gelte daher ein Europa aufzubauen, das besser auf künftige Krisen vorbereitet ist, indem es Lehren aus der Pandemie zieht. “Da COVID-19 auch eine Krise der zunehmenden Ungleichheit, der Wirtschaft, unserer Demokratie und unserer Grundrechte sowie der internationalen Regierungsführung war, wird der COVI-Ausschuss die Auswirkungen der Pandemie auf alle Aspekte der Gesellschaft berücksichtigen”, umriss die Vorsitzende den Arbeitsauftrag des Sonderausschusses.

Im Fokus stehen dabei laut Parlamentsbeschluss vom 10. März 2022 unter anderem die Reaktion der EU-Organe auf die Pandemie, der Grad der Koordinierung und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und die Fähigkeit der Gesundheitssysteme, auf die Pandemie und künftige grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen zu reagieren. Die Ausschussmitglieder sollen aber auch die Auswirkungen des Personalmangels und der Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten, einschließlich Schutzausrüstung, auf die Gesundheitsversorgung sowie die Auswirkungen der Pandemie auf Pflegedienste, Pflegeheimbewohner, Arbeitnehmer, informelle Pflegekräfte und ihre Angehörigen untersuchen. Außerdem sollen die Impfstoffbeschaffung und -versorgung beleuchtet werden.

Der Sonderausschuss hat zwölf Monate Zeit, um seine Empfehlungen zu formulieren. Die Amtszeit kann verlängert werden. Die erste ordentliche Sitzung des COVI-Sonderausschusses ist für den 11. Mai geplant. ank

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Digital Markets Act: Experten warnen vor Schlupfloch

Zahlreiche namhafte Fachleute haben EU-Parlament und Rat aufgefordert, eine mögliche Lücke im Digital Markets Act (DMA) zu schließen. Der Wegfall einer bestimmten Formulierung lasse “befürchten, dass die Grundrechte auf Datenschutz und Privatsphäre ausgehöhlt werden” und die großen Digitalkonzerne ihre Marktmacht entgegen der Zielsetzung des DMA noch festigen könnten, heißt es in dem Brandbrief. Dieser wurde unter anderem von der deutschen Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer, dem früheren Chefökonomen der Generaldirektion Wettbewerb, Tommaso Valletti, und der US-Autorin Shoshana Zuboff unterzeichnet. Initiiert hatte das Schreiben Johnny Ryan vom Irish Council for Civil Liberties.

Die Unterzeichner fordern, den im Trilog Ende März vereinbarten Gesetzestext an der entsprechenden Stelle noch zu ändern (Europe.Table berichtete). Dieser muss noch von Europaparlament und Rat final angenommen werden. Der Digital Markets Act-Berichterstatter des EU-Parlaments, Andreas Schwab (CDU), will sich heute zu den Einwänden äußern.

Konkret geht es um Artikel 5(1)a des DMA, der das Verknüpfen von Daten aus unterschiedlichen Diensten zu Werbezwecken an strikte Bedingungen knüpfen soll. Hier sei in den finalen Verhandlungen der Verweis auf “spezifische Verarbeitungszwecke” weggefallen, heißt es in dem Brief. Dadurch sei eine “fatale Zweideutigkeit” entstanden: Die Gatekeeper-Plattformen könnten argumentieren, dass sie sämtliche Daten in ihrem Unternehmen kombinieren könnten, sobald sie einen Nutzer dazu gebracht hätten, auf eine einzige “OK”-Schaltfläche zu klicken.

Die Datenschutz-Grundverordnung verlange aber von den Unternehmen eine Rechtsgrundlage für jeden Verarbeitungszweck, für den sie personenbezogene Daten unternehmensübergreifend nutzten. Indem sie sich auf die abweichende Formulierung im DMA beriefen, könnten die Unternehmen somit die DSGVO aushöhlen, so die Unterzeichner. tho

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EU-Kommission genehmigt deutsche und polnische Beihilfen für Unternehmen

Die Europäische Kommission hat am Montag ein 20 Milliarden Euro schweres deutsches Programm zur Unterstützung von Unternehmen, die von den Sanktionen gegen Russland betroffen sind, genehmigt. Aus demselben Grund wurde auch ein polnisches Beihilfepaket für den Agrarsektor in Höhe von 836 Millionen Euro bewilligt.

Die EU-Exekutive teilte mit, dass die deutsche Maßnahme in Form von direkten Zuschüssen, Steuer- oder Zahlungserleichterungen, rückzahlbaren Vorschüssen, Bürgschaften, Darlehen, Eigenkapital und hybriden Finanzierungen für alle Unternehmen in allen Sektoren, mit Ausnahme der Unternehmen des Finanzsektors gewährt wird.

EU-Kommission gewährt Direkt-Beihilfen für Landwirte

Die Beihilfen für Unternehmen in den Agrar-, Fischerei- und Aquakultursektoren werden von der EU-Kommission auf jeweils 35.000 Euro und für Unternehmen in anderen Sektoren auf 400.000 Euro begrenzt.

Die polnische Regelung in Form von Direkt-Beihilfen wird Landwirten gewährt, die von den steigenden Kosten für Düngemittel aufgrund der aktuellen geopolitischen Krise und der damit verbundenen Sanktionen betroffen sind. rtr/luk

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Deliveroo: Französisches Gericht verurteilt zwei Manager

Im juristischen Streit um den rechtlichen Status von Fahrern hat ein Gericht in Paris zwei ehemalige Spitzenmanager des Lieferdienstes Deliveroo in Frankreich zu Haftstrafen verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die Manager hätten die Fahrer als Scheinselbstständige eingesetzt, entschieden die Richter am Dienstag. Zudem verhängte die Kammer Geldstrafen in Höhe von 30.000 Euro.

Das Unternehmen selbst muss eine Geldstrafe von 375.000 Euro zahlen. Der britische Essenslieferdienst Deliveroo will das Urteil nun prüfen und dann entscheiden, ob er dagegen vorgeht. Dem französischen Markt werde er aber nicht den Rücken kehren. Das Urteil könnte auch über die Grenzen Frankreichs hinaus für Aufmerksamkeit sorgen, da in zahlreichen europäischen Ländern um den Status der Fahrer gerungen wird, auf die die Lieferdienste angewiesen sind (Europe.Table berichtete). rtr

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Presseschau

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Portrait

Benjamin Ledwon – Ein Lobbyist ohne Hinterzimmer-Klüngelei

Benjamin Ledwon ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom.
Benjamin Ledwon ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom.

Zu Hause spricht Benjamin Ledwon Englisch. Mit den Menschen, die ihm in seiner belgischen Heimat auf der Straße und in den Geschäften begegnen, kommuniziert er meist auf Französisch. Und seine Arbeitssprache ist Deutsch. Der gebürtige Berliner hat in Frankreich und England studiert, lebt nun in Brüssel, wo er nach seinem Abitur bereits als Zivildienstleistender für eine europäische NGO tätig war. Der 32-Jährige ist also ein waschechter Europäer im Herzen Europas.

Auch in seinem Beruf dreht sich alles um das politische Handeln des Staatenverbundes. Nach seinem Studium der EU-Politik war Benjamin Ledwon zunächst als Praktikant bei der Europäischen Kommission tätig, dann im Europäischen Parlament, anschließend beim Branchenverband Bitkom. Seit einem guten halben Jahr nimmt er nun als Mitarbeiter eines Großkonzerns an europäischen Gesetzgebungsprozessen teil. Aktuell kommen im Wochentakt neue Gesetzesvorschläge von der Kommission, die seinen Arbeitgeber betreffen. Ledwon bespricht sich dazu mit seinen internen Kolleg:innen, um die Ergebnisse dann an die politischen Entscheidungsträger heranzutragen.

Ein Thema, das Benjamin Ledwon aktuell besonders beschäftigt, ist die Grüne Wirtschaft. “Mit dem Recht auf Reparatur zum Beispiel will die Kommission erreichen, dass elektronische Endgeräte länger verwendet werden können. Wir als Händler setzen uns dafür ein, dass die Hersteller hier in die Verantwortung gezogen werden, denn sie haben in Bezug auf das Produktdesign das Know-how und stellen die Ersatzteile her”, erklärt er.

Interessensvertretung ist legitimer Teil des politischen Prozesses

Ein weiteres wichtiges Thema sind die Gesetzesvorschläge zum Digital Markets Acts (DMA) und zum Digital Services Act (DSA), die neue Regeln für digitale Märkte und Plattformen schaffen sollen. “Wir als Telekom sind auf der einen Seite Kunde, auf der anderen Seite aber auch Wettbewerber von Gatekeeper-Plattformen und halten klare Dos and Don’ts für notwendig, um digitale Märkte offenzuhalten”, sagt Benjamin Ledwon.

Gerade die Telekommunikationsbranche ist stark reguliert, sodass die Interessenvertretung gegenüber der Politik eine besonders wichtige Rolle spielt. Genau aus diesem Grund hat sich der junge Politikexperte für die Telekom als Arbeitgeber entschieden. “In anderen Unternehmen läuft das eher unter ferner liefen, hier gehört das wirklich zum Kerngeschäft und der Bereich berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden”, erzählt er. Was bei der Telekom als “Public & Regulatory Affairs” bezeichnet wird, nennt sich landläufig auch Lobbyismus und ist manchen Vorurteilen ausgesetzt. “Wir als Unternehmen stellen unsere Betroffenheit für die Wirtschaft dar, genau wie es auch NGOs für die Zivilgesellschaft tun. Das ist ein wichtiger und legitimer Teil des politischen Prozesses”, findet Ledwon.

Gängige Klischees von Lobbyisten, die bei Gesprächen im Hinterzimmer mit dem Whiskey in der einen und der Zigarre in der anderen Hand ihre Netzwerke pflegen, erzählt Ledwon, haben mit seinem Arbeitsalltag wenig zu tun: “Es reicht heute nicht mehr aus, Best Buddy zu sein, sondern man muss als Lobbyist vor allem durch das Argument überzeugen“. Genau deshalb fühlt sich der ehemalige Politikstudent in seiner Position als Senior Expert European Affairs bei der Telekom also durchaus wohl. Janna Degener-Storr

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Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Portrait Benjamin Ledwon: Ein Lobbyist ohne Hinterzimmer-Klüngelei
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    Deutschland und die westlichen Partner wollen der Ukraine auch schwere Waffen im Kampf gegen die russischen Invasionstruppen liefern. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte am Dienstag nach einer Schaltkonferenz mit westlichen Staats- und Regierungschefs an, dass man sich bei der Lieferung von Militärmaterial eng abstimme. Deutsche Alleingänge seien dagegen falsch, so Scholz. Die Details zu Scholz’ Ankündigungen lesen Sie in den News.

    Das deutsche Lieferkettengesetz sowie die noch schärfere EU-Richtlinie, die derzeit in Brüssel verhandelt wird, sollen Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Umweltverschmutzung verhindern. Betroffen sind dabei insbesondere die Photovoltaik-Industrie, Hersteller von Elektrokomponenten und von Baumwolle. Die Branchen sind abhängig von Lieferungen aus der nordwestchinesischen Region Xinjiang, wo muslimische Uiguren und andere Minderheiten laut UN unter Zwangsarbeit leiden. Marcel Grzanna analysiert, welche Auswirkungen die Vorgaben für eine faire Lieferkette für Unternehmen der drei Branchen tatsächlich haben.

    Da in der Stahlindustrie an wenigen Standorten konzentriert sehr hohe Emissionen auftreten, gilt die Branche als entscheidend bei der grünen Transformation der Wirtschaft. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, spricht von einer “low hanging fruit”, um die CO2-Belastung signifikant zu reduzieren. Im Interview mit Manuel Berkel und Timo Landenberger fordert er dafür von der Politik mehr Unterstützung. Die von der EU vorgesehenen Instrumente seien bei der Umstellung wenig hilfreich und eine Gefährdung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Zumal auch der Krieg in der Ukraine den Sektor vor große Herausforderungen stellt.

    Im Portrait von Benjamin Ledwon lesen Sie, wie sich die Arbeit eines Lobbyisten aus seiner Sicht verändert hat. Er ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom und damit verantwortlich für die Interessensvertretung des Unternehmens bei der europäischen Gesetzgebung.

    Ihr
    Lukas Knigge
    Bild von Lukas  Knigge

    Analyse

    Lieferkettengesetz: Das Problem Xinjiang

    Bei Pacifico Renewables Yield (PRY) gibt man sich keinen Illusionen hin. Die Firma mit Sitz in Grünwald bei München kauft und betreibt Solar- und Windparks in ganz Europa. Projekte, in die sie investiert, müssen hohen sozialen und ökologischen Standards entsprechen. Zur Finanzierung gibt die Firma grüne Anleihen heraus oder beschafft sich Kredite bei Nachhaltigkeitsbanken mit strengsten Maßstäben.

    Doch wenn es um China und Nachhaltigkeit geht, vor allem in der Solarbranche, weiß Geschäftsführer Martin Siddiqui sehr genau, dass es keine Gewissheiten gibt. “Der Großteil der Komponenten kommt aus China, und dort gibt es Zulieferer, die mit fossiler Energie produzieren, oder deren Produkte durch Zwangsarbeit hergestellt werden”, sagt Siddiqui. Man arbeite so gut es ginge daran, Unternehmen entlang der Lieferketten weiter und präziser zurückzuverfolgen und zu prüfen, sagt der 37-Jährige. Eine Garantie könne er aber nicht abgeben, ob alle verbauten Module in den Parks seines Unternehmens zu einhundert Prozent nachhaltig hergestellt wurden.

    Lieferkettengesetz soll Unternehmen nachhaltiger machen

    Garantien will nicht einmal die Politik erzwingen, wenn im kommenden Jahr das deutsche Sorgfaltspflichtengesetz in Kraft tritt. Gemeinhin als Lieferkettengesetz bezeichnet, soll es Produkte, aber auch Dienstleistungen deutscher Unternehmen nachhaltiger machen. Zwangsarbeit, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Umweltverschmutzung – all das soll ab 2023 so weit wie möglich aus der Wertschöpfung verbannt werden, wenn deutsche Firmen beteiligt sind.

    Den Unternehmen bietet die Einführung des Gesetzes einen Vorgeschmack auf die noch schärfere EU-Richtlinie, die derzeit in Brüssel verhandelt wird (Europe.Table berichtete). Dann drohen den Firmen nicht nur Bußgelder, sondern auch Schadenersatzklagen von betroffenen Arbeitnehmern oder deren Familien in Millionenhöhe. Firmen müssen dann für arbeitsrechtliche Defizite bei ihren Zulieferern möglicherweise tief in die Tasche greifen, wenn sie nicht frühzeitig und konsequent gegen Risiken von Verstößen vorgehen.

    Daher fragen sich Unternehmen, die Solarmodule, Elektrokomponenten, Baumwolle oder Tomaten aus Xinjiang beziehen, wie es ihnen gelingen soll, ihre Lieferketten aufzuräumen. Die nordwestchinesische Autonome Region gilt als Synonym für die Verletzung von Menschenrechten. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO der Vereinten Nationen spricht von einem “weit verbreiteten und systematischen” Zwangsarbeitsprogramm. Betroffen: vornehmlich Uiguren, aber auch türkische und andere muslimische Minderheiten.

    Wer betrügen will, wird Wege finden”

    Doch manche Branchen sind so abhängig von Lieferungen aus Xinjiang, dass es für sie unmöglich ist, innerhalb weniger Jahre ihren Bedarf aus anderen Quellen zu decken. Ein Fünftel der globalen Baumwolle kommt von dort, keine Region der Welt pflanzt und erntet mehr Tomaten für den Weltmarkt, und auch die Photovoltaik-Industrie verlässt sich weitgehend auf Module aus China.

    Was nun? “Verlässlich nachzuweisen, dass in einem der Risikoprodukte keine Zwangsarbeit steckt, ist nahezu unmöglich”, sagt Joachim Trebeck von der Kölner Anwaltskanzlei Trebeck & von Broich. Der Arbeitsrechtler hält das von der Großen Koalition verabschiedete Gesetz dennoch für sinnvoll, weil Deutschland als “interessanter Markt seine Einflussnahme auf andere Länder” bündele. Doch Trebeck sagt auch: “Wenn ein Zulieferer betrügen will, dann wird er auch Mittel und Wege finden.”

    Für die Solarpark-Betreiber von PRY ist das noch kein Grund, nervös zu werden. Das Lieferkettengesetz zielt zunächst nur auf die großen Unternehmen mit 3.000 Mitarbeitern aufwärts. 2024 wird die Geltung auf alle Firmen ab 1.000 Mitarbeitern erweitert. Erst wenn auch die Europäische Union ein europaweites Lieferkettengesetz implementiert, rückt der Rechtsrahmen an den Mittelstand heran. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission in den Risikosektoren Textil, Landwirtschaft und Bergbau liegt bei 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Doch bis dahin vergehen wohl noch vier, vielleicht fünf Jahre.

    Zudem gilt die Bemühenspflicht, die besagt, dass Unternehmen die Verhinderung von Verstößen nicht garantieren müssen. “Wohl aber müssen sie alles Erforderliche tun, um ihren Sorgfaltspflichten nachzukommen. Nur so vermeiden sie eine Strafe”, sagt Christoph Schork von der Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek, der seit zweieinhalb Jahren Klienten auf die Einführung des Lieferkettengesetzes vorbereitet. “Das bedeutet aber auch, dass ein Unternehmen unter Umständen an die Zulieferer zweiten, dritten oder vierten Grades heranmuss, wenn es konkrete Hinweise auf Zwangsarbeit gibt”, so Schork.

    Es gibt keine Best-Practice-Lösung

    Eine Mammutaufgabe. Je größer ein Unternehmen, desto breiter knüpft sich sein Netzwerk. Mehrere Tausend unmittelbare Zulieferer sind bei riesigen Konzernen mit Hunderttausenden Mitarbeitern keine Ausnahme, sondern die Regel. Die mühsame Kleinarbeit beginnt mit einer gründlichen Risikoanalyse. Jedes Risiko muss intern bewertet und seiner Dringlichkeit nach angegangen werden. Ganz oben auf den Listen: Zulieferer aus Xinjiang.

    Das Gesetz setzt eine “substanziierende Kenntnis” voraus, ehe sich die Verantwortung der Unternehmen auch auf den mittelbaren Zulieferer in der Lieferkette erstreckt. Sprich: Es müssen ernstzunehmende und nachprüfbare Hinweise vorliegen auf Risiken für Verstöße. “Bei dem Thema Uiguren kann niemand sagen, er hätte davon nichts gewusst”, sagt Schork. Doch es wird andere Fälle geben, bei denen die Verdachtsmomente weniger offenbar sind und Firmen dazu verleitet sein könnten, Unkenntnis vorzugaukeln.

    Anwalt Schork glaubt jedoch nicht, dass sich das Vortäuschen von Unwissenheit langfristig auszahlen wird. “Die Angst vor einem Imageschaden, der aus solcher Ignoranz entstehen kann, dürfte die meisten Firmen davon abhalten.” Zudem hätten die Unternehmen erkannt, dass sie von echter Nachhaltigkeit profitieren können, weil sie dem gesellschaftlichen Zeitgeist folgten. Einige seien bereits entsprechend fortgeschritten in ihren Vorbereitungen.

    Vorerst sind aber auch Experten noch ratlos, was die konkrete Ausgestaltung angeht. “Zurzeit blicken wir alle noch in die Blackbox. Es gibt einfach keine Best-Practice-Lösung“, sagt Schork. Auch glaubt er, das zuständige Bundesamt für Ausfuhrkontrolle und Wirtschaft werde unmittelbar nach Inkrafttreten des deutschen Gesetzes “keine Welle der Sanktionen in Gang setzen”. Die Behörde mit Sitz in der Niederlausitz müsse sich zunächst sortieren. Werden Verstöße jedoch geahndet, kann sie Bußgelder bis zu acht Millionen Euro verhängen.

    Entscheidende Unterstützung für die Unternehmen erhofft sich die Politik von Whistleblowern. Deutsche Firmen müssen niederschwellige Kanäle einrichten, über die Beschwerden aus aller Welt zu Verstößen gegen Arbeits- oder Menschenrechte abgesetzt werden können. Auch müssen die Firmen ihre Zulieferer nachdrücklich dazu auffordern, über die Existenz dieser Kanäle auch deren eigenen Zulieferer aufzuklären. “Bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Denkbar sind Fragebögen, Audits, Schulungen – jede angemessene Maßnahme dient der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen und sorgt für größere Sicherheit”, so Schork.

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    Hans Jürgen Kerkhoff: “Bei der CO2-Reduktion ist der Stahlsektor eine ‘low hanging fruit'”

    Hans Jürgen Kerkhoff, Geschäftsführer und Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, über die Umstellung der Stahlindustrie auf Wasserstoff.
    Hans Jürgen Kerkhoff ist Geschäftsführer und Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl.

    Herr Kerkhoff, seit Ende Februar herrscht Krieg in Europa. Die Bundesregierung reagiert sehr zögerlich auf die Forderung, die Sanktionen der EU gegenüber Moskau auf ein vollständiges Energie-Embargo inklusive Gas auszuweiten. Das würde Russland hart treffen, aber auch die heimische Industrie. Wie steht die Stahlbranche zu einem solchen Schritt?

    Wir alle wollen, dass der Krieg in der Ukraine so rasch wie möglich beendet und Europa für seine Versorgungssicherheit unabhängig von Rohstoffen aus Russland wird. Es ist aber auch unsere Aufgabe als Industrie, auf Konsequenzen hinzuweisen, die ein mögliches Erdgas-Embargo mit sich brächte. Die Stahlindustrie ist bis zum Umstieg auf grünen Wasserstoff noch auf Erdgas angewiesen. Wir tun alles, um bei den Einsatzstoffen alternative Quellen zu erschließen. Aber eine sofortige deutliche Reduktion der Gasversorgung beim Stahl durch ein Embargo hätte Folgen für unsere Anlagen. Da wir eine Grundstoffindustrie sind und am Anfang vieler Wertschöpfungsketten stehen, käme es zu erheblichen Kaskadeneffekten.

    Auch Russland könnte seinerseits den Gashahn zudrehen. Wie stellen Sie sich auf einen möglichen Gaslieferstopp ein?

    Ich glaube, dass die Bundesregierung sehr klar sieht, dass ein Lieferstopp oder ein Embargo massive Auswirkungen auf die Industrie und Lieferketten hätten. Erdgas ist in den Prozessen der Stahlindustrie nicht ersetzbar. Wir verbrauchen rund 2,1 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Das sind sechs Prozent des industriellen Bedarfs und ungefähr so viel, wie Berlin und München zusammen verbrauchen. Daneben ist die Gasversorgung auch wichtig für die Anlagensicherheit. Bei manchen Anlagen kommt es unter einem bestimmten Mindestbedarf zu technischen Schäden.

    Es gibt also keinen Notfallplan?

    Um einen Hochofen herunterzufahren, brauchen Sie eine Vorlaufzeit von sechs Monaten. Dies ist ein Beispiel für die Komplexität unserer technischen Anlagen. Auf solche Zusammenhänge wollen wir hinweisen. Und wir haben natürlich ein Interesse daran, dass die Politik so entscheidet, dass unsere industrielle Kraft nicht eingeschränkt wird.

    Eine Stilllegung innerhalb von sechs Monaten wäre genau der richtige Zeitraum, um die Gasversorgung im nächsten Winter zu entspannen. Kann die deutsche Stahlindustrie nicht ein oder zwei Hochöfen herunterfahren?

    Das sollte man vermeiden. Ziel muss es sein, die Stahlproduktion aufrecht zu erhalten und die industriellen Lieferketten zu sichern. Starke Grundstoffindustrien werden in Deutschland gebraucht. Ohne sie lässt sich unter anderem der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien, Stromnetze, Pipelines oder LNG-Häfen nicht realisieren.

    Russland ist nicht nur wichtiger Gas- sondern auch Rohstofflieferant für die Stahlbranche. Wie macht sich der Mangel bemerkbar und lässt er sich besser kompensieren als der beim Gas?

    Es gibt eine ganze Reihe von Legierungsmetallen, die besonders für die Edelstahlproduktion wichtig sind. Ein Beispiel ist reines Nickel, das die EU zu 80 Prozent aus Russland importiert. Da sind die Unternehmen aber durchaus in der Lage, die kriegsbedingten Ausfälle zu kompensieren und andere Bezugsquellen zu finden, auch wenn dies mit erheblichen Mehrkosten verbunden ist.

    Zu den Sorgen vor einem möglichen Versorgungsengpass kommen die hohen Energiepreise. Andererseits ist aber auch der Stahlpreis, nicht zuletzt aufgrund des Ausfalls ukrainischer und russischer Produzenten, regelrecht explodiert. Was wiegt schwerer?

    Wir haben rund 2,7 Milliarden Euro an jährlichen Mehrkosten, die sich im Energiebereich durch den Preisanstieg bei Gas und Strom ergeben. Dies ist ein erhebliches Problem für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Es stellt sich aber auch die Frage, was das für die grüne Transformation bedeutet. Die Stahlindustrie will ihren Weg weitergehen. Bei der CO2-Reduktion ist der Stahlsektor eine ‘low hanging fruit’, da an wenigen Standorten hohe Emissionen vorhanden sind. Nun erhöhen sich die Kosten, um diesen Transformationsprozess auf den Weg zu bringen. Erdgas ist bislang eine wichtige Brücke für uns auf dem Weg zum Wasserstoff. Wenn dieser Weg jetzt noch schneller gegangen werden soll, dann braucht es auch in der Politik eine höhere Dynamik bei der Schaffung von Voraussetzungen, damit die Industriewende gelingen kann.

    Die EU-Kommission und die Bundesregierung bemühen sich, Wasserstoff schneller verfügbar zu machen. Andererseits steigen die Begehrlichkeiten. Der neue Energieträger könnte vielleicht auch in der Wärmeerzeugung eingesetzt werden, meint die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Muss sich die Stahlindustrie jetzt beim Wasserstoff hinten anstellen?

    Die Industriewende wird ohne Wasserstoff nicht gelingen. Dass die Stahlindustrie dafür ein Lackmustest ist, hat die Bundesregierung, glaube ich, erkannt. Sie hat ein Handlungskonzept Stahl verabschiedet und danach bräuchte die deutsche Stahlindustrie zur Klimaneutralität insgesamt 2,2 Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr. Für unsere Branche gibt es keine CO2-neutrale Alternative, und grüner Wasserstoff wird auch mittelfristig ein knappes Gut bleiben. Ich sehe auch, dass jetzt viele sagen, sie bräuchten Wasserstoff. Wir sollten die Diskussion faktenbasiert führen und danach fragen, wo der Einsatz einer Tonne grünem Wasserstoff am meisten CO2 reduziert.

    Also keinen Wasserstoff zum Heizen?

    Wir als Stahlindustrie sprechen uns dafür aus, dass Wasserstoff dorthin gehen sollte, wo Politik und Gesellschaft ihre CO2-Ziele am schnellsten und wirkungsvollsten erreichen können.

    Wasserstoff kommt nicht nur aus grünen Energien. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat am Golf Partnerschaften für klimaneutralen blauen Wasserstoff aus Erdgas angebahnt. Frankreich würde gerne pinken Wasserstoff aus Atomstrom verkaufen. Sie möchten grünen Stahl herstellen. Droht dem Label “grüner Stahl” nicht das gleiche Debakel wie der “grünen Taxonomie”? 

    Wir haben ein Ziel und das ist die Klimaneutralität. 30 Prozent des Stahls kommen nicht aus Hochöfen, sondern aus der Schrottverwertung in Elektroöfen. Wäre der erneuerbare Strom dafür gesichert, wäre dieser Stahlanteil schon weitgehend klimaneutral. Bei der Hochofenroute müssen ganz neue Anlagen entstehen. Für diese Transformation brauchen wir zum einen Wasserstoff, aber wir brauchen auch einen ganzen Instrumentenkasten, um den Umbau inmitten des internationalen Wettbewerbs zu gestalten – zum Beispiel Klimaschutzverträge.

    Aber mit welchem Wasserstoff wollen Sie grünen Stahl herstellen – auch mit blauem? 

    Das Ziel ist, grünen Stahl auf Grundlage von grünem Wasserstoff zu erzeugen. In den nächsten Jahren müssen wir aber zunächst auf die Gase zurückgreifen, die zur Verfügung stehen. Am Ende geht es darum, dass wir die CO2-Rechnung hinbekommen. Zunächst müssen wir unsere Hochöfen durch Anlagen zur Direktreduktion ersetzen. Die werden mit Erdgas laufen können, sind aber auch Wasserstoff-ready. Erdgas und andersfarbiger klimaneutraler Wasserstoff wären dann eine Brücke zur Klimaneutralität.

    In den von Ihnen befürworteten Klimadifferenzverträgen sehen manche Ökonomen eine Subventionslawine heranrollen.

    Die Herstellung von grünem Stahl hat höhere Betriebskosten als die traditionelle Produktionsweise und die müssen durch Klimaschutzverträge ausgeglichen werden. Wir wollen mit Differenzverträgen aber nicht zum Dauersubventionsempfänger werden, der Staat kann der Stahlindustrie nicht dauerhaft einen Betriebskostenausgleich gewähren. Ab einem bestimmten Zeitpunkt muss der grüne Stahl alleine seine Märkte finden, und zwar auch im internationalen Wettbewerb. Daher muss neben den Klimaschutzverträgen am Hochlauf von Märkten für grünen Stahl gearbeitet werden.

    Die Differenzverträge vertragen sich nach Ansicht der Ökonomen Veronika Grimm und Ottmar Edenhofer auch schlecht mit dem bestehenden Emissionshandel. Subventionierte Branchen bräuchten weniger Zertifikate, wodurch deren Preis fiele und andere Branchen nur umso mehr emittieren würden. Wäre es für Sie ein fairer Deal, wenn mit Klimaschutzverträgen die Zahl der Zertifikate gekürzt würde?

    Die Zuteilung von Zertifikaten ist eng mit dem Brüsseler Klimaschutzpaket Fit for 55 und der darin enthaltenen Verschärfung des EU-Emissionshandels sowie der Einführung eines CO2-Grenzausgleichs verknüpft. Leider passen die Instrumente, die wir in Deutschland diskutieren, nicht zu dem, woran auf EU-Ebene gearbeitet wird. In Brüssel ist eine Dynamik in der Reduzierung der freien Zuteilungen vorgesehen, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen belastet und ihnen die für die Transformation benötigte Investitionskraft entziehen. Die freie Zuteilung von Emissionszertifikaten halten wir weiter für dringend notwendig.

    Ganz im Gegensatz zu Klimaschützern, die die Zuteilung von Gratis-Zertifikaten gerne noch erheblich schneller zurückfahren würden als bislang vorgesehen. Schließlich seien zu viele davon im Umlauf, was den Unternehmen ein gutes Geschäft beschert habe. Duckt sich die Industrie nicht ein wenig vor ihrer Verpflichtung?

    Wir erwarten ja gar nicht, dass die Transformation allein durch öffentliche Mittel finanziert wird. Aber wir haben aus heutiger Sicht im Zeitraum von 2026 bis 2030 eine Zertifikatsunterdeckung in Höhe von 5,7 Milliarden Euro. Wenn die von der EU-Kommission vorgesehene Abschmelzung der freien Zuteilung erfolgt, beträgt die Belastung der Branche hingegen in diesem Zeitraum 16 Milliarden Euro. Wir sind dann nicht mehr international wettbewerbsfähig und können die Kosten für die Transformation gar nicht mehr aufbringen.

    Der Grenzausgleich soll eigentlich das Problem der Wettbewerbsverzerrung abmildern und vor Carbon Leakage schützen.

    Wir lehnen einen Grenzausgleich auch überhaupt nicht grundsätzlich ab. So, wie die Kommission ihn vorsieht, wird er uns aber belasten, da zum einen Exporte überhaupt nicht berücksichtigt sind. Zum anderen ist dieses Instrument noch völlig unerprobt und seine Wirksamkeit droht durch Umgehungseffekte beeinträchtigt zu werden. Es muss daher erst getestet werden. ETS und CBAM müssen gemeinsam gedacht und so ausgestaltet werden, dass sie zur schrittweisen Transformation der Industrie passen. Wir können nicht alle Hochöfen auf einmal umstellen; und die vorgesehene lineare Abschmelzung der Zertifikate und noch dazu die Einführung der Benchmarks, in denen die neuen Technologien bereits einberechnet werden sollen, passt nicht zur stufenweisen Umstellung der Stahlbranche. Und natürlich brauchen wir einen wirkungsvollen Carbon-Leakage-Schutz. Doch das, was momentan in Brüssel als Teil des Gesamtkonzepts diskutiert wird, kann das nicht darstellen.

    Wäre der von Bundeskanzler Olaf Scholz ins Spiel gebrachte Klimaclub eine Lösung?

    Grundsätzlich begrüßen wir einen Klimaclub. Wir tun als Industrie alles, um mit der Politik Informationen auszutauschen: In welcher Situation befinden sich andere Länder, was sind die Produktionsstrukturen. Aber ich stelle fest, dass sich die weltweit bestehenden CO2-Bepreisungssysteme oder auch Ambitionen erheblich unterscheiden. Ein Klimaclub ist daher kein Ersatz für einen Carbon-Leakage-Schutz, aber ein Teil des Gesamtpakets. Letztlich geht es darum, dass die industrielle Transformation gelingt, wir den Weg in Richtung Klimaneutralität gehen, und wir dabei weiter im internationalen Wettbewerb bestehen können.

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    Scholz sagt Ukraine Waffenlieferungen der deutschen Industrie zu

    Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine zugesagt, direkte Rüstungslieferungen der deutschen Industrie zu finanzieren. Es gebe drei Wege, die Ukraine militärisch zu unterstützen. Weil die begrenzten Bestände der Bundeswehr keine große Abgabe von weiterem Militärmaterial erlaubten, habe man sich mit der Industrie und der ukrainischen Regierung zusammengesetzt, um zu sehen, was die Unternehmen liefern könnten. “Die Ukraine hat sich nun von dieser Liste eine Auswahl zu eigen gemacht, und wir stellen ihr das für den Kauf notwendige Geld zur Verfügung.” Darunter seien wie bisher Panzerabwehrwaffen, Luftabwehrgeräte, Munition “und auch das, was man in einem Artilleriegefecht einsetzen kann”.

    Keine schweren Waffen aus Deutschland an die Ukraine

    Um eine schnelle Lieferung an die Ukraine zu ermöglichen, werde man zudem osteuropäische Staaten unterstützen, Waffen abzugeben, die dann durch Material der Nato-Staaten ersetzt würden. “Das ist etwas, was wir mit vielen anderen zusammen machen, die den gleichen Weg einschlagen wie wir.” Sofortige Einsetzbarkeit und Verfügbarkeit seien bei den Waffenlieferungen an die Ukraine wichtig. Von einer direkten Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland an die Ukraine sprach Scholz nicht.

    Die USA haben die Lieferung von schweren Artilleriegeschützen bereits in der vergangenen Woche angekündigt. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Dienstag die Lieferung schwerer Waffen zu. Auch Kanada kündigte am Dienstag Lieferungen von schwerer Artillerie an die Ukraine an. Zugleich gebe es die Verantwortung, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. “Daher kann und wird die Nato nicht in den Krieg eingreifen“, sagte Scholz.

    Esken wehrt sich gegen Kritik

    SPD-Co-Chefin Saskia Esken wies Vorwürfe aus der Opposition und auch Politikern der eigenen Ampel-Koalition zurück, Deutschland verweigere sich bei der Lieferung schwerer Waffen. Die Regierung habe etwa die Freigabe von ehemaligen NVA-Panzern aus Tschechien an die Ukraine erlaubt. In Regierungskreisen hieß es, Forderungen nach der Belieferung etwa des Leopard-1-Panzers seien aber unsinnig, weil es dafür gar keine Munition mehr gebe. Bei der ebenfalls in der Öffentlichkeit geforderten Abgabe der “Marder”-Schützenpanzer wiederum verweist die Bundeswehr darauf, dass diese etwa bereits in Litauen oder in der Ausbildung im Einsatz seien.

    FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann begrüßte die Kompensation Deutschlands von Waffenlieferungen der Nato-Partner an die Ukraine zwar, blieb aber bei ihrer Kritik, Deutschland laufe “noch zu sehr hinterher”. Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter kritisierte die Ankündigung als “nicht ausreichend”.

    Weiterhin keine weiteren Energiesanktionen

    In der Debatte um neue weitere Energiesanktionen gegen Russland bremste Scholz auch weiterhin, verwies aber darauf, dass Deutschland etwa beim Ausstieg aus dem Bezug von russischem Gas “viel schneller sein will als alle Pläne vorsehen”. Man müsse aber bei den Sanktionen immer aufpassen, dass diese zweischneidig seien, weil sie nicht nur Russland träfen. Dort sinke die Wirtschaftsleistung durch Putins “unsinnigen Krieg” wahrscheinlich in diesem Jahr um 8,5 Prozent. Während Deutschland hohe Energiepreise als Folgen der Sanktionen abfedern könne, sei dies in anderen Teilen der Welt schwieriger. rtr/dpa/luk

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    EU-Sonderausschuss zur COVID-19-Pandemie startet

    Der EU-Sonderausschuss zur “COVID-19-Pandemie: Lehren und Empfehlungen für die Zukunft” (COVI) hat gestern mit einer konstituierenden Sitzung seine Arbeit aufgenommen. Ausgestattet mit einem breit gefassten Mandat soll er die europäische Reaktion auf die Pandemie in den Bereichen Gesundheit, Demokratie und Grundrechte, Wirtschaft und Gesellschaft sowie den globalen Beziehungen der EU untersuchen.

    Bei der gestrigen Sitzung wählten die Mitglieder des 38-köpfigen Sonderausschusses die belgische S&D-Abgeordnete Kathleen Van Brempt zur Vorsitzenden. Ihre Stellvertrer:innen werden Andreas Glück (Renew, DE), Ewa Kopacz (EVP, PL), Michèle Rivasi (Grüne/EFA, FR) und Karol Karski (ECR, PL).

    “Obwohl diese Pandemie noch nicht beendet ist, befindet sich Europa bereits in der nächsten Krise”, sagte van Brempt selbstkritisch. “In den vergangenen und aktuellen Krisen haben wir gesehen, dass der EU oft die notwendigen Instrumente fehlten, um schnell handeln zu können. Wir haben gesehen, dass sich die Mitgliedstaaten erst dann auf eine europäische Antwort geeinigt haben, als es bereits zu spät war.”

    Breites Mandat für COVID-19-Pandemie-Sonderausschuss

    Es gelte daher ein Europa aufzubauen, das besser auf künftige Krisen vorbereitet ist, indem es Lehren aus der Pandemie zieht. “Da COVID-19 auch eine Krise der zunehmenden Ungleichheit, der Wirtschaft, unserer Demokratie und unserer Grundrechte sowie der internationalen Regierungsführung war, wird der COVI-Ausschuss die Auswirkungen der Pandemie auf alle Aspekte der Gesellschaft berücksichtigen”, umriss die Vorsitzende den Arbeitsauftrag des Sonderausschusses.

    Im Fokus stehen dabei laut Parlamentsbeschluss vom 10. März 2022 unter anderem die Reaktion der EU-Organe auf die Pandemie, der Grad der Koordinierung und der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und die Fähigkeit der Gesundheitssysteme, auf die Pandemie und künftige grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen zu reagieren. Die Ausschussmitglieder sollen aber auch die Auswirkungen des Personalmangels und der Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten, einschließlich Schutzausrüstung, auf die Gesundheitsversorgung sowie die Auswirkungen der Pandemie auf Pflegedienste, Pflegeheimbewohner, Arbeitnehmer, informelle Pflegekräfte und ihre Angehörigen untersuchen. Außerdem sollen die Impfstoffbeschaffung und -versorgung beleuchtet werden.

    Der Sonderausschuss hat zwölf Monate Zeit, um seine Empfehlungen zu formulieren. Die Amtszeit kann verlängert werden. Die erste ordentliche Sitzung des COVI-Sonderausschusses ist für den 11. Mai geplant. ank

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    Digital Markets Act: Experten warnen vor Schlupfloch

    Zahlreiche namhafte Fachleute haben EU-Parlament und Rat aufgefordert, eine mögliche Lücke im Digital Markets Act (DMA) zu schließen. Der Wegfall einer bestimmten Formulierung lasse “befürchten, dass die Grundrechte auf Datenschutz und Privatsphäre ausgehöhlt werden” und die großen Digitalkonzerne ihre Marktmacht entgegen der Zielsetzung des DMA noch festigen könnten, heißt es in dem Brandbrief. Dieser wurde unter anderem von der deutschen Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer, dem früheren Chefökonomen der Generaldirektion Wettbewerb, Tommaso Valletti, und der US-Autorin Shoshana Zuboff unterzeichnet. Initiiert hatte das Schreiben Johnny Ryan vom Irish Council for Civil Liberties.

    Die Unterzeichner fordern, den im Trilog Ende März vereinbarten Gesetzestext an der entsprechenden Stelle noch zu ändern (Europe.Table berichtete). Dieser muss noch von Europaparlament und Rat final angenommen werden. Der Digital Markets Act-Berichterstatter des EU-Parlaments, Andreas Schwab (CDU), will sich heute zu den Einwänden äußern.

    Konkret geht es um Artikel 5(1)a des DMA, der das Verknüpfen von Daten aus unterschiedlichen Diensten zu Werbezwecken an strikte Bedingungen knüpfen soll. Hier sei in den finalen Verhandlungen der Verweis auf “spezifische Verarbeitungszwecke” weggefallen, heißt es in dem Brief. Dadurch sei eine “fatale Zweideutigkeit” entstanden: Die Gatekeeper-Plattformen könnten argumentieren, dass sie sämtliche Daten in ihrem Unternehmen kombinieren könnten, sobald sie einen Nutzer dazu gebracht hätten, auf eine einzige “OK”-Schaltfläche zu klicken.

    Die Datenschutz-Grundverordnung verlange aber von den Unternehmen eine Rechtsgrundlage für jeden Verarbeitungszweck, für den sie personenbezogene Daten unternehmensübergreifend nutzten. Indem sie sich auf die abweichende Formulierung im DMA beriefen, könnten die Unternehmen somit die DSGVO aushöhlen, so die Unterzeichner. tho

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    EU-Kommission genehmigt deutsche und polnische Beihilfen für Unternehmen

    Die Europäische Kommission hat am Montag ein 20 Milliarden Euro schweres deutsches Programm zur Unterstützung von Unternehmen, die von den Sanktionen gegen Russland betroffen sind, genehmigt. Aus demselben Grund wurde auch ein polnisches Beihilfepaket für den Agrarsektor in Höhe von 836 Millionen Euro bewilligt.

    Die EU-Exekutive teilte mit, dass die deutsche Maßnahme in Form von direkten Zuschüssen, Steuer- oder Zahlungserleichterungen, rückzahlbaren Vorschüssen, Bürgschaften, Darlehen, Eigenkapital und hybriden Finanzierungen für alle Unternehmen in allen Sektoren, mit Ausnahme der Unternehmen des Finanzsektors gewährt wird.

    EU-Kommission gewährt Direkt-Beihilfen für Landwirte

    Die Beihilfen für Unternehmen in den Agrar-, Fischerei- und Aquakultursektoren werden von der EU-Kommission auf jeweils 35.000 Euro und für Unternehmen in anderen Sektoren auf 400.000 Euro begrenzt.

    Die polnische Regelung in Form von Direkt-Beihilfen wird Landwirten gewährt, die von den steigenden Kosten für Düngemittel aufgrund der aktuellen geopolitischen Krise und der damit verbundenen Sanktionen betroffen sind. rtr/luk

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    Deliveroo: Französisches Gericht verurteilt zwei Manager

    Im juristischen Streit um den rechtlichen Status von Fahrern hat ein Gericht in Paris zwei ehemalige Spitzenmanager des Lieferdienstes Deliveroo in Frankreich zu Haftstrafen verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die Manager hätten die Fahrer als Scheinselbstständige eingesetzt, entschieden die Richter am Dienstag. Zudem verhängte die Kammer Geldstrafen in Höhe von 30.000 Euro.

    Das Unternehmen selbst muss eine Geldstrafe von 375.000 Euro zahlen. Der britische Essenslieferdienst Deliveroo will das Urteil nun prüfen und dann entscheiden, ob er dagegen vorgeht. Dem französischen Markt werde er aber nicht den Rücken kehren. Das Urteil könnte auch über die Grenzen Frankreichs hinaus für Aufmerksamkeit sorgen, da in zahlreichen europäischen Ländern um den Status der Fahrer gerungen wird, auf die die Lieferdienste angewiesen sind (Europe.Table berichtete). rtr

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    Spanien soll katalanische Separatisten mit Pegasus-Software ausspioniert haben SPIEGEL
    EU-Parlament: Pegasus-Untersuchungsausschuss will NSO-Chef vorladen HEISE
    Moskau weist 36 europäische Diplomaten aus NTV
    EU-Beitritt der Ukraine: Kiews Antwortschreiben ist ein erster Schritt auf einem langen Weg TAGESSPIEGEL
    Lettland will bis 2023 russische Gasimporte einstellen DEUTSCHLANDFUNK
    Verkehrsstaatssekretärin offen für Änderungen bei Plug-in-Hybrid-Förderung TAGESSPIEGEL
    Italien: Die Toten, die ins Meer fielen SUEDDEUTSCHE

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    Benjamin Ledwon – Ein Lobbyist ohne Hinterzimmer-Klüngelei

    Benjamin Ledwon ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom.
    Benjamin Ledwon ist Senior Expert for European Affairs bei der Telekom.

    Zu Hause spricht Benjamin Ledwon Englisch. Mit den Menschen, die ihm in seiner belgischen Heimat auf der Straße und in den Geschäften begegnen, kommuniziert er meist auf Französisch. Und seine Arbeitssprache ist Deutsch. Der gebürtige Berliner hat in Frankreich und England studiert, lebt nun in Brüssel, wo er nach seinem Abitur bereits als Zivildienstleistender für eine europäische NGO tätig war. Der 32-Jährige ist also ein waschechter Europäer im Herzen Europas.

    Auch in seinem Beruf dreht sich alles um das politische Handeln des Staatenverbundes. Nach seinem Studium der EU-Politik war Benjamin Ledwon zunächst als Praktikant bei der Europäischen Kommission tätig, dann im Europäischen Parlament, anschließend beim Branchenverband Bitkom. Seit einem guten halben Jahr nimmt er nun als Mitarbeiter eines Großkonzerns an europäischen Gesetzgebungsprozessen teil. Aktuell kommen im Wochentakt neue Gesetzesvorschläge von der Kommission, die seinen Arbeitgeber betreffen. Ledwon bespricht sich dazu mit seinen internen Kolleg:innen, um die Ergebnisse dann an die politischen Entscheidungsträger heranzutragen.

    Ein Thema, das Benjamin Ledwon aktuell besonders beschäftigt, ist die Grüne Wirtschaft. “Mit dem Recht auf Reparatur zum Beispiel will die Kommission erreichen, dass elektronische Endgeräte länger verwendet werden können. Wir als Händler setzen uns dafür ein, dass die Hersteller hier in die Verantwortung gezogen werden, denn sie haben in Bezug auf das Produktdesign das Know-how und stellen die Ersatzteile her”, erklärt er.

    Interessensvertretung ist legitimer Teil des politischen Prozesses

    Ein weiteres wichtiges Thema sind die Gesetzesvorschläge zum Digital Markets Acts (DMA) und zum Digital Services Act (DSA), die neue Regeln für digitale Märkte und Plattformen schaffen sollen. “Wir als Telekom sind auf der einen Seite Kunde, auf der anderen Seite aber auch Wettbewerber von Gatekeeper-Plattformen und halten klare Dos and Don’ts für notwendig, um digitale Märkte offenzuhalten”, sagt Benjamin Ledwon.

    Gerade die Telekommunikationsbranche ist stark reguliert, sodass die Interessenvertretung gegenüber der Politik eine besonders wichtige Rolle spielt. Genau aus diesem Grund hat sich der junge Politikexperte für die Telekom als Arbeitgeber entschieden. “In anderen Unternehmen läuft das eher unter ferner liefen, hier gehört das wirklich zum Kerngeschäft und der Bereich berichtet direkt an den Vorstandsvorsitzenden”, erzählt er. Was bei der Telekom als “Public & Regulatory Affairs” bezeichnet wird, nennt sich landläufig auch Lobbyismus und ist manchen Vorurteilen ausgesetzt. “Wir als Unternehmen stellen unsere Betroffenheit für die Wirtschaft dar, genau wie es auch NGOs für die Zivilgesellschaft tun. Das ist ein wichtiger und legitimer Teil des politischen Prozesses”, findet Ledwon.

    Gängige Klischees von Lobbyisten, die bei Gesprächen im Hinterzimmer mit dem Whiskey in der einen und der Zigarre in der anderen Hand ihre Netzwerke pflegen, erzählt Ledwon, haben mit seinem Arbeitsalltag wenig zu tun: “Es reicht heute nicht mehr aus, Best Buddy zu sein, sondern man muss als Lobbyist vor allem durch das Argument überzeugen“. Genau deshalb fühlt sich der ehemalige Politikstudent in seiner Position als Senior Expert European Affairs bei der Telekom also durchaus wohl. Janna Degener-Storr

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